erklãren, wenn in Eingaben an mich oder an mein Amt ein Ulti. matum gestellt ist, wenn die Antworten befristet verlangt werden, dann werden die Herren, ob es sich nun um Abgeordnete oder um Staatsbürger ohne Abgeordnetenmandat handelt, überhaupt keine Antwort bekommen. Das möchte ich dem Abgeordneten Schmidt zur Erklärung dafür sagen, daß er auf seine private Anfrage keine Antwort erhalten hat. Wer bis zum 30. Oktober Mittags 12 Uhr Antwort haben will, bekommt überhaupt keine. Die Untersuchung über das Verhalten des Landrats Passehl ist im Gange. Sie wird ohne Ansehen der Person geführt werden, und stellt sich heraus, daß dieser Beamte, der über seine dienstliche Qualifikation übrigens das beste Zeugnis von seinen Vorgesetzten bisher bekommen hat, nicht würdig ist, sein Amt weiterzuführen, so wird er unnachsichtlich von
seinem Posten entfernt werden. Und so wird es mit allen gehalten
Der Herr Abgeordnete Dr. Reineke hat sich dann darüber be⸗ klagt, daß die Herren von der Zentrumspartei in der Aemterbesetzung sehr stiefmütterlich behandelt werden, und hat dabei auf das Ministerium verwiesen, dessen Haus⸗ halt jetzt beraten wird. Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie hätten, wenn Sie diesen Faden spinnen wollten, ihn doch noch ein wenig länger ziehen können, Sie hätten auf die Objektivität des Ministers verweisen müssen, denn außer dem Minister ist in diesem Ministerium überhaupt kein Sozialdemokrat (3Zurufe aus dem Zentrum: Das genügt); vom Zentrum sitzen aber vier Herren im Ministerium des Innern. (Abg. Dr. Reineke: Wer?! — Dr. Sonnenschein — (bg. Dr. Reineke: Ministerialdirektor oder vortragender Rat?) — Ja, wenn Sie gleich so hoch hinaus wollen! (Große Heiterkeit. — Abg. Dr. Reineke: Die vier Hilfsarbeiter kenne ich, Herr Ministerh Die Ministerialdirektoren sind auch nicht vom Himmel gefallen; sie waren früher auch Regierungsräte und Ministerialräte. Ich glaube, daß die Herren von der Zentrumspartei sich in den letzten Jahren nicht über mangelnde Berücksichtigung zu beklagen hatten. (Sehr richtig! links Vom 1. Juli des vergangenen Jahres ab bis heute sind 45 katholische Landräte ernannt worden. (Hört! hört! links) Davon stehen mindestens 28 der Zentrumspartei sehr nahe. Vom 1. Juli bis jetzt sind 45 Assessoren angestellt worden, die auch zum großen Teil der Zentrumspartei angehören. (Abg. Dr. Reineke: Das sind die Landräte, die gewählt sind) — Herr Abgeordneter Dr. Reineke, es ist ein anderes, ob man einen evangelischen Landrat zur Wahl in einen katholischen Kreis bringt oder gleich von vorn— berein einen katholischen Bewerber hinschickt. (Zuruf aus dem Zentrum: Das kann man ewarten) — Das sollen Sie auch er— warten, gewiß. (Zuruf aus dem Zentrum) — Herr Kollege Busch, das sollen Sie sich auch nicht gefallen lassen (große Heiterkeit; das mutet Ihnen auch niemand zu. (Unruhe und Zurufe im Zentrum. — Abg. Stendel: Auge um Auge, Zahn um Zahn! — Stürmische Heiterkeit. Meine Herren, es mutet Ihnen niemand zu, daß Sie sich etwas gefallen lassen sollen, etwa einen Mangel an Berücksichtigung geeigneter Beamten oder direkte Unfreundlichkeit, o nein!
Ich wollte aber auf der anderen Seite darauf aufmerksam machen, daß Vorwürfe über nicht genügende Berücksichtigung der Herren von der Zentrumspartei auch nicht angebracht sind. Guruf aus dem Zentrum: Im Ministerium des Innern) — Gewiß, aber Sie wissen selbst, Herr Kollege Reineke, im Ministerium lassen sich Personalfragen nicht im Handumdrehen lösen. Sie selbst würden es mir übel anschreiben, wenn ich unter Ignorierung der Be— stimmungen der Verfassung, die den Beamten doch wohlerworbene Nechte sichert, Beamte des Ministeriums ohne stichhaltige Gründe ausschiffe und dafür Herren der Zentrumspartei hereinnehme (Z3uruf aus dem Zentrum: Wollen wir gar nicht) — oder Herren der Demo—⸗ kratischen Partei oder der Sozialdemokratischen Partei nehme. (Abg. Busch: In Koblenz sind nur zwei Katholiken! — Lachen links) — Meine Herren, üas mag alles sein, aber die Sünden des alten Regimes, die sich wie eine chronische Krankheit eingefressen haben, können nicht mit einem Kaiserschnitt geheilt werden (sehr richtig! links), das bedarf eines langen Heilungsprozesses. Ich glaube aber, daß in meinem Ministerium die Tendenz unverkennbar ist, die Wünsche aller Parteien, auch der Deutschnationalen Volkspartei und der Deutschen Volkspartei, zu berücksichtigen. (Lachen rechts)
Meine Herren, ich habe während dieser Verhandlungen vieles gelernt. Ich habe erfahren, daß man ein sehr tüchtiger Jurist sein kann, daß man auch sehr sachverständig und kritisch über die Er— fordernisse der preußischen Verwaltung reden kann, daß man aber selbst sehr wenig geeignet ist, ein solches Amt in der preußischen Ver waltung einzunehmen. (Sehr richtig! links Herr Kollege Stendel, wenn ich die Verpflichtung hätte, heute einen Abgeordneten der Landesversammlung auf einen hervorragenden politischen Poslen zu bringen — Sie würde ich nicht ernennen! (Stürmische Heiterkeit. — Abg. Stendel: Ich danke auch bestens) — Das ist eine ganz ge— wöhnliche Retourkutsche. — Meine Herren, es gehört nicht allein fachliche Vorbildung, es gehört nicht allein Unabhängigkeit für einen solchen Posten, besonders in diesen unruhigen Zeiten, sondern es gehört vor allen Dingen Ruhe und Kaltblütigkeit dazu. (Sehr richtig! links.)
