1923 / 270 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 27 Nov 1923 18:00:01 GMT) scan diff

Artikel 1.

§ 4 des Gesetzeg, betrenend die Besteuerung des Wanderlager. betriebs, vom 27 Februar 1880 n,, . S. I 7h in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Steuergeetze an die Gel dwertänderung vom 31. Juli 193 (Gesegsamml. S. 365!) und der Verordnung zur Anpassung der Wanderlagersteuer an die Geldwertänderung vom 30. September 1923 . S. 465) wird wie solgt geändert

1. Abi. 1 erhält folgende Fassung:

Die Steuer ö für jede Woche der Dauer des Wander⸗

detriebs lagerbetrie 18 Goldmark,

9 36 . D ö m übrigen in Orten mit 2 als H00 9000 Einwohnern.. 15 25 mit mehr als 100 000 bis bo 000 Ein⸗ wohnern-c- . / mit mehr als 50 000 bis 100 000 Ein- wohnen bis zu 50 000 Einwohnern.

sofern der Betrieb von einer Peron versel en wird; sie erhöht

sich für jede weitere un Betriebe tätige Person (Mitunternehmer oder Angestellter) um den gleichen Betrag für einen nur mechanische Dienstleistungen verrichtenden Gehilfen ( Haus diener, 1 Laufburschen oder mädchen u. dgl.) um je den halben etrag. —; 2. Als Abs. 6 tritt hinzu: .

Die in Goldmark festgesetzie Steuer ist gemäß 5 4 Abs. 1 und 52 Abs. 3 rer Landes aufwertungeverordnung vom 7. No- vember 19235 (Gejetzsamml. S. bol) unter Umrechnung nach dem am Tage der Zahlung maßgebenden Goldumrechnungsjatz in deutscher Währung zu zahlen. Erstattungen sind gemäß § 8 daselbst nach dem Goldwerte zu bewirken.

Artikel 2. Diese Verordnung tritt am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft. Die Steuersätze des Artifels JG finden keine Anwendung, wenn der Zeitabschnit, für welchen die Steuer zu entrichten ist, bei In krafttreten der Verordnung bereits begonnen hat. Straf⸗ und Nachsteuerbeträge, die nach den bisherigen Steuer« ätzen bemessen und noch nicht gejahlt worden sind, jowie Straf- und laͤchsteuerversahren bei denen die bisherigen Steuersätze zur Anwen⸗ dung zu kommen hätten, werden niedergeschlagen; neue derartige Ver⸗ fahren werden nicht eingeleitet.

Berlin, den 24. November 1923.

Das Preußische Staatsministerium. Braun. Severing. v. Richter.

Vierte Verordnung über die Wohnungsbauabgabe.

Vom 14. November 1923.

(Veröffentlicht in der am 26. November ausgegebenen Nr. 72 der Gesetzsamml. S. 534.)

Auf Grund des 12 des Reichsgesetzes vom 26. Juni 1921 RGBl. S. 773) und des 8 17 des Reichsgesetzes vom März 1923 (RGBl. 1 S. 238) sowie des 8 16 der Ver⸗ ordnung des Reichspräsidenten über Steueraufwertung und Vereinfachungen im Besteuerungsverfahren vom 11. Oktober 1925 (RGBl. J S. 939) wird folgendes verordnet:

. Artikel l. Von der Einziehung der Wohnungsbauabgabe, die

a) für die Zeit vom 1 Oktober 1921 bis zum 31. Dezember 1922

auf Grund des Reichsgeletzes vom 26. Juni 1921 (RGGBl. S 773) und vom 6. Män 1922 (RGBl. S. 232) sowie der ö Verordnung vom 22. November 1921 (Gesetzsamml. b) für die Zeit vom 1. Januar 1923 ab auf Grund der Neichs— gesetze vom 28. März 1925 (RGBl. 1 S. 238), vom 19 Juli 1923 (RGBl. 1 S. 683) und vom 18. August 1923 RGBi. 1 S. 80h) sowie der preußischen Verordnungen vom 4 Mai 1925 (Gesetzlamml. S. 151), vom 60 Juli 1923 (Gesetzsamml. S. 395) und vom 25. August 1923 (Gesetzsamml. S 418) veranlagt und zur Hebung gestellt ist, wird, soweit sie nicht bereits eingezahlt ist. bis auf weiteres abgesehen.

Die Gemeinden, in den Landtreisen die Kreigausschüsse, können ohne besondere Genehmigung beschließen, die als Wohnungsbauabgabe veranlagten Betiäge als Mehrzuschläge (Artikel 2 Ziffer 3 der Ver⸗ vrdnung vom 4. Mai 1923) zu erheben.

Artikel 2.

Die Gemeinden, in den Landkreisen die Kreisausschüsse, können beschließen, von der Einziehung der von ihnen auf Grund der im Artilel 1 ausgeführten Reichsgesetze und Verordnungen zur Hebung 6 Zuschläge zu der Wohnungsbauabgabe abzujehen. Die Be⸗ chlüsse bedürfen der Genehmigung des Jiegierungspräsidenten, im Gebiete des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirt des Verbandtz⸗ präsidenten und in Berlin des Oberpräsidenten.

Artikel 3.

Schwebende Rechtsmittel und Anträge werden für erledigt er—⸗ lärt, josern die Gemeinden (Kreisausschüsse) von der Einziehung der Zuschläge (Artikel 2) absehen.

Im übrigen bleibt das geordnete Rechtsmittelverfahren mit der Maßgabe bestehen, daß die Beschwerde fortfällt und der Gemein de⸗ porstand (Kreisausschuß) in allen Fällen endgültig entjcheidet In , . Beschwerdeveifahren verbleibt es bei der angefochtenen

nischeidung.

Berlin, den 14. November 1923.

Das Preußische Staatsministerium. Braun. v. Richter.

l

Nichtamtliches.

Deut sches Reich.

