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Herr v. Graefe, daß ich ein derartiger Dilettant bin, daß ich nicht versucht hätte, diese Erklärung der englischen Regierung zu benutzen, um eine andere Erledigung dieser Frage herbeizuführen, als die bedingungslose Aufgabe des passiwven Widerstandes? Aber wir haben damals erlebt, und ich glaube, wir werden das immer erleben, daß England, so sehr es in gewissen Momenten sein Statement vor
der ganzen Welt kund tut, nicht die Absicht hat, unserthalben oder
wegen seiner theoretische Eirstellung so weit zu gehen, etwa die Entente und sein Verhältnis zu Frankreich aufs Spiel zu setzen. (Sehr richtig! in der Mitte) Wir haben die englische Regierung aufs dringendste um Unterstützung bei der Auf ⸗ gabe des passiwen Widerstandes ersucht. Ich habe nie geglaubt, daß eine Situation kommen könnte und würde, bei der wir gezwungen wären, den passiven Widerstand bedingungslos aufzugeben. Diese Bestrebungen sind vergeblich gewesen. Ich weiß auch nicht, ob eine andere Regierung dabei mehr Erfolg gehabt hätte. Wir haben die bösen Worte gehört, die im englischen Ober- haus Lord Curzon ausgesprochen hat, daß wir schuld wären, wenn wir den paffiven Widerstand bedingungslos hätten aufgeben müssen, weil wir den Widerstand törichter Weise zu lange hingezogen hätten. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das waren die Worte, die ich damals hier verlesen habe, die Worte the passive resistance was foolishly postponed. Ich halte sie nicht für richtig, ich halte sie auch im Gegensatz stehend zu den Erwartungen, die damals aus dieser Denkschrift naturgemäß für uns entstanden; aber sie waren eine Tatsache, an der wir nicht vorbeigehen konnten. Wenn mir damals vom verstorbenen Kollegen Helfferich immer gesagt wurde: warum haben Sie nicht ganz stark auf diese Erklärung abgehoben und gehen nicht mit dieser englischen Erklärung gegen Frankreich vor, so möchte ich Ihnen, da Sie zu mir ein verhältnismäßig geringes Ver— trauen haben, das eine sagen: als ich damals die Reichskanzlerschaft und das Außenministerium übernahm, habe ich selbstverständlich mit dem zurücktretenden Außenminister Herrn v. Rosenberg über diese Dinge mich eingehend unterhalten, habe ihm diese Erklärung Englands vorgelegt und mit ihm besprochen, da er bis dahin alle diese Dinge in der Hand hatte, wie sie parlamentarisch zu verwerten wäre. Er hat mir ausdrücklich gesagt, worin ich völlig mit ihm übereinstimme: nichts ist törichter und hat uns mehr geschadet als die Art, wie Deutschland bei verschiedenen außenpolitischen Gelegenheiten sich an die Seite Englands gedrängt hat, als wenn England der gegebene Sekundant Deutschlands wäre, und dadurch England seine Stellung gegenüber der Entente geradezu erschwert hat. (Sehr richtig! in der Mitte.)
Infolgedessen war es ganz klar, daß wir alles versuchen mußten, die damalige Erklärung in praktische Hilfe umzumünzen. Daraus ergaben sich die Tatsachen, die bei unserer ganzen Finanzlage, die bei der Zerrüttung der damaligen Verhältnisse des passiven Widerstandes selbstverständlich waren. Daraus ergab sich aber eines nicht: es ergab sich daraus nicht, wie viele Leute heute ebenso törichterweise meinen, daß der Ruhrwider st and an sich falsch gewesen wäre, daß er nicht seine große Bedeutung für Deutschlands Außenpolitik gehabt hätte. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei) Er hat seine große Bedeutung für Deutschlands Innen- und Außenpolitik gehabt, trotz der Passivität, die Sie (nach rechts) so oft hier kritisierten. Er hat einmal gezeigt, wie eng das Rheinland und die Ruhr mit Deutsch— land verbunden sind. (Lebhafte Zustimmung und Beifall) Er hat dadurch allen denjenigen französischen Tendenzmeldungen, die in der Welt bis dahin geglaubt wurden, den Boden entzogen. Wenn Sie heute ein Zusammentreten von Sachverständigen sehen und wenn man dort an die Spitze gestellt hat, daß Deutschland die Souveränität über sein ganzes Gebiet, die wirtschaftliche und finanzielle Einheit wieder⸗ haben müsse, so danken Sie das den Menschen, die damals unendlich viel gelitten haben, auch wenn sie nicht vom passiven zum aktiven Widerstand übergegangen sind. (Erneute lebhafte Zustimmung.)
Ich darf deshalb sagen — darin unterscheide ich mich ja grund sätzlich von dem Herrn Kollegen v. Graefe — daß ich in dem Sach⸗ verständigengutachlen, ja zunächst einmal in dem Zusammentreten der Sachverständigenkonferenz eine große Entspannung der we . politischen Lage sehe. Guruf von den Kommunisten: Fragen Sie doch einmal die Arbeiter, Angestellten und Beamten) Ich sehe darin den Sieg des Gedankens, für den wir gekämpft haben, auch unter Regierungen, die von der Rechten unterstützt wurden. Denn es ist doch klar, daß bei der weltpolitischen Lage, in der wir uns befinden, bei der Machtlosigkeit, in der wir sind, von unserem Standpunkt aus alles begrüßt werden muß, was diese Fragen aus der Machtatmosphãre herausnimmt und was sie in die Atmosphäre der wirtschaftlichen Ver⸗ nunft hineinstellt. (Abgeordneter Laverrenz. Das ist eine ewige Illusion) Dann hat diese ewige Illusion auch Herr Professor Hoetzsch gehabt, dann haben diese ewige Illusion sehr viele Leute gehabt, die Ihnen sehr nahestehen. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volks⸗ partei) Wenn ich den Namen des Herrn Professor Hoetzsch genannt habe, so deshalb, weil ich gerade darauf hinweisen will, daß keiner so stark wie er die große weltpolitische Tatsache unterstrichen hat, daß heute die Vereinigten Staaten von Amerika mit in das Interesse für die Regelung der europäischen Dinge eingetreten sind. (Sehr gut! in der Mitte.)
