1920 / 272 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 30 Nov 1920 18:00:01 GMT) scan diff

In den letzten Monaken erforderte der Uebertritt krieg s⸗ gefangener Polen und Russen nach Ostpreußen und ihre Beförderung in die Gefangenenlager im Inlande eine besondere Tätig keit. Zur Verhütung der Seuchengefahr wurde im Auftrage des Reiches die Mitarbeit des Ministeriums für Volkswohlfahrt heran gezogen. Es ist hierbei gelungen, die Uebertragung von Fleckfieber und Pocken durch die Gefangenen auf die Bevölkerung zu verhindern, und die Gefahr, die von dort aus uns drohte, kann wohl als beseitigt angesehen werden.

In den Bereich der Seuchenbekämpfung gehört auch die Ver⸗ legung des hygienischen Instituts von Posen nach Landsberg a. d. Warthe. Die Anstalt wird zwar auf die früher von ihr geübte Lehrtätigkeit zu verzichten haben, sie wird aber als Hauptabwehrstelle gegen die Seucheneinschleppungsgefahr aus dem Osten wirken.

Die Frage der Verlegung des Lepaheims aus Memel wird eben falls erwogen, ist aber noch nicht endgültig gelöst.

Bei den Medizinaluntersuchungsäm tern haben sich einige Aenderungen als erforderlich herausgestellt, namentlich in Groß Berlin und im Westen. So wurde die Untersuchungsstelle Saar⸗ brücken in den jetzt besonders gefährdeten Regierungsbezirk Trier verlegt.

Schließlich bearbeitete das Ministerium im Zusammenhang mit dem Reich die Verlegung der Typhusbekämpfung aus den abgetretenen Gebieten des Westens nach Mitteldeutsch⸗ land, wo in Thüringen und in den benachbarten Retrßischen Be. zirken die Zahl der Typhuserkrankungen seit langem eine überdurch= schnittliche ist und nach den im Westen bewährten Methoden bekämpft werden soll.

Die Tuberkulosegefahr wurde weiter im Auge behalten. Auf Grund eingehender Beratungen wurden Richtlinien für eine weit- gehende Bekämpfung aufgestellt, welche wesentlich die Anwendung der Behandlung der Anfangserscheinungen berücksichtigen sollen Die seither eingegangenen Berichte erweisen durchweg. daß die vorge⸗ schlagenen Maßnahmen, welche in der Einführung einfacher, mit ver⸗ hältnismäßig geringen Kosten verbundener Vorbereitungs- und Ab⸗ wehrmaßnahmen bestanden hatten, Beachtung gefunden haben. Zur Entfaltung voller Abwehrkraft bedarf es aber einer gesetzlichen Re⸗ gelung An dem Entwurf des neuen, voraussichtlich in kurzer Zeit zur Beratung kommenden Reichsgesetzes zur Bekämpfung der Tuber⸗ kulose ist auch das Wohlfahrtsministerium stark beteiligt.

Eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung von Seuchen wurden im Zusammenhang mit der Schul gesundheitspflege bearbeitet. So wurden z. B. Maßnahmen zur Behebung der sich häufenden ansteckenden Schleimhautkatarrhe der Schulmädchen ge⸗ troffen. Femer wurde die Wiederzulassung der Diphtherierekonvales ; zenten zum Schulbesuch geregelt und die Aufmerksamkeit der Schul⸗ ärzte auf die Notwendigkeit regelmäßiger Untersuchungen der Schul- kinder zur Vorbeugung von Erkrankungen gelenkt. Auch die Besserung des Zahngebisses in der Jugend dient neben der Hebung der Gesund⸗ heit unmittelbar der Verhinderung von übertragbaren Krankheiten

Im Zusammenhang mit der Schulgesundheitspflege wurden unter Mitarbeit von Fachvertretern Grundsätze für die Organisation, den Betrieb und die Ziele der im Zusammenhang mit der Schule aus geübten Schulzahnpflege aufgestellt. Besondere Aufmerksamkeit wurde nach wie vor auf die Bekämpfung der Geschlechtskrank⸗ heiten verwandt. Die Einrichtungen, die seinerzeit im Anschluß an die Heeresauflösung getroffen waren, wurden im allgemeinen bei⸗ behalten und fortgeführt. Neu berücksichtigt wurde die Zunahme der Erkrankungen an Erbsyphilis. Sie führten zur Aufstellung von Vor⸗ schriften, deren Durchführung die frühzeitige Erkennung und Behand- lung sichern soll.

Gerade im Zusammenhange mit der Schulgesundheitspflege läßt sich eine Anzahl von Fragen der Volksgesundheit in Angriff nehmen, ganz abgesehen davon, daß hier die Erziehung zum Verständnis der großen Aufgaben zu erfüllen ist, eine Frage, die gemeinsam mit dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bearbeitet wird.

