getan, deren Hauptvertreter heute, wenn auch nur in verhüllter
Form, Sie derartig schwerwiegende Vorwürse (Zuruse von den Deutschnationalen.)
Sie haben gesagt: die Traditionen des deutschen Volkes sind zu pflegen. Ich stimme Ihnen zu. Sie haben sich sogar — und ich freue mich darüber — dem Gedanken zugewandt und erneut zu ihm bekannt, daß jene großen moralischen und religiösen Kräfte in den Dienst der Rettung des Volles gestellt werden müssen, die in der Vergangenheit alle Völker der Erde in Zeiten der Erhebung und der Wiedergeburt geführt haben, wenn sie überhaupt wieder zu Ansehen und zur Gesundung kommen wollten. Sie haben die Religion herbeigerufen. Ich danke Ihnen f dieses Bekenntnis. Ich glaube, es wird noch einmal der Tag kommen, wo wir hier zusammen sprechen können. Vielleicht tun Sie es dann, daß, wenn Sie dem Herrn Reichspräsidenten gleich⸗ zeitig einen gewissen Vorwurf machen wegen seiner Auffassung in Weltanschauung z fragen — — (Abg. Hergt: Das habe ich nicht getan!) — Sie haben nur den Vorwurf in der Richtung hin er⸗ hoben, daß Sie ihn dann nicht als Repräsentanten des deutschen Volkes ansehen können, daß eine andere Tradition unser Volk beherrscht, in deren Richtung der Herr Reichspräsident Ebert nicht paßt. Ich mache Ihnen deshalb keinen Vorwurf. Aber ich frage weiter und sage: wer das tut wie der Herr Abgeordnete Hergt, der müßte gegenüber den heidnischen, geradezu bösartigen Be⸗ strebungen deutsch⸗völkischer Kreise im selben Augenblick eine scharfe Grenze ziehen. (Zustimmung in der Mitte und links. — Zuruse von den Deutschnationalen,. — Das haben Sie nicht getan. Im Gegenteil, wie ich im Laufe der letzten Woche ge⸗ sehen habe, ist eine gewisse Entschuldigung jenen Kreisen gegen⸗ über erfolgt, über die wir uns hier ein anderes Mal noch unter⸗ helten müssen. (Zurufe von den Deutschnationalen: Woher wissen Sie das?) — Ich verfolge Ihre Presse ganz genau, und ich studiere diese Bewegung. Wer hierher steht und einen Angriff in so prononcierter Form vorträgt, der hat die Pflicht, zuerst in seinen eigenen Kreisen Umschau zu halten, oh dort die religiöse Tradition gepflegt wird, die unser Volk retten kann.
De redner hat dann gemeint, für unruhige Zeiten brauche das deutsche Volk einen Präsidenten, der überparteiisch seines Amtes walte. (Sehr richtig! bei den Deutschna tionalen.) Ich bin der Ueberzeugung, daß wir in den letzten Monaten und Jahren derartig unruhige Zeiten hinter uns gehabt haben, und es gibt Millionen deutscher Staatsbürger — ich sage, es gibt gibt Millionen gerade unter den ausgesprochenen Kreisen der Bourgeoisie —, die dem Herrn Reichspräsidenten dankbar sind, daß er immer dann auf seinem Posten war, wenn Der große Helfer aus de
gemacht haben.
r Seorr Me Herr Vor
Bürger, es
unruhige Zeiten hereingebrochen sind. . Not, von dem Sie (zu den Deutschnationalen) sprechen, — ich glaube, daß
gerade der Neichspräsident Ebert in seiner besonnenen Ruhe tat⸗ sächlich der Helfer aus der Not für unser Volk gewesen ist. (Sehr wahr! links.) Ich würde meine Pflicht verletzen, wenn ich nicht auch diesem Teil der Ausführungen des Herrn Abgeordneten Hergt einige Worte der Erwiderung gewidmet hätte.
Wir sind nicht nur dazu da, hier Geschäfte zu führen und nachher dem Mann, der im Hintergrunde steht, nicht um Kulissen zu schieben, sondern um seinem Vaterlande zu dienen, einige Worte zu widmen, sondern wir sind auch dazu da, hier schützend den Schirm gerade über dem Herrn Reichspräsidenten zu halten.
Der Herr Abgeordnete Hergt hat den Satz ausgesprochen — vielleicht liest er noch einmal in seinem Stenogramm nach, um zu sehen, wie bösartig einzelne dieser Sätze waren —. Wichtigste sachliche Gesichtspunkte sind unter den Tisch gefallen. Wo ist ein „wichtigster sachlicher Gesichtspunkt“ in den letzten Monaten bei der Führung unserer auswärtigen Politik unter den Tisch gefallen? Sie sprachen hier im Zusammenhang mit allen diesen — (Zuruf bei den Deutschnationalen,. — Dann hätten Sie den Reichs⸗ präsidenten Ebert, wenn Sie das wünschen, nicht mit in die Debatte ziehen sollen. (Zuruf bei den Deutschnationalen: Herr Marx hat ihn doch auch in die Debatte gezogen!) — Ich freue mich, daß Sie durch Zwischenruf den Abgeordneten Marx gewissermaßen als Ent⸗ schuldigung für Ihr Tun angeführt haben. (Lachen bei den Teutschnationalen Es ist zweitens eine historische Unrichtigkeit, wenn der Abgeordnete Hergt bemerkt hat, daß es dem Herrn Reichs⸗ präsidenten nicht nahe gelegen habe, auf die Wahl zu drängen. Er hat das in dem letzten Jahre getan, und er hat das in diesem Jahre getan. (Erneute Zurufe bei den Deutschnationalen) Ich möchte nur noch einmal betonen, daß der Zustand unerträglich ist, daß ein gewisses Provisorium weiter dauert. (Sehr richtig! bei den Deutschaationalen) Es bestanden zwei mögliche Wege: erstens die Wahl pofort vorzunehmen oder zweitens aus dem Provisorium herauszusteuern und zu einem gewissen Definitivum zu kommen. Die große Mehrheit des Reichstags hat den zweiten Weg gewählt, und es ist nicht meine Aufgabe, hier die Volksvertretung zu kritisieren. Ich habe nur den einen Wunsch: nachdem Sie diesen Weg betreten haben, betreten Sie ihn rasch und endgültig, damit diese verhetzende Agitation von rechts endlich aufhört. EStürmische Pfui⸗Rufe bei den Deutschnationalen; lebhafter Beifall links; Unruhe.)
