Nichtamtliches. (Fortsetzung aus dem Hauptblall.)
Preuhischer Landtag. 57. Sitzung vom 18. Oktober 1921. Nachtrag.
Die Rede, die bei Fortsetzung der Besprechung der Inter— pellationen über die innere Politik der Minister des Innern Dominicus gehalten hat, hatte folgenden Wortlaut:
Meine verehrten Damen und Herren! Die Gelegenheit, die ich heute habe, noch einmal zu dieser Interpellation zu sprechen, möchte ich dazu benutzen, einzelnen Herren, die in der vorigen Sitzung an der Richtigkeit meiner Angaben Zweifel geäußert haben, heute den Beweis für die Richtigkeit zu liefern.
Ich darf dem Kollegen Peters (Hochdonn) den Beweis dafür geben, daß ich mit der Angabe dieser 15 Leute in Itzehoe recht gehabt habe. (Widerspruch des Abg. Peters Hochdonn!) — Ja, lieber Herr Kollege Peters, ich darf Ihnen hiermit zu Ihrer Einsichtnahme einen beglaubigten Auszug aus dem Bericht des Regierungspräsidenten geben, in dem die Namen dieser 15 Leute angegeben sind. (Abg. Peters Hochdonn]: Das ist vom Bezirks⸗ ausschuß! Sie sind falsch unterrichtet! — Ich darf Sie bitten, die Sache anzusehen, und ich hoffe, daß ich dadurch den Beweis führen kann. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) — Aber lieber Kollege Krüger, so eine Behauptung können Sie doch nicht auf⸗— stellen! (Erneute Zurufe bei den Sozialdemokraten) — Hier, schauen Sie sich die Namen an!
Andererseits hat Herr Kollege Scholich in der vorigen Sitzung die Richtigkeit meiner Zahlenangaben in bezug auf die Abstimmung in dem Kreistage in Nimptsch bestritten. Ich hatte gesagt, der Landrat Seibold sei nur mit 9 Stimmen gegen 15 andere vorgeschlagen gewesen, und Herr Kollege Scholich hat er⸗ klärt, es seien 11 andere gewesen. Ich darf dem Herrn Kollegen Scholich, den ich ja vorhin hier im Saale gesprochen habe, uruf) — er ist ja hier — ein Schriftstück vorzeigen, nämlich den Antrag, den der Minister des Innern an das Staatsministerium wegen der Bestätigung der Wahl des Herrn Seibold damals vorgelegt hatte, in dem mit Datum vom 29. November 1920 festgestellt worden ist, daß der Kreistag in Nimptsch in seiner Sitzung vom 30. September in Anwesenheit sämtlicher 25 Kreistags⸗ abgeordneten mit 15 gegen 9 Stimmen bei einer Stimmenthaltung den Regierungsassessor von. Schröter erneut zum Landrat vor— geschlagen hat. Dieses . Dokument trägt die Unterschrift des Herrn Kollegen Severing. Geiterkeit) Ich darf Ihnen, Herr Kollege Scholich, dieses Schriftstück zur Verfügung stellen.
Da ich im Begriff bin, eine Reihe von Erklärungen zu be⸗ richtigen, so freue ich mich, aus der letzten Rede des Herrn Kollegen Severing feststellen zu können, wie er sich im Unterschied zu seinem Parteifreund und Interpellationsbegründer, Herrn Abg. Krüger, auch heute noch zu dem Prinzip der 12 jährigen Anstellung der Schutzpolizei bekannt hat. Der Herr Kollege Krüger hatte zu meinem lebhaften Bedauern dies das letztemal nicht getan, wenn ich ihn recht verstanden habe, und er hat sich da in einen merk⸗ würdigen Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen in der 18. Sitzung des Hauptausschusses des Landtags am 24. Juni ge⸗ setzt, wie Sie im Bericht auf Seite 31 nachlesen können:
Seine Fraktionsfreunde würden sich daher mit der 12jãhrigen Dienstzeit der Schutzpolizeibeamten abfinden unter der Vo vaus⸗ setzung, die, wie er annehme, auch beim Minister vorhanden sei, — das bestätige ich — daß, wenn nicht eine Verminderung der Poligeitruppe oder Dienst⸗ unfähigkeit bei einzelnen Beamten eintrete, die Schutzpolizei⸗ beamten nicht ohne weiteres nach 12 jähriger Dienstzeit entlassen werden sollten. — Ich bestätige dem Herrn Abg. Krüger, daß das Ministerium auf das eifrigste versucht, einen Weg zu finden, damit die Beamten der Schutz polizei nicht nach 12 Jahren einfach entlassen werden. Ich kann aber ein gewisses Gefühl des Erstaunens und der Verwunderung darüber nicht unterdrücken, daß der Herr Abg. Krüger, während er noch am 24. Juni diesen Prinzipien der Organisation der Schutzpolizei zu⸗ gestimmt hat, am vorigen Freitag als Sprecher seiner Fraktion im Gegensatz zu dem Kollegen Severing diese fundamentale Frage der Orgmisation ganz anders behandelte. (Widerspruch)
Ich gehe mit ein paar Worten auf die Rede des Herrn Kollegen Eberlein ein und darf ihm trotz der Unfreundlichkeit, mit der er von meinem „Geschwätz“ gesprochen hat, kurz sagen, daß die Versetzung des Kommissars Lyß bereits vorher verfügt war, als noch nichts gegen ihn vorlag und als der Prozeß Schreier in Breslau noch nicht spielte. Unmittelbar nachdem dieser Prozeß Schreier gespielt hat, habe ich den Polizeipräsidenten Kleinböhmer beauftragt — das wird den Herren aus Schlesien bekannt sein — die Untersuchung auf Grund der Zeugenaussagen durchzuführen, die neu in die Oeffentlichkeit ge⸗ drungen sind.
Daß Zusammenstöße mit Arbeitern in Breslau propoziert worden sind, muß ich auf das bestimmteste bestreiten. (Lachen bei den Kommunisten.)
Wie wir gegen die Arbeitsgemeinschaften vorzugehen bereit sind, habe ich den Herren am vorigen Freitag aus den Akten bewiesen.
Eine Reihe von den Dingen, die der Herr Kollege Eberlein besprochen hat, sind nach seiner eigenen Erklärung in dem Ab⸗ stimmungsgebiet passiert, in dem bekanntlich die preußische Ver⸗ waltung nichts zu sagen hat.
