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Aichtamtliches. (Fortsetzung aus dem Hauptblatt.) PreuszAische Landesversammlung. 1M. Sitzung vom W. Januar 1920, Mittags 12 Uhr.
Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger. )) . Auf der Tagesordnung steht die dringende för m liche Anfrage der drei Mehrheitsparteien:
Ist die Staatsregierung bereit, darüber Auskunft zu geben, welche Maßnahmen getroffen sind zur Aufrechterhaltung der öffent lichen Srdnung? Ist insbesondere für gemigenden Schutz der Arbeit im Bergbau und im Cisenbahnbetriebe gesorgt? Ist die Aufrecht⸗ erhallung der übrigen lebenswichtigen Betriebe sichengestellt? Ist der Rücktransport der Kniegsgefangenen durch die Eisenbahnder⸗ waltung gewährleistet?
In Verbindung damit sollen beraten werden die drin⸗ genden förmlichen Anfragen
1. der U. Soz.:
Am 17. sind auf Veranlassung der Reichs- und der preußischen Staatsregierung die Lokomotivhauptwerkstätten in Ried ün Köln- Nippes und and erorts geschtessen orden. Es besteht die dringende Gefahr, soweit die Werkstätten in besetztem Gebiet liegen, daß die Entente sie für ihre Zwecke be⸗ schlagnahmen wird. Deshalb fragen wir an: Ist die Staats⸗ regierung bereit, den Betrieb der Werkstätten zun Abwendung der angedeuteten Gefahr sofort wieder in Betrieb zu nehmen und dadurch zugleich tausenden von brotlos gewordenen Anbeitern, darunter solchen, die 30 Jahre und mehr dort beschäftigt waren, wieder Arbeitsgelegen⸗ heit zu schaffen?
2. der Sozialdemokraten:
Die Staatsregierung wird ersucht, darüber Auskunft u geben, aus welchen Grlnden die Staatseisenbahmoerkstätten Nied und indere Betriebe geschlossen wurden, b. nach welchen Grund⸗ ätzen die Inbetriebnahme der Werkstätten und die Einstellung der Arbeiter wieder erfolgen soll?
3. der Antrag der U. Soz, die Staatsregierung auf⸗ zufordern, bei der Reichsregierung auf die so fort ige Auf⸗ hebung des über Preußen verfügten Belage⸗ rungs zu stand es hinzuwirken.
Der Präsident des Staatsministeriums Hi rssch erklärt
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sich zur sofortigen Beantwortung der förmlichen Anfragen bereit.
Gegen die Absicht des Präsidenten und des Aeltestenrats, bie Aussprache durch Zusammenziehung je zweier Begründungen zu vereinfachen, erheben die U. Soz. Widerspruch.
Zu Ausführungen über die Anfwage der Mehrheit parteien erhält das Wort .
Abg. Graef ⸗ Frankfurt (Sog): In diesem Hause zst fehr oft über die Notlage unseves Volkes gesprochen worden und wie wir aus diesem furchtbaten Gend herauskommen. Alle Parteien sind darüber einig, daß ein Weg zur Gesundung unsse rer ö funden werden muß. Wir diefen nicht immer über Vergangenes . sondern den Blick in die Zakunft wenden. Gs ist wiederholt gesagt worden, uns kann nur Arbeit und immer wieder Arbeit vetten. Statt deffen fehen win aber, daß immer wieder Streiks, Sabotage usmw, wor⸗ sommen und daß man das Volk immer mehr ins Glend hineinstürzen will. Man will dem Volke nicht helfen, sondern nur die verhaß te. Me⸗ gierung stürzen. Wenn man dem Ärbeiter sagt: Du kannst mit deinem Lohn nicht auskommen, du mußt verkürzte Arbeitszeit haben, weil du sonst bei der Unterernährung erliegst, so ist das begreiflich. Wenn man aber zu Streiks auffordert, dann ist es understandlich, wie man
den ennsten Anspruch darauf erheben kann, dem Volke helfen zu wollen;
denn daburch geralen wir immer tiefer ins Clend, unsere Valuta sinkt immer mehr. Ich stehe 3 Jahre im öffentlichen Leben und bin gewerkschaftlich organisiert. Da soll ich mir von einem jungen Henschen von 18 Jahren, der vielleicht erst vor acht Tagen das Rerbandebuch erworben hat, sagen lassen, ich i ein Valerlandewerräter. lim die Bergwerke und Cisenbah nen dreht fh alles: oh jemand hungert oder friert oder ohdachlos ist. Heute nen wir sagen, nieder mit allen Streikz. Nachdem die Industrie au Jahre hinaus Aufträge hat, die nicht ausgeführt werden können weil es an Kyhlen und Transportmöglichkeit fehlt, müssen wir mehr Arheit verlangen. Sobald die Stunde gekommen ist, wo die sechsstündige Arbeitszeit durchgeführt werden kann, . sie durchgeführt werden. Aber jetzt ist das ganz unmöglich. In Braunschweig und vielen anderen Ge⸗ genden haben die Bergarbeiter freiwillig sich erboten, Ucherschichten zu machen, um das Volk vor dem Elend zu bewahren. Wir büjrfen arnehmen, daß die Bergarbeiter anerkennen, daß wir nicht aus bösem Willen den Sechsstundentag ablehnen, sondern, um uns vor dem Ab⸗ grund zu bewahren. Wir verlangen eine Produ ktionssteigerung. Während der Verhandlungen darf nicht mit Streiks und Sabotage vor zegangen werden; das verstößt gegen die gewerkschaftli hen Grunk⸗ sätze, und wer das tut, ist der, größte Feind seiner Gewerkschaft Die geschlossenen Gisenbahnwerkftälten müssen sobald wie möglich wäeder