Darf ich Sie an die Zeit von Dezember 1922 erinner, an die Rede, die Hughes in New Haven gehalten hat. Mit vollem Recht hat der damalige Reichskanzler Cuno in seiner Silvesterrede in Hamburg die sofortige Zustimmung Deutschlands dazu erklärt. Wer hat sich denn gegen diese Anregung von Hughes gewandt? Herr Poincars hat sich dagegen gewandt, und von Paris aus ist das Wort gefallen: wir haben nicht die Absicht, uns die Früchte der Siege durch internationale Bankiers aus den Händen ceißen zu lassen.
Das war die Situation. Auf der einen Seite Machtpolitik, die sagt: wir behalten, was wir haben. Auf der andern Seite der Appell an die wirtschaftliche Vernunft. Was haben wir denn über⸗ haupt, wenn wir ein waffenloses Volk sind? Welche Waffen hat denn ein Außenminister, Herr v. Graefe, wenn er diese Waffen nicht besitztẽs Er kann einmal an das Interesse appellieren, das die Welt an der Erhaltung der deutschen Konsumkvaft hat. Er hat die Waffe der Eingliederung seines Volkes in die großen weltwirtschaft= lichen Verhältnisse, er kann geltend machen, daß der Untergang seines Volkes andere mit in diesen Untergang hineinzieht. Schließlich sind doch die Gedanken dieser Sachverständigenkonferenz keine anderen als die, daß die Welt nicht uninteressiert ist, ob Deutschland zugrunde geht. Ich glaube nicht an die Aenderung der Atmosphäre, ich glaube nicht, daß Außenpolitik aus Liebe oder Interesse oder Sympathie gemacht wird. Nein, sie wird gemacht aus eigen verstandenem welt · wirtschaftlichen Intersse, und dieses eigen verstandene weltwirt⸗· schaftliche Interesse, das zu dieser Sachverstãndigenkonferenz führte, nicht zu benutzen, nicht zu begrüßen, wäre ein totaler Fehler, wãre
Dilettantismus ohnegleichen. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.)
Gewiß — auch das möchte ich Ihnen sagen, Herr p. Graefe — es gibt auch ein anderes Mittel, daß der Außenminister eines waffen⸗ losen Staates hat. Das ist der einheitliche nationale Wille seines Volkes über alle Parteien hinweg (sehr richtig! bei den National⸗ sozialisten, der im gegebenen Moment Unerträgliches zurückweist. (Sehr richtig! bei der Nationalsozialisten) Herr v. Graefe, wenn Sie diesen Willen eines Volkes einstellen wollen, dürfen Sie aber nicht vorher anderen Parteien die politische Ehre absprechen. (Leb= hafte Zustimmung in der Mitte und bei den Sozialdemokraten) Dann müssen Sie trotzdem anerkennen, daß, auf welchem Wege auch immer der einzelne seinem Vaterlande nutzen will, er jedenfalls von dem Gedanken ausgeht, daß er genau so das Gute für sein Volk will, wie Sie das für sich in Anspruch nehmen. (Bravo! in der Mitte) Nichts stört die Zusammenfassung eines Volkes zu einem solchen Einheitewillen in Ehrenfragen, um die wir kämpfen und die wir so durchsetzen müssen, wie wir schon ein mal die Nichtauslieferung der sogenannten Kriegsverbrecher durchgesetzt haben, nichts stört diese Einheitsfwnt mehr als die Reden, die Sie (zu dem Abgeord neten v. Graefe) gestern hier gehalten haben, und der Geist, aus dem diese Reden geboren sind. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte)
Meine Damen und Herren, ich bin bei der Frage des Sach⸗ verständigengutachtens, zunächst des Zusammentritts der Sach⸗ verstãndigenkonfe renz, davon ausgegangen, daß die große Bedeutung dieses Zusammentritts der Sachverständigen darin lag, daß es nicht eine europäische Konferenz war. Nicht die Entente stand uns mehr gegenüber. Einst, kurz nach dem Kriege, war in den Vereinigten Staaten von allen Parteien das eine Schlagwort ausgegeben: No European troubles! — Nie wieder sich einmischen in europäische Dinge. Das war unser Verhängnis jahrelang aus dem Grunde, weil ja doch schließlich die Vereinigten Staaten, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, der gegebene ehrliche Makler in bezug auf die euwopäischen Verhältnisse waren. Sie sind zu reich, um an der Schwächung Deutschlands interessiert zu sein. Sie haben eine ge⸗ nügend weite Distanz, um die Dinge klar zu übersehen. Ich messe Ihnen aber ebenso — und das erkläre ich noch einmal ausdrücklich — ich messe all den Herren, die bei diesem Sach ve rständigengutachten mitgewirkt haben, die volle Objektivität zu, das ehrliche Bestreben, zu einem guten Ergebnis zu kommen. (Abgeordneter v. Graefe Mecklenburg]: Auch den Franzosen? — Herr v. Graefe, Sie kennen ja gar nicht die Einzelheiten der Verhandlungen, Sie wissen ja gar nicht, wie wenig bei diesen Verhandlungen etwa nach Nationen abgestimmt ist, Sie wissen ja gar nicht, in welchen Momenten auch Männer der französischen Nation für geringere Belastungen ein- getreten sind als Leute aus anderen Nationen. Wir haben ja da einen Klub von businessmen gehabt, die von ihrem Standpunkt aus diese Dinge angesehen haben.