Wenn er heute von einem Kommissar Scherler oder Scherl ge⸗ sprochen hat, so höre ich diesen Namen heute zum erstenmal. Wenn es richtig wäre, daß dieser Beamte mit der Orgesch, die von Rechts wegen aufgelöst ist, irgendwelche Beziehungen hätte, so würde das selbstverständlich ein Dienstvergehen darstellen, und es müßte gegen den betreffenden Beamten eingeschritten werden.
Ebenso würde ich es natürlich unter allen Umständen tadeln und bestrafen, wenn, was der Herr Abg. Eberlein behauptet hat, in Halle irgendwelche Personalverbindung zwischen den Schutzpolizeioffizieren und der Orgesch bestände.
Ich verspreche also, daß ich diesen Dingen nachgehen werde. Ich hoffe nur, daß der Kollege Eberlein mich in dieser Bemühung mit etwas größerem Nachdruck unterstützt als der Kollege Rabolg von der Unabhängigen Sozialdemokratie, denn dieser war am vorigen Freitag so freundlich zu erklären, daß er mir sein Material alsbald
und das Ministerium des Innern warkek mik Schmerzen auf dieses Material. (Heiterkeit)
Meine Damen und Herren, im allgemeinen aber muß ich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Eberlein das eine noch zum Schlusse sagen, daß ich es weit von mir weise, derartige Angriffe gegen die preußischen Beamten, auch von der viel⸗ geschmähten Polizei hier ruhig hinnehmen zu müssen. (Bravo!) Solange Sie uns nicht dafür wirklich schlüssige Beweise anführen, weise ich diese Angriffe glatt zurück. Ich darf bitten, daß mir die Herren diese Beweise zugänglich machen, mit derselben Schnelligkeit oder hoffentlich noch viel schneller als der Herr Kollege Rabold. (Zuruf links) Das Protokoll kommt erst in 14 Tagen oder 3 Wochen heraus.
Nun gestatten Sie mir noch ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Severing. Wenn er einen Ausspruch unseres früheren Kollegen, des demokratischen Abge— ordneten Dr. Schloßmann, eines Wortführers der Demokratischen Partei damals, zitiert hat, worin er Gewalttätigkeiten von rechts mit genau derselben Energie wie die von links zu unterdrücken bat, so wüßte ich nicht, in welcher Weise diese Forderung des Kollegen Dr. Schloßmann von meinen Prinzipien und den Forde⸗ rungen der Demokratischen Partei dieses Hauses sich irgendwie unterscheidet. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Herr Kollege Severing war so freundlich, mir zu konzedieren, und zwar im Namen seiner ganzen Fraktion — was ich mit Dank entgegen⸗ genommen habe —, daß ich nicht böswillig gewesen wäre, und trotzdem war die Erklärung, die ich am vorigen Freitag in diesem Sinne hier an die Adresse des „Vorwärts“ richtete, nicht unnütz gewesen. Denn wenn der „Vorwärts“ ein paar Tage vorher mit Fettdruck und großer Ueberschrift in die Welt hinaus- posaunt hat: Dominicus warnt die Orgesch, so mußte das jeder ruhige Leser als eine absichtliche, d. h. böswillige, Warnung auf⸗ fassen. Es war mir unter diesen Umständen ein gewisses Gefühl der Befriedigung, nach ein paar Tagen im „Vorwärts“ zu lesen, wie er etwas kleinlaut sagte: wenn auch nicht böswillig, so hat er doch wenigstens recht ungeschickt gehandelt.
Herr Kollege Severing hat nochmals von dem Fall Seibold gesprochen. So einfach, so selbstverständlich wie Herr Kollege Severing den Fall dargestellt hat, lag er nicht, sondern diese Ausdrucksweise des Seibold in dem Wahlkampf war doch tatsäch—⸗ lich so grob. (Widerspruch links) Ich kann Ihnen nur sagen — (Zuruf links: Sie haben einen Zeugen, der in jeder Beziehung nicht glaubwürdig ist, einen Hauptmann Kellner; wir können ihm andere Zeugen entgegensetzen — Herr Kollege Scholich, ich hatte drei derartige Zeugen, aber ich gebe Ihnen das eine zu: ich bin gestern in den Besitz einer neuen Zuschrift des Landrats Seibold gekommen, in der er sagt, er möchte gern noch die und die Zeugen anführen. Ich habe darauf umgehend diese Sache dem Regierungspräsidenten in Breslau geschickt mit dem Ersuchen, festzustellen, ob diese neuen Zeugen irgendwie etwas Wesentliches sagen können. Wenn daraus sich ein anderer Tatbestand ergibt, so würde ich selbstverständlich mein Urteil gegen Seibold rekti⸗ fizie ren.
Im übrigen hat sich Herr Kollege Severing über das Aufgebot im Falle Seibold gewundert. Eigentlich kann die Sozialdemo⸗ kratie in diesem Falle doch stolz sein, daß von ungefähr 14 oder 15 Anklagen, die gegen Seibold erhoben worden sind (Zuruf links) — oder 26 waren es; ich wollte extra eine sehr vorsichtige Zahl nennen, damit ich von Ihnen nicht korrigiert würde, Herr Kollege Scholich — sich sämtlich mit dieser einen Ausnahme als unberechtigt erwiesen haben. Infolgedessen habe ich leinen Anstand genommen, an den Führer seiner Opposition das Schreiben zu richten, das ich das letztemal hier im Landtag mit= geteilt habe.
Die Warnung, meine Damen und Herren, die ich an den Landrat Freter gerichtet habe, ist doch eigentlich in einem außer— ordentlich milden Ton gefaßt, und sachlich kann da wohl kaum jemand etwas dagegen sagen: :
Ich bitte, den Landrat nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Reichsverfassung in dem Beamten den Diener der Gesamtheit, nicht den einer Partei sieht, und daß ich es daher unbeschadet der gewährleisteten politischen Freiheit nicht für richtig halten kann, wenn der oberste politische Beamte in seinem Kreise sich im öffentlichen Wahlkampf so exponiert, wie es der Landrat Freter getan hat.
Ich meine, das sind einfach Selbstverständlichkeiten ssehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und rechts), und ich halte sie nun einmal für Prinzipienfragen, die zur Herstellung der Rein⸗ lichkeit in unserem öffentlichen Leben dringend notwendig sind. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und rechts.)