eröffnet werden. Daß die. rodurtion gesteigert werden mu heweist der Zustand der Bahnhöfe, Lokomotiven und Wagen. Nicht dit
fincnzielle Seite, die Erhöhung der Tarife, sondern die Steigerung bes Verkehrs ist unsere Hauptaufgabe. We Kriegsgefangenen müssen zurückkehren können. (Sehr richtig) Die demagogischen Acbeiter Wer wollen, daß es recht lange dauert, damit sie damit Agitation reiben können, um die Regierung zu stürzen. Das ist ein po iti sches Irrenhaus. GCebhafte Zustimmung bei den Soz.) Ener . man, die Kriegsgefangenen können wegen der Zustände der Gisen⸗ bahnen nicht zurückkommen, andererseits sagt man: Arbeitet nicht damit sie nicht zurückkommen können. Auch die Landwirtschaft darf
nicht sabotiert werden. Es ist bedauerlich, wenn der Belagerungs⸗
if verhängt werden muß, für dessen Beseitigung man ein Menschenalter gekämpft hat. Die Regierung warnte vor der Auf⸗ ebung des Belagerungszustandes, weil sonst neue Blutopfer ent- tehen könnten. Leider hat sie Recht behalten. Die Regierung muß
alle Forderungen der Arbeiter erfüllen, die die Arbeitslust steigern,
aber mit Energie gegen diejenigen vorgehen, die vie Arbeiter an der Ausübung der Arbeit hindern. Aber nicht nur gegen diejenigen yon links, sondern auch gegen die von rechts. (Sehr richtig!l bei den Soz.) Wer die Produktlon hindert, ist ein Staatsberorech . Wenn man die Presse der Linken verbietet, muß man auch die Presse von rechts perbletell. Die Sprache der Roten Fahne“ ist manchmal zicht so gefährlich wie die der Presse von vechts. War es früher äblich, aß man einen Minister für . erklären konnte, und daß ein. Ge— richtsporsitzender es zuließ, daß aus einem Ankläger ein Angeklagter gemacht wurde? (Sehr richtig! bei den Soz.) Die Hetze 23. unseren Reichspräsidenten gilt heute als erlaadte Satire. in Mann, der nur seine Pflicht getan hat, wird einfach mit der Kugel niedergestreckt. Da schreibt man gegen Erzberger, der Krug ginge
solange zum Brunnen, bis er bricht; Exzberger dürfe sich in Berlin
und anderen Großstädlen nicht auf der Strate zeigen und habe . halb „fern bom Schuß“ in Stuttgart seine Rede gehgltzn; Erzberge sei kugelrund, aber nicht kugelfest, usw. (Pfuirufe links.) Das ist genau so wüfte Hetzerei, als wenn man die Massen vor den ei
lag fährt, fie erschießen läßt und selbst im Hint ergr ud. bleiht. Sehr cl. bei den Soz. Lärm bei den U. Soz. Ter Abg. Ad. Hoff⸗ mann geht nach der Tür des Sagles, ein Mehrheitssozialist ruft: Adolf . Herzklopfen) Die Regierung muß das Volk schützen dor lem Terrorismus von rechts und von ünks. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)
wiedergegeben
Wor
Mit Ausnahme der Reden der Herren Minifter, die im
Pemifter des Innern Heine: Meine Damen und Herren! Der Herr Abg. Gräf hat Ihnen in anschaulicher ergreifender Weise die Zustände geschilbert, unter denen wir leben, die furchtbaren Gefahren, die unser nationmles Leben derge stalt bedvohen, daß wir fürchten, wenn nicht ein Wunder geschieht, geht das ganze Volk zugrunde. (Hört, hörty Men kann aber nicht auf Wunder werten, um aus feinem Glend hercus zukommen; das einzige Wunder, das sich in der Welt begibt, ist der Wille der Menschen, der Wille und die Kraft, ihn durchzuführen. (Sehr richtig! bei den Son aldemokraßen) Arbeit, Verkehr, Ordnung müissen aufrecht erhalten werden, die Prodauk tien muß gesteigert werden, wenn wir nicht binnen wenigen Wochen woll⸗ kommen zusammenbrechen sollen. Das hat Herr Abg. Gräf aus . einandergesetzt; ich habe es nicht noch einmal zu wiederholen.
Leider sind Ereignisse eingetreten, die genötigt haben, an Stelle eines das gesamte Volk umfassenden einmütigen Willens zur Selbst⸗ rettung den Zwang dazu zu setzen. Wahrhaftig, wir wären auch froh gewesen, wenn man ohne solche gewaltsamen Mittel, wie die, zu denen man hat greißen mässen, unser Volk den Weg hätte gehen sehen, der zur Rettung und zum Heile führt, auf dem Wege zur Eintvacht, zu freiwilligen produktiven Arbeit, zur Steigernng der Teistungen, zur Ordnung, zum Staatsgefllhl, zur Anerkennung der Republik, dae sich das Volk aus seinem Willen in der Nationalversammlung und hier in der vorläufigen Verfassung geschaffen hat. Diesen Weg gingen leider große Teile des Volkes nicht freiwillig; die Ordnung, die Arbeit wurden fortgesetzt bedroht und erschüttert.
Keine Regierung wird gern auf die Daher mit dem Belage rungs⸗ zustand regieren, am wenigsten eine republikanisch⸗ demo kratische Man wird das schon grundsätzlich ungern tun, wie Herr Abg. Graf sagte. Die Freiheit, für die man sein Lebtag gekämpft hat, mit den Mitteln aufrecht erhalten zu müssen, die man selber bekämpft hat, ist für jeden Politbker eine peinliche, schmerzhafte Aufgabe. Aber, wie Herr Grf mit Recht gesagt hat, die Politik ist kein Spiel, sie zwingt ums auch, das Unangenehme, das zu tun, was notwendig ist, wenn es uns noch so sehr gegen das Herz geht.
