Ihnen verführten Arbeitermassen nicht massenweise in die Ge— sängnisse wandern. EStürmischer Beisall bei der Sozialdemokra⸗ tischen Partei. Sehr richtig! und Bravo! bei den anderen Koalitionsparteien. — Große Unruhe und lebhafte Zurufe bei den
Kommunisten) Der Unterschied zwischen sozialdemokratischen Be⸗
anten und Ihren Parteigängern besteht darin (lb. Paul Hoff⸗ mann: Daß Sie die Lakaien der Bourgeoisie sind! — Unruhe und Lachen), daß Sie ohne Skrupel die Arbeiter in Lagen herein— bringen, die in der Regel mit Landfriedensbruchprozessen enden, während Sozialdemokraten der Meinung sind, daß sie die Arbeiter vor dieser Gefahr zu schützen haben. (Sehr gut! Bravo! bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei — Zuruf des Abg. Paul Hoffmann. — Lachen und Unruhe.)
Ich stelle vor dem ganzen Hause gegenüber der vom Herrn Abg. v. Lindeiner versuchten Geschichtsklitterung fest (Zuruf des Abg. Paul Hoffmann — Lachen und Unruhe), daß Ende 1922 das erste Verbot lokal für Berlin erlassen worden ist angesichts der herannahenden schweren wirtschaftlichen Gefahren. Ich stelle weiter fest, daß das Verbot von öffentlichen Umzügen und Ver⸗ sammlungen unter freiem Himmel für Preußen erlassen worden ist, als die Herren von der Kommunistischen Partei ihre Anti⸗ faschistentage angekündigt haben; und. meine Herren von der Deutschnationalen Partei, damals hat sich bei Ihnen niemand ge⸗ funden, der gegen das Verbot protestiert hätte (sehr richtig! bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei), damals haben Sie der Staatsregierung nicht unterstellt, daß dieses Verbot er⸗ lassen sie aus Angst vor dem Bestand der Republik. (Andauernde Zurufe des Abg. Paul Hoffmann — Glocke des Präsidenten.)
; Meine Herren, noch envas sehr Merkwürdiges! Das Verbot der Versammlungen unter freiem Himmel und der Um⸗ züge ist, als im September der militärische Ausnahmezustand ver⸗ hängt wurde, ohne Aenderung in die Bestimmungen des militäris chen Ausnahmezustandes übernommen worden. Es hat sich wieder kein BHerr aus der Deutschnationalen Partei gefunden, der gegen diese Beschränkung der verfassungsmäßig garantierten Rechte irgend etwas einzuwenden gehabt hätte. Im Gegenteil, im Februar er⸗ eignete sich folgendes: Als der Herr Reichspräsident und der In⸗ haber der vollziehenden Gewalt, Herr General v. Seeckt, durch einen Briefwechsel schon im voraus ankündigten, daß mit Ende Februar der militärische Ausnahmezustand aufgehoben werden sollte, haben die Herren von der Deutschnationalen Partei dagegen spprotestiert (hört, hört! und die Beibehaltung des militärischen Ausnahmezustandes verlangt. (Zuruf bei der Deutschnationalen Volkspartei: Das ist etwas ganz anderes!) — Aber natürlich, das ist etwas ganz anderes!
Ich muß es auch ablehnen, den Herrn Abg. v. Lindeiner⸗ Wildau als Patron, als Protektor der Schutzpolizei anzuerkennen. Der Stahlhelm, Herr Abg. v. Lindeiner, macht es nicht allein. Der Stahlhelm gehört zur Ausrüstung der Schutzpolizei — was Sie fiber Sachsen erzählt haben, wird nachgeprüft werden — aber der Stahlhelm tut's nicht. Die Schutzpolizei bringen wir jetzt in diesen kritischen Zeiten in die übelste Situation, wenn das Rüsten zu den ogenannen großen Deutschen Tagen, wenn das Rüsten zu ähnlichen pder anders gearteten Kundgebungen der Kommunistischen Partei micht endlich aufhört. Meine Herren, was glauben Sie denn eigentlich, was mich insbesondere bestimmt, die Vorschriften des zivilen Ausnahme zustandes mit Aller Schärfe durchzuführen?
— wrden — *, Laß es Kust an polizeilichen Schikanen sei? Glauben
Die, daß ich besenderes Vergnügen dagshei gr rf ff Weft ce, din. oder Gesangvereine oder Fer. * . , , n, me, Het m . = Tc! Ach nein, meine Herren! Sie predigen ö sa⸗ immerwährend — und ich erkenne an, daß Sie mit dieser Behauptung recht haben — Regieren heißt vorausschauen, und ich habe auf dem Posten, auf dem ich heute stehe, zu überlegen, was in den nächsten Monaten sein wird. Meine Herren, wir sind aus der Inflationsnot heraus, wir kommen aber in die Folgen der Kreditnot, und ich bin der festen Ueberzeugung, daß die Folgen der Kreditnot sich auch noch in großer Arbeitslosigkeit zeigen werden. (Sehr wahr! — Zurufe bei den Kommunisten) Wenn wir in diesen nächsten kritischen Monaten die Straßen und öffentlichen Plätze freihalten wollen, dann müssen wir diese Freihaltung prakti⸗ zieren nicht nur gegenüber den Arbeitermassen, sondern gegenüber allen Deutschen, denen es mit der Gesundung unseres Wirtschafts⸗ lebens, unserer wirtschaftlichen Verhältnisse ernst ist. (Lebhafter Beisall bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei.)
