1921 / 155 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 06 Jul 1921 18:00:01 GMT) scan diff

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von Unabhängigkeit gegeben wird, daß er, wenn ihm von seinen Vor⸗ gesetzten die dienstliche Befähigung abgesprochen wird, dann nicht ohne weiteres auf die Straße gesetzt werden kann, sondern daß er eben dann noch das bescheidene Existenzminimum hat, das die heutige Militärpension in diesen unteren Chargen darstellt. Das ist ja nicht so groß, meine Damen und Herren, wie Sie sich das immer vor⸗ stellen. (Abg. Kaiser: Dann fällt der 5 28 weg!) Ja, auf den § 26, meine sehr verehrten Damen und Herren, können wir nicht verzichten. Der 26 ist seinerzeit bei der Beratung des Wehrgesetzes durchgesprochen worden, und wenn Sie uns nicht völlig ausschalten wollen, dann brauchen wir den 5 26, weil wir früher diese 25 jährige Dienstverpflichtung ja nicht gehabt haben. Können Sie es ver⸗ antworten, meine Damen und Herren, daß der Wehrminister, der Ihnen doch verantwortlich ist, Offiziere in Dienst behält, die körperlich und geistig rüstig sind, denen keine strafbare Handlung irgendwelcher Art zur Last gelegt werden kann, denen er aber nach ihrem ganzen Verhalten das korrekt sein kann im Rahmen der Verfassung die dienstliche Befähigung absprechen muß? Der Minister ist Ihnen ja dafür verantwortlich. Er muß Ihnen doch nötigenfalls für die Entlassungen Rede und Antwort stehen. (Zuruf von den Soz.: Das entscheidet doch nicht der Minister) Doch, er ist dafür verantwortlich und muß selbstverständlich dafür ver⸗ antwortlich sein und die Personalien werden auch von ihm behandelt und müssen von ihm mitbehandelt werden. Ich glaube, da kann sich der Herr Kollege Hildebrand durchaus beruhigen. Da wird der Minister nicht ausgeschaltet und kann er nicht ausgeschaltet werden. Im Gegenteil! Auf § 26 des Wehrgesetzes müssen wir infolgedessen estehen bleiben. Wenn er aber in Kraft und in Geltung bleibt, ist die notwendige Folge, daß Sie, wenn Sie kein großes Unrecht be⸗ geken wollen, auch den § 31 in der Fassung, wie er vom Ausschuß nach langer Beratung beschlossen worden ist, annehmen.

131. Sitzung vom 4. Juli 1921, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger ?).)

Auf der Tagesordnung stehen zunächst kleine An⸗

fragen.

Abg. Dr. Dee rm ann (Bayer. W bemängelt in einer Anfrage, daß die Teuerungsstatistik des Statistischen Reichsamts sich auf eine „Normalration“ beziehe, die den jetzigen Verhältnissen cwgepaßt sei, und daß die gleiche Ration auch für den Vergleich mit der Friedenszeit herangezogen werde. Diese „Normalration“ sei sehr von der Grundlage der englischen Teuerungsstatistik ver⸗ schtden. Es wird gefragt, ob die Reichsregierung bereit sei, schleunigst Maßnahmen in die Wege zu leiten, damit die Reichs⸗ tenerungsstatistik baldigstz auf den vollen normalen Friedens⸗ standard der Lebenshaltung aufgebaut wird.

Ein Regierungsvertreter erwidert, daß die Teue⸗ rungsstatistik bezwecke, einerseits die Preisentwicklung festzustellen rad andererseits die Unterschiede der Preisgestaltung in den ver⸗ schiede nen Orten. Diese Feststellungen, die eine wichtige Grund⸗ lage für die Gehalts- und Lohnpolitik der Reichsregierung bilden, lassen sich am zuberlässigsten, raschesten und mit geringstem Kosten⸗ aufwand treffen bei einer engbegrenzten Auswahl der zu erfassen⸗ den Preise und bei Zugrundelegung der gegenwärtigen Verbrauchs⸗ mengen. Bei Zugrundelegung der Friedensverbrauchsziffern würde vor allem der örtliche Teuerungsvergleich erschwert sein. Für den Vergleich mit dem Ausland würde bei den Friedens⸗ preisen schwerlich ein zuverlässiges Ergebnis erzielt werden, da auch im Frieden die Verbrauchsgewohnheiten der Völker sehr ver⸗ schieden waren. Das Statistische Reichsamt ist dauernd um den Ausbau seiner Methode bemüht. Demnächst wird auch die Er⸗ fassung der Ausgaben für Bekleidung erfolgen.

Abg. Dee rm ann (Bayer. V.) fragt an wegen der Ver⸗ leihung des Professortitels, der jetzt fast nur noch an akademische Lehrer von den Universitäten verliehen werde. Unter den Kranken⸗ hausärzten herrsche über diesen ungerechten Zustand erhebliche Mißstimmung.

Ein Regierungsvertreter erwidert, daß die in der Anfrage berührte Angelegenheit noch den Gegenstand der Erörte⸗ rung zwischen Reichsregierung und den Regierungen der Einzel⸗ länder bildet. Die Verhandlungen würden in aller Kürze zum Abschluß gebracht werden. Mit der Frage der Aufhebung des verfassungsmäßigen Berbots der Verleihung von Titeln und Ehrenzeichen habe sich die Reichsregierung bisher nicht befaßt.

Abg. Gräf⸗Thüringen (D. Nat.) fragt an, ob die Regierung gesetzgeberisch dagegen einschreiten wolle, daß die Gerichte wie im Prozeß Hölz gegen widersätzliche Angeklagte machtlos sind.

Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärt, daß diese Angelegenheit bei der Reform des Strafprozeßverfahrens geprüft werden würde.

Abg. Künstler (U. Soz.) fragt, wann die Regierung eine Abrechnung über die Kosten des Baltikumabenteuers vorlegen und ob sie gegen die Urheber und Führer des verbrecherischen Baltikum⸗ abenteuers, wie Grafen von der Goltz, Leutnant Roßbach u. a., strafrechtlich vorgehen wolle.

Ein Vertreter des Reichs wehrministeriums er⸗ widert: Die Kosten des Baltikumunternehmens stehen noch nicht ziffernmäßig fest, da einige größere Forderungen noch nicht an⸗ erkannt werden konnten. Sie werden in der Abrechnung des Haushalts 1920 im Herbst d. J. erscheinen. Die deutschen Truppen im Baltikum mußten zunächst auf Grund der Waffen⸗ stilstandsbedingungen auf Verlangen der Entente jenseits der deutschen Grenzen bleiben, später auf Anordnung der Reichs⸗ regierung zum Schutz Ostpreußens. Der General Graf von der Goltz handelte im Auftrage der damaligen Reichsregierung und hat sich niemals deren Befehlen widersetzt. An der Meuterei einzelner Truppenteile trifft ihn kein Verschulden. Inwieweit gegen andere Teilnehmer des Baltikumunternehmens Strafper⸗ folsung eintreten muß, hängt von dem Gange der Abwicklung und Adrechnung, die noch nicht beendet ist, ab.