Der Herr Kollege Severing hat sich darüber beschwert, daß ich
in Oeynhausen meinen Wählern gesagt habe: Nichts hat der Sozial⸗ demokratie so sehr geschadet, wie ihre Personalpolitik. Er hat das dadurch zu entkräften gesucht, daß er auf die Zahlen der Wähler hinweist, die der Sozialdemokratie trotzdem verblieben sind. Ich kann Ihnen nur sagen, überall wo ich in der Wahlagitation hingekommen bin, und als ich hier im Hause mit meinen Fraktionsfreunden über die Ergebnisse des Wahlkampfes im ganzen Staate sprach, überall trat mir die Behauptung entgegen, daß in der Tat nichts so sehr der Mehrheitssozialdemokratie geschadet hat, als der Hinweis auf Un⸗ zulänglichkeiten von einzelnen Beamten, die sie in das Amt gebracht hat. Wenn Sie mir damit kommen, daß trotzdem Ihre Wahlziffern erhalten worden sind, so könnte ich Ihnen erwidern: das ist kein strikter Beweis, vielleicht hätten Sie viel mehr bekommen, wenn Sie andere Beamte in die Stellen gebracht hätten. Der Herr Kollege Severing hat auf einen Aufsatz des Herrn Kollegen Oskar Meyer hingewiesen. Ich dachte mir schon, daß das kommen würde, und habe mir die Sache auch mitgebracht. (Heiter= keit) Ich darf vielleicht ein paar andere Sätze vorlesen, verehrter Herr Kollege Severing, die derselbe Herr Meyer in diesem Schrift⸗ stück geschrieben hat. Er sagt:
Die deutschdemokratische Partei hat von dem ersten Tag ihrer Teil nahme an der parlamentarischen Regierung den Grundsatz auf gestellt, daß nicht irgendeine Parteizugehörigkeit, sondern die all= gemeine Eignung des Bewerbers für den Erfolg der Bewerbung maßgebend sein müsse. Nur verhältnismäßig wenig Persönlich— keiten werden imstande sein, ohne diese Voraussetzung einer ent- sprechenden Bildung und Verwaltungepraxis den hohen Forde—⸗ rungen der Beamtenstellen zu genügen.
Wenn die Frage aufgeworfen wird: „Ist es unserer Partei ge=
zur Verfügung stellen wolle. Heute sind seitdem vier Tage vergangen,
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wortet Herr Meyer: „Sie hat sie soweil zur Geltung gebracht. wi . nach Lage der Dinge möglich war.“ Ich glaube, meine verehrten 8 schaften, Sie werden mir zugeben, daß das von einer Koalitiongherte sehr loyal, aber auch sehr resewiert ausgedrückt ist. (Sehr richtig bei den Deutschen Demokraten und rechts.)
Der Herr Kollege Severing hat an mich den Appell gerichtet ich möchte nicht versuchen, der erste Bürokrat in der Verwaltung 63 Preußischen Staates im Innern zu sein, sondern ich möchte die alt gemeinen politischen Notwendigkeiten auch mitspüren und empfinden Selbstverstaändlich muß bas mein Ehrgeiz sein. Aber verteihen C. verehrter Herr Kollege Severing, wenn ich darauf antworte, daß auf der anderen Seite dieses Verwaltungskönnen doch auch wieder viel fach in seiner sachlichen Bedeutung unterschätzt wird. Mir ist in meinem Amt nichts so schlimm erschienen, wie die außerordentlich bedrängte finanzielle Lage unserer Kreise und Gemeinden. Wenn . die Gefahr vor Augen sehe, daß das einmal ein böses Ende nehmen kann, dann habe ich allerdings die Empfindung, daß mehr als je di Verwaltung in dieser Zeit geschulter Fachleute bedarf, daß ein derum experimentieren und ein Hineinbringen von Leuten in die ent. scheidenden Verwaltungsposten, die zwar besten Willens sind, die cher die Gesetze und die ganze Situation nicht so zu üebersehen imstande sind — woraus ihnen gar kein Vorwurf gemacht werden kann daß das doch eine große Gefahr für das Staatsganze darstellen inne Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und rechts) Und das Merkwürdige an der Sache ist, meine verehrten Herren von der Sozialdemokratie, — ich befinde mich ja in der Beziehung in gar keinem Gegensatz zu Ihren Parteifreunden in anderen deutschen Ländern. — Bitte, schauen Sie sich doch einmal die Verhãltnisse in Süddeutschland an, denken Sie an den Staat Baden. Dort ist, wenn ich mich recht erinnere und die Verhältnisse recht übersehe, seit langer Zeit ein Sozialdemokrat Minister des Innern. Bitte, sehen Sie sich einmal an, nach welchen Prinzipien der die Oberamtmänner und Po lizeipräsidenten in Baden ernannt hat. Nicht einen Außenseiter hat Herr Remmle, soviel ich unterrichtet bin, genommen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Baden hat aber auch andere Beamte) — Ich gebe Ihnen das gern zu, Herr Kollege. Deshalb komme ich zum Schluß auch durchaus zu der Auffassung, daß das prinzipiell voll. kommen richtig und notwendig ist, gerade weil hier in Preußen in der Beziehung alte Sünden zu sühnen sind, mit anderen Mitteln vorn · gehen als dort. Aber trotzdem weise ich Sie darauf hin, wie die Wert⸗ schätzung des alten, berufsgeschulten Verwaltungsbeamten in anderen Staaten in den Ministerien, wo Sie am Ruder sind, anders ist als hier. Genau dieselbe Situation ist in Württemberg, ist in Bayern gewesen, als ein Sozialdemokrat Ministerpräsident gewesen ist, und bestand im Freistaat Sachsen noch vor ganz kurzer Zeit. Sie lcheln, Herr Kollege Severing, Sie werden mir den Fall Ryssel vorhalten. nicht wahr? — Das ist aber auch der einzige Fall, den ich aus Sachsen kenne. Im übrigen lauten die Nachrichten, die ich aus neuester Zeit noch aus Sachsen bekommen habe, dahin, daß der Ver⸗ treter der sächsischen Staatsregierung noch, vor ganz kurzer Zeit an einer entscheidenden Beratung hier in Berlin teilgenommen und er— klärt hat: seine Regierung sehe in der Erhaltung des wissenschaftlich vorgebildeten höheren Beamtenstandes eine Staatsnotwendigkeit. (Hörtt hört! bei den Deutschen Demokraten und rechts) Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß nach einer Statistik, die noch jungen Datums ist, in Sachsen unter den höheren Verwaltungs beamten von fünf Kreishauptleuten — das sind die Regierungs—= präsidenten — drei schon vor der Revolution im Amt waren, von den zwei neu eingetretenen einer Sozialdemokrat ist, von 29 Amt hauptleuten vor der Revolution acht im Amt waren und an dieser Stelle geblieben sind, von 20 neu berufenen nur zwei Sozialisten sind, und diese beiden haben akademische Vorbildung. (Hört, hört! bei den Deutschen Demokraten und rechts) .