Die Gesundheitsstörungen, welche die jahrelange Unter⸗ ernährung namentlich bei den Jugendlichen hervorgerufen hatte, wurden auf Grund von sorgfältigen Erwägungen muntersucht. Aus dem Ergebnis wurden die notwendigen Folgerungen gezogen. Aerzte, Lehrer, Behörden und die Träger der sozialen Versicherung wurden über die festgestellten Krankheitserscheinungen unterrichtet, auf die ersten Anfange hingewiesen und über die Maßnahmen, die Erfolg versprechen, belehrt. Das erstreckte sich namentlich auf die Knochen⸗ erkrankungen der Jugend und auf die Folgen des Fehlens bestimmter lebenswichtiger Bestandteile der Nahrung, wie des Kalls. Von dem Ergebnis unserer Feststellungen wurden auch die zuständigen Reichsbehörden in Kenntnis gesetzt, denen die Bearbeitung von Fragen der Volksernährung zufällt. Eine rege Tätigkeit wurde überhaupt auf dem Gebiete des Ernährungswesens entfaltet, die aber nach außen weniger in die Erscheinung treten konnte, weil sie nur durch die Beteiligung der Fachvertreter an den Arbeiten der zustän⸗ digen Reichsbehörden zum Ausdruck gelangt. Als einziges Beispiel mögen nur die eingehenden Untersuchungen über die ausländischen Bohnen erwähnt werden, die in großem Umfange zur Volksernährung herangezogen worden sind und durch ihren Blausäuregehalt bei un⸗ zweckmäßiger Behandlung hätten gesundheitsgefährlich wirken können. Nach sorgfältigen Untersuchungen wurde der Oeffentlichkeit ein Ver⸗ fahren übergeben, das diese Schädigungen vollständig zu beseitigen geeignet war.

Der ungünstige Stand der Volksgesundheit ver⸗ langt die rechtzeitige Unterbringung der Erkrankten in gut geleiteten Anstalten, die durch ihre Einrichtungen für zweckmäßige Untersuchung und Pflege, durch die Möglichkeit operativer Eingriffe und die Ab⸗ sonderung ansteckender Erkrankungen geeignet sind, die Gefahren der Krankheit zu mildern. Der Andrang in diesen Anstalten ist heute um so größer, als die ungünstigen Wohnungsverhältnisse bei ernsten Leiden die häusliche Behandlung erschweren. Die Erweiterung unserer Krankenanstalten durch Neubauten ist gegenwärtig fast unmöglich, und der Betrieb der Anstalten ist durch die Erhöhung der Kosten für Löhne, Ernährung, Kohlen, Verbandsstoffe usw. aufs äußerste erschwert. Um den durch die Not der Zeit gegebenen be⸗ sonderen Verhältnissen auf dem Gebiete des Krankenhausbaues Rechnung zu tragen, habe ich im März 1920 durch einen Runderlaß die seit 1911 geltenden Vorschriften über Bauanlagen und Einrich⸗ tung von Krankenhäusern in vielen Punkten so wesentlich gemildert, daß es künftig möglich ist, unter Berücksichtigung wenigstens der dringendsten hygienischen Anforderungen bei der Errichtung von Krankenhäusern an Kosten erheblich zu sparen. Durch diese Vor⸗

schriften ist unter anderem auch die Möglichkeit gegeben, schon dor⸗ handene größere Gebäude, die früher anderen Zwecken gedient haben, Krankenhauszwecken dienstbar zu machen. Ich hoffe, daß es durch diese Bestimmungen gelingen wird, dem durch das Ruhen jeglicher Bautätigkeit während des Krieges entstandenen Mangel an geeigneten Krankenhäusern tunlichst abzuhelfen. .

Großen Umfang hat die Bearbeitung der Gesuche um Zulassung zur staatlichen Krankenpflegeprüfung angenommen. Eine große Zahl weiblicher Personen sowie Lazarettgehilfen, Sanitäts⸗ unteroffiziere usw., die während des Krieges in Lazaretten und ähn⸗ lichen Anstalten tätig waren und vielfach keine Prüfung oder nur die sogenannte Notprüfung bestanden haben, wollten nachträglich die staatliche Krankenpflegerprüfung ablegen und Ausnahmen sowie Ver⸗ günstigungen zugestanden haben. Da schon vor dem Kriege Wünsche laut geworden sind, die im Jahre 1907 erlassenen Bestimmungen über die staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen in verschiedenen Punkten zu ändern, wird zurzeit die Frage geprüft, ob und in welchem Umfange eine Revision der Prüfungsvorschriften notwendig ist. Nach Beendigung der Vorarbeiten ist eine Konferenz von Sachverständigen in Aussicht genommen, die zu den wichtigsten Punkten dieser Frage Stellung nehmen soll.

Von Bedeutung ist die in meinem Ministeriihm seit etwa einem Jahre in Gemeinschaft mit dem Reichsarbeitsministerium, dem Kultusministerium und anderen Ressorts bearbeitete Frage einer gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit der Krankenpflegepersonen. Die zuerst vom Reichsarbeits⸗ ministerium gegebene Anregung, dem Reichstag einen Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Einführung des Achtstundentags oder der 48⸗Stunden⸗Woche für das Krankenpflegepersonal vorzu⸗ legen, ist trotß der in den Kreisen des Krankenpflegepersonals in dieser Richtung bestehenden Wünsche auf so starken Widerstand bei den Aerzten, Sachverständigen und Krankenhausverwaltungen sowie einem großen Teil des weiblichen Krankenpflegepersonals selbst ge⸗ stoßen, daß es bisher noch nicht möglich war, zu einer einwandsfreien Lösung dieser Frage zu kommen. Dabei will ich ausdrücklich hervor⸗ heben, daß auch ich eine gesetzliche Regelung dieser Frage und eine angemessene Beschränkung der Arbeitszeit des Krankenpflegepersonals für dringend notwendig halte, daß aber andererseits hierbei das Wohl der Kranken in erster Linie Berücksichtigung finden muß. (Sehr richtig! im Zentrum.)

Ich habe durch Besprechungen mit Sachverständigen und den be⸗ teiligten Ressorts und durch Einforderung zahlreicher Gutachten wiederholt eine Klärung der ganzen Angelegenheit herbeizuführen versucht und hoffe, daß es in nicht zu ferner Zeit gelingen wird, zu einer befriedigenden Lösung dieser Frage zu kommen.