Man regiert aber auch außerdem deshalb nicht gern mit den
Zwangsmaßregeln des Belagerumgsqustandes, weil sie sich schmell ab⸗ stumpfen. Nicht etwa, datz sie unwirksam wären, o nein! — Eine mit Energie durchgeführte Unterdrückung des Verbrechens hilft immer etwas. Aber es ist etwas anderes in der langen Dauer eines solchen Zwangezustandes, was ihn unhaltbar macht, nämlich daß die öffemt · kiche Meinung ners wird, wenn sie um sich hemum immer von neuen Anwendungen von Zwangsmitteln hört. Und leider muß 8 gesogt weiden: die öffentliche Meinung hat ein Talent, sehr schnell zu vergessen. Es läßt sich nicht leugnen, daß vem Sommer ah — kaun war die Reichswerfassumg unter Dach gebwicht, kaum war der pollnische Aufstand in Oberschlesien niedergeschlagen. — in der Presse und in der öffentlichen Meinung leiser erst, dam immer lauter der Ruf erschallte: weg mit dem Belageynngszustand! Man hatte ver⸗ gessen, was man im Jann und März hier erlebt hatte, man hatte vergessen, daß die Anhänger Lirbknechts, Ledebouns uswo. die bürger⸗ Üächen Zeitungen und auch den Vorwärts besetzt hatten, und daß mom mit Kanonen der öfsenthichen Meinung wieder die Möglichkeit er freien Aussprache hat verschaffen müssen. (Widerspruch bei den Nnabhängigen Sozioldrmok raten. — Sehr gut! bei den Sozial demo⸗ kraten) Hert Graef hat gesagt, was eigentlich mehr ein Internum ist, daß nicht alle vergessen hatten, wie die Dinge lagen. Aber die Zehtungen der äußersten Linken beteierken einmal über des andere, daß sie mur auf ftiedlichem Wege vorgehen wollten, daß ihnen gemalt samer Sturz der Regierung fern läge; und die bürgerliche Presse wies auch immer auf diese Gesetzlichkeit der äußersten Linken hin. So war os ganz in der Ordnung, daß die Reichs. nd die Preußzische Regierung sich auf den Boden stellten, daß den Männem der vadikalen Linken Gelegenheit gegeben werden sollte, durch die Tat zu beweisen, daß sie nichts anderes wollten als eine ordmingsmäßige Agitation für ihre politischen Ziele innerhalb des Rahmens der Verfassumng und der Gesetze. .
Darum wurde der Belagerungszustand aufgehoben, in der Haupt⸗ soche mit Ausnahme von Westfalen, wo die Gefahr gewaltsamer Er- eignisse immer noch vor den Augen lag, und von Oberschlesten, wo noch immer mit der Gefahr eines neuen polnischen Ginbruches gerechnet werden mußte. Leider muß man feststellen, daß die Gegner der Re⸗ gierung auf der äußersten Linken sich dieses Entgegenkommens nicht würdig und nicht reif dafür erwiesen haben. (Sehr richtig! bei den Sonialdemokraten und in der Mitte — Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemok taten. Diejenigen, die die Schuld an den Greignissen in Westfalen am 13. Januar und an denen, die sich gleichfeitig am 13. Januar in Berlin abspielten, tragen, sind verantwortlich für die Opfer, die dabei gefallen sind, und verantwortlich dafür, daß neue Zwangs maßregeln verhängt werden mußten. Stürmische Zusti mmung bei der Mehrheit. — Widerspruch bei den Unabhängigen Sozial⸗ Demokraten. — Abg. Klaußner: Sie haben sie doch erschossen! — Lachen bei der Mehrheit) — Sie sind ja weit weg, wenns zum Schießen kommt. (Sehr nichtig! und Heiterkeit bei der Mehrheit und rechts. — Widerspruch bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) Haben Sie sich doch von Ihren eigenen Leuten sagen lassen müssen, wo denn die Führer der Unabhängigen gewesen seien. (Sehr gut! bei den Sozial⸗ demokraten) In Sicherheit waren die Führer, während draußen die betörten Massen in die Maschinengewehre gehetzt wurden. Allgemeine lebhafte Zustimmung bei der Mehrheit und rechts.)
Ich muß nun aber darauf hinweisen, daß die Maßnahmen, die ge⸗ troffen worden sind, in erster Reihe Maßnahmen der Reichsregierung sind, und daß die Reichs regierung nach Artikel 48 der Reichmwerfassung nunmehr auch die zuständige Behörde dafür ist. Der Herr Reichs⸗ Präsident hat am 13. Januar Verordnungen erlassen, wodurch das Reichsgebiet mit Ausnahme von Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden und den von ihnen umschlossenen Gebieten in Aus nahmezustand versetzt werden. Ich komme später noch, entsprechend der von den Herren Abgeordneten en uns gerichteten Anfrage, auf die Einzelheiten der Anordnung zurück. Wichtig für die Zuständigkeitsfrage ist folgendes: Die vollziehende Gewalt ist einem Militärbefehlshaber übertragen, nämlich dem Herrn Reichswehrminister, der sie wieder lokalen Militär- befehlshabern übertragen kann. Diese lokalen Militärbefehlshaber aber müssen in allen Angelegenheiten, die sich auf die Zivilverwaltung be⸗ ziehen, mit Zustimmung des Regierungskommissars entscheiden, und der Regierungskommissar ist in unseren preußischen Belage rungszustands⸗ gebieten ein preußischer Beamter. Ich will Sie nicht mit einer Auf⸗ stellung der verschiedenen Regierungskommissare hier aufhalten. Die
Lijte, wenn fie gewünscht wird, liegt hier zur Band; ich kann sie jedem
der Herren geben. Für die Provinz Sachsen und anschließende Gebiete
Sachsens und Thüringens ift es z. B. der Regierungspräsident von Merseburg, für Ostpreußen ist es der Oberpräsident Winnig, für Schlesien, ausschließlich Oberschlesien, der Polize ipräsident Vogt in Breslau, für Cassel und Thüringen ist es der Oberpräsident Schwander, ür Westfalen der Staats- und Reichskommissar Severing. Alle diese wirken also zusammen bei Ausübung der vollziehenden Gewalt mit dem Militärbefehlshaber, und der Militärbefehlshaber ist in gewissem Maße an ihre Zustimmung gebunden. Damit nun aber eine Einheit⸗ sichkeit in die Handhabung etwaiger allgemeiner Anordnungen gebracht wird, ist in meiner Person mit Zustimmung der preußischen. Regierung ein Generalkommissat für Preußen bestellt worden, der duich seine Person, durch seine Verwaltung die Gewähr dafür bietet, daß nicht etwa die Praxis der verschiedenen Regierungskommissare voneinander abweicht. Insofern also ist auch die preußische Regierung, bin speziell ich zuständig zur Beantwortung dieser Anfragen und muß ich die Ver⸗ antwortung für des, was an generellen und speziellen Anordnungen in preußischen Gebieten getroffen worden ist, übernehmen. Darum be⸗ antworte auch ich diese Anfragen der Herren Inte npellanten.