Da komme ich auf des Pudels Kern: die fachliche Vorbildung in allen Ehren, auch die makellose Vergangenheit in allen Ehren, beides sind Erfordernisse, die ich streng berücksichtige. Aber, meine Herren, glauben Sie, daß sich das Preußen von heute verwalten und regieren ließe ohne die Beteiligung der Arbeiterschaft? Und wenn heute ein Deutschnationaler an meiner Stelle wäre, er käme um die Notwendigkeit nicht herum, Sozialdemokraten und auch unabhängige Sozialisten in die Verwaltung hineinzunehmen, oder aber er würde der Totengräber Preußens. (Sehr richtig! links) Sie erkennen das an — gut! Wenn aber von einem sozialdemokratischen Minister ein Sozialdemokrat als Landrat emannt wird, dann steht in der „Deutschen Tageszeitung“ oder in der „Post“: „Wieder einer!“ oder ‚Der Drang an die Futterkrippe!“ oder irgendeine andere geschmackvolle Bezeichnung. Wenn Sie da ein wenig besänftigend auf Ihre Presse einwirken würden, würden Sie viel zur Gesundung unserer politischen Sitten beitragen. (Ach! ach! bei den Sozial demokraten.)
Ich bin ganz einverstanden, wenn Herr Kollege Dr. Reineke meint, daß die geistigen Potenzen wieder zur Geltung kommen müßten, daß der Kopfarbeiter wieder gewürdigt werden müsse, der ja wohl in seinem Kurswert in den letzten zwei Jahren verloren habe. Ich glaube, in der organisierten Arbeiterschaft genießen die Kopfarbeiter, wenn sie sich in den Dienst der Allgemeinheit, der Volkssache stellen, die allerhöchste Wertschätzung. (Sehr richtig! links) Der Kult der schwieligen Faust wird in den Arbeiterparteien nicht mehr so vertreten, wie es noch in den neunziger Jahren der Fall
1
war. Wer Kunst und Wissenschaft verachtet, wird auch in der Ar.
beiterschaft verachtet (sehr richtig! links), und in dem ergreifenden Gedicht von Freiliggrath, in dem die Wertschätzung des Arbeiters. der schwieligen Faust erzählt wird, heißt es in Würdigung des geistigen Proletariats: doch auch dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn hungernd pflügt,
Sei nicht vergessen. — Also die geistigen Potenzen finden bei der Sozialdemokratie volle Anerkennung. Aber, meine Damen und Herren, Sie dürfen fol⸗ gendes nicht vergessen.
Es gibt eine ganze Anzahl von Verrichtungen, die von Beamten heute ausgeführt werden, die im Volksleben, im volkswirtschaftlichen Leben bei weitem nicht so wichtig sind wie die, die ein qualifizierter Handarbeiter leistet (sehr richtig)h, und ebenso, wie man dem Ar- beiter empfehlen soll, den Kult der schwieligen Faust zur Vergessen ⸗ heit zu bringen, ebenso sehr muß man aber auch den Beamten kategorien sagen, daß sie nicht in den Beamtendün kel verfallen sollen ssehr richtig), in den Dünkel, der den Mann mit der schwieligen Faust gering achtet. (Sehr richtig) Wir haben eine ganze Menge von Handarbeitern in den Maschinenfabriken, Werkzeugdreher, Werk⸗ zeugschlosser, die sicherlich manchmal in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung höher stehen als ein Regierungsrat oder ein vortragender Rat, das läßt sich nicht bestreiten. (Hört! Hört! und Sehr richtig! links. Die Arbeit, wo und an welcher Stelle sie geleistet wird, soll ihren Lohn und ihre Anerkennung finden, und der Arbeiter, der an irgendeinem Posten die allgemeine Befähigung für den Ver⸗ waltungsdienst mitbringt, soll auch in der Verwaltung berücksichtigt werden. Das ist ein Grundsatz, nach dem ich meine Amtsgeschäfte führen werde. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)
Nun ein paar Worte zur Polizei. Unsere Schutzpolizei hat heute den schwersten Dienst und eine große Verantwortung. Sie muß sich in ständiger Bereitschaft halten, sie dient zur Aufrecht⸗ erhaltung der allgemeinen Ruhe und Ordnung, heute weit mehr als das Reichsheer. Denn das Reichsheer wird in der Regel nur ein⸗ gesetzt, wenn der Ausnahmezustand proklamiert wird. Ich halte es deswegen für meine Pflicht, auch an dieser Stelle den Beamten unserer Polizei den Dank des Ministeriums für ihre Opferbereitschaft auszusprechen, die sie in den schweren Monaten dem Vaterland be⸗ wiesen haben. (Bravo)
Aber auch ich stimme Herrn Dr. Reineke zu, wenn er sagt, daß der Geist der Polizei heute nicht überall erfreulich ist. (Hört! Hört! rechts) Die Unzufriedenheit über die Verzögerung der Etatisierung ist in der Tat sehr groß. Ich richte deshalb an alle Parteien der Landesbersammlung die dringende Bitte, so weit es in ihren Kräften steht, die Etats der Polizei in den Ausschüssen so schnell wie möglich zu verabschieden. (Abgeordneter Rhiel Fulda): Die Vor⸗ lage fehlt noch) Nein, Herr Kollege, Sie haben schon über die Vorlage zu beraten. Wir sind allerdings in der Auseinander⸗ setzung mit dem Reich noch nicht ganz fertig. Wenn die Beamten sehen, daß sie in der nächsten Zeit etatisiert werden, daß sie Aussicht auf Anstellung haben, wenn sie wissen, daß in Zukunft auch für sie von Staats wegen gesorgt werden soll, dann ist mir um die Aufrechterhaltung der Disziplin in der Beamtenschaft nicht