Abg. von Graefe (D. Nat.) stellt eine Anfrage wegen der Pressemitteilung, daß der ehemalige Wachoffizier des U-Bootes 86, Sberleutnant z. S. Boldt, unlängst in Hamburg verhaftet worden und auf Veranlassung deutscher Behörden in Ketten gefesselt nach Leipzig transportiert worden ist. Er fragt, wie die Regierung das deutsche Volk vor tiefer Kränkung seiner Ehre schützen wolle, wie solche in der Fesselung seiner tapferen Vaterlandsverteidiger und U⸗Boot⸗Helden (Lachen links) mit Empörung empfunden werden müßte. bg at Dr. Schäfer: Der Vorfall hat der Reichs⸗ regierung Veranlassung gegeben, alsbald Ermittlungen anzustellen. Nach dem Bericht des Oberreichsanwalts steht noch eine Aeußerung aus, die er von der Polizeibehörde in Hamburg erfordert hat. Die gewünschte Auskusfft kann daher zurzeit noch nicht erteilt werden. Die Anfrage wird schriftlich beantwortet werden.

Abg. von Graefe stellt die Ergänzungsfrage, ob die Re⸗ ierang nicht wenigstens schon heute ihrem Bedauern über den 6 allgemein Ausdruck geben könne.

Hekeimrat Dr. Schäfer: Vor vollständiger Feststellung des Sachverhalts ist die Regierung nicht in der Lage, ein Urteil üher den Vorfall abzugeben (Abg. von Graefe: Sehr bedauerlich)

Auf eine Anfrage des Abg. Hartwig (D. Nat), ob die Re⸗

ierung die Verbreitung der Lehrfilme der Gesellschaft für Kultur⸗ . fördern und allen Versuchen, im unbesetzten Gebiet eine

* Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

wirksame Verbreitung der Kritik des Versailler Mordfriedens hintanzuhalten, entgegentreten wolle, gibt ein R gierungs⸗ vertreter eine entgegenkommende Erklärung ab, deren Wort⸗ laut jedoch nicht verständlich wird.

Die Interpellationen der drei Regierungs⸗ parteien und der Unabhängigen Sozialisten über den Fall des Regierungspräsidenten a. D. v. Fa gow werden nach einer Erklärung des Staatssekretärs Joel noch im Laufe der heutigen Sitzung beantwortet werden.

Die Angelegenheit wid jedoch auf eine später: Stunde verschoben.

Die Interpellation des Zentrums wegen der Schädigung des Kreises Mon sch au wird nach der Erklärung des Staatssekretärs Joel innerhalb der geschäfts⸗ ordnungsmäßigen Frist beantwortet werden. Der Präsident wird sie dann von neuem auf die Tagesordnung stellen.

Das deutsch⸗russische Ergänzungsabkom⸗ men über die Heimschaffung der beider⸗ seitigen Kriegsgefangenen und Zivilinter⸗ nierten wird in erster Beratung auf Antrag des Abg. Sch ultz⸗Bromberg (D. Nat.) dem auswärtigen Ausschuß überwiesen.

Ein Antrag des Ausschusses für Beamtenangelegenheiten auf Anwendung der Besatzungszulagen der Beamten auch auf neubesetzte Gebiete wird für erledigt erklärt, desgleichen Anträge desselben Ausschusses wegen Angleichung der Beförderungsstellen in der Besoldungsordnung an die Verhältnisse der preußischen Beamten, rückwirkend vom 1. April 1920 ab. Angenommen wird der . für die Kanzleisekretäre der Reichsmittel⸗ behörden in dem gleichen Verhältnis Stellen für Gruppe V und Besoldungsstellen für Gruppe Vil zu schaffen wie für Ministerial⸗ kanzleisekretäre.

Es folgt die Fortsetzung der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs über die Gewährung von Beihilfen an Rentenempfänger aus der An⸗ gestelltenversicher ung. Der Ausschuß hat beschlossen, daß die Beihilfe für Empfänger von Ruhegehalt monatlich 70, für Empfänger einer Witwen- oder Witwerrente 55 und Empfänger einer Waisenrente monatlich 30 M betragen soll, Die Regierungsvorlage hatte nur Sätze von 50, 40 und 20 4M vorgeschlagen. Außerdem soll noch in einem neuen 8 da be⸗ stimmt werden, daß die laufenden Leistungen der Ersatzkassen unverzüglich soweit erhöht werden müssen, daß sie den reichs⸗ gesetzlichen Leistungen unter Hinzurechnung der Beihilfe gleich⸗

Ein Antrag der Abgg. Er kelenz (Dem.), Ho und Giebel Soz ), Andre und Frau Teusch Gentr), Aufhäufer und Karsten (U. Soz) will die Vorlage so gestalten, daß das Gesetz über die Angestelltenversicherung überhaupt geändert wird. Es soll ein neuer Artikel IJ ein⸗ geschaltet werden, wonach die bisherige Versicherungsgrenze von 15 000 A auf 30 000 M erhöht wird.

Es werden drei neue Klassen K, L und M gebildet mit Gehaltssätzen von 5000 bis 10 000 A, 10 090 bis 15 000 M und über 15 000 A. Die Beiträge der drei neuen Gehalts⸗ klassen, von denen also Arbeitgeber und Angestellter je die Hälfte zu tragen haben, sollen betragen in Klasse K 33,20 „, L 40 und M 48 M. Für diejenigen, die nunmehr neu ver⸗ sicherungspflichtig werden, finden die entsprechenden Be⸗ freiungsparagraphen des Versicherungsgesetzes für Angestellte mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß die Fristen, innerhalb deren der Befreiungsantrag gestellt werden kann, vom Inkrafttreten dieses Gesetzes ab laufen. Die neuen Bei⸗ tragsklassen werden vom 1. August d. J. ab eingeführt.

Außerdem beantragen die Abgg. Erkelenz (Dem., Hoch (Soz), Andre (Hentr.) und Frau Teu sch (entr.), den vom Ausschuß eingefügten 4a zu streichen.

Abg. Erkelenz (Dem) berichtet über die Verhandlungen des Ausschusses. Er . auch zugleich den Antrag, den die Koalitionsparteien und die Unabhängigen zusammen eingebracht haben über Heraufsetzung der Gehaltsgrenze und Bildung neuer Beitragsklassen. Alle großen Streitpunkte seien bei diesem An⸗ trage ausgeschaltet worden.

