1921 / 99 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 29 Apr 1921 18:00:01 GMT) scan diff

Friedensvertrag ergeben; sie sieht ebensowenig einen Grund, dem zufolge die Mächte der deutschen Regierung die Garantie geben sollten, welche diese fordert, da nichts in den tatsächlichen Um⸗ ständen die Befürchtungen rechtfertigt, die die Regierung äußert. (Dört, hörth Und dann wird nochmals erklärt, man rechne auf die baldige Ablieferung der Lokomotiven.

Ich weiß nicht auf Grund welcher Kontrolle die alliierten Bot— schafter diese autoritative Feststellung über die Absichten und Maß⸗ nahmen Polens abgegeben haben. Sicherlich haben die alliierten Mächte, wenn auch keine internationale Kontrollkommission in Polen fungiert, trotzdem dort zahlreiche Mittel und Wege zur Kontrolle. Aber sehr sorgfältige Erkundigungen, die wir eingezogen haben, stimmen mit der Darstellung der Botschafterkonferenz keineswegs überein. (Lebhafte Rufe: Hört, hört) Die Behauptung, daß nur ein Drittel der polnischen Armee an den deutschen Grenzen stände, trifft unseres Erachtens nicht zu. Die polnische Armee zählt zurzeit im ganzen 25 Infanteriedivisionen und 10 Kavalleriebrigaden. Von diesen befinden sich zurzeit gegenüber den deutschen Grenzen oder in ihrer unmittelbaren Nähe weit mehr als die Hälfte, nämlich 16 Infanteriedivisionen und 2 Kavalleriebrigaden. (Hört! hört!) Ich könnte Ihnen die einzelnen Nummern nennen, ich will sie aber damit nicht aufhalten. Hierzu kommen noch irreguläre Formationen im Raume Czenstochau Bendzin in Divisionsstärke und Grenzschutztruppen in Stärke von mindestens 10 Bataillonen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß der englische Kriegsminister im Parlament, als er die Zahl der polnischen Truppen auf 600 000 Mann angab, die Schutzformationen der Be— völkerung noch außerdem ih Rechnung stellte. (Hört! hört!) Sie kommen also noch hinzu. In dem ganzen Gebiet öftlich der Weichsel befindet sich, abgesehen von den unmittelbar an der Front gegen Rußland und Litauen stehenden geringen Kräften, nur eine Division bei Lemberg, während hinter der Front gegen Deutschland im Raume Kalisch—-Warschau 5 Divisionen liegen. Offenbar dient die Versammlung so starker Kräfte im westlichen Grenz⸗ gebiet Polens lediglich dem Zweck, in diesem Raume eine mäglichst kräftige Reservegruppe bereit zu halten.

Wenn die Note des Botschafterrats feststellt, daß seit Beginn des Jahres 1921 die allgemeine Verteilung der polnischen Kräfte an den deutschen Grenzen keine wesentliche Veränderung erfahren habe, so ist allerdings auch bei uns bekannt, daß die bedeutendsten Veränderungen schon vor dem 1. Januar 1921 vollzogen waren. Es ist aber irre—⸗ führend, zu sagen, die allgemeine Verteilung der polnischen Kräfte an den deutschen Grenzen habe seit Beginn des Jahres 1921 keine wesentliche Veränderung erfahren.

Seit Beginn des Jahres 1921 wurden nach sehr zuverlässigen Informationen, die wir eingezogen haben, in Westpreußen bereit ge⸗ stellt die sibirische Division, aus der sibirischen Brigade entstanden; in der Provinz Posen die 23. Division, aus der 7. Reservebrigade entstanden; im Bezirk Warschau die 22. Division, die aus Ersatz⸗ truppon begründet ist. Neu trafen an der Front gegen Rußland ein: an der ostpreußischen Grenze die 20. Division im Januar, die 9. Kavpalleriebrigade im April; im Raume Warschau die 8. Division, im Januar und Februar; im Raume Lodz die 11. Division im Januar, die 10. Division im März.

Von einer tatsaͤchlichen Demobilmachung der polnischen Armee kann endlich trotz der bereits vorgenommenen Entlassungen in Wahr⸗ heit unseres Erachtens keine Rede sein. Allerdings, Ende Dezember 1920 und Anfang Januar 1921 sind fünf Jahrgänge, nämlich die Jahrgänge von 1890 bis 1895 in Stärke von etwa 200 000 Mann zwar nicht entlassen, aber fristlos beurlaubt worden. Hierbei handelt es sich aber doch meist um alte Leute, die sich zum größten Teil nicht in den Fronttruppenteilen, sondern bei den Ersatztruppenteilen befand, und die Stärke der Frontarmee wird dadurch nicht berührt. Die unter die Fahnen berufenen Jahrgänge von 1896 bis 1900 genügen, um die Frontarmee auf dem Kriegsfuß zu erhalten. Eine Verstärkung der Armee trat am 18. März dadurch ein, daß der Jahrgang 1901 an diesem Tage zu einer 14 tägigen Uebung eingezogen worden ist. Nach Ablauf der Frist ist, sopiel wir wissen, dieser Jahrgang nicht entlassen worden (Hört! hört! Nun hat zwar das polnische Kriegsministerium Anfang April die Beurlaubung des Jahrgangs 1896 und derjenigen Infan⸗ teristen der Jahrgänge 1897 und 1898 verfügt, die bereits länger als zwei Jahre dienten; aber merkwürdigerweise ist diese weitere Ent⸗ lassungsverfügung am 5. April für die Bezirke Krakau und Posen widerrufen worden, also gerade für die Bezirke, in denen sich starke Teile der polnischen Armee gegenüber der deutschen Grenze befinden. Deswegen werden wir kaum von einem Fortgang der Demobil⸗ machung sprechen können, umsomehr, als sich unseres Wissens die Demobilmachung bisher auf die Abgabe von Pferden, Fahrzeugen usw. überhaupt noch nicht erstreckt hat.