Abg. Müller-⸗-Franken (Soz): Herr Hergt meinte, wir hätten den Boden der Verfassung verlassen. Meine Partei hat in dieser Frage eine ganz konsequente, klare Haltung angenommen. Viellei ht war es nicht gerade glücklich, jene Verfassungsbestimmung zu treffen. Aber die Verfassung kann geändert werden. Für uns war bestimmend, daß diese Aenderung mit möglichst großer Mehr heit erfolgt. Herrn Hergt scheint die Not des Volkes gleichgültig zu sein. uns ist sie aber nicht gleichgültig. Herr Hergt meinte nur, m Nachgeben sei die Regierung gleich geblieben. Nun, gerade dem Reichspräsidenten ist die Erhaltung der Reichseinheit zu danlen gewesen. Die Entwicklung in England kann nur für uns günstig werden, wenn England und die ganze Welt die Gemiß⸗ heit haben., daß die Deutschnationalen in der Minderheit sind. (Sehr wahr! links Herr Hergt sprach von der Einigkeit des Volkes noch vor Wochen. Ja, aber die Vede des Abgeordneten Hergt bewies, daß von deutschnationaler Seite merkwürdige Töne in der Einigungssymphonie angeschlagen werden. Meine Partei hat in dieser Frage stets größte Zurück⸗ haltung bewiesen, um die Präsidentenmahl nicht zur Parteifrage zu machen Herr Hergt nahm den Mund sehr voll von einem „Führer des deutschen Volkes“, obne deutlich zu sagen, wen er meinte. Herrn Hindenburg könnte man keinen schlechteren Gefallen kun, als ihn, als Kandidaten der Deutschnationalen zu bezeichnen. Der Vorwärts“ hat nie den Ruf erboben: „Hindenburg ante Hortas!“ Herr Hergt war der Letzte, uns Vorlesungen äber Ver—
2 z . . 2 sassung zu halten. Mit dem „Volksgericht“ sollte er vorsi htig sein,
in den ereignisreichen Augenblicken der letzten Monate
des Reichspräsidenten nicht, es ist einen
über seine Partei könnte sonst ein nenes Volksgericht hereinbrechen. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Präsident Löbe ruft den deutschnationalen geordneten Koch⸗Düsseldorf zur Ordnung, weil er dem Reichskanzler zuge⸗
rufen hat: „Sie Hetza ; ist mitgeteilt, daß die Schutzmaßregeln für das Leben des Reichs⸗ kanzlers im Reichstag erhöht werden müssen, weil er von neuen Anschlägen bedroht ist. (Hört! Hört!) Unter diesen Umständen möchte ich alle Abgeordneten bitten, die Debatten sachlich zu führen und nicht auf eine persönliche Spitze zu treiben.
Abg. Dr. Strese mann (D. Vp.) Ferr Hergt hat eine falsche Darstellung der Verhandlungen der Arbeitsgemeinschaft der Mitte gegeben und behauptet, sie habe sich vor dem Machtwillen der Sozialdemokratie gebeugt. Es ist völlig unrichtig, daß die Sozialdemokratie die Anregung gegeben hätte, die Wahl des Reichs⸗ 6 hinauszuschieben. Das vollkommene Gegenteil ent⸗ pricht den Tatsachen. Im interfraktionellen Ausschuß hat sich Herr Müller entschieden geweigert, diesen Gedanken zur Diskussion zu stellen; er erklärte, daß er keine Möglichkeit hätte, mit einem solchen Gedanken in der Fraktion durchzudringen. Weiß Herr Hergt denn nichts von der katastrophalen Entwicklung auf wirt⸗— schaftlichem Gebiete, die uns zur Zusammenfassung aller Kräfte zwingt, um diesen Winter hindurch die Existenz des deutschen Reiches zu sichern? (Beifall) Unser einziges Gut ist die deutsche
Wirtschaft, die uns blieb. TDiese Zeit ist nicht dazu angetan, für einen Wahlkampf mit großer leidenschaftlicher Erregung. Wenn auch
Männer der Wirtschaft in den Reichsprésipenten drangen, ein per— sönliches Opfer zu bringen und auf die Wahl im Winter zu ver— zichten, so ist das doch ein beachtenswertes Zeichen der Lage. Die Erhaltung, der Reichseinheit, unser z Altivum nach dem Versailler Vertrag, darf nicht durch Parteikämpfe gefährdet werden, das sollte auch Herr Hergt bedenken. Auch die bayerische Volkspartei will keinen Wahllampf in dieser Zeit, wahrhaftig wohl nicht der Sozialdemokratie zuliebe. Durch den Kampf um die Präsidentenwahl würde die Reichs⸗ einheit gefährdet werden. Es wäre aufs äußerste unerwünscht, wenn in diesem kritischen Zeitpunkt in einzelnen Ländern sich monarchische Tendenzen geltend machen würden. Wir brauchen einen Helfer und Retter in der Not. Ich unterschätze die Stellung d ichtiges Amt, dessen Träge allerdings über seine Parsei hinauswachsen muß. Wenn ein Retter da wäre für Deutschland, ob von rechts oder links, wir würden ihm zujubeln, aber es war ja aus den ersten Erklärungen der Parteien zu ersehen, daß es keinen gemeinsamen Kandidaten gab, und daß uns dieser Wahlkampf keinen Retter beschert hätte. Soll man, wie Nora, auf das große Ereignis warten? Es gilt gemeinschaftlich zusammenzuarbeiten und unter Hintanstellung aller Gegensätze und durch einen gemeinsomen Volkswillen nach außen das zu ersetzen, was uns an persönlicher Führung viel⸗ leicht noch fehlt. Dabei dürfen wir aber nicht Halt machen vor den Schranken irgendeiner Partei. Wenn Sie, Herr Hergt, eine Einigung wollen, dann hätten Sie das anders einleiten müssen als durch die eben gehörte Rede. (Zustimmung.) Wenn es zum Kampf um die Reichspräsidentenwahl gekommen wäre, hätten wir gegen den bisherigen Reichspräsidenten auftreten müssen, aber nach seiner bisherigen Amtsführung haben wir doch in ihm nicht nur den Sozialisten gesehen. Wir standen einstmals vor der Frage, ob das deutsche Volk den Weg der Diktatur des Proletariats oder den der Verfassung gehen wird. Die Versuchung für die Männer, die damals die Macht in Händen hatten, war groß, und es muß ihnen hoch angerechnet werden, daß sie trotzdem den richtigen Weg gefunden haben. Der Reichspräsident hat bis in die letzte Zeit hinein den Mut gehabt, zu Imponderabilien Stellung zu nehmen, bei denen es sehr zweifelhaft war, ob er den Beifall seiner Parteigenossen finden würde. Das ist eine Grund⸗ . auf der. die Gesundung. und Wiederzusammenführung unseres Volkes möglich werden kann. Ich glaube nicht, daß diejenigen, die anderen parteipolitisches Denken vorwerfen, selbst völlig frei davon sind. Wir haben vielleicht mit Widerständen im eigenen Lager zu rechnen, zum mindesten werden wir mit einer starken Kampfstellung den Deutschnationalen gegenüber rechnen müssen, aber trotzdem sind wir überzeugt, daß der von uns beschrittene Weg der richtige war. (Lebhafter Beifall.)