Abg. Lam bach (D. Nat): Der vorliegende Antrag will das Kernstück der Novelle zum ei ,, ,,, für Angestellte in diesen Entwurf hineinnEehmen. Die Novelle selbst ist im Ausschuß Gegenstand großer Meinungsverschiedenheiten e . Schließ⸗ lich haben die Koalitionsparteien ihren eigenen Koalitionsminister in den Ausschuß zitiert und dem Arbeitsminister die ganze Arbeit derart kritisiert, daß nur noch gesehlt hätte, daß Herr Koch das Se seß zerriß und dem Arbeitsminister vor die Füße warf. (Hört! Hört) Dann wäre praktisch das erfolgt, was so nur mit Worten erfolgte. Den Sieg im Ausschuß haben die Sozialdemokraten dabongetragen. Es ist ihnen praktisch gelungen, was sie schon bei der erften Beratung der Nobelle erreichen wollten, nur einen Paragraphen durchzuführen, der die Versicherungsgrenze herauf⸗ setzt, denn das andere ist in Wirklichkeit angesichts des gesunkenen Geldwertes überhaupt keine Heraufsetzung. Die Wunde, die der Koalition geschlagen wurde, scheint sich bereits geschlossen zu haben, denn der vorliegende Antrag ist offenbar das Ergebnis einer neuen Einigung der Koalitionsparteien, aber er ist so recht ein Wechsel⸗ balg. Bas Ganze ist ein blutiger Hohn auf die Forderungen der Angestellten. Der Antrag ist so aufgebaut, daß er draußen in der Agitation so verwendet werden kann, daß unter allen ÜUmständen die Invalidenversicherung als viel besser gegenüber der Ange⸗ stelltenversicherung hingestellt werden kann. Kennzeichnend ist die Unterschrift der Abgeordneten von der Unabhängigen Sozial⸗ demokratie, die Koalition hat sich also nach links erweitert, ganz im Gegensatz zu der Entwicklung draußen im Lande, wo eine Abwanderung der Angestellten von der Sozialdemokratie statt⸗ findet. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten. Der Verband, dem der Abgeordnete Giebel angehört, hat im vergangenen Jahre 69 000 Mitglieder verloren. Wir von der Deutschnationalen Volks⸗ partei wenden uns mit aller Entschiedenheit gegen die Vergewalti⸗ gung der Interessen der Angestellten. Wir werden diesem Antrag unsere Zustimmung nicht geben, wenn wir auch das Gesetz selbst annehmen, und wir werden dafür sorgen, daß die an Art der Behandlung der Angestellten durch die Sozialdemokratie draußen im Lande gehörigen Widerhall findet. (Beifall rechts.)

Abg. Thiel (D. V.): Der Antrag hat uns durch die Be⸗ teiligung der bürgerlichen Abgeordneten überrascht. Die Sozial⸗ demokratie verfolgt ein Ziel, das nicht das Ziel der Angestellten ist, die ganze n, n,, . die seinerzeit vom Reichstag einstimmig gutgeheißen wurde, zu beseitigen und mit der Inva⸗ lidenversicherung zu verschmelzen. 370 0900 Angestellten, die die eigene Versicherung wollen, stehen nur 69 060690 gegenüber, die anders denken. Die Gründe, die seinerzeit zu dem Erlaß des Angestelltenversicherungsgesetzes führten, waren, daß man den An⸗ ,, besonders den Werkmeistern, Technikern, Betriebs⸗ eamten und anderen in gehobener Tätigkeit, sowie auch den ,. sgehilfen Anspruch auf ein höheres Maß staatlicher Für⸗ orge sichern wollte, als es durch die Arbeiterversicherung geboten werden kann. Dieser Kernpunkt des Gesetzes wird jetzt zerschlagen von den bürgerlichen Parteien, die den Antrag mitunterzeichnet haben. Wir müssen fragen, ob sie noch auf . Standpunkt stehen wie bei Erlaß des Gesetzes. Es fehlt auch eine Bestimmung über die Befreiung beim Abschluß von Lebensversicherungen.

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1 2 * V Besser wäre es, wenn der Antrag auf die Tages othn ng detemnmen wäre, den wir eingebracht haben, und der gestern von der Tages— ordnung abgesetzt wurde. em Arbeitsministerium hat man vor⸗ geworfen, daß solche Gesetze nicht ohne Vertiefung in die Versiche= rungstechnik gemacht werden sollen; das möchte ich den Vaͤtern dieser Anträge zurückgeben. . soll erschlo gen werden, was mit großer geil von den Angestellten aufgebaut ist und als 5 unserer bürgerlichen Angestelltenpolitit zu betrachten ist. Sehr richtig! rechts Ich frage die deutsche Angestellten⸗ schaft, ob sie fich eine solche geradezu unwürdige ann. hrer Interessen gefallen lassen will oder nicht. Beifall rechts

Abg. Bartz Komm): Der Grundgedanke der Beihilfe ist gut, aber das dicke Ende der Deckungsfrage kommt nach. Wir unsererseits wollen mit dem ungerechten Zustand aufräumen, daß eine Grenze zwischen Arbeitern und Angestellten gezogen wind. (Hört! Hört! rechts) Wir wollen keine berufsständische Ab⸗ geschlossenheit. Die ganze Sozialversicherung muß anders gestaltet werden. ö hat man eine Grenze nach oben überhaupt fallen lassen wollen, weshalb will man nun die Erhöhung der Grenze festlegen? Wir wünschen, daß die An estelltenversi erung mög⸗ lichst' der Arbeiterversicherung angeschlossen wird. Darin ist noch nichts geschehen. Zurzeit müssen wir aber die Beihilfen gewähren und das übrige der kommenden Reform überlassen, Wenn heute noch nicht mehr erreicht worden ist, so liegt die Schuld bei der Regierung, die uns solche sozialen Gesetze einbringt zu einer. Zeit, wo sie nicht ausgiebig behandelt werden können. Kurz vor Weih— nachten kam das Gesctz über die Beihilfen für die Invaliden= versicherung, kurz vor Ostern kamen andere soziale Gesetze und so iht wieder kurz vor unserem Auseinandergehen, wo die Inter essenlosigkeit des Hauses gioh ist. Es wird Halo parbeit erl. aber sie ist auch danach. Auch die vom Ausf beschlossenen Erhöhungen entsprechen bei weitem nicht den Beduͤrfnissen; diese Beihilfen für die Angestellten sind kein Ausgleich für die Ent⸗ wertung des Geldes. Wir wollen aber diesen Beihilfen jetzt zu⸗ stimmen, alles andere aber ablehnen, bis das Gesetz gründlich geändert werden kann. . .