Der Reichsrat hält Donnerstag, den 29. November 1923, 5 Uhr Nachmittags, im Reichstagsgebäude eine Vollsitzung ab.

Durch Verordnung des Neichsverkehrsministers vom 1. No⸗ vember d. J. sind mit Wirkung von diesem Tage die in der Sisenbahnverkehrs ordnung aufgeführten Geld⸗ beträge (für widerrechtliche Benutzung einer höheren Wagenklasse, Uebertretung des Rauchverbots, Frachtzuschläge bei unrichtiger Inhalis⸗ oder Gewichtsangabe usw.) in Goldmarkbeträge um⸗ gewandelt worden.

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Deutscher Reichstag. 393. Sitzung vom W. November 1923. Nachtrag.

Die Rede des Reichswehrministers Dr. Geßler lautet nach dem vorliegenden Stenogramm, wie folgt:

Meine Damen und Herren! Die Herren Ministerpräsidenten von Sachsen und Thüringen haben gestern hier Ausführungen zum Ausnahmezustand gemacht, auf die ich pflichtgemäß erwidern muß. Ich kann das aber nur tun, wenn ich zunächst einmal mit ein paar Worten zu den Verhältnissen Stellung genommen habe, durch die wir in diesen Ausnahmezustand hineingeraten sind. Dabei darf ich eine

persõnliche Bemerkung vorausschicken. Niemandem kann der Aus nahmezustand unangenehmer sein als mir, und zwar aus vater⸗ ländischen Gründen, weil ich es für ein Unglück halte, daß wir in einer Zeit, in der das Leben der deutschen Nation von außen bedroht ist, statt alle Kräfte zusammenzufassen, uns in Deutschland gegen den Bürgerkrieg wehren müssen (lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts, ferner weil es gerade für die Reichswehr nichts Unan— genehmeres und nichts Schwierigeres. geben kann, als in einen solchen Konflikt hineingezogen zu werden. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts)

Meine Damen und Herren, wir waren uns schon lange Zeit darüber klar, daß in dem Augenblick, in dem der Ruhrkampf zu Ende gehen würde, noch einmal die deutsche Frage in ihrer Totalität zur Entscheidung kommen werde. Wir haben klar gesehen, wie der Auf marsch der Gruppen erfolgte. Auf der äußersten Rechten und auf der äußersten Linken stehen sich zwei Parteien gegenüber. Die Partei der äußersten Linken in dieser Beziehung haben die Kommunisten meines Erachtens den Vorzug spricht klar aus, was sie will. während die Leute um Herrn von Graefe das nicht tun; wenigstens geschieht das hier nicht, nur in den Versammlungen draußen sprechen sie klar aus, was sie wollen. (Zustimmung bei den Deutschen Demo kraten) Sie wollen die gegenwärtigen Verhältnisse, die Verfassung der deutschen Republik mit Waffengewalt umwerfen. Im August hat eine Aussprache zwischen der Nationalsozialistischen Partei und den kommunistischen Herren in Stuttgart stattgefunden. (Lachen bei den Kommunisten. Zuruf: Glauben Sie daran?) Ich glaube daran; denn ich habe das Protokoll hier, und das ist von Ihnen (zu den Kommunisten) selbst verbreitet worden. (Aba. Koenen: Keine Aussprache, nur eine öffentliche Versammlungsdiskussion! Lachen.) Aus dieser ‚Versammlungsdiskussion' will ich nur einen Satz fest⸗ stellen, der die Situation ganz klar beleuchtet. In dieser gemein samen Aussprache beider Parteien (Hört! hörth, die in ihren Zielen (Unterbrechungen auf der äußersten Linken. Glocke des Präsidenten.) die in ihren Zielen ganz verschieden, aber in ihren Mitteln völlig einig sind, nämlich in dem gewaltsamen Umsturz der Verfassung, hat der Herr Abgeordnete Remmele die Diskussion geführt. (Zurufe von den Kommunisten) Da sagte Herr Remmele:

Zuerst eine Vorfrage, nämlich die Frage, mit welchen Mitteln der Befreiungskampf der Ausgebeuteten und Enterbten überhaupt geführt werden kann! Dieser Kampf ist kein Kampf der Rede⸗ schlachten; er wird nicht entschieden in Parlamenten.

(Sehr richtig! auf der äußersten Linken.) Er kann nur siegreich durchgeführt werden mit der Waffe in der Hand.

(Hört, hört! in der Mitte und rechts) Und nun, meine Herren: „Stürmischer Beifall bei den Fascisten“. (Erneute Rufe: Hört, hört! Lautes Lachen bei den Kommunisten.)

Ich meine, die Situation ist klar (sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten), und es entsteht einfach die Frage: was will demgegen⸗ über die Regierung tun? Da stelle ich fest, daß wir von Anfang an entschlossen waren, den Kampf für die Existenz der demokratischen deutschen Republik gegen diese Parteien mit allen Mitteln des Staates aufzunehmen. (Abg. Thomas: Das ist doch nur eine Auf⸗ fassung, noch kein Waffengebrauch, wenn man diese Auffassung vertritt. Große Heiterkeit) Herr Abgeordneter Thomas, zwei Be—⸗ merkungen! Zum Waffengebrauch ist es mittlerweile in Hamburg gekommen. (Sehr richtig) Und außerdem eine sehr diskrete Mit⸗ teilung! Meine Herren, wenn Sie in dem nächsten Reichshaushalts⸗ etat scharf bei den außerordentlichen Einnahmen meines Ministeriums zusehen, so können Sie dort den Betrag von 1100 Dollar finden, den wir für den Verkauf von Waffen bekommen haben, der für Sie in Thüringen bestimmt gewesen ist. (Lebhafte Rufe: Hört, hört! Abg. Thomas: Wenn Sie die Waffen der Nationalsozialisten ver⸗ kaufen würden, so würden Sie dem ganzen verarmten Deutschland auf die Beine helfen) Ich wollte, ich könnte das; denn ich halte alle diese Waffen in Privathänden für einen großen Unfug. (3u⸗ stimmung.) Aber ich will nur das eine sagen: so steht die Sache, und diesen Kampf mit allen Mitteln durchzuführen, halte ich für meine Pflicht. (Erneute Zustimmung in der Mitte und bei der Deutschen Volkspartei. Zuruf links: Man muß sich heute gegen die Reichswehr in Sachsen schützen) Warten Sie ruhig ab; dazu kommen wir nachher. Ich wollte Ihnen nur sagen: so war die grundsätzliche Einstellung.