Meine Damen und Herren! Ich bin weit davon entfernt, daraus schließen zu wollen, daß Polen feindliche Absichten gegen uns hätte. Ich will nur feststellen, daß diese ganze Haltung außer⸗ ordentlich geeignet ist, bei der deutschen Bevölkerung die Furcht vor feindlichen Absichten zu erregen. Und das ist klar: eine einmal in Erregung gekommene Bevölkerung, der gegenüber dann Gewalt maßnahmen vorgenommen werden und in letzter Zeit sind leider wieder Grenzübergriffe vorgekommen —, ist jeden Moment in der Gefahr, loszubrennen, wie eine Pulverladung losbrennt, an die man die Lunte legt. Das muß vermieden werden, und was die Regierung getan hat, ist nichts weiter, als zu verhindern, daß solche Unbesonnenheiten geschehen, daß sich die deutsche Bevölkerung ohne Leitung in einen gefährlichen Krieg hineintreiben läßt und dadurch in die Lage kommt, einfach als Franktireurs erschossen zu werden. Das muß man unbedingt verhindern. Jedenfalls aber sollte sich jeder, der solche Gefahren heraufbeschwört, gesagt sein lassen, daß er damit eine grohe Verantwortung auf sich lätt.

Ich glaube, wir haben mit Polen ganz andere Wege zu be— schreiten, nämlich die Wege der Verhandlungen und der friedlichen BVerständigung. Auf diesen Wegen sind wir schon recht weit vorwärtegekemmen. Mtr sind mit Polen in Verhandlungen über eine ganze Anzahl von Verträgen. In den nächsten Tagen wird dem hohen Hause ein Vertrag zur Genehmigung vorgelegt werden, der eine Ergänzung zu dem im Jahre 1919 abgeschlofsenen Amnestie⸗ vewrag bildet. Dieser Vertrag ist am 12. Februar von Ver⸗ tretern der deutschen und der polnischen Regierung gezeichnet worden. Der Zweck soll sein, alle Personen, die wegen politischer Verbrechen und Vergehen in beiden Ländern in Verfolgung stehen, zu amnestieren für das, was sie in den beiden Ländern zugunsten des einen oder des anderen oder zugunsten eines dritten

? Landes bis zum 30. Dezember begangen haben. Das wird wesentlich zur Entspannung der gereizten Stimmung beitragen.

Am 21. Januar ist in Paris der sogenannte Korridorvertrag ge⸗ zeichnet worden über den Verkehr nach Ostpreußen. Damit ist eine der wichtigsten Fragen für die beiderseitigen Beziehungen in zufrieden⸗ stellender Weise gelöst worden. Der Vertrag wird ebenfalls binnen kurzem dem hohen Hause zur Genehmigung vorgelegt werden.

Weitere Verhandlungen mit Polen sind im Gange. In Posen sind in diesen Tagen Vorbesprechungen über die Regelung des Ortionsrechts der beiderseitigen Staatsangehörigen beendet worden. Wir hoffen auf einen gerechten und billigen Optionsvertrag. Am 25. d. M. sind über eine Anzahl noch der Regelung harrender Fragen die in Paris schon begonnenen Verhandlungen wieder aufgenommen worden. Gleichzeitig sollten zwischen Vertretern der beiderseitigen Verkehrsministerien am 26. d. M. in Warschau Verhandlungen über ein Provisorium wegen der vpraktischen Durchführung der Bestimmungen des Ver—⸗ trags über den Verkehr nach Ostpreußen aufgenommen werden. Das ist außerordentlich wichtig, weil gerade die Hemmnisse beim Verkehr durch den Korridor zu großen Mißhelligkeiten Anlaß gegeben haben. Zweck der Verhandlungen ist also, schon vor dem Inkraft⸗ treten des Verkehrsabkommens deren wesentliche Bestimmungen für den Eisenbahnverkehr wirksam zu machen. Wie wir hoffen, werden diese auf den verschiedensten Gebieten eingeleiteten und teilweise schon zum Abschluß gebrachten Verhandlungen dahin führen, daß nunmehr auch die übrigen zwischen Deutschland und Polen noch schwebenden Fragen, die bisher noch nicht geregelt werden konnten, einer gedeih⸗ lichen Lösnng entgegenzuführen sind. Dazu gehört besonders das allgemeine Wirtschaftsabkommen, das für beide Seiten erwünscht ist, und das Abkommen über Oberschlesien, das doch einmal in dieser oder jener Form zwischen Deutschland und Polen geschlossen werden muß. (

Ich bin von den Herren im Hause gefragt worden, was die deutsche Regierung tut, um Oberschlesien für Deutschland zu retten.

zu beantworten ist. Wenn ich Ihnen alles das sagen wollte, was in der letzten Zeit für Oberschlesien getan worden ist, dann würde ich manche Chance aus der Hand geben, die wir noch haben, um Oberschlesien zu retten, und zwar das ganze Oberschlesien; denn es gibt für mich gar keine Frage, daß Oberschlesien ein einheitliches Gebiet ist, dessen Trennung, wie auch immer sie vorgenommen werden mag, den Interessen nicht nur Deutsch⸗ lands, nicht nur der Bevölkerung Oberschlesiens, sondern auch Polens und ganz Europas schnurstracks zuwiderlaufen würde. (Sehr richtig! Selbst die Leute in Oberschlesien, die bei der Abstimmung für Polen optiert haben, wollen nicht, daß Oberschlesien geteilt wird. Sie haben für Polen ovtiert mit dem Gedanken, daß sie Oberschlesien zu Polen brächten. Wenn sie aber nun sehen, daß sie das nicht durchgesetzt haben, so gibt es sehr viele unter ihnen, die sagen: Dann wollen wir lieber, daß Oberschlesien bei Deutschland bleibt, als daß es geteilt wird! Und darauf muß auch unser Streben gerichtet sein.

Meine Damen und Herren! Wer es darauf abstellt, zwischen Polen und uns nicht friedliche Verhandlungen, sondern gewaltsame Auseinandersetzungen auf irgendeine Weise herbeizuführen, der rollt das ganze Ostproblem auf lsehr richtig! bei den D. Dem.), darüber besteht kein Zweifel, und was das für Deutschland, für Europa be⸗ deuten würde, muß man sich klar machen. Ich kann da manches unterschreiben, was in der interessanten Rede des Herrn Abg. Fröhlich gestern gesagt worden ist, und möchte bei der Gelegenheit einen Blick auf die Ostprobleme werfen, weil auch darüber teilweise vom Herrn Abg. Hoetzsch, teilweise von anderer Seite Fragen an mich gerichtet worden sind.

