1925 / 116 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 19 May 1925 18:00:01 GMT) scan diff

Bisher wurden die Pferde mit einer Verwaltungegebühr von 10 4 pro Kopf eingeführt, was, weiß der Himmel, kein praktischer Zollschutz war. Wenn wir dieses Kontingentierungssvstem weiter aufrecht⸗ erhalten hätten, so hätte sich eine Ringbildung der Pferdehändler geieigt. Außerdem hätte der Handel mit Einfubrscheinen immer größeren Aufichwung genommen. Die einzig mögliche und reinliche Lösung war die, die Einfuhrsperre aufzuheben und als vorübergehende Zwischenlösung den autonomen Friedenszoll einzusetzen, der, wie ich erkläre, natürlich nur vorübergehend wirksam sein soll und, sobald wir die Zollvorlage haben, durch den autonomen Zoll ersetzt wird, der in der Zollvorlage steht.

Auf Wunsch der Landwirtschaft wurde außerdem von mir die Ausfuhr von allen Tieren freigegeben. Wenn man die Ausfuhr von allen Tieren freigibt, kann man aber nicht die Einfuhr von allen Tieren sperren. Das ist tatsächlich auch für den Landwirt., der obiektiv denkt, eine unbegründete Forderung. Ich konnte das nicht tun, vor allen Dingen, da die Nachbarstaaten sich auch anschickten, ihre Einfuhrverbote vor allen Dingen für deutsches Vieh außtzuheben. Nun versuchte ich zuerst, um die Aufhebung der Einfuhrsperre, von der ich natürlich nur sehr ungern im Interesse der Pferdezucht ab— ging, doch noch etwas aufzuhalten, indem ich bestrebt war, die Ver waltungsgebühren pro Kopf zu erhöhen damit der Anreiz für die Gesuche um Einfuhr etwas nachließe. Ich schlug einen Satz von 100 4 pro Pferd vor, den das Reichfinanzministerium und ich muß zugeben. auch mit einer gewissen Berechtigung ablehnte, mit der Begründung, eine Verwaltungsgebühr von 100 4 pro Pferd sei ein effektiver Zoll, und man könne nur den autonomen Satz von 90 4 vom Frieden einführen. was ich ja dann auch getan habe. Ich habe mich jedenfalls nun bald zwei Jahre meiner Ministertätigkeit gegen die Aufhebung der Einfuhrsperre gewehrt. Es war aber aus den gekennzeichneten außenpolitischen Gründen und dann auch infolge der Unmöglichkeit, das Kontingentierungssystem weiter beizubehalten, beim besten Willen nicht möglich, den beste henden Zustand weiterbestehen zu lassen. Hätte ich die Einfuhrsperre länger aufrechterhalten, so hätte es auch passieren können, daß z. B. bei einem Regierungswechsel, der doch immerhin möglich war, die Einfuührsperre von meinem Nachfolger aufgehoben worden wäre, ohne daß dann irgendein Zollsatz bestünde.

Nun hat das Reichefinanzministerium, das ja federführend in diesen Dingen ist, die Zollstellen angewiesen, beim Hereinlassen der Pferde sehr genau feststellen zu lassen, ob die Pferde auch nicht etwa einen Wert von über lo00 4. haben. Augenblicklich liegen die Dinge so, daß Pferde unter 1000 4 einen Zoll von 90 4A, den alten auto⸗ nomen Friedenssatz, ragen und Pferde über 1000 AK den 180⸗Maik— Zoll für die zweithöhere Klasse. Es ist auch in dieser Hinsicht bei den Zollstellen durch Umfrage festgestellt worden, daß im Verhältnis zum Frieden, wo eigentlich auch die teuersten Pferde zu dem geringsten Zolljatz hereinkamen, jetzt relativ mehr zu dem zweithöchsten Satz, nämlich zu 180 M, bereinkommen als im Frieden. Es sind, nachdem die Einfuhrsperre vier Wochen besteht, im Monat April 600 Pferde mehr als im April vorigen Jahres in ganz Deutschland eingeführt worden. Ich möchte damit die Zahl, die ich im Hauptausschuß sür die ersten drei Wochen der Einfuhrsperre gegeben habe, ergänzen; ich sprach damals nur vom Finanzamtsbe nk Schleswig⸗Holstein. Daß die Einfuhr in der ersten Zeit nach Aufhebung der Sperre etwas junehmen würde, war klar. Wenn die Befürchtungen der Landwirt— schaft richtig gewesen wären, hätten eigentlich Tausende und Hundert— tausende von Pferden eingeführt werden müssen. Im Februar z. B. behauptete eine Vertretung von Pferdezüchtern, sie wüßte genau, daß in Amenka bereits bumderttausend Pferde gekauft seien und zum Trant port nach Deutschland bereitständen, sobald die Sperre aufhöre, Wir sehen ich sage: Gott sei Dank —, daß die Befürchtungen für einen zu starken Import tatsächlich unbegründet sind Vie 600 Pferde, die sich aufs ganze Deutsche Reich verteilen, üben wat⸗ sächlich nicht den geringsten Druck auf die Märkte aus. Vor allen Dingen ist ja ein Teil dieser Pferde schon immer nach Bayern ein— geführt worden; Oesterreich bat ja ein Epportkontingent nach Bayern. Die Anzahl von 600 Pferden ist vor allem in der Zeit der Frühjahrebestellung, wo die Nachfrage immer besonders stark ist, relativ gering. Ich hatte mit einer sehr viel höheren Ziffer gerechnet.

Wir wollen doch einmal die materielle Seite der Sache mit nur einigen Worten beleuchten. Unter der Kontingentierung der Einfubr— sperte sind im April 1924 4800 Pferde zu der Veiwaltungèsgebühr von 10 4 pro Kopf hereingekommen. Jetzt nach Aufhebung der Sperre sind 600 Pferde mehr hereingekommen zu dem Zollsatz von g0 und 180 A. Tatsächlich hat die Landwirtschast also sinantiell besser abgeschnitten als im Vorjahre um dieselbe Zeit. Ich und jeder Reichtlandwir!sschaftsminister in meiner Lage hätte das Kontingentie⸗ run ge vstem nicht etwa drosseln können, sondern hätte es allmäblich jmmer mehr lockern müssen. Tatsächlich liegen die Dinge jedenfalls so, daß der materielle Erfolg für die Pferdezucht treibende Landwirt- schaft heute immer besser ist als unter der sehr gelockerten Einfuhr⸗ sperre und dem Kontingentierungssystem mit der absolut unzureichenden Verwaltungègebühr.