Abg. Hoch (Soz.): Die Parteien der Rechten gehen geradezu lindl iy g vr c tun so, als ob durch unseren Antrag die An⸗ estelltenverficherungsnovelle erledigt wäre. Sie sind doch im usschuß . ein Mißverständnis kann also nicht vorliegen. Was hier in bezug auf die Renten geschieht, ist ein Notbehelf, der mit der Reform der Angestelltenversicherung ö nichts zu tun hat. Es ist 2 mehr 43 das Angestelltengesetz jetzt zu verabschieden. enn das n, seiner⸗ zeit auch einstimmig vom Reichstag angenommen ist, so habe ich doch damals im Namen meiner Fraktion die schweren Schäden des Gesetzes hervorgehoben und unsere Bedenken dagegen dargelegt. Wir waren aber damals für das Gesetz, weil endlich die An⸗ gestellten in die Sozialversicherung hineingezogen wurden, gegen welche sie sich immer gesträubt haben. Ne Angestellten wollten damals durchaus ein anderes System der Versicherung haben, um bor den Arbeitern etwas voraus zu haben, und sie haben deshalb die hohen Verwaltungskosten getragen. Eine sachliche Prüfung dieser ganzen Angelegenheit konnte jetzt nicht mehr stattfinden, deshalb haben wir uns zu diesen Anträgen verständigen 6 Um eine Feststellung der Beiträge handelt es sich nicht. Wir wollten aber den Kreis der Versicherten weiter ziehen, und haben nur die bisherigen Beiträge weiter gesteigert für die neuen Klassen. Grundsätzlich wollen wir jede Begrenzung nach oben fallen lassen, aber die Regierung wollte über 30 000 Mark nicht hinausgehen. Deshalb haben wir uns jetzt damit begnügt. Nicht dem Minister, sondern den Geheimräten mache ich einen Vorwutf daraus, daß uns so wichtige Gesetze vorgelegt werden, wenn wir auseinandergehen wollen.

Abg. Andre (Zentr.): Infolge der Unterbrechung durch den Krieg ist die Verwaltung der Angestelltenversicherung noch un— . Die Einbringung der Gesetze wird jetzt immer da⸗ urch verzögert, daß jede Organisation vorher darüber gehört werden muß. Im Interesse aller Parteien müßte dieser Zustand beseitigt werden. as Zentrum hat seinen Standpunkt zur Novelle der Angestelltenversicherung keineswegs geändert. Gerade wir haben noch auf die Verabschiedung ö vor dem Aus⸗ einandergehen des Reichstags gedrängt, aber ohne gründliche Prüfung kann ein solches Gesetz nicht über die Bühne des Reichs⸗ tags laufen. Wir haben uns im Ausschuß darüber verständigt, welche von den sozialen Vorlagen, die wir in der letzten Zeit bekommen haben, noch jetzt erledigt werden müssen. Wir vom . betrachten die Angestelltenpolitik nur von sachlichen esichtspunkten aus ohne . auf die 6 ,. zu irgend⸗ welcher Organisation. Gesetztechnische und sachliche Gesichtspunkte sprechen gegen eine Zusammenlegung mit der Invaliden⸗ versicherung. Die Versicherungssätz? müssen auch dem kleinen Mann e siandkei sein. Hier wird nur ein Notbehelf geschaffen. Käme dieses Gesetz nicht zustande, dann müßte das Heilverfahren wesentlich eingeschränkt werden. Bei der besonderen späteren Beratung werden wir dafür eintreten, daß in der Tat ein . geschaffen wird, das in sozialer Beziehung die Angestellten be⸗ friedigt. (Beifall im Zentrum.)

. Schwarzer (Bayer. V.): Wir sehen bei diesem Gesetz keinen Grund zu politischen Auseinandersetzungen. Ich begreife, daß die Vertreter der Angestellten baldige crabschledung des Gesetzes fordern, aber in vollem Umfang läßt sich die große Nobelle nicht mehr erledigen. Nur das Dringendste ließ sich machen, und der vorliegende Antrag ist nur ein Notbehelf. Wenn wir ihm heute zustimmen, so fühlen wir uns nicht für die spätere Entscheidung gebunden.

Abg. Karsten (h. geh); Für die Erhöhung der Ver⸗ sicherungsgrenze ist ja auch die Rechte eingetreten. Die Aende⸗ rungen sind nötig, weil sich sonst das Heilverfahren nicht mehr durchführen läßt. Den Gedanken der Zusammenlegung mit der Invalidenversicherung haben wir keineswegs aufgegeben. Voll be⸗ friedigt sind wir von der jetzigen Regelung natürlich nicht.

Abg. Erkelenz (Dem) weist die Ausführungen der Ab⸗ geordneten Lambach und Thiel gegen die bürgerlichen Parteien zurück, die den Antrag mitunterzeichnet haben. Auch die Herren don der Rechten haben ja neue , . schaffen wollen. Wir haben uns keineswegs von den Sozialdemokraten zurück drängen lassen, sondern gerade wir haben im Interesse der An⸗ gestellten vorwärts gedrängt, und wir können uns . Eingaben aus Angestelltenkreisen berufen. Es stand Ihnen (nach rechts) ja frei, noch gestern abend Anträge einzubringen. Auf den Stand— . „alles oder nichts“, den sie uns sonst immer vorwerfen, stellen ich heute die Herren von der Rechten. Die Angestellten werden fut unseren Standpunkt volles Verständnis haben. (Beifall.)

Damit schließt die allgemeine Besprechung. In der Einzel⸗ beratung wird die Erhöhung der Beihilfen nach den Kom— missionsbeschlüssen einstimmig angenommen. Zu 5 da (Leistungen der Ersatzkassen), den ein Antrag der Abgg. Erkelenz und Genossen streichen will ssiehe oben), erklärt der

Preußische Minister für Handel und Gewerbe Fischbe ck: Meine Damen und Herren! Gestatten Sie einige wenige Worte, durch die ich Sie bitten möchte, dem Antrag der Herren Erkelenz, Hoch und andre zuzustimmen! Ich will nicht auf die Gründe ein— gehen, welche schon vom allgemeinen Gesichtzpunkte aus im Ausschusse gegen diesen Artikel 4a von seiten der Regierung vorgebracht worden sind: die Gründe, die sich aus der rechtlichen Stellung der Ersatzassen herleiten, die weiteren Gründe, die sich daraus herleiten, daß die jetzigen und künftigen Mitglieder der Ersatzkassen gezwungen werden sollen, Beiträge für Renten aus früheren Zeiten zu leisten.

Ich möchte Ihnen vielmehr an einem praktischen Beispiel, das ganz besonders hier in Betracht kommt, zeigen, wie einmal dieser Paragraph nicht nötig ist, wie er überflüssig erscheint, und welche be— denklichen Folgen er auf der anderen Seite hat.