Zugleich haben wir durch sehr zuverlässige Nachrichten über die Bewegungen in den rechtsradikalen Kreisen erfahren, daß auch diese Herrschaften nur auf den richtigen Zeitpunkt warten, um loszuschlagen, und zwar, wie es immer ist, hat einer auf den anderen gewartet. Der große Deutsche Tag in Nürnberg im September sollte so eine Art Parade darstellen, und wenn Sie die Präsenzliste nachlesen, so finden Sie, daß auf diesem Deutschen Tage alle die Leute vertreten waren, die am 9. November (Zuruf links: Auf dem Bauch gelegen haben) auf das Kommando „Hinlegen!“ sich hingelegt haben, was immerhin für eine gewisse militärische Vorbildung dieser Kreise spricht; das muß ich ihnen zugeben. (Große Heiterkeit) Dortmals hat man dann begonnen, das Bild Hitlers dem deutschen Volke in angesehenen Zeit- schriften als seinen künftigen Führer zu zeigen und zu sagen: man muß sich endlich an dieses Bild gewöhnen. Ich habe immer mit großer Sorge auf diese Entwicklung in München gesehen, und ich freue mich, daß mein Herr Vorrredner heute genau dieselben Gedanken aus- gesprochen hat, denen ich mündlich und schriftlich im Laufe des Sommers immer wieder Ausdruck gegeben habe, und wo ich auch auf die Personen hingewiesen habe, die die Sache machen werden. (Hört, hört! bei den Deutschen Demokraten.)

Es war klar, daß die Zeit der Entscheidung immer näher kommen würde. Vor allem hat der Eintritt der Kommunisten in die Re⸗ gierungen in Sachsen und Thüringen die Zukunftsaussichten dieser Kreise außerordentlich gestärkt, und die Sprache ist immer deutlicher geworden. Ich lasse mich nicht auf Spitzelberichte ein, obwohl sie manchmal sehr interessant sind. Ich will dem hohen Hause nur von wirklich offiziösen und offiziellen Persönlichkeiten Aeußerungen vor— legen. Ministerialdirektor Brandler, der anfangs Oktober Leiter der Sächsischen Staatskanzlei wurde und damit den ganzen sächsischen Regierungsapparat in seine Hand gebracht hat, schreibt am 28. 9. in der russischen Zeitung ‚Prawda“:

Es fiel uns selbstverständlich schwer, unsere Kommunisten und revolutionären Arbeiter technisch vorzubereiten und zu bewaffnen. Was jedoch nach dem Generalstreik für vollkommen unmöglich galt, ist jetzt vollendete Tatsache geworden:

(Hört, hört! in der Mitte.)

Wir baben es gesehen, mit welcher unerhörten Geschicklichkeit und Schnelligkeit breite Arbeitermassen kampfbereit dastehen können. Diese Hundertschaften haben Wunder an Organisation und Können geleistet. Wir sind überzeugt, daß im Notfall jederzeit kolossale Divisionen entstehen können als Gegengewicht gegen die offiziellen Streitkräfte. (Hört, hört! bei den Deutschen Demokraten und der Deutschen Volkz. partei) Und der Minister Böttcher in Sachsen hat am 13. Oktober in einer Versammlung im Zoologischen Garten in Leipzig nach der Sächsischen Arbeiterzeiting ich nehme nur Literatur, die von Ihnen (zu den Sozialdemokraten) approbiert ist folgende Aut, führungen gemacht: Die Koalitionsregierung hat bankerottiert. Es gibt nach dieser Entwicklung, in der wir stehen, entweder eine weiße oder eine rotz Diktatur. Das Proletariat muß sofort bewaffnet werden. Di Zentralorgane des Proletariats sind die Träger des proletarischen Befreiungskampfes. Die proletarischen Hundertschaften, Aktion. ausschüsse, Kontroll ausschüsse, Betriebsräte, hört, hört! bei den Deutschnationalen), ; alles das, was sich die Arbeiterklasse geschaffen und gebildet hat in langem Kampfe, das sind Organe, mit denen das Proletariat heuh seinen Kampf führen muß. Dann wurde die Resolution gefaßt: Die am 13. Oktober im Zoologischen Garten versammelten 6000 Arbeiter und Arbeiterinnen protestieren entrüstet gegen da Verbot der Hundertschaften und der Aktionsausschüsse durch den General Müller. Sie sind gewillt, nun erst recht diese Kamp mittel auszubauen. (Lebhafte Rufe: Hört, hört h Gleichzeitig erklären sie, mit denselben Mitteln zu kämpfen, um di mit dem Ermächtigungsgesetz geplante Diktatur Stinnes über Ri Arbeiterklasse unmöglich zu machen. (Bravol bei den Kommunisten) Mittlerweile waren wir in den Ausnahmezustand hineingeraten. (Zuruf von der Deutschvölkischen

Freiheitspartei: Wo sind die Beweise gegen uns Die kommen.