bange. (Zuruf im Zentrum: Bringen Sie den Spezialetath — Ich weiß nicht, ob wir weiter kommen, wenn wir uns gegenseitig solche Aufgaben zuschieben. Wenn ich diesen Etat, den Sie ver⸗ langen, bringe, den Spezialetat, dann haben wir erst die langwierige Auseinandersetzung mit dem Reich zu führen. Wenn nur erst ver⸗ abschiedet wird, was bei der Landesversammlung liegt, dann ist das der erste Schritt, um gute Zustände in der Sicherheitspolizei herbei⸗ zuführen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch auf die Zeitungsslimme eingehen, die Sie, Herr Kollege Reineke, gestern verlesen haben. In den Blättern der Ullstein-Presse und in der „Deutschen Zeitung“ stand nach dem 16. November ein Artikel, in dem es unter anderem hieß, daß ich die Absicht hätte, Preußen zu zerschlagen und vor der Volizeibeamtenschaft eine sozialdemokratische Wahlrede auf Kosten der übrigen Koalitionsparteien gehalten hätte. Alle diese Behauptungen sind erfunden. Ich habe vor der Polizeibeamtenschaft eine Erklärung dafür gegeben, daß sich die Etatisierung so lange verzögert hat. Ich habe ihnen gesagt, daß ich mit zwei Finanzministern, die in diesen Zietläuften nicht allzu freigebig sind, zu rechnen hätte, daß der Reichs. finanzminister und der preußische Finanzminister ihre Entschließung von gewissen Einrichtungen abhängig machten, die wir in der Sicher heitspolizei zu treffen hätten, daß diese Duplizität der Verwaltung die Arbeiten in dem Ministerium ungemein verzögere, daß weiterhin aber auch die Agitation der radikalen Parteien nicht dazu beitrage, eine schnelle Verabschiedung zu fördern. Ich wies dabei auf eine Rede hin, die kurz vorher Herr Kollege Ludwig an dieser Stelle gehalten hatte, in der er keinen Unterschied zwischen der Schutzpolizei und der Neichswehr machte. (Abg. Ludwig: Sehr richtig) — Das ist sehr unrichtig, Herr Kollege Ludwig! Die Sicherheitspolizei ist mit der Reichswehr alten und neuen Schlages nicht zu verwechseln. Wo sich Schäden zeigen, die den Verdacht aufkommen lassen, als ob die Polizei nicht ein Instrument in der Hand der verfassungsmäßigen Regierung ist, werden diese Schäden ausgemerzt. Das geschah nicht überall bei der Reichswehr. Insofern und aus anderen Gründen der Organisation hinkt also der Vergleich zwischen der Polizei und der Reichswehr. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten, Die Herren von den Rechtsradikalen — ich will damit keine Partei dieses Hauses bezeichnen, aber eine gewisse Richtung in der Presse — be⸗ zeichnen die Sicherheitspolizei als unzuverlässig, weil verschiedene Formationen von ihr — so schreibt man — mit linksradikalen Ele⸗ menten durchsetzt sind. Wenn das rechts und links von diesem Instrument der Staatsgewalt behauptet wird, kann man es, so sagte ich weiter, den Koalitionsparteien nicht verargen, wenn sie mit dop- pelter Sorgfalt alle die Vorlagen prüfen, die ihnen von der Staats regierung in Sachen der Polizei unterbreitet werden. Insofern habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß diese Agitation auch auf die Koalitionsparteien abfärbe. Die Koalition umfaßt bis heute auch noch die Sozialdemokratie, und wenn ich die Koalitionsparteien ohne jede Einschränkung nenne, habe ich damit auch die Herren von der Sozialdemolratischen Partei gemeint. Deswegen können Sie diese Ausführungen nicht als eine sozialdemokratische Wahlrede charakteri⸗ sie ren.
Auf die Beschuldigung der genannten Presse, daß ich Preußen zerschlagen wollte, gehe ich nicht ein. Mein Standpunkt in der Frage ist bekannt. Ich bin bemüht, die Disziplin in der Truppe unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, und schreite mit den schärfsten Mitteln, Entlassung und Auflösung ganzer Hundertschaflen, ein, wenn
J mir die Disziplin bei einzelnen Zügen oder genzen Hun dertschaften nicht gewahrt zu sein scheint. Ich bin auch der Meinung wie der Herr Kollege Dr. Reineke, daß ein Streikrecht den Beamten nicht zuge st an den werden kann. Wer von einem solchen Streik⸗ recht Gebrauch macht, darf sich nicht wundern, wenn der Minister ven dem Recht der Entlassung Gebrauch macht. In allen Fällen wird so verfahren werden. Das wäre noch schöner, wenn Beamte, die zum Schutze des Staates berufen sind, der Staatsautorität durch Streiks Schläge beibringen, von denen der Staat sich unmöglich er . holen kann. ;
Ich habe das Empfinden, daß ich angesichts der Geschäftslage des Hauses gut tue, alle polizeitechnischen Einzelheiten, die vielleicht in diesem Zusammenhange noch zu erörtern wären, aufspare, bis der Nachtragsetat uns vorliegt. Ich möchte daher nur dem Herrn Ab⸗ geordneten Hauschildt noch das eine sagen, daß mir von den Spitzel⸗ umtrieben, die in Elberfeld⸗Barmen gemeldet worden sind, nichts be⸗ kannt ist. Sobald die Untersuchung ergibt, daß Beamte der Schutz. polizei beteiligt sind, werden diese Beamten unnachsichtlich aus der Sicherheitspolizei entfernt werden. Auch da möchte ich auf Reinlich⸗ keit halten.