Es handelt sich hier um die Knappschaftskassen, welch un wesentlichen Teile ja als Ersatzkassen zugelassen sind. In Preußen sind es allein 16 Knappschaftskassen. Nun sind die Leistungen der Knappschaftskassen heute schon zum allergrößten Teile weit hin— ausgehend über das, was das Gesetz als Vorschrift enthält. Während nach den gesetzlichen Bestimmungen nach zehnjähriger Dienstzeit in der häöchsten Klasse ein Ruhegeld von 798 . bezahlt wird, haben nur zwei ganz kleine Knappschaftskassen ein geringeres Ruhegeld, zwei weitere haben ein gleiches Ruhegeld, alle anderen Knappschaftskassen gehen heute schon, zum Teil in sehr erheblichem Maße, über dasjenige hinaus, was gesetzliche Vorschrift ist; insbesondere haben alle großen Knapp⸗ schaftskassen in den größeren Bergbaubezirken sehr erhebliche Mehr⸗ seistungen. Die zugelassene niederschle sische Knappschaft zahlt heute schon statt 798. 1296 4, im Oberbergamtsbezirk Dortmund der Allgemeine Knappschaftsverein zu Bochum 1320 A, der Minden—⸗ Rabensbergische 1080 , der Verein der Georgsmarienhütte 1600.4, und im Oberbergamtsbezirk Bonn sind es 1320 4, 1392 4A und bei einer Knappschaft sogar 1800 , also ein Betrag, der jetzt schon äber das hinausgeht, was in diesem Gesetz mit den Beihilfen über— haupt erst erreicht wird. ;

Aber Sie wollen weiter in Betracht ziehen, daß bei diesen in gnappschaftsbereinen versicherten Angestellten zum überwiegenden Teil der Vorteil besteht, daß auch diejenige Zeit mit zur Anrechnung kommt, in der sie früher Arbeiter gewesen sind, und daß ist gerade bei diesen Angestellten ein nicht unerheblicher Teil, so daß bei ihnen zu den Steigerungssätzen aus ihrer Angestelltendienst⸗ jeit auch noch die Steigerungssätze aus ihrer Arbeiterdienstzeit hin— utreten.

Endlich wollen Sie ermessen, daß, während hier nach dem An⸗ gestelltenversicherungsgesetz die Wartezeit 10 Jahre beträgt, sie bei den Knappschaftsvereinen drei Jahre normiert ist.

Aus diesem Vergleiche geht wohl schon hervor, daß es fassch ist, mechanisch die Bestimmungen dieses Gesetzes auf die Knappschafts—⸗ kassn übertragen zu wollen.

Nun kommt aber ein anderer Grund hinzu, der gegen den Sn spricht. Im Reichstag und in den Parlamenten der Einzel⸗ staaten ist seit Jahren eine Reform der Knappschaftsgesetze gewünscht worden. Es ist gewünscht worden, daß die Leistungen erhöht werden und vor allen Dingen, daß wir endlich zu einem einheitlichen Reichs⸗ Fnappschaftsgesetz kommen. Die Vorarbeiten dafür sind getroffen in einer etwas anderen Weise, als es sonst der Fall ist. Nicht die Regierung hat direkt den neuen Entwurf aufgestellt, sondern in dem Knappschafts⸗ pereincberband hat man sich dazu an die Arbeit gemacht. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben sich zusammengesetzt, allerdings mit in⸗ offizieller Unterstützung der sachverständigen Referenten der Länder und der Reichsregierung, und haben einen solchen Entwurf auszu⸗ arbeiten übernommen. Diese Arbeiten sind kurz vor dem Abschluß. Wir haben das erfreuliche Resultat, daß eine Einstimmigkeit bei beiden Teilen sich ergeben hat. Ich glaube, es wird auch zur Be⸗ ruhigung des Reichstags bei seiner demnächstigen Beratung des Ent⸗ wurfs beitragen, wenn er weiß, daß dasjenige, was die Regierungen hier vorlegen, von beiden Seiten vorher akzeptiert worden ist.

Meine Herren, wer den Dingen nahesteht, weiß auf der andern Seite, daß, wenn derartige Dinge, wie sie hier nach § 342 der Kommissionsbeschlüsse vorgeschlagen sind, gemacht werden sollen, dazu eine Statutenänderung notwendig ist, daß dazu die Einberufung der Generalbersammlungen erforderlich ist und daß dazu ein Aufwand von Hunderttausenden gehört, und der weiß auch, daß mit diesen Generalversammlungen allerlei aufregende Agitationen verknüpft sind und daß bei derartigen Beratungen sonstige Anträge kommen können, die ebento'll das ganze Werk, das hier in Aussicht genommen ist, über den Haufen werfen können. Das würde eine außeroedentliche Schädigung des erwünschten Werkes bedeuten. Wir würden fürchten müssen, daß die Arbeit, vor deren Abschluß wir stehen, zum Scheitern gebracht oder wenigstens auf Jahre hinausgeschoben wird. Um das ju vermeiden, möchte ich Sie dringend bitten, dem vorliegenden Antrag, den 5 4a zu streichen, zu zu st imm en.

§z da wird entsprechend dem Antrag Erkelenz gestrichen.

Gegen die Stimmen der beiden Parteien der Rechten wird der Antrag der Koalitionsparteien und der Unabhängigen Sozialisten Erkelenz und Genossen), betr. Aenderung des Versiche⸗ rungsgesetzes für Angestellte durch Erhöhung der. Gehaltsgrenze, die versicherungs— pflichtig macht, usw., angenommen.

Darauf werden einzelne noch ausstehende Abstimmungen ju dem Nachtragsetat vorgenommen.

Im Haushalt des Ernährungsministeriums verden die Forderungen von 104 Milliarden Mark zur Ver⸗ billigung von Auslandsmais für Futterzwecke und von 259 Millionen Mark Mehrkosten infolge der Herabsetzung der Ausmahlung, deren Streichung die Unabhängigen und Kom⸗ munisten beantragt haben, gegen die Stimmen dieser beiden Parteien bewilligt. Zum Haushalt des Reichsberkehrs⸗ ministeriums wird der gemeinsame Antrag der bürgerlichen Parteien und der Mehrheitssozialdemokraten angenommen, wonach Zeitungsdruckpapier aus der Tariftlasse A in die Klasse B unter Fortfall einer besonderen Gebühr für Ge⸗ stelung bedeckter Wagen mit Wirkung vom 1. April 1921 ab dersez werden soll. .

Ein Antrag der Deutschen Volkspartei, die Aufrückungsstellen der Lokomotivführer nach Gruppe VII und der Zugführer nach Gruppe VI nach Maßgabe der erhöhten Anforderungen, Verantwortlichkeit und besonderen Wichtigkeit dieser Dienfitzweige besonders zu regeln, wird gleichfalls an⸗ genommen.