Ich muß nun aber zurückgreifen auf die Vorgänge, die sich ab— gespielt haben und die zur Verhängung der neuen Ausnahmemaß⸗ regeln geführt haben, ehe ich auf die Ausnahmemaßregeln selbst ein⸗ gehe. Wie vorhin schon bemerkt, wurde amn 5. Dezember der Be⸗ lagerungszustand in Berlin und in anderen preußischen Gebieten mit den Ausnahmen, die ich bereits erwähnte, aufgehoben. Kurz darauf, von etwa Mitte Dezember an, begann sich im gesamten Deutschen Reich eine neue Unruhe auf seiten der äußersten Linken und ihrer Bestrebungen bemerkbar zu machen, und zwar sah man aus der Zu⸗ sammenstellung der Vorgänge und der Berichte, daß es dies mal ab⸗ gesehen war nicht auf eine langsame Zermürbung der Regierung und der gesetzlichen Zustände, sondern auf irgendeinen ganz plötzlichen Schlag. Dazu sollten dienen wirtschaftliche und auch politische Maß⸗ regeln. Man machte sich gegenseitig in diesen Kreisen Vorhaltungen, daß die bisherige Taktik nicht zu einem Ziele geführt hätke, und beschloß, eine neue Taktik einzuschlagen. Es ist deshalb ganz offenbar unwahr, daß der Zusammenstoß, der sich am 13. Januar am Reichs⸗ tagsgebäude abgespielt hat, etwa eine von der Regierung provozierte oder aus der plötzlichen Aufwallung der Massen heraus entstandene Aktion gewesen wäre.
Gern will ich annehmen, daß die große Zahl der Demonstranten gläubig — nicht immer willig, aber gläubig — den Anführern folgte, die sie auf den Königsplatz schleppten, und daß sie nur friedlich demonstrieren wollte; dies sind eben die Opfer. GEbenso sicher ist es nur auf der anderen Seite, daß bei einer gewissen Gruppe von Führern und von solchen, die dahinter standen, ein ganz planmäßiges Vorgehen ins Auge gefaßt war. (Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Und die Beweise, Herr Minister? — Die Be⸗ weise, mein werter Herr, sollen Sie gleich hören. In den Werk— stätten wurde die Stimmung für die Demonsträtion durch die mit gefälschten Unterschriften versehene Behauptung gemacht, die Ge⸗ werkschaftskommission kommandiere dieses ganze Unternehmen. (Hört! hörti bei den Sozialdemokraten Die Leute kamen, wie gesagt, friedlich anmarschiert, man ließ sie aber auf dem Königsplatz sich anstauen. Ich muß bemerken: nach Aufhebung des Belagerungs⸗ zustandes war es mir als dem, der für den Sicherheitsdienst in Berlin verantwortlich ist, unmöglich, diese Aufzüge und Versamm— lungen auf dem Königsplatz zu verbieten. Sie waren nach Aufhebung des Belagerungszustandes und nach der zunächst friedlichen Einleitung, die die Bewegung am Morgen gewann, nicht zu verhindern. Hätte noch der Belagerungszustand geherrscht, so hätte der Herr Reichs⸗ wehrminister durch seine Truppen den Königsplatz in weitestem Um fange absperren lassen, und es wären nicht die Massen herangekommen. Da der Belagerungszustand aufgehoben war, blieb nichts anderes übrig, als das Haus und die Zugänge zum Hause zu schützen, damit die Abgeordneten frei in ihr Parlamentsgebäude hineingelangen konnten. Im übrigen mußte man die Dinge abwarten.
Wäre nun nichts anderes als eine friedliche Demonstration gegen das Rätegesetz geplant gewesen, dann hätte man die großen Massen in ihren Zügen vor dem Henpthortal des Reichstages vorbeidefilieren laffen, hätte sie weiterführen und sich in den Wußenbezirken ruhig zer⸗ streuen lassen. Statt dessen hat man sie rings um das Gebäude zu⸗ sammengeführt und hat sie zu einer ungeheuren Masse zusammengeballt. Wer konnte sich vorstellen, daß aus einer solchen Masse, zu der immer neue Massen von hinten herangeführt wurden, und die deshalb immer mehr nach vorn gedrängt werden mußte, nicht schließ ich doch ein Angriff gegen das Haus und gegen die Mannschaften der Sicherheits- polizei herdorgehen würde. (Zuruf bei den Unabhängigen Sozial⸗= demokraten: Schließlich) Wollte man Gewaltakte und Zusammenstöße vermeiden, wollte man nur demonstrieren, dann mußte man die Massen so, wie man sie herangeführt hatte, auch wieder hinwegführen. (Sehr richtig, links) Daß man aber dazu auch nicht den geringsten Versuch gemacht het, sondern — die unabhängigen Blätter behaupten ja: 200 000 Menschen, in Wahrheit sind es etwa S0 C00 gewesen; gerade genug! — dort gusammengedrängt hat, das ist schon ein Beweis, daß man es
auf ein Ucberwältigen des Parlaments abgesehen hatte. Draußen unter der Masse aber waren die Mitglieder des roten Vollzugsrates tätig (Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Die Heineschen Spitzel), die Herren Maltzahn und Wegner, die tauchten plötzlich zu⸗ fällig auf einem Rollwagen in der Menge auf, hielten von dort An⸗ sprachen und winkten. Die Herren Müller und Heinen haben von der Freitreppe vor Portal 1 herab Ansprachen an die Menge gehalten und haben nach einem Bericht eines Augenzeugen, auch als die Schüsse er— folgt waren, die gurückweichende Menge wieder vorwärts zu treiben ge= sucht. (Hört, hört!) Zufällig sind photographische Aufnahmen ge macht worden von außerhalb des Hauses, die jeder als Ansichtspostkarte am Brandenburger Dor bei einem Händler kaufen kann. Auf diefe Bilder beziehe ich mich. Da sieht man, wie die Sicherheitspolizei friedlich und mit gutem Zureden die Leute von der Treppe wegbringen will und wie die Beamten der Sicherheitspolizei bedrängt werden, wie auf sie cingeschlagen wird, wie die Leute Widerstand leisten. Will man behaupten, daß diejenigen, die die Menge dahin geführt haben, nicht gewußt hätten, daß es so kommen würde, so kommen mußte? Jetzt schieben freilich die Unabhängigen alles auf die 30 Matrosen, die dort aufgetaucht sind, und sagen, die wären die Verbrecher gewesen. Selbst wenn zwischen ihnen und den Arrangeuren der ganzen Sache