nicht bloß so eine kümmerliche bürokratische Kleinigkeit zu sein sondern auch eine erhebliche staatspolitische Bedeutung au fzuweisen
Nun hat Herr Kollege Severing behauptet, ich hätte außer dem einen Herrn von Harnack, der schon in der Verwaltung des Kultusministeriums tätig gewesen ist, keinen einzigen Sozial⸗ demokraten, Demokraten und Zentrumsmann neu in die Ver⸗ waltung berufen. Darf ich den Herren vorlesen: ernannt sind in dieser Zeit zehn Landräte, der Zentrumslandrat Happ in Schlochau, der Oberamtmann Reiser in Sigmaringen, der Ge⸗ heimrat Ilgner in Freistadt, der Landrat Rebehn in Marien⸗ burg, der Landrat Dr. Friedensburg in Rosenberg, der Landrat von Wolffersdorff in Ziegenrück, einstimmig gewählt, der Land⸗ tat Dr. Voigt, Demokrat, in Sangerhaufen, Graf in Schwelm, Dr. Huesker in Lüneburg, Poeschel in Randow und andere. Ich glaube, das ist eine ganze Reihe von Namen. (Abg. Severing: Ich habe von Außenseitern gesprochen, das sind doch alles Ver⸗ waltungsbeamtel) Sie haben von „keinem einzigen Sozial⸗ demokraten, Demokraten und Zentrumsmann“ gesprochen. (bg. Severing: Als Außenseiterl) Ah, als Außenseiter. Die gibt es aber auch hier: als Außenseiter ist zum Beispiel Herr Rebehn ins Amt gekommen, Herr Graf war Außenseiter, Friedensburg war ein Außenseiter usj. (Abg. Severing: Die habe ich ja ge⸗ nommen!) Ja gewiß, aber ich kann doch keine Leute totschlagen. bloß um nach sechs Monaten neue Beamte zu ernennen, sondern ich kann nur sagen: was in dieser Zeit frei geworden ist, is entsprechend diesen Grundsätzen besetzt worden.
Herr Kollege Severing hat dann gesagt, er wolle keinen Unterschied in der Schutzolizei zwischen den Unterbeamten und den Oberbeamten in der Dauer der Anstellung anerkennen. Ja. Herr Kollege Severing, das ist aber dann doch wohl, soweit ich unterrichtet bin, ein neuer Standpunkt, den Sie einnehmen. Früher haben Sie in einem Schreiben vom 6. April dieses Jahres an den Herrn Reichsminister des Innern sich einberstanden erklärt:
Wenn auch die Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Staats⸗ und Schutzpolizeibegmten grundsätzlich Sache der Länder ist, die preußischen Anstellungsbedingungen werden sic im wesentlichen im Rahmen der bon der Zwischenkommission Nord und Süd, München, gefaßten Beschlüsse halten.
Wenn ich Ihnen das in Erinnerung rufe, so werden Sie sich daran erinnern, daß diese Vorschläge in der Referenten besprechung der Kommission Nord und Süd eine andersartige Regelung der Anstellung der Unterbeamten der Schutzpolizei und
lungen, diese grundsätzliche Auffassung zur Geltung zu bringen?“ so ant⸗
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für die oberen Beamten vorsahen und vorsehen mußten. Da komhe man gar nicht darum herum. ö
Also, meine verehrten Damen und Herren, die Sache scheink doch
Serr Kollege Severing hat bemängelt, daß Geheimrat Roeden⸗ bec Ausführungsvorschriften zu dem Runderlaß des Reichs— ninisters des Innern, betreffend die Verordnung des Reichs⸗ anzlers hat herausgehen laffen. Ja, dann darf ich Herrn gollegen Severing aber auch auf den gleichzeitig erschienenen Erlaß des Herrn Reichsministers des Innern hinweisen, der genau in demselben Geist abgefaßt ist wie die Erklärung Roeden⸗ be. Da ist nämlich auch von dem fundamentalen Grundsatz nsgegangen, über den wir uns doch alle in diesem Hause einig sind und einig sein müssen, daß eine derartige Notverordnung, wie die des Reichspräfidenten vom 29. August, ein notwendiges hebel ist, eine Ausnahmemaßnahme, die nur auf kurze Zeit und nur unter ganz besonderen Verhältnissen so gemacht und geduldet werden kann. Insbesondere die Sozialdemokratie, die ahrzehntelang fich mit Recht über den Ausnahmezustand be— schwert hat, der unter der früheren Regierung gegen sie verhängt worden ist, wird mir — dessen bin ich überzeugt und sicher — darin recht geben, daß eine derartige Ausnahmebestimmung auch dann, wenn sie einmal eine andere Partei trifft als sie, als eine Ausnahmebestimmung mit der äußersten Reserve nur angewandt werden darf. Deshalb geht auch der Reichsminister des Innern genau wie ich davon aus, daß die Anwendungsfälle dieser Ver⸗ ordnung auf die Fälle beschränkt werden müssen, in denen es eben ganz klar auf der Hand liegt, daß man da einschreiten muß. In dem Sinne sind die Ausführungsbestimungen des Herrn Noedenbeck gedacht. Der Geist ist derselbe wie der des Reichs⸗ ninisters des Innern.
Herr Kollege Severing hat von einer Veröffentlichung in der Zeitschrift des Berufsvereins höherer Verwaltungsbeamter gesprochen. Mir war das nicht bekannt, aber mir wird von meinem Kollegen eben mitgeteilt, daß in der nächsten oder übernächsten Nummer der— selben Zeitschrift der Berufsverein als solcher von dieser Veröffent— lichung offiziell abgerückt wäre. Das ist also sicher nur eine persön— liche Entgleisung gewesen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.)
Wenn aber zum Schluß Herr Severing gemeint hat, er wünschte
von mir kein Lippenbekenntnis, sondern Taten zu sehen, so habe ich mir schon in meiner letzten Rede erlaubt, einzelne derartige Taten ansuführen. Ich habe darauf hingewiesen, wie ich mir die Neu organisation unter anderem des Bildungsganges der höheren Ver⸗ paltungsbeamten in Zukunft denke. Ich habe damals mit Freude sestzestellt, daß z. B. der Zentralverband deutscher Konsumwereine auf diese Anregung ohne Mißtrauen und gern eingegangen ist. Ich kann Ihnen heute mitteilen, daß auch der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund mir geschrieben hat unterm 15. Oktober: „Herr Leipart hat Ihre Zuschrift vom 10. Oktober unserer letzten Bundes⸗ voistandssitzung vorgelegt und erklärt diese Sitzung zu dem von Ihnen entwickelten Plan ihr grundsätzliches Einverständnis.“ (Hört, hört! bei den Deutschen Demokraten.)