Der Antrag Hergt (D. Nat) und Gen., für das Rech⸗ nungsjahr 19237 Maßnahmen zur Herbeiführung erheblicher Ersparniffe bei den Pperfönlichen und sächlichen Kosten der

eamten- und Arbeitervertretungen zu treffen, wird gegen die Stimmen der Deutschnationalen und der Deutschen Volks⸗ partei abgelehnt.

Zum Haushalt des Reichsministeriums des Luswärtigen wird der Antrag der J

ozialisten, die Reichszentral für Heimatdienst zum i Oktober 1921 zu schließen, gegen die Stimmen der Un⸗

abhängigen Sozialisten und Koömmunisten abgelehnt, ebenso

er Antrag der Deutschnationalen, die, Reichszentrale für heimatdienst zum J. Sktober 1921 zu schließen und nur die⸗ snigen Arbeiten fortzuführen, deren Fortführung im Reichs⸗ ie. geboten erscheint, gegen die Stimmen der beiden stsparteien. Angenommen wird die Entschließung desHaupt⸗

ausschusses auf Vorlegung eines Plans für die Umge⸗

ß staltung der Reichszenkrale für Heimatdienst unt folgender Grundsäͤtze: . s er Beachtung

1. Die Einrichtung dient der sachlichen r r . über außen⸗

politische, wirtschaftspolitische, soziale und kulturelle Fragen, und zwar nicht im Geiste einzelner Parteien, sondern vom Standpunkte des Stagtsganzen. 2. Die Reichsregierung wird einen parlamenta—⸗ rischen Beirat berufen. 3. Unter den Berufsarbeitern und Ver⸗ trauensmännern sollen die im parlamentarischen Beirat vertretenen Gruppen entsprechend ihrer Bedeutung im Volksleben vertreten fein.

Es folgt die zweite Beratung des Gesetzent⸗ wurfs zur Ueberwachung des Verkehrs mit Postpaketen, wonach der Warenverkehr zwischen unbe⸗ setztem und besetztem Gebiet in den Postdiensträumen über— wacht werden darf und Paketsendungen geöffnet werden dürfen.

Abg. Zubeil (Nn. Soz.) erklärt, daß dieses Gesetz in poli⸗ tischem Sinne gehandhabt werden könne ünd daß auch gen 56 punkt darin angegeben sei, wann es wieder abgeschafft werden könne. Seine Partei könne daher diesem Gesetz nicht zustimmen.

Das Gesetz wird unverändert gemäß dem Antrage des Ausschusses in zweiter und auch sofort in dritter Tesung an⸗ genommen.

In dritter Beratung wird das Wehrmachtversor⸗ gungsgesetz ohne Erörterung unverändert nach den Be— schlüssen der zweiten Lesung angenommen.

Es folgen die Interpellationen zum Falie Jagow. Die Sozialdemokraten, das Zentrum und die De⸗ mokraten fragen, ob die Regierung über den Stand des Verfahrens gegen den Regierungspräsidenten a. D. v. Jagow wegen Hochverrats unverzüglich Auskunft geben wolle. Die Unabhängigen Sozialisten bemerken in ihrer Interpellation, daß der Justizminister Schiffer Erklärungen abgegeben habe, die mit den Erklärungen des Herrn v. Jagow im Widerspruch stehen, und daß die Gerichtsbehörden gegenüber Herrn v. Jagow und allen anderen Männern, die sich beim Kapp⸗ Putsch des Hochverrats schuldig gemacht haben, versagen; sie fragen, was die Regierung tun wolle, um die Hochverrats prozesse und die Haftbefehle gegen Traugott v. Jagow und die übrigen Kappisten rücksichtslos zur Durchführung zu bringen.

Abg. Dr. Spahn (8entr): Der Anlaß zu 3661 Inter⸗ pellation ist folgender: Der frühere Polizeipräsident in Berlin, Herr bon Jagow, ist wegen Hochverrats in , . sen worden. Wir wissen aus diesem Untersuchungsverfahren, daß Herr von Jagow auf Grund von ärztlichen Bescheinigungen nicht in Unter⸗ ,,, genommen ist. Wir wissen außerdem aus den Mit⸗ teilungen, die der Reichsjustizminister hier gemacht hat, daß das 5 ren zurzeit nicht . ist, sondern latent ruht, nicht infolge eines 6 sondern weil der Aufenthaltsort des Herrn von Jagow nicht bekannt sei; denn der Justizminister hat bemerkt, man könne niemand . den man nicht habe. Diese Mit⸗ teilungen haben das Auffallende an sich, daß Herr von Jagow in der 6 erklären konnte; Ich bin seit März 1920 nicht krank gewesen, bin . gesund. Das ärztliche Zeugnis ist jedenfalls nicht dahingehend, daß er nicht in der Lage wäre, Untersuchung über sich ergehen zu lassen, eventuell auch Strafe zu verbüßen, das ist ja eine Frage, die erst später kommt. Er sagt außerdem: Meine Woh⸗ nung eftnbet sich in Potsdam, mit der Hausnummer in der Straße die angegeben ist. Es ist also auffallend, wie es dann nicht mögli war, die Voruntersuchung und das ganze Untersuchungsverfahren andauernd durchzuführen. Jedermann fragt sich; wie kommt es, daß dieser Mann nicht weiter skrafrechtlich verfolgt ist, obgleich ihm der . Vorwurf des 8 emacht wird? D aß, die Regierung zu befragen. Ich will auf die Sache nicht weiter eingehen, e, abwarten, welche Auskunft gegeben wird. Ich habe nur den Justizminister zu fragen, ob er uns die Auskunft schon heute geben will.