kein Zusammenhang bestanden hätte, so hätten sich diejenigen, die das
Go Saohin geführt haben, fagen müssen, Saß bei solcher Gelegenheit immer solche Clemente auftauchen. (Sehr richtig) Wenn es ihnen darum zu tun gewesen wäre, friedlich zu demonstrieren, dann hätten sie diese Massen nicht ohne Führung, ohne die Möglichkeit einer Führung dort zu einem ungeheuren Ball zusammenführen dürfen. Sunuf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) An der Demon⸗ stration im Tiergarten, am 10. März 1910, habe ich teilgenommen als Abgeordneter des 3. Wahlkreises und habe die ganzen friedlichen Demonstranten dort gesehen; in fortwährender Bewegung, sich in den Gängen des Tiergartens zerstreuend, in kleineren Gruppen, niemals sich irgendwo anstauend. Diese Demonstration im März 1910 war durchaus friedlich und gesetzmäßig und war auch so geplant. Die Dinge, die sich am 13. Januar abgespielt haben, waren von vornherein enders angelegt. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, dann würden das die Aussagen einer Reihe von Zeugen beweisen, die bekunden, daß von vornherein eine Anzahl Abgeordneter, die zur Nationalversammlung gingen, zwischen dem Brandenburger Tor und dem Portal der Ab⸗ geordneten von der Menge beschimpft, bespuckt, beworfen, beschmutzt und beleidigt worden sind. (Hört, hörty Darunter war der Ab geordnete zur Nationalversammlung Herr Hugo Heimann. Es sind Offiziere, Leute der Sicherheitspolizei, die für sich allein gingen, und die unter diese Demonstrantenzüge gerieten, zu einer Zeit, wo es noch nicht zu Zusammenstößen am Reichs tag gekommen war, aus den Wage gerissen, gemißhandelt worden. (Hört, hörth Gin Militärfuhrwerk, das nach dem Schiffbauerdamm gefahren war und dort in der Nähe warten mußte, wurde beim Herannahen einer dieser Züge friedlicher Demonstranten von den friedlichen Demonstranten überfallen, die beiden Reichswehrleute wurden gemißhandell, weggejagt, und — auch charakteristisch — das Fuhrwerk wurde samt dem Pferde gestohlen. (Große Heiterkeit) Es ist bis heute noch nicht wiedergefunden.
Am 9. Januar hat in Charlottenburg eine Funktionärkonfe renz der Unabhängigen Sogialdemokratie getagt — nicht etwa der Kom—⸗ munisten, sondern Ihrer Payteigenossen, der Unabhängigen So ial⸗ demakratischen Partei Deutschlands. Dort hat der Funktionär Wäg⸗ mann gesagt, daß am 13. Januar die Entscheidung darüber fallen würde, ob die Regierung mit der Arbeiterschaft oder gegen sie vogieren wolle. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemol raten.; De 1ꝗ. Januar sei die Schicksalsstunde der Arbeiterschaft (hört, hörh, und am 13. Januar resp. in den folgenden Tagen habe die Regierung sich darüber zu entscheiden. Die Arbeiterschaft hätte es in der Hand, m beweisen, ob sie an diesem Tage ihre Zukunft selbst gestalten und das Heft nunmehr in die Hand nehmen wolle. (Hört, hörth
Es steht einwandfrei fest, daß eine große Menge ber De monstranten bewaffnet gewesen ist. (Hört, hört) Man braucht sich nur die drei großen Flügeltüren des Portals 1 am Königsplatz anzusehen, um fest⸗ zustellen, welche große Menge von Einschlägen von Revolverschüssen sich darin befindet. Die Mahagonitüren sind so stark, daß nur die wenigsten Geschosse durchgeschlagen sind. Aber immerhin, wenn man zu einer solchen Demonstration mit dem Revolver in der Tasche geht, so hat man nicht die Absicht, friedlich zu demonstrieren. Gurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten)
Meine verehrten Herren Abgeordneten, Sie haben natürlich felbst zu entscheiden, aber ich halte es für aussichtslos, durch eine Aus⸗ einanderfetzung mit dem Herrn Abgeordneten Adolph Hoffmann zu einer Widerlegung zu kommen. Er wird sich nie überzeugen lassen. Darum würde ich es für besser halten — wenn ich mir den Rat er⸗ lauben darf — ihn ruhig feine Zwischenbemerkungen als Monolog halten zu lassen. Ich habe es mir längst abgewöhnt, auf Zwischen rufe von dieser Seite zu antworten. (Abg. Adolph Hoffmann: Sie ver⸗ wechseln wieder Kanonen mit Volksrechten) — Wie geistreich diese Bemerkungen sind, fieht man jedesmal, wenn auf die Bemerkungen geschwiegen wird. /
Ich wollte also sagen, meine verehrten Damen und Herren, daß eine gewaltsame Unterwerfung der Regierung unter den Willen dieser Kreise geplant war. Das geht ja auch aus der Auffindung eines ganzen Waffenlagers auf einem Laubengelände in der Ostender Straße hervor. Dort sind 112 Gewehre, 2 Maschinengewehre und eine An zahl Handgranaten zu Toge gefördert worden. Wahrscheinlich — man kann sagen, sicher gibt es eine viel größere Zahl von Waffen in Berlin, die an solchen Orten versteckt find. Man kann ihrer natürlich nicht habhaft werzen; denn es ist unmöglich, alle diese Lauben⸗ gelände, wo wahrscheinlich die meisten vergraben sind, an einem Tage zu untersuchen. Da müßten wir ein Heer von einigen Hunderttausend Mann haben. So wie wir aber an einer Stelle zu suchen anfangen, werden die Waffen natürlich von den anderen Stellen weggeschleppt. Es ist also nicht fo leicht, das zu ändern, und wir werden warten müssen, bis die Waffen an den Tag kommen und benutzt werden, und dann werden wir die Mittel amwenden, mit denen man bewaffneter Verbrecher Herr wird. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.)