Infolgedessen sage ich Ihnen im vollen Einverständnis auch mit Ausführungen, die der Außenpolitiker der Deutschnationalen Partei in bezug auf diese Persönlichkeiten gemacht hat: keiner, der diese Verhandlungen im einzelnen kennt, ist der Meinung gewesen, daß man hier sich hätte leiten lassen von politischen Gesichtspunkten, sondern zuerkennt den Männern, die hier mitgewirkt haben, daß sie von ihrem wirtschaftlichen Standpunkt aus die Dinge versucht haben objektiv zu regeln. (Abg. v. Graefe Mecklenburgl: Von ihremh — Gewiß, von ihrem Gesichtspunkt aus. Sehen Sie, Herr v. Graefe, Sie sind innerhalb Deutschlands genau so intransigent wie nach außen und glauben, Sie können Außenpolitik treiben, wenn Sie alle anderen Leute als schlechte Kerle und Verbrecher hinstellen. (Sehr richtig! in der Mitte) Glauben Sie mir, dieses ganze Sach⸗ verständigengutachten wird schließlich in seinem Effekt abhängen von dem Geist, in dem es durchgeführt wird, von den Persönlichkeiten, die darüber mit zu entscheiden haben. Ich glaube nicht, daß es in diesem Geist liegt, wenn Sie sich mit diesem Lächeln darüber hinweg⸗ setzen, daß Männer anderer Nationen auch objektiv denken können. (Abg. v. Graefe Mecklenburgl: Siehe Versailles) — Nein, seit Versailles bis zu diesem Tag ist eine Entwickelung vor sich gegangen, die Sie belieben zu negieren. Damals hat sich kein Mensch auf den Standpunkt gestellt, daß nur aus dem Ueberschuß Deutschlands deutsche Leistungen ins Ausland kommen sollen. Damals hat man uns die Substanz, die Werkzeuge weggenommen. (Zuruf des Abg. v. Graefe Mecklenburg! — Sie haben ja anscheinend das Gutachten gar nicht gelesen, dann brauche ich mit Ihnen ja gar nicht zu sprechen! (Entrüstete Zurufe von den Nationalsozialisten) Meine Herren, es ist etwas ganz anderes, ob uns die Handelsflotte weggenommen wird oder ob diejenige Verwaltung der Eisenbahnen einsetzt, die hier in diesem Gutachten genannt ist. (Zuruf von den Nationalsozialisten.) — Nein, ich bin in diesen Dingen gar kein Illusionist, sondern sebe sie rein wirtschaftlich an. Ich bin sehr gern bereit, mit Ihnen auch einmal über die Angelegenheiten der Eisenbahnen sachlich und wirtschaftlich zu sprechen. Sehen Sie sich doch einmal an, Herr v. Graefe, welche Summen des Ertrages der deutschen Eisenbahnen der Reichsverband der deutschen Industrie seinerzeit genannt hat, als es sich um das Cunosche Angebot handelte, vergleichen Sie damit die Ziffern der Sachverständigen und fragen Sie sich, ob das nicht sogar vom deutschen Standpunkt aus objektive Ziffern sind. (Abg. v. Graefe Mecklenburg]: Na, ich danke) — Ich weiß nicht, Herr v. Graefe, wie Sie sich überhaupt einen Weg der Außenpolitik nach Ihren Empfindungen denken. Ich möchte Sie auf folgendes hin weisen: Der Reichslandbund gehört doch wirklich nicht zu den An . hängern des Sachverständigengutachtens. Er lehnt es ab, weil er es nicht für annehmbar hält. Aber an die Spitze seiner Erklärung hat er zwei Sätze gestellt, die hoffentlich die genügende Beachtung ge⸗ funden haben, weil sie in brutaler Weise aussprechen, was ist:
Der Reichslandbund erkennt an, daß Deutschland heute wehr⸗ los ist und daß alle Macht bei der Entente liegt. Daraus folgert der Reichslandbund, daß Deutschland an die Sieger Kriegs ⸗ kontributionen zu zahlen hat bis zur Grenze des Möglichen. Von dieser Situation kann niemand abgehen.
Und nun bitte ich Sie, Herr v. Graefe, etwas ins Auge zu fassen, was bei Ihrer Kritik des Sachberständigengutachtens ganz verschwindet. Vergleichen Sie den gegenwärtigen Stand der deutschen Belastung mit demjenigen nach dem Sachverständigengutachten. Bei der auf Ihrer Seite üblichen Kritik könnte man nämlich denken, bisher ruhten überhaupt keine Lasten auf uns, und nun beabsichtigt eine verant- wortungslose Regierung, die letzten Gũter des Volkes dem Feinde hinzugeben. Wie liegen denn die Dinge jetzt' Ich will vom Wirt⸗ schaftlichen zuerst sprechen, obwohl das Politische vielleicht wichtiger ist. Was heute durch die Micum-Verträge aus dem Ruhrgebiet
herausgequetscht wird, ist von Sachverständigen auf die Sumar ven 1,2 bis 14 Milliarden Goldmark pro Jahr geschätzt worden. (Abgeordneter v. Graefe Mecklenburgl: Tas habe ich auch nie gebilligt! — Große Heiterkeit) — Das ist ja sehr liebenswärdig, Derr v. Graefe, daß Sie das nicht gebilligt haben. Ich glaube aber nicht, daß das zur Beruhigung im Ruhrgebiet beiträgt. Kein Mensch hat das als rechtmäßig angesehen. Aber wollen Sie diejenigen Leute schmälen, die unter der Wucht der Gewalt, die ihnen angetan wurde, diese Lasten auf sich genommen haben? Haben wir nicht heute schon Regiezechen? Wollen Sie durch eine einfache große Geste, durch einen Brand von Moskau, die letzte Quelle deutscher Kraft, die uns da geblieben ist, auch noch der Vernichtung anheimgeben (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien), anstatt die Politik zu machen, die die Mãnner im Ruhrgebiet gemacht haben: zunächst sich in das Unver- meidliche fügen, aber in der Erwartung, daß die Regierung alles tut, um die Situation zu bessern? Zu diesen Lasten, die heute ge⸗ tragen werden müssen und die dazu geführt haben, daß jetzt die Bergwerke aus der Substangz leben müssen, daß sie nicht in der Lage sind, die geringsten Reparaturen anzubringen, kommen die 380 Millionen Besatzungskosten, die hoffentlich nicht auch hier im Hause etwa der Kritik unterliegen werden, die wir während des Wahlkampfes so oft draußen gehört haben. Man hat es so hin gestellt, als seien auch diese Zahlungen nur Zeichen der Schwäche der Regierung, ihrer Unfähigkeit, sich gegen ungehörige Anforderungen zu wehren. Wir haben einmal die Herren aus dem besetzten Gebiet gesprochen, und ohne Unterschied der Partei haben sie uns gegenüber erklärt, daß sie von jeder Regierung verlangen würden, daß sie diese Besatzungskosten bezahlt, und zwar als selbstverständliches Aequivalent gegenüber denjenigen, die so unendlich Vieles in diesen Jahren im besetzten Gebiet haben durchmachen müssen, so daß sie zum mindesten verlangen können, daß nicht diese Kosten auf ihnen liegen bleiben. Dem wenn wir nicht zahlten, wäre die Geste sehr schön, aber die ganzen Schläge dafür hätten die Menschen auszuhalten, die da drüben bisher die Leidtragenden gewesen sind. Zu diesen Kosten, die nicht irgendwie wegzunehmen sind kommen die Reparationsabgaben. (GZu—⸗ rufe bei den Nationalsozialisten) — Ach, meine Herren, zu all diesen Berufungen auf das besetzte Gebiet und dessen Stimmung möchte ich nur das eine sagen: Ich habe oft die Empfindung gehabt — ich komme auch viel durch Deutschland — als wenn dle großen Gesten, die großen Worte gegenüber dem, was wir für das besetzte Gebiet tun sollten, proportional sind der Entfernung des besetzten Gebietes. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei der Deutschen Volks- partei, dem Zentrum, den Demokraten und den Sozialdemokraten. — Gegenkundgebungen bei den Nationalsozialisten) Da wo man in die Nähe der wirklichen Kampfzone kommt, haben die Leute ein ganz anderes Gefühl für die Außenpolitik, wie wir sie gegenwärtig zu führen haben. (Erneute Zustimmung. — Zuruf bei den Kom— munisten) — Zu Ihnen werde ich niemals gehen; ich halte Sie nicht für Leute, die die Dinge von unserem Standpunkt ansehen.