Einen erheblichen Umfang hat die Bearbeitung aller Fragen der Säuglings⸗ und Kleinkinderfürsorge an⸗ genommen. Die Not, die auf diesen Gebieten infolge unseres all⸗ gemeinen Zusammenbruchs herrscht, und die Notwendigkeit, hier

staatlicherseits alles nur Mögliche zu tun, geht mit erschreckender

Deutlichkeit aus dem oft erschütternden Material hervor, das mir fast täglich in Berichten von Gemeinden, Krankenwohlfahrts⸗ vereinigungen usw. vorgelegt wird. Immer und immer wieder dringt an unser Ohr der Notschrei, daß wichtige Einrichtungen der Säug⸗ lings⸗ und Kleinkinderfürsorge, die seit Jahren mit wachsendem Er⸗ folge gearbeitet haben, ihre Tätigkeit einstellen müßten, wenn ihnen nicht durch reichliche staatliche Mittel geholfen wird. (Hört, hörth

Wir sind bemüht, aus dem uns bisher zur Verfügung stehenden Fonds von 500 000 6 für Zwecke der Säuglingsfürsorge, der zu meiner Freude auf Anregung des Haushaltungsausschusses der Landes⸗ versammlung für dieses Jahr auf 1 Million erhöht werden soll, den Sãuglin gofürsorgestellen, Säuglingsheimen, Kinderkrippen usw. zur Bestreitung der dringendsten Bedürfnisse Beihilfe zu geben. (Braboh Doch müssen wir leider mit Rücksicht auf die beschränkten Mittel manches wohlbegründete Gesuch ablehnen.

Auch die Frage der Ausbildung und der staatlichen Prüfung von Sãuglingspflegerinnen wird dauernd auf Grund zahlreicher Gesuche bearbeitet. Dabei wird gleichzeitig die Frage geprüft, ob etwa schon in nächster Zeit eine weitere Verbesserung der Ausbildung der Säug⸗ lingspflegerinnen durch den Erlaß neuer Vorschriften anzustreben sein wird.

Aehnliche Gesichtspunkte waren für die Fragen der Desinfek⸗ tion maßgebend. Die gesetzlichen Vorschriften sind vor vielen Jahren erlassen und durch neuere Erfahrungen über die Verbreitungs⸗ wege der am häufigsten bei uns auftretenden ansteckenden Kran kheiten überholt. Nach langen Beratungen mit Sachverständigen und im Einvernehmen mit den Reichsbehörden sind neue Grundsätze für die Desinfektion aufgestellt worden. Danach soll der Nachdruck auf die Desinfektion am Krankenbett selbst gelegt werden, die so⸗ genannte Schlußdesinfektion aber eine Einschränkung erfahren. Die neuen Grundsätze werden Kostenersparnisse und Vereinfachungen her⸗ beiführen und trotzdem die Gesundheitsforderungen voll aufrecht erhalten. J

Die Neigung weiter Kreise der Bevölkerung, sich zu betäuben, hat zu einem Mißbrauch mit Opium und Kokain und anderen stark wirkenden Mitteln geführt, gegen den auch von mir der energische Kampf aufgenommen worden ist. (Bravo) Die Schieber⸗ wirtschaft erschwert mir allerdings die Erfolge.

Der einen Aufgabe des Ministeriums, an der Abwehr von Krankheiten und Volksseuchen zu wirken, steht die andere Aufgabe an Umfang nicht nach, an der Erhaltung und Erhöhung der Gesundheit zu arbeiten.

Damit sind zunächst organisatorische Fragen verschiedener Art verbunden. Hier verlangt vor allem die Tatsache Aufmerksamkeit, daß nicht bloß Großstädte, sondern auch schon Mittelstädte in immer größerem Umfange dazu übergehen, Sozialhygieniker im Hauptamt als Verwaltungsmediziner oder als Fürsorgeärzte für Säuglingspflege, Schulgesundheitspflege und als Tuberkuloseärzte an= zustellen. Diese Aerzte übernehmen am Orte ihres Wirkens einen Teil derjenigen Aufgaben, die bisher den staatlichen Gesundheits⸗ beamten vorbehalten waren, und auch meist ohne Schaden für die Sache unter Vorbehalt der Staatsaufsicht an die Kommunalärzte abgetreten werden konnten. Es fehlte aber bisher an praktischen Ausbildungsstätten für dieses neuerstandene Fach der Fürsorgeärzte. (Abg. Dallmer: Sehr wahr) Ich habe deshalb Richtlinien für die Ausbildung von Kommunalärzten und für das Verhältnis der Kreis⸗ ärzte zur sozialhygienischen Tätigkeit herausgegeben, die in den Kreisen der großen und kleinen Gemeinden Preußens mit Dank be⸗ grüßt worden sind.

Darüber hinaus wurde die Gründung sozialhygie⸗ nischer Akademien angeregt. Nachdem diese Anregung bei

Düsseldorf, Charlottenburg und Breslau Aufnahme gefunden hat. wurde an der Ausarbeitung eines einheitlichen Lehrplans mitgewirkt. Im weiteren Verlaufe der Entwicklung dieser Akademien, die Aus · bildungsstätten für Kommual⸗ und Fürsorgeärzte sein sollen, wird in diesen Tagen der erste Lehrgang eröffnet werden.

Es wird weiter geprüft werden, ob und wie weit es sich empfiehlt. diese sozialhygien ischen Akademien mit Aufgaben der Fortbildung der staatlichen Medizinalbeamten zu beauftragen. Da dem vorlãufigen Bedürfnis genügt ist, bedaure ich, den Anträgen anderer, auf diesem Gebiete hervorragend tätiger Städte auf Errichtung sozialer Akademien im Augenblick nicht entsprechen zu können. Sollte aber die Entwick⸗ lung einen gin stigen Verlauf nehmen, so wird auch eine Ausdehnung auf Städte möglich sein, deren Anträge bisher leider nicht berück⸗ sichtigt werden konnten.