Der erste Schuß, der am 13. Januar gefallen ist, ist gefallen auf das Reichstagsgebäude, hat erst die äußere Tür am Portal J durch⸗ schlagen, hat einen Wachtmeister der Sicherheitspolizei, der sich in diesem Raum befand, getroffen, ist ihm zur Brust hinein⸗, zur Schulter hinausgegangen und hat dann dis zweite Tür durch⸗ schlagen. Das Geschoß ist im Wandelgang des Reichstags in der Nähe der Kaiserstatue niedergefallen. Der Postdirektor des Reichs⸗ tags hat den Mann gesehen, der den Schuß abgegeben hat, der nicht durch eine zufällige Entladung abgegeben wurde; dieser Mann hat auf einer der viereckigen Plattformen, die nach oben die Treppe abschließen, gestanden, hat angelegt und gezielt und horizontal durch die Türen ge⸗ schossen. (Hört, hörtt bei den Sozialdemokraten) Das entspricht auch genau dem Gang des Schußkanals, sowohl zwischen den beiden Türen als durch den getroffenen Mann. Ich selbst bin unmittelbar dabei gewesen, ich selbst habe diefen Schuß unmittelbar gehört, bin sofort in kiesen Raum geeist und habe den verletzten Wachtmeister dort noch liegen sehen, der eben getroffen war. zurücktrat, um die nötigen Anordnungen zu treffen, da lief bereits ein
unabhängiger Abgeordneter herum und rief: Spitzelarbeit, Spitzel ⸗·
arbeit. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten) Hier möchte ich auch eiwähnen: es war höchst auffällig, welche Menge von Anhängern der Unabhängigen, auch solche, die gar nicht Mitglieder des Reichstags sind, sich an diesem Tage auf Grund von Vifitenkarken oder Empfeh⸗ lungen Eintritt in den Reichstag verschafft hatten. (Hört, hörth Draußen wären fie nicht, da konnte ja geschossen werden, aber drinnen Zuruf bei den U. Soz), und wenn es so gekommen wäre, wie es nach meiner Meinung geplant war, nun, dann wäre das sehr schön ge— wesen, dann hätte sich gleich einer auf den Stuhl des Präsidenten setzen
Als ich in den Wandelgang
Führer des Roten Vollzugsrats 3. B., haben sich schleunigst in Sicher⸗ heit gebracht, noch am nächsten Tage. Kaum hatte der Herr Reichs-
EGrklärung abgegeben. Jetzt geht aus dem Gezänk zwischen den Herren
können. Tebhafte Zurufe bei den U. Soz) Wir haben ja einige von
Sen Leuten da Sraußen nachträglich verhaften können, die meiffen, die
kanzler angekündigt, daß die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden sollten, da waren sie alle weg. Cebhafte Zurufe bei den U. Soz.) Einer von den Verhafteben, gegen die jetzt ein gerichtliches Unter⸗ suchungsverfahren wegen Landfriedensbruchs, Aufruhrs und verbotenen Waffenbesitzes schwebt, hat einem Mann der Sicherheitspolizei folgendes gestanden: Auch er — dieser Angeschuldigte — war am 13. Januar im Reichstagsgebäude an der Freitreppe. Dort standen ehwa 30 Matrosen. Ich bemerke, daß diefer Mann sich auch als Matrose bezeichnet. Es steht aber nicht fest, daß er je Matrose ge⸗ wesen ist. Jedenfalls war er dort als Matoofe gekleidet und er sagt: Wir drückten gegen die Sicherheitsposten vor, um diese zu enhwaffnek Nachdem wir das getan hatten, haben wir ihnen erst eine anständige Wucht vemwaßt und sie dann einmal durch die Menge geführt, wo ihnen auch noch eine ordentliche Tracht Prügel verabfolgt wurde. Wo sie dann hingebracht worden sind, weiß ich nicht, denn ich hatte vorne zu tun. Dann war ich gerade bei dem Posten, der das Maschinengewehr aufstellen wolle Ich bin mit zwei anderen vorgesprungen und habe ihm im Verein mit diesen eine Wucht verpaßt. Der soll an mich denken. Es ist möglich, daß das Aas krepiert ift. Gs ist Gott sei Dank nicht geschehen. Das schadet nichts. Jeden Noske und Grünen muß man totschlagen, das sind keine Menschen. Das Maschinengewehr haben wir zer⸗ schlagen und sind dann weiter vorgedrungen.
Bei diesem Kerl hat man einen geladenen Rebolver mit 6) Pa tronen gefunden. (Hört, hört) Das ist der friedliche Demonstrant gewesen. (Mnruhe und Zurufe) Der Mann heißt Sorge. Es schwebt gegen ihn ein Strafberfahren. (Zuruf) Ich habe den Namen des Herrn Abgeoldneten Ledebour gehört. Herr Ledebonr hat ja in einem Kampf, den er vor Gericht geführt hat, 3 Wochen lang, glaube ich, seine Unschuld beteuert und erklärt, daß er nicht an den revolutionären Freignissen vom Januar vorigen Jahres schuld hätte. Darüber, wie sein Name neben dem Liebknechts und Scholz' unter die Erklärung der Uebernahme der Regierung gekommen ist, hat er keine ausreichende
hewor, daß seine ehemaligen Kumpane ihm vorwerfen, er hätte diesen — wie sie sagen — törichten, übereilten Streich von damals verschuldet, und jetzt rühmt er sich ja auch, ein großer Revolutionär zu sein. Nein, meine Herren, kommen Sie mir nicht mit der An⸗ schuldigung, daß ich den Herrn Ledebour zu Unrecht verklagt hätte. z Zu Unrecht freigesprochen worden ist er. Das ergibt sich aus seinen eigenen Aeußerungen. (Zuruf.