Zunächst will ich kurz bemerken, daß wir mit sämtlichen anderen Randstaaten, mit Estland, Lettland, Litauen in den letzten Wochen in erfreulichem Gedankenaustausch steben, der bald zu Verhandlungen in Berlin und Riga führen dürfte, in denen die noch bestehenden Schwierigkeiten geklärt werden sollen. Unsere freundnachbarlichen Beziehungen pflegen wir in verständnisvoller Weise, und wir werden uns auf ein günstiges Ergebnis der Verhandlungen verlassen können, die demnächst eintreten werden.

Nun ist mir geraten worden, unsere Beziehungen zu Ruß⸗ land schroff nach den Lehren des letzten kommunistischen Aufstands zu regeln, und der Herr Abg. Hötzsch hat mich gefragt, was geschehen sei, um die Erfahrungen auszuwerten, die man bei dem Kommunisten⸗ aufstand gemacht habe. Meine Damen und Herren! Auch die Reichs⸗ regierung hat aufmerksam und nicht ohne Besorgnis diese Nach⸗ richten verfolgt, die eine Beeinflussung der kommunistischen Aufstands, bewegungen durch Sowjetrußland behaupten. Sie hat sich pflicht⸗ gemäß bemüht, den Angaben durch Nachprüfung des Materials auf den Grund zu gehen. Wie dem hohen Hause durch frühere Fest⸗ stellungen und neue Tatsachen bekannt ist, besteht zweifellos ein Zufammenhang zwischen der kommunistischen Partei Deutschlands und der Zentrale der kommunistischen Partei Rußlands (hört, hört! rechts), und es wäre ganz zwecklos, das leugnen zu wollen. Ein schlüssiger Beweis dafür aber, daß die Sowjetregierung die kommu⸗ nistischen Aufstandsbewegungen in Deutschland beeinflußt hat, ist keineswegs geführt worden, derartiges Material liegt uns nicht vor. Wenn es sich vorlegen ließe, würden wir zweifellos die Konsequenzen daraus zieben, und ich mache darauf aufmerksam, daß gerade die Ver⸗ handlungen, die wir mit Rußland führen, darauf hinausgehen, eine strenge Scheidung zwischen Mitgliedern der russischen Agentur und rufsischen Privatpersonen eintreten zu lassen, sodaß wir klar erkennen können, was Aktion der Sowjetregierung ist und was unverantwortliche Aktion von Mitgliedern der russischen kommunistischen Partei.

Es ist schon auf die Anfrage des Abg. Kunert geantwortet worden, daß die Besprechungen zwischen dem hiesigen Sowjetvertreter Kopp und dem Bevollmächtigten der deutschen Regierung über den Ausbau des Kriegsgefangenenabkommens sowie über den Ausbau der gegenseitigen Vertretungen Ende März zu einem Einverständnis und zu einem Vertragsentwurf geführt haben. Dieser Vertragsentwurf ist mit den zuständigen Ressorts beraten worden und das Ergebnis dem Volkskommissariat des Auswärtigen in Moskau mit unseren Be⸗ merkungen übermittelt worden. Die rufsische Regierung hat ihren Bevollmächtigten, den bisherigen Gesandten in Tiflis, Herrn Schein⸗ mann, mit einem Gegenvorschlag, dessen Inhalt wir noch nicht kennen, nach Berlin gesandt. Herr Scheinmann ist gestern abend hier eingetroffen. Es wird von dem Inhalt des russischen Gegen— vorschlags abhängen, ob die Verhandlungen der beiderseitigen Ver⸗ treter in den nächsten Tagen zu einem Ergebnis führen werden

oder nicht. l

Ja, das ist wieder so eine Frage, die leicht zu stellen, aber schwer

Bei Abschluß des Vertrages sollten wir uns lediglich von dem Gesichtspunkt der äußeren Politik führen lassen und dabei berück⸗ sichtigen, daß England jetzt mit der praktischen Ausführung seinez Vertrages mit Rußland beginnt. Es hat bereits einen Vertreter zu Verhandlungen über Freigabe von Häfen entsendet. Englische Interessenten werden in Rußland angemeldet zwecks Verhandlungen über Wald⸗ nnd Bergwerkskonzessionen und dergleichen. Auch Nor⸗ wegen, Dänemark und Schweden stehen laut Meldungen, die selbst von der französischen Presse bestätigt werden und Sie wissen, wie die französische Presse im allgemeinen den Verhandlungen mit Sowfjet. rußland gegenübersteht vor dem Vertragsabschluß. Graf Sforza hat dem russischen Vertreter Worowsky gegenüber entgegenkommende Zusicherungen gemacht.

Es ist garnicht zu verkennen, daß die Sowietregierung in der letzten Zeit eine Art von Esolution durchmacht. Die private Wirt- schaft wird wieder im größeren Umfange zugelassen als bisher. In Moskau tun sich wieder zahlreiche private Lãden auf, was bis vor kurzem noch schweres Verbrechen bedeutet hätte. Auch die Versorgung der Städte durch die Bauernschaften wird nicht mehr so regelmäßig durch geführt, sondern den Bauern wird größere Freiheit über den wesent— lichen Teil ihrer Produkte zugesichert. Dadurch kommt natürlich die Sowjetregierung mehr und mehr in einen Gegensatz zu der eigent— lichen kommunistischen Partei. Deswegen lege ich Wert darauf, fest⸗ zustellen, daß auch wir bei Fragen nach kommunistischen Anzettelungen einen Unterschied machen zwischen Regierung und Partei. Kenn— zeichnend ist die Drohung Lenins, daß er das Präsidium der Partei niederlegen würde, wenn ihm bei seinem realpolitischen Be— streben, dem Kapitalismus des Westens die notwendigen Konzessionen zu machen, weiter Knüppel zwischen die Beine geworfen würden. (Hört, hört! bei den Soz.)

