1920 / 148 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Jul 1920 18:00:01 GMT) scan diff

2. sämtliche Waren der Reichsgetreidestelle, 3. Kartoffeln und Waren der Trockenkartoffel-Verwertungs— gesellschaft,

4. Waren der Reichszuckerausgleichsstelle, mit Ausnahme von Zuckerwaren (Süßigkeiten) ;

5. Waren der Reiche st lle für Gemüse und Obst, mit Ausnahme von getrockneten Südfrüchten und Gewürzen,

6. Kaffee,

7. Futtermittel,

8. Wein,

9. Käse und Frischmilch.

IH. Wgren neuer Zuständigkeit.

1. Papier und Papierwaren (auch bedrucktes Papier und Litho— graphien),

2. Eisen und Stahl sowie Eisen⸗ und Stahlerzeugnisse,

3. Maschinen aller Art im weitesten Sinne (Lokomotiven, Haar— schneidemaschinen),

4. Gegenstände der elektrotechnischen Industrie (z. B. Trocken— elemente, isolierte Drähte),

5. Kohlen,

6. Textilwaren,

7. Waren der Mineralölversorgungsgesellschaft, außer Benzin und Petroleum (also z. B. Kerzen, Vaselin, Paraffin, Erdwachs, seste flüssige Fettsäuren),

3. Leder und Lederwaren aller Art, außer Schuhwerk,

J. keramische Gegenstände (Kunstporzellan, Urnen, Vasen aus Ton und ähnlichen Stoffen, jedoch nicht aus Glas).

Ungarn. Der Reichsverweser hat das Entlassungsgesuch der Regierung angenommen und das Ministerium mit der vorläufigen Weiterführung der Geschäfte betraut.

Großbritannien und Irland.

Bei der vorgestrigen Eröffnung des in London gegrün— deten Instituts für internationale Angelegenheiten sagte Lord Grey, die englische Regierung müsse der Welt deutlich zu erkennen geben, daß sie in Friedenszeiten keine Ge— heimverträge mehr haben wolle.

Ich selbst“, bemerkte Grey, „habe mich an der Abfassung einiger Geheimperträge beteiligt, aber das war in Kriegszeiten, und ich möchte dorschlagen, daß es Regel für die auswärtige Politik werde, in Friedenszeiten keine Geheimperträge mehr zu schließen. r den Frieden der Welt in Zukunft aufrecht erhalten wollen, müssen wir nicht nur national, sondern auch international denken. Eine der greßen Lehren des Krieges ist, daß nationales Denken ohne inter— nationale Rücksichten zu einer Katastrophe führt.“

Balfour bezeugte seine warme Zustimmung zu den Ausführungen Greys, und Clynes betonte im Namen der Arbeiterpartei das zunehmende Interesse der Arbeiterschaft für die auswärtigen Angelegenheiten.

Im Unterhause erklärte vorgestern Bonar Law auf eine Anfrage, daß die den Griechen durch England ge— währte Unterstützung zu Lande und zu Wasser nur die Meer— engen und die Ausführung der Friedensbestimmungen sichere. Die nach Konstantinopel entsandten Truppenverstärkungen seien nur hierfür bestimmt.

Frankreich.

Die Kammer begann in der gestrigen Vormittagssitzung die Beratung über das Budget der befreiten Gebiete.

Laut Bericht des sozialistische Abgeordnete Uhry,

„Wolffschen Telegraphenbüros“ erklärte der

man habe gewünscht, daß die deutsche Regierung gefragt werde, was sie an Materialien und Menschen liefern könne, auf alle Fälle hätte sie sofort Arbeitskräfte beschaffen können. Der Abg. Israel rief dazwischen: Die sozialistischen Abgeordneten haben gegen die Verwendung der deutschen

Arbeitskräfte protestiert. Uhry erwiderte: Nur gegen die Ver— wendung der Kriegsgefangenen. Hierauf erklärte Loucheur, die sozialistische Partei der ehemaligen Kammer habe die An—

werbung deutscher Arbeitskräfte nicht zulassen wollen. Er habe sich mit den Gewerkschaften in Verbindung gesetzt. Auch da habe er Proteste erhalten, namentlich von Seiten der Bauarbeiter. Außer— dem habe die Bevölkerung erklärt, daß sie jetzt, nach der Befreiung von den Deutschen, nicht wieder neue aufnehmen wolle, besonders wenn diese an allen Vorteilen der französischen Gewerkschaften teil⸗ nehmen wollten. Uhrry erwiderte, die französischen Arbeiter hätten, wenn es keine Arbeitslosen mehr gegeben hätte, mit ihren deutschen Kollegen zusammengeagrbeitet. (Lebhafter Protest,. Der Abg. Es— coffter erklärte, Uhry spräche nur in seinem eigenen Namen, und sagte, er stelle auf alle Fälle fest, daß Frankreich von Deutschland weder Geld noch Menschen noch Materialien erhalten habe.

Nach einer Bemerkung der „Agence Havas“ über die Nachricht der „Frankfurter Zeitung“, daß noch deutsche Kriegsgefangene in Frankreich zurückgehalten würden, beträgt deren Zahl noch 350. Sie befinden sich beinahe alle

im Lager Avignon und würden größtenteils zu land⸗ und forst⸗

wirtschaftlichen Arbeiten verwendet. Deutsche Delegierte sollten in nächster Zeit das Lager Avignon besuchen und dem Prä⸗ sidenten der Republik Begnadigungsgesuche unterbreiten, so daß eine große Anzahl der Gefangenen freigelassen werden könne.

Wie der „Eclair“ mitteilt, werden 48 französische Regimenter aufgelöst, darunter 23 Regimenter schwarzer Kolonialtruppen.