Der Herr Abg. Wormit hat gestern heworgehoben, daß die Preise auf den Pferdeauftionen in Osspreußen nach Aufhebung der Ginfuhrsperre fehr heruntergegangen seien. Nun muß ich sagen, daß nach der Praxis des ganzen Pferdehandels und des Pferdegeschäfts Auktionen niemals der richtige Wertmesser für die Preise sind. Auch in der Zeit absolut hoher Pferdepreise kommt es vor, daß Auktionen stattfinden, bei denen die Preise ohne jede Begründung ganz tief stehen. Bei anderen Auktionen gehen sie dann wieder sprungweise in die Höhe. Der richtige Wertmesser ergibt sich nur aus der Statistik der Preise an den öffentlichen Pferdemärkten. Eg ist sogar sestgestellt, daß die Preise nach der Aufbebung der Pferdesperre im allgemeinen nicht gefallen sind; sie baben sich auf derselben Höhe gehalten und sind sogar in einzelnen Gegenden etwas gestiegen. Ich möchte doch bitten, daß die Plferde⸗ zächter, die heute natürlich in großer Aufregung sind, sich doch von jeder Krisenphsychose fernhalten. Ich weiß ja selbst, wie so etwas in der Landwirtschaft lawinenartig wächst. Ein Pserdezüchter trifft den anderen und sagt ihm: Hast Du schon gehört, die Einfubrsperre ist aufgehoben? Der nächste sagt: Ja, es sollen schon soundsoviele Pferde hereingelassen sein. Der übernächste sagt: Weißt Du schon? es sind 100 Pferde hereingelassen! Selbstverständlich gebe ich dem Abg. Wormit darin recht, daß eine gewisse Depression bei Pferde geschäften eintreten kann. Aber vielleicht interessiert es den Hermn Abgeordneten Wormit, der doch Ostpreußen vertritt, wo eigentlich nur

leichtere Pferde vroduziert werden. daß unter den ba00 Pferden, die im April in ganz Deutschland einge sührt sind, nur 280 kleine leichte Pferde waren.

Nach dem Gesagien besleht, glaube ich, kein Anlaß dafür, dle Aufhebung der Einfuhrsperte sosort wieder rückgängig zu machen. Sollten sich wirklich erbebliche Schädigungen der Pferdezucht ergeben, so wird die Regierung selbstverständlich alles tun, um ein zu großes Anwachsen der Einfuhrziffern zu verhindern, wozu sie ja in der Lage ist. wenn auch allerdings nicht verichwiegen werden soll, daß eine Wiederrückgängigmachung der Aufhebung der Einfuhrsperre natürlich handelspolitisch und außenpolitisch große Bedenken hat.

Meine Damen und Herren! Ich möchte noch kurz auf die An— frage der Frau Abgeordneten Wurm antworten, die leider heute nicht da ist. Sie betrifft die Milchversorgung Deutschlands. Eine Milch, statistik in der Vorkriegszeit hat es in Deutschland überhaupt nicht gegeben. Die einzige Statistik, die wir hatten, war die Eisenbabn⸗ statistik. Nach dieser sind im Jahre 1911 das sind die letzten Ziffern, die vorliegen 300 Millionen Liter Milch mit der Bahn nach Berlin geführt worden. Dazu kommt noch die Milch die in den Abmelkewirtschaften, die ja hier in Berlin selbst in großem Umfange bestanden, erzeugt wurde. Danach dürfte im Frieden täglich etwa eine Million Liter per Achse und per Eisenbahn hereingekommen und außerdem 200 000 Liter in Berlin erzeugt sein, so daß man mit einem tatsäch⸗ lichen Frischmilchverbrauch von 1,? Millionen Liter in Berlin hat rechnen können. Der Frischmilchverbrauch entfernt sich nicht mehr sehr stark von der Friedensziffer. Im Jahre 1924 sind zum Beispiel mit der Bahn nach Berlin schon wieder 251 Millionen Liter Frisch⸗ milch befördert worden gegen 300 Millionen Liter im Frieden. Gegen⸗ wärtig wird nach Schätzungen angenommen, daß täglich etwa 800— his 8h0 000 Liter Milch nach Berlin eingeführt werden und 160. bis 200 000 in den hiesigen Abmelkwirtschaften erzeugt werden, so daß jetzt schon tatsächlich wieder mit einem Konsum von annähernd einer Million Liter Milch gerechnet werden kann.

Der Rückgang des Milchkonsums ist auf folgende Gründe zurück— zuführen: einmal natürlich auf die noch immer mangelhafte Kaufkraft der Bevölkerung, die ich in keiner Weise bezweifle, und dann auf die Entwöhnung der Bevölkerung vom Frischmilchverbrauch während des Kriegeß.

Es ist klar, daß auch andere Gründe für den minderen Verbrauch von Milch mitsprechen. So z. B. ist es vielleicht doch interessant, die Zahlen des Rückgangs der Geburtenziffern zu geben. Die Frau Abgeordnete Wurm hat gerade darauf hingewiesen, daß im Frieden die Milch hauptsächlich von Säuglingen konsumiert sei. Wenn wir sehen, daß im Jahre 1913 auf 1000 Einwohner in Berlin 202 Ge— burten fielen, im Jahre 1924 nur 10,2, so spricht das selbstverständlich auch beim Konsum von Frischmilch mit; denn ärmere Familien leisten sich Frischmilch doch nur für die kleinen Kinder und für die Säuglinge.