Der schon im vorigen Jahre gegründete Landes aus schuß für hygienische Volksbelehrung wird zu Beginn des Winters seine Arbeiten wieder aufnehmen. Inzwischen sind für ihn die Grundsätze der Arbeit und die Form des Unterrichts festgelegt, und die Ausdehnung auf die einzelnen Landesteile durch Exrichtung pon Sonderkomitees gesichert worden. Der seither ins Leben ge: rufene Reichsausschuß für hygienische Volksbelehrung stellt hierbei seine reichen, aus dem hygienischen Museum in Dresden stammenden Lebensmittel zur Verfügung.

Die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse haben die Aus⸗ arbeitung einer neuen Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte notwendig gemacht. Nach langen Beratungen mit den Lan desversicherungsanstalten, mit Vertretungen der Aerzte, Krankenkassen usw. wurde der Versuch unternommen, die entgegen⸗ stehenden Interessen auszugleichen und eine Gebührenordnung heraus⸗ zugeben, die den Preissteigerungen Rechnung trägt und dabei die in die Hände der sozialen Versicherung gelegten Aufgaben der Volks gesundheit nicht gefährdet. Da die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu übersehen ist und da klar ist, daß eine solche Gebührenordnung die Erwartung keiner der beteiligten Gruppen voll zu erfüllen vermag, so ist deren Geltungsdauer für einen verhältnis⸗ mäßig kurzen Zeitraum in Aussicht genommen.

Als Hilfskräfte der Aerzte in Krankenhäusern sowie in Labora⸗ torien haben sich die technischen Hilfarbeiterinnen und Laborantinnen im Bakteriologischen Untersuchungsamt, im Pathologischen Institut wie in den Röntgen⸗Abteilungen immer mehr als unentbehrlich heraus gestellt. Ihre Ausbildung liegt sowohl im Interesse der Ange hörigen dieses Standes und der zahlreichen Schulen, die sich den Unterricht angelegen sein lassen, als in dem dieser Institute selbst, die über gut vorgebildete Kräfte verfügen wollen. Im Zusammen⸗ hange mit den Leitern der bestehenden Schulen und unter Berũck⸗ sichtigung der einzelnen sehr verschiedenen Zweige der Hilfsarbeit ist eine Prüfungsordnung für diese technischen Hilfsarbeiterinnen ausge⸗ arbeitet worden, welche die Dauer des Unterrichts, den Umfang der einzelnen zu berücksichtigenden Lehrgebiete und das Mindestmaß der Anforderungen an die Ausbildung festlegt sowie eine staatliche An⸗ erkennung der einzelnen Schulen vorsieht. .

Die Fortbildung der praktischen Aerzte und die der beamteten Aerzte, die während des Krieges eingeschränkt worden war, ist von neuem wieder aufgenommen worden. Im März d. J. wurde der erste Fortbildungskursus für beamtete Aerzte abgehalten, der besonders die Sozialhygiene eingehend berücksichtigte und als eine Neuerung die praktische Arbeit in der einzelnen Fürsorgestelle mit einbezog.

Im Verfolg der Beschlüsse der Landesversammlung wurde das Bäderwesen und die mit ihm verbundenen hygienischen und sozialhygienischen Einrichtungen einer eingehenden Prüfung unter⸗ zogen und namentlich die Frage der Einstellung der Heilfaktoren der staatlichen und privaten Bäder in den Dienst der Behandlung der ärmeren Bevölkerung, besonders der Kinder und der Versicherten, er⸗ wogen und zur Grundlage von Vorschlägen gemacht, deren Einreichung bevorsteht.

Ein gleiches Vorgehen fand in der Frage der Erw eiterung der gewerbeärztlichen Tätigkeit statt. Die Vor⸗ arbeiten des Ministeriums haben festgestellt, in welchen Industrie= mittelpunkten die gewerbeärztliche Mitwirkung am dringendsten er⸗ forderlich ist. Dementsprechend ist die Organisation vorbereitet, und die erforderlichen Anträge sind für den nächstjährigen Haushalt ein⸗ gereicht worden.

Die eigenartige Gestaltung des medizinischen Studiums durch die Einbuße der Studierenden an Semestern und den vermehrten Andrang hat das Ministerium eingehend be— schäftigt. Es war sein Bestreben, die Gesichtspunkte der Erleichterung der Lage der durch die Zeitverhältnisse geschädigten Medizin⸗ studierenden mit der Sicherung einer ausreichenden Ausbildung zu vereinen. Deshalb wurden wiederholt im Reichsrat erfolgreich An⸗ träge eingebracht, die diesen beiden Gesichtspunkten Rechnung tragen.

Die Fülle der Arbeit, die im verflossenen Jahre geleistet wurde, läßt mich nicht übersehen, daß die nächste Zukunft eine Reihe von weiteren Aufgaben stellt, deren Erledigung nicht weiter hinausgeschoben werden soll. Dazu gehört u. a. die Frage der Neu⸗ ordnung des medizinischen Studiums und Prüfungswesens, die ge⸗ meinsam mit den Reichsbehörden bearbeitet wird, die Frage der Um— wandlung nicht vollbesoldeter Kreisarztstellen in vollbesoldete, die Abtrennung von Stellen für gerichtsärztliche Mediziner, wo sie irgend durchführbar ist, und die Neufestsetzung der Dienstanweisungen für die beamteten Aerzte, für die auch eine neue Prüfungsordnung in Vor⸗ bereitung ist. Diese wird auch die Stellung der beamteten und nicht⸗ beamteten Aerzte zu den Kreiswohlfahrtsämtern und privaten Wohl fahrtsämtern zu regeln haben und bei dieser Gelegenheit dafür sorgen müssen, daß den beamteten Vertretern der Gesundheitspflege der ihnen gehörende Raum in den Wohlfahrtsämtern und Jugendämtern eingeräumt wird, der ihnen dort zu Unrecht heute vielfach beschrãnkt worden ist.