Sie sehen also, wie ich mich bemühe, Reformen vorzuschlagen und einzuführen, die, wenn sie unvoreingenommen von Ihnen über⸗ legt werden, auch Ihre Zustimmung haben kön nen. Dadurch hoffe ich Ihnen einen Beweis für den Geist geliefert zu haben, der mich bei der Führung dieses Amts leitet, und wenn ich diesen Geist noch einmal in einem kurzen Satz susammenfassen soll, so möchte ich einen Ausspruch zitieren, der mir in den letzten Wochen von einem Herrn in einer Zuschrift aus dem Publikum zugegangen ist, ein Satz, der,
glaube ich, die Stimmung weiter Kreise der Bevölkerung widergibt:
Weithin ist der Parteiekel das einzige, was die Leute empfinden, wenn man von Politik spricht.
Meine Empfindung in der Führung dieses Amtes ist, den Partei⸗ elel am besten dadurch zu bekämpfen, daß man alle Auswüchse des Parteigeistes unterdrückt und die richtige Staatsdienergesinnung im Beamtentum wieder hervorbringt. (Bravo! bei den Deutschen Demokraten) . 5
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53. Sitzung vom I5. Oktober 1921, Mittags 12 Uhr. Gericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger“).) Präsident Leinert eröffnet die Sitzung bei schwach besezem Hause um 121, Uhr. . Auf der Tagesordnung stehen ane , die großen
Anfragen der Deutschnationalen, des Zen⸗— trums, der Sozialdemokraten, der Ungb— hängigen Sozialisten und ber Demokraten über die ,,, . In Verbindung damit werden beraten ein Antrgg der Abgg. Winckler (D. Na.) und Genossen, betreffend die Kartof . ernte, ein Antrag der Abgg. Jacoby und Raffauf Zentr) auf Verbilligung der Eisenbahntarife für Kartoffeln, Anträge der Kom mu nisten und der Deutschen Volkspartei über die Kartoffel⸗ versorgung und ein Antrag der Abgg. Kilian nn, ‚. enossen über den Verkauf von Saat⸗ artoffeln.
Zur Begründung der großen Anfrage des Zentrums und ö dazu ö an re ec erhält das ort
Abg. Gronowski (Zentr): Die Frage der Kartoffelnet ist wirklich nicht geeignet, um damit aqitatorische und partei politische Zwecke zu verfolgen. Leider hat gestern der Ver= treter der Deutschnationalen Volkspartei sich nicht enthalten, doch dieses Thema auf solche Weise zu verwerten. Wie die ober. schlesische Frage und sogar der schlechte Stand der Reichsmark mit ber diesjährigen Kartoffelernte in Verbindung gebracht werden können, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Lebhafte Zu⸗ stimmung im Zentrum.) Es gibt auch heute noch in unserem Vaterlande Zeilgenossen, die alles vergessen und nicht hinzu⸗ gelernt haben. Die Zentrumsfraktion hat als erste in diesem Hause die große Anfrage eingebracht in der Absicht, der Negie⸗ rung ausreichende Gelegenheit zu geben, um sich über ihre Maß⸗ nahmen aus zusprechen. Wenn die übrigen Fraktionen unserem Veispiele gefolgt sind, so schließen wir daraus, daß das gange Haus den einheitlichen Willen hat und die einheitliche Forderung erhebt, der Kartoffelnot zu steuern. Von dieser Absicht sind wir geleitet worden, zu Agitationsreden sind die Zeiten im ae, . Nick zu ernst. Die Hilferufe der Stadtverwaltungen, der Organksationen, der Arbeiter und Verhrgucherschaft, besonders aus dein Industriegebiet von Hamm bis Köln, ertönen ö (ö und machen sich Luft in Bittschreiben an uns, damit der drückenden Not und der dahinter lauernden Unruhe gesteuert ö. Wir wollen erreichen, daß die Regierung sich klar darüber äußert, ob sie in der Lage ist und was sie schon getan hat, um ,,, losen Preistreiberei mit Erfolg Einhalt zu gebieten. So 5 ragen wir, was sie getan hat oder tun will, um gemeinsam mi dem Reichsernährungsminister die Bevölkerung der Industrie⸗
gebiete und der Großstäbte ausreichend mit Kartoffeln zu ver
Y Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden her derren e e im Wortlaute wiedergegeben sind.