Nun komme ich zu den „Deutschen Tagen“, zu den Aus⸗ führungen und Anfragen des Herrn Abgeordneten Dr. Waentig. Meine sehr verehrten Damen und Herven, die Erlaubnis zu einem Deutschen Tage ist nicht erteilt worden. Anfang März hatte mich hier im Hause der Kollege Heidenreich von der Volkspartei ge⸗ sprochen und mir gesagt, daß in Halle die Absicht bestände, das in der Neujahrsnacht 1923 zerstörte Moltkedenkmal feierlich ein⸗ zuweihen. Er hat mich gefragt, wie ich mich zu einer Feier auf dem Platze des Denkmals stellen würde. Ich habe ihm erklärt, daß gegen eine Feier in engem und würdigem Rahmen nichts ein⸗ zuwenden sein würde, daß ich sehr gern bereit wäre, eine Aus⸗ mahme zu bewilligen. Der Kollege Heidenreich möge sich mit dem Polizeipräsidenten Runge in Halle in Verbindung setzen, mit ihm über die einzelnen Modalitäten sprechen und ihn auffordern, mir darüber zu berichten. (3urufe bei den Kommunisten. — Sie, meine Damen und Herren von der Kommunistischen Partei, haben gar keine Ursache, sich über diese meine Haltung zu beschweren. Ich erinnere Sie an folgendes. (Zuruf bei den Kommunisten: Wir wundern uns nicht!! — Ich weiß nicht, ob es gerade Anerkennung einer Selbstverständlichkeit war, was Herr Schnetter vorgetragen hat. — Als Lenin gestorben war, in einer Zeit, in der in Deutsch⸗ land der militärische Ausnahmezustand bestand, haben die Herren von der Kommunistischen Partei die Absicht gehabt, trotz des Ver⸗ bots ihrer Partei und öffentlicher politischer Versammlungen eine Gedenkfeier für Lenin zu veranstalten. (Zuruf bei den Kom⸗ munisten: Reichstags und Landtagsfraktion!) — Sie hatten die Absicht, durch eine große öffentliche Kundgebung die Trauer der Kommunistischen Partei Berlins zum Ausdruck zu bringen, und, meine Damen und Herren, wissen Sie, zu wem die Herren von der Kommunistischen Partei gekommen sind, um die Ausnahme⸗ genehmigung für diese Feier zu erwirken? — Zu mir sind sie gekommen. (Heiterkeit) Ich habe mich sofort bereiterklärt, mich mit dem Inhaber der vollziehenden Gewalt in Verbindung zu letzen, um den Herren von der Kommunistischen Partei die Ab⸗ haltung dieser Twauerseier zu ermöglichen. Die Feier hat statt⸗ gefunden. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich für einen — ich spreche das unumwunden aus — wenn ich für einen Großen
Ihrer Weltanschauung, Ihrer Parteibewegung eine Ausnahme⸗ bewilligung bei dem damaligen Chef der vollziehenden Gewalt er⸗ wirkt habe — glauben Sie, daß ich mich hätte ablehnend verhalten müßssen, wenn es sich um die Ehrung eines großen deutschen Toten handelte? (Bravo! rechts. — Zurufe bei den Kommunisten) Ich habe in einer Besprechung mit dem Polizeipräsidenten Runge, die kurz nach der Besprechung mit Herrn Heidenreich stattfand, dem Polizeipräsidenten erklärt, daß ich die Genehmigung zu einer Feier am Denkmal, zu einer engen und schlichten Feier erteilen würde; ich erwartete von ihm die Berichte. Dann kam die Wahlbe wegung dazischen. Ich hatte ein Interesse daran, nicht nur nach langer Zeit in meinem Wahlkreise zu erscheinen, sondern auch die Wahl⸗ bewegung zu benutzen, um in der Provinz Hannover den Stand⸗ punkt der preußischen Regierung und meinen Standpunkt als Innenminister zur Welfenfrage darzulegen. In dieser Zeit ge⸗ langten die im einzelnen begründeten Anträge an das preu ßische Ministerium. Meine Mitarbeiter haben die einzelnen Anträge ge⸗ prüft und haben sofort die lebhaftesten Bedenken geäußert. Sie waren nicht imstande, die Genehmigung in dem vorgesehenen Um⸗ fange zu geben, und das Verbot des öffentlichen Umzuges mußte bestehen bleiben. Sie glaubten aber nicht verantworten zu können, eine Feier gänzlich zu verbieten, und haben mir dies dann in einem Schreiben nach meinem damaligen Aufenthaltsort mitgeteilt. Ich habe gegen den damals schon erheblich eingeschränkten Umfang noch die lebhaftesten Bedenken geltend gemacht, weil ich wußte, daß un⸗ zählige Berufungen auf diese Genehmigung hin erfolgen würden. Ich habe mich schließlich aber bewogen gesehen, meine Bedenken zurückzustellen, und die Feier in dem damals vorgesehenen Umfange genehmigt. (Rufe bei den Kommunisten: Und die Sonderzüge?) — Die Streichung der Sonderzüge war vom Ministerium des Innern als eine Bedingung aufgeführt worden, unter der die Ge⸗ nehmigung zum Feste erteilt würde. (Zurufe bei den Kom⸗ munisten: Aber sie sind ja doch gefahren worden, und da wundern Sie sich, wenn die Arbeiter auf Ihre Anordnungen pfeifen) — Aber, Herr Abgeordneter Dr. Meyer (Ostpreußen), ich setze mich mit Ihnen verhältnismäßig gern auseinander, weil sie der verhältnismäßig Vernünftigste Ihrer Fraktion sind. (Große Heiterkeit) Ich muß aber Ihnen doch sagen, Herr Abgeordneter Dr. Meyer, wenn Sie es den Behördenorganen selbst überlassen würden, die sogenannte faschistische Gefahr abzuwenden (3urufe bei den Kommunistem, im Effekt käme etwas Besseres dabei heraus.