noch! Gedulden Sie sich! Einer nach dem andern! Im übrigen, Herr Kollege Henning, wundere ich mich darüber, daß Sie nach den Tag von München von mir noch Beweise verlangen. (Sehr richtig bei den Deutschen Demokraten. Das nur nebenbei bemerkt! In Gegenteil, ich muß sagen, wenn ich an diesem Tage in München beteiligt gewesen wäre, dann würde ich mich so hinlegen, daß mich niemand mehr sieht. (Große Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren! Mittlerweile waren wir in den Ausnahmezustand hineingekommen, nachdem dieser vorher schon von der größten Landesregierung angeregt worden war, dadurch, daß i Bayern der Herr v. Kahr zum Generalstaatskommissar mit außer. ordentlichen Vollmachten ernannt war. Herr v. Kahr ist kein mn. beschriebenes Blatt. (Sehr richtig! bei den Vereinigten Soal⸗ demokraten) Herr v. Kahr war vor allem der Vertrauensmam weitester Kreise, vielleicht ohne sein Verschulden, aber Vertrauen mann weitester Kreise hier in Norddeutschland, die darauf gewartet haben, daß nunmehr das Schlagwort der nationalen Diktatur ü Deutschland verwirklicht wird. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei) Und die Cpisode von Küstrin zeigte uns, wie groß i Gefahr geworden war. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volksparhe

und bei den Deutschen Demokraten) Wir mußten annehmen, deß

die Ernennung des Herrn v. Kahr in Bayern sofort zu der Auslösunß größerer Bewegungen in Norddeutschland führte. (Sehr wahr! be den Deutschen Demokraten und bei der Deutschen Volkspartei) Und nun entstand für uns die überaus große Schwierigkeit, daß wir mit der kleinen Macht, die dem Reiche verblieben war, zwischen zwi Feuer gekommen wären: auf der einen Seite, daß von Ihnen Gut Deutschvölkischen Freiheitspartei) der Aufstand hervorgerufen worden wäre, und auf der anderen Seite, daß auch Sie, meine Herren (zu den Kommunisten), Ihre Ankündigungen verwirklicht hätten. Wesen solcher Bewegungen ist, daß man auch hier die Begeisterum nicht einpökeln kann, sondern diese Bewegungen treiben sich von selber fort (sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten), und wenn sie sih nicht auslösen dürfen, dann brechen sie schließlich in sich zusammen (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten und bei der Deutschet Volkspartei.) . ö

Ich bin mir immer darüber klar gewesen, daß in München bi Stimmung so überhitzt war, daß es von dort aus losgehen mist wenn nicht diese Bewegung sehr bald an den inneren Gegensähen ihrer Führer zugrunde gehen soll. (Zustimmung rechts) Ich habe allerdings angenommen, daß die Männer, die an der Sache beteilig waren (Zuruf von den Deutschen Demokraten: Männer? Gegennf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Hampel männer! Heiterlit links5 das überlasse ich Ihnen, wie Sie das charakterisienm wollen daß die Männer eine Sache nicht so töricht machet würden. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Denn wenn der Aufstand wirklich im großen Stil durchgeführt worden wäre, mit wir das befürchten mußten, dann wäre dieser die große Krise n deutschen Vaterlandes und möglicherweise das Ende geworden. (Etht richtig! bei den Deutschen Demokraten) Dann hätten wir in dem selben Augenblicke den Bürgerkrieg in Deutschland gehabt und sc wahrscheinlich an allen Grenzen des Reiches Sanktionen und Ci marsch gegen uns. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten. Zustimmung des Reichskanzlers Dr. Stresemann.)

Wir mußten deshalb militärisch eine Stellung einnehmen, ba der aus wir die Lage in Deutschland beherrschen; und das konnte nch Lage der Sache nur Mitteldeutschland sein. (Sehr richtig! bei n Deutschen Demokraten) Ich sage das ganz bewußt und gewollt: wi wollten dort den Kampf aufnehmen und hätten ihn aufgenommen wenn er uns aufgezwungen worden wäre. Dabei ging es nicht an, dn wir etwa gegen die Freischaren, die von Bavern herübergekommu wären, gekämpft hätten, und daß uns dann die Arbeiterbataillone Herrn Brandler in den Rücken gefallen wären. Wir mußten ber suchen (Abg. Ledebour: Wir hätten Ihnen ja geholfen). dit

diese Hilfe danken wir! (Abg. Ledebour: Ihr habt sie nach dem Kay

Putsch geholt! Im Kapp. Putsch hat die Arbeiterschaft der Regienmt geholfen) Das ist, Herr Kollege Ledebour, Ihre große Tauschmm daß Sie die Arbeiterschaft immer wieder mit den Herren Kommunisten da drüben verwechseln. (Sehr richtig in der Mitte. Zuruf von det Kommunisten: Das ist die deutsche Arbeiterschaft) Sie sind nict die deutsche Arbeiterschaft. Sie vertreten einen Bruchteil der deutschi Arbeiterschaft. Aber Sie haben nicht das Recht, für die deut Arbeiterschaft zu sprechen. (Zuruf von den Kommunisten: Für nen denn) Für den Teil der Arbeiterschaft, den Sie vertreten und dn

den gewallfamen Umsturz der Verhältnisse in Deutschland berkey

Denn dh

flbren will, zu sprechen, baben Sie das Recht; bagegen für den übrigen Teil der Arbeiterschaft, der auf dem Boden der verfassungs⸗ mäßigen Entwicklung seine Ziele zu erreichen strebt, haben Sie nicht ju sprechen; und soweit ich die Wahlergebnisse übersehen kann, ist phieser Teil der Arbeiterschaft noch immer der weitaus größere in Deutschland. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte) Diese Dinge müͤssen einmal festgestellt werden.