. Abg. Frau Zetkin (Komm.) protestiert gegen den Antrag. Die Person des Präsidenten kann nicht gleichgültig sein. Die Parteien der Mitte wollen an Stelle der Wahl durch die breiten Massen seine Ernennung durch parlamentarische Gruppen. Die Sozialdemokratie selbst ist bisher gegen dieses System gewesen. Wozu nun die plötzliche Aenderung, wo bei der Wahl doch eine Mehrheit für den Präsidenten sicher gewesen wäre. Die Sozial⸗ demokratie hat damit einen Verrat an den Volksrechten begangen. Die Parteien von Scheidemann bis Stinnes bekunden dadurch lediglich, daß ihnen die Koalition mehr wert ist als das Volks interesse. Rednerin erklärt sich gegen jede Präsidentschaft, da der Präsident heute ja nichts anderes als ein Monarchenersatz sei. Herr Ebert verkörpert keineswegs die ausegleichende Gerechtigkeit, er ist Träger der Koalitionspolitik, der Stinnespolitik, die zu— gunsten der kapitalistischen Wirtschaft gemacht wird. Unter Eberts Präsidentschaft war Noske Minister, der die Volksmarine⸗ division zusammenschießen ließ. Im Januar 1919 mußten wir durch das Blutmeer des Brudermordes waten. Das alles hat die Mehrheitssozialdemokratie verschuldet. Wiederholt hat der Reichs⸗ präsident den Belagerungszustand verhängen lassen und Aus⸗ nahmegerichte eingesetzt. Rednerin wird wiederholt durch Zuruse der Sozialdemokraten unterbrochen und bemerkt darauf: Lieber in der Hölle braten als mit Ihnen (zu den Sozialdemokraten) zu⸗ sammen im Paradiese sein. (Heiterkeit Wir werden, so schließt Rednerin, nicht immer die Minderheit sein, wir werden siegen, und dann wird nicht das schwarzrotgoldene, sondern das rote Sowjetbanner wehen. (Beifall bei den Lommunisten.)
Abg. Weg mann (Unabh.): Dadurch, daß man es nicht wagt, jetzt wählen zu lassen, wird zugegeben, daß das arbeitende Volk einer furchtbaren Krisis entgegengeht. Um die dadurch ent⸗ stehende Gefahr zu bannen, hat selbst die Deutsche Volkspartei zu einer Kandidatur Ebert Ja und Amen gesagt. Von einem Manne, der das Lied „Deutschland, Deutschland über alles“ zur National— hymne gemacht hat, hat die Arbeiterschaft nichts zu erwarten. Der Glückwunsch Eberts an Siemens bepweist. wie sehr Ebert vom Kapitalismus abhängig ist. .
Die Präsidentenwahl muß den Arbeiterinteressen Rechnung tragen. Wir können dem Antrag der Koalition schon desbalb nicht zustimmen, weil er ein weiterer Schritt zur großen Koalition ist.
Damit schließt die Erörterung. Persönlich bemerkt
Abg. Hergt (D. Nat.): Der Präsident des Reichstages hat von einer schweren Gefährdung des Reichskanzlers gesprochen, wo⸗ gegen Vorkehrungen getroffen seien. Wir wissen niht, um was es sich da handelt. Wir können nicht glauben, daß ein solcher Wahnsinn wieder geübt werden könnte, nachdem im Rathenau⸗
Prozeß (Ruf links: Lesen Sie Ihre BPresse!) die Mörder allgemein verurteilt sind und ihre eigenen Mißerfolge und den Schaden, den sie ihrer vermeint⸗
lichen Sache getan haben. vor sich gesehen haben. Wir gehen völlig einig mit allen Parteien, daß wir nicht bloß theoretisch solchen verbrecherischen Wahnsinn verurteilen, sondern auch mit der Tat Front dagegen machen. Ich stelle namens der Deutsch⸗ nationalen Partei fest, daß solche verbrecherischen Wahnsinnigen keine Entschuldigung, keine Duldung keine Unterstützung und keine Schonung bei uns finden werden. Daz sind eigentlich Selb ver⸗ ständlichkeiten. aber wegen des Ernstes der Sache will ich das vor aller Oeffentlichkeit hier feststellen.
Präsident Löbe: Ich habe nicht irgendeinen Vorwurf gegen irgendeine Partei des Hauses erhoben, sondern ich habe es nur für notwendig gehalten, daß die Debatte so geführt wird, daß von hier aus nicht eine neue Erhitzung im Volke entsteht.
Reichskaniler Dr. Winth: Ich werde Ihnen sofort antworten. — Ich habe ohne jedes Benehmen mit dem Herrn Präsidenten, wie
ich ihn bitte ausdrücklich festzustellen, hier die Ausführungen des Herrn Reichstagspiäsidenten gehört, die auch meine Person betreffen. Es ist kein Benehmen irgendwie erfolgt. Aber, meine Damen und Herren sind Sie sich über den Ernst der Situation durchaus klar: Nach den Nachrichten, die wir baben — und es ist auch bereits von einem Beteiligten an einer Verschwörung ein Bekenntnis abgelegt — (lebhafte Rufe: Hört! hört! und Bewegung) müssen wir mit neuen politischen Morden in Deutschland 1echnen. (Erneute Rufe: Hört! hört!! Ich stelle das lediglich fest.
