zreter und Diener des Staates und des Volkes dazu berufen sind, dem Staate dasjenige Maß ven Ansehen und Autorität zu verschaffen, ohne welches kein Staatswesen und keine verfassungsrechtliche Form welche sie auch immer sein mag, auf die Dauer bestehen kann. Su⸗ stimmung rechts Ich werde über den Schutz der Staatsautorität besonders eifrig und eifersüchtig zu wachen haben; ich werde gegen alle Schädlinge, aus welchem Lager sie auch immer kommen mögen, rück— sichtslos vorgehen. Nur derjenige Staat hat das sittliche Recht, von seinen Staatsbürgern Anstand, Ehrlichkeit und Achtung vor dem Gesetz zu verlangen, der selbst unerschütterlich für die Voraussetzungen eines geordneten Staatswesens und einer sauberen Staatsverwaltung eintritt. (Lebhafte Zustimmung rechts.)
Wenn ich es hiernach als meine Pflicht auffasse, die Reichs—⸗ verfassung gegen Gefährdungen jeder Art zu schützen, so bin ich doch dabon durchdrungen, daß eine Verfassung kein ewiges Recht ist, auch nicht die geltende, die — wie auch schon einer der Herren aus dem Hause betont hat — in schwerer geschichtlicher Stunde und unter dem Druck feindlicher Mächte geboren ist. Jede Rechtsetzung, auch ein Staatsgrundgesetz, bedeutet eine Festlegung der geschichtlichen Ent— wicklung in einem bestimmten, wenn auch noch so bedeutungsvollen Augenblick; aber die Entwicklung läßt sich nicht in Fesseln schlagen, sie geht unaufhaltsam weiter in der lebendigen Wirklichkeit von Geist und Leben. Mögen sich auch die Staatsgrundgesetze, deren Wesen in besonderer Weise Anspruch auf Dauer umschließt, durch besonders erschwerte Formen ihrer Abänderung in ihrem Bestande sichern, die Forderungen der politischen Wirklichkeit lassen sich auf die Dauer nicht durch solche rein formellen Fesseln binden. Es mag als welt— geschichtliches Beispiel dienen, daß gerade die französische Verfassung von 1791, die erste Volksverfassung, die wir in der Welt erlebt haben, Abänderungen für die ersten beiden Legislaturperioden überhaupt ver bot, für die spätere Zeit auf das äußerste erschwerte; aber schon im Ichre 1793, dann 1795 und endlich 1799 wurde diese Verfassung grundsätzlich durch andere Verfassungen abgelöst. (Zuruf von den Kommunisten: Es lassen sich auch andere historische Parallelen ziehen h — Ich bin gerade dabei. — Auch die alte Reichsverfassung vom 16. April 1871 hat in den 47 Jahren ihrer Geltung neben 11 wesent⸗ lichen, auch textlichen Abänderungen weitgehende innere Wandlungen erlebt, die besonders ihren Kern, nämlich das Verhältnis von Reich zu Bundesstaaten, stark berührten. Es liegt geradezu im Wesen der Sache, daß in einem zusammengesetzten Staate, im Gegensatz zum Einheitsstaste, berschiedenartige Kräfte und Strömungen in ständiger Wechselwirkung das Schicksal zu gestalten streben, so daß gerade weiseste Staatskunst den rechten Ausgleich nicht in der Satzung, im Stillstand, sondern in der Wirkung, im Leben sucht und findet. Darin erblicke ich die besondere Aufgabe, die die Eigenheit und Eigenart seines staatlichen Daseins dem deutschen Volke auferlegt.