Und nun, meine Herren, der Selbstschu tz! Ich bin da zunächst dem Hause eine kleine geschichtliche Reminiszenz schuldig. Als im vorigen Jahre die Einwohnerwehren aufgestellt wurden, habe ich gleich die lebhaftesten Bedenken gegen diese Einrichtung geäußert. In Rheinland und Westfalen taugten sie absolut nichts. Sie waren nicht imstande, auch nur im entferntesten zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung beizutragen, wenn die Störung der Ruhe und Ordnung einen politischen Unterton, einen politischen Charakter hatte. Im
besten Falle halbierte sich dann eine solche Einwohnerwehr und hob
damit ihre Wirksamkeit auf. Im andern Falle, d. h. wenn sie einheit⸗ lich zusammengesetzt war, genoß sie in der Bebölkerung nicht das all⸗ gemeine Vertrauen, das sie befähigt erscheinen ließ, ein Instrumeni in der Hand der verfassungsmäßigen Regierung zu sein. Entweder setzten sich ihre Mitglieder vorzugsweise aus den rechtsgerichteten Parteien zusammen, dann war man auf der andern Seite sehr schnell mit der Bezeichnung „gegenrevolutionäre Verschwörer“ bei der Hand, oder es waren in der Mehrzahl Arbeiter in den Wehren organisiert, dann hieß es, daß diese Formationen Spartakistennester oder Sparta—⸗ kistenkompagnien seien. Ich habe deshalb bei allen zuständigen Stellen, nicht zuletzt bei meinem Herrn Amtsvorgänger, die lebhaftesten Ve⸗ denken gegen die Aufstellung der Einwohnerwehren geäußert und damals schon den Grundsatz vertreten, daß Waffen nur diejenigen führen sollten, die von Amts wegen dazu berufen sind. Die Richtig⸗ keit meiner Auffassung hat sich im Märzaufstand dieses Jahres in Rheinland⸗Westfalen und auch in anderen Bezirken Deutschlands zur Evidenz gezeigt. Die Einwohnerwehren versagten in den meisten Fällen, sie sind an einigen Stellen nur Flurschützen gewesen. Insoweit kann man ihnen ein gewisses Lob zollen. Aber die allgemeine Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, dazu haben die Wehren auch schon im vorigen Jahre nicht das geringste beigetragen.
Es kam dann zur Aufstellung der Arbeiter⸗ und Ortswehren nach dem Märzabkommen. , Ich streifte das schon eingangs meiner Ausführungen. Die Arbeiter⸗ und Ortswehren mußten zunächst von der Regierung geduldet werden, weil die Regierung selbst ihre Auf⸗ stellung zugefichert hatte. Als das Ententeverbot einljef, habe ich die Einwohnerwehren aufgelöst und habe es auch als meine Pflicht erachtet, die aufgestellten Arbeiter⸗ und Ortswehren aufzulösen. Ich folgerte, glaube ich, nicht mit Unrecht, daß es der Entente ja nicht auf Auflösung dieser ganz besonders bezeichneten Einwohner⸗ wehren ankam, sondern daß die Entente den größten Wert darauf legte, die Waffen aus den Händen der Zivilbevölkerung herauszu—⸗ bekommen. Da war es denn gleichgültig, ob diese Waffen in den Händen von Einwohnerwehrleuten oder von Arbeiter⸗ und Orts⸗ wehrleuten sich befanden. Es ist gelungen — ich wies schon darauf hin —, durch die Aktion der Reichsregierung eine Entwaffnung großen Stils vorzunehmen und die Aufstellung von Arbeiter- und Ortswehren hintanzuhalten. Eine allgemeine Entwaffnung in allen Teilen Deutschlands wurde von der Reichsregierung wegen einer unbe— hinderten Wahlbewegung unterlassen, aber schon im Mai bestand bei der Reichsregierung Uebereinstimmung darüber, daß nach der Wahlbewegung eine allgemeine Waffenrazzia auch in anderen Landes⸗ teilen Deutschlands einsetzen sollte. Dann kam im Juli das Diktat von Spaa, das dem Minister nun die erhöhte Pflicht auferlegte, wachsam zu sein gegenüber jedem Versuch, Privatpersonen und Privat⸗ vereinigungen entgegen dem Diktat von Spaa mit Waffen zu ver— sehen. Gerade in dieser Zeit wurden Versuche unternommen, Waffen zu verschieben, und besonders in ländliche Gegenden zu verschieben. In der Provinz Ostpreußen, in der Provinz Pommern, in der Provinz Brandenburg bildeten sich Waffenarsenale, die von früheren Offizieren der Reichswehr verwaltet wurden. Das Mißtrauen der Arbeiter wuchs, an den Minister gelangten Mitteilungen des Inhalts, daß, wenn nicht recht bald gegen diese Selbstschutzorganisationen einge⸗ schritten würde, auch die Arbeiterschaft von dem Recht des Selbst⸗ schutzes Gebrauch machen würde.
Angesichts dieser Situation habe ich erneut mich entschlossen, die Einwohnerwehren nicht nur erneut zu verbieten, sondern auch die sogenannten privaten Selbstschutzorganisationen aufzulösen, und das hat dann nun den bekannten Sturm gegen mich entfesselt. Meine Damen und Herren, ich bin kein Rechthaber, und wenn ich bei Nachprüfung meiner Maßnahmen zu dem Ergebnis kommen würde, daß etwas Uebereiltes beschlossen und angeordnet worden wäre, oder daß sich die Dinge doch in einer neuen Situation anders darstellen, als man ursprünglich angenommen hat, dann wäre ich gern bereit, auch eine Revision meiner eigenen Entschließungen eintreten zu lassen. Aber ich muß heute einige Monate nach der Auflösungsverfügung der privaten Selbstschutzorgan isationen — ich muß auch heute und gerade heute an dem Standpunkt festhalten, daß Selbstschutzorgani⸗ sationen in Preußen unter keinen Umständen zu dulden sind (sehr richtig! links) und daß ich mit all den Machtmitteln der Verwaltung gegen die Selbstschutzorganisationen vorgehen werde und daß ich lieber meinen Posten verlasse, als diesen Standpunkt aufgeben werde. (Abg. Dr. Lüdicke: Und wie wollen Sie die Bürger schühen? — Ja, Herr Kollege Lüdicke, gerade weil ich die Bürger schützen will, darum will ich keinen Selbstschutz. (Erneuter Zuruf rechts: Wie denn?) — Ich will die Bürger dadurch schützen, daß ich hoffentlich mit Ihrer Hilfe eine starke Polizeimacht für Preußen schaffe, die allein in der Lage ist, den Schutz für jeden Bürger zu übernehmen. (Zuruf rechts:
(Fortsetzung in der Zweiten Beilage)
Rr. 276.