Der Herr Abgeordnete Hergt hat gesagt, man sollte es nicht glauben daß dieser Wahnsinn in Deutschland, nachdem nun der Rathenauprozeß vorbei ist, noch einen Boden finden könnte. Wir wollen uns über die Frage ganz offen aussprechen. Ich habe keinen Anlaß hinter dem Berge zu halten. Was meine Person angebt, so steht sie nicht nach dieser Seite zur Debatte. Die Herren von rechts dürfen aber glauben, daß mich während der Rede des Herrn Abg. Hergt das schmerzlichste Gefühl darüber befallen hat, daß nun in einer Frage die rein sachlich geführt werden könn gerade der Herr Reichspräsident, dem hier alle m. E zu größtem Danke verpflichtet sind, heute in den Vordergrund der
batte gekommen ist. (Unruhe bei den D. Nat.) Die Herren haben das vorhin bestritten. Ich habe mir inzwischen noch einmal eine Reihe von Sätzen, die gesprochen worden sind, ruhig und leiden schaftslos und in Besprechungen mit einigen Herren überlegt. Herr Abg. Hergt, ein Satz, wie Sie ihn geprägt haben, daß der Herr
I
Reichspräsident hinter den Kulissen die Einheitsfront des deutschen Volkes verhindert hat, ist geeignet, schwerwiegende Befürchtungen wachzurusen. (Widerspruch bei den D. Nat.) Lesen Sie diesen Satz in Ihrer Rede nach. Meine Worte waren deshalb der Abwehr ge— widmet gegenüber gewissen, zu Verunglimpfung neigenden Worten, die Sie, Herr Abg. Hergt, gesprochen haben. Sind Sie der Auffassung, daß Sie damit den Herrn Reichspräsidenten nicht haben treffen wollen — ich billige Ihnen das zu — so haben wir, meine Damen und Herren, alles zu tun in den nächsten Zeiten, um die persönliche Seite hinter den sachlichen Problemen zuröäck— treten zu lassen. Ich bin zu dieser Arbeit bereit. Ich habe die Politik in diesem Sommer und gerade die Außenpolitik geführt ohne Nücksicht auf Parteien und auf Personen. Wenn ich etwas in An— spruch nehmen kann, ist es die der sächlichen Führung der Neichs— geschäfte, der ich die letzte Kraft moralischer und materieller Art ge—⸗ widmet habe. Ich war deshalb überrascht, und nach meiner Meinung ist das Urteil obiektiv zutreffend, daß Sie heute zu Beginn des Winters diese verschärfte Note in der Debatte angeschlagen haben, was auch der Herr Abg. Stresemann Ihnen ausdräcklich bestätigt hat. (Zuruf von den Deutschnationalen: Der Feind steht rechts!“ — Wir wollen uns über diese Debatte ein andermal sprechen. Wenn Sie aber wissen wollen, wie dieses Wort damals gelautet hat, dann lesen Sie einmal das Stenogramm nach, und was steht in dem Stenogramm? (Zuruf von den D. Nat.: Das wissen wir!) — Ich habe es hier. Ich habe mir gedacht, daß einer von Ihnen diesen Zwischenruf machen würde. Was habe ich damals an jenem Sonntag gesagt, wo die große zitternde Erregung nicht nur dieses Haus durchzog, sondern das ganze deutsche Volk? Gegen was habe ich mich gewandt? Ausdrücklich gegen die Atmosphäre des Mordes, des Zankes und der Vergiftung, und dann habe ich die rhetorische Frage aufgeworfen: Wo steht der Feind? Da, wo man mit Mephisto Gift in die Wunden des eigknen Volkes träuft. Ich will es Ihnen wörtlich vorlesen: Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt — ich meinte des eigenen, des deutschen Volkes —. Da steht der Feind, und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!
Lebhafte Zustimmung links und in der Mitte) Haben Sie Gu den Deutsch⸗ nationalen) denn den Rathenauprozeß in Leipzig nicht gelesen? Haben Sie nicht gelesen, daß Rathenau von diesen blinden Fanatikern des⸗ halb auch, wie sie sagen, zur Strecke gebracht worden ist, weil er den Vertrag von Napallo geschlossen hätte? Ist Ihnen noch in Er— innerung, was in den bekannten „Konservativen Monatsheften“ einer Ihrer Freunde, den Sie glücklicherweise von sich abgeschüttelt haben, geschrieben hat? Da haben Sie die Verbindung.
Aber hat denn das einen Wert, daß wir heute diese neue Atmo⸗ sphäre und Aera des persönlichen Kampfes zu Beginn eines Winters eröffnen, wo unserem ganzen deutschen Volk geradezu das Feuer auf den Nägeln brennt, um diese Situation zu überwinden. Kehren Sie zurück zu einer sachlichen, ruhigen Erledigung dieser Vorlage und stehen Sie hinter uns, wenn es sich darum handelt, jede Gewalttat in Deutschland abzuwehren. (Zuruf von den D. Nat.: Sie machen es uns schwer! — Ich habe Ihnen eine positive Arbeit nicht erschwert, aber vom ersten Tage an, wo ich an diesem Platze sprach, war ich verfolgt von dem Haß derjenigen, denen es nicht um das Vaterland, sondern um die Partei geht. (Lebhafte Zustimmung links and in der Mitte. — Unruhe bei den D. Nat.)
Wir lassen uns aber in unserer Arbeit nicht irre machen. Die Not des Vaterlandes ist übergroß. Die Schatten, die von außen über uns fällen, sind riesenhaft, und ich habe die Parole ausgegeben auf dem Incustrie! und Handelstag — wenn Sie meine Rede von dort lesen wollen, das war die Fanfare für den Winter —: das ganze Volk soll es sein, wenn es sich darum handelt, den Kampf gegen Hunger und Elend aufzunehmen. Und diese meine Einladung ist heute beantwortet worden von dem Herrn Abgeordneten Hergt mit einer gehässigen Rede. (Große Erregung bei den D. Nat. — Leb⸗ hafter Beifall links und in der Mitte.)
Präsident Löbe: Die Debatte ist wieder eröffnet. Ich möchte meine frühere Bitte an die Abgeordneten wiederholen. (Zuruf rechts: Aber auch an den Reichskanzler!)
(Forsetzung in der Ersten Beilage.)
Verantwortlicher Schriftleiter: Direktor Dr Tyrol Charlottenburg. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Der Vorsteher der Geschäftsstelle Rechnungsrat Mengerina in Berlin.