Dazu kommen die Kosten für die Kommissionen, dazu kommen die Reparationsabgaben, obwohl sie im Laufe der letzten Monate, während deren wir nach Herrn v. Graefe von Katastrophe zu Katastrophe eilen, von 25 auf 5 X herabgesetzt worden sind. Man kann sagen, daß auf diese Weise unsere heutigen Leistungen etwa auf 18 bis 2 Milliarden Goldmark anzusetn sind.
Demgegenüber wollen Sie doch vielleicht die Güte haben, auch einmal festzustellen, daß das Sachverstãndigengutachten, bei dem Sie den ausländischen Sachverständigen jede Objektivität absprechen, in dem Satze mündet, daß Deutschland überhaupt nicht zugemutet werden könne, gegenwärtig und im ersten Jahre der Geltung des Gutachtens auch nur einen Pfennig aus seinem Budget zu zahlen, auch nur einen Pfennig an das Ausland zu geben. (Widerspruch bei den National · fozialisten) — Gewiß ist das richtig. Ich kann nur wiederholen, daß Sie das Sachverständigengutachten nicht gelesen haben, wenn Sie auch das bezweifeln. Es heißt ausdrücklich an den verschiedensten Stellen, daß der Stand der deutschen Währung die deutsche Regierung veranlassen müsse, nicht jetzt irgendwelche Leistungen an das Ausland zu machen. (Zurufe bei den Nationalsozialisten.)
Wenn Sie von der moralischen Kriegsschuldlüge sprechen, so war eine der schlimmsten Kriegsschuldlügen, die auf uns gelastet hat, die von dem betrügerischen Bankrott Deutschlands, die Lüge, Deutschland könne, aber wolle nicht zahlen. Das war die Lüge, die dabon sprach, daß wir allen unseren Verpflichtungen uns entziehen wollten. Diese Lüge hat doch vor allem Herrn Poincars dazu gedient, die Besetzung des Ruhrgebiets der Welt plausibel zu machen. Er hat doch erklart, er müsse das Ruhrgebiet besetzen, weil ein Volk, das zahlen könne, nicht zahlen wolle. Wenn nun hier zum Ausdruck ge bracht wird, dieses Volk könne jetzt nicht zahlen und es habe recht, wenn es seine Währung schütze, dann bricht damit auch der moralische Grund für die Ruhrbesetzung überhaupt zusammen. Und die heutigen und die früheren Regierungen sind gerechtfertigt in ihren Erklärungen, daß sie nicht in der Lage wären, Leistungen nach außen hin zu übernehmen. (Lebhafte Zustimmung bei den Mittelparteien.
Das zum Ausdruck zu bringen, habe ich alle Veranlassung. Denn die Frage der Aufrechterhaltung der Ruhrbesetzung ist schließlich die wichligste Frage, um die es sich bei diesen Dingen handeln wird. Abgeordneter v. Graefe Mecklenburg]: Glauben Sie daran, daß es nicht besetzt bleibt? Ich werde auch darauf zu sprechen kommen
In diesem Sachverständigengutachten sind drei Perioden deutscher Leistungen un erschieden. Die erste Periode kann ich nennen die Zeit eines mittelbaren Moraloriums, die zweite die sogenannte Uebergangs zeit und die dritte die Zeit, von der aus die normalen Leistungen beginnen sollen.
Ich bin nun mit den Kritikern des Gutachtens vollkommen darin einig und habe gar kein Hehl daraus gemacht bei allen Unterhaltungen, die ich hierüber mit fremden Diplomaten gehabt habe, daß die Sach⸗ verständigen die deutschen Leistungen vom Jahre 1928 an in wesent⸗ lichet Weise überschätzt haben. Ich bedauere außerordentlich, daß die Ziffer von 1750 Millionen, die zunächst bei den Sachwverständigen⸗ besprechungen genannt wurde, nicht an die Stelle der Ziffer gekommen ist, die heute dort genannt ist. Wenn es überhaupt möglich ist, sich unter diesen Umständen mit dem Sachverständigen gutachten einverstan⸗ den zu erklären, so ist aber aus dem Grunde, weil hier — das halte
ich für den Kern des Sachverständigengutachtens — in der Bestim⸗
mung über die Transferierung deutscher Leistungen nach dem Auslande
gewissermaßen der Hebel einsetzt gegen die Folgen, die sich aus einer solchen Neberschätzung der Leistungsfähigkeit Deutschlands ergeben müssen.