Der Nationalrat der sozialistischen Partei hat vor— —ᷣᷣ seinen beiden Vertretern Cachin und Frossard, die sich in Moskau aufhalten, auf ihr telegraphisches Verlangen die Berechtigung erteilt, dem Kongreß der dritten Inter— nationale in Moskau konsultativ beizuwohnen.

Belgien.

Vorgestern abend haben in Spaa noch Besprechungen mit Lloyd George, Millerand, Sforza und Delacroix stattgefunden, wobei letzterer dem „Algemeen Handelsblad“ zufolge mitteilte, Belgien werde die 8 Prozent, die ihm auf der Brüsseler Konferenz als Anteil an der deutschen Ent—

Wenn wir

sames Pfand bilden sollen, in das sich alle Alliierten im Verhältnis zu ihren Ansprüchen zu teilen haben. Ohne Bezug darauf zu nehmen, daß der Italien zugesprochene Anteil

an der deutschen Entschädigung 10 Prozent betragen soll, stellt

die italienische Note als Vorbedingung für die Zustimmung

Italiens den Grundsatz auf, daß sein Anteil nicht weniger als

vier Milliarden betragen soll. Außerdem soll Italien ein Vor—

zugsrecht bei jeder Verteilung der von Oesterreich und Bulgarien geforderten Summen haben und besonders eine Erhöhung seines Anteils an der österreichischen Tonnage.

Der deutsche Reichswehrminister Dr. Geßler und der

General von Seeckt sind gestern nachmittag in Spaa einge—

troffen und begaben sich sofort zur Besprechung in die Villa

des Reichskanzlers.

Die zweite Sitzung der Konferenz in Spaa, an welcher auf deutscher Seite der Reichskanzler Fehrenbach, Minister des Aeußern D

der Dr. Simons, der Reichswehrminister Dr. Geßler und der General von Seeckt teilnahmen, wurde kurz nach 5 Uhr durch den Ministerpräsidenten Delacroix mit der Frage eröffnet, welches Mitglied der deutschen Dele— gation den Auftrag habe, die Noten der Entente in der Frage der Entwaffnung zu beantworten. Der Reichs⸗ kanzler entgegnete, daß der Reichswehrminister Dr. Geß dazu bereit sei.

Laut Bericht des, Wolffschen Telegraphenbüros“ ging Dr. Geßler sofort in längeren Ausführungen auf die ganze Ent waffnungs⸗ frage ein und schilderte den gegenwärtigen Zustand. Statt der 100 000 Mann sei unser Heer noch 200 000 Mann stark, das Material sei ziemlich vollständig abgegeben, wenn auch über einzelne Punkte der Abgabe noch Differenzen mit den militärischen Ueberwachungskom—

missionen der Entente beständen. Die 200 0090 Mann seien für die deutsche Regierung eine unumgängliche Notwendigkeit. Sie

stellten das Minimum dessen dar, was wir angesichts der politischen Unruhen, die immer wieder zum Ausbruch kämen, brauchten. Die wirtschaftliche Depression, das Heer der Arbeitslosen, das zunähme und durch neue Entlassungen weiter vergrößert werden würde, die Kriegsbeschädigten, die Flüchtlinge aus den abgetretenen und besetzten Gebieten, die Schwierigkeiten, die wir mit der Eintreibung der neuen Steuern hätten alles das mache eine starke Macht in der Hand der Regierung notwendig. Auch sei die Regierung durch das Schicksal der zwanzigtausend Offiziere, die von der Entlassung betroffen seien und deren Lage und Absichten niemand kenne, in starker Sorge. Unter den obwaltenden Umständen halte er die deutsche Regierung für außerstande, die Wehrmacht weiter zurückzuschrauben. Der Premierminister Lloy? George ergriff darauf das Wort und zählle die Punkte auf, in denen die Alliierten Deutschland Nicht— erfüllung des Friedensvertrages in militärischen Dingen zum Vor— wurf machen, insbesondere, daß die Reichsiwehr statt einhundert— tausend Mann zweihunderttausend Köpfe umfasse und daß Deutsch⸗ land statt der ihm zugestandenen zweitausend Maschinengewehre fünfzigtausend habe, statt der ihm zugestandenen 280 Geschütze zwölftausend. An Gewehren seien zwar 1,5 Millionen abgeliefert und die Hälfte davon bereits zerstört. Es unterliege jedoch keinem Zweifel, daß noch außerordentlich große Bestände in den Händen der deutschen Bevölkerung seien. Was gedenke die deutsche Regierung zu tun und was habe sie bereits getan, um diese Gewehre den Alliierten auszuliefern? Der Besitz dieser Gewehre sei ein politisches Gefahrenmoment von außerordentlicher Schwere. Ihm gegenüber sei es verhältnismäßig gleichgültig, ob die Heeresstärke Deutschlands einhunderttausend, zweihunderttausend oder dreihundert— tausend Mann betrage. Deutschland sei dauernd eine schwere Gefahr für seine Nachbarn. Diese Gefahr wollten die Alliierten nicht mehr länger laufen, und auch für die deutsche Regierung sei dieser Zustand höchst bedenklich. Was gedenke die deutsche Regierung dagegen zu tun? Es fehle ihr entweder am guten Willen oder an Macht. Die Alliierten erwarteten von der deutschen Regierung bis morgen vor— mittag, bestimmte Pläne, wie sich die Auslieferung dieser Waffen

schädigung zugesagt wurden, als angemessen ansehen, wenn Belgien bei der Bezahlung von Deutschland ein Vorrecht erhalte, und wenn der Goldfrank, mit der Goldmark gleich— gestellt werde. Wie das genannte Blatt hinzufügt, widersetzte sich Lloyd George mit großem Nachdruck den beiden belgischen Forderungen, worauf die Besprechung unvermittelt abgebrochen wurde.