Wir müssen auch deswegen, meine Damen und Herren, den Blick nach Osten richten, weil der Ueberschuß unserer geistigen und wirtschaftlichen Produktion durch Hemmungen, die im Westen immer noch vorhanden sind, nach einem rein physikalischen Gesetz zur Stelle des geringsten Widerstandes, also nach dem Osten, hingedrängt wird. Es ergibt sich aus geographischen Gesetzen und wirtschaftlichen Tatsachen, daß der Aufbau zunächst der russischen Landwirt— schaft, dann jeder anderen russischen Produktion nur durch deutsche Mithilfe möglich ist. Ohne deutsche Maschinen, ohne deutsche Verkehrsmittel, ohne die Vertreter deutscher Arbeit und deutschen Geistes wird ein Wiederaufbau der russischen Wirtschaft auch von anderen Völkern nicht unternommen werden können. Es ist doch sehr charakteristisch, daß ein großer Teil des Schriftmaterials wissenschaftlicher Natur, das gegenwärtig von dem Volkskommissariat für Aufklärung in Rußland verbreitet wird, in deutschen Buchdrucke—⸗ reien entsteht. Die wirtschaftliche Konsolidierung Rußlands ist eine Notwendigkeit für ganz Europa, ja für die ganze Welt. Ich glaube, daß auch Amerika bald in den Konzern derjenigen eintreten wird, die an dem Wiederaufbau Rußlands mit uns arbeiten wollen.

Damit komme ich auf einen letzten Gedanken. Wir müssen in⸗— bezug auf den Wiederaufbau Europas dasselbe tun, was ich vorhin den deutschen Parteien ans Herz gelegt habe, nicht in die Vergangen⸗ heit zu blicken, über die wir auf lange Zeit hin nicht einig werden können, sondern in die Zukunft zu blicken, wo uns gemeinsame Auf gaben blühen. (Sehr richtig ')

Was ist denn der Versailler Vertrag, was ist denn die ganze Reparationspolitik jetzt anderes, als ein Blick nach rückwärts, nach der Schuld, nach der Verantwortlichkeit, nach den Schäden, die ge— schehen sind, und wohin sollte der Blick gerichtet sein? Nach vor— wärts, nach dem Aufbau, nach der gemeinsamen Arbeit, nach der brüderlichen Betätigung zum gleichen Ziel. Das ist für die Gesamt⸗ heit der Nationen genau so gut Voraussetzung der Gesundung ihres Lebens wie für unser Volk. In den letzten Tagen habe ich zwei sehr interessante Drucksachen erhalten, die von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus genau in dieselbe Kerbe hauen. Mir ist vorgelegt worden ein Vortrag von John Forster Dulles, einem Amerikaner, der früher Mitglied der amerikanischen Friedens⸗ kommission in Paris war, dann Mitglied der Reparationskommission und des obersten wirtschaftlichen Rates. Dieser Herr Dulles hat am 12. März dieses Jahres in der Liga der freien Nationen“ in New Jork eine Ansprache gehalten, in der er in höchst bemerkenswerter Weise die Entwickelung seiner Gedanken über Reparation darstellt. Er sagt: ich bin bei der Friedenskonferenz ausgegangen von dem Ge— danken des Unrechts Deutschlands und der Schäden, die Deutschland verursacht hat, ich habe mitgeholfen, diese Schäden zu prüfen und fest= zustellen. Mehr und mehr habe ich mich überzeugt, daß das keinen Zweck hat, da man so von Deutschland mehr verlangt, als es leisten kann. Ich habe also meine Aufmerksamkeit auf die Leistungefähigkeit Deutschlands gerichtet und festgestellt, was Deutschland alles leisten kann und leisten soll. Dann aber habe ich eingesehen, daß man auch auf diese Weise nicht das findet, was die Welt haben will. Ich habe eine Leistung Deutschlands nach der andern geprüft und immer wieder gefunden, daß diese Leistungen Deutschlands für die, die sie bekommen sollten, keine Wohltat, sondern ein Schade waren. Ich habe gefunden, daß den Alliierten durch die von Deutschland abgelieferten Schiffe der Markt für Schiffsraum verdorben wurde und daß sie jetzt nicht mehr viel von deutschen Schiffen wissen wollen. Ich fand, daß die Sendungen der deutschen Kohle eine Katastrophe auf dem englischen Kohlenmarkt hervorriefen. Ich habe gesehen, daß die Leute, die so sehr auf die deutschen Farben erpicht gewesen waren, schließlich durch die deutschen Lieferungen ihre eigene Farbenindustrie ruinierten. Ich habe gesehen, daß diejenigen, die anfangs hoo Oo deutsche Arbeiter als Frohnknechte nach Frankreich und Belgien schicken wollten, damit sie dort unter Aufsicht der Alliierten beim Wieder= aufbau hülfen, nichts mehr von den deutschen Arbeitern wissen wollten und froh waren, wenn man sie aus dem Lande fernhielt. Ich habe mir gesagt: Was ist das für eine sonderbare Reparation, wo man zwar Leistungen und Leistungsfähigkeiten feststellt, aber schließlich niemand findet, der sie annehmen will. So kommt Herr Dulles schließlich zu dem Gedanken, daß man die Wiederaufbaufrage von einem ganz anderen Punkte aus anfassen müsse, daß sich die Nationen zusammentun müßten, um das große Wirtschaftsproblem, das sich vor den un— geheuren Creignissen des Weltkrieges aufgebaut hat, gemeinschaftlich auf vollkommen neuer Basis zu lösen. (Sehr richtig! Er sagt und das ist ein sehr treffendes Bild : Wenn die Weltmirtschaft durch einen Orkan, wie der Weltkrieg, niedergeworfen ist, so kann man sie nicht dadurch wiederaufrichten, daß man einen zweiten Orkmm von der entgegengesetzten Richtung über sie schickt.

(Fortsetzung in der Zweiten Beilage)

weite Beilage

m Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger

Rr. 99.