Auch die Organisationen eines Landesgesundheitsrates, an dem nicht wie bisher in der Wissenschaftlichen Deputation ausschließlich Mediziner beteiligt sind, sondern zu dem auch Sachverständige aus anderen Gebieten und Laien herangezogen werden sollen (sehr gut! bei den U. Soz)d, ist in Vorbereitung und wird in sehr naheliegender Zeit in die Tat umgesetzt werden können. (Sehr richtig! bei den U. Soz.)

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(Fortsetzung in der Zweiten Bellage.)

zum Deu tschen Reichsanze

Nr. 272.

Sweite Beilage

Berlin, Dienstag, den 30. November

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é Gortsetzung aus der Ersten Beilage)

Das Apothekenwesen, dessen Reform seit Jahrzehnten immer wieder vorbereitet und hinausgeschoben worden ist, bedarf dringend einer Neuregelung. Die grundsätzliche Regelung ist dem Reich vorbehalten. Es ist aber den Reichsbehörden klar, daß ein Aufschub nicht mehr angängig ist. Die Vorbereitung der Apotheken⸗ reform, die auch die Frage zu berücksichtigen hat, ob und inwieweit die Gemeinden selbst bei Errichtung von Apotheken zu beteiligen sind, ist im Fluß. (Sehr guth

Die eigenartige Entwicklung der Nahrungsmittel⸗ ver sorgung während des Krieges und in der folgenden Zeit, die Mitwirkung der Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden bei der Beschaffung, dem Bezug und dem Vertrieb hat eine ganz neue Lage auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung geschaffen. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall einer baldigen Rückkehr normaler Ver hältnisse wird eine größere Beteiligung des Staates an der Nahrungsmittelversorgung der Be völkerung sowie an der Kontrolle der Be⸗ schaffenheit der Nährstoffe nicht mehr zu umgehen sein. (Sehr richtigh

Die Mitwirkung des Staates wird sich nicht mehr wie bisher auf die Ueberwachung des Verkehrs und auf die Bekämpfung der Lebensmittelverfälschungen zu beschränken haben.

Soweit bis jetzt die Gesichtspunkte der bevorstehenden Arbeit klarliegen, werden eiwa die folgenden Richtlinien zu beachten sein. Das Wohlfahrtsministerium hat für die Durchführung der Reichs— lebensmittelgesetze für den größten Teil des Reichsgebiets Sorge zu tragen und hierbei die Tätigkeit der Nahrungsmittelpolizei sowie der beteiligten Untersuchungsanstalten und der Sachverständigen zu überwachen. Es regelt zugleich den Umfang und die Art der Kontrolle und bearbeitet die Angelegenheiten der öffentlichen Nahrungsmittel⸗ untersuchungsanstalten.

Zurzeit beschäftigt das Ministerium eingehend die Frage, wie es im Hinblick auf die schwierige wirtschaftliche Lage der öffentlichen Nahrungsmitteluntersuchungsanstalten weiter möglich sein wird, sie lebensfähig zu erhalten, und wie mit den be⸗ scheidensten Mitteln eine ausreichende Lebensmittelkontrolle gewähr— leistet werden kann.

Schließlich bemerke ich noch, daß ich zur Prüfung der Frage, wieweit unser Volk durch den Krieg rassenhygienisch gelitten hat

und in weiterer Folge gefährdet erscheint, aus hervorragenden Ver—⸗

tretern der Rassenhygiene, der Anthropologie und der Biologie einen Beirat für Rassenhygiene in meinem Ministerium gebildet habe, der die Aufgabe hat, die komplizierte Frage der Rassenhygiene eingehend zu prüfen und mir bzw. der Staatsregierung Vorschläge darüber zu machen, welche besonderen Maßnahmen vom Standpunkt der Rassenhygiene und der Bevölkerungspolitik künftig in Betracht zu ziehen wären. Ich hoffe, daß dieser Beirat, der vor kurzem zu— sammengetreten ist, fruchtbringende Arbeit leisten wird.

Die vorstehenden Ausführungen können nur einen kurzen Ueber- blick über geschehene Arbeiten und einen Ausblick auf zukünftige Auf⸗ gaben geben. Sie sollen aber vor allen Dingen darauf hinweisen, daß hier wie überall, wo praktische Arbeit geleistet wird, der Schwer⸗ punkt nicht in Maßnahmen liegt, die nach außen hin besonders ins Auge fallen, sondern in verantwortungsvoller unscheinbarer, ständiger Kleinarbeit, die auch Einzelheiten, aus denen sich das Gesamtbild zu— sammensetzt, niemals aus dem Auge verliert, ohne in ihrer Er⸗ ledigung unterzugehen.

Ich bin mir bewußt, daß die Früchte dieser Arbeit besonders in der Gegenwart außerordentlich langsam reifen können, und daß sie nicht in der Lage ist, sich auf die Erfolge ihres Wirkens in absehbarer Zeit berufen zu können.