Auch die geltende Reichsverfassung verkennt diesen Wesenszug des deutschen staatlichen Lebens nicht. Sie empfindet sich selbst als unfertig, als unvollständig, wie die zahlreichen Lücken und die Ver— weisungen auf noch kommende Gesetze erkennen lassen. Sie verleugnet auch nicht die Spuren ihrer Entstehungszeit, in der nicht nur der staatliche Organismus, sondern auch das Volk in seinen Grundfesten getroffen und erschüttert war. (Sehr wahr! rechts) Es ist sicher nicht die Meinung der Nationalversammlung gewesen — ich habe das auch schon im Ausschuß besonders betont —, daß die von ihr be— schlossene Verfassung ein Nolimetangere sein solle und sein werde. (Sehr richtig! rechts) Man war durchaus von der Noiwendigkeit durchdrungen, daß sie der Fortentwicklung durch die lebendigen Kräfte des Volkes bedürfe. Gerade dies letztere ist so stark in der National⸗ versammlung durch den damaligen Vertreter der Sozialdemokratie, den Kollegen Löbe, betont worden, daß man sich jetzt nicht von vorn— herein abwenden sollte, wenn es sich darum handelt, die lebendigen Kräfte auch anzusetzen und dafür zu sorgen, daß Geist und Leben, und zwar ein solcher Geist und ein solches Leben in der Verfassung herrschen, die dem gesunden Sinn des Volkes entsprechen. (Sehr gut! rechts.)
Die Frage der Aenderung der Reichsverfassung hat auch die Reichsleitung in grundsätzlicher Weise beschäftigt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Problem des Verhältnisses von Reich und Ländern. Dabei ist die Revisionsbedürftigkeit der Reichsverfassung jm Grundsatze, anerkannt worden, zum Beispiel in der Erklärung des Reichskanzlers Dr. Stresemann vom 6. Oktober 19723. (Zuruf von den Kommunisten: Das ist der rechte Kronzeuge Damals war der Herr Kollege Sollmann Reichsminister des Innern. In dieser Er klärung heißt es:
Nach Auffassung des Kabinetts“
— also einschließlich des Herrn Sollmann chört, hörty, einschließlich der Herren Demokraten, die damals im Kabinett saßen —
„kann wirkliche Abhilfe nur geschaffen werden durch eine grund—
legende Aenderung des Verhältnisses zwischen Reich, Ländern und
Kommunen.“
(Ubg. Sollmann: Ganz recht! Zurufe: Bayern! die Erklärung aber falsch verstandenh
Für mein Ministerium ist die Erklärung maßgebend, die der Reichskanzler Dr. Luther am 19. Januar 1725 zur Frage der Ver⸗ fassung und ihrer Revision abgegeben hat. Danach
„wird die Reichsregierung es sich angelezen sein lassen, die Be—
stimmungen der Reichsverfassung oder ihre Auswirkung in der Richtung nachzuprüfen, daß unser Staakswesen mehr als bisher innerlich gesundet ...“ Alle die Herren, die vor mir gesprochen haben und sich gegen die Grundtendeng der Reichsregierung, die hier zum Ausdruck gebracht ist und auch bei anderen Herren Rednern zum Ausdruck gekommen ist, wenden, verkennen den Wesenszug der Absicht; denn sie ist hier in diesen Worten begründet: daß das Volk mehr und mehr gesunde“. Das ist das Leitmotiv, und wenn Sie sich unter dieses Leitmotiv stellen, dann werden Sie sich auch nicht zu sehr entfernen — auch nicht Sie, Herr Dr. Schreiber — von den Absichten, die die Reichs regierung hat. (Sehr gut! rechts) Es heißt dann in der Erklärung des Herrn Reichskanzlers weiter: „Nachzuprüfen haben wir auch die Regelung der Beziehungen des Reichs zu den Ländern. Ihr Eigenleben soll geachtet und ihre bedeutungsvolle Rolle im staatlichen Gesamtleben des deutschen Volkes, auch in der Handhabung der Reichsverwaltung, sorgfältig beobachtet werden.“ .