Meine Herren! Ich darf vielleicht hier einmal statt meiner, der ja der heftigsten Abneigung des Herrn v. Graefe und anderer begegnet das fagen, was ein führender deutschnationaler Politiker über diese und
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andere Bestimmungen des Gulachlens gesagt hal. Zunãchst erklärt er im Eimverständnis mit dem, was ich über die politische Situation sagte, daß das Gutachten der Sachverständigen unter maßgebendem Einfluß der Amerikaner zustande gekommen ist. Die Bereitwilligkeit Amerikas, Europa mit Anleihen und Krediten unter die Arme zu greifen, sei aus⸗ gesprochen Im Anschluß an die Rede Coolidges sagt er: Eine der ganz großen Drehungen in der Kon stellation der KWeltmächte, die nötig sind für die Revision des Ver⸗ sailler Friedens, beginnt sich damit zu vollziehen. ¶ ( Hört, börtl in der Mitte und links) Das ist das Urteil des Herrn Professor boetsch iber den politischen Teil dieler Dinge Es ist gestern Elec orden, Herr Professor Hoetzsch bejiehe sich nur auf die Tatsache des Eintritts der Vereinigten Staaten in die europãischen Dinge. Aber, Verzeihung, ausdrücklich ist hier gesagt und mit Recht: Unter maß⸗ gebendem Einfluß amerikanischer Sachverständiger ift das Gutachten zustande gekommen.“ Ich darf Ihnen eines sagen: die öffentliche Meinung in Amerika sieht heute in dem, was sie den Dawesreport nennen, die wirtschaftliche Bibel der Gegenwart, eine Auffassung, die sich dort leicht in Schlagworte faßt: wir haben den Krieg en schieden, wir haben jetzt auch den Frieden gemacht. Wer sich dem ent gegenstellt — ich spreche jet nur negativ — muß mit dem einen rechnen, daß er damit auch diese grõßte der Weltmächte vollkommen gegen sich aufbringt, während andererseits ein gewiß nicht links stehen · der Politiker in diesem Eingreifen der Vereinigten Staaten eine der ganz großen Drehungen der Weltgeschichte mit vollem Recht sieht. (Guruf von den Deutschnationalen: Er nimmt das Gutachten aber doch nicht en bloe an) Herr Kollege Hergt, ich komme ja dazu. Ich komme zu dem, was uns eint, und zu dem, was uns trennt; alles nacheinander. Es kommt eben darauf an, ob man eine der ganz großen Drehungen der Weltgeschichte mitmacht oder sich ihr entgegenwirft. Da werden sich die Wege teilen. (Zuruf won den Deutschnationalen) Es handelt sich doch auch darum, Herr Kollege Hergt, ob es möglich ist, mit dem Sachverständigengutachten auch die Chrenfragen zu regeln, auch Fragen, die im Zusammenhange mit unserer politischen Freiheit stehen. Davon ist Ihre Stellung abhängig, davon ist die Stellung meiner Freunde abhängig, dawon ist die Stellung der Regierung eben falls abhängig. Lassen Sie uns doch die Dinge zu Ende denken und zunächst das eine beantworten, ob das Sachverständigengutachten eine Arbeit ist, die uns zu Sklavenhaltern macht, oder eine Arbeit von Leuten, die objektiv denken können. (Unruhe und Zurufe rechts.)
Meine Herren! In dem Aufsatz des Herrn Professor Hoetzsch wird folgendes über den Inhalt des Gutachtens gesagt:
Endlich wird einmal anerkannt, daß ohne Stabilität der deutschen Währung an dauernde Reparations zahlungen nicht zu denken ist. Endlich wird einm al anerkannt, daß dauernde Reparationszahlungen größeren Stils nur möglich sind aus dem Ueberschuß der deutschen Ausfuhr. An⸗ erkannt sei, daß das Gutachten mit Nachdruck die Wiederher⸗ stellung der Einheit des deutschen Reiches in seinen jetzigen Grenzen als Kardinalvoraussetzung fordert. Und ebenso bedeutet die Bereit- willigkeit, eine Anleihe unter all diesen Voraussetzungen zu be⸗ schaffen, einen Fortschritt, so wie das ganze große Kapitel über den Transfer, das die Ueberführung von Werten aus einer Volkswirtschaft in die andere durch die Devise hindurch verlangt, eine originelle, von volkswirtschaftlicher Einsicht getragene Regelung ist. Hier wird von böchsten Sachver ständigen und erfahrenen Männern der Finanzwelt ein Versuch gemacht, den Ausgleich und die Sanierung gefährdeter Währung mit der Lösung des Reparationsproblems und dem wirt⸗ schaftlichen Aufbau zu verbinden.
(Zuruf von den Deutschnationalen: Trotzdem lehnt er es ab) Das ist es eben, was ich nicht verstehe. Herr Kollege Hergt, ich polemisiere jetzt gar nicht gegen Sie, sondern gegen den Herrn Abgeordneten v. Graefe, der erklärt hat, daß er allen diesen Sachverständigen Objektivität nicht zutraue, der gelacht hat darüber, daß ich von dieser Objektivität sprach. Ich stelle dem gegenüber dieses Urteil, das doch zweierlei zeigt: ein mal, daß niemand daran zweifeln kann, daß hier in der Tat aus dem ausgetretenen Gleise des Versuchs der Reparationslösung neue Wege gesucht worden sind, wie sie bisher noch niemals uns gegeben waren, um gleichzeitig zwei Dinge zu vereinigen, einmal das Recht Frankreichs auf Reparationsleistungen, zweitens aber, die Pflicht Deutschlands zu begrenzen. (Zuruf von den Nationalsozialisten.) Sie lehnen jede Kriegsentschädigung ab. Damit kann ich nichts anfangen. Erneuter Zuruf von den Nationalsozialisten: Auf Grund der gestrigen Erklärung, die sich auf die Schuldfrage und die Schuldlüge bezieht) Verehrter Herr, darf ich Ihnen eins sagen: wir kämpfen in der Schuldfrage um unser moralisches Recht. Daß wir den Krieg, auch wenn wir nicht schuldig waren, verloren haben, an dieser Tatsache werden wir leider nicht vorbeikommen und werden auch die Konsequenzen daraus jederzeit ziehen müssen. Gustimmung in der Mitte und links. — Zuruf von den Nationalsozialisten) In Hannover habe ich mich gegen die Schuldlüge gewandt. Aber niemals bin ich so töricht gewesen, anzu⸗ nehmen, daß die Erledigung dieser Frage zugleich die Kriegskostenfrage erledige. (Erneute Unterbrechung bei den Nationalsozialisten. —‚ Glocke des Präsidenten. — Zuruf von den Nationalsozialisten: Sie suchen nur das Gute aus dem Gutachten heraus! — Lachen) Nein, ich komme jetzt zu dem Schlechten und ich wäre ohne Ihre Zwischen⸗ rufe schon längst dabei. — Das eine ist in keiner Weise zu verkennen, daß hier mit einem System gebrochen wird, das unser Unglück, die Inflation und alle die Begleiterscheinungen der Inflation hervor⸗ gerufen hat: das war die rücksichtsloseste Auspowerung der deutschen Substanz. Das ist das gewesen, was bisher erfolgt ist, und wenn jetzt nach diesen Vorschlägen der Sachverständigen deutsche Sachleistungen an das Ausland, Uebertragung von Gold und Devisen an das Ausland nur dann erfolgt, wenn es ohne Gefährdung der deutschen Währung geschehen kann aus dem Ueberschuß der deutschen Wirtschaft, dann ist das der Bruch mit dem bisher uns gegenüber vertretenen System. (Eebhafte Zurufe bei den Nationalsozialisten: Unglaublich! — Eine Frisierung des Sachverständigengutachtens! — Glocke des Präsidenten.)