Die Finanzsachverständigen der Konferenz prüften die italienische Notze, in der der Standpunkt der Italiener in der Frage der Verteilung der Wiedergutmachung aus— einandergesetzt wird. Das lange Schriftstück nimmt die in Brüssel und Boulogne von Bertolinl gemachten Dar— legungen wieder auf, wonach die von den verschiedenen feindlichen Mächten verlangten Teilsummen ein

und die Herabsetzung des Heeres auf einhunderttausend Mann ge— stalten solle. Der Reichkanzler Fehrenbach betonte darauf in sehr ausführlichen und lebhaften Darlegungen die Schwierigkeiten der Aufstellung eines sicheren Planes. Wenn die Alliierten uns Vertrauen schenken und uns die Machtmittel belassen wollten, dann würden wir die Auslieferung der Waffen und die Herab— setzung des Heeres leichter bewerkstelligen können. Er mache auch darauf aufmerksam, daß die Wiedergutmachungsforderungen der Alliierten von dem Bestehen einer genügend großen Wehrmacht in Deutschland abhängig seien. In scharfer Weise erwiderte darauf Lloyd George, daß die Allüierten klare Daten und Ziffern wollten. Die Konferenz von Spaag, die er eingeleitet habe, da er es für zweckmäßig halte, sich geschäftlich zu unterhalten, statt sich Noten zu schicken, hätte sonst keinen Zweck nehr. Der Minister Dr. Sim ons erwiderte, daß wir nach Lage der Dinge nicht hätten annehmen können, daß die militärischen Fragen an erster Stelle in Spaa besprochen werden würden. Es sei zweifelhaft, ob wir bis morgen vormittag wirklich in der Lage sein würden, bestimmte Pläne vorzulegen. Lloyd George erwiderte, man werde uns genügend Zeit lassen.

Der Ministerpräsident Delacroir setzte darauf die nächste Sitzung auf Mittwochnachmittag an.

In der am 4. Juli in Brüssel abgehaltenen Sitzung des Büros des internationalen Gewerkschaftsbundes wurde der Bericht des Sekretärs des Bundes über die in Wien wegen Beilegung des Boykotts gegen Ungarn ge— führten Besprechungen gutgeheißen. Es wurde beschlossen, den Boykott unabgeschwächt fortzusetzen und wegen seiner Ver— schärfung mit den in Frage kommenden Organisationen in Verbindung zu treten.

Polen. -.

Die Bolschewisten haben nach einer Meldung der „Frankfurter Zeitung“ die erwartete Offensive an der Nord— front nördlich der Bahn Molodetschno—Polozk begonnen. Fünf Divisionen, Tanks und Panzerzüge wurden gegen den Durchgang zwischen den Seen südlich von Schadow und nördlich der Bahn angesetzt. Der Durchbruch des ersten Vorstoßes wurde verhindert.

Der polnische Generalstabsbericht besagt:

Zwischen der Düna und der Beresina und längs der Beresina bis zur Stadt Beresina sehr heftiges Artilleriefeuer. Nördlich vom Prypet nahm der Russe eine passive Haltung ein, nachdem er durch polnische Gegenangriffe in der Gegend von Mezyrz schwere Verluste erlitten hatte. Im südlichen Polesien wurde durch einen erfolgreichen Gegenangriff von Freiwilligenabteilungen eine große Anzahl Ge— fangene gemacht. Oestlich der Stadt Olewsk haben ukrainische Ab— teilungen einen erfolgreichen Ausfall gegen die Bolschewiki unter— nommen. Bei Ubore⸗Horyn in Wolhynien herrscht Ruhe.

Tschecho⸗ Slowakei. Die Internationale Kom mission in Teschen gibt

bekannt, daß sie vom 8. Juli ab in jene Gemeinden, die bisher noch keine Stimmliste abgeliefert haben, fliegende Kommissionen entsenden wird. quartierung dieser Kommissionen und der sie begleitenden 40 Entente⸗ soldaten entstehen, habe die betreffende Gemeinde zu ersetzen. Jeder Bürgermeister und jedes Mitglied des Gemeindeausschusses, welche die Internationale Kommission zur Anwendung dieser

Die Ausgaben, die durch Verpflegung und Ein—

Geßler

programmatischen Erklärung des Ministerpräsidenten,

verhindert, wird ipso facto der Teilnahme an der Abstimmung verlustig und außerdem noch mit einer Geldstrafe belegt. Dieser Erlaß der Internationalen Kommission wird im „Dzienik Ciesz“ mit folgendem Kommentar begleitet: „Die Verordnung der Internationalen Kommission bedeutet die Erklärung des Krieges an das polnische Volk im Teschener Lande“.

Dänemark.

Da die im Reichstag im vorigen Monat angenommenen Verfassungsänderungen infolge der Wiedervereinigung mit Schleswig erst Endgültigkeit erlangen, nachdem sie von einem neuen Reichstag angenommen worden sind, haben gestern die Wahlen zum Folkething stattgefunden. Das neue Folkething wird sich laut Meldung des „Wolffschen Telegraphenbüros“ wie folgt zusammensetzen: Erwerbspartei 4, Konservative 26, Radikale 16, Sozialdemokraten 42, Linke 51; im ganzen 139. Die Konservativen verloren 2, die Radikalen 1 gewann 3 Sitze. Die Regierungsparteien, die sich aus der Linken und den Konservativen zusammensetzen, haben demnach einen Sitz gewonnen.

Türkei.

Nach einer Meldung der „Daily Mail“ vom 5. Juli haben türkische revolutio näre Truppen die am asiatischen Ufer des Bosporus gegenüber dem alliierten Hauptquartier liegende Ortschaft Beicos besetzt. Bei den anschließenden Kämpfen mit englischen und griechischen Truppen griff die englische Flotte ein und beschoß die türkischen Stellungen die ganze Nacht hindurch. Beicos befindet sich noch in den Händen der Aufständischen. Die Alliierten haben sich zurück— gezogen.