und. bei den notwendigen Lebenmitteln eingreifen. Es fragt si
sorgen, und endlich wollen win wissen, was die Regierung und besonders die Justizverwaltung getan hat oder tun wird, um dem modernen Raubrittertum endlich einmal wirksam auf die Finger zu klopfen. Wir verlangen von der Regierung nicht nur Worte, sondern Taten und Werke; Verordnungen haben wir leider Gottes schon viel zu viel gehaht. In jedem Jahre stand um diese Zeit die Kartoffelfrage in diesem Hause auf der Tagesordnung, und wir haben meistens dieselben Reden zu hören bekommen. Mir will scheinen, als wenn wir aus den letzten sieben Jahren kaum etwas gelernt haben, denn die Sorge, Not, die Leiden und Mängel sind heute genau so groß und größer noch als im Kriege. Damals konnte man sich die Not noch gefallen lassen, denn damals galt die Parole: Erst die Soldaten! Aber was im Kriege die Heimat aus Liebe zum Feldheere an Entbehrungen gelitten hat, hat kein einziges anderes Volk von den 384 Nalionen aus⸗ gehalten, die gegen uns gekämft haben, und einem solchen Volke, das diese Opfer gebracht, vorzuwerfen, die Heimat habe das Heer von hinten erdolcht, ist eine schamlose Verleumdung des deutschen Volkes. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Das guszusprechen hielt ich mich im Inkeresse der Wahrhelt und der Gerechtigkeit für verpflichtet, Die Regierung soll sich keinem Zweisel darüber n eben, daß die Stimmung im Volke keine rf ist. Dilatorisch kann man diese ernste Frage nicht behandeln. Mit der Er= nährungsfrage hängt das Schicksal des ganzen, deutschen und reußischen Bolle zusammen. Gestern und heute habe ich eine große nzahl von Zuschriften erhalten; in einer derselben heißt es am Schluß: Ruhe herrscht vor dem Sturm. Die geradezu, erbärmliche und trostlose Lage des besetzten Gebiets mit ihrer stetig steigenden Ausbeutung der breiten Massen schafft; eine explosionsartige Stimmung. Die Forderungen der Landwirtschaft sieht man stets er⸗ füllt. Man verlangt jetzt endlich, 4 energisch zugegriffen wird und erwartet ein durchschlagendes Handeln . ertreter in den Ministerien und im Parlament. Die Regierung muß also vor allem der Preistreiberei wirksam entgegentreten, die hat elne Verbitterung Ausgelöst, die gar keine Steigerung mehr verträgt. Darum muß Lie Regierung unter allen Umständen Schritte tun, um gegen diese Volks⸗ ausplünderung rücksichtslos vorzugehen. Anfang September kosteten die Kartoffeln 30 6, sie sind auf 45, 50, 89, 90 „M6 gestiegen und gestern hörte man von 110 ,. (Lebhaftes Hört! Hörth Aber die reissteigerungen und der Wucher sind nicht etwa auf die Kartoffeln eschränkt. on 19146 bis Oktober 1921 ist das Rindfleisch von ß0 8 auf 15 4 oder auf das 2h fache gestiegen. Schweinefleisch guf das 22 fache, Fische auf das 13 fache, Heringe auf das 20 fache, Milch auf das 27 fache, Futter auf das 30 fache, Gier fast auf das 40 fache, Hülsenfrüchte von 12 3 auf 3,20 „16, Kaffee von 1.60 auf 30 466. Das bedeutet, daß die Lebenshaltung um das 25 fache ge⸗ stiegen ist. Ich, habe mit Absicht diese Zahlen vorgetragen, damit endlich einmal die idiotenhafte Schwätzerei von der Begehrlichkeit der Arbeiter, Angestellten und Beamten aufhört. Man kann von einer Begehrlichkeit doch nicht sprechen, wenn man sich das Besolbhungs⸗ gesetz ansieht und findet, daß in den Besoldungsklassen 1 bis 4 eine Erhöhung um d,, in den , 5s bis 9eine solche um das 3,4, und in den ef m O bis 19 eine Erhöhung um das 23g fache eingetreten ist. Bei einem Kqartoffelpreise von 8 a6 muß ein Familienvater mit fünf Kindern pro Woche mindestens 109 „6 dem Händler auf den Tisch legen. Daß dieser Zustand angesichtz der Steigerung der Preise für Hei)materigl, Schuhwerk, Kleidung usw. nicht zu ertragen ist, ist er⸗ klärlich. Die Regierung muß den Konsumenten zu Hilfe kommen nun, ist die Produktion bei uns ausreichend? Wir im Westen haben zu wenig Kartoffeln, das Fehlende muß aus dem Osten eingeführt werden, Der Osten hat übergenug re, . Ich habe mir sagen lassen, daß Pommern in diesem Jahre eine besonders gute Kartoffelernte zu ver⸗ eichnen hat. Die pommerschen Landwirte haben die meisten und ir. Kartoffeln. (Heiterkeit. Abgeordneter Dr. Krüger hat gestern darauf hingewiesen, daß wir Westpreußen und damit 6 Millionen Tonnen Kartoffeln eingebüßt haben. Das ist richtig. Im Frieden haben wir bei einer guten Mittelernte 50 Millionen Toghen einge—= bracht. Nehmen wir an, daß wir diesmal nur eine mäßige Mitzelernte haben, dann ergeben fich aber immer noch 16 Msllionen Tonnen Kartoffeln. Unser Konsum beschränkt sich aber auf etwa 18 bis 20. Millionen Tonnen Kartoffeln zur menschlichen Ernährung, der andere Teil perbleibt für den Fabrikberbrauch. Wiz haben also genug Kartoffeln, wenn wir sie nur bezahlen können. Die Preise sind prung—⸗ haft in die Höhe gegangen, Im Waldeckschen wurden vor drei Wochen 35 bis 45 M für ö. Zentner vereinbart, heute beträgt der Preis dort S5 6. In Braunschweig betrug der Preis vor vier Wochen 30 bis 35 6. enn ich nicht irre, ist dort ein Höchstpreis gtae etzt zu dem aber heute Kartoffeln dort nicht zu haben sind. In Sachsen wurden nach Mitteilung des Wirtschaftsamts am 20. September für den Jentner 55 M6 gezahlt, während am 19. Oktober der Zentner bereits 67 46 kostete. Kurz und gut, in verschiedenen Ländern, Pro⸗ Yinzen und Kreisen sind Richtpreise festgesetzt, zu denen aber leider die Verbraucher Kartoffeln nicht bekommen können. Es scheint, daß be⸗ timmte Kreise unseres Volkes die Kartoffelfrage zu einer Konjun ktur— rage gemacht haben. Wenn dieses Treißen allgemein werden sollte, dann kommen wir allerdings aus den Forderungen nach, Gehalts erhöhung un. den Lohnbewegungen und ihren Folgen nicht, heraus, Es wird nolwendig sein, daß jedem Kaufmann, der auf Preistreiberei er⸗= tappt wird, die Handelserlaubnis auf Jahre hinaus entzogen wird. Zustimmung Ich gebe ohne weiteres zu, daß das Anbieten höherer Preise überaus verführerisch ist. Abgeorbneter Dr. Krüger hat gestern hier gefragt; Wer von Ihnen hat noch die Kraft, höhere Preise ab= zulehnen. Wenn das deutsche Voll, diese Kraft nicht mehn hat, dann ist ez nicht mehr wert, daß er existiert. Dann nützen ung keine Richt- preife, keine Höächstpreise, keine Gesetze und schließlich auch keine Zucht- häufer mehr. Wenn das deutsche Volk so vom Profitgeist beherrscht wird, dann können wir auch mit der Polizes nichts ausrichten. Ist es denn erlaubt, alles anzunehmen, was einem geboten wird? Diese Frage möchte ich auch einmal aufwerfen. Niemand ist be— rechtigt, Wucherpreise anzunehmen, auch dann nicht, wenn sie ihm angeboten werben. Ich möchte die Herren von rechts daran erinnern: Als wir in Preußen noch kein Wuchergesetz hatten, ist es Ende der Echziger Jahre nicht sesten vorgekommen, daß ein Bauer dem