Zweite Beilage un Deutschen Neichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger
Berlin, Sonnabend, den 4. Dezember
1620
—
Fortsetzung aus der Ersten Beilage)
Und Zirkus Busch, Grüneberg?) — Ach, wenn Sie nur den Zirkus Busch und Grüneberg immer heranziehen, dann wird auch diese Waffe bald stumpf. Sind denn früher unter dem alten Regime keine Aus⸗ schreitungen vorgekommen (sehr richtig! links, wo ein Heer von 060 000 Mann hinter jedem Polizisten stand? Je mehr Sie dem
Bürger einreden: Er ist nicht geschützt — — (Zurufe rechts: Einreden?
— Zurufe links) — Meine Damen und Herren, ich habe mit Vor— bedacht dieses Wort gewählt. Je mehr Sie sich und dem Bürger einreden, daß er ohne Schutz ist, einen desto schlechteren Dienst leisten Sie der Staatsautorität und der Staatsmacht. Der Staat, dem man stets bescheinigt, er sei ohnmächtig, den Bürger zu schützen, der Staat hat bei der Masse keinen Glauben, kein Vertrauen mehr. Zurufe rechts und Gegenrufe bei den Sozialdemokraten Meine Herren, ich gehe bei meiner Stellungnahme von der Vor—⸗ aussetzung aus, daß man den einen nicht gestatten darf, was man den anderen verboten hatte und verbieten mußte, und ich freue mich, dez diese Stellungnahme auch von Parteien allmählich anerkannt wit, die sich in dieser Frage bis in die letzten Wochen hinein zu nit nicht gerade freundlich gestellt haben. Ich wundere mich darüber, daß Herr Abg. Dr. Reineke eine abwartende Haltung in dieser Frage einnehmen wollte, während ein führendes Zentrumsblatt, die Kölnische Volkszeitung“, die mir sonst gar nicht wohl will, durchaus dem zustimmt, was ich in dieser Frage von jeher vertreten habe. In einem Artikel der „Kölnischen Volkszeitung“ vom 10. November heißt es:
Daß der Bauer nicht zum Opfer marodierender Banden werden will, und daß die Stadtbewohner in der Lage sein sollen, sich vor den verbrecherischen Instinkten dunkler Existenzen zu schützen und ihren etwaigen organisierten Angriffen eine organisierte Abwehr entgegenzusetzen, das ist ein ganz verständliches Empfinden. Daß ein solches Empfinden Platz greifen kann, daß die Vorbe⸗ dingungen dafür geschaffen sind, daß man den staatlichen Organen nicht die Fähigkeit zumutet, den Bürger zu schützen, darin liegt eine schwere Anklage gegen den Staat. Tatsächlich ist unser Staat nicht in der Lage, dem Bürger vollen Schutz zu gewähren. Aber ist das ein normaler Zustand? Gewiß nicht. Oder soll man sich etwa mit der Feststellung zufrieden geben, daß wir eben nicht in normalen Verhältnissen leben, und daß deshalb Normen, die sonst gültig sein mögen, zurzeit keine Geltung haben? Wer sich damit begnügen, wer nicht als Ziel die allgemeine Entwaffnung aufstellen und grundsätzlich den bewaffneten organisierten Selbst⸗ schut ablehnen wollte, der würde damit den latenten Bürgerkrieg poklamieren. Man kann nicht zu gleicher Zeit für allgemeine Entwaffnung eintreten und dann bestimmten, nichtstaatlichen Orga⸗ nisationen das Recht des Waffentragens einräumen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten Wer den roten Terror bekämpfen will, der stärke die staatliche Gewalt, auch und gerade soweit sie in mili⸗ tärischen und polizeilichen Machtmitteln zum Ausdruck kommt.
Das ist der Standpunkt, den ich, wie gesagt, von jeher eingenommen hebe. Ich freue mich, daß sich die Herren von der Zentrumspartei allmählich auch zu dieser Auffassung bekehren. Ich lebe sogar der Hoffnung, daß die Herren von der Deutschnationalen Volkspartei nach den Wahlen selbst zu der Auffassung gelangen, daß dieser sogenannte prixLate Selbstschutz kein Selbstschutz ist, sondern für diejenitzen, die sich selbst schützen wollen, die größten Gefahren in sich birgt. Ver—⸗ setzen Sie sich in die Lage, vergegenwärtigen Sie sich das Bild, das ich Ihnen gestern ausmalte. Stellen Sie sich vor, daß in Industrie⸗ städten Tausende von Arbeitern bewaffnet wären, daß dann einmal Kartoffelmangel in einer solchen Industriestadt eintreten würde, daß irgendein aufgeregter Mensch die Parole ausgibt: Aufs Land! — stellen Sie sich vor, daß dann bewaffnete Banden mit Flinten aufs Land gehen, — glauben Sie, daß Sie mit Ihren wenigen Waffen dann in der Lage sein würden, einer solchen Rotte von zerzweifelten Menschen Widerstand zu leisten? (Sehr richtig! bei den Sozialdemo⸗ kalen. — Zuruf des Abg. Dr. von Richter 1Hannover!) — Gegen dese bewaffneten Scharen schützen Sie sich doch nicht, Herr Abg. Dr. von Richter. (Abg. Klausner [Storkow]: Unsinn, die stehlen ja seber, die da aufgestellt sindꝰ) Ich möchte den Herren von der Deutschnationalen Volkspartei die dringende Empfehlung auf den Weg geben, nach ihren Kräften dafür zu sorgen, daß ein Abbau der Lebens— mittelpreise eintritt. Sehr richtig) Das ist, glaube ich, das beste Rezept zur Beruhigung unseres ganzen Volkes.