Abg. Rosenfeld (h. Soz): Man darf sich nicht wundern, daß in diesem Falle die Linke nach dem Staatsanwalt ruft. Es besteht eine Verfügung, wonach die ,, über die Unter⸗ suchungshaft verbesserungsbedürftig sind und deshalb mit erke Vorsicht angewendet werden sollen. Wir wollen grundsätzlich eine Milde in der Strafjustiz walten lassen, wenn aber die Staats⸗ anwaltschaft mit äußerster Strenge gegen Revolutionäre vorgeht, so protestieren wir gegen die Vorzugsbehandlung des Herrn bon Jagow und anderer Kappisten. Seit einem Jahre geschieht nichts gegen ihn, seit einem Jahre wußte niemand, wo er ist. Wo ist der Steckbrief gegen ihn, sind Belohnungen für seine Er⸗ greifung ausgesetzt? Gegen die Vorzugshehandlung eines Herrn von Jagow müssen wir Protest erheben. Wer sind die Schuldigen? Herr von Jagow hat erklärt, er sei auch nicht einen Tag krank gewesen. Das war eine Ohrfeige für den w n r., Dank vom nn. Jagow! „Kalte Abreibungen“ soll Herr von Jagom nötig haben. Der Justizminister hat daraus „Abwaschungen“ gemacht. (Heiterkeit bei der äußersten Linken Der Hinweis auf die Krankheit des Herrn von Jagow muß auf das Gericht großen Eindruck gemacht haben. Wo gab es in Deutschland schon mal einen Hochverräter, gegen den ein Haftbefehl wegen Krank⸗ heit nicht vollzogen wurde? Das Attest von n,, genügt sonst den Gerichten nicht. Seit wann genügt ein Prxivatattest? Der ärmste Arbeiter muß mit großen Kosten ein kreisärztliches Attest sich beschaffen. Die Klassenjustiz wäre unmöglich, wenn sie sich nicht stützen könnte auf Klassenmedizin. Denken Sie nur an den Fall Eulenburg. Eulenburg erfreut sich noch heute seines Lebens. Aber Eulenburg tat doch wenigstens so, als ob er krank war. Will Herr Schiffer etwa sagen, 33 Herr von Jagow en hel simuliert? (Heiterkeit. Herr Schiffer hat erklärt: „Die Krankheit des Herrn von Jagow ist doch wohl ein Gegenstand unserer menschlichen Teilnahme“. (Lachen links) Herr don Jagow war immer ein Bild strotzender Gesundheit, er hatte als Polizei⸗ präsident gute Nerven, in seinem Namen wurden die blutigen Attacken gegen die Arbeiter geritten. Und diesem Mann zeigt der Justizminister menschliche Teilnahme! Als Gegenstück erinnere ich an einen schwerkranken Arbeiter Lehmann in ö a. M., der trotz seiner Leiden nicht aus der Haft entlassen wurde. Er kam lediglich ins Lazarett, auch heute ist er noch in Haft. Was will der Minister tun, um diesen unglücklichen Mann aus der Haft zu befreien? Auch den Fall Toller möchte ich nochmals heranziehen. Toller bedarf eines Spezialarztes, aber selbst sein . Antrag, nach München ein paar Tage beurlaubt zu werden, um einen Spezialarzt zu konsultieren, wurde abgelehnt. (Hört! Hört! links) Herr von Jagow aber läuft frei herum. Ein Mann, der als Polizeipräsident vielen Tausenden die frische Luft entzogen hat, will nicht ins Gefängnis. Wie muß es wohl in unseren Gefängnissen aussehen, wenn Herr von Jagow nicht in Untersuchungshaft gehen will, gewiß nur auf kurze Zeit, denn er wird natürlich freigesprochen werden. Jedenfalls ist es ein unerhörter Skandal, daß die Aufhebung des Haftbefehls in dieser Weise vom Justizminister gerechtfertigt wird. Nun sagt Herr Schiffer, er wisse nicht, wo Herr von Jagow sich aufhalte. Wie schlecht muß er informiert sein! Der Minister müßte mit aller Energie dem Gesetz gemäß vorgehen, die Unauffindbarkeit nach Stellung der Kaution genügt doch, um das Gesetz zur An⸗ wendung zu bringen. Die deutsche Republik aber läßt sich von Herrn von Jagom alles gefallen. Er tritt sogar als Ankläger gegen den Justizminister auf. Die deutschnationale, Presse arbeitet Band in Hand mit Herrn Schiffer. Der „Tag“ schreibt, Herr von Jagow wäre ein Narr, wenn er sich der Behörde stellte. Nur 3 Wulle hat mir darin recht gegeben, daß eine Verhöhnung der FJustiz durch Herrn von Jagow vorliegt. Eine schlimmere Verhöhnung unserer Rechtspflege ist in der Tat noch nicht da⸗

gewesen. Von den anderen Kappisten ist bisher noch kein einziger verurteilt worden, sind sie etwa alle so leidend wie Herr von Jagow? Selbst wenn man dem Minister Energie gegen die

as gibt den An⸗

Kappisten 6. wollte, ist es immer noch die Frage, ob er sich gegen seine reaktionären Beamten durchsetzt. Vorläufig sage ich: Hüten Sie sich, Herr ,. daß Sie nicht mit dem Zucht⸗ haus Bekanntschaft machen. ehe dem Staate, in dem sorche Dinge vorlommen! Es handelt sich um eine Machtfrꝗge, die außerhalb des Parlaments durch die Arbeiterschaft er(schieden werden muß. (Große Unruhe rechts. Zurufe: Der Millionär e,. als Führer der Proletarier) Diese Machtfrage wird im K i gegen die Bourgeoisie entschieden werden durch das klassenbewute Proletariat. (Beifall links.)

Hierauf nimmt der Reichsjustizminister Schiffer das Wort, dessen Rede wegen verspäteten Eingangs des Steno⸗ gramms erst in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaut wiedergegeben werden wird.

Auf Antrag Müller⸗Franken (Soz.) findet Besprechun der Interpellation statt. 9 , . ; Abg. Dr. Radbruch (Soz. ): Nicht der für uns belanglosen Person des Herrn von Jagow gilt die Ehre zweier Interpellationen, sondern es ist eine Frage der öffentlichen Moral und der Rechts⸗ pflege. Zwischen Häölz ünd Jagow gibt es einen Unterschied. Bei beiden ein freches Spiel mit der Justiz, aber Hölz spielte nicht nur mit der Justiz wie mit der Maus, sondern er spielte auch mit seinem Kopf, während Jagows Kopf festsitzt. Der Minister hat von der , wegen des Gesundheitszustandes Jagows abgesehen und weil er flüchtig sei. Danach wäre die Kaution ver= fallen gewesen. Wir haben hier einen kolossalen Justizstandal. Heute sagt der Minister, die Verhaftung unterbleibe infolge der Kaution, und er hat jetzt die Verhaftung verlangt. Das Reichs—⸗ gericht ist unverständlich, es hat die Verhöhnung durch Herrn von Jagow ruhig über sich ergehen lassen, ohne den Haftbefehl zu vollstrecken. Unaufgeklärt ist es auch, weshalb Herr von Jagow monatelang unbehelligt geblieben ist. Nicht die Polizei, sondern der Minister selbst ö. dafür verantwortlich. Hier eu auch Jagows Wort zu gelten; „Ich warne Neugierige.“ Gheiterkeit.; Nach dem Minister ist alles korrekt zugegangen. Wozu wäre man denn . wenn man nicht alles korrekt machen könnte? Von den ursprünglich 790) Kapp⸗Rebellen sind zöz amnestiert, 108 durch Tod oder andere Gründe weggefallen, gegen 174 hat die Staats- anwaltschaft das Verfahren eingestellt; von den verbleibenden 70 ist seit einem Jahre abgeurteilt Null. (Hört! Hört!) Die Amnestie ist viel zu weit ausgedehnt worden, das Reichsgericht hat einen Kapp⸗Führer nach dem andern amnestiert. Dem stehen 4000 schwere Verurteilungen durch die Sondergerichte gegenüber. (Hört! Hört!) In einem Buche wird ,,. daß von 314 Tötungen nur 22 gesühnt seien, darunter solche, wie der Fall Rosag Luxemburg, ganz ungenügend. 288 ungesühnte Tötungsfälle! Ich übergebe dem Minister dieses Buch mit der Forderung, den einzelnen Fällen nachzugehen. Das Verfahren bei Nachprüfung der urteilẽ der Sondergerichte zum Zwecke der Begnadigung entspricht nicht unserem Verlangen. Wenn diese Begnadigungsfälle nicht zu⸗ . erledigt werden, dann ist eine allgemeine politische