aubiger Wucherzinfen freimillig angeboten hat in Höhe von 60h bis 1200 , um Haut und Hof. sich Mn erhalten. Derjenige, der die Not seines Mitmenschen und seines Volkes ausnutzt, auch wenn es fich um freiwillige Angebote handelt, ist ein größerer Halunke als derjenige, der es anbietet. (Lebhafte Zustimmung.; n diese Moral, bie auch geftern von dem deutschnationalen Redner vertreten wurde, bei uns Boden gewinnt, dann können wir einfach einpacken. Den wilden Händlern soll die Handel sevlauhnis entzogen werden. Heute ist es so, daß jeder, der einen Nebenherdienst haben will, sich auf den Kartoffelhandel legt, Schuhmacher. Schneider, Friseure, vom Hilfslaternen ansteckern bis zum Kommißssionszgssessor. GQeiterkeit) Diese verderben mit die Preise, aber niemand ist verpflichtet, zu hohen Preisen, die des erlaubte Maß überschreiten, zu verkaufen. (Zurufe rechts) Auffallend ist, daß Sie diese hohen Preise durch Zurufe noch verteidigen., Widerspruch rechts) „Nimm was du kriegen kannft , ist feine Moral, die für das deutsche Voll berhängnis⸗= voller und gefährlicher ist, als die Forderungen unseyner Feinde. (Leb= hafte Zustimmung. An diefer Auffassung gehen wir eher zugrunde, als an der Forderung unserer Feinde. (Sehr richtig! Konjunktur⸗ gewinne und Marktpreise können wir nicht billigen, sie kammen den Schiebern zugute. Aus Köln, wird geschrieben: Als für Frühighrz— nnd Sommerprodukte erträgliche Preise festgeseßt. wurden, erfolgte für Köln ein Grreugerstweik; die Belieferung mit, den nohwendigsten Produkten unterblieb, Händler und Erzeuger einigten sich dahin, dem Kölner Verbraucher den Brotkorb höher zu hängen am Ende war man gezwungen, klein beizugeben. Ein Teil meiner Freunde ist der Auffasfung, daß die Marktpreise nicht allein vom Erzeuger und Händler zu bestimmen sind, sondern daß die Kęnsumenten, die Ih a des Volkes ausmachen miswirken müssen. Die Wuchergerichte müssen ausgebaut werden. Die Düsseldorfer Han delswucherstelle, die bisher 125 Beamte hatte, ist bis auf zwei Beamte abgehaut worden. Da brauchen die Herren Wuchgrer und Schieber nichts mehr zu be⸗ fürchten. In Pommern soll ein besonderer Mangel an derartigen Stellen herrschen, und wo sie bestehen, sind sie derart zusammen⸗ gesetzt, daß die Verbraucher kein en zu ihnen h. können.
Man kann darüber streiten, ob nur Höchstvreise zum Ziele führen. Als Konsument und Familienvater kam ich sagen, wir haben ung unter Beseitigung der Zwangswirtschast etwas derartiges doch nicht vorgestellt. (Lebhaftes Hört, hört! und Rufe bei den Sozialdemokraten: Wir haben es oft genug gesagt) Sie sind duch nicht der kluge Hant
wir mußten den Fachleuten 1 schenken. Wir wünschen, da
die festgesetzien Preise und Richtlinien eingehalten werden, wo sie überschritten werden, muß Heschlag nahm erfolgen, anders ist dem Konsumen tenstand nicht zu helfen. Alle Ausfuhrhemmungen einzel ner Provinzen und Kreise müssen beseitigt werden, Preußen scheink jetzt aus 421 KRleinstagten zu bestehen, von denen jeder sein Ausfuhrverbot erläßt. Wo bleibt da der deutsche Gemeinschaftsgeist, der uns empor⸗ bringen soll? Greift ein so engherziger Standhunkt um sich, Fann können wir den Bergarhbeitern es nicht verdenken, wenn sie keine Kohlen mehr fördern. Ist die ECinmietung erst erfolgt, bann ist die Sache vorbei. Dabei bedeutet Cinmietung nicht Zurückhaltung, die Einhaltung muß vielfach erfolgen, damit die Kartoffeln nicht ge⸗ stohlen werden. (Widerspruch und Zurufe bei den Sozialdemokraten) Um das zu verstehen, muß man allerdings einen gewissen Kartoffel⸗ verstand haben. (Heiterkeit) Zur Frage der Wagen gestellung möchte ich die Regierung bitten, bei der polnischen Regierung vorstellig zu werder um sofortige Aufhebung der Sperre des Korridors. In ost; preußischen und westpreußischen Städten sollen eine größere nzahl mit Kartoffeln beladener Waggons bexeitstehen, können aber wegen der Sperre nicht durch. Es hätten viel mehr Wagen gestellt werden können schon zu Beginn der Ernte, wenn die Eisenbahnen nicht an einem alten bürokratischen Zopf gehangen hätten. Heute ist es, eine Zeit⸗ und Geldverschwendung, wenn Wagen mit leichter Beschädigung zur Reparatur erst in die in. und Betyriebswerkstatt geschickt werden, die leicht in kurzer Zeit durch fljegende Kolonnen auf den Stationen selbst hätten ausgebessert werden können, wie es von Arbeiterseite vorgeschlagen worden ist. Ich habe aber den Eindruck, als ob Neuerungen und gute Ideen verworfen werden, wenn sie nicht in den Ministerien und in dem Kopf eines Geheimrats entstanden sind. Wir koͤnnen Gott danken, daß das Wetter der Ernte noch so günstig ist; wenn Frost eintritt, können Kartoffeln in effenen Wagen nicht mehr tran sportiert werden, darum muß die Versorgung der großen Städte möglichst schleunigst erfolgen. Merkwürdig ist, daß die Deutschnationalen geistiges Eigentum vom Zentrum übernommen haben, indem sie, wie es der Antrag meines Freundes Jacoby schon bor über einer Woche verlangte, eine Frachteymäßigung beantragen. Die Frachtverbilligung soll aber nicht dem Händler und dem Schieber zugute kommen, sondern nur dem Konsumenten. Die Veutsch⸗ nationalen verlangen Aufklärung der Bevölkerung. Die Aufklärung aber, die von dieser Partei getrieben wird, ist alles andere als