Verlag der Geschäftsstelle(Mengering) in Berlin. Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Berlin Wilhelmstr 32. Drei Beilagen und Erste, Zweite und Dritte Zentral-Handelsregister⸗Beilage.
zum Den t schen Meichsanzeiger und
Ersfte Beilage
BPerlin, Sonnabend, den 21. tober
Preußischen Staatsanzeiger
192 *
. 5 Nr. 2338. (Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)
Abg. Hergt (D. Nat.): Der Reichskanzler hat wiederholt sgesprochen, daß er meine persönlichen Angriffe bedauere. (Große he auf der äußersten Linken und Zurufe, die insbesondere kommunistischen Abgeordneten Malzahn ausgehen, der vom sidenten ersucht wird, die parlamentarische Ordnung inne⸗ ten.) Ich bin mir bewußt, in meinen ganzen Ausführungen ommen sachlich gewesen zu sein. (Abg. Malzahn wird wegen erneuter Zurufe zur Ordnung gerufen.“ Wie ein roter Faben zog sich durch meine ganze Rede, daß das Ziel der Deutschnatio⸗ nalen und auch anderer Bevölkerungskreise dahin geht, einen un— parteiischen Reichspräsidenten zu haben, und ich habe nachzuweisen gesucht, daß eben der gegenwärtige Reichspräsident durch seine Zu⸗ gehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei gefesselt wäre und des⸗ halb nicht anders denn als Parteimann auftreten konnte, wie er
fgetreten ist. Hätte der Reichskanzler recht, dann könnte hier in Hause überhaupt keine sachliche Kritik möglich sein. (Sehr rechts Deshalb stelle ich fest, daß der Sinn des Reichs⸗ kanzlers darauf hinausläuft, daß hier parlamentarische Rechte ein⸗ geschränkt werden. (Beifall rechts. Lebhafter Wide rspruch links)
Abg. Fehrenbach (Zentr): Ich habe in dem Prozeß ausdrücklich die deutschnationale Partei aus der Schuldfrage aus— gescklossen. Sie (nach rechts) sollten aber auf gewisse Kreise, die Ihnen nahestehen, und die im Parlament nicht vertreten sind, einwirken. Ich habe meine Fragen in Leipzig gerade in Ihrem
Jnteresse geftellt. Sie haben allen Grund, auf die Ihnen nahe⸗
stehenden Kreise in einem bessernden Sinn einzuwirken. Bei der Frage nach etwaigen Verbindungen habe ich ausdrücklich die deutsch⸗ nationale Fraktion ausgeschlossen. Die Fragestellung war nur meine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, und ich bin deswegen in Ihrer Presse angegriffen und lächerlich geinacht worden. Daß solche Verbindungen bestanden, ist durch diesen Prozeß tatsächlich aufgedeckt worden, und es war deshalb gar kein Anlaß für irgend⸗ eine vernünftige Presse, mich wegen meiner Frage über diese Ver⸗
bindungen lächerlich zu machen und herabzuziehen, sondern es
zuerkennen.
war vielmehr aller Anlaß geboten, meine Frage dankbar an⸗ Gerade in Ihrer Presse bin ich herabgewürdigt worden. In der „Deutschen Tageszeitung“ ist ein Artikel er— schienen mit der Üeberschrift „Voß — Brüdigam — Fehrenbach.“ Das war Lausbubenarbeit, meinen Namen mit dem Voß in Ver⸗— bindung zu bringen, der bald als Links-, bald als Rechts⸗ bolschewist hingestellt wird, und mit Brüdigam, der vielfach vor⸗ bestraft ist, der anderthalb Jahre im Frrenhause war. In solche Beziehungen werde ich gerückt durch die Ueberschrift Voß — Vrüdigam — Fehrenbach“. (Pfuirufe im Zentrum.) Ich habe dann ferner gefragt, ob Siubenrauch noch Schüler des betreffenden
Realgymnasiums sei. Damit habe ich meine richterliche Unpartei⸗
sichkeit in keiner Weise verletzt. Es ist festgestellt, daß sich Stuben⸗ rauch mit der Ermordung Rathenaus getragen hat, daß er den Mordplan gefaßt hat, daß er überlegte, wie er Rathenau im Reichs⸗ tag von der Tribüne aus treffen könne, und diese Gedanken sind in Schülerkreisen erörtert worden. Man meinte, das wäre zu
gefährlich, aber die Ermordung selbst wurde erörtert, und es konnte
sich nur darum handeln, wie sie geschehen solle. Es wurde in den
Echülerkreisen die Frage erörtert, ob es nicht zweckmäßig wire,
Frage aus der Not der Zeit heraus.
es wirklich ehrlich meinen
von 18 Fahren in dieser Weise
es
Rathenau in der Mamrothschen Villa zu ermorden. Das alles war bekannt. Schüler und Lehrer mußten gewußt haben, von welcker Qualität dieser Stubenrauch war, und es wäre Pflicht gewesen, dagegen vorzugehen. Wenn ich fragte, ob Stubenrauch noch Schüler des Realgymnasiums sei, so war das wirklich eine (Sehr wahr!)! Wenn ich dazu bemerkt habe, „das sind ja trostlose und gemeingefährliche Zu⸗ stönde, wenn so etwas an höheren Tehranstalten vorkommt“, so par das ein Gedanke, der jedem anst indigen Menschen und ehr⸗ sichen Patrioten angesichts der Situgtion kommen mußte. Ent⸗ schuldigen Sie, daß ich diese ver önlicken Ausführungen machen mußte. An Fbhre! Nach rechts) Sie kommen nicht darüber hinweg, daß Ihre Presse in dieser Form dem Prozeß gegenübersteht, wenn S
ie
mit der Sanierung unserxes Volkes, M * 5 Wenn 16
V stgestellt ist, daß Buben sih volitisch betätigen, und wenn
z pon Stubenrauch festgestellt ist daß er gemeinsam mit. Vgter Mutter in diefer Art politisch tätig war, so ist damit fest⸗ daß es im deutschen Volk sehr schlimm aussieht. Behrens
(Zuruf rechts: An welche Adresse wenden Sie sich?)
*
namentlich der Schülerkreise.
lt, 20 ß 1 at in' dem Prozeß ausgesagt, er habe eine ganze Anzahl von riefen bekommen mit der Unterschrift „eine dentsche Frau“, nd diese Korrespondenz hätte ihn erst erkennen lassen, wie groß je morglische Verlotiserung in gewissen Kreisen der deuts hen ion sei. Nun ist speziell in Organen Fhrer Presse (nach rechts) r Satz unterdrückt worden. (Hört, hört) Wenn Sie es
lich erst meinen, dann müssen Sie auch ernster vorgehen als (Beifall m Zentrum.)
Damit ist die erste Beratung erledigt, Ausschußberatung ist nicht beantragt. — In zwei er Lesung ward der gemeinsame
Antrag gegen die Stimmen der Deutschnational'n und der
Fommunissen angenommen. Die dritte Lesung wird erst am jens tag statifinden. Am Dienstag wird auch nach der Ge—
6 s
amtabstimmung über den Antrag Herg! abgestimmt werden.
Hierauf vertagt sich das Haus. Nächste Sitzung am Sonn- abend. 2 Uhr (Anträge, betr. Aufhebung der Anzeigensteuer und betr. Rückvergütung der Kohlensteuer beim Hausbrand; kleinere Vorlagen und Antrag, betr. Erhöhung der Entschädi⸗= gung der Mitglieder des Reichsiags). Schluß nach 6½ Uhr.