Berlin, Freitag, den 29. April

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(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

Dieser Vertreter des amerikanischen Kapitalismus stimmt merk⸗ nig äberein mit einem Vertreter der italienischen Sozialdemokratie. gabe hier einen Artikel von Claudio Treves: „Nel profondo z erisé“, in der Tiefe der Krisis. Der sollte bei uns übersetzt abgedruckt werden. Ueberaus klar zeigt dieser Artikel, wie man dem bloßen Rachegedanken an der eigentlichen Aufgabe der Kergutmachung und des Wiederaufbaus vorbeigeht und wie die Faration nach der Versailler Methode den Alliierten ebenso schadet „der Krieg selbst. Der Verfasser zählt die Stimmen auch aus werlichen Kreisen auf, die nach der Richtung hin mit der italieni⸗ Sozialdemokratie an demselben Strange ziehen und er beklagt, kes bisher nur noch Stimmen des Predigers in der Wüste sind. MNeine Damen und Herren! Aus den letzten Worten des Herrn I. Dr. Stresemann konnte man einen Gedanken entnehmen, der xrselben Richtung geht wie die Ideen der italienischen Sozial mokraten, nämlich den Gedanken des Opfers derjenigen, die die sötze der Welt in der Hand haben zugunsten derjenigen, die unter Schäden des Krieges leiden. In der Tat, meine Damen und men, wir kommen aus der jetzigen Lage nicht heraus, wenn wir srarationspolitik in der bisherigen Art treiben. Machen Sie 5 doch die Situation klar. Hier ist eine Bevölkerung, die stt das Hemd auf dem Leibe hat, ich kann sagen: ' Anlaß einer Spende chilenischer Damen, die meine Frau berteilen hatte, habe ich tief hineingesehen in das Elend

unteren Klassen, in das Elend derer, die ihre Kinder in hiüungspapier wickeln müssen, um sie warm zu halten. Während k ein Teil der Bevölkerung nicht das Hemd auf dem Leibe hat, n drüben im Amerika die Pflanzer auf ihren Baumwollballen, t denen sie die Lagerhäuser bis oben gefüllt und bis weit über den Bert beliehen haben, ja, die sie draußen verschimmeln und verfaulen sen müssen, und Menschen und Waren kommen nicht zusammen. her haben wir Arbeitslose, die der Staat aus seinen Mitteln kaum nähren kann, und da sind unendliche Aufgaben produktiver Arbeit, fe nicht gelöst werden können, weil man die tätige Hand und die tige Arbeit nicht zusammenbringen kann. Ist es da zu ver— bundern, wenn sich die Bevölkerung der Welt sagt: „Das ist doch Fihnsinn! (Sehr richtig) So kann das nicht weitergehen, das muß bindert werden?“‘ Ist es ein Wunder, wenn die Urteilskraft der Menschen vor derartige geradezu phantastische Gegensätze gestellt, aus mn Fugen geht? Wer nicht alles dazu tut, damit hier eindringende sorschung und zäher Wille aufgewandt wird, um aus diesem Hahnsinn wieder herauszukommen, der versündigt sich als Staats⸗ nn nicht nur an seinem Volke, sondern an der ganzen Menschheit. Sehr richtig) Friedrich Albert Lange, der berühmte Verfasser der Geschichte des Materialismus“, hat einmal gesagt: die gegenwärtige zt wird nur noch gerettet durch Ideen und durch Opfer. Ideen nd Obfer muß jedes Volk von seinen Lenkern verlangen; sie sind äicht zu entbehren, wenn die Verhandlungen über das große Problem ker Wiedergutmachung der Schäden des Weltkriegs jemals zu einem gücklichen Ende kommen sollen. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Graf Bernstorff (Dem.): In dem gegenwärtigen rnsten Augenblicke stelle ich alle Betrachtungen kritischer Natur, nsbesondere gegenüber der Form, wie an den Präsidenten Harding hrrangetreten worden ist, zurück. Eine so scharfe Kritik, wie sie hier gestern und heute von rechts und links geübt worden ist,

ircheint uns nur dazu angetan, die naturgemäß so sehr schwache

Stellung unserer vaterländischen Diplomatie in der Welt noch nehr zu schwächen. Dieses Fazit ist aber von keinem der Kritiker Lzögen worden, übrig geblieben ist also nur eine weitere Echwächung der diplomatischen Stellung unserer einn in einer chnehin äußerst kritischen Lage. Der Außenminister hat sich selbst gen die gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfe verteidigt. Unsere Parkei hat mit dem tiefsten Bedauern die Erörterungen des gestrigen Tages verfolgt. In einem Augenblick äußerster Not des Vaterlandes find hier hauptsächlich Reden parteipolitischer Jatur gehalten worden, während wir gewärtig sein müssen, daß bielleicht in allernächster Zeit der schwerste Druck gegen uns aus⸗ geübt wird und wir diesem Drucke nur widerstehen können, wenn fas Volk innerlich eins ist. (Zustimmung.) Was die Schuldfrage angeht, so erkennen wir die diplomatischen ö an, die den Minister hindern, selbst eine Propaganda in Pieser Frage aus⸗ zUlben. Um so mehr aber ist es unserer Ansicht nach Pflicht des Deutschen, das ausgiebige Material, welches die Regierung in liberalster Weise ve f, ht hat, ohne hisher leider im Aus⸗

kunde Nachahmung gefunden e haben, möglichst in der Welt

beiter bekannt werden zu lassen, damit klargestellt wird, daß unsererseits von einer pb en wirtschaftlichen und militä⸗ ichen Vorbereitung und Einleitung des Krieges gar keine Rede kin kann. Im allgemeinen sieht sich nach unserer Ansicht die nylitische Lage heute etwas weniger ungünstig an wie vor dem ngebst. An die Stelle des Diktats der Reparationskommission st die Möglichkeit einer sachgemäßen Beurteilung durch mehr, oder deniger unparteiische Sachverständige getreten. Amerila empfindet gegenüber den europäischen Problemen fast nur wirtschaftlich und nicht politisch, es kann kein Interesse daran haben, daß Denischland serstückelt wird, oder daß ihm Gebiete genommen werden, nach denen von der westlichen Seite Europas gegeizt wird. Wiederholt erklärt worden, daß ö. die amertikanische Regierung die UNonroedoktrin ausschließliches politisches Gesetz ist. Wir sind uns hen, volltommen bewußt, und es wäre daher ein Fehler, von merika , weitgehende Hilfe erwarten zu wollen, Es yondelt sich aber in diesem Falle gar nicht um eine politische Frage. Dir dürfen immerhin die Hoffnung hegen, daß die gegenwärtige merikanische Regierung mehr als . orgängerinnen dafür ein⸗ 29 der Grundsatz zur Geltung kommt, auf dem die gesamteè deutsche Außenpolitik aufgebaut werden müßte, nimlich der Grundsatz der Durchführung der Solidarität der Inter— fsen aller Nationen. Die tatsächlichen Verhältnisse sprechen ja fir bie Richtigkeit dieses Prinzips. In Amerika sind die Rohstgffe, ie keinen Absatz finden, turmhoch aufgestaut; dem steht kei uns der große Mangel an Rohstoffen gegenüber.