Meine Damen und Herren, das, was ich dem Herrn Ab⸗ geordneten Meyer soeben gesagt habe, das wird am treffendsten aus folgendem erwiesen. Es waren Umzüge, wie der Herr Abg. Waentig das eben zutreffend bemerkt hat, verboten. Die Um⸗ züge zur Rennbahn sind unterblieben, aber der Abzug von der Rennbahn ist zum Teil in geschlossenen Umzügen erfolgt, und das war verbotswidrig. (Rufe bei den Kommunisten: Was tat die Schutzpolizei?) Ich habe dazu folgendes zu erklären: (Erneute Zu⸗ rufe bei den Kommunisten) — Lassen Sie mich doch das aussprechen, damit endlich einmal die Legende zerstört wird, als ob in Halle mit zweierlei Maß gemessen sei. (Lachen und Zurufe bei den Kommunisten) Es ist richtig, es haben diese Umzüge verbots⸗ widrig stattgefunden. (3Zurufe bei den Kommunisten: Na. also!) Es ist richtig, daß die Polizeikräfte nicht in vollem Umfange ein⸗ gesetzt worden sind, um die Umzüge zu zerstreuen. Wo der Versuch
gemacht worden ist, hat sich herausgestellt. daß die varherdere n Polizeiträfte nicht gelangt haben, um den Anordnungen ihrer w . 2 Mwoarschafte rt. Aheg wenn Sie nun wisse wollen, warum die Poli nicht eingeschritten ist, so habe i
folgendes zu sagen: Die Vorgänge nach der Beendigung der Feier auf der Rennbahn, von denen ich eben sprach, die auch ich beklage und verurteile, haben sich in den späten Nachmittagsstunden ab⸗ gespielt. Die Polizei ist aber an verschiedenen Punkten der Peri⸗ pherie Halles vom frühen Morgen an festgehalten worden, und zwar durch Ihr (zu den Kommunisten) Verschulden. Sehr richtig! bei der Mehrheit — Lachen bei den Kommunisten) Wären diese Polizeikräfte in den Nachmittagsstunden des 11. Mai verfügbar gewesen, dann wäre es sehr viel leichter gewesen, die verbots⸗ widrigen Umzüge der Teilnehmer vom Deutschen Tage aufzulösen,
als nur mit den Kräften, die zum Schutz der inneren Stadt übrig
blieben. Wenn Sie jetzt vom Volkspark sprechen — der Abg. Waentig hat auch davon gesprochen, und in der Anfrage der Sozialdemokratischen Partei ist auch davon die Rede —, so klingt das alles, wenn man die Dinge vorträgt, als eine Beeinträchti⸗ gung der persönlichen Freiheit. (Zurufe bei den Kommunisten.) — Aber, meine Damen und Herren, das können Sie heute leicht sagen. Ich bin überzeugt, daß viele der Volksparkbesucher über diese Einkesselung sehr froh gewesen sind. Geiterkeit; Der Polizeipräsident von Halle hat die sogenannte Einkesselung des Volksparks erst angeordnet, nachdem die Vorgänge in Böllberg ihm zur Kenntnis gekommen waren, und weiter, nachdem ihm bekannt geworden war, daß auch die Besucher des Vollsparks die Absicht hatten, sich zur Rennbahn zu begeben, um dort Störungen zu verursachen. (Zurufe und Lachen bei den Kommunisten) Nun, meine Damen und Herren von der Kommunistischen Partei, Sie haben ja — das muß Ihnen der Neid lassen — in der Presse
und durch außerordentliche publizistische Mittel alles versucht, um
die Aufmerksamkeit und das Interesse Ihrer Anhänger auf Halle zu konzentrieren. Aber das haben Sie doch nicht fertig gebracht, eine annähernd so große Zahl von Besuchern Ihres Arbeitertags auf die Beine zu bringen wie die Herren von der Deutschnatio⸗ nalen Volkspartei. (Rufe bei den Kommunisten: Sie haben ihnen ja dabei geholfen, nach Halle zu kommen! — Große Unruhe; Glocke des Präsidenten.)
Meine Herren, gestatten Sie mir, daß ich aus dieser soeben getroffenen Feststellung die Schlußfolgerung ziehe. Ich erlaubte mir, zu bemerken, daß die Herren von der Kommunistischen Partei nicht vermocht hätten, ihre Anhängerschaft zu einem An⸗ marsche nach Halle in so großer Zahl zu divigieren, wie die Ver⸗ anstalter der sogenannten vaterländischen Demonstration es getan haben. Wenn die Männer vom Volkspark ihre Absicht wahr gemacht hätten, zur Rennbahn vorzustoßen oder die 500 Männer von Böllberg aus auf die Rabeninsel hätten gelangen können, dann, fürchte ich, hätte es eine Keilerei oder ein Blutbad gegeben, bei dem Ihre Anhänger in der Hauptsache unter die Räder ge⸗ kommen wären. (Lebhafte Zustkmmung — Große Unruhe und Zurufe bei den Kommunisten: Severing sorgt für uns! — Fort⸗ gesetzte Unterbrechungen; Glocke des Präsidenten. Die Polizei ist dazu da, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten und jedem Staatsbürger Schutz zu gewähren, ganz gleich, ob er sich Kom⸗
ist nicht wahr!
munist oder Deutschnationaler nennt. Der Polizeipräsident hat gerade in Anerkennung dieses Grundsatzes den Leitern der Ver— sammlung im Volkspark angeboten, die Versammlungsbesucher am späten Nachmittag in Trupps von 100 Mann unter polizeilicher Begleitung aus dem Volkspark herauszulassen. Begleitung der Polizei war aus dem Grunde angeboten, damit nicht die Faschisten, wie Sie sie nennen, etwa Lust bekommen würden, Ihre Leute zu verprügeln. Der Versammlungsleiter des Volksparkes hat dieses Anerbieten des Polizeipräsidenten ab— gelehnt. (Lebhaftes Hört, hört!) Der Polizeipräsident ist weiter gegangen. Er hat Lastwagen zur Verfügung gestellt, um den Ab— transport vom Vollspark in die Wege zu leiten. Auch dieses Anerbieten ist zunächst abgelehnt worden. Erst in später Abend— stunde find die Besucher des Volksparkes unter Anerkennung der Bedingungen des Polizeipräsidenten entfernt worden. (Zuruf bei den Kommunisten: Aber ohne polizeiliche Bedeckung! — Nein, mit polizeilicher Bedeckung. (Zuruf bei den Kommunisten: Daß Das war keine Polizei, sondern das waren Ordnungsbestien in Halle! — Große Heiterkeit. — Abg. Rogg: Das war die Mordpolizei, und Sie sind der Mordpolizeiminister! — Glocke des Präsidenten.) Herr Abg. Waentig hat weiter davnn gesprochen ·— — Fortgesetzte Rufe bei den Kommunisten und der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei. — Glocke des Prä— sidenten.)