Treutzijcher Landtag. 177. Sitzung vom 20 Oktober 1922, Mittags 12 Uhr.
—
Bericht des Nachtichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger *)) Am Ministertisch: Minister des Innern Severing. Präsident Leimert eröffnet die Sitzung um 12 Uhr. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Besprechung
der Interpellatio nen über die Vorgänge am
Zirkus Busch und über den Bund für Freiheit
und Ordnung.
Zur Beantwortung der Interpellationen ergreift der Minister des Innern Severing das Wort, dessen Rede wegen ver⸗ späteten Eingangs des Stenogramms erst in der nächsten NꝝhR'mer dieses Blattes im Wortlaute wiedergegeben werden wird.
Abg. Gerig (gentr) Nachdem die Polizei erklärt hatte, daß sie die Verscnmlung des Bundes für Freiheit und Ordnung schützen werde, wäre es doch Pflicht der kommunistischen Partei gewesen, ihre Anhänger von Störungsversuchen abzuhalten. Statt dessen hat die „Kote Fahne“ zum Widerstand gegen die Versammlungsteil nehmer und gegen die Polizei aufgefordert. Be— —
Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herren VMinister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.
reits am Donnerstag ist durch Handzettel zur Störung der Ver⸗ sammlung aufgefordert worden, dann faßte die kommunistische Funktionärversammlung am Freitag denselben Beschluß, und be⸗ reits vor acht Uhr früh versammelten sich nach einheitlichem Plan die Störungstrupps und der Proletarische Gesundheitsdienst. Das beweist, daß es sich um eine planmäßig vorbereitete Aktion ge⸗ handelt hat. Als es der Polizei schließlich gelang, die Kom⸗ munisten in Nebengassen abzudrängen, haben sich die bekannten
unliebsamen Exeignisse zugetragen zwischen Polizisten und Zivilisten. Die Schupobeamten haben ihre Pflicht getan. (Sehr
wahr!! Die Polizei ist aber viel zu spät gekommen, insbesondere nach den Drohungen durch die „Rote Fahne“. (Sehr richtig“) Die verantwortliche Leitung hat versagt! Ihre Aufgabe war es, das Truppenkommando eingehend zu informieren. Die Ent⸗ schuldigung, die Zeitung wäre aus Ersparnisgründen nicht mehr gehalten worden, deshalb sei die Information der Beamten ungenügend gewesen, ist völlig unhaltbar. Die Kommunisten nehmen das Recht der Versammlungsfreiheit in Anspruch, dabei sprengen sie selbst Versammlungen. (Zuruf: Aber nicht mit Tolchen und sonstigen Waffen! Nun, man kann doch nicht ver⸗ langen, daß nach den ausgesprochenen Drohungen die Teilnehmer unvorbereitet ihren Rücken zur Verfügung stellen, damit die Kom⸗ munisten lußig drauf los hauen. (Zurufe der Kommunisten.) Die Kommunisten sind wirklich nicht die geeigneten Schützer der Republik. Sie sind schon mit schwererem Kaliber als mit Tnüppeln gegen die Republik aufmarschiert. Der Bund fur Frei⸗ heit und Srdnung ist gegründet worden nach den kommun stischen Unruhen im Jahre 1921. Der Aufruf zur Gründung war von unserem Reichstagsmitglied Pfeiffer unterzeichnet worden. Das ist aber die einzige Betätigung an dem ganzen Bunde von seiten meines Parteimitgliedes. Bis vor kurzem hat man dann von diesem Bunde überhaupt nichts gehört. Daß der Bund nicht seinen Satzungen entsprechend sich betätigt, haben wir ja am Sonntag gesehen. Sein geistiges Haupt scheint der Abg. Geisler (T. Vp.) zu sein, der sich das Ziel der Zerschlagung der Gewerkschoften gesteckt hat. Mit einer vaterländischen Kundgebung hat die ver⸗ blümte Ankündigung eines Märzputsches, hat die Aufforderung zum Kampf nichts mehr gemein. Vorstandsmitglied des Bundes ist Herr Dr. Pfeiffer, der seit Monaten unser Gesandter in Wien ist, ebensowenig wie Herr Kopsch. Der Reichskanzler hat, wie gegen die „Deutsche Zeitung“ festgestellt werden muß, seinen Ausspruch: „Der Feind steht rechts!“ nicht in dem allgemeinen Sinne getan, den ihm die Rechtspresse und die Deutschnationalen unterlegen. Er sprach von der Mordatmosphäre und von denen,
häre die das Gift verbreiten, „die ser Feind steht rechts“, hat er gesagt.
(Dem.): Der Präsident er⸗ geger die Ausschreitungen geg
Abg. Jansen⸗Solingen klärte sich gestern machtlos
der Kommunisten. Das ist nicht richtig; wir haben die. Geschäftsordnung doch revidiert, und sie gibt gegen Mitglieder, die sich auch einem dreimaligen Ordnungs⸗
ruf nicht fügen, allerdings Zwangsmittel an die Hand. — Daß der Abg. Kopsch zu Unrecht verdächtigt worden ist, ist bereits klar⸗ gestellt — Wir sind gegen alle besonderen Organisationen, die Freiheit und Ordnung „schützen“, kann das der Staat nicht mehr, dann soll er abdanken. Der Bund für Freiheit und Ordnung will aber auch diesen Schutz gar nicht; er rust vielmehr offen zur Gewalt auf, zur Waffengewalt; er will den Terror der Straße. Aber unglaublich ist, daß ein Kommuüunist sich dagegen empört und im selben Atemzug dieselbe Gemaltpolitik proklamiert! (Lärmende Zurufe bei den Kommunisten. Auch einen proletarischen Gesundheitsdienst brauchen wir im Deordneten Staats⸗ wesen nicht. Aus den Vorgängen des letzten Sonn⸗ tags müssen wir die Lehre ziehen, daß die Autorität des Staates und der Regierung gestützt werden muß, daß es keine größere Gefahr für das Staatswesen geben kann, als wenn es in zwei Parteilager zerrissen ist. — Zur Untersuchung der Vorgänge muß. eine Stelle herangezogen werden, die über dem Polizei⸗ pr sidenten steht, um die Objektivität des Urteils zu wahren. Einige auffallende Widersprücke treten schon jetzt hervor. Die Polizei mußte, wenn sie die Versammlung nickt verbot, jederzeit sich als Herr der Situgtion fühlen können. Das war nicht der Fall; daß das Eingreifen zu spat geschah. ist keine ausreichende Entschuldigung.