Herr Abgeordneter v. Graefe erregt sich darüber, daß hier ein beulscher Minister die Vorteile des Sachverständigengutachtens er⸗ örtert. Herr v. Graefe, sind Sie denn der Meinung, daß Sie mit der veralteten Diplomatie hier weiterkommen und lediglich durch irgendeine Art von Vorbehalt und einseitiger Darstellung irgend etwas auf einem Gebiete erreichen, wo es sich nicht um Politik. sondern um nüchterne Wirtschaft handelt und wo jeder einzelne im Ausland diese Dinge nachprüfen kann? urufe rechts)
Gestern hat der Abgeordnete Graf Westary die Abhilfe verlangt aus der Kreditkrisis Er hat auf die Micum⸗Vertrãge hin hewiesen. Mit vollem Recht! Die Kreditkrisis ist nach zwei Rich-
lungen hin eine außerordentlich bedenkliche Krisis. Einmal sind
durch die Verhältnisse der Unübersichtlichkeik, ob das Gutachten an— genommen mird oder nicht, stagniert worden die Verhandlungen mit privaten aueländischen Kreditgebern. Zweitens kommt folgendes in Betracht: Der Angelpunkt des Gutachtens, von dem überhaupt seine Durchführung abhängig ist, ist das Zustandekommen der inter nationalen Anleihe von 800 Millionen Goldmark, die für das erste Jahr den Hauptteil der deutschen Leistungen decken soll. Diese 300 Millionen Goldmark fließen der deutschen Währungebank zu die darauf Noten ausgeben kann, die das Dreifache dieser Summe ausmachen. Wenn Sie sich einmal die heutige Situation in der Landwirtschaft, in der Wirtschaft ansehen, wenn Sie nicht in dieses vollkommen ausgedörrte Flußbett jetzt fremde Gewässer hineinleiten so werden wir alle mit verdorren mit dem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft. (Cebhafte Zustimmung in der Mitte und links. Infolgedessen kann man diese Dinge wirklich nicht so darstellen, wie sie vielfach dargestellt werden: als Abhängigkeit vom internationalen Kapital. Ach, meine Herren, wenn Sie während des Krieges nur etwas mehr von diesem ausländischen Kapital abhängig gewesen wären erneute lebhafte Zustimmung in der Mitte und links; Zurufe vechts), dann wäre vielleicht auch manche andere Einstellung der Welt gegenüber dem Ausgang des Krieges gewesen. (Sehr richtigl in der Mitte.)
Darf ich auf eines hinweisen, meine Herren, die Privatkredite, um die wir beute kämpfen, sind naturgemäß von der Konsolidierung der deutschen Verhältnisse abhangig. Sie werden nicht erwarten können, daß die Bestrebungen für die Erlangung solcher Kredite leichter weiden in einer Zeit, in der wir in Deutschland ohne feste Grenzen, obne Souveränität dastehen, und in der dasjenige Bild der deutschen Wirtschaft sich ergibt, das wir heute haben.
Ich darf Sie auf ein Letztes binweisen. In einem Telegramm des Oberprasidenten der Rheinptovim Fuchs ist hingewiesen worden — — — Guruf rechts: Bestellte Acbeit) — Ich habe es nicht bestellt¶ Ich glaube auch nicht, daß es irgendein anderer bestellt hat. Ich glaube, Sie verkennen wiederum vollkommen die Stimmung des besetzten Gebietes (lebhafte Zustimmung im Jentrum und links). wenn Sie glauben, daß ein Mann wie der Oberpräsident Fuchs etwas Derartiges sagen darf, wenn er nicht sicher wäre die Stimmung wiederzugeben, die hinter ihm steht.