8 des noch“ bestehenden Kriegszustandes haben die merikaner eine großzügige . eitsaktion zugunsten mnserer hungernden Kinder eingeleitet, für die ihnen unsere Dank— narfeit auszusprechen 96 an diesem Platze sich wohl gezienen dürfte. ebhafter Beifall, Der Gedanke der Solidarität, aller rbtinnen involpiert auch, daß der Wiederaufbau nur auf dem Heß gleichberechtigter Verhandlungen möglich ist, Es muß alles schehen, üm die Legende zu zerstören, den Deutschland überhaupt keine Pflichten aus dem , von Bersailles nicht erfüllen will; in dieser Frage steht die ganze Welt gegen uns. Die neuen

treten wird, daß endlich

é

Sanktionen sind gleichbedeutend mit dem Wiedereintreten des Kriegszustandes; es entspricht den außerpolitischen Grundsätzen innerhalb unserer Partei, daß in einem solchen Falle vor Eintritt des Kriegszustandes der Versuch gemacht wird, in allerletzter Stunde ö. Zustande dadurch auszuweichen, daß ein Schieds⸗ gericht angerufen wird. Die amerikanische Regierung und nicht nur die jetzige, sondern auch alle früheren, haben den Grundsatz aufgestellt, möglichst alle diplomatischen Differenzen durch Schieds⸗ gerichte entscheiden zu lassen. In diesem Falle geben wir ihnen die Möglichkeit die Politik in der Welt durchzuführen, die sie selbst jederzeit propagiert haben. (Zuruf rechts: Amerika hat ja den Schiedsspruch abgelehnt!) Gewiß, aber jetzt, wo er abgelehnt ist, wo wir in diplomatische Verhandlungen eintreten müssen, ist es Pflicht für uns, für alle, daß wir die Diplomatie unserer Regie⸗ rung nicht durch eine scharfe, rein negative Kritik stören. Wir sind bereit, bis an die Grenze unserer Leistungsfähigkeit zu gehen. Wenn wir aber diese Opfer bringen sollen, wenn wir einen neuen Kriegszustand über uns ergehen lassen müssen, so wollen wir wenigstens in dieser Zeit einer neuen schweren Prüfung das Ge⸗ fühl haben, daß wir auch das letzte äußerste Mittel nicht uversucht gelassen haben. Wenn das deutsche Volk mit dieser Empfindung an das herantritt, was ihm bevorsteht, so ist die Hoffnung be— rechtigt, daß endlich einmal auch außerhalb Deutschlands die Er⸗ tenntnis dammern wird, daß die Probleme der Welt, mögen sie wirtschaftlicher oder politischer Art sein, nicht durch Gewalt geloöst werden können, sondern nur auf dem Wege gleichberechtigter Ver⸗ handlungen und mit allseitigem ernsten guten Willen. (Beifall bei den Demokraten.) Abg. Dr. Spahn (entr): Unser Angebot von 50 Milliarden als Gegenwarts⸗, 200 Milliarden als Gesamtzahlung von Kapital und Zinsen zeigt, daß der Abbruch der Verhandlungen in London durch die Alliierten nicht gerechtfertigt war. Unser damaliges An⸗ gebot hätte eine Grundlage für eine Berständigung geben können. Nach dem Abbruche erforderte unsere Lage, jede Gelegenheit wahr⸗ zunehmen, die sich uns zur Wiederanknüpfung der ,, . bot. Es war richtig, daß die Anregung des Kardinalstaatssekre⸗ tärs in Rom nicht abgelehnt wurde, wenn auch ihre Verwertung in anderer wie der vorgeschlagenen Weise d, ,. ist. Wenn der Herr Außenminister gehört hat, daß zwei Artikel der „Germania“ eine Verstimmung des n da fre ef ter, erregt hätten, so be⸗ streitet die Germania“ die Richtigkeit dieser Mitteilung; es sei von ihm von Indiskretionen der Presse . die „Germania“ aber nicht genannt worden. Dabei lassen Sie mich auch gleich eine Aeußerung des Herrn Abgeordneten Helfferich berichtigen. Er wies auf einen Mann hin, der durch ein Telegramm die päpstlichen Bestrebungen sabotiert habe. Im Vorstande meiner Fraktion ist von Kennern der Vorgänge auf das bestimmteste diese Andeutung bestritten worden. Daß der Außenminister die Vermittlung Ame⸗ rikas angerufen hat, war richtig. Amerika ist durch die Entwick⸗ lung der Verhältnisse und eigene Tatkraft, ganz unabhängig von seiner Teilnahme am Kriege, in die europäischen Verhältnisse hin= eingewachsen. Es bedarf Entopas als seines Absatzmarktes, und es ist aus einem europäischen Schuldner der Gläubiger Europas ge⸗ worden. Und deshalb kann sich Amerika Europa gegenüber nicht abschließen, mögen seine Politiker auch noch so sehr die Abschlie⸗ ßungspolitik vertreten und sich bemühen, Amerika den europäischen Verwirrungen fernzuhalten. Sein eigenes wirtschaftliches Leben drängt zu seiner Mitwirkung für die Gesundung Europas. Ame⸗ rika ist deshalb berufen, in den Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und seinen europäischen Gegnern Schiedsrichter zu sein, nachdem die Alliierten die direkte Verständigung mit ihnen unmöglich gemacht haben. Man hat die Anrufung Amerikas durch den Außenminister als Schiedsrichter der Form nach getadelt. Zu Unrecht. Gompromissum ad similitudinem judicioru redigitur. Demnach ist der Schiedsrichter nicht in der Lage, über die Forde⸗ rung hinauszugehen. Die Pariser Propositionen begrenzten nach oben unsere Belastung. Die Form war dem Außenminister von Amerikanern empfohlen worden, weil sie der Mentalität der Ame⸗ rikaner entspreche. Es mag dahingestellt bleiben, ob das richtig ist. Harding hat das Amt abgelehnt, die Sache ist erledigt; wir sollten doch nun vermeiden, durch unsere Kritik Harding nunmehr auch die Annahme des Vermittleramts zu verleiden. Zu den Einzelheiten unseres nunmehrigen Angebots will ich mich nicht äußern, auch mich jeder Bemerkung Über andere hier berührte Fragen enthalten. Unterdrücken kann ich aber nicht den Zweifel an unserer Fähigkeit der Leistung der 200 Milliarden Mark. Hier wird die Erfahrung entscheiden. Das Nachtbild der Groß⸗ 6 ermöglicht kein Urteil über das Maß von Elend, unter dem as deutsche Volk in großen Massen leidet. Die wirtschaftlichen Folgen der Politik der Alliierten treffen nicht nur Deutschland, wenn auch es in hervorragendem Maße, sondern ganz Europa, in weitester Ausdehnung unsere Industrie, unsere Arbeiterwelt. Mit dem Herrn Außenminister möchte ich nochmals hervorheben, daß wir unsere Schuld abarbeiten müssen denn, bekommen wir eine Anleihe, so haben wir auch diese abzuarbeiten, wie der Aufbau durch unsere Arbeit zu , hat. Clemenceau hat gesagt: Damit Deutschland bezahlen kann, muß es arbeiten. Aber wir haben nicht nur die Pflicht zu arbeiten, wir haben auch ein Recht auf Leben. Das ist eine Voraussetzung der Menschenrechte. Das ist der Inbegriff der gesitteten Welt. Die Schuldfrage ist aufge⸗ worfen und sie ist mit unserem Gegenstande in Verbindung ge⸗ bracht, weil der Friedensvertrag auf ihr aufgebaut ist. Zugegeben aber unrichtig ist, daß der Friedensvertrag zusammenbreche, wenn dieses Kernstück aus ihm herausgebrochen wird. Die Einzel⸗ bestimmungen werden selbständig weiter bestehen und deshalb ist es für den . nebensächlich, wie die Schuldfrage ent⸗ schieben wird. Wir zahlen, weil wir den Krieg verloren haben. Die Schuldfrage muß unabhängig von den gegenwärtigen Ber⸗ handlungen weiter verfolgt werden. Es läßt . infolge der Ver⸗ öffentlichung feststellen, daß der Standpunkt nicht mehr zu halten ist, daß wir als Urheber des Krieges schlechthin be ,. werden konnen. Ich empfehle die Beachtung der Artikel Paléologues in der „Revue des deux Mondes“ von 1821. Wenden wir unsere ganze Aufmerksamkeit und unsere ganze Unterstützung der gegenwärtigen Aktion unseres Kabinetts zu. Mag richtig . Kein größeres Leid ist uns beschieden, als im Elend sich der frohen Zeiten zu erinnern. Als richtig wird sich auch das Sprichwort bewähren: „Ist die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten.“ (Leb⸗ haftes Bravo!)