Und nun lassen Sie mich zum Schluß einige Bemerkungen Über das Gebiet der Wohlfahrt und allgemeinen Für sorge machen, das im Wohlfahrtsministerium ebenfalls bearbeitet wird. Diese Aufgaben stehen zwar untereinander in mehr oder weniger losem Zusammenhang, sind aber nicht so geschlossen wie die Aufgaben der Wohnungs⸗ und der Gesundheitsabteilung. Arbeits⸗ plan und Arbeitsart der Abteilung Ul, der Abteilung für Jugend wohlfahrt und allgemeinen Fürsorge, sind im wesentlichen durch die Reichsgesetzgebung vorgezeichnet. Der überwiegende Teil der Arbeit ist hier der Vorbereitung oder Durchführung von Reichsgesetzen gewidmet. Die außerordentlich rege Gesetzgebungstätigkeit des Reichs gerade auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge stellt hohe Anforderungen an das Ministerium, dem die Verantwortung der Durchführung für drei Fünftel des Reichsgebiets zufällt.

So bereitet auf dem Gebiete des Armenwesens das Reichs⸗ ministerium des Innern eine neue Gesetzesregelung vor, die mit dein alten Grundsatz des Unterstützungswohnsitzes brechen soll.

In den Rahmen des gegenwärtig geltenden Gesetzes über den

Unterstützungswohnsitz fällt auch das Preußische Krüppel

fürsorgegesetz, das am 1. Oktober d. J. in Kraft getreten ist. Weitere behördliche Kreise, deren Verwaltungstätigkeit bisher von der Krüppelfürsorge nicht berührt wurde, sind nunmehr dazu berufen, wesentlich an der Ausführung dieses Gesetzes mitzuwirken. Es galt daher in erster Linie, diesen Kreisen die Gedanken, die dem Gesetz zugrunde liegen, nahezubringen. Zu diesem Zwecke wurde in den vielfachen Zusammenkünften mit ihnen, den Vertretern der Landarmenverbände und der freiwilligen Liebestätigkeit die Sachlage eingehend besprochen. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit die aufopferungsvolle Arbeit rühmend hervorzuheben, mit der uns die deutsche Krüppelfürsorge, die Krüppelheime und der Preußische Landes⸗ verband für Krüppelfürsorge, insbesondere dessen Vorsitzender, Pro– fessor Biesalski, in selbstloser Weise unterstützt haben. (Bravo

In ausführlichen Ausführungsanweisungen habe ich dann versucht. den zur Mitarbeit berufenen Medizinern Verständnis für die ver . waltungstechnische Seite der Angelegenheit und der Verwaltungs- behörde gewisse medizinische Grundbegriffe der Krüppelfürsorge zu ver mitteln, ohne deren Kenntnis eine sachgemäße Durchführung des Ge letzes auch dem Verwaltungsbeamten nicht möglich ist.

Bau von Talsperren zwecks Gewinnung von elektrischer Kraft bereit-

Es läßt sich nicht verkennen, daß die Ausführung des Gesetzes schwer unter der augenblicklichen ungünstigen Finanzlage des Staates und der Kommunen sowie der allgemeinen Teuerung leidet. Die Krüppelfürsorge ist eines der kompliziertesten Gesetze der Wohlfahrts- pflege überhaupt. Ich hoffe aber, daß sich trotz der aus den widrigen Umständen sich ergebenden Notlage etwas für unsere unglücklichen Krüppel Brauchbares und Nützliches schaffen lassen wird.

Die Durchführung der Sozialversicherung und der Erwerbs⸗ losenfürsorge erfordert in Preußen gegenwärtig einen unge⸗ wöhnlich starken Aufwand an Arbeitskraft.

Auf dem Gebiete der Reichsversicherungsordnung steht eine um- fassende Reform bevor. Eine Reihe von darauf hinzielenden Gesetz en twürfen liegt bereits dem Reichsrat vor.

Ohne mich in Einzelheiten verlieren zu können, will ich nur, was das wichtigste Gebiet der Erwerbslosenfürsorge anlangt, meinen Stand⸗ punkt dahin festlegen, daß auf den Abbau dieses im Jahre über eine Milliarde verschlingenden Fürsorgezweiges mit Nachdruck hingearbeitet werden muß.

An seine Stelle muß die Arbeitslosenversicherung treten, deren technische Durchführung allerdings, wie sich bei den bis⸗ herigen Beratungen ergeben hat, uns vor große Schwierigkeiten stellt. Es scheint, als wenn die Ansicht, daß die Arbeitslosenversicherung auf Grund des Arbeitsnachweises aufzubauen ist, immer mehr Anhänger gewinnt. Bis zur gesetzlichen Neuregelung dieser Materie ist wen ig⸗ stens im Laufe des letzten Jahres soviel erreicht worden, daß die Erwerbslosenfürsorge durch zahlreiche Reichsverordnungen wesentlich verbessert worden ist. Den anfänglich sehr starken Mißbräuchen ist durch Verbesserung der Vorschriften und strengere Kontrolle in der Hauptsache Abbruch getan worden.

Besonderes Gewicht lege ich ebenso wie der Reichsarbeitsminister auf den Ausbau der sogenannten produktiven Erwerbs- losenfürsorge, also der Förderung aller Maßnahmen, die eine Beschäftigung der Erwerbslosen anstatt der Zuwendung von Unter stützungen zum Ziele haben. (Sehr richtig! im Zentrum.)

Der Mangel an Kohlen und Rohstoffen setzt der Auswahl der mit den Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge zu fördernden Arbeiten verhältnismäßig enge Grenzen. Ganz überwiegend sind es Tiefbauarbeiten, und unter diesen nehmen die landwirtschaftlichen Meliorationen wegen ihres hohen wirtschaftlichen Wertes eine be⸗ sondere Stelle ein. In einigen Fällen konnten auch Mittel zum

gestellt werden. In der Kriegsbeschädigten⸗ und Kriegshinter« bliebenenfürsorge tritt die Mitarbeit des Wohlfahrtsministe⸗

riums stärker zurück, da die Träger dieses Fürsorgezweiges in Preußen die Provinzialverbände sind. Am meisten Schwierigkeiten bereitet uns hier zurzeit die Regelung der leidigen Kostenfrage und die ausreichende Besetzung der Militärversorgungsgerichte, die in der großen Zahl der Eingänge fast zu ersticken drohen. (Hört, hört! rechts.)