Amerika.

1

Einer Meldung des „Wolffschen Telegraphenbüros“ zufolge hat der demokratische Konvent in San Franzisko den Gouverneur Cor zum Kandidaten für die Präsidentschaft gewählt.

Asien. Nach einer Havasmeldung aus Teheran heißt es in der daß er die Macht infolge der ernsten Lage und auf den Wunsch

des Schahs übernommen habe. Er wolle den Zusammentritt des Parlaments beschleunigen, um ihm das englisch⸗persische

Abkommen zu unterbreiten, dessen Inkrafttreten bis auf weiteres verschoben wurde. Die Politik der Freundschaft

und Aufrichtigkeit gegenüber der englischen Regiexung werde er sortsetzen, andererseits sei er gewillt, die Ordnung im Lande zu sichern und eine Finanzreform einzubringen. Ein Reskript widerruft die Verbannung verschiedener Persönlich— keiten.

Wohlfahrtspflege.

Das „Kaisexin. Auguste, Victoria⸗Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit in Deutschen Reiche“ hat auf Grund neuer, von der Regierung genehmigter Satzungen nunmehr die Bekämpfung der Kleinkindersterblichkeit auch offiziell in seinen Arbeitsplan aufgenommen. Die Anstalt führt jetzt die Bezeichnung: Kaiserin Auguste Vietoriga-Haus, Reichsanftakt zur Bekämpfung der sterb lichkeit; sie untersteht der unmittelbaren Aufsicht des! preußischen Wohlfahrtsministeriums. Trotz der Not der letzten sechs Jahre konnte sie mit Hilfe des Reichs, der Länder und privater Spenden ihren Betrieb uneingeschränkt aufrechterhalten und zum Teil sogar noch ausdehnen. Sie hat in allen Teilen des Reichs mit ihrem Rat helfend eingreifen können und warme Anerkennung ge— funden.

Der Gesamtverband der Krankenkassen Deutsch⸗ lands (e. V.) mit dem Sitz in Essen hielt am 4 und 5. Juli in Apolda seinen diesjährigen Verbandstag ab. Der Verband.

und die Linke

Säuglings⸗ und .

der über ganz Deutschland verbreitet ist, umfaßt 650 Kassen, Es sind ihm angeschlossen die Landesverbände Baden, Bayern, Rheinprovinz, Westfalen, Lippe, Ostpreußen, Schlesien und Provinz Sachsen. Die Verhandlungen des Verbandstages wurden von dem Versitzenden, Reichstagsabgeordneten Behrens, geleitet. Der gedruckt vorliegende Geschäftsbericht zeigt die umfangreiche Tätigkeit des Verbandes zugunsten der kleinen

Kassen und der Versicherten. Ueber die Reform der Reichsversiche— rungsordnung referierte Abg. Becker-Arnsberg, Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium. Sie bedürfe noch längerer Vor— beratungen,. Ueber die Reich zversicherungsordnung fprach Gewerkschafts— sekretär Czieslikt⸗Berlin. Direktor Meyer⸗Essen behandelte das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Aerzten. In der regen Aus— sprache über dieses Thema wurde eine gesetzliche Regelung der An— gelegenheit dringend verlangt. Zum Vorsttzenden des Verbands wurde Abg. Behrens wiedergewählt. Der nächste Verbandstag soll in Frei⸗ burg. Breisgau) stattfinden. Der Bericht über den Verbandstag soll in einem besonderen Druckstück der Oeffentlichkeit übergeben werden. Mit einem Ausblick in die Zukunft schloß Abg. Behrens nach zwei— tägige: Verhandlung den Verbandstag.

Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)

Samiliennachrichten.

Verlobt: Frl. Margarete von Bassewitz mit Hru. Major Friedrich von Cochenhausen (Schwerin . M.). Frl. Gisela von Oertzen mit Hrn. Oberleutnant Otto von der Linde (Dorow zurzeit Blankenhagen, Kr. Regenwalde, Pommern).

Gestorben: Hr. Major a. D. Theodor Frhr. von Rotberg (Torgau).

Verantwortlicher Schriftleiter: J. V.: Weber in Berlin. Verantwortlich für den Anzeigenteil; Der Vorsteher der Geschäftsstelle J. V.: Rechnungsrat Meyer in Berlin.

Verlag der Geschäftsstelle (J. V. Meyemn) in Berlin. Druck der Noxddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt

Berlin, Wilhelmstraße 32.

Sechs Beilagen leinschließlich Börsenbeilage)

gemein ⸗· Maßnahmen zwingen, sowie jeder, der ihre Durchführung

und Erste und Zweite Zentral-Handelsregister⸗Beilage⸗

Nr. 148.

5am zeiger und

Grfte Beilage

Berlin, Mittwoch, ben 7. Juli

Bren ßzischen Staatsanzeiger

1229

Nichtamtliches.

(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.) Deutscher Reichstag. 7. Sitzung vom 6. Juli, Nachmittags 2 Uhr.

Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.) Die Eröffnung der Sitzung verzögert sich bis nach 234 Uhr.

Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfra gen. Abg. Hoch (-Sez) fragt, wie weit die nach der Revolutzon ein- geleitei; Unter seu ch ng gediehen (ei hinsichtlich der Angelegenhest einer Veröffentlichung des „Vorwärks., derzufolge ein Zenkrums— abgeordneter im Unterausschuß für Handel und Hemer be im Jahre 1917 berichtet haben soll, daß das Resch durch die ren Eisen⸗ und Sta h lin du st riellen um underte von Millionen ge— chäßigt worden sei. Die Kriegsrohstoffgesellschaft habe diefen, obwohl sie 6. geweigert hätten, die verlangen Selbstkostenausweise vorzulegen, stels höhere Preise bewilligt. Der Abg. Helfferich werde als Mitwisser genannt, desgleichen Abg. Dr. Vögler, der als Ber— trauensmann der Deutsch⸗Lupemburgischen Attiengesellschaft der Kriegs⸗

rohstoffgesellschaft für Preisfragen zur Verfügung gestanden habe.