Im hungernden Magen Eingang finden
Suppenlogik mit Knödelgründen
Und Argumente von Rinderbraten
Vermischt mit Göttinger Wurstzitaten! Was Heinrich Heine da vor etwa 80 Jahren sang, ist heute ganz besonders zutreffend. Wenn alle Karioffeln, die in den ost· preußischen Mieten liegen, in Rhein land⸗Westfalen wären, dann hätte sich mein Ressort in den letzlen Tagen nicht zu sorgen brauchen, daß Syndikalisten Und Kommunisten die Bergarbeiter in einen geuen Streik hineinzuziehen sich bemühen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemo⸗ traten) . Und nun, meine Damen und Herren, bin ich zweifelhaft, soll ich Ihnen noch Material zustellen? Soll ich Ihnen jetzt, nachdem ich Sie anderhalb Stunden ermüdet habe (sehr richtig! rechts), das einschlägige Matera über die Orge sch vortregen? Ich bin gern bereit. es auf den Tisch des Hauses niederzulegen. Wenn ich darauf ein⸗ gehen wollte, so würde daraus hervorgehen, daß nicht jetzt erst, wie behauptet worden ist, sondern bereits im Mai, im Juni und im Juli Versuche unternommen worden sind, verbotene Oxsganisationen auf · recht zu erhalten und mit Waffen zu versehen. (dört, hört! links.) Die Zweige dieser Organisationen beschränken sich nicht auf eine Provinz. Die Organisationen hatten nicht allein in Brandenburg
Filialen, sondern auch in Ponrmern, in Ostpreußen, in Schlesien,
neuerdings auch in Rheinland und Westfalen (Zuruf: Und in Schleswig Holstein ) und in Schleswig-Holstein. Ich will keine Pro⸗ vinz auslassen, wenn ich sie auch nicht nenne. Ich mochte daran er⸗ innern, daß der Qberpräsident Hörsing ein weitverzweigtes Netz auch
in der Provinz Sachsen schon im August festgestellt hat. Jede Provinz ist mit einem solchen Netz überzogen.
Ich bin weit entfernt, die Organisativn Escherich etwa zu über⸗ schätzen. Ich glaube nicht an die Großsprechereien des Brandenburger Landbundes, ich lasse mich nicht ins Bockshorn jagen von den Droh⸗ briefen, die ich von verschiedenen Stellen bekomme, die mir einen Tod durch Aufhängen oder Erschießen androhen. (Hört! hört! links. Abe—⸗ das Beispiel darf der Staat nicht dulden. Wenn der Staat zusehen würde, daß sich Organisationen der Rechtsparteien verbotswidrig auf⸗ stellen, dann ist er nicht in der Lage, gegen kommunistische Verschwö⸗ rungen vorzugehen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten) Wie haben Ihre Preßorgane vor einigen Monaten gehetzt, als die Weißen⸗ seer kommunistische Verschwörung aufgedeckt wurde. Welche Vorwürfe hat mein Ministerium damals zu hören bekommen, daß es nicht früh⸗ zeitig in dieses Wespennest gegriffen hätte. Aber was ist es denn anders, was die geheime Rechtsorganisation z. B. die Kompagnie des Hauptmanns Bostelmann unternimmt? Zuruf bei den unab— hängigen Sozialdemokraten. — Ich bin nicht in der Lage, zu prüfen, ob in Weißensee alles Spitzel waren. Ich bin überzeugt, Spitzel gibt es links und gibt es rechts. Das Pharisäertum ist ekelhaft in jeder Form; und wenn irgendeine Partei glaubt, von solchen üblen Elementen frei zu sein, dann i st das ein Stückchen Pharisäertum. Auf der Linken gibt es solche Subjekte wie auf der Rechten, und ich glaube, daß auch bei diesen jüngsten Machenschaften Spitzel ihre Hand im Spiele gehabt haben. — Aber es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Notwehrregiment Bostelmann, von dem der Herr Abg. Lüdicke gesprochen hat, das mit dem 30. Juni aufgelöst sein sollte, noch in den letzten Junitagen Leute gesucht hat, die in der Lage seien, Maschinengewehre zu bedienen. (Hört, hört! links) Ein Zeitfreiwilligenregiment, das die Auflösungs— order schon seit Mai in der Hand hat, braucht doch in den letzten Junitagen keine Maschinenschützen mehr.