Abg. Ledebour (U. Soz): Einig sind alle Parteien und die Regierung darin, daß der Friedensvertrag von Versailles ein Akt der Vergewaltigung ist und daß die Londoner Reparations⸗ , . in ihrem vollen Umfange auf eine Verelendung und Versklavung der deutschen Volkswirtschaft hinauslaufen, aber auch darin, daß der Friedensvertrag so weit ure n , werden muß, wie es die Leistungsfähigkeit Deutschlands ermöglicht. Aber dar⸗ über gehen die Meinungen auseinander, was nun zu geschehen habe. Was die Schuldfrage betrifft, so ist nach der Auffassung des internationalen Sozialismus der letzte Grund dieses Krieges und aller Kriege in dem kapitalistischen Konkurrenzkampf und der Aus⸗ beutung der Menschen zu suchen. Dieser Konkurrenzkampf ist unter , ,. Sieigerung der Rüstungen w. von allen

eteiligten Mächten vorbereitet worden. s ist Pflicht des deutschen Volkes, die Kriegsverbrecher zur Verantwortung u ziehen, das hat nicht die Entente als ihr Recht zu ganfhen en. Wenn die Entente moralisiert, so erfaßt mich ein Ekel, gleichgültig, ob der moralisierende Advolgt des

Imperialismus Briand oder Lloyd George oder Helfferich heißt. Vie Versuche, moralisierende Weltausbeutung mit salbadernden . zu betreiben, hat bereits Napoleon kritisiert, als er fagte: „Ver liebe Gott ist auf seiten der starken Bataillone.“ (Zuruf rechts: Es war der alte Fritz! Heiterkeit Im einzelnen über die deutschen Regie rungsvorschläge zu sprechen, lohnt nicht ange⸗ sichts der neuen Nachrichten aus Amerika, wonach dieses wegen der Haltung der Entente auch die Uebermittlung der deutschen Vor⸗ schläge ablehnen soll. Man hätte sich von vornherein auf die Vor⸗ schläge der internationalen sozialistischen Arbeiterschaft einigen sollen. Nichts ist interessanter, als daß sowohl ein Kommunist wie ein Deutschnationaler uns vorwerfen, wir besorgten die Geschäfte der Entente. Wir wollen ja gerade dem Kapitalismus die Gelegen⸗ heit nehmen, aus dem Wiederaufhaugeschãft Profit zu ziehen. Die jetzige Regierung muß zwangsläufig die Suppe ausbrocken, die die imperialistische Regierung eingebrockt hat. Diejenige Partei aber und die Staatsmänner, wie z. B. Herr Helfferich, die für die Fort⸗ führung des Krieges bis zum Weißbluten eingetreten sind, haben nicht das geringste Recht, Kritik an der Politik der Regierung zu üben. (Stuͤrmischer Wide rspruch und Zurufe bei den Deutschnatio⸗ nalen. Abg. Berndt ruft: Sie Lügner! Vizepräsident Dr. Bell rügt diesen Ausdruck und ersucht, sich in den Zurufen zu mäßigen.) Sie (zur Rechten) würden Ihrem Vaterlande den größten Dienst erweisen, wenn Sie den Rund hielten. ( uruf: Das könnte Ihnen so passen) Das könnte mir deshalb passen, weil dann die Entente nicht mehr Gelegenheit hätte, aus Ihren Hetzereien immer neuen Nährstoff für ihr gewaltsames Vorgehen gegen Deutschland zu ziehen. Wir wünschen dringend die baldmög⸗ lichste Herstellung freundnachbarlicher Beziehungen zu Rußland und zu Polen. Wenn es gelingt, auf dem Verhandlungswege die ange⸗ drohten neuen Sanktionen hintanzuhalten, so ist damit noch nicht viel getan. Eine Rettung aus der furchtbaren Lage, in der sich die ganze Welt befindet, ist nur möglich, wenn die Arbeiterschaft in allen Ländern bie Gestaltung der Geschicke in ihre Hand nimmt.