Staatssekretä Mgaeder; Der Reglerung' find diese Vor— gänge. bekannt. Die Kriegsrohstoffabteilung des Kriegs- ministeriums hat dem Parlament eine benf ffhrif mit enauer Darstellung der Tatsachen zugehen lassen. Der Ausschuß ür Handel und Gewerbe hat davon Kenntnis genommen,

der damalige Reichstag hat aber nicht mehr Stellung dazu genommen. Der Leiter der Kriegs tohstoffabteilung, Dr. Koeth, hat dem damaligen Vorsitzenden der sonialdemokratischen. Fraktion Ebert anheimgestellt, Ginsicht in die Aklen des Kriegsministeriums zu nehmen, er hät ihm auch einen Beamten zu jeder Auskunft zur Verfügung gestellt. Nach— dem erneut durch einen ausgeschiedenen Beamten Angriffe gegen die Triegsrohstoffabteilung erhoben worden sind, ist auf Veranlaffung des Kriegsministeriums im Sktober vorigen Jahres eine Kommission ebildet worden, deren Ergebnisse ntersuchungsausschuß Stadium sich die Tätigkeit dieses welche Resultate dort bekannt. ( Heiterkeit.) Abg. Deglerk (D. Nat) fragt, weshalb die Mineralöl“ versorgungsgesellschaft immer noch übermäßig hohe Juni hätten diese 36

vorgelegt worden sind. In welchem . Untersuchungsausschusses befindet und gezeitigt worden sind, ist dem Ministerium nicht

Preile für Benzin fordere, bis zum 13. für 100 Kilogramm Benzin auf Freigabeschein 1052,50 S gekostet, welcher Preis seit 15. Juni auf 96, 30 4 herabgesetzt sei. Ameri⸗ ö Benzin sei zum Preise von 2,75 pro Kilo cif. Hamburg zu aufen.

Ministeriglrat Dr. Folz erklärt, der Preis entspreche teilweise dem Weltmarktpreise, zum Teil liege er sogar unter ihm. Der Reichs— wirtschaftsrat, werde sich mit der Frage der Zwangswirtschaft auch hinsichtlich dieses Produktes zu befassen haben. Die Mineralöl— , n n, erziele durch den Verkauf von Benzin keinen Bewinn.

Abg. Dr. Mum m (D. Nat) ,, der Rückbeförderung der noch in Sibirisen und in kittelasien zurückgehal⸗ tenen deutschen Kriegs und Zivilgefangenen.

Reichskommissar Stück hen gibt Auskunft über die inzwischen in Deutschland eingetroffenen, bzw. in den nächsten Tagen zu erwartenden Trangorte. Ostasien ist Lon deutschen Kriegsgefangenen geräumt. Mit der Sowjetregierung bestehen eingehende Verhandlungen über die baldige Rückkehr der deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen aus Mittelasien. Infolge Vermittlung des internationalen Roten Kreuzes werden demnächst drei größere Transporte von dort abgehen. Den deutschen Kriegsgefangenen gebührt gegenüber allen anderen Zurück— lehrenden der Vorzug. Die Regierung tut, alles, was nur in ihren Kräften möglich ist, um den schleunigsten Rücktransport zu sichern und . Kriegsgefangenen dem deutschen Volksleben wieder ein- zugliedern.

= Präsident Löbe: De Reichskanzler hat in einem Telegramm wissen lassen, daß die bisherigen Unterhandlungen es emwünscht erscheinen lassen, daß auch der Reichsju stizminist er und Vizekanzler an den weiteren Besprechungen in Span teilnehmen, und bei der Erweiterung der Verhandlungen kann das guch für andere Minister noch eintreten. Damit, sind von unseren Ministern sieben im Auslande, und der Reichskanzler stellt anheim, ob nicht unter diesen Umständen die Be Eatungen des Reichstages unterbrochen und erst nach der Tagung in Spang wieder cufgenommen werden sollen. Der Aeltesten⸗ Ausschuß hat sich heute mit dieser Situation beschäftigt und schlägt Ihnen vor, diese Unterbrechung vorzunehmen.

Das Haus ist damit einverstanden, setzt die auf der Tages⸗ ordnung stehenden Interpellation en, wegen der Lebensmittelteuerung und der Arbeitslosig⸗ keit von der Tagezordnung ab, beschließt jedoch auf Vorschlag des Präsidenten, noch einige andere eilige Sachen zu erledigen.

Sämtliche Parteien mit Ausnahme der U. Soz. haben nach den Beratungen im Haushaltsausschuß einen Gefetz⸗ entwurf eingebracht zur grgänzendenRegelungdes Steuerabzugs vom Arbeitslohn. Danach sollen in das Einkommenssteuergesetz die 85 45 a bis eingefügt werden:

Nach 8 45a sollen beim Steuerabzug vom Tagelohn 5 Mark täglich vom Wochenlohn 30 Mark wöchentlich, vom Monatslohn 135 Mark monatlich unberechnet Hleiben und außerdem für jede weitere Person im Haushalt 150 Mark täglich, 160 Mank wöchent⸗ lich und 0 Mark monatlich vom Einkommen abgerechnet werden.

Für solche Arbeitnehmer die bei mehreren Arbeitgebern be—⸗ schäftöigt sind. kann nach 5 45h das Finanzamt den Abzugsbetrag festsetzen. Wird dies nicht beantragt, so kommen 10 93, des Arbeits lohnes zum Abzug. .