Wir waren uns im Reichskabinett darüber klar, daß wir in dieser geit Landesregierungen nicht dulden können, deren Mitglieder offen den Sturz der Weimarer Verfassung haben wollten, die pro— grammatisch auf den gewaltsamen Umsturz der Weimarer Verfassung abgestellt sind. Es ist der Prüfstein der Verfassung von Weimar, ob zieser elementaren Lebensnotwendigkeiten im Rahmen der Weimarer Verfassung Geltung verschafft werden konnte. (Juruf links: Bayern) Die offizielle Regierung, die in Bayern ist, ist verfassungs⸗ mäßig. (Zuruf der Abgeordneten Pfülf Na, Frau Kollegin (Erneuter Zuruf. Abg. Ledebour: Laßt ihn reden, er blamiert sich ja jetzt) Aber ein Offizier hat ganz richtig in seinem Bericht ge⸗

schrieben: in Bayern gibt es drei Regierungen: die legitime, die keine

Macht hat, und zwei andere, eine mit der Legitimität bekleidet die um die Macht kämpfen. (Abg. Ledebour: Gegen die Sie nichts zu machen wagen) Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, Herr Kollege Ledebour, die Politik wird durch den Herrn Reichskanzler gemacht. Darum müssen Sie sich über diese Fragen mit dem Herrn Reichs kanzler auseinandersetzen. (Abg. Ledebour: Der kommt ja nicht her- aush Dafür kann ich doch nichts. (Fortgesetzte Zurufe links. Glocke des Präsidenten.)

Herr Thomas stört mich nicht. (Geiterkeit.

Dieser Standpunkt ist dem sächsischen Ministerpräsidenten klar zum Ausdruck gebracht worden, daß wir keine Landesregierung an⸗ erkennen können, in der sich Mitglieder befinden, die sich zum gewalt⸗ samen Umsturz der Verfassung bekennen. (Juruf von den Kommu⸗ nisten: Da sind Sie schon wieder über Bayern hinwegh Sie haben

Ich kann ihn hier ertragen.

mmich ja darin gestört. (Fortgesetzte Unterbrechungen auf der äußersten

Linken. Glocke des Präsidenten.)

Aber auch hier wollten wir der sächsischen Regierung Zeit lassen, diese Dinge selbst in Ordnung zu bringen. Da ereignete sich folgendes: Die kommunistische Landtagsfraktion, deren Mitglied Herr Böttcher war, hat einen großen Aufruf erlassen und unterschrieben: Die Faust vor die Brust!“ In diesem Aufruf war Verschiedenes enthalten, vor allem aber eine ganz scharfe Kampfansage gegen den Militärbefehls⸗ haber. Es hieß darin:

Wir pfeifen auf das Verbot der Hundertschaften durch den Herrn General. Wir pfeifen auf alle Verbote und Erlasse, die noch kommen werden. Wir sind in die Regierung eingetreten, um gemeinsam mit den Sozialdemokraten die werktätigen Massen zum Kampf gegen die Militärdiktatur des Fascismus und zu mobilisieren. Wir werden die Massen mobilisieren, mag der General noch so gut tanzen wie die Fascisten pfeifen. Wir fordern die Arbeiter auf, das Verbot der Hundertschaften mit der Auf⸗ stellung unzähliger neuer Hundertschaften, das Verbot der Aktions- ausschüsse mit der Aufstellung von Aktionsausschüssen in jedem Betrieb zu beantworten.

(Sehr richtig! bei den Kommunisten. Ja, das ist richtig, dieser Aufruf war erlassen worden. Aber eine Reichsregierung, die sich das gefallen lassen muß, die müßte unbedingt abdanken. (Lebhafte Zu⸗ stimmung in der Mitte.)

Das hat das Vorgehen in Dresden gegen die Regierung aus— gelöst. (3Zurufe auf der äußersten Linken: Bayern) Jedenfalls möchte ich aber eines sagen darin können wir uns, glaube ich, ver⸗ ständigen —: verfassungswidrige Zustände in Bayern geben kein Recht auf verfassungswidrige Zustände in Sachsen. (Erneute fortgesetzte Unterbrechungen auf der äußersten Linken. Glocke des Präsidenten.)

Darin sollten wir uns einig sein, und gerade wer auf dem Boden

der Republik steht, wer die deutsche Nation erhalten will und wenn

ich die Kundgebungen der Arbeiterschaft richtig verstanden habe, sieht doch gerade die deutsche Arbeiterschaft mit eine ihrer Hauptaufgaben

darin kann doch nicht die Entwicklung dahin gehen, daß, wenn in

irgendeinem Lande verfassungswidrige Zustände sind, umgekehrt auch in den anderen Ländern verfassungswidrige Zustände nach der entgegen⸗ gesetzten Seite berechtigt sind.

Im übrigen zeigen ja die Ausführungen der führenden kommu⸗

mnistischen Herren, wohin die Fahrt hätte gehen sollen. (Sehr richtig!

in der Mitte) Der Zweck ist doch der gewesen, in Deutschland an Stelle der demokratischen Republik die Räterepublik zu setzen, und dagegen sich mit allen Mitteln zu wehren, ist die Aufgabe der Regierung, die auf dem Boden dieser Verfassung steht. Gebhafte gustimmung in der Mitte)

Es war aber doch nicht nur an dem, daß sich lediglich diese Kontrollausschüsse und Hundertschaften in Sachsen gebildet hatten, sondern aus zahlreichen Kreisen des Bürgertums ist uns die Mit⸗ teilung gekommen, daß diese Kontrollausschüsse in einer durchaus un⸗ zulässigen Weise in das Wirtschaftsleben und in die öffentliche Sicher heit in Sachsen eingegriffen haben. Ueber die Tätigkeit dieser Kontroll ausschüsse steht Material bergehoch zur Verfügung, und ich will nur wei Fälle anführen. Ein Fabrikbesitzer in Zwickau wurde zu Tarif derhandlungen geführt, er mußte im Zug die rote Fahne voraustragen, außerdem wurde ihm bei den Tarifverhandlungen selbst ein Hut mit roter Feder aufgesetzt, und er wurde gezwungen, das, was ihm hier vor⸗ getragen wurde, zu unterschreiben. (Hört, hörth) Die Polizei het erklärt, daß sie nicht die Macht habe, entgegenzutreten. (Hört, hört! Zuruf links: Wann war das?]! Das war im Laufe des Sommers, im August. (Zuruf links: Aber nicht im Herbst) Gewiß, aber diese Dinge haben eben diese Entwicklung in Sachsen ausgelöst. (Zuruf links: Das ist nicht nur in Sachsen vorgekommenh Um so schlimmer! Das beweist aber doch gerade, daß der Aus

nahmezustand nötiger ist als je, wenn diese Dinge landauf und landab

geschehen. (Zuruf links: Sie waren längst vorüber) Das muß ich bestreiten. In einem zweiten Fall wurde der Direktor eines großen Glas .