mnestie nicht zu umgehen. (Zustimmung links.) Der Minister kann in schwebende Verfahren nicht eingreifen, aber er ist ver⸗ antwortlich für den Geist der Justiz und muß Kritik üben an dem Geist der Justiz. Glaubt der Minister, daß das Mißtrauen in unsere Justiz in politischen Dingen nur auf Verhetzung der Massen beruht und nicht auch in der Justiz selbst begründet ist? Ich hoffe auf die vollste Objektivität des Ministers. (Beifall links.)

Von den Kommunisten Hoffmann und Genossen wird das Mißtrauensvotum beantragt: Die Behandlung des Falles Jagow durch den Reichsjustizminister entspricht nicht der Auffassung des Reichstages.

Abg. Dr. Warmuth (D. Nat.): Wir nehmen zur Sache unter dem Gesichtspunkt Stellung, daß wir es mit einem schwebenden Verfahren zu tun haben. Es ist nicht die Aufgabe des Par⸗ laments, in ein schwebendes Verfahren einzugreifen. Wir halten das für abwegig, da das Parlament von politischen Strömungen geleitet wird, von denen das Gericht frei ist. Das entspridyt auch der Verfassung, welche die Unabhängigkeit des Richters gewähr⸗ leistet. Es fragt sich nur, ob im Falle Jagow das Gesetz verletzt ist durch die Behandlung des Haftbefehls und des Verfahrens selbst. Der Abg. Rosenfeld hat keine Tatsache anführen können, derentwegen das Gericht eine Kollusionsgefahr hätte annehmen müssen. Es wäre verfehlt, wenn wir auf das Gericht nach der Richtung einwirken wollten, daß es eine Kollusionsgefahr an⸗ nimmt und damit die Sicherheitsleistung illusorisch macht. Der Haftbefehl ist durch die Sicherheitsleistung außer Kraft gesetzt worden, so daß Jagow von der Untersuchungshaft verschont bleibt. Ich will den Gründen des Reichsgerichts nicht nachspüren. Das elf selbst i als einen Grund die Sicherheitsleistung vor. Es ist nebensächlich, ob der Richter auch davon ausgegangen ist, daß Jagow krank sei. Das Reichsgericht hat lediglich die Sicher⸗ heilte leitung als ein Moment betrachtet, das den Fluchtverdacht abwehrt. Das ist auch durchaus richtig, denn auf die Vorladungen ist Jagow stets erschienen. Es sind keine Tatsachen eingetreten, die nach der Strafprozeßordnung die Anordnung der Haft wieder in Kraft setzen mußten; es lag kein neuer Grund dazu vor. Daß eine Gesetzwidrigkeit, eine Rechtsbeugung insofern vorliegt, daß das Verfahren absichtlich verzögert worden ist, diese Annahme ist« allerdings in gewissen Kreisen vorhanden. Die lange Verzögerung hat in weitesten Kreisen des Volkes Befremden erregt, das nicht ungerechtfertigt erscheint. Ich freue mich, vom Minister gehs ot zu haben, daß doch sehr wesentliche Gründe für die Verzögerung in der Schwierigkeit der Beschaffung des Materials liegen, und daß wir jetzt endlich unmittelbar vor dem Abschluß stehen, so daß alles üble Gerede verstummen muß. Wenn der Abg. Rosenfeld dem Recht zum Siege verhelfen will, dann aber einen Hymnus auf die Gewalt anstimmte, die vor Recht gehen müsse, so bewegt er sich in einem starken Gegensatz. Wenn auch die Ziele verschieden sind, so ist im Prinzip doch das, was Sie Herrn von Jagow vorwerfen, genau das gleiche, was Sie wollen. Geifall rechts.)

Abg. Dr. Herzfeld (Komm): Herr von Jagom hat seiner⸗ zeit schon zu den Kanalrebellen gehört. Die Rebellion liegt bei ihm im Blute, und einen solchen Mann läßt man in Freiheit. Redner zitiert aus einem Buch, in dem aufgezählz wird, daß die meisten Teilnehmer am Kapp-Putsch in Freiheit sind. Dig ganze Kapp⸗ Regierung ist, in Freiheit. Andererseits sind. Mitglieder der bayerischen Räteregierung, wie Axelrod, zum Teil erschossen, zum Teil mit schweren Freiheitsstrafen belegt. Ein solche Justiz nimmt der Minister Schiffer in Schutz. Durch den Fall Jagow hat sich das Reichsgericht selbst vor dem Ausland herabgesetzt. Die Wenn kann nur durch die Arbeiter selbst ausgerottet werden. Diese ganze Justiz mit dem Justizministerium muß beseitigt werden. (Beifall bei den Kommunisten.) .

Reichsjustizminister Schiffer: Ich will auf die Einzelheiten, die von den Herren Rednern vorgebracht sind, jetzt nicht eingehen. Aber vieles von dem, was sie gesagt haben, erschöpft sich in An⸗ regungen allgemeiner Art, die insbesondere der Herr Abg. Radbruch vorgetragen hat. .

Es sind im wesentlichen drei große Gesichtsaunkte, die er hier betont hat, und über die er von mir Auskunft verlangt. Er hat einmal bemängelt, daß die Justiz viel zu wenig Fühlung mit der Oeffentlichkeit hat, daß es notwendig ist, die Oeffentlichkeit fort- dauernd auf dem laufenden zu halten und rechtzeitig Mißverständnissen entgegenzutreten, die sich bilden, oder die Auskunft zu erteilen, die sie verlangt hat.

Ich bin der Meinung, ich habe gerade bei der Behandlung des Falles Jagow ganz offen bekundet, daß die Nichtveröffentlichung jenes Reichsgerichtsbeschlusses über die Sicherheitsleistung nach meiner Meinung einen wesentlichen Teil der Schuld daran trägt, daß Irr⸗