Dann ist der sehr herabgeminderte Verbrauch von Frischmilch wie ich gestern, glaube ich, bereits schon ausgeführt habe auf den sehr gesteigerten Verbrauch von Kondensmilch zurückzuführen. Ich will noch einmal die Ziffern geben, damit die Damen und Herren sehen, wie die Verhältnisse da liegen. Im Jahre 1913 wurden in Deutschland intgesamt nur 518 Doppelzentner Kondensmilch einge⸗ führt, im vorigen Jahre dagegen 82 567 Doppelzentner, zwei Zahlen, die in gar keinem Verhältnis mehr zueinander stehen.

Die Hebung des Frischmilchkonsums ist eine der ernstesten Aufgaben, die dem Ernährungsministerium in der nächsten Zeit obliegt. Wir müssen immer bedenken, daß die Milch im Verhältnis zu ihrem enormen Nähr⸗ wert das bei weitem billigste Nahrungsmittel ist, das es gibt. Ich darf auch vielleicht die Frau Abgeordnete Wurm, die immer die paradiesischen Zustände in Amerika anführt, darauf hinweisen, daß das Liter Frisch⸗ milch in Berlin 26 bis 28 Pfennig kostet, in Philadelphia, Chikago, New Jork dagegen 44 Pfennig. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Da sind auch die Löhne dreimal so hoch wie hier! Ich glaube, das fann man nicht absolut mit den Löhnen in Zusammenhang bringen. Bei ande ren Gelegenheiten führen Sie doch wieder genau die entgegengesetzte Beweisführung. Jedenfalls liegen die Dinge so, daß die Produzentenpreise und die Kleinhandelspreise für Milch in Amerika um ein ganz erhebliches teurer sind, als in Deutschland. Wir können uns doch nur freuen, daß die Milch hier billiger ist als in Amerika.

Wir müssen nun eine recht erhebliche Propaganda zugunsten des Frischmilchkonsums hier in Deutschland machen. Es wird nötig sein, in allen Schankstätten auf den enormen Wert des Milchver⸗ brauchs hinzuweisen und darauf hinzuwirken, daß auch in den Schank⸗ stätten wieder Milch angeboten wird. (Abgeordneter Soll- mann: Machen Sie doch ein Schankstättengesetzh Viel—⸗ leicht bringen Sie das an der richtigen Stelle an. (Ab- geordneter Sollmann: Sagen Sie es Ihrem Ministerkollegen h

Dann hat die Frau Abgeordnete Wurm an mich die Frage ge richtet, ob ich persönlich die Uebertragung der Veterinärangelegen⸗ beiten, die augenblicklich beim Reichsinnenministerium bebandelt werden, auf mein Amt wünschte. Auf diese Frage antworte ich sehr gern mlt Ja, und zwar im Hinblick auf die Praxis sämtlicher großer Länder der Welt. In allen großen Ländern der Welt werden die Veterinär angelegenheiten bei dem betreffenden landwirtschaftlichen Ressort be= handelt, weil ja Veterinärpolizei und »aufsicht und Förderung der Viehzucht tatsächlich zwei Dinge sind, die gar nicht zu trennen sind. (Sehr richtig! rechts) Ueber diese Angelegenbeit wird aber in den Kreisen der Reichsregierung selbst intern verhandelt, das Für und Wider noch beraten, und ich kann beim besten Willen nicht sagen, wie die Sache schließlich endgültig laufen wird. Sie ist jedenfalls augen⸗ blicklich noch im Stadium der Vorverhandlung.

Dann bat die Frau Abgeordnete Wurm gefragt, ob mir bekannt sei, daß in Berlin hinsichtlich der Bebandlung des ausländischen Fleisches große Mängel bestehen. Die geschlachteten polnischen Schweine müßten vom Zentrabpiebhof nach dem Westhafen geschafft werden, was sehr oft, namentlich bei Hitze, ein Verderben des Fleisches zur Folge hatte. Die Verhältnisse liegen da so: es steht den An— lieferern von im Augland geschlachteten Schweinen frei, die ge⸗ schlachteten Tiere an einer Grenzuntersuchungsstelle oder in Berlin im Westhajen untersuchen zu lassen. Wenn sich also die Anlieserer darüber beschweren, daß die Schweine, die bier in Berlin nach dem Westhafen zur Untersuchung gehen, verderben, dann müssen sie selbst dafür sorgen, daß diese Schweine an der Grenze untersucht werden; dann fällt nämlich die Untersuchung in Berlin weg. Es ist jeden falls an sich nicht nötig, daß das Fleisch bier einmal ausgeladen und dann in der Hitze im Westhafen wieder umgeladen wird.

Dann hat die Frau Abg. Wurm beanstandet. daß die aus Polen eingefübrten geschlachteten Schweine sehr strengen seuchenpolizeilichen Vorschriften unterliegen, vor allem, daß der Zusammenhang der Organe mit dem Tierkörper verlangt würde. Meine Damen und

Herren! Das ist zur Feststellung der Trichinen nötig. Es bat sich in

sehr vielen Fällen herausgestellt, daß die Körper von geschlachteten Schweinen trotzdem die Innereien entfernt waren, noch Seuchen bazillen trugen, daß aber auch in sehr vielen Fällen Bafillen nur festzustellen waren, wenn die Inneieien dabei waren. Die Länder regierungen, die diese Dinge zu behandeln haben nicht etwa die Reichs regierung baben sich auf den Standpunkt gestellt, daß es im Interesse der Verbraucher liegt, zu verlangen, daß die Innereien der Schweine noch an dem Tierkörper sein müssen. Ich möchte übrigens darauf hinweisen, daß das eigentlich alles der Reichs innen— minister zu beantworten hat und bitte Sie, wenn Sie das bean— standen, sich an ihn zu wenden. e

Dann hat die Frau Abg. Wurm gefragt, ob etwa beabsichtigt sei um die Einfuhr von Gefrierfleisch zu hindern, das Auftauen des Gefrierfleisches anzuordnen. Mir ist von einer solchen Absicht nichts bekannt, und ich glaube auch nicht. daß sie ausgzeführt werden wird; denn die Einfuhr von Gefrierfleisch wäre natürlich ein Unsinn, wenn man verlangen würde, daß das Fleisch vor dem Konsum oder, bevor es in die Läden käme, aufgetaut würde.