Damit schließt die Aussprache. .

Ein Nachtrag zum Reichshaushaltsplan 1920 sowie eine Ergänzung zum Gesetzentwurf, betreffend die Fest⸗ stellung eines Nachtrags zum Reichshaushaltsplan 1929 werden bis auf die Beamtenpositionen dem Hauptausschuß überwiesen, desgleichen ein Gesetzentwurf, betreffend die vorläufige Aufstellung des Ortsklassenverzeichnisses.

Gegen 5 Uhr tritt Vertagung ein.

Nächste Sitzung Freitag, 1 Uhr (Anfragen, Ergänzung des Gesetzes zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, Sonder⸗ gerichte und Behebung der Erwerbslosigkein.

Statistik und Volkswirtschaft. Arbeitsstreitig keiten.

Wie der Allgemeine Verband der Deutschen Bankangestellten dem W. T. B.“ mitteilt, Reichstarifsrevisionsverhandlungen im arbeitsministe rium folgenden Schiedsspruch gezeitigt: Die Teuerungszulage der kaufmännischen und gewerblichen Angestellten wird um 1000 A jährlich, die Haushaltszulage um 100 4 erhöht. Die Kinderzulage gt bei Kindern bis zum 7. Lebensjahre 1060 , vom 7. bis 12. Lebensjahre 1200 , für ältere Kinder 1500 sz. Die Teuerungszulage der Büroburschen wird um 500 „6, dieienige der über 20 Jahre alten Lehrlinge um 600 6 erhöht.“ Außerdem wurde eine kleine Verbesserung in der Berechnung der Berufsjahre der weiblichen Angestellten zugestanden. Bis zum 14. Mai haben sich die Vertragsparteien (RNeichsperband der Bankleitungen, All⸗ gemeiner Verband der Deutschen Bankangestellten und . über die Annahme oder Ablehnung des Schiedsspruchs zu entscheiden.

Zwischen dem Zechenverband, dem Verband der Bergarheiter Deufschlands, der polnischen Berufsvereinigung, Abteilung der Berg⸗ arbeiter Deutschlands, dem Gewerkverein christlicher Bergarbeiter Deutschlands und dem Gewerkverein der Fabrik und Handarbeiter wurde, wie dem W. T. B.“ aus Essen gemeldet wird, gestern solgendes A b⸗ kom men getroffen: Vom 20. April ab treten folgende Lohn⸗ erhöhungenein: Für Gedingearbeiter unter Tage 5.50. je Schicht gegenüber dem Durchschnittslohn der betreffenden Gedingearbeiter der einzelnen Schachtanlage von Oktober 1820, für Schichtlöhner über 20 Jahre d . je Schicht, für 18 und 13 Jahre alte Schichtlöhner 456 K, für 16 und 17 Jahre alte Schsichtlöhner 2.50 6, für 14 und 15 Jahre alte Schichtlöhner 1,50 X. Die Sätze in einzelnen Stufen über und unter Tage bleiben dieselben. Für Gedingearbeiter wird der Grundlohn auf 27 A erhöht. Es werden die bizherigen Zulagen von 4,50 und 2? t bezw. 1 1 je Schicht, soweit sie nicht durch die Erhöhung des Grund. lohnes abgegolten sind, im Gedinge berechnet. Die Bedingung für dieses Abkommen ist, daß die Reichsregierung auf die Abführung des Betrages von 5 4 verzichtet, der gegenwärtig vom Kohlenpreise für die Lebensmittelversorgung der Bergleute einbehalten wird und hierfür bei dem Wegfall der Ueberschichten nicht mehr in Betracht kommt. Bei diesem Abkommen wird vorausgesetzt, daß die Kohlenförderung in einer regelmäßigen Schicht so erhöht wird, daß unserer Wirtschaft die notwendige Kohlenmenge zugeführt werden kann. Sollte eine Steigerung der Kohlenförderung in erforderlichem Maße auch bei Beachtung notwendiger Betriebeverbesserungen nicht ein- treten, so wird ein neues Ueberschichtenabkommen vereinbart werden müssen, über das in Arbeitsgemeinschaft zu verhandeln ist.“

Aus London wird dem W. T. B.“ telegraphiert: Die Besprechung der Vertreter der Bergwerksbesitzer, der Bergarbeiter und der Regierung dauerte gestern den ganzen Tag. Es wird mitgeteilt, daß die Regierung die von ihr angebotenen Unterstützungsgelder von 73 Millionen auf 10 Millionen erhöht habe. Die Bergarbeiter haben das Angebot der Regierung abgelehnt.

In Turin haben, wie W. T. B.“ erfährt, die Arbeiter ˖ gewerkschaften deschlossen, die Arbeit wieder aufzu⸗ nehmen. Die Eisenbahner baben die Arbeit schoön am 27. d. M. um 10 Uhr Abends wieder aufgenommen.

Nr. 13 des Zentralblatts für das Deutsche Reich, herausgegeben im Reichsministerium des Innein am 23. April 1921, hat folgenden 6 1. Allgemeine Verwaltungssachen: Auflösung der Schiffahrtsabteilung beim Reichsverkehrsministerium; Bekannt— machung, betreffend die deutschen Flaggen. 2. Konsulatwesen: Ernennungen; Ermächtigung zur Vornahme von Zivilstandshandlungen; Exegquaturerteilungen. 3. Marine und Schiffahrt: Erhöhung des Preises des Internationalen Signalbuchs. 4. Versicherungswesen: Bekanntmachung, betreffend die Beaufsichtigung privater Versicherungs⸗ unternehmungen durch die Landesbehörde. 5. Bankwesen: Status der deutschen Notenbanken Ende März 1921. 6. Militärwesen: JJ von in Verlust geratenen Zivilversorgungs—

heinen.