hüttenwerks der Mann steht mit seinem Namen dafür zu Lohn

bewilligungen gezwungen, indem ihm das Telephon gesperrt wurde. Es wurde vor das Fenster seines Büros ein Schubkarren gestellt und ihm gesagt: Wenn Sie nicht unterschreiben, werden Sie auf den Schubkarren geladen und in den Glasofen geworfen. (Zurufe unb Unruhe bei den Kommunisten) Jedenfalls sind das Verhandlungs⸗ formen, die in die Grundrechte der Verfassung eingreifen und die die Megierung nicht dulden kann. Daran liegt eben das, was vorhin von

dem Herrn Abgeorbneten Erkelenz richtig gesagt worden ist: Man kann nicht in einem Lande, wo die Bevölkerung fast 50 zu 50 steht, den einen Teil der Bevölkerung rücksichtslos ausschalten, um mit dem anderen Teil zu regieren. Das muß dazu führen, daß dann eben das Vertrauen dieser Kreise zur Regierung völlig schwindet. (Zuruf links: Jetzt werden die anderen ausgeschaltet) Das würde ich für einen großen Fehler halten. (Zuruf links: General Müller vergewaltigt jetzt die anderen) Er denkt gar nicht daran, die Regierung irgend wie auszuschalten. Was er allerdings tut und für nötig hält, ist, daß er die sächsische Polizei in Ordnung bringt, damit, wenn die Truppen abrücken, der Bevölkerung das Maß des Schutzes ihrer persönlichen Freiheit gesichert ist, auf das sie Anspruch hat. (Unruhe links. Zuruf: Was tun Sie, um in Bayern die Polizei in Ordnung zu bringen? Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Bell: Ich bitte dringend um Ruhe!

Dr. Geßler, Reichswehrminister: Diese Frage bitte ich an den Herrn Reichskanzler zu richten. Ich habe einen Auftrag für Sachsen gehabt und den Auftrag habe ich ausgeführt. Nun kam es darauf an, hier unter allen Umständen Ordnung zu schaffen, vor allem auch deshalb, weil zahlreiche Industrielle hören Sie nun einmal zu dem Herrn Reichskanzler erklärt hatten: wenn ihnen nicht Schutz für ihre persönliche Freiheit gegeben werde, würden sie die bayerischen Faschistenbanden herbeirufen. (Hört, hört! und Zuruf links: Das waren ja Ihre Leute) Meine Leute sind das nicht. Eine einfache Aufforderung der sächsischen Regierung an die Reichs regierung, Truppen für den Schutz gegen diese Banden bereitzustellen, hätte genügt, um für Sachsen die Truppen zur Verfügung zu stellen, die nötig waren. Das war die Aufgabe der Reichsregierung, und sie hat sich ihr keinen Augenblick entzogen. .

Meine Damen und Herren! Wenn nun der Reichsausnahme⸗ zustand verhängt wird, dann geht damit die Verantwortung für die Verwaltung auf das Reich über, und es steht dann Reichsrecht über Landesrecht, Reichsgewalt über Landesgewalt. (Zurufe von den Kommunisten: In Bayern aber nichth Das ist der Inhalt unserer Verfassung, und daran muß festgehalten werden. Selbstverständlich ist es notwendig, daß sich dabei Reichsregierung und Landesregierung in die Hände arbeiten und sich zu verständigen suchen. Das geschieht auch erfreulicherweise bei einer ganzen Reihe von deutschen Ländem. Wo kämen wir hin, wenn nicht Preußen, die Hoffnung Deutschlands, in allen diesen Dingen mit der Reichsregierung absolut vertrauensvoll zusammenarbeiten würde? Gliökben Sie denn, meine Damen und Herren (nach links), es gibt nicht auch in Preußen Schwierigkeiten und Hemmungen verschledener Art? Wo Deutsche, besonders deutsche Behörden, zusammenarbeiten, gibt es überall Hemmungen. Um sie zu erzeugen, braucht man keinen Ausnahmezustand. Die Schwierig- keiten, die dieser bringt, bestehen darin, daß eine neue Behörde ein geschaltet wird, die sonst nichts mit der Regierung zu tun hat und die ihrer Natur nach mehr auf das Handeln als auf das Verhandeln ein⸗ gestellt ist; sie darf aber bei ihrem Handeln den Blick für die realen Möglichkeiten nicht verlieren. Das Tempo macht nicht alles, sondern die Dinge lassen sich nur unter bestimmten Gesichtspunkten meistern, die man beherrschen muß. Aber ich muß doch sagen, daß gerade in Preußen die Zusammenarbeit zwischen den Militär und den Ver⸗ waltungsbehörden unendlich viel auf dem Gebiete der Ernährung geleistet hat. (Lachen bei den Kommunisten.) Mehr als Sie mit Ihren Aufrufen zu den Waffen leisten! (Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.) Das kommt daher, weil die militärischen Befehlshaber auch für die Ernährung der Bevölkerung mitverantwortlich sind. Gerade der General Müller hat mir von Dresden so und so oft ge⸗ schrieben, daß die Wurzel des ganzen Unglücks in Sachsen darin liege, daß dort 00 000 Menschen hungern, daß alles keinen Wert habe, wenn man nicht diesen Zuständen ein Ende mache. Der General hat sich die größte Mühe gegeben, große Geldsummen aufzubringen, um für die Bevölkerung von Sachsen zu sorgen. Große Kartoffelzüge sind nach Sachsen hineingekommen. 800 000 oder 900 000 Dollar sind für diese Zwecke gesammelt und zur Verfügung gestellt worden. Auch die Truppen haben zum Teil auf ihr Brot und ihr Geld verzichtet, um der hungernden Bevölkerung in Sachsen zu dienen. (Andauernde Zurufe von den Kommunisten) Meine Herren, so kommen wir nicht weiter! Jedenfalls hatte unser Einrücken in Sachsen die Wirkung, daß die Leute, die sich dort gegen die sächsische Grenze an⸗ gesammelt hatten, rasch abbauten, sich aber dafür in der Coburger Gegend um so stärker ausbauten. Denn die Nachrichten von München her, daß man am 9. November den Zeitpunkt für gekommen erachte, um nunmehr loszuschlagen, verdichteten sich immer mehr, und als die Ereignisse am Abend des 8. November hier bekannt wurden, war man sich durchaus klar, daß wir, wenn das Projekt der Münchener durch- geführt würde, in eine außerordentlich schwierige Situation kommen würden. Das war, wie ich feststellen möchte, der Sinn der Er⸗ nennung des Generals v. Seeckt zum Inhaber der vollziehenden Ge⸗ walt. Arbeiterklasseh Nein, der Sinn der Ernennung des Generals v. Seeckt war zunächst der, daß wir, wenn um die deutsche Republik gekämpft wird, nicht geneigt sind, den Kampf aufzugeben, auch dann nicht, wenn Männer wie Ludendorff an der Spitze der Gegner stehen, sondern daß der Kampf um Verfassung und Recht durchgeführt wird (bravol bei den Deutschen Demokraten), und daß die Dinge auf des Schwertes Schneide stehen, wenn es darauf ankommt. Wenn die Herren in München, Herr v. Kahr und der General v. Lossow, den be⸗ teiligten Kreisen vierzehn Tage früher das gesagt hätten, was sie zwei Tage darauf gesagt haben, daß dieser Marsch nach Berlin an der sächsisch · thüringischen Grenze jammervoll zusammenbrechen würde, so wäre uns dadurch viel erspart geblieben. Aber die Richtigkeit unserer Dicpositionen und unserer Maßnahmen ist gerade durch die Art der Vorwürfe, die die Herren in München sich gegenseitig gemacht haben, nachträglich durchaus bestätigt worden.