Die Rede, die der Reichsminister Graf von Kanitz zu der Etatsposition zur Förderung der Seefischerei hielt, lautet nach dem jetzt vorliegenden amtlichen Stenogramm wie folgt:

Meine Damen und Herren! Ich begrüße dankbar das große Interesse, welches das hohe Haus an dem schwer daniederliegenden Fischereigewerbe genommen hat und welches sich in der Bereitstellung erheblicher Mittel in meinem Etat für Kreditzwecke und andere Zwecke dokumentiert Der Herr Abgeordnete Runkel hat bemängelt. daß ich nicht gleich höhere Summen in den Etat eingestellt habe. Das war nicht möglich, weil bei der Aufstellung meines Etats die Kassenlage des Reichs noch nicht übersichtlich genug war und das Reichsfinanzministerium sich erst im letzten Moment entschließen konnte, die 3 Millionen Mark für Kreditzwecke zur Verfügung zu stellen. Ich stelle gern in Aussicht, daß ich wie bisher auch weiter im Sinne der Entschließungen zu c unter 1a bis 3 für das Fischereigewerbe tätig jein werde, welches ja einen ganz erheblichen Faktor bei der deutschen Volksernährung stellt. Ich mache aller dings darauf aufmerksam, daß wir nicht sofort alles erforderliche er reichen können und froh sein müssen, wenn wir zu allmählicher Besserung gelangen.

Zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Obendiek möchte ich folgendes sagen. Sachlich hat er sich ja nicht gerade mit dem

Problem der Volksernährung beschäftigt, aber nach dem recht gesunden

Stimmumfang zu urteilen, mit dem er mich „Hungerminister“ titulierte, muß ich zu meiner Befriedigung feststellen, daß er dan meiner vorsorglichen Ernährungspolitik sich selbst jedenfalls einer rech befriedigenden Vitalität erfreut. (Heiterkeit. )

62. Sitzung vom 18. Mai 1925, Nachmittags 3 Uhr. Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger). )

Am Regierungstische: Reichskanzler Dr. Lu her, Reichs⸗ außenminister Dr. Stresemann. . ;

Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 3 Uhr 20 Minuten ünd

gedenkt des furchtbaren Grubenunglücks bei Dorstfeld, dem wieder 40 Bergarbeiter zum Opfer gefallen sind Eine ständige Unruhe er— fasse nicht nur die Bergarbeiterschaft, sondern auch weite Kreise der Bevölkerung, wenn die Wiederkehr solcher Unglücksfälle nicht ver— hindert werde. Der Prãsident spricht den Hinterbliebenen das herz⸗ liche Beileid des Reichetags aus und den heldenmütigen Rettungés⸗ mannschaften Anerkennung und Dank. Es müsse endlich alles ge⸗ a. um für die Zukunft solche Unglücke salle unmöglich zu machen. . ö . : Abg. Neubauer (Komm.) verlangt die sofortige Behandlung einer Interpellation, in der schwere Vorwürfe gegen die Zechen verwaltungen erhoben werden und ihnen die alleinige Schuld an solchen Unglücksfällen zugeschoben wird.

Abg. Win nefeld (D. Vp.) protestiert gegen diese einseitigen Angriffe der Kommunisten, für die nicht die Spur eines Beweises vorliege. Die Kommunisten verständen vom Bergbau so viel wie die Kuh vom Sonntag. (Großer Lärm der Komm) Man könne niemanden zum Tode verurteilen, ohne ihn vorher gehört zu haben. (Zuruf b. d. Komm.: Agent! Sie sind Agenten Rußlands und haben in Deutschland nichts zu suchen. (Anhaltender großer Lärm der Komm.) .

Gegen die sofortige Behandlung der kommunistischen Interpellation wird Widerspruch erhoben.

Das Haus tritt dann in die zweite Lesung des Reichs⸗ , . des Auswärtigen Amts und der

eich skanzlei ein. Verbunden mit der Aussprache werden sämtliche Interpellationen über auswärtige Politik.

Abg. Dr. Hoetz sch (D. Nat.) berichtet über die Ausschußverband⸗ lungen. Ein weiterer Abbau und weitere Zusammenlegungen unserer auswärtigen Vertretungen seien nicht mehr möglich. habe auch der Sparkommissar anerkannt Dringend erforderlich sei eine Reform des Seminars für orientalische Sprachen. .

Abg. Taubadel (Soz) berichtet über die Ausschußberatungen bezüglich der Reichskanzlei.

Reichsaußenminister Dr. Stresemann: Der Haus⸗ halt splan des Auswärtigen Amts für 1925, wie er Ihnen nach der Beratung im Haushaltsausschuß jetzt vorliegt, ent⸗ spricht im wesentlichen der ursprünglichen Vorlage, die die Reichs regierung Ihnen gemacht hat. Wie Ihnen die Herren Referenten des Ausschusses gern bestätigen können, ist dieser Haushaltsplan dort in mehrtägigen Beratungen einer sehr gründlichen Nachprüfung unterzogen worden. Mir liegt es besonders am Herzen, vor dem hohen Hause dem Haushaltsausschuß, insbesondere aber den Herren Referenten dafür zu danken, daß sie die Prüfung mit ebenso strenger Sachlichkeit wie großem Interesse und Verständnis für unsere For⸗ derungen und die dringlichen Bedürfnisse des auswärtigen Dienstes? vorgenommen haben. Auch die im Haushaltsausschuß von mir vorgetragenen Grundgedanken, die uns bei der Aufstellung dieses Haushaltsplanes leiteten, haben ich kann wobl sagen die Zu⸗ stimmung aller Parteien gefunden, die bei den Beratungen vertreten waren. Ich bin für diese bereitwillige Mitarbeit des Reichstags deshalb besonders dankbar, weil sie mir die Ueberjeugung gibt, daß die Wege, die wir verfolgt haben, die richtigen sind, und daß ich, wenn wir auf ihnen fortschreiten, der Zustimmung des hohen Hauses auch weiterhin sicher bin. ; .