Ferner ist aktenmäßig festgestellt, daß in verschiedenen kleineren Städten der Provinz Brandenburg durch ehemalige Offiziere der Reichswehr den Arbeitsgemeinschaften, die den Grundstock der Orgesch bilden sollen, Waffen zugeführt worden sind. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß in der Provinz Ostpreußen jeder einzelne Mann dieser Organisationen genaue Anweisungen über die Hand— habung der Geräte und Waffen bekommen hat. Das Bezeichnendste ist, daß dieser Ostpreußische Selbstschutz seine Mitglieder Schützen nennt. „Mit dem Pfeil, dem Bogen“ haben diese Schützen doch nicht nur geschossen (Heiterkeith; da waren doch andere Dinge im Spiel, wie die verschiedenen Waffenfunde bewiesen haben. (Abg. von der Osten: Wollen Sie Ostpreußen den Bolschewisten über liefern? — Lachen und Zurufe links) — Nein, meine Herren! Herr von der Osten, wenn wir frei wären in unseren Entschließungen, wenn die Entente uns das Diktat von Spaa nicht auferlegt hatte, nicht das Diktat der Auflösung der Einwohnerwehren, dann würde ich gern bereit sein, vielleicht zivile Landwehren aufzustellen unter Beteiligung aller politischen Parteien und aller Erwerbsstände, und diese zivilen Landwehrformationen unter den Befehl und die Kontrolle der ordentlichen Behörden stellen. (Sehr gut! Dem steht heute noch eine Kleinigkeit, nämlich der Widerstand der Entente, ent— gegen. Ist er überwunden — und ich bemühe mich, diesen Wider stand zu überwinden, ich bin in dieser Beziehung an den Herrn Reichsminister des Aeußern herangetreten, er möge den Versuch vnternehmen, daß dieses Diktat von Spaa abgeändert wird — wird dieser Widerstand überwunden, dann bin ich gern bereit, in Preußen solche Organisationen ins Leben zu rufen, wenn wir nicht die Mittel haben oder nicht die Genehmigung dazu bekommen, unsere Polizei über die Ziffer von 5 000 Mann zu erhöhen. Aber das wollen ja die Herren in Ostpreußen nicht, die wollen sich ja nicht dem Ober⸗ präsidenten zur Verfügung stellen. Herr Graf Kanitz, Sie wissen ja Bescheid. Wir waren im August in Allenstein. (Abg. von der Osten: Es ist geschehen, sie haben sich dem Oberpräsidenten zur Verfügung gestellt und stehen unter seiner Führung) — Die ostpreußischen Selbstschutzorganisationen haben sich in einer Phase der Unter⸗ handlungen allerdings bereit erklärt, sich der Kontrolle des Ober präsidenten zu unterwerfen. (Abg. von der Osten: Hört, hört!) Sie haben sich recht bald dieser Kontrolle wieder entzogen (sehr richtig! links. — Widerspruch rechts), und erst in den letzten Tagen sind wieder Annäherungsversuche unternommen (erneuter Widerspruch rechts, weil die Herren wahrscheinlich dessen inne werden, daß die preußischen Behörden in dem Verbot der Orgesch und ahnlicher anderer Organisationen nicht nachlassen. (3urufe rechts: Sie sind ganz unorientiert) — Aber Herr Graf Kanitz, Sie wissen sehr genau, daß einige Ihrer Gesinnungsfreunde sich bei den Verhand⸗ lungen in Allenstein ostentativ geweigert haben, die Waffen abzu⸗ geben und sich unter die Kontrolle des Oberpräsidenten zu stellen (hört, hört! links), und daß es einer späteren Verhandlung vorbe⸗ halten blieb, eine Einigung dieser widerstrebenden Interessen und Willensmeinungen herbeizuführen. Ich will der Obieltivitãt wegen gern angeben, daß Herr Graf Kanitz in Person sich bemüht hat, damals schon ein Einlenken dieser obstinaten Organisationen zu bewirken; aber ich muß auch hinzufügen: seine Bemühungen sind in der Verhandlung, der ich beigewohnt habe, ohne Erfolg geblieben.
Also meine Herren, dieses Material, mit dessen Einzelheiten ich Sie nicht langweilen will, ist so gravierend für,. die Staatsgefhr · lichkeit der Organisationgn, daß ich den Standpunkt, den ich in dieser Frage eingenommen habe, nicht ändern kann. Indes bin ich Ihnen noch eine Erklärung schuldig über die Kontroverse, die ich einmal — scheinbar allerdings nur — mit dem Herrn Justiaminister gehabt habe. Es ist ja deswegen auch eine große Anfrage der Herren von der deutschnationalen Volkspartei eingebracht worden. Der Herr Justizminister hat, veranlaßt durch einen Vertreter des Herrn Ministerpräsidenten, ein Rechtsgutachten über das Verbot abgegeben und ist dabei auf Grund des ihm vorliegenden spärlichen Naterials zu der Auffassung gelangt, daß sich die Organisationen, die ich ver⸗ boten hatte, keine polizeilichen Befugnisse anmaßten, daß sie nicht bewaffnet seien, und daß deswegen ein Einschreiten auf Grund gesetz⸗ licher Bestimmungen wohl kaum in Frage komme. Ich sage noch
einmal: auf Grund des ihm vorliegenden spärlichen Materials. Das Ersuchen des Herrn Justizministers, das Material ihm zu über- senden, ist eingegangen zu einer Zeit, wo ich nicht in Berlin war. Der Herr Justizminister hätte sich zudem bei seinem Gutachten auf ein Gutachten stützen können, das von einem meiner Referenten gegen mich erstatte war. (Lebhaftes Hört, hört! links) Ich bin da ganz offen, meine Herren. Sie wollen daraus ersehen, daß ich ganz tolerant bin auch gegen die Beamten meines Ministeriums, die nicht in allen Dingen mit mir übereinstimmen. Das ist hier kürzlich von der Tribüne dieses Hauses aus bestritten worden.
Dann wurde das Gutachten des Justizministers veröffentlicht, das Gutachten, das zu einer Verneinung der Frage kam, ob nach dem geltenden Recht gegen diese privaten Selbstschutz⸗= organisationen einzuschreiten sei. In den Tagen, als es veröffentlicht wurde, wirkte es wie eine Sprengbombe. Ich bekam Nachrichten aus Schlesien, Schleswig⸗Holstein, aus Hannover und aus der Provinz Sachsen, daß nun die Arbeiterschaft nicht mehr zögern dürfe und selbst Organisationen zu dem gleichen Zweck cufstellen müsse, einen Selbstschutz gegen reaktionäre Anschläge der Orgesch und der anderen Organisationen herbeizuführen. (Sehr richtig! links.) Da galt es handeln; da konnte ich mich nicht erst auf Er— örterungen einlassen. Da mußte der Oeffentlichkeit wieder bekannt werden, daß der Innenminister als Polizeiminister nach wie vor auf dem Standpunkt stand, den ich heute wiederholt hier skizziert habe, und so ist dann der zweite Erlaß an die Oberpräsidenten heraus⸗ gegeben und veröffentlicht worden.