Nun haben die Herren Ministerpräsidenten eine ganze Reihe von Einzelfällen vorgetragen, die sich dort in Sachsen und in Thüringen ereignet haben sollen und, soweit sie wahr sind, den Schild der Reichswehr beflecken würden. Meine Damen und Herren! Darin sind wir einig: wer einen Wehrlosen mißhandelt, ist ehrlos. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Für eine Truppe kann es nichts Schmählicheres geben, als wenn sie die Waffe, die sie trägt, mißbraucht. Gerade vom Standpunkte der militärischen Disziplin aus muß jedem Uebergriff aufs allerschärfste entgegengetreten werden. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten. Zurufe bei den Kom⸗ mun isten. Mißhandlung ihre Sühne vor den ordentlichen Gerichten finden muß. Das ist der Weg, der vorgeschrieben ist, (Unruhe und andauernde

(Zuruf von den Kommiunisten: Die Niederschlagung der

Der Weg dazu ist dadurch gegeben, daß jede derartige

Jurufe von den Kommunisten. Glocke) und es kommt nur darauf an, diesen Weg mit Energie zu betreten, die Anzeigen wären bei den Staatsanwaltschaften zu erstatten. Dazu jsordere ich von hier aus öffentlich alle diejenigen auf, die sich bei dieset Aktion durch irgend⸗ einen Angehörigen der Reichswehr in ihren Interessen geschädigt fühlen oder mißhandelt worden sind, und ich erkläre ausdrücklich (Zurufe von den Vereinigten Sozialdemokraten: Das gibt viel Pro= zesse). Warten Sie doch ab, ob es viele Prozesse gibt! Ich meine, es könnte von Ihrem Standpunkt aus (qzuruf) ich meine nicht Sie persönlich nur erwünscht sein, wenn es recht viele Prozesse gäbe, weil dann das richtig wäre, was Sie immer behaupten, daß die Reichswehr in der Hauptsache aus Leuten besteht nun, die Sie nicht lieben. Aufgehetzt worden ist die Bevölkerung von den Kommu⸗ nisten. (Widerspruch bei den Kommunisten.) Ich habe Ihnen ihre offiziellen Aufrufe vorgelesan, und da sind nur zwei Dinge möglich: entweder die Bevölkerung gibt auf diese Aufrufe nichts, sie beachtet sie nicht. So ist es auch oder die Bevölkerung wird zu Erxzessen verhetzt. (Zurufe von den Kommunisten. Lassen Sie mich nur ausreden. So ist es auch in Gebieten, wo eine alte besonnene Sozialdemokratie ist, wo eine ruhige gesetzte Arbeiterschaft vorhanden ist, nicht zu Schwierigkeiten gekommen. Dort hat sich die Be völkerung mit der Reichswehr tadellos vertragen. (Zuruf von den Kommunisten: Thüringen) Auf Thüringen komme ich noch. Aber überall dort, wo die kommunistische Wühlarbeit herrscht, hat es Schwierigkeiten gegeben. Mir ist ein Fall vorgetragen worden, wo in einem Orte bei einem Tanz Soldaten und Arbeiter getanzt haben und ein Kommunist dann alle die Mädchen aufschrieb, die mit Soldaten getanzt haben. Da gibt es natürlich auch ohne Ausnahme zustand eine Keilerei. (Heiterkeit Das war immer so. (Zuruf von den Kommunisten. Nein, die Untersuchung steht mir nicht zu. Ich muß Sie immer daran erinnern, daß die Militärgerichtsbarkeit aufgehoben ist, und daraus müssen Sie die Konsequenzen ziehen. Die Zuständigkeit ist bei den bürgerlichen Strafgerichten. Ich muß aller⸗ dings sagen, daß ich mich nicht gern mit den inneren Angelegenheiten eines Landes beschäftige. Aber ich habe selbst einmal eine Zeitung in Sachsen verklagen wollen, weil sie nach meiner Auffassung schwere Beschuldigungen gegen die Reichswehr erhoben hat und ich ein Interesse daran hatte, diese Beschuldigungen vor Gericht festgestellt zu sehen. Darauf habe ich am 22. Oktober 1922 folgendes Schreiben be⸗ kommen, das auch eine Illustration ist: Das Strafverfahren gegen den Schriftleiter der Chemnitzer Volksstimme“ Karl N. in Chemnitz wegen Beleidigung des 7. Bataillons Infanterieregiments Nr. II ist mit Rücksicht auf die politische Natur der Straftat durch Beschluß des Gesamtministeriums vom 21. September 1922 niedergeschlagen worden. Gez. Dr. Zeigner. (Hört, hört! rechts. Zuruf von den Kommunisten) Nein, so ist die Sache nicht, es ist kein Landtags⸗ beschluß, sondern in Sachsen hat die Gepflogenheit bestanden, Ver⸗ fahren, die unbequem gewesen sind, vorher niederzuschlagen. Das ist meines Erachtens mit ein Hauptgrund, warum sich in Sachsen weite Kreise so rechtlos vorgekommen sind. (Zuruf von den Kommunisten: Was machen jetzt Ihre Generale in Bayern?) Sie können über bayerische Verhältnisse viel sagen; aber eine derartige Bestimmung der Verfassung, daß die Landesjustizverwaltung berechtigt ist, Ver⸗ fahren niederzuschlagen, haben wir in Bayern nicht. (Abgeordneter Thomas: Chrhardt ist offiziell in München! Glocke des Präsidenten.) 2