Aber ich will auf eines binweisen. Wir haben im Herbst 1923 tine außevordentlich ernste Situation im Rhein land erlebt, die eine schwere Belastung der Erhaltung der Reichs einheit darstellte. Wir haben Bestrebungen erlebt, sich zunãchst wirtschaftlich zu verselbständigen gegenüber ¶ Deutschland. Dieser wirtschaftlichen Verselbständigung wären vielleicht andere Verselb-· ständigungen gefolgt Heute ist das nrrückgetveten, heute ist das ge ⸗ dämpft, weil alles auf das Zustandekommen dieser Verstãndigung hofft. (Gebhafte Zustimmung in der Mitte und links) Eine Ent— läuschung dieser Hoffnung aber könnte auch gleichzeitig die aller- schwersten innerdeutschen Folgen haben. (Sehr richtig! in der Mitte und links.) —
Gegenüber dem, was hier in diesen Bestimmungen des Gut⸗ achtens unzweifelhaft ein Plus gegenüber der heutigen Lage ist, ftehen
diejenigen Bestimmungen, die die neu iu gründende Bank, die die
neue Reichseisenbahn in eine Verwaltung bringen, bei der wir einmal um das Uebergewicht des deutschen Einflusses zu ringen haben, bei der wir weiter dafür Sorge zu tragen baben, daß nicht einmal jene Bestimmungen Platz greifen, die in dem Annex 4 des Sach⸗ verstãndigengutachtens zum Ausdruck gekommen sind und dem Kom missar das Recht geben sollen, einzelne Teile der Reichsbahn oder die ganze Reichsbahn zu verkaufen, wenn Sie nicht dasjenige er ⸗ bringt, was in den einzelnen Jahren an Erträgnissen verlangt wird. Es wird dieser Fall, in den ersten Jahren nicht praktisch zu werden brauchen, nicht praktisch werden können. Er wird zu einer Gefahr werden können in dem sogenannten Normaljahr und darüber hinaus, dann nämlich, wenn bei uns selbst anormale Zustände der Wirt⸗ schaft sind und infolgedessen die Summe, die der Reichsverband einst nannte, zwischen 0 Millionen und 1000 Millionen Mark, nicht herausgewirtschaftet werden kann. Es ist deswegen gerade in den letzten Tagen bei den Verhandlungen der Regierung der größte Wert darauf gelegt worden, diese Bestimmung nicht in dieser Härte be⸗ stehen zu lassen, mindestens dafür zu sorgen, daß, wenn die deutsche Eisenbahn die erwähnten Ertrãge nicht berauswirtschaftet, das Deutsche Reich sie aber aus anderen Quellen deckt, ein derartiges Recht des Kommissars nicht in Frage kommen kann. Sie werden in dieser Beziehung selbstverständlich die Reichsregierung an der Seite aller derjenigen finden, die in dieser Beziehung etwas durch⸗ setzen wollen, auch in bezug auf die Wahrung der Rechte der Länder bei dem Uebergang der Reichseisenbahn in ihre neue Organisation, und ich begrüße durchaus die Anregung, daß die Führer der Parteien zusammen mit der Reichsregierung über die Gestaltung des Bank⸗ wesens und der Reichseisenbahn verhandeln wollen.
Wenn aber diese Dinge ausgeräumt werden können, bleibt zweierlei, bleibt tiefste Beeinträchtigung in bezug auf Bankwesen, in bezug auf Eisenbahn, ein Einfluß internationaler Gewalten, die natur gemäß hier nicht in der Weise deutsche Eisenbahnpolitik treiben, wie wir sie vom deutschen Standpunkt aus früher haben treiben kömen. Es ist das tiefschmerzlich, in dem Sachverstãndigenbericht zu lesen: die einstige deutsche Eisenbahnpolitik und die, die uns jetzt aufgezwungen wird. Einst die deutschen Eisenbahnen als Faktor der Reichswirtschaft, um unserer Wirtschaft zu helfen, heute die Eisen⸗ bahn einfach als Träger einer Verzinsung, die herausgewirtschaftet werden muß. Aber ich frage mich das eine: wären wir nicht auch ohne Sachverstãndigengutachten aus unserer allgemeinen Finanznot heraus gezwungen worden, eine andere Eisenbahnpolitik zu treiben? Wir hätten uns den Luxus dieser früheren Eisenbahmpolitik nicht mehr leisten können. GZurufe rechts) — Von der habe ich ja ge⸗ sprochen! Ich habe doch gesagt, daß ich das als das Allerschwerste an⸗ sehe, die Aufgabe der Souveränität! — Immerhin halte ich es nicht für un möglich, daß die deutschen Vertreter im Verwaltungsrat der deutschen Reichsbahn, soweit diese über die genannten Summen hinaus Erträgnisse erzielen kann, von diesem Augenblick an auch wieder eine ECisenbahnpolitik alten Stiles werden treiben können. Aber bei dem heutigen Stande glaube ich nicht, daß wir bald dazu gelangen werden. Hier liegen eben die großen Debetseiten des Sachverständigengut⸗ achtens.
Zum Dritten liegen sie in den Summen, die von dem Normal jahr He0 an genannt sind. (Zuruf rechts: Also annehmen) — „‚Also annehmen“ — sagen Sie. Nein! Aber deshalb ist jeder, der die Verantwortung mitträgt — und dazu gehört meiner Meinung nach auch jeder Abgeordnete — vempflichtet, sich zu fragen, ob man des⸗
wegen alles aufs Spiel setzen kann, einmal das, was das Gutachten unzweifelhaft an Vorteilen gegenüber dem jetzigen Zustande bringt, und zweitens ist zu fragen, wie die weltpolitische Situation aus sehen würde, wo wir die ganze Weltkonstellation gegen uns haben, wenn wir uns dazu entschließen, das Sachverständigengutachten abzulehnen.
Nun hat der Herr Abgeordnete Graf Westarp gestern gesagt, es sei notwendig, daß zunächst die politischen Fragen eine Regelung er= fahren. (Zuruf rechts) — Ich glaube, Herr Dr. Quaatz, bei jeder Frage handelt es sich darum, die Vorteile und Nachteile gegen ⸗ einander abzuwägen und dann die Entscheidung zu treffen! Mit dem einfachen Ja oder Nein kommt man allerdings sehr schnell aus, wenn man diese Einzelheiten nicht nachprüfen will. — Also der Herr Ab⸗ geordnete Graf Westarp hat gestern zum Ausdruck gebracht, daß zunächst die politischen Fragen eine Regelung erfahren müßten, ehe man das Sachverständigengutachten annähme. Ich glaube, Herr Graf Westarp wird mit mir jwei Arten von politischen Fragen unterscheiden. Einmal handelt es sich um die politische Frage der Wiederherstellung der wirtschaftlichen und finanziellen Einheit des Reiches. Ich bemerke dazu ausdrücklich, daß zwar an einzelnen Stellen des Sachverständigengutachtens der Ausdruck „finanzielle und wirtschaftliche Einheit“, an einer anderen Stelle aber auch ausdrücklich der Ausdruck von der „Souveränität des deutschen Reiches“ sich findet, und ich kenn weiter als Auffassung der Regierung zum Ausdruck bringen, daß wir der Meinung sind, daß die Wiederherstellung der deutschen Verwaltungshoheit implicite in diese Wiederherstellung der deutschen wirtschaftlichen Souveränität eingeschlossen sein soll. (Sehr wahr! bei den Mittelparteien und den Sozialdemokraten.) Wir können nicht die Gewähr für eine vernünftige Steuerpolitik im besetzten Gebiet übernehmen, wenn nicht die Verwaltungs hoheit in unseren Händen ist, und wir können nicht die Gewähr für eine ungestörte Produktion übernehmen, wenn nicht die Ver waltungshoheit in unseren Händen ist. (Erneute Zustimmung.) Diese Dieg gehören zum Gutachten, diese Dinge wären also auch gedeckt bei Annahme des Sachverständigengutachtens.