Meine Herren, mit dem Haushaltsplan für 1925 haben wir neue Wege eingeschlagen. Ich babe mich in voller eber einstimmung mit dem Haushaltsausschuß befunden, als ich erklãrte, daß der Abbau des auswärtigen Dienstes nicht nur endgültig beendet sei, sondern unsere politischen und wirtschaftlichen Interessen uns

) Mit Ausnabme der durch Sperrdruck bervorgebobenen Reden der 2 Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

zum Ausbau unlerer Auslandsvertretungen drängen. Ich wiederhole auch vor dem hohen Hause ausdrücklich, daß dadurch das Auswärtige Amt nicht von der Verpflichtung freigesprochen ist, wie die anderen Ressorts zu sparen, wo es angängig ist, und in einem Maße, wie es im Interesse unserer Finanzen nötig ist.

Wir haben deshalb auch im vorliegenden Haushaltsplan keine neuen Stellen im Inlande angefordert. Das sachliche Bedürfnis dafür wäre nach Art und Umfang der zu bewältigenden Geschäfte im hohen Maße vorhanden und seine Befriedigung wäre zur günstigeren Gestaltung der gegenwärtigen Verhältnisse im aus- wärtigen Dienst dringend zu wünschen gewesen; warten doch nicht

weniger als 102 höhere Beamte der Gehaltsklasse B im Alter von

386 bis 54 Jahren seit langem vergeblich auf ihre Beförderung. Ebenso ungünstig sind die Büro⸗ und Kanzleibeamten des Auswärtigen Amts gestellt. Das geht beim Kanzleidienst des Auswärtigen Amts soweit, daß sich Anwärter nicht mehr melden und der Nachwuchs damit über⸗ haupt in Frage gestellt ist. Im Bürodienst liegen die Verhältnisse so, daß unsere tüchtigsten Ministerialamtmänner, wenn überhaupt, erst in den letzten Dienstjahren mit einem Aufstieg nach Gruppe XI rechnen können.

Wir haben aber den Willen zum Sparen, wo es möglich ist, im vorliegenden Haushaltsplan noch weiter gelrieben. Nachdem wir bereits im Vorjahr einen Abbau allein in der Zentralbehörde um nicht weniger als 26 Prozent durchgeführt haben, sind wir jetzt im Begriff, durch Schaffung einer zweckmäßigeren Organisation und einer wesentlichen Vereinfachung des technischen Dienstes eine weitere Ersparnis von etwa 100 Angestellten herbeizuführen. Meine Herren, das ist ein weiterer Abbau in einem Maße, der Ihnen auf den ersten Blick fast undurchführbar erscheinen wird, wenn Sie bedenken, daß neben den zahlreichen laufenden Arbeiten das Auswärtige Amt zurzeit mit einer Anzahl von politischen Sonder verhandlungen sowie den schwebenden Handel svertragsverhandlungen belastet ist. Jeder Beamte und jeder Angestellte ist im Uebermaß beschäftigt und keiner von ihnen wäre gegenwärtig zu entbehren, wenn wir nicht im Wege organisatorischer Vereinfachungen des Ge⸗ schäftsbetriebs den Abbau bewerkstelligten. Darüber hinaus wollen wir wieder stärker als bisher den Charakter des Auswärtigen Amts als außenpolitische Zentralbehörde betonen, indem wir alles, was nicht unbedingt in den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts ge⸗ hört, im allgemeinen den inneren Ressorts überlassen und unsere leitenden Beamten durch organisatorische Maßnahmen für die eigent⸗ lichen Aufgaben der auswärtigen Politik von unnötiger Arbeitslast befreien. .

Wenn wir aber in der Zentralbehörde eine so durchgreifende Sparsamkeitspolitik betreiben, so kann ich um so weniger den gleichen Weg noch länger im Auslande verfolgen. Ich kann nicht länger die Verantwortung dafür übernehmen, daß die Gestaltung unseres. auswärtigen Dienstes lediglich nach fiskalischen Gesichts— punkten fortgeführt wird. Bei unseren Auslandsvertretungen ist, wie mir selbst der Herr Sparkommissar in einem Schreiben vom vorigen Herbst ausdrücklich zugegeben hat, der Abbau zu weit getrieben worden. Wenn nicht unseren auswärtigen Interessen, insbesondere der deutschen Wirtschaft, im Auslande unheilbarer Schaden zugefügt werden soll, müssen wir mit dem Abbau nicht nur einhalten, sondern in dem Maße, wie es unsere politischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse fordern, den auswärtigen Dienst weiter ausbauen.

Unser Auslandsdienst bleibt gegenwärtig noch weit hinter der Zahl der Auslandsvertrekungen zurück, welche wir vor dem Kriege unterhielten. Insbesondere sind die Interessen der deutschen Wirtschaft im Auslande noch völlig unzureichend berücksichtigt, was Sie ohne weiteres daraus ersehen, daß wir heute noch nicht die Hälfte der Vorkriegskonsulate wiedererreicht haben. In den Ver⸗ einigten Staaten von Amerika zum Beispiel hatten wir vor dem Kriege 12 Berufskonsulate, heute nur 4, in China vor dem Kriege 16, heute 7, in Brasilien 8, heute 2. Aehnlich sind die Verhältnisse in anderen Ländern. Ich wundere mich nicht, wenn die deutschen Expor⸗ teure und die deutsche Wirtschaft in Denkschriften und sonstigen Ver öffentlichungen lebhaft darüber Klage führen, daß ihnen oft bei der Wiederanknüpfung der Wirtschaftsbeziehungen zum Auslande die Unterstützung und Förderung des noch nicht genügend ausgebauten Auslandsdienstes fehlt, der für den deutschen Außenhandel doch eigent⸗ lich der Schrittmacher sein sollte. Wir müssen deshalb überall dort, wo in der nächsten Zeit mit der Entwicklung unserer wirtschaftlichen Beziehungen zu rechnen ist, sobald wie möglich an die Errichtung pon Konsulaten denken. Aus dieser Erwägung heraus haben wir uns nicht mit den wenigen Auslandsvertretungen, die der im vorigen Jahre aufgestellte Hauptetat vorsieht, begnügen können.