Der Unterschied zwischen dem, was mit Ehrhardt in Bayern und was hier geschieht, ist der, daß der Aufenthalt Ehrhardts in München

eine offene Rechtsverletzung ist, während hier eine Rechtsverweigerung

in Form des Rechtes vorliegt. Ich halte beides für schlimm; aber immerhin ist eine Rechtsverweigerung in Form des Rechtes das Schlimmere, weil sie eine Heuchelei ist. (Sehr war! in der Mitte. Zurufe links) Frau Kollegin Sender, Sie fragen, was dagegen ge⸗ schieht. Ich habe mich damit bescheiden müssen und nichts dagegen machen können. h

Nun ist es richtig und steht fest, daß in Sachsen verschiedene Mißhandlungen vorgekommen sind. Was aber hier vorgetragen worden ist, soll außerordentlich übertrieben sein. (Zurufe links: Soll) Gewiß, ich greife der Entscheidung des Richters nicht vor. Jeden = falls wissen wir aber auch das liegt in der Taktik gewisser Kreise daß förmliche Greuelberichte hergestellt werden, um damit Stimmung gegen uns zu machen. (Zuruf von den Vereinigten Sozialdemokraten: Auf beiden Seiten) Das ist ganz richtig, Herr Kollege Keil. daß das auf beiden Seiten geschieht. Ich habe hier aber nicht die Auf⸗ gabe, beide Seiten zu verteidigen, sondern habe dem hohen Hause die Dinge lediglich so darzustellen, wie sie sind. Ich habe hier Er klärungen von Stadträten, die behauptet haben, daß ihnen ein Offizier Schläge angedroht hat. Die Herren haben nachher zu Protokoll er klären müssen, daß sie die Behauptungen zurücknehmen und nicht auf⸗ rechterhalten können. (Hört, hört! in der Mitte und rechts. Zurufe von der äußersten Linken) Die Feststellung dieser Dinge ist ja nicht Sache der militärischen Stellen, auch nicht Sache des Reichstags, sondern ausschließlich Sache der Gerichte. (Abgeordneter Dittmann: Vom Standpunkt der Disziplin müssen auch Sie sich darum kümmernh Richtig, ich kümmere mich auch darum. Ich bin den Dingen nachgegangen. Der „Vorwärts“ veröffentlicht heute den scharfen Befehl des Generals Müller gegen Ungehörigkeiten. In dem Augenblick, wo mir eine Anzeige über derartige Dinge erstattet wird, gehe ich auch dagegen vor. Aber selbstverständlich kann ich die letzten Konsequenzen nach den Gesetzen, die Sie mir gegeben haben, erst ziehen, wenn die richterliche Aburteilung geschehen ist. Sie haben ja die Soldaten beschützt gegen die Kabinettsjustiz, und ich muß mich damit bescheiden. *

Meine Damen und Herren! Ich habe mich bemüht, für eine rasche Aburteilung dieser Dinge Sorge zu tragen. Ich habe mich mit dem Herrn Reichsjustizminister in Verbindung gesetzt, damit gerade in Sachsen möglichst rasch außerordentliche Gerichte eingesetzt würden, die keine Militärgerichte sind, sondern mit rechtsgelehrten Richtern be⸗ setzt werden. Der Herr Reichsjustizminister hat dagegen Bedenken erhoben, indem er daruf aufmerksam gemacht hat, daß aus psycholo= gischen Gründen die Einsetzung derartiger Gerichte Schwierigkeiten hervorrufen könnte. Das ist ein Gesichtspunkt gewesen, den ich ver⸗ stehe, und dem ich mich fügen mußte. Ich bin aber infolgedessen in der Erledigung dieser Dinge angewiesen auf das Tempo, das die ordentlichen Gerichte einschlagen, und dieses Tempo ist eben ein außer⸗ ordentlich langsames. (Zuruf links: In Hamburg ging es sehr schnellh In Hamburg hatten wir außerordentliche Gerichte. Hätten wir diese auch in Sachsen bekommen, so wären wir auch dort jebr rasch am Ziele gewesen. (Zuruf links: Glauben Sie, daß dann