Es sind glücklicherweise für die Ereignisse, die sich in und um den Reichstag abgespielt haben, eine solche Reihe klassischer, vollgũltiger Zeugen vorhanden, wie man selten für einen solchen Vorfall zusammen- bekommt. Die Abgeordneten der Nationalversammlung aller Par⸗ teien, natürlich die Unabhängigen ausgenommen, die Journalisten aller möglichen Blätter ohne Unterschied der Parteirichtung, haben Gelegen⸗ heit gehabt, won den Fenstern des Reichstages aus und zum Teil beim Zugang zum Reichstag alle dicse empörenden Vorgänge mit eigenen Augen zu beobachten. Sie haben vor allen Dingen auch feststellen können, mit welcher musterhaften Ruhe und Zurückhaltung die Sicher⸗ heitqwelizei den ihr gegebenen Befehlen gemäß, solange wie irgend möglich, die Anwendung der Waffengewalt vermieden hat. Sehr richtig) Auch noch nachdem der Schuß in den Reichstag gefallen war, der einen Mann verletzte, und unmittelbar darauf ein zweiter Schuß, und nachdem die Revolberschüsse gegen die Türen prasselten, auch noch als eine große Anzahl von Mannschaften der Sicherhbeitspolizei draußen gemißhandelt und entwaffnet wurden, haben die Leute nicht etwa wild und blind und ohne Kommando darauf losgeschossen, was sehr begreiflich gewesen wäre (lebhafte Zustimmung), sondern sie sind fest in der Hand ihrer Führung geblieben. Als von dem Nordportal ein Stoßtrupp sich durcharbeite te, um die auf der Rampe stehenden, schwer bedrohten und mißhandelten Sicherheitsmänner gu entsetzen, kam es zu den ersten Schüssen, und als sich nun die Menge nach dem Portal U wendete, wohin sie durch Winke ven Führern dirigiert wurde (sehr richtig! und Zurufe), da hat der kommandierende Offizier (andauernde Zurufe und Unruhe — Glocke des Präsiden ten — , da hat zunächst der dort komman⸗ dierende Offizier einen einen Trupp nach der Rampe zu geschickt, um dort die Massen zurückzuhalten. Das waren aber zu wenig Mann⸗ schaften; sie kamen mit blutigen Köpfen, zum Teil entwaffnet, ohne Mützen Jurück, das Blut strömte ihnen über das Gesicht, einem war das Auge verletzt. Die Massen drängten immer näher heran und da hat der Hauptmann, der dort kommandierte, die Mütze abgenommen, hat deutlich gewinkt und laut gerufen: „Zurück! Wenn Sie jetzt nicht zurückgehen, so muß ich schießen lassen!“ Das hat keine Wirkung ge— habt. Die Massen sind nähergekommen, einzelne sind auf die Sicher- heitspolizei vorgedrängt, da hat er die Sicherheitsleute bis an die Mauer zurückgetreten und Feuer geben lassen. Es ist aber nur einen Moment geschossen worden; ich kann mich auf mein Ohr verlassen, ich habe es selbst mitangehört. Von dem Augenblick an, wo die erste Kugel im Reichstag einschlug und den Wachtmeister verwundete, bis zu dem Augenblick, wo das kurze Rauschen der Maschinengewehre begann, sind ungefähr 10 Minuten vergangen, solange hat die Sicherheitspolizei es noch vermieden, von der Waffe Gebrauch zu machen. Als dann geschossen wurde, bat es eben in der Tat nur einen Augenblick gedauert. Es ist ein Maschinengewehr am Porlal Il in Aktion getreten, aus dessen Patronenband 15 Schuß abgegeben worden sind. Wer weiß, wie Maschinengewehre funktionieren, wird bestätigen, daß dieses nur einige Sekunden in Tätigkeit gewesen sein kann. (Sehr vichtig) Jeder der Mannschaften, die dort geschossen haben — es waren B Mann ö haben 2 oder 3 Schuß ebgegeben, von denen noch ein paar Schuß gu hoch, über die Köpfe weggegangen sind. Das ist nicht immer praktisch. (Zurufe bei den Unabhäng: gen Sozialdemokraten) Nein, es ist nicht immer praktisch denn am Großen Stern und an den Zelten sind ganz z harmlose Leute von Geschossen getroffen worden, die man nicht getroffen hätte, wenn man auf die Massen da vorn geschossen hätte. Die Schüsse haben die Leute getroffen, weil der eine oder der andere der Mann⸗ schaften, sei es in der Aufregung, sei es aus Schonung, zu hoch gehalten hat. Es ist sehr bedauerlich, daß zwei Damen auf diese Art ums Leben gekommen sind, die mit den EGreignissen nichts zu tun hatten. (Hört, hörth Aber die Schuld kommt auf die, die es so weit haben kommen assen. (Allseitige Zustimmung. — Widerspruch bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) Der schuldigste Teil in dieser Beziehung ift — das
muß man schon sagen — abgesehen von einigen Männern, die Presse
Fer Unabhängigen und Kommunisten (Zustimmung und Widerspruch), „Die Freiheit“, die „Rote Fahne“, speziell auch die Wirksamkeit ein⸗ zelner Männer. Ich werde so frei sein, Ihnen aus der „Roten Fahne“ und aus der „Freiheit“ einiges wenige vorzulesen, nur ein paar Stick- proben, ich habe nicht die Absicht, hier stundenlange Vorlesungen zu halten.
In der „Freiheit“ vom 31. Dezember schreibt der angeblich legale Herr Breitscheidt:
Der Sozialist, der in einer Situation wie der gegenwärtigen auf den weiteren Angriff verzichtet und sich auf die Verteidigung beschränkt, gibt sein Ziel und sich selbst auf.
(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten) Und dann kommt der Protest gegen die Komptomißverhandlungen mit der Sozialdemokratie über das Betriebsrãtegesetz!