— Im Polizeipräsidium sitzen Beamte, die dem „Bund“ vielleicht näher stehen, als den heutigen Staats— einrichtungen. Eine Betörde von dieser Bedeutung muß völlig einhei lich organisiert sein. Sehr zu rügen ist auch die unglaubliche Berichterstattung über die Vorgänge. Ein Berichterstatter des Lokalanzeigers“ soll im Polizeipr e sidium sehr bevorzugt werden. Wenn es derselbe ist. der den Artikel im „Lokalanzeiger“ ge⸗ schrieben hat, so muß dagegen eingeschritten, ein solches Verhiltnis muß radifal gelöst werden. Hier liegt eine große Inkorrektheit vor. Absolut notwendig ist, auch den Schein zu ver— meiden, als ob die Autorität der Regierung geschwächt wäre. Also weg mit solchen „Bünden“. (Beifall bei den Demokraten.)
Abg. Grzesinski (Soz): Herr v. Eynen hat gestern eine relaiiv ruhige Auffassung der Angelegenheit vertreten. Nur hätte er seine Mahnung, das Ergebnis der Untersuchung abzuwarten, an seine eigenen Parteigenossen richten sollen. Den TDeutschnationalen und Kommunisten kommt es weniger auf eine Klärung der An⸗ gelegenhein an. Die Angriffe auf den Minister und die Schutz- polizei tragen starken politischen Beigeschmack. Es scheint manchen Parteien unerwünscht zu sein, daß in der Reichshauptstadt ein Sozialdemokrat Polizeipräsident ist. Nicht immer kann man den Chef für Vorkommnisse in seiner Verwaltung vergn wortlich machen. Wir sind der Ueberzeugung, daß der Minister in Zukunft solche Vorkommnisse verhindern wird. Auch seine Ausfüßrungen über die kommunistischen Wühlereien machen wir uns vollinhaltlich zu eigen. Es darf nicht mehr möaglich sein, daß Versammlungen gesprengt werden. (Lebhaftes Sehr richtig! bei den Deutsch⸗ nationalen. Wie immer waren die Drahtzieher nicht dabei und man hat arme Teufel vorgescoben. Das zeugt von einem morali⸗ schen Tiefstand der kommunistts nen Partei, der kaum noch über⸗ boten werden kann. (Lärm bei den Kommunisten. — Zuruf des Ahg. Schulz⸗Neukölln: Ihre Lüge wird dadurch nicht mahrer! — Ordnungsruf.) Es muß auch dafür gesorgt werden, daß Versamm⸗ lungen, wie am Sonntag, in Zukunft nicht mehr stattfinden können. Angesichts der Tatsache der kürzlichen Debatte über die Schutzpolizei ist es fast unglaublich. (Zwisckenrufe bei den Deutschnationalen.) s ist bisher nicht bestrit en, daß der Abg. Rippel hier gestern im Auftrage des Abg. Laverrenz gesprochen hat. (Erneute Unter⸗ brechungen rechts. Wir erwarten vom Minister, daß er den Organisgtionen, wie der Bund für Freiheit und Ordnung eine ist, rücksichtslos zu Leibe geht. Es hat schon vor dem 15. Oktober genug Material vorgelegen, um ein Verbot des Bundes zu rechtfertigen. (Dauernde Zwischenrufe des Abg. Rippel (D. Nat.: Wo ist das Material?! Die Gefahr von links erscheint uns nicht bedrohlich. (Lebhaftes hört, hört! rechts.) Die deutsche Arbeiterschaft folgt den Kommunisten nicht. Gefährlicher ist die Reaktion von xechts. (Unterbrechungen bei den Deu sschnationalen) Die Deutsche Volks— partei soll!e mehr Vertrauen zu den Arbeitern und weniger zu den Deutschnationalen haben. Eine Zusammenarbeit mit den Deutschnationalen lehnen wir entschieden ab. Wir wollen den demokratisch-republikanischen Staat stark machen und uns von niemand in unserer Liebe zu ihm übertreffen lassen. (Beifall bei den Sozialdemolraten.)
daß Versamm
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Abg. Rüffer (D. Nat): Die Forderung, lungen, wie am Sonntag, nicht stattfinden dürften, ist verfassung! widrig (Zuruf bei den Kommunisten: Unverschämt!!. In der Ver⸗ sammkung ist nichts gesagt worden, was gegen die Verfassang ober gegen die Gesetze verstößt. (Widerspruch links. Im Aktions—⸗
rogramm der V. S. P. D steht, daß die gegenwärtige demokratische epublik nicht das Endziel ist, sondern die sozialistische Republik, (Heiterkeit rechts) Der Minister sollte wissen, daß auch dies nicht verfassungstreu ist. Wenn die Voraussetzungen des Art. 34 der Verfafsung erfüllt wären, dann brauchten wir keinen Selbstschutz. (Lachen links. Aber tatsächlich ist es so, daß die Staatsgewalt keinen genügenden Schutz gewährleistet. Wenn man sich bewaffne hat so kam es immer daher, weil der Schutz nicht ausreichend war. Wenn die „Rote Fahne“ ihre Massen zum Kamp aufruft, so muß jeder das Recht hoben, sein Leben zu schützen. Der Abg. Nabold hat sich beschwert, daß die Versammlungsfreiheit der Sozial⸗ demokraten früher ebenfalls schwer zu leiden hatte. Die konjer⸗ vative Partei von gestern hat mit uns von heute nichts zu tun. (Große Heiterkeit links, Wir hauen den Sozialdemolraten in unseren Versammlungen immer Redefreiheit gewährt. An sozial⸗ demokratischen Versammlungslokalen sah man dagegen Zettel, wonach der Zutritt nur Sozialdemokraten gestattet sei. Tie Störungen unserer Versammlungen seit 1914 sind zahllos. Wenn sich die Massen bei der Machtlosigkeit der Polizei dagegen schützen, darf man sich nicht wundern. Am Sonntaqwormittad sind Gruppen von jungen Leuten in der Nähe des Zirkus Busch beobachtet worden, die sangen: Blut muß fließen! (Lebhaftes hört, hört rechts) Die anständige organisierte Arbeiterschaft von Berlin hat sich von dem Terror ferngehalten. Man wird ja sehen, ob der Pakt zwischen den bisherigen Koalitionsparteien und der Deutschen Volkspartei im Reiche fertig ist; die Berschiebung der Reichs⸗ präsidentenwahl bis zum 1. Juli 1925 ist ja charakteristisch da ür. Es gibt nicht nur eine sozialdemokratische, es gibt auch eine deutsch⸗ nationale Arbeiterbewegung, und die verlangt allerdings Freiheit, Sicherheit, Ruhe und Ordnung! Geifall rechts.)