Wenn aber die Kritik des Herrn Grafen Westarp sich etwa darauf beziehen sollte: wie sollen sich die Dinge in der Praxis vollziehen? wird nicht Frankreich zwar unserer Leistungen nehmen, aber mit seinen eigenen Leistungen in Verzug bleiben? so darf ich sagen Zuruf rechts — das ist eine Zweifelsfrage, die auch bei mir aufgekommen ist — daß wir von anderer Seite folgendem Vorschlag begegnet sind. Ich nehme einen Termin, den ich willkürlich setze: Annahme der vorgeschlagenen Gesetze von Deutschland am 1. Juli, Aufhebund der Bestimmungen Frankreichs in bezug auf die Zollinie und aller Bestimmungen des Sachverständigengutachtens innerhalb 14 Tagen bis zum 14. Juli, Inkrafttreten des Ganzen einen Tag nach Zurück = ziehung sämtlicher französischen Verordnungen, die sich darauf beziehen. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir nicht vorleisten, daß wir keine Leistungen übernehmen, ehe wir wissen, daß diese Voraussetzungen auch für uns sichengestellh sind. (Zuruf rechts) — Aber, lieber Herr Kollege, das ist doch wirklich ganz selbstverständlich! — Ich darf auch das eine sagen selbst auf die Gefahr hin, damit die höchste Er= regung des Herrn v. Graefe herauszuforder: ich bin der festen Ueberzeugung, wenn die französische Regierung das Gutachten an⸗ nimmt, daß wir dann auch ewwarten können, daß die franzöfische Regierung ihrerseits die Konsequenzen aus dem Gutachten zieht. (Zustimmung bei den Mittelparteien. Lachen rechts) Ich glaube, nach der Richtung hin wird schließlich die Mitwirkung aller an diesem Sachverständigengutachten beteiligten Nationen eine Garantie sein, wie sie in dieser Stärke bisher in der Welt wohl nicht gewesen ist. (;urufe rechts) — Ganz recht, Herr Graf Westarp; aber ich habe ja gerade darauf hingewiesen, daß der Eintritt der Vereinigten Staaten hier tatsächlich ein Novum ist, und ich glaube, Sie werden mir zugeben, ohne daß ich das im einzelnen ausführe, daß die Ver⸗ einigten Staaten mehr Mittel haben, ihrer Antipathie gegen eine Nichtausführung des Sachverständigengutachtens praktisch Ausdruck zu geben, als irgendeine andere Macht der Welt. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.)
Dann kommt eine zweite Reihe von Fragen: das ist erstens die Frage der Gefangenen, weitens die Frage der Aus gewiesenen, drittens die Frage der militärischen Räumung des Ruhrgebiets.
Meine Herren, die Fragen 1 und 2 — Gefangene und Aus gewiesene — sind in dem Sachverständigengutachten nicht behandelt, konnten in ihm nicht behandelt sein, da das Gutachten sich ja aus drücklich auf wirtschaftliche Fragen beschränkte. Es ist die Aufgabe der Regierung, die Durchführung beider Forderungen zu sichern, und die Nachrichten, die die Regierung über diese Fragen hat, über die sie seit Wochen nun mit den übrigen Regierungen in Verbindung steht, lassen erkennen, daß die Forderung der deutschen Regierung auf Frei⸗= lassung der Gefangenen und Ausgewiesenen auf allseitiges Ver— ständnis bei den anderen Nationen gestoßen ist. Hier scheint mir die Sicherung deshalb durchaus möglich zu sein
Was die militärische Räumung betrifft, so ist diese im Gut achten mittelbar erwähnt. Es ist an der Stelle, die im englischen Text die Ueberschrift trägt: „Military Aspects“, davon gesprochen, daß die Sachverständigen keine andere Kontrolle zulassen könnten als diejenige, die sie selbst in diesen Gutachten genannt hätten Das bedeutet im Zusammenhang mit der Ueberschrift, daß sie eine militärische Kontrolle, ein militärisches Eingreifen in die wirtschaft⸗ lichen Verhältnisse nicht zu billigen vermögen.
Diese Erklärung der Sachverständigen ist aber lediglich darauf abgestellt, daß eine verbleibende militärische Besetzung in die Produk⸗ tivität und Wirtschaft nicht eingreift. Sie ist in keiner Weise — und das konnten die Sachverständigen auch nicht tun — eine Erklärung, daß die militärische Besetzung selbst aufhören muß. Deshalb ist nach Meinung der Regierung darauf hinzuwirken, daß ein bestimmter Endtermin der völligen militärischen Räumung des Ruhrgebiets terminmäßig oder sachlich in Aussicht stehen muß. Wenn ich sage sachlich“, so meine ich damit etwa eine Formulierung, die, ohne sich an bestimmte Termine zu binden, von der Durchführung bestimmter Gesetze, von der Durchführung bestimmter Leistungen diese militärische Räumung abhängig macht. Gibt die Annahme des Sachverständigen gutachtens Frankreich die Garantie bestimmter Leistungen, so muß es auch auf alles verzichten, was die deutsche Produktivität schädigt. Zu dieser Schädigung der deutschen Produktivität gehört unmweifelhaft auch das Fortbestehen der militärischen Besatzung des Ruhrgebiets. (Sehr richtig) Der Block der Linken, der ja wohl gegenwärtig in Frankreich zur Herrschaft kommen wird (nal na! rechts) — ich habe gesagt: der ja wohl zur Herrschaft kommen wird; ich glaube, das ist