In der Nummer der „Freiheit“ vom 19. Dezember wird über den Nnabhängigen Parteitag berichtet. Dort hat der unabhängige Führer Crispin gesagt:
Das Aktionsprogramm sagt, daß alle politischen Kampfmittel anzuwenden sind. Dabei geben wir uns keinen Illusionen hin über den Parlamentarismus. Das Hauptkampfmittel bleibt die Aktion. Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Nach der Eroberung der politischen Macht hört für uns das bürgerliche Par⸗ lament auf und es tritt ein Rätekongreß zusammen.
(Sehr richtigl bei den Unabhängigen Sozialdemokraten — Unruhe bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten) — Wollen Sie mich nicht weiter anhören? Das Zitat geht nämlich noch weiter. Dauernde Unruhe. — Glocke des Präsidenten) Cxispin hat gesagt:
Es hat deshalb keinen Zweck, Forderungen an diese Regierung zu richten, die fie nicht erfüllen kann, ohne ihre eigene Macht ju untergraben.
(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) Diese Reda von Crispin ist sehr bejubelt und von anderen unabhängigen Rednern noch besonders hervorgehoben worden. Bitte, vergleichen Sie dieses Wort mit der Situation am 13. Januar! Eachen bei den Unabhän— gigen Sozialdemokraten) Das von der Regierung vorgelegte Räte⸗ gesetz sollte im Reichstag angenommen werden. Die Massen wurden dorthin von den unabhängigen Führern geführt, um — ia, um was zu kun? — um Forderungen an die Regierung zu stellen, die diese nicht erfüllen kann, das haben die Unabhängigen ausdrücklich abgelehnt. (Sehr richtigl bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Also gibt es nur eine Möglichkeit, einen Zweck der Agitation: hier sollte die un- mittelbare Aktion eintreten! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. — Widerspruch bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
Herr Maltzahn hat auch wieder für die Bildung von Kampf⸗ organisationen gesprochen. Es gibt geheime Kampforganisationen. Das sind diejenigen, die die Gewehre besitzen. Mnruhe. — Zuruf von den N. Soz.: In Ihrem Kopf sind auch einige! — Glocke des Präsidenten) In einer Vollversammlung der Berliner Arbeiterräte, über die die „Freiheit“ an 20. Dezember 1919 berichtet, hat der Redner Richerd Müller ausgesprochen, nachdem er gesagt hat, die Aktion vom Januar und vom März wäre derwerflich gewesen, da ste noch micht den richtigen Boden im Volke gehabt habe: (Hört, hört! bei den Soz.
Bald stehen wir vor dem katastrophalen Zusammenbruch der Ebertini schen Aera. Das deulsche Proletariat darf nicht wieder so ziel · und planlos in die zweite Phase der proletari schen Revolution hinein tor keln.
(Hört, hört! bei den Soz.) Also auch er vechnet mit einem unmittel⸗ bar bevorstehenden vebolutionären Sturz der Regierung.
In derfelben Generalversammlung hat später Hert Daumig gesagt:
Crispin hat den Mut gehabt, zu sagen, daß man der Gewalt der Gegner wieder Gewalt entgegensetzen müsse.
(Hört, hört! links.) Das vornehmste und entscheidendste Kampfmittel aber ist die Aktion der Massen. Das war die Aktion, die man am 13. Januar vorhatte, und am 24. Dezember schreibt in einem Artikel, dessen Verfasser nicht genannt ist, die Freiheit!:
Jett handelt es sich darum, doß die unabhängige Partei sich nicht bloß eine revolutionäre Partei nennt und mit einem redo⸗ lutiorären Programm paradiert, sondern ohne ängstliche Vor⸗ urteile im revolutionären Sinne handelt.
(Sehr gut! links.) Ich könnte Ihnen noch ein Dutzend solcher Zitate vorlesen, will aber darauf verzichten.
Dagegen will ich ausnahmsweise einmal auf einen Juruf ein= gehen, den ich eben hier gehört habe, auf einen Zuruf, der sich auf eine Bemerkung bezog, die ich in meiner Rede hier an derselben Stelle am 15. März vorigen Jahres getan habe. Ich habe damals gefagt. daß die unabhängigen Führer die Massen auf die Straße trieben, um dann, wenn mit deren Blut die Regierung gestürzt wäre, namentlich durch die Kommunisten, ihrerseits selbst die Herrschaft zu ergreifen und die Früchte des Elends und der Not der anderen zu ernten. Man hat es mir sehr übel genommen, daß ich einen Vergleich aus dem, Liebesleben der Gasse damit derbunden habe. Und doch muß ich sogem die Sache steht heute ganz ebenso, wie sie vor einem Jahre gestanden hat. (-Sehr richtig! rechts) Auch hier wieder sind es Drahtziehen, die selbst in Sicherheit sind, im Hinterhalt bleiben, und hinaus geschickt auf die Straße werden die harmlosen Unschuldigen, in diesem Falle zum größten Teil wirklich friedfertige Massen, die jetzt man auf die Sicherheitspol zei, bis die Sicherheitspolizei gezwungen ist, von der Waffe Gebrauch zu machen. Man rechnete darauf, daß die Welle eindringen würde ins Parlament. Und ich sage Ihnen,
meine Damen und Herren, es hat an Sekunden gehangen. Sehr
richtig! rechts) Wäre am Portal N nicht in diesem Augenblick scharf geschossen worden, dann hätte sich eine Minute später eine Masse unaufhaltsam hinein ergossen (Abg. Adolf Hoffmann: Das glauben Sie ja selbst nicht! — Gegenruf: Vielleicht wären sie freiwillig wieder zurückgegangen? Heiterkeit) mit der Absicht, das Parlament zu vergewaltigen. Es wäre nicht gelungen; es lagen noch über 200 Mann Sicherheilspolizei im Hause. Es wäre aber zu einer
grauenhaften Schlacht auf den Korridoren und Treppen gekommen, viel schlimmer und mit viel entfetzlicheren Folgen als das, was fich dann draußen auf der Straße abgespielt hat. — So war der Plan,
so war der Ausgang. Die 42 blutenden Todesopfer haben das kiefste Mitleid der Regierung. Ihr Blut schreit zum Himmel, aber nicht gegen uns, sondern gegen die, die es dahin gebracht haben. Sehr richtig! — Abg. Adolf Hoffmann: Das wird die Geschichte kehrenh