Meine Damen und Herren, ich sagte, daß in der Anfrage der
Herren von der Sozialdemokratischen Partei fich auch der Sat findet: Aber gegenüber Arbeitern, die sie im Berdacht hatte, die völkische Demonstration stören zu wollen, hat die Schutzpolizei mit rücksichtsloser Energie durchgegriffen.
Ich muß sagen, daß ich diese Formulierung für sehr euphemistisch
halte: „die sie im Verdacht hatte“. Nein, meine Damen und Herren, das möchte ich den Herren von der Sozialdemokratischen Partei erklären: auf bloße Verdachtsmomente hat sich die Polize bei ihrem Vorgehen nicht gestützs (Widerspruch bei den Kommu— nisten), sondern es lagen Tat sachen vor, die ein Einschreiten der Polizei zur Pflicht machten. (Sehr richtig! Es heißt nämlich in den „Richtlinien für Ordner zum Deutschen Arbeitertag“:
Versucht die Sipo oder Faschistenbanden den Anmarsch zu der.
hindern, haben die beauftragten Ordner unbedingt den An— marsch nach Halle trotzdem zu bewerkstelligen. (Sehr richtig! bei den Kommunisten) Da es sich nur um Stundenmärsche handelt, sind handfeste „Eichenstöcke“ mitzuführen. (Sehr richtig! bei den Kommunisten) Auf keinen Fall darf eine Rückwärts bewegung eintreten. Gelingt es nicht, in geschlossenen Trupp nach Halle zu gelangen, dann müssen die Teilnehmer einzeln sich nach Halle bewegen. (Sehr gut! bei den Kommunisten. — Zuruf bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei: Hat Scholem die Armee geführt? — Große Heiterkeit — Erneuter Zuruf bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei: Der nene Moltke von Halle! — Andauernde Heiterkeit.) Meine Damen und Herren, im „Klassenkampf“, dem Organ der Kommunisten Halles, heißt es weiter: „Und wagen es di republikanischen Behörden, die Maidemonstration und den allge— meinen deutschen Arbeitertag in Halle zu verbieten, während su den völkischen Faschistenbanden alle Kundaebungen in Uniform und Waffen gestatten, dann wird sich die mitteldeutsche Arbeiterschaft gleichfalls das Recht auf die Straße erzwingen. 6 mr, fich n
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und Sammelplatz faschistischer Horden werden, sondern es muß ein Kampf⸗ und Siegestag des revolutionären klassenbewußten Pro— letariats Deutschlands sein “ (Sehr richtig! bei den Kommunisten) Alle diese Aenßerungen lagen vor, und man konnte sich deswegen darauf gefaßt machen, daß ein Teil der kommunistischen Partei gänger dieser ausgegebenen Parole Folge geben würde. (Zurnse bei den Kommunisten: Sehr richtig Die Polizei hat am 13. Mai, zwei Tage nach den beklagenswerten Vorgängen, auch noch einzelne Waffenläger ausgehoben (Zuruf bei den Kommunisten: Bei den Faschisten? — Lachen), die ebenfalls Zeugnis dafür ablegten, daß Gewalttaten von jener Seite geplant waren (huhn! bei den Kom— munisten), und die Vorgänge im Böllberg, wo es tatsächlich zum Schießen gekommen ist, haben sich doch auch so abgespielt, daß man wirklich von einem rigorosen Vorgehen der Schutzpolizei gegen die eine Seite nicht gut reden kann. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei Im Bericht des Polizeipräsidenten heißt es über die Vorgänge in Böllberg:
Der Polizeioberwachtmeister Bröggelwirt erhielt den Auf trag, mit einer Gruppe von acht Mann die Straße freizumachen ging mit seiner Gruppe vor und drängte die Menge, die sich auf der Straße angesammelt hatte, und die zurückgewielenen Radfahrer bis an den Schnittpunkt Böllberger Weg — Hutten⸗ straße zurück.
Dort lagerten bereits größere Menschenmengen auf den Aeckern und in den Gräben, die sich nun erhoben und mit dem Zuge, der auf der Huttenstraße zurückkam, eine drohende Haltung gegen die Beamten einnahmen. Der Gruppenführer (Polizei. oberwachtmeister Bröggelwirt) forderte die Mengen mit laute Stimme mehrmals auf, auseinanderzugehen, da er befehls gemäß ein gewaltsames Vordringen auf Halle unter allen Umständen, eventuell mit der Waffe zu verhindern hätte. Zugleich ließ en, um dieser mehrfachen Aufforderung mehr Nachdruck zu verleihen die Seitengewehre aufpflanzen und eine Sperrkette quer über
die Straße bilden. Das Aufpflanzen der Seitengewehre geschth
auch aus dem Grunde, um die Herandrängenden nicht allzu nahe herankommen zu lassen. . Inzwischen war auch der geschlossene Demonstvationszug von Ammendorf mit seiner Spitze am Don ausgang von Böllberg angelangt und drängte vor. Unter dem sich nun jmmmer mehr verstärkenden Druck wichen die Beamten Schritt für Schritt weiter zurück und waren auf diese Weise schan etwa 100 Meter zurückgedrängt, ohne von der Waffe Gebraucj gemacht zu haben. Sie bekundeten damit angesichts der überaus bedrohlichen Lage, in der sie sich der Uebermacht gegenüber be⸗ fanden, und obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für den Waffengebrauch schon lange gegeben waren, da der wiederholten Aufforderung, sich zu zerstreuen, von der Menge nicht Folge ge, geben wurde, eine Rücksichtnahme, die von unbeteiligten ö. sHauern bei ihrer polizeilichen Vernehmung als unverständli bezeichnet worden ist. Plötzlich — auf 86 Feststellung des Polize ipräfidenten lege ich besonderen Wert, sie zur Kenntnis des Hauses zu bringen —