Nach 8. 45 gilt, für den Abzug bei Einkommen über 15 900

Mark jährlich folßender Tarif: Bei Finkommen von 195 900 bis 30 000 Mark werden 13 . abgezogen, von 30 O0 bis 59 000 Mark 20 35, von M oo0 bis 100 00090 Mark 25 R, bis 160 000 Mark 30 . bis 260 O60 Mark 35 A., bis 305 Oh) Mark 19 3, bis Sbo bb Mark 45 235, bis 1 Million Mark 50 . und darüber 55 *.

Diese Bestimmungen sollen am 1. Au gu st 1920 in Kraft treten; die bisherigen Abzugsbeträge sollen angerechnet werden.

Abg. Eichhorn (U. Soz ):, Namens meiner Fraktion lege

ich Protest gegen die Art ein wie diese Frage erledigt werden soll. Die Regierung ist für die. Bewegung gegen den Steuerabzug verantwortlich. Dieser Gesetzen wurf bedeutet

nichts anderes als den Versuch einer Verschleierung der Härten diefer Steuervorschrift. Wr können uns an diesem Verschleierungserperi⸗ ment nicht, mitschuldig machen. Grundsätzlich Schlechtes kann nicht durch Scheinkonzessionen gebessert werden. Sehr wahr! bei den Unabh. Soz.) Hier hilft nur die völlige Aufhebung des Steuerabzugs.

) Mit Ausnahme der Reden der Herren Minifter, die im

dem parlamentarischen

Unruhe. Wir werden unsern Antrag auf Aufhebung des Steuerabzugs wieder einbringen.

Abg. Dr. Braun (Soz ): Bei den Unabhängigen gibt es zwei Richtungen, die eine verwirft den teuer⸗ abzug ganz, die anderen Vertreter waren im Ausschuß einstimmig für dieses Gesetz. (Unruhe bei den Unabh. Soz)

Dieses Gesetz ist ein bedeutsamer Fortschritt gegenüber dem bestehenden Gesetz. Wenn der Steuerexekutor früher beim Ärbeiter nichts ge⸗ funden hat, so wurde auch die Steuer beim Unternehmer durch Be— schlagnahme erhoben. er Steuerabzug ist also gar nichts Neues. Die Arbeiter haben sich jedoch mit Recht über den gleichmäß gen Abzug. beschwert. Darum enthält der 5 450 eine gerechtfertigte Progrefsion

des Abzugs. Abg. Leopold (D. Nat):

unabhängigen Redners bin ich erstaunt. Im Ausschuß waren die Herren rückhastloz für diesen Gesetzentwurf. (Hört, hört) Wir haben seinerzeit die Bestimmung über den Lohnabzug abgelehnt, weil wir diese Schwierigkeiten voraussahen; wir waren uns klar, daß durch dieses Gesetz das Verhältnis zwischen Arbeit- gehern und Arkeitnehmern, das im Interesse des Wiederaufbaus Unsergr Wirtschaft besonders gepflegt werden sollte, erschüttert wird. In Konsequenz dieses Standpunktes hatten wir die Aussetzung des Steuerabzugsverfahrens beantragt. Wir bedauern, daß diesem An— trage nicht stattgegeben ist. Nachdem er einmal Gesetzeskraft erlangt hatte, haben wir an den weiteren Beratungen tatkräftig teilgenommen, ohne unseren grundsätzlichen Standpunkt aufzugeben. Wir haben es getan, um so schnell wie möglich die unsozialen Härten des bisherigen Verfahrens zu beseitigen. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, er—

Ueber die Ausführungen des

Wortlaute wiedergegeben werden.

warten jedoch, daß das Finanzministerium in den Ausführungsbestim⸗ mungen bezüglich der Heimarbeiter, der Hausangestellten und der Jand— arbeiter hei der Berechnung der Naturalbezüge auf diese Gesichts= punkte, die im Ausschuß vorgebracht sind, Rüchsicht nimmt, die die volle Beseitigung des Steuerabzugs betreffen. Wir erwarten ferner, daß bei Verstößen gegen diese Bestimmung auf diese Schwierigkeiten Rücksicht genommen und die Absict einer strafbaren Handlung nicht unterstellt wird. (Beifall rechts.)

Abg, Düwell . Soz.): Wir haben nicht im Ausschuß

rückhaltslos zugestimmt, sondern nur erklärt, daß wir unserer Fraktion empfehlen werden, gegen diesen Gesetzentwurf keinen Einspruch zu erheben, wir aber unsern Antrag auf Be⸗

seitigung des Steuerabzugs wieder einbringen werden; weil das nach der Geschäftsordnung nicht sofort möglich war, haben wir uns auf diese Erklärung beschränkt. Bei den Unabhängigen bestehen also nicht zwei Steuerrichtungen, sondern nur eine Meinung.

Ahg. Frau Ziegler (U. Soz.): Ich habe im Ausschuß den Herren gleich Wort vorgehalten: Im Auslegen seid recht munter, legt Ihr nicht aus, so legt Ihr unkfer.

Wir haben im Ausschuß zum Ausdruck gebracht, daß wir unter keinen Umständen diesem Entwurf zustimmen können. Der Steuerabzug ist nur ein Mißtrauensbotum ö Arbeiterschaft, und der Staats- sekretär Moesle hat ihn ausdrücklich damit begründet, daß die Arbeiter sonst die Steuer nicht abtragen könnten. Das ist ein Angriff auf die Ehre der Arbeiter. (ELebhafter Widerspruch bei allen übrigen Parteien.)

Abg. Riedmiller (Soz.): Die Unabhängigen, haben er'lärt, sie wären nicht gegen diesen Geseßentwurf, aber sie wollten ihren. Antrag einbringen und setzt für den

Entwurf der Kommission stimmen. (Abg. Ledebour widerspricht

heftig.

fin Dr., Rießer (D. Vp): Nach meiner Erinnerung hat Herr Düwell im Ausschuß gesagt, daß für den Fall, daß sein Antrag auf Freilassung des Existenzminimums nicht angenommen würde, er sich auf den Boden dieses Gesetz⸗ entwurfs stelle. Das hat niemand anders verstehen können. Es war nur zweifelhaft, ob die Unabhängigen den Ausschußantrag mit unter— schreiben sollten, und sie haben davon nur abgesehen, weil erst ihre Fraktion befragt werden sollte.