Schon bei der Debatte des Haushaltsausschusses über den be— veits im Herbst v. J. aufgestellten Etat für 1925 hat sich heraus- gestellt, daß die Verhältnisse sich inzwischen in einem Maße geändert haben, daß gewisse organisatorische Maßnahmen im Amt und ein schnellerer Ausbau des Außendienstes unaufschiebbar ist.

Vor einigen Tagen hat daher die Reichsregierung dem hohen Hause einen ErgänzZungse gat vorgelegt, in welchem wir die Errichtung einer Reihe von weiteren Auslandevertreiungen schon jetzt beantragen. Darunter befinden sich übrigens auch die Konsulate, deren Existenz wir in Frankreich im Zusammenhang mit den schwebenden Handelsvertragsverhandlungen in Aussicht genommen haben.

Auch mit den Auslandsvertretungen, welche wir im Ergänzungs- elat anfordern, bleiben wit immer noch erheblich hinter der Gesamt⸗ zahl von Konsulaten zurück, welche wir vor dem Kriege im Auslande hatten.

Meine Herren. Wir haben wirklich nur Konsulate für solche Orte angefordert, wo ihre Einrichtung mit Rücksicht auf unsere wirt⸗ schaftlichen Interessen besonders dringlich ist. Unsere Industrie und unser Handel befinden sich gegenwärtig auf dem Weltmarkt in einer überaus schwierigen Lage ich brauche Ihnen das nicht näher aus- zuführen Da müssen wir so schnell wie möglich alles tun, was ihnen die Wiederanknüpfung wirtschaftlicher Beziehungen erleichtert.

Bevor ich auf die Beziehungen Deutschlands zu den einzelnen Ländern eingehe, möchte ich mit einigen Worten der Lage des Auslandsdeutschtum s gedenken.

Langsam und in schwerster Arbeit nur gelingt es dem deutschen Kaufmann, dem deutschen Techniker und allen anderen Landsleuten, die sich draußen in der Welt als Pioniere des Deut sch tums niedergelassen haben, sich von den schweren Schlägen zu erholen, die sie im Kriege und in der Nachkriegszeit trafen. Fast überall sahen sie das Werk einer Lebengzarbeit vernichtet. Von Grund aus neu mußten sie ihre Existenz aufbauen, oft in stetem Kampfe gegen blindes Vorurteil, dem in vielen Sandern alles Deutsche ausge setzs blieb.

Was hier an zäher und unermüdlicher Arbeit von unseren Landsleuten geleistet wurde und noch heute geleistet wird, können wir nur ahnen. Aber wir sehen mit tiefster Befriedigung, wie deutsche Tüchtigkeit und deutscher Fleiß Schritt für Schritt den verlorenen Boden zurück-

gewinnt, und wie immer mehr im Auslande die Einsicht zurückkehrt, daß hierin keinerlei Gefahr für das Gastland liegt, sondern daß im

Gegenteil die Früchte dieser deutschen Arbeit in erster Linie dem Gastlande selbst zufallen.

Mit innigster Teilnahme endlich verfolgen wir das Schicksal jener vielen Millionen Volksgenossen, die zwar durch die Bande des Blutes und der gemeinsamen Kultur mit uns unzertrennlich verbunden sind, die aber als Angehörige eines fremden Staates leben müssen, sei es als Folge einer langen historischen Entwicklung, sei es als Folge der Verträge von 1919. Fast überall stehen sie im Kampfe um die Er⸗ haltung ihres Volkstums, einem Kampfe, der um so schwerer wird, je näher sie unseren Grenzen wohnen. Unsere Wünsche und unsere Hoffnungen begleiten sie in diesem Kampfe. Daß er Erfolg haben möge, und daß das Beispiel Estlands, in dem zuerst der kühne und kluge Schritt der Gewährung kultureller Autonomie an die Minderheiten getan wurde, in den anderen national gemischten Ländern Europas Nachahmung finde, das wünschen nicht nur wir als Mutterland so vieler Minderheiten, sondern das wird jeder wahre Freund einer wirklichen Befriedung Europas hoffen und wünschen müssen.

Wenn ich auf unsere außenpolitische Lage und unsere Beziehungen zu den einzelnen fremden Ländern eingehe, möchte ich zunächst mit demjenigen politischen Ereignis beginnen, das hier in den Augusttagen des vorigen Jahres den Gegenstand der ernstesten Erörterungen bildete, mit der Annahme des Dawes-⸗Planes. Die Re⸗ gierung hat sich damals mit allen Kräften dafür eingesetzt, das Lon⸗ doner Schlußprotokoll mit dem damit zufammenhängenden Gesetz zur Annahme zu bringen. Auch diejenigen, die damals schwere sachliche Bedenken gegen den Dawes⸗Plan vorgebracht haben, werden darüber keinen Zweifel hegen können, daß wir ohne dieses Ergebnis kaum eine sicher fundierte Währung besäßen und noch heute in gleicher Weise wie jahrelang vorher im Reich um unseren inneren Zusammenhalt und unsere Existenz ringen müßten. Ueber die finanzielle Belastung durch die übernommenen Verpflichtungen hat sich der Herr Finanz—= minister in seinen Ausführungen geäußert. Gegenüber völlig falschen Darlegungen möchte ich feststellen, daß auch der Herr Reichsfinanz⸗ minister in völliger Uebereinstimmung mit der Reichsregierung auf dem Standpunkt der Durchführung des Dawes⸗Planes steht. Wir haben bisher bei dieser Durchführung jeden Termin eingehalten. Er ist von uns dem Buchstaben und dem Geiste nach ausgeführt worden, wie auch die Gegenseite wiederholt ausdrücklich anerkannt hat. Unser Bemühen um diese Ausführung entspricht nicht dem Ge⸗ fühl einer inneren Verantwortlichkeit oder einem Schuldbewußtsein. Die deutschen Zahlungen haben nach unserer Auffassung nichts mit den Fragen der Gerechtigkeit und Schuld zu kun. Sie sind die Last, die der Sieger kraft seiner Uebermacht dem Besiegten aufgezwungen hat. Wenn wir die Vereinbarungen trotzdem in freier Entschließung angenommen haben, so geschah es deshalb, weil es uns nach fünf⸗ jährigen vergeblichen Bemühungen durch das Londoner Protokoll ge⸗ lungen war, die Reparationsfrage aus dem Bereich der Machtpolitik herauszulösen und sie auf die Grundlage der vernünftigen wirtschaft⸗

lichen NUeberlegung zu stellen, wie dies Deutschland von Anfang an in

London, in Brüssel und in Cannes immer betont hat. Hätte man die früheren deutschen Vorschläge, die das damals wirtschaftlich und finanziell noch nicht zusammengebrochene Deutschland freiwillig ge⸗ macht hat, akzeptiert, wiebiel mehr wäre an wirtschaftlichen Werten erhalten geblieben, wieviel wäre weiter an Haß, Verbitterung und Enttäuschung den europäischen Völkern erspart geblieben! Es wird viel Arbeit und guter Wille notwendig sei, um diese Schäden wieder auszugleichen.