urufe.) Diese
rangen nach der Bekundung eines unbeteiligten, im Hause Höllberger Weg Nr. 61 wohnhaften Augenzeugen, zwei Arbeiter aus der Menge vor und schlugen mit ihren Eichenstöcken auf einen Beamten ein. Gleichzeitig fiel aus der Menge ein Schuß. Kachen und Zurufe bei den Kommunisten.) getz erst, in höchster Notwehr, machten auf Befehl des Gruppen⸗ rers die Beamten von ihrer Waffe Gebrauch und eröffneten hrerseits das Feuer auf die vorstürmenden Kommunisten. Die gruppe ging nun, lebhaft beschossen und aus den Häusern auch nit Steinen (und nach Angabe eines beteiligten Schutzpolizei- beantten auch mit Eierhandgranaten, die jedoch nicht explodierten) beworfen, vor der brüllenden und tobenden Menge schießend bis tiba zum Hause Nr. 69 zurück und hatte hierbei 6 Mann Ver⸗ luste. Hier kam der Kampf zum Stehen. Das weite re interessiert augenblicklich nicht. Wenn Herr Abgeord⸗ nter Schnetter vorhin behauptet hat, daß die Polizeibeamten, jhrigens eine Gruppe von acht Mann, mit gefälltem Bajonett nch, marsch“ vorwärtsgegangen sei, so ist das nach den Schilde⸗ ungen der beteiligten Beamten eine direkte Unwahrheit. Die Be⸗ anten haben lich vor der vielhundertlöpfigen Menge zurückgezogen nd diesen Rückzug damit motiviert, daß sie ein Blutbad nach Möglichkeit vermeiden wollten. (Zuruf von den Kommunisten.) Frau Wolsstein, Sie haben kein Recht, von Lügen zu sprechen! Eẽchr richtig! — Zurufe und andauernde Unruhe bei den Kom⸗ ministen. — Glocke des Präsidenten) Wenn es eine Partei gibt, di die Lüge zu ihrem Kampfmittel erhoben hat, dann ist es die gonmunistische Partei. (Stürmische Zurufe und andauernde Un⸗ nihe bei den Kommunisten. — Gegenrufe. — Glocke des Prä⸗ stenten) Ich kann den Beweis sosort antreten. (Zurufe von den sonnunisten) Hier ist ein Aufruf der Veraustalter des Deutschen gcheitertages, also der Kommunisten. Ich werde ihn nicht in allen knen Teilen zu Ihrer Kenntnis bringen, aber eine Stelle ist sberaus bezeichnend für die Wahrheitsliebe, für die Objektivität der ketten von der Kommunistischen Partei. Es heißt hier: Di Zusammenziehung der konterrevolutionären Mörderbanden in Halle ist eine unerhört freche Provokation des deutschen Proletariats. Eehr richtig! bei den Kommunisten.) Sie bedeutet die offene Kampfesansage an die deutsche Arbeiter⸗ sase (sehr richtig! bei den Kommunisten — und nun kommt's —
m die Durchführung des Sachverständigenplanes zur Auspressung
der Arbeiterschaft sicherzustellen. Kinhaltende stürmische Heiterkeit.)
Die Herren von der Kommunistischen Partei haben auch in beßug auf ihre Haltung zur Schutzpolizei ihren Januskopf. Als herr Abg. Schnetter davon sprach, daß die Schutzpolizei und die Angehörigen der Reichswehr eigentlich proletarische Elemente keien, hat Frau Wolfstein dagegen energisch protestiert. Als Herr Abg. Waentig einige anerkennende Worte über die Schutzpolizei agte, hat Frau Wolfstein ebenfalls protestiert. Ihre Einstellung zur Schutzpolizei ist von reinen Opportunitätsgründen diktiert. Wenn Sie die Schutzpolizei für sich gewinnen wollen, dann um⸗ schmeicheln Sie sie nach allen Regeln der Kunst. (Zuruf von den Kommunisten.) Aber setzt sich die Schutzpolizei ein, um Ruhe nd Ordnung aufrechtzuerhalten (erneute Zurufe bei den Kom⸗ munisten), dann stößt sie dabei — — (andauernde Zurufe bei den kommunisten — Glocke des Präsidenten).
Meine Damen und Herren, ich sagte: Wenn die Schutzpolizei
. 3 Dioson b ror . auf den Widertt·——— sommunisten stößt, dann wird sie ĩ
mit einemmal in die Wolfs⸗ chlucht geworfen, dann gehört sie zu den Mörderbanden.
Wie notwendig es aber ist, daß die Schutzpolizei den Kom⸗— munisten entgegentritt, das beweist wieder ein Zitat aus dem Klassenkampf“, dem Organ des Herrn Kilian. (Zurufe bei den Kommunisten.) — Ich schenke den „Klaffenkampf“ auch Herrn Echnetter oder Herrn Schumann, wie Sie wollen. Also das be⸗ weist ein Zitat aus der Halleschen kommunistischen Zeitung. Der Klassenkampf“, der die Vorgänge in und um Halle in den Tagen nach dem 11. Mai beschrieben hat, hat u. a. geäußert, bei dem ige nach Halle hätten Kommunisten in Schkeuditz 30 Faschisten angetroffen, sie hätten ihnen das Fell gegerbt und sie von der brücke ins Wasser geworfen. An diese Bemerkung wird die weitere geknüpft: Bei jeder Gelegenheit handelt so! (Zuruf bei den Kommunisten: Das ist doch keine Provokation!) — Ach nein, dabei ist von Provokation gar nicht die Rede, denn Ihre stärkere Truppe hat die 30 Mann umzingelt, verhauen und ins Wasser selborsen, d. h. nach Ihren Berichten. (Zurufe bei den Kommu⸗ nisten) Bitte, nehmen Sie das einmal zur Kenntnis: nach Ihren Berichten, von denen 90 Prozent abzuziehen ist. (Heiter⸗ kit Wenn Sie sich damit brüsten, daß Sie 30 Faschisten ins Wasser geworfen haben, kann man damit rechnen, daß es höchstens dtei gewesen sind. (Große Heiterkeit.)