Abg. Alle kotte Gentr.) bemerkt als Berichterstatter, daß Frau Ziegler heute im Unterausschuß nicht dagewesen sei. (Heiterkeit. Ruf bei den U. Soz.: Wie oft haben Sie denn im Ausschuß ge⸗ fehlt?) Noch nie; daran können Sie sich ein Beispiel nehmen. (Heiter— keit. Alle Fraktionen hätten unbeschadet ihres grundsätzlichen Stand⸗ punktes beschlossen, von weiteren Erörterungen im Plenum abzusehen.

Der Gesetzent wurf wird darauf in allen drei Lesungen unverändert angenommen. Für die 88 45a und 45b stimmen auch die Unabhängigen, dagegen stimmen sie gegen die Erhöhung des Steuerabzugs im 8 450c.

Es folgt die erste Beratung des Dlätengesetzes für Reichstags abgeordnete.

Der Ausschuß empfiehlt Annahme des Gesetzes, den Ent— wurf jedoch in 3 3 dahin abzuändern, daß beim Fehlen eines Abgeordneten nicht hundert, sondern nur fünfzig Mark abgezogen werden sollen.

Zu diesem 8 3 erklärt

Abg. Ledebour (U.. Soz.): Wir sind mit dieser Fassung nicht einverstanden, da wir Prinzipiell dagegen sind, daß die Abgeordneten mit Strafabzůgen bedacht werden aus irgendwelchen Motiven. Wir hätten eine andere, der Stellung des Parlaments würdigere Erledigung der Angelegenheit gewünscht, deshalb stimmen wir gegen diesen Paragraphen und gegen das ganze Gesetz.

s 3 wird angenommen, ebenso das ganze Gesetz gegen die Stimmen der Unabhängigen.

Mit demselben Abstimmungsergebnis wird das Gesetz in allen drei Lesungenerledigt. Guruf von den U. Soz. Für die Arbeitslosen ist weder Zelt noch Geld dah

Es folgt die ,, eines Gesetzent wurfs über die Anwendung der eistbegünstigung für nicht meistbegünstigte Länder. Die Regierung wird durch dieses Gesetz ermächtigt, bis auf weiteres für Waren jeder Herkunft die vertragsmäßige n ,, . zuzulassen.

Das Gesetz wird in allen drei Lesungen angenommen, ebenfalls gegen die Stimmen der Unabhängigen.

Es folgt die erste Lesung eines Gesetzentwurfs

über die vereinfachte Form der Gesetz⸗— gebung für die Zwecke der Uebergangs—

wirtschaft. Die Reichsregierung kann daher mit Zu⸗ simmung des Reichsrats und eines vom Reichstag gewährten Ausschusses von 238 Mitgliedern die gesetzlichen Maßnahmen anordnen, die ausschließlich die Regelung des Uebergangs von der Kriegswirtschaft in die Friedenswirtschaft betreffen und sich hierfür als notwendig und dringend erweisen. Das Gesetz * am 31. März 1921 außer Kraft treten.

Abg. Frau Zietz (U. Sez): Wir sind gegen die Vorlage. Wir können dem Gedanken nicht zustimmen, abermals einem Ausschuß Ane derartig weitgehende, Machtbefugnis einzuräumen. Solche schwer— wiegenden Dinge müssen jetzt nach dem Kriege im Plenum erörtert werden.

Abg. Dr. Ka hl! (D. Vp.) empfiehlt einen Antrag, im 5 1 zu

für als notwendig und dringend Lrachtet werden!. Es handelt sich darum, die Zuständigkeit über die Wichtigkeit der Frage klarzulegen.

Abg. Ledeb our (U. Soz.): Wenn hier derartige Abänderungs⸗ anträge eingebracht werden, können wir uns nicht auf schnelle Er⸗ ö . einlassen, wir werden Widerspruch gegen die dritte Lesung erheben.

Abg. Dr. Kahl (D. Vp): Unter diesen Umständen ziehe ich meinen Antrag zurück. Der Einspruch war überflüssig, es handelt sich lediglich um eine Schikane.

Gegen einen weiteren Antrag, die Außerkrafttretung be⸗ reits für den 1. November 1920 eintreten zu lassen., wird kein Einspruch erhoben. .

Das Gesetz wird in erster und zweiter Lesung erledigt.

Gegen die sofortige dritte Lesung erhebt Abg. Dr. Rosen⸗ feld (U. Soz) Einspruch. (Große Unruhe.)

Damit ist die Tagesordnung erledigt.