Wir werden den Dawes⸗Plan in derselben Weise wie bisher auch in Zukunft durchführen. Parlamentarische Mehrheiten im Reichs⸗ tag und die Zusammensetzung der Reichsregierung mögen wechseln, ich kann mir aber keine Konstellation vorstellen, die von dieser Richt- linie unserer Politik jemals abweichen könnte. Selbstverständlich aber erwarten wir, daß auch die von unseren Reparationsgläubigern in London übernommenen Venipflichtungen mit der gleichen Gewissen⸗ haftigkeit eingehalten werden, die wir bewiesen haben und weiter beweisen werden. Ich verwahre mich gegen die in der deutschen Presse hier und da vertretene Auffassung, als wenn die Räumung des Ruhrgebiets und der Sanktionsgebiete zu dem in den Londoner Ver— einbarungen festgesetzten letzten Termin des 16. Au gu st irgend⸗ wie gefährdet sein könnte. Ich darf bemerken, daß der französische Ministerpräsident nach Beginn der Schwierigkeiten über die Räu⸗ mung der nördlichen Rheinlandzone spontan zum Ausdruck gebracht hat, daß die Verpflichtung der französischen Regierung zur Räumung

dieser Zone in keiner Weise durch diese Differenzen berührt werden

könnte. Sollte an dieser Auffassung irgendein Zweifel möglich sein, so ist man sich im Lager der Alliierten wahrscheinlich darüber völlig im klaren, daß die dadurch herbeigeführte Tatsache prinzipielle Folgen zeitigen müßte, die das bisher auf dem Wege der Verständigung Geschaffene illusorisch machen würden.

Die Grundlage unserer Reparationspolitik, von der ich soeben gesprochen habe, trägt den Namen des Herrn Vizepräsidenten der Ver⸗ einigten Staaten von Amerika. Sie alle wissen, daß dies nicht nur ein äußerer Zusammenhang ist. Die Vereinigten Staaten sind das Land, von dem die wichtigsten Bestrebungen ausgehen, die auf die Sanierung der Wirtschaft und darüber hinaus auf die Befriedung Europas gerichtet sind. Keinem Lande können diese Bestrebungen willkommener sein als dem Deutschen Reiche. Es ist mir eine Genugtuung, feststellen zu können, daß unsere Beziehungen zu

den Vereinigten Staaten in jeder Hinsicht befriedigend sind. Die weitgehende Kredithilfe, die die amerikanische Hochfinanz in den letzten Monaten einem großen Teil der deutschen Industrie

gewährt hat, ist für unsere blutarme Wirtschaft von der größten Be—⸗ deutung. Aber auch sonst sprechen alle Anzeichen dafür, daß in der großen Republik jenseits des Ozeans das Verständnis für Deutschland in erfreulicher Weise zunimmt. 9

Auch unser Verhältnis zu den Staaten Süd⸗ und Mittelamerikas ist selbst da, wo der Weltkrieg eine Trübung gebracht hatte, ein gutes. Neben dem Handelswerkebr, der zu beider⸗ seitigem Vorteil von Jahr zu Jahr zunimmt, verstärken sich auch die geistigen Beziehungen, die in der letzten Zeit in wechselseitigen Besuchen beworragender Gelehrter zum Aucdruck gejommen sind, und deren weitere Ausgestaltung wir aufrichtig wünschen. Der Um⸗ stand. daß zahlreiche unserer Landsleute in Süd und Mittelamerika

ihr Fortkommen und eine zweife Heimat gefunden haben. krägt dazu bei. die Beziehungen zwischen uns und diesen Ländern zu stärken.

Im Verhältnis zu Mexiko hat die alte Freundschaft, die uns mit diesem Lande verbindet, neuerdings wieder beredten Ausdruck gefunden durch die herzlicke und glänzende Aufnahme, die die meri= kanische Regierung und das mexikanische Volk den Offizieren und Mannschaften unseres Schulkreuzers Berlin“ bei ihrem Besuch im Januar dieses Jahres bereitet haben Besonders zu eiwähnen ist. daß die mexikanische Reglerung am 16. März d. J. mit der Reichs regierung ein Abkommen abgeschlossen hat, auf Grund dessen die Ansprüche deutscher Reichsangehöriger aus Schäden, die sie in Mexiko während der wiederholten dortigen revolutionären Wirren erlitten haben, eine angemessene Regelung finden sollen. Das Ab- kommen, das noch der beiderseitigen Ratifizierung bedarf, wird dem Reichstag demnächst vorgelegt werden.

Was die Lage im fernen Osten anlangt, so hat sie durch die kürzlich abgeschlossenen Verträge zwischen Rußland und China sowie zwischen Rußland und Japan für die europäische Politik erhöhtes Interesse gewonnen. Die weitgehenden Kombinationen, die man in der Presse zum Teil an diese Vertragsschlüsse geknüpft hat, sind allerdings wohl zu phantasiereich, als daß ich hier näher darauf einzugehen brauchte. Sie rechnen vor allem zu wenig mit den großen Zeiträumen, die die ostasiatische Politik für ihre Entwicklung braucht.