Meine Damen und Herren, gestatten Sie nun eine grund⸗ sätlihe Bemerkung zu den Festen in der nächsten Zeit. Wenn bersucht worden ist und versucht werden wird, in dieser Frage eine Meinungsverschiedenheit zwischen der Reichsregierung und det Preußischen Regierung zu konstruieren, möchte ich an dieser Ctelle erllären: das ist ein vergebliches Bemühen. Der Reichs⸗ minister des Innern hat mich autorisiert, zu erklären, daß er in der Frage des Verbots der öffentlichen Umzüge und der Ver— äammlungen unter freiem Himmel durchaus meinen Standpunkt reit hört, hört h, und ich bin überzeugt, daß das ganze Reichs. lubinett hinter der Auffassung der Preußischen Regierung steht. Kir werden selbstverständlich in den nächsten Tagen überlegen missen, wie wir kleinliche polizeiliche Schikanen vermeiden kimen. Wenn eine Schützengilde oder ein Turnverein oder ein erwehrverein in der nächsten Zeit Feste feiern will, dann muß, wenn die öffentliche Ruhe und Ordnung von der Orts⸗ nlizeibehörde garantiert werden kann, es selbstverständlich der hörde gestattet sein, Ausnahmebewilligungen zu erteilen. Aber bit werden unter allen Umständen darauf halten müssen, daß hüte Demonstrationen in dieser Zeit nicht stattfinden. Die (mmächtigung, nach einer Seite hin erteilt, ruft Berufungen der anderen Seite hervor, und wir sind nicht in der Lage, uns den uurus zu gestatten, daß wir, um Demonstrationen an jedem Sonntag voneinander fernzuhalten, ein größeres Aufgebot unserer Shutzpolizei bereitzustellen. Leben und Gesundheit unserer hhutzrolizei und die Geldmittel des preußischen Staates sind in deen harten Zeiten zu schade, als daß wir sie für derartige vetke verzetteln. (Zuruf bei den Kommunisten: Warum haben e in Halle den Aufmarsch gestattet)) Ich habe Ihnen gesagt,
unter welchen Umständen es zu einer bedingten Genehmigung in Halle gekommen ist und unter welchen Umständen die Beranstalter in Halle zu einer Ueberschreitung gekommen sind. Halle ist eine Lehre, nicht allein für mich, sondern für alle Ministerien, für alle Behörden, die es angeht, eine Lehre, die ich auch Herrn v. Lind⸗ einer ins Gedächtnis zurückrufen möchte. Herr v. Lindeiner hat meines Erachtens heute mit dem Feuer gespielt, als er davon sprach, daß, wenn seine politischen Freunde die Gewalt über die Mitglieder der vaterländischen Verbände verlören, das preußische Staatsministerium dann sicher diese Gewalt nicht bekommen würde; es könnte die Zeit kommen, wo die Deutschnationale Partei es ablehnen müsse, die Rolle des Bremsers — so ungefähr ist der Sinn gewesen — bei derartigen Gelegenheiten zu über⸗ nehmen. Meine Damen und Herren, ich halte diese Ausführungen des Herrn v. Lindeiner für außerordentlich bedauerlich. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten und bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei.) Eine Partei, die auf Staatsautorität hält, eine Partei, die das tagtäglich erklärt, sollte den Staat schützen, wie er ist. Gerade in diesem Augenblick, wo Sie sich an⸗ schicken, die politische Macht in einzelnen Staaten Deutschlands und im Reiche selbst zu übernehmen, sollten Sie mit solchen Aeußerungen sehr vorsichtig sein. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten und der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei.) Es könnte in den nächsten Monaten, wo Sie hier oder dort viel⸗ leicht in einer Machtposition sitzen, der Vertreter einer anderen großen Partei aufstehen und erklären: Wir lehnen es ab, daß wir uns der Diktatur und den Vorschriften des Staatsministeriums beugen, wir lassen unseren Anhängern und denen, die uns nahe⸗ stehen, freie Hand. (Lebhafter Widerspruch bei der Deutschnatio⸗ nalen Volkspartei) — Das ist der Sinn Ihrer Ausführungen gewesen. — Meine Damen und Herren, davon kann jetzt gar keine Rede sein, wir sind aus dem Gröbsten noch nicht heraus. Wenn wir wieder einmal Boden unter den Füßen haben, wenn wir wissen, wie wir mit den Interalliierten stehen, wenn unser Wirtschaftsleben wieder in Gang gesetzt ist, dann wird die Zeit kommen, wo wieder unumschränkte politische Freiheit gegeben werden kann. (Lebhafte Zurufe bei den Kommunisten.) — Zer⸗ brechen Sie sich doch nicht meinen Kopf! Wenn ich meine Gesundheit behalte — und ich hoffe, ich behalte sie noch länger — dann werde ich noch sein, ob ich auf der Ministerbank sitze oder auf dem Ab⸗ geordnetenplatz. Wenn ich da sitze, glaube ich Ihnen noch un⸗ angenehmer zu werden, als ich Ihnen heute schon bin. (Sehr gut! bei der Ver. Sozialdem. Partei, den Deutschen Demokraten und große Heiterkeit) Meine Damen und Herren, ich sagte Ihnen: die Polizei allein kann Ausschreitungen nicht verhindern. (Lebhafte Zurufe bei den Kommunisten) — Die Polizei kann Aus⸗ schreitungen der Faszisten verhindern, wenn Sie sich nicht be⸗ teiligen, Herr Scholem! (Erneute lebhafte Zurufe bei den Kom⸗ munisten) Ich weiß, daß ich auch jetzt wieder als unverbesser⸗ licher Optimist verschrien werde, wenn ich Ihnen folgendes sage. Ich hoffe, daß trotz der parteipolitischen Zerrissenheit unseres Volkes, trotz des Bestvebens, alles nach rechts und links ausein⸗ anderzureißen, doch die politische Einsicht in unsere wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse schließlich alle streitenden Parteien dahin führen wird, einzusehen, daß wir im nächsten Sommer ohne Zucht und Ordnung, und (mir wäre das am liebsten) ohne freiwillige Zucht und ohne freiwillige Unterordnung nicht auskommen werden. Je mehr diese freiwillige Zucht, die Gerrrie-- d-, = = =, — 0 -= en geübt wird, um so weniger braucht die Polizei als Büttel, als Vormund auf⸗ zutreten. Mir als Polizeiminister leisteten Sie den denkbar größten Dienst, wenn Sie diese Selbsterziehung in die politischen Parteien hineinbringen. Ich fürchte, daß die nächsten Wochen uns noch einmal ganz deutlich den Ernst der wirtschaftlichen und politischen Situation vor Augen führen werden, hoffe aber, daß dieser Ernst schließlich dazu beitragen wird, die politischen Par⸗ teien zusammenzuhalten und nicht auseinanderzutreiben. (Lebhafter Beifall bei der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei, den Deutschen Demokraten und dem Zentrum — Zischen bei den Kommunisten.) 312. Sitzung vom 22. Mai 1924, Mittags 12 Uhr.
(Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger *).)
Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung des Haus⸗ . ge ig steh rste Lesung des H
Finanzminister Dr. von Richter bringt den Etat mit nachstehender Rede ein:
Finanzministen Dr. von Richter: Meine Damen und Herren! Wenn ich erst heute am W. Mai d. J. in der Lage bin, namens der Staatsregierung den Haushalt vorzulegen, so hat das, wie Sie wissen, sehr erklärliche Gründe, Gründe, die früher nicht vorgelegen haben und die zu beseitigen außerhalb der Möalichkeit lag, Gründe, die im wesentlichen darin liegen, daß im Gegensatz zu dem vorigen Jahre, als ich die Rede bei Einbringung des Haushalts halten konnte, wir uns ingwischen finanziell auf eine ganz andere Grundlage, auf die der Rentenmark, gestellt haben, und daß es selbstverständlich war, daß die Staatsregierung Ibnen keinen Haushalt vorlegen konnte, der auf der Papiermark beruhte, einem Gelde, das irgend⸗ welche wirtschaftliche Bedeutung nicht mehr beanspruchen konnte. Es war also selbstverständlich, daß wir mit der Vorlegung des Haushaltsplanes warten mußten, bis die Stabilisierung der Währung durch Einführung der Rentenmark und die gleichzeitige Stillegung der Notenpresse erreicht war. Die Folge ist gewesen, daß wir Ihnen einmal einen Haushalt haben vorlegen können, mit dem jemand, der sich dafür interessiert, überhaupt wieder irgendeinen Begriff verbinden kann, während die früheren Haushalte, namentlich der des letzten Jahres, eine Fülle von Zablen enthielt, deren Bedeutung niemand erkennen konnke. Es waren Zahlen, die sich infolge der Geldentwertung im Laufe des Jahres so verschoben hatten, daß irgendeine Uebersicht über die Lage der staatlichen Finanzen, über die Richtung, in der die Staatsberwaltung im neuen Jahre geführt werden sollte und konnte, überhaupt nicht möglich war. Meine Damen und Herren, wir haben, obgleich die Entwertung unserer Mack ja schon früher, allerdings in einem etwas langsameren Tempo einsetzte, doch gerade in dem vorigen Jahre, wie Ibnen allen bekannt ist, eine so katastrophale Entwertung un serer Mark erlebt, wie wir sie niemals für möglich gehalten hätten. Ich darf aang kurz auf die Tatsache hinweisen — in unserer sehr schnellebigen Zeit vergißt man ja solche Tatsachen Remlich
9 Mit Ausnahme der durch Serrdruck hervorgehobenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.
schnell — daß. während vom Jahre 1915 bis zum Jahre 192 im ganzen eine MY fache Entwertung unserer Mark stattgefunden hat, wir allein in den 11 Monaten des vorigen Jahres, vom Januar bis zum November 1923 eine 500 millionenfache Entwertung der Mark erlebt haben. Meine Damen und Herren,. Sie haben es ja alle am eigenen Leibe oft gespürt, wie das Geld, das der Beamte, das der Arbeiter, oder wer es auch war, bekam, schon am nächsten Tage ihm und seiner Frau unter den Händen zerrann, und Sie alle entsinnen sich der Unruhe, die infolgedessen entstand. Sie wissen aber auch aleichzeitig — und das ist neben der rein finanziellen Wirkung eigentlich das Traurige, möchte ich sagen, bei dieser Sache — daß durch diese Inflation, bei der jeder durch ungeheure Zahlen ge⸗ täuscht wurde, bei der die Gehälter und Löhne auf dem Papier eine schwindelhafte Höhe erreichten, tatsächlich nur eine Scheinblüte heworgerufen wurde, hinter der sich nichts verbara als die nackteste
Armut. Als nun am 15. November vorigen Jahres die Notenpresse
stillgelegt und die Rentenmark eingeführt wurde, da wunde erst all- mählich klar, was wir an wirklichem Vermögen in der Zeit den Inflation, in der Zeit dieser Scheinblüte gehabt hatten, was wir in Wirklichkeit verloren hatten, wie arm weiteste Kreise des Volkes und namentlich der Mittelstand geworden war. Trotzdem, alaube ich, kann gar kein Zweifel daran sein, daß es, wenn wir auch jetzt diese geringen Zahlen, die aus dem Haushalteplane hervorgehen, die aus der Bemessung der Beamtengehälter hervorgehen, betrachten, es doch in weitesten Kreisen unseres Volkes als ein unsäaliches Glück empfunden werden wird, daß es gelungen ist, von der Papiermark, die uns, wie gesagt, unter den Fingern zerrann, schließlich, wenn auch mit gewissen Schwierigkeiten, wieder zu einer stabilen Währung zu gelangen, zu einer Währung, auf Grund deren sich wieder bestimmte Berechnungen für den einzelnen, für die Familie, für die Gemeinde und für den Staat anstellen lassen. Allerdinas müssen wir uns darüber klar sein, daß wir nur in der Lage sind, mit diesen vor- handenen Geldmitteln das Aeußerste, was wir brauchen — beim Privatmann, bei der Gemeinde, beim Staat usw. — zu bestreiten. Wir müssen hoffen, daß uns die Entwicklung der Verhältnisse, auf die ich nachher kurz einzugehen mir erlauben werde, allmählich besseren Verhältnissen bringt