Auch bei der Durchführung des im April d. J. ergangenen Reichsgesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschä⸗ digter sind, da die Eignung der Schwerbeschädigten für die jeweilige Arbeitsstelle gesetzliche Voraussetzung ist, große Schwierigkeiten zu überwinden.

Auf dem Gebiete der Jugendfürsorge sind mannigfache Wünsche um Gesetzesänderungen an das Ministerium herangetreten. Wie ich aber bereits im Vorjahre ausführte, müssen wir in dieser Beziehung in Preußen Zurückhaltung üben und dem Reich den Vor tritt lassen.

Bekanntlich liegt dem Reichsrat zurzeit der Entwurf eines Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vor, der auch schon öffentlich bekanntgegeben ist. Er erfüllt nahezu alle Wünsche, die in den letzten Jahren auf diesem Gebiete von diesem hohen Hause sowie von Fachkreisen geäußert worden sind. Das gilt in erster Linie vom Ausbau der Organisation. Das ganze Reich soll mit einem Netz von Jugendämtern überzogen werden, die die öffentliche Jugendhilfe ausüben und die freiwillige fördern sollen.

Es ist mehrfach die Frage aufgeworfen worden, weshalb diese Neuregelung auf die Jugendwohlfahrt beschränkt und nicht auf die ganze Wohlfahrtspflege ausgedehnt wird. In dieser Richtung bewegt sich auch ein im Mai d. J. vom Ausschuß für Bevölkerungspolitik gestellter Antrag. (Nr. 379/19) Diese Frage entbehrt besonders für Preußen nicht der inneren Berechtigung, da in der Mehrzahl der ländlichen Kreise auf Grund freier Entschließung schon Wohlfahrts⸗ ämter gebildet worden sind, die mit erfreulichem Erfolge wirken. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten. Wenigstens zum größeren Teil!

Ich werde diese Entwicklung nach jeder Richtung hin zu fördern suchen. Vielleicht wird sich bei der Beratung des preußischen Aus⸗ führungsgesetzes zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz Gelegenheit finden, gleichzeitig mit der reichsgesetzlichen Einführung der Jugen dämter für Preußen auch den Wohlfahrtsämtern eine gesetzliche Grundlage zu geben und so gewissermaßen im Anschluß an das Reichs jugendwohl fahrtsgesetz in Preußen ein Rahmengesetz für die Organisation der allgemeinen Wohlfahrt zu schaffen.

Ich kann es mir aber gerade in diesem Zusammenhange nicht versagen, auf die Gefahr hinzuweisen, die bei einer Ueberspannung der Veramtlichung der Wohlfahrtspflege droht. Die Befürchtung ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß mit der allgemeinen Einführung der Jugend⸗ und Wohlfahrtsämter die Wohlfahrtspflege stark bureaukratisiert wird und damit die ehren⸗ amtlichen Kräfte der freien Liebestätigkeit in den Hintergrund ge⸗ drängt werden. (Sehr richtig) Das gilt nicht zum wenigsten von der Verallgemeinerung der Berufsvormundschaft; denn diese, an vielen Stellen dringend notwendige und segensreiche Einrichtung darf nicht zur völligen Unterdrückung der Einzelvormundschaft führen.

Die geschilderte Gefahr ist um so größer, als sich getade jetzt die freie Liebestätigkeit auf allen Gebieten in einer sehr schweren Krisis befindet. Die Verschiebung der Vermögensverhält . nisse und die Verteuerung der Lebensbedürfnisse machen es den

meisten Personen, die bisher durch Geld oder durch ehrenamhliche

iger und Preußischen Staatsanzeiger

. 1920

Mitarbeit die freie Liebestãtigkeit unterstũtzt haben, un möglich, sich in gleichem Maße weiter zu betätigen, während den später Reich gewordenen häufig das soziale Gefühl zum Wohltuen oder doch wenigstens die Kunst fehlt, dort zu geben, wo es in die richtigen Hände kommt. (Zuruf: Kommerzienratstitel) Ganz richtig?! Dann müssen wir aber die Reichsverfassung ändern und diesen Titel wieder einführen. Ich bin der felsenfesten Ueberzeugung, daß, wenn ich den Roten Adlerorden oder den Kommerzienratstitel verleihen könnte, wir über die große Notlage unserer Wohlfahrtsarbeit verhältnis⸗ mäßig leicht hinwegkommen könnten. (Sehr richtig! bei den Deutsch⸗ Demokraten und rechts.)

Mit dem Rückgang der Mittel geht Hand in Hand eine Ueber teuerung der Verwaltungskosten, so daß viele Vereine vor dem Zu⸗ sammenbruch stehen. Diese trostlose Lage ist namentlich im letzten Halbjahr offenbar geworden. Es muß daher auf jede Art und Weise versucht werden, die konfessionellen und interkonfessionellen Vereine und sonstigen Organisationen, die auf dem Gebiet der Wohlfahrts⸗ pflege so Segensreiches geleistet Ren, zu erhalten.

Hier begrüße ich es mit besonderer Genugtuung, daß auf An— regung des Hauptausschusses der Posten für Beihilfe zur Säug⸗ lingsfürsorge, der ursprünglich mit 450 000 Mark vorgesehen war, nun mehr auf 1 Million Mark erhöht und auf die Klein⸗ kinderfürsorge ausgedehnt werden soll, da nach den mir fort⸗ dauernd zugehenden Gesuchen gerade hier die Not besonders groß ist.