eine gesunde Aufklärung, sie ist schamlose Demagogie. Lebhafte Zu⸗ stimmung im Zenkrum.) Für meine Partei kenn ich in Anspruch nehmen, daß wir stets in ruhiger und sachlicher Weise die Bevölkerung aufgeklärt haben. Ich erinnere an den Hirtenhrief des Bischofs von Münster gegen Schieber. und Wuchertum. Ferner verlangen wir a ef Anwendung des Reichswuchergesetzes. Ich für meine Person ann sagen, daß ich Urteile gelesen habe gegen Wucherer und Schieber, wobei mir die Schamröte ins Gesicht gestiegen ist, daß selche Verbrecher mit einer so gelinden Strafe davongekommen sind. Schlechte Menschen giht es in jedem Stand, und man sollte nicht erst lange nach dem Schuldigen suchen. Wir verlangen, daß die wirklich Schuldigen so schwer als möglich bestraft werden, und zwar sofort durch die Wuchergerichte. Von deutschnationaler Seite werden in, ostdeutschen Zeitungen Inserate losgelassen, wonach für ein⸗ geschriebene Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei die Kartoffeln zu 25 „66 und weniger geliefert werden, (Hört, Hört! linkz und im Zentrum.) Ich habe nicht geglaubt, daß man die Not des Volkes ,. im Interesse einer Partei, wie es hier geschehen ist. Wenn die Werbekraft der Deutschnationalen Volkspartei mit osfspreußischen und pommerschen Kartoffeln hergestellt werden soll, dann scheint sie nicht weit her zu sein. (Redner verliest eine im Kreise Wehlau von ber Deutschnationalen Volkspartei erlassene An⸗ kündigung) Was Sie (nach rechts] hier an Ihre Mitglieder billiger abgeben, das müssen andere gleich mit 100 Prezent Auslschlag bezahlen. Der Reichsjustizminister und der Preußische. Justiz= minister sollten Anweisungen geben für eine scharfe Anwendung des Wuchergefetzes. Redner verliest einen Erlaß des römischen Kaisers Diokletian aus dem Jahre 301, worin Wucherern die Todesstrafe an⸗ gedroht wird. Ich möchte, o fährt Nedner fort, der Staats⸗= regierung sagen: Nehmen Sie diese Verordnung von 301 und schreiben 1721 darauf, und ich glaube, in 14 Tagen bis vier Wochen ist das Wucher⸗ und Schicbertum in Preußen und Deutschland ver⸗ nichlet. ZZurufe links.) Sie sind ja grundsätzliche Gegner der Todes. strafe, aber bei einer Volksabstimmung würden auch 90 Prozent Ihrer Anhänger für die Todesstrafe gegen Wucherer sein. Wir gehen ja nicht so weit, verlangen aber wenigstens Enteignung des Privateigentums und Bekanntmachung des Urteils auf Koften der Sünder. Wir verlangen rücksichtslosen Kampf gegen das Wucher tum, Ausschaltung des wilden Händlertums, Aufhebung der Sperrt in einzelnen Kreisen und Provinzen und eptl. Entziehung der Handels- erlaubhis; wir wünschen, daß der Kartoffelhandel nur in die Hände von Sachverständigen gegehen wird, ferner wünschen wir genügende Gestellung von Wagen. Errichtung von Preisprüfungsstellen und Wuchergerichten und Festsetzung von Höchstpreisen sowie Vor⸗ stellungen bei der polnischen Regierung wegen der Aufhehung der Sperre des Korridors. Das sind die Wünsche meiner Fraktion. Nun hat die Regierung die Pflicht, dafür zu sorgen, daß nicht länger das preußische konsumierende Volk von einigen Dutzend oder von hundert Vampyren weiterhin ausgebeutet wird. (Beifall im Zentrum.)
Abg. Limberts (Soz): Wir verlangen Auskunft, wie die Regierung eine planmäßige Persorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln zu erträglichen Preisen ermöglichen und wie sie den Wucher unterbinden will. Gestern haben wir eine theoretische Recht⸗ fertigung dieses Wuchers gehört, wie sie krasser nicht gedacht werden kann. Der Vorredner hat gegen das Wuchertum scharfe Worte ge⸗ funden, aber das Wuchertum ist auch im Westen vertreten, und war auch unter den dortigen Deutschnationglen und Zentrumslandwirten, Uebrigens ist es eine gröbliche Fälschung, wenn jene, Herren sich deutschnational nennen; deutsch sind sie, aber national ist der nicht, der einem großen Teil der Nation feindlich gegenüherstehr der den volitischen Kampf so maßlos. gehässig führt. Regktionãre Monarchisten ist die richtige Bezeichnung der Deutschnatianglen. So= lange die Kreife, deren Vertretung im Landtag auf der Rechten sitzt, ihre als Wucherer erkannten Gesellschaftsgenossen nicht gesellschoftlich ächten, ist auch ibrem Protest gegen den Wucher Gewicht nickt bei⸗ zumessen. Die Deutschnationalen predigen ja ganz systematisch den Hungerkrieg, den Lieferunasstrejk gegen das deutsche Volk, das be⸗ deutet in der Praxis den blutigsten Bürgerkrieg. Es liegen ia schon Beispiele vor, wohin diese Aushungerungstaktik führen kann, Im Kreise Minden sind in leßter Zeit viele Bauernhäfe niedergebrannt; sie gebörten sämtlich Bauern, die für Getreide, Milch, Kartoffeln die unverschämtesten Preise genommen haben. (Unruhe rechts) Ein solches Vorgehen ist ja unverantwortlich aber man sieht dach, wohin solche Wucherpraktiken führen können. In der agrarischen Presse findet sich kein Wort des Tadels oder gar der Verurteilung dieser Aus⸗ hungerungspolitik. Der Wuchergeist ist üherall zu finden, auch in der rheinischen Bauerngenossenschaft. Unverhüllt wird sonar auf die Be= stechlichkeit der Beamten hingewiesen, wenn es gilt, sich vor un⸗ beguemen Wuchervrozessen zu schützen. Aus der Siatistik ergibt sich, daß ein großer Teil der Landwirte seit Ausbruch des Krieges sich gesund gemacht Bat. So wird in einer statistischen Korresponden; zahlenmäßig festgestellt, daß die Eintragungen von Hypotheken die Löschungen im Jabre 1913 um 445 Millionen über stiegen, während im Jahre 1918 der Neberschuß der Gin kraqungen nur 13 Millionen betrug. In der breiten Masse der Ye völkerung dagegen ist das Elend immer größer geworden. Schon während des Krieges haben die weiten Bevölkernngskreise in ginem Maße gelitten, das jeder Beschreibung spottet. Die heutigen Löhne reichen zwar vielleicht aus, um notdürftig das Leben zu fristen, sie reichen aber nicht aus, um die notwendigen Bedarfeartikel, anzu- schaffen. In solcher schwierigen Lage befinden sich auch Kreise, die vor
dem Kriege als wohlhabend galten. Besonders traurig aber geht es