Meine Damen und Herren, ein Zweites ist das. Ich glaube, es ist bei keinem darüber ein Zweifel gewesen, daß die Rentemnark auf den Grundlagen basiert, wie sie durch das Rentenmarkgesetz geschaffen sind, unter allen Umständen etwas Vorübergehendes und nicht etwas Dauernds sein kann, daß wir vielmehr unter allen Umständen zu einer Währung gelangen müssen, die auf Gold, nicht auf den Grundbesitz und der Industrie stabilisiert ist, wie es die Renten mark ist. Jedenfalls hat die Rentenmark aber — man mag über sie denken, wie man will — zunächst das gehalten, was man sich damals von ihr versprochen hat, und ich glaube, es ist durchaus richtig — ich will auf den Streit über die Vater⸗ oder Mutterschaft hier nicht eingehen — wenn man auch an dieser Stelle bei der Vorlegung des ersten preußischen balancierenden Haushalts mit Dank derjenigen Männer und derjenigen Stellen im Reiche gedenkt, die mit ihrer ganzen Kraft, mit allen ihren Kenntnissen und mit ihrer ganzen Energie es erreicht haben, daß wir seit dem 15. November v. J stabile, reguläre, solide Verhältnisse in der Finanzwirtschaft haben
Das war ja das Furchtbare an dem früheren Zustande, daß win uns eigentlich den Kopf darüber, wie wir Mittel beschaffen, um etwas zu bestreiten, überhaupt nicht zu zerbrechen brauchten, daß . Mt NYCοssα in einem unerhörten Um ur fü f wurde und zur Verfügung stand und , n,. . um die Bedürfnisse zu bestreiten, wodurch selbswerständlich das Gelb immer weiter entwerter wurde, bis es schließlich zu dem Zeitpunkt kam, zu dem die Mark auf dem absoluten Nullpunkt angekommen war. Meine Damen und Herren, wir waren schließlich — ich darf kurz an die Zeit erinnern, die damals innerhalb der preußischen Finanzverwaltung und des preußischen Haushalts herrschten — dahin gekommen, daß unsere eigenen Einnahmen so flossen, daß wir sie voll- kommen entwertet bekamen. Es galt das zunächst von unseren eigenen geringen Einnahmen aus eigenen Steuer, von den Einnahmen aus unseren werbenden Betrieben, es galt aber vor allen Dingen von den- jenigen Steuern oder Einnahmen, die bei uns ja die Hauptrolle spielen, von den Ueberweisungssteuern des Reichs, und weil das Reich uns und den Gemeinden ebenso diese Cinnahmen verhältnismäßig spät in entwertetem Gelde zukommen ließ, zu einem Zeitpunkt, wo dieses Geld oder diese Steuern nicht mehr entfernt das wert waren, was sie eigentlich gesetzlich für uns hätten wert sein sollen, deshalb traten wir natürlich an das Reich mit der Bitte heran, uns diesen Unter⸗ schied auszugleichen, und das führte schließlich — ich will Sie mit der Schilderung dieser Zustände hier nicht allzu lange aufhalten — dahin, daß unsere wesentlichsten staatlichen Bedürfnisse durch die Inanspruchnahme der Notenpresse, durch die Kredite des Reichs bestritten wurden, und daß von unseren gesamten Staatsausgaben schließlich nur 1 X durch unsere eigenen Einnahmen, dagegen 99 X durch die Notenpresse des Reichs bestritten wurden. Meine Damen und Herren, daß das auf die Dauer ein Zustand war, der absolut unhaltbar war, bei dem die staatlichen Finanzen absolut zugrunde gehen mußten, darüber kann ja gar kein Zweifel sein.
Wir haben uns damals bemüht, in der verschiedensten Weise dem entgegenzuwirken. Es ist das nicht ganz leicht gewesen.
Wir haben zunächst versucht, unsere eigenen Einnahmen auf wertbeständige Grundlage zu stellen. Namentlich die Einnahmen aus den Forsten und Domänen sind damals auf wert- beständige Grundlage gestellt worden. Wir haben unsere eigenen Steuern auf wertbeständige Grundlage gestellt. 21
Wir sind, soweit es sich um Ausgaben handelte, die gesetzlich nach der Verfassung durch Anleihen gedeckt werden konnten, zum Typus der wertbeständigen Anleihen übergegangen. Eg war selbstverständlich, daß kein Mensch mehr das Risiko auf sich nehmen wollte, dem Staat oder einem anderen Geld zu borgen, von dem er sich mit Sicherheit sagte, daß er es in völlig entwertetem Geld verzinst und zurückgezahlt bekam. Wir haben, wie Sie sich entsinnen, mit Ermächtigung des Landtags, um uns keinem Vorwurf auszusetzen, zu früh zu wertbeständigen Anleihen übergegangen zu sein — es war damals die Zeit, wo die Entwertung noch nicht o weit fortgeschritten war, und man immer noch hoffte, auch auf nicht werbestãndiger Anleihe Geld zu erhalten — damals auch eine nicht wertbeständige Papiermarkanleihe ausgegeben mit dem Erfolg, daß wir jedenfalls nichts bekommen haben, was irgendwie zu Buche schlug Wir haben Roggenanleihen, Kalianleihen mit dem Erfolg ausgegeben. daß immerhin eine ganze Menge gezeichnez worden und eingekommen ist. Aber die Entwicklung dieser wertbeständigen Anleihen ist jeden falls für denjenigen, der sie damals gezeichnet hal, wider Erwarten