Wenn man mir den Vorwurf gemacht hat, daß ich die Frage nicht als Staatsminister, sondern als Ressortminister zur Regelung brachte, so darf ich darauf erwidern, daß ich in dem Augenblick, als ich zur Stellungnahme gezwungen war, meines Wissens der einzige Minister in Berlin war, meine Kollegen zur Beratschlagung nicht einladen und demgemäß dem Staatsministerium die ganze Sachlage nicht unterbreiten konnte. Später haben wir uns aber im Staats—⸗ ministerium über die Dinge auseinandergesetzt. Es sind nach wie vor vom Herrn Kollegen am Zehnhoff gewichtige Bedenken gegen einzelne Bestimmungen in dem zweiten Erlaß erhoben worden. Es ist in Zweifel gezogen worden, ob die angezogenen Paragraphen von den Gerichten als stichhaltig anerkannt würden. Diese einzelnen Para⸗ graphen gebe ich ohne weiteres preis, darauf kommt es mir gar nicht an. Es kommt mir darauf an, daß wir über den trüben, gefahr⸗ drohenden Winter hinüberkommen, daß wir nicht Ihr böses Beispiel den linksgerichteten Elementen in unserem Volke geben. Mir kommt es darauf an, daß wir nicht ein waffenstarrendes Volk schaffen, bei dem irgend ein kleiner Zufall genügt, um die Dinge zur Eypplosion zu bringen. (Sehr richtig! links) Denn bei dem Wettrüsten im In⸗ land ist es so wie früher beim internationalen Wettrüsten; da genügt die eine Flinte, die losgeht, und alles steht in hellen Flammen. Ich verdiente nicht an der Stelle zu stehen, die ich heute vertrete, wenn ich anders handeln würde, und ich denke nicht daran, anders zu handeln. Wenn die Gerichte zu einer anderen Auffassung ge⸗ langen, dann würde ich das sehr bedauern. Guruf rechts: — Aber?) — Aber, wenn auch mal ein Spitzbube wegen Mangels an Beweisen freigesprochen wird —, die Polizei faßt die andern Spitzbuben doch lsehr richtig! links), und wenn der eine auch freigesprochen wird, die Haltung des Innenministers bleibt dieselbe! (Bravo! links. — Zu— rufe rechts) — Höher als die Achtung vor vermeintlichen Rechts grundsätzen steht mir die Achtung vor dem Wohl des deutschen und des preußischen Volkes (Bravo! links), und solange ich dieses Wohl bedroht sehe, und solange ich nach pflichtmäßigem Ermessen diese Bedrohung durch entsprechende praktische Maßnahmen abwenden kann, werde ich diese Maßnahmen in Anwendung bringen. (Lebhafter Bei⸗ fall links. — Zurufe rechts) — Ich freue mich, daß auf Ihrer Seite jetzt so energische und so zielklare Verfechter der verfassungsmäaßigen Rechte des preußischen Staatsbürgers stehen. Wäre diese Wach⸗ samkeit nur früher da gewesen! (Sehr gut! links) Ich könnte auch als Person ein Liedchen davon singen, wie mir gegenüber die ver⸗ fassungsmäßigen Rechte des preußischen Staatsbürgers früher gewahrt worden sind.
Die Frage des Selbstschutzes ist im Augenblick nach meinem Dafürhalten eine der wichtigsten innewolitischen Fragen. Sie kann nur gelöst werden, wenn alle, die es mit dem preußischen Volke gut meinen, und guten Willens sind, zusammenzustehen, wenn politische Leidenschaften und Parteidoktrinen zurücktreten hinter die gemein⸗ samen Interessen des Staates. Dazu biete ich die Hand. Ich habe Ihnen gesagt, wie ich einen besseren Schutz herbeiführen will. Ich bin gern bereit, ihn heranzuholen dadurch, daß ich auch bei den Reichsstellen vorstellig werde, um die Entente zu veranlassen, uns einen solchen Schutz zuzubilligen. Aber illegal uns den Schutz zu nehmen, um dadurch einerseits Repressalien herbeizuführen, und andererseits andersgerichteten Parteien das Beispiel zu geben, sich auch zu bewaffnen, das würde eine solche Gefahr für Preußen herauf⸗ beschwören, daß kein Minister die Größe dieser Gefahr vor dem Hause und vor dem Volke verantworten kann.
Auf Ausführungen des Abg. Dr. von Richter (D. Volksp.) entgegnete der Minister des Innern Severing: .
Minister des Innern Severing: Ich danke Herrn von Richter für die überaus freundliche Perspektive, die er mir soeben qestellt hat. Ich kann ihm versprechen, in Anerkennung für das, was er mir an Zukunftshoffnungen erweckte, daß ich seine Erwartungen voll erfüllen werde. Ich werde mein Amt nie als Parteiminister auffassen, sondem als Staatsminister. Aber, Herr von Richter, unsere Anschauungen darüber gehen leider auseinander. Ich habe Ihnen — allerdings muß ich hinzufügen: vergeblich — klarzumachen versucht, daß, wenn ich in den letzten Monaten genötigt war, die sogenannte starke Hand nach rechts zu zeigen, ich früher mit derselben Entschiedenheit bei ähnlichen Erscheinungen gegen links habe vorgehen müssen, wobei ich recht oft den Widerspruch meiner engeren politischen Freunde erfuhr. Auch dieser Widerspruch hat mich nicht abgehalten, das zu tun, was ich glaubte dem Lande und einer gedeihlichen Fortentwicklung unserer Wirtschaft schuldig zu sein — ich kann das gar nicht oft genug wieder⸗