Auch abgesehen von der Gesamtorganisation wird der Reichs⸗ entwurf eines künftigen Jugendwohlfahrtsgesetzes uns die Reform ermöglichen, die wir auf den einzelnen Gebieten in der Jugendfür⸗ sorge erstreben.

So wird es sich für Preußen erübrigen, das vom 10. Ausschuß an⸗ geregte besondere Gesetz über die Pflegekinder zu erlassen, da die Wünsche, die im Anschluß an den früheren preußischen Entwurf hier geäußert waren, auch durch das Reichsgesetz Erfüllung finden werden.

Das gleiche gilt für das Gebiet der Fürsorgeerziehung. Der Herr Minister des Innern hatte bereits im Dezember 1918 von den amtlichen Stellen Vorschläge über die notwendige Reform unseres Fürsorgeerziehungswesens eingefordert. Der Entwurf der Reichs⸗ regierung zum Jugendwohlfahrtsgesetz hatte anfänglich diese Materie nicht berücksichtigt R

Ich begrüße es deshalb, daß sich die Reichs regierung noch nachträglich entschlossen hat, auch dieses Gebiet, und zwar die Schutzaufsicht sowie die Fürsorgeerziehung, mit zu regeln.

Die Fürsorgeerziehung hat eine schwere Krise hinter sich. Jahre⸗ lang waren durch den Krieg den Anstalten die tüchtigsten Kräfte in großer Zahl entzogen. Dann kam die Revolution, die große Unruhe in die Anstalten hineinbrachte. Ich darf in dieser Beziehung auf die Ihnen vorliegenden Berichte der Provinzialbehörden verweisen. Nach und nach haben sich die Wogen wieder geglättet, und es ist Beruhigung eingetreten. Viele Mitglieder der Arbeiter und Soldatenräte, die scinerzeit entrüstet in die Anstalten eindrangen, konnten sich davon überzeugen, daß es im Innern der Anstalten ganz anders aussah, als es ihnen in ihrer Phantasie vorher erschienen war. Die jetzt in er⸗ höhtem Maße erfolgte Heranziehung weiter Volkskreise zur Leitung der Fürsorgeerziehung hat dazu beigetragen, die ungerechten Urteile, die über diese Erziehung in vielen Kreisen bestanden, zu klären und zu mildern. Es wird mein Bestreben sein, dafür zu sorgen, daß die bei einer auf so breiter Grundlage stehenden Einrichtung unvermeidlichen Mißstände immer mehr zurückgehen. (Bravoh Es wird dabei auch weiter meine Sorge sein, der Einrichtung die Volkstümlichkeit zu schaffen, die sie verdient. Wir haben keine Geheimnisse in der Für⸗ sorgeerziehung; die Leiter freuen sich über jeden Besuch in den Anstalten. .

Die Beteiligung der künftigen Landesjugendämter wird jeden⸗ falls Gelegenheit geben, daß auch die Arbeiterkreise in der Fürsorgeerziehung mitwirken. (Bravo! im Zentrum und rechts) Auch habe ich bereits die Vorarbeiten dafür getroffen, dem Ministerium selbst einen Beirat für diese Fragen anzu⸗ gliedern, in dem hoffentlich Vertreter aller Parteien dieses Hauses mitarbeiten werden.

Die Pflege der schulentlassenen männlichen und weiblichen Jugend hat ebenfalls durch den Krieg und seine vielseitigen Felgen einen schweren Rückschlag erlitten. Jugend⸗ vereinigungen sind teils ganz eingegangen, teils haben sie schwer zu kämpfen, um die frühere Blüte wiederzuerlangen. Auch auf diesem Gebiet neues Leben wieder zu erwecken, Darniederliegendes aufzurichten, Schwaches zu stärken, vor allen Dingen auch bei der Jugend selbst das zunehmende Streben nach Selbstbetätigung und gesunder Enl⸗ faltung zu fördern, das sind Aufgaben, über deren Notwendigleit volle Uebereinstimmung herrscht. .

Im Lande wünscht man nicht nur gute Worte und Ratschläge, sondern nach Möglichkeit auch werktätige Hilfe. Mit besonderem Danke begrüße ich daher das Wohlwollen, das alle Parteien 9 hohen Hauses der Jugendpflege entgegenbringen. Wenn im Haupkausschuß von verschiedenen Seiten die Aufwendungen für dieses große Werk als werbende Anlagen bezeichnet worden sind, so kann ich dieser Auf⸗ fassung nur von ganzem Herzen zustimmen. Zu meiner lebhaften Befriedigung darf ich schon jetzt feststellen, daß fast in allen Bezirken des Staates eine neue Aufwärtsbewegung in der Jugendpflege deutlich zu erkennen ist. Warmherzige Liebe und Teilnahme wird ihr von allen Seiten gewidmet. Tausend fleißige Hände und Köpfe sind am Werk, um der für die Zukunft unseres Volkes so bedeutsamen Sache selbstlos und opferwillig zu dienen.

Wenn ich bei dieser Gelegenheit noch einen Wunsch aussprechen darf, so ist es der: Helfen Sie mir, von der Jugendpflege alle Parteipolitik mit Entschiedenheit fern zuhalten. Die Jugendpflege kann bei rechtem Betriebe außer- ordentlich viel dazu beitragen, unter dem heranwachsenden Geschlecht gegenseitiges Verständnis und einen brüderlichen Geist zu wecken. Ich bitte Sie, auch Ihrerseits dabei mitzuwirken, daß die in der Jugendpflege liegende Möglichkeit, zur Wiederherstellung der uns so bitter nötigen inneren Einheit beizutragen, für diesen Zweck nach ieder Richtung fruchtbar gemacht wird.