Präsident Löbe: Während der kurzen Vertagung die vor uns steht, und zwar schon am nächsten Sonntag, wird für O st p rxeußen und einige Bezirke Westpreußens die Entscheidung fallen Über die weitere , zur deutschen Heimat. Mit den grün⸗ geschmückten Zügen und Schiffen eilen unsere heißen Grüße und Wünsche in das nur äußerlich abgetrennte Land. Cebhafter Beifall] Möge der kommende Sonntag eine gewaltige, übermächtige Kundgebung werden für das deulsche Vaterland (wiederholter leb— hafter Beifall), eine Kundgebung der Treue zur Heimat, zu dem Lande, das sie urbar gemacht und dem sie seine Kultur gegeben hat, eine Kund⸗= gebung zu den Stammesgenossen, die durch tausend Fäden mit uns verbunden sind, auch eine Kundgebung der Liebe zu der Mutter Erde und zu dem Mutterlande in tiefem Heimatsgeflhl. Wir haben in den letzten Monaten manches ergreifende Bekenntnis zur Heimat erlebt, zu der Heimat, die in tiefer Not nicht mit dem Füllhorn der Gaben diesem Lande entgegentritt, sondern mit ernstem, abgehärmtem Gesicht ihm nichts anderes enteegenstrecken kann als den sehnigen, arbeisz⸗ gewohnten Arm. Und trotz mancher Verlockung von anderer Seite, trotz mancher glänzenden, wenn auch nicht gesicherten Verheißung, haben wir doch tausendfach das Bekenntnis gehört: Dort ist unsere Heimat dort ist unser Vaterland, und wären es kahle und öde Felsen, und wohnten Armut und Elend hier, ich will das Land ewig lieb-, haben und festhalten in meinem Herzen! Aus diesem Bekenntnis heraus, hoffen wir, ist das Abstimmungsergebnis am kommenden Sonntag geboren, aus diesem Bekenntnis heraus ruft die deutfche Volksvertretung hinaus: Ostpreußen, We stprveußen, bleibt getreu! (Brausender Beifall und Händeklatschen im ganzen Hause mit Ausnahme bei den Unabh. Soz.)

Schluß nach 44 Uhr.

Preußische Landes versammlung. 148. Sitzung vom 6. Juli, Mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger)

Auf der Tagesordnung stehen zunächst kleine Anfragen. Abg. Dr. Ritter (D. Nat.) fragt nach der Richtigkeit ei nes Ge⸗ rüchtes über Schließung oder Verlegung der Un iversität Mar burg wegen der „reaftionären“ Haltung der Studentenschaft und eines Teils der Einwohnerschaft. Ein Vertreter der Regierung erklärt, daß diese Gerüchte jeder Begründung entbehren.

Auf eine Frage des Abg. Dr. Bronjsch (D. Nat) erklärt ein Regierungvertreter, daß die Errichtung einer welft⸗ lichen, religiznslosen Schule in Adlershof bei Berlin von der Unterrichtsverwaltung nicht genehmigt sei. Der Religionsunterricht fei an, den dortigen ulen weiter vorge—⸗ sehen, der Besuch indessen Schülern wöüe auch Lehrern freigeftellt. Da es sich ausschließlich um evangelische Kinder handle, sei ein Äusschuß don evangelischen Lehrern gebildet worden, um die Interessen dieses Unterrichts zu wahren.

Abg. Dr. Weyl (U. Soz) wünscht auch für die Wahlen zu den studentischen Ausschüssen das Verhältniswahlfystem.

Nach ber Erklärung eines Regierungsvertreters wird bereits nach diesem Wahlverfahren gewählt.

Abg. Klau ßner (J. Soz) verlangt die Aufhebung der Ge—⸗

züähren für Begren- 1nd Pistzsammelfchein e. Gin Regierungsvexrtxeter erklärt, daß für diefe Scheire eine Ge—

bühr von 10 Pfennig bis zu 5 Mark erhoben werde, je nachdem die Beeren von Selhstversorgern oder für den Handel gepflückt würden. Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Beeren und Pilze für bie Volks— ernährung sei eine weitere Ermäßigung der Gebühren um die Hälfte vorgesehen, eine vollständige Aufhebung der Gebühren sei nicht möglich. Eine Reihe von Rechnungsvorlagen wird nach den An— trägen des Rechnungsausschusses ohne Erörterung erledigt. Die Ergänzung zum Notetatgesetz spersönliche und säch— liche Ausgaben für das Fürsorgeamt für Beamte aus den Grenzgebieten) geht an den Haushaltsausschuß.

Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs betr.! die Feststellung des Staatshaushalts plans für das Rechnungsjahr 1920.

Zur Geschäftsordnung stellt

Abg. D. Rade (Dem) den Antrag, die Vorlage ohne Aussprache an den Hauptausschuß zu überweisen. Der Antrag fei unge⸗ wöhnlich, aber ungewöhnlich sei auch diese Situation. Die unwber— meiglich erfolgenden Autzeinandersetzungen unter den Partelsen müßten im Sin blick auf die Verhan dlungen in Spaa vermieden werden; insbesondere müsse alles vermieden werden, was irgendwie im gegen— wärtigen Augenblick Geschlossenheit des deutschen Volkes den Gegnern gegenüber in Frage zu stellen geeignet sein könnte.

Abg. von der Osten (D. Nat): In dieser Schlußforderung sind auch wir mit dem Antrggsteller einig, aber meine Fraktion wider spricht dem Antrage selbst (Rufe bei den Demokraten: Aha! Partei über Vaterland). Diesen Vorwurf muß ich als durchaus ungehörig zurückweisen. Die Herren werden sich ja wohl nicht wundern, wenn in der innerpglitschen Auseinandersetzung die Debatte doch vielleicht eine schärfere Note annimmt; wir sind aber durchaus in der Lage, ohne die großen Interessen, die in Spang guf dem Spiele stehen, zu ge⸗ fährden, dem LFringenden Bedürfnis Rechnung zu tragen, welches in den weitesten Kreisen des Volkes besteht, daß auch bei uns eine poli. tische Aussprachg stattfindet. Es ist jetzt die letzte Gelegenheit, die uns dazu bis Mitte Sepember gegeben sein wird. Auf diese Aus— sprache wartet das ganze Volk. (Widerspruch, Daß unfererfelts irgend etmas vorkommen wird, was die Intereffen des Vaterlandes gefährden könnte, stelle ich auf das bestimmkeste in Abrede. Wir haben als Volksvertreter in dieser entscheidenden Stunde die Pflicht, vor.

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sogen statt „sich hierfür als notwendig und dringend erweisen“: „hier-

zubringen, was wir politisch auf Lem Herzen haben. Und selbstver. ständlich wird das in maßvoller Weise geschehen. J

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