Unsere Lage in Ostasien gestattet es uns, dieser Entwicklung, bei aller ihr zu schenkenden Aufmerksamkeit, in Ruhe zuzusehen. Wir erstreben dort nichts anderes als die Förderung unserer wirtschaftlichen Beziehungen und eine kulturelle Annäherung, die nicht einseitig, son⸗ dern gegenseitig befruchtend sein soll. Darin haben wir in Japan, mit dem uns wissenschaftliche Beziehungen besonders eng verbinden, wie auch in China, wo durch unsere neuen Verträge eine Atmo- sphäre gegenseitigen Vertrauens geschaffen worden ist, in den letzten Jahren erfreuliche Fortschritte gemacht. Wir hoffen, daß eine baldige Konsolidierung der Verhältnisse in China und damit im ganzen fernen Osten uns in den nächsten Jahren einen weiteren Ausbau dieser Be- ziehungen gestatten wird.

Die zentrale Lage Deutschlands bringt es von selber mit sich, daß wir von der Gestaltung der Dinge im europäischen O st en viel unmittelbarer berührt werden, als die angelsächsische oder die romanische Welt. Bei den Problemen des Ostens haben wir zwar heute nicht mehr mit der gleichen Ausschließlichkeit, wie das früher der Fall war, allein mit Rußland zu rechnen. Denn im Norden wie im Westen sind diesem Lande heute Staatsgebilde vorgelagert und im Verhältnis zu Deutschland zwischengelagert, die an ihrem staatlichen Selbsterhaltungswillen keinerlei Zweifel aufkommen lassen. Gleichwohl bleibt nach wie vor unverkennbar das natürliche Schwer- gewicht bei Rußland, das noch immer den halben Erdteil umspannt, das alle jene Länder zusammen an Bevölkerung um das Fünffache übertrifft, und das mit überaus reichen Entwicklungsmöglichkeiten aus gestattet ist. Schon diese Tatsache bringt es mit sich, daß Rußland für Deutschlands Beziehungen zum Osten immer den maßgebenden Faktor bilden muß. Dazu kommt, daß nach Ausräumung des früher mit der Balkanfrage verbundenen Konfliktsstoff jetzt alle außenpoli⸗ tischen Reibungsmöglichkeiten zwischen Deutschland und Rußland als beseitigt gelten können. Damit ist für die friedliche, wirtschaftliche und kulturelle Wiederaufbauarbeit dieser beiden, sich in starkem Maße ergänzenden Länder eine weite Bahn eröffnet worden.

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Rußland ist eingeleitet worden durch den Vertrag von Rapollo. An der durch ihn geschaffenen Grundlage haben beide Länder seither als an einer selbstverständlichen Notwendigkeit festgehalten. Gewiß nicht ohne Zwischenfälle, wie das bei der grundsätzlichen Verschiedenheit des beiderseitigen Staats⸗ und Wirtschaftssystems nur natürlich ist. Aber doch in der gemeinsamen Erkenntnis, daß es dem Verständnis für die Bedürfnisse des anderen Teiles gelingen muß, eine tragfähige Brücke herüber und hinüber zu schlagen. Ich zweifle nicht, daß die Sowjet⸗Regie rung es an diesem Verständnis auch gegenüber denjenigen großen politischen Fragen nicht fehlen lassen wird, die Deutschland seinerseits jetzt mit anderen Mächten zu regeln hat.. Bei allen diesen Fragen handelt es sich für Deutschland nicht um grundsätliche Orientierungen seiner Politit nach der einen oder anderen Seite des Kontinent s. Die Aufgabe der deutschen Politik wird stets darin bestehen, seine Interessen gegenüber dem Westen und dem Osten auszugleichen. Dieser Ausg= gleich braucht und wird, so schwierig die Probleme auch im Einzel⸗ fall liegen mögen, niemals eine Form annehmen, die eine frucht⸗ bare Ausgestaltung der deursch⸗russischen Beziehungen unmöglich machte oder auch nur beeinträchtigte.

Mit den drei nördlichen Randstaaten, Litauen, Lettland und Estland, haben wir zwar auf einigen Teilgebieten gewisse Meinungsverschiedenheiten gehabt, ich kann aber feststellen, daß seit längerer Zeit eine unverkennbare Klärung der gegenseitigen Be⸗ ziehungen eingetreten ist, die bereits in wichtigen Berträgen ihren Niederschlag gefunden hat und voraussichtlich weiter finden wird. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge sowie das Netzwerk kultureller Fäden, die hin⸗ und herüberlaufen, sind so eng, daß zuversichtlich mit einer zunehmenden Festigung und freundschaftlichen Gestaltung der deutschen Beziehungen zu den Randftaaten gerechnet werden darf. Litauen gegenüber wird einen zuverlässigen Prüfstein des beiderseitigen freundschaftlichen Verhältnisses immer die weitere Behandlung der Fragen des Memellandes bilden, dem unlängst von autoritativer litauischer Seite die baldige Abhaltung der Wahlen zum memelländischen Landtag bestimmt zugesichert worden ist.

Wenn ich zu den uns benachbarten Ländern übergehe, gedenke ich zunächst Deutsch⸗Oesterreichs. Wie ich noch kürzlich anläßlich der Vorlage des Zusatzwertrages zum deutsch⸗österreichischen Wirtschafts⸗ abkommen an dieser Stelle ausgeführt habe, ist und bleibt Leitsatz unserer Politik gegenüber Oesterreich, alles zu tun, um im Rahmen der bestehenden Verträge unsere Beziehungen zu dem benach⸗ barten deutschen Brudervolk so eng wie möglich zu gestalten. Wir betrachten es als eine Herzenssache, uns des gemeinsamen, lebendigen Kulturbesitzes, an dessen Schaffung und Fortentwicklung das öster reichische Volk so hervorragenden Anteil hat, bewußt zu bleiben und die geistigen Bande, die uns einen, im gegenseitigen Verstehen immer fester zu knüpsen.

Daß die Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und DOesterreich über die Aufhebung des Visazwanges und der damit verbundenen Gebühren nicht zu einem Erfolg geführt haben, bedauern wir außerordentlich. Die österreichische Regierung, die sich zu diesen Verhandlungen bereit erklärt hatte, glaubte im letzten Ende Beden ken wegen der finanziellen Wirkung der Aufhebung der Visa—