Abg. v. Kardorff (D. Vp. : Durch Vorgänge wie die Berliner Vorgänge vom 15. Oktober erhält die von⸗Berlin“ Bewegung im deutschen Süden neue Nahrung. Solche Vorgänge hier spielen sich doch unter den Augen des Auslandes ab; wie wie soll das V
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Ausland Ver⸗ trauen zu uns fassen, wenn es die Sicherheit hier nicht besser gemwährleistet sieht? Wo soll da schließ ich eine Wendung zum Bessern in der Reparationsfrage herkommen? Wenn die Massen nach dem Abg. Rabold Mißtrauen gegen die Polizei haben, so müssen Sie (nach links) ihnen dieses Mißtrauen austreiben, Die primäre Pflicht der Polizei ist Vorbeugen. Komunistische Aufzüge werden lediglich ein Anreiz sein, solche Demonstrationen immer und immer zu wiederholen Noch immer ist infolge der Revolution die Staatzautorität tief erschüttert. Unsere Warnungen hat die Regierung nicht beachtet. Die Ausländerplage in Berlin ist nahezu unerträglich; man nennt die Zahl 20 000. Daher die furchtbare Wohnungsnot. Allein 800 Agenten der Sowjet⸗Republik sollen unte diesen Ausländdern sein. Der Minister verwies auf den Fall in Spenge; der Vergleich hinkt bedenklich (Zurufe bei den Komm.). Den Erzberger⸗ und den Rathenau⸗Mord hat niemand als Ver⸗ brechen am deutschen Volke so scharf verurteilt als wir. Ich will hoffen, daß es nicht bei den heutigen Worten des Ministers bleibt, sondern daß ihnen auch die Taten folgen werden. Die Selbstschutz⸗ organisationen werden von selbst verschwinden, wenn das Volk sieht, daß der staatliche Schutz genügt. Den Bund für Freiheit und Ordnung hatte die Polizei zu schützen, nachdem seine Bersammlung gestattet war; sah man provokatorische Reden voraus, so hätte man sie donvelt und dreifach verbieten müssen. Der Minister hat doch
durchblicken lassen, daß nach seiner Meinun Fehler . . 65 ; . ,
gemacht sind. Er in ie Dinge waren nit passiert, wenn er sen wäre. Man kann
doch aber die Sicherbeit in Berlin nickt von seiner Anweien⸗ heit abhängen lassen (Heiterkeit). Der Polizeipräsident hat offenbar das Bedürfnis gefühlt, sich zu verteidigen Gewiß dürfen wir heute hreierisch in die Welt rusen. Da r Massen
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denken und nicht
sozialer Revolution wie den heutigen nicht glauben. Es sind Fehler gemacht worden, nach den alten Gxund⸗ sätzen der vreußischen Verwaltung trägt dafür die verantwortliche Stelle die Verantwortung, sie darf nicht untergeordnete Organe
dafür in die Wüste schicken (Zurufe links; Jagow). Unter Jagow wäre das in Berlin nicht passiert. Die Polizei war doch gewarnt. Es sind auch Leute verletzt, die mit dem Bunde nichts zu tun haben. Die Vorgänge zeigen uns den Abgrund, an dem wir stehen die Regierung muß die Gefahr so ernst wie möglich nehmen. Tie Frage ist heute die: Hier Kepublik, dort Chaos. Wir werden ge⸗ meinsam untergehen, Besitzende wie Besitzlofe, oder wir werden gemeinsam bestehen bleiben. Alles muß man heute vermeiden, was aufreizen kann. Man muß maßvoll und sachlich bleiben. Sa verzweiselt, wie von manchen Seiten hingestellt, ist unsere Lage nicht; die Kartoffelernte bringt uns auch wol über diesen schweren Winter hinweg. Voraussetzung aber ist, daß Ruhe und Srdnung herrscht, damit wir in der Welt wieder Kredit gewinnen. Nur eine Regierung, die die besten Kräfte des Landes hinter sih hat, wird den Gefahren gewachsen sein, die uns bedrohen. (Beifall bei der Deutschen Volkspartei).
Abg. Schulz⸗Neukölln Comm): Der Abgeordnete Rabold hat uns eine pazifistische Limonade verzapft, die selbst Kermenn Grzesi isti zu matt war. Die Orgeschorganisation „Bund für Frei⸗ heit und Srdnung“ wird ihre Mord⸗ und Umsturzpläne weiter in die Tat umsetzen. Die Orgeschorganisation Consul bat in ge eimen Zirkularen Weisung erteilt, nur rücksichtslose, brutale, krieg und waffenerfahrene Männer aufzunehmen, die ohne weiteres schie zen und einhauen. Das war auch die Stimmung der Mordbuben die am Sonntag im Zirkus Busch ihr Wesen trieben. 54 Arbeiter⸗ führer wird in diesen Geheimzirkularen direkt der Meuchelmord epredigt und planmäßig vorbereitet. Und solche Dinge nennt . gab harmlos! Die Gewerkschaften haben nach dem Rathenau⸗Mord das Verbot monarchistischer Demonstrationen efordert. Ein Volksparteiler leitet den Bund für Freiheit und n , und sein . v. Kardorff hält uns hier eine olche heuchlerische Rede! Wenn er meint, daß hier nicht die Frage ei „Republik oder Monarchie“, sondern „Republik oder Chaos“, o enthüllt sich damit der Weißgardist, der Monarchist. Der Ver⸗ liner Sonntag vorgang ist nur ein Symptom größerer kommender Gefahren. Die hohe Polizei mit dem hohen Minister Severin an der Spitze schützt nur die Hochstehenden, nicht die Proletarier. Herr Severing schützt die Mörder des Arbeiters Poeske, anstatt sie sestzunehmen. Nur schwexen Herzens hat er den Polizeipräsidenten preisgegeben. Herr Richter war nicht unterrichtet über den Bund und seine Tendenzen; desto untęrrichteter war der Geh. Oter—⸗ , Weiß, der seinem Vorgesetzten weismachte, er handle sich um einen deutsch-völkischen Geselligkeitsverein. Der na er informierte Polizeipräsident hat dann durch die Presse die Oeffent⸗ lichkeit belogen, indem er die Arbeiterschaft in niederträctig⸗ erbärmlicher Weise aus den Kneipen schwer bewaffnet zum Firus Busch ziehen und Mitglieder des proletarischen Gesundheitsdienstes Schupobeamte ermorden läßt. Daß die oberen Beamten die unteren zurückgehalten haben, ist ein aus den Fingern gesogenes Märchen;