Tatsächlich ist ja auch die Reichsverfassung in den vergangenen Jahren durch dieses hohe Haus mehrfach geändert worden. Es sind sieben Gesetze beschlossen worden, die ausdrücklich den Worklaut der Verfassung geändert haben, während 23 Gesetze erlassen sind, die nicht ausdrücklich den Wortlaut ändern, aber mit der für Verfassungs⸗ änderungen erforderlichen Mehrheit — zum Teil freilich nur vorsorg⸗ lich — angenommen worden sindz sie bedeuten Aenderungen des
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Sie haben
Sinnes der Verfassung, der programmatischen Feststellungen im Wege sogenannter still schweigender Verfassungsänderungen. Auch jetzt hat eine Anzahl zum Teil wichtiger Anträge im Ausschuß und schon vorher dem hohen Hause vorgelegen, die eine Abänderung der Ver⸗ fassung zum Ziele haben. Ich halte es in der Tat für notwendig angesichts der hohen Bedeutung, welche jede Verfassungsänderung besitzt, daß diese Anträge einer Ausschußberatung unterzogen werden, und folge damit durchaus den Anregungen der Herren Redner aus dem Hause. Auch Herr Dr. Schreiber hat, glaube ich, diese An⸗ regung gegeben und hat den Rechtsausschuß vorgeschlagen. Es kommt hier weniger darauf an, daß gerade ein spezifischer Verfassungs⸗ ausschuß als ein besonderer ständiger Ausschuß die uns am Herzen liegenden Fragen, die zur Ruhe und zur Gesundheit des deutschen Volkes führen sollen, erledigt. Vielmehr kommt es uns nur darauf an, daß die Dinge nicht im Schwebezustand bleiben. (Sehr richtig! rechts.)
Ich möchte mich aber doch mit Entschiedenheit dagegen verwahren, daß ich mit der Verfassung Expperimentalpolitik treiben wolle oder daß ich die festen Quadern herausbrechen wolle, auf denen der Bau jeder Verfassung ruhen muß. Auch diejenigen, die mit der Einsetzung eines Ausschusses zur Prüfung gewisser Verfassungszustände nicht ein⸗ verstanden sind, müssen davon ausgehen, daß die Verfassung in schwerer geschichtlicher Stunde geboren ist, daß sie etwas Wandel⸗ bares ist, daß sie ein Organismus ist, der sich — ich wiederhole nur Worte, die gestern und heute hier gebraucht worden sind — aus dem Volke heraus ergänzen muß, und daß man nach dieser Richtung hin manche Wünsche aus den Parteien heraus an die Verfassung haben könne. Mein Standpunkt deckt sich also prinzipiell mit diesem, und ich glaube, es gibt kein anderes Ventil, keine andere Möglichkeit, als ruhige Besprechung in einem dazu bestimmten Ausschuß. (Sehr richtig! rechts und bei der Bayerischen Volkspartei.)
Für die Ausschußberatung wird mein Ministerium das gesamte umfangreiche Material zu dem Fragenkomplex bereitstellen. Ich glaube, Sie haben selbst den Wunsch, einmal in Ruhe diese Dinge durchzuarbeiten, damit wir am Verhandlungstisch zu Ergebnissen kommen, die der seelischen Entwicklung des Volkes entsprechen. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Machen Sie eine Vorlage) — Der Herr Abgeordnete Koch erwartet von mir nicht bloß eine programmatische Darstellung, die ich Ihnen gern hiermit gebe, sondern unmittelbar von der Regierung kommende Vorschläge auf Ver— fassungsänderung, die einem solchen Ausschuß unterbreitet werden können. Wie Sie wissen, habe ich bereits mehrere Vorlagen, die eine Verfassungsänderung zum Zwecke haben, dem Hause gemacht. Ich kann nicht mehr tun als das auch von Ihnen, Herr Koch, mit— gesammelte umfangreiche Material zur Besprechung in der Oeffent⸗ lichkeit vorzulegen und mit Ihnen zu raten und zu taten an der Hand der aus dem Hause gegebenen Initiative, die sich in den An⸗ trägen verdichtet hat. Man kann doch diese Anträge nicht ohne weiteres unter den Tisch fallen lassen. Die Beratungen werden sich auch auf die Fragen des Artikels 48 der Reichsberfassung zu erstrecken haben, dessen Anwendung bekanntlich zu viel Streit Anlaß gegeben hat. Das war angesichts der Notwendigkeit seiner häufigen An—⸗ wendung ebenso wie infolge seiner unbestimmten Formulierung kaum vermeidlich. Diese Streitpunkte können beseitigt werden, wenn es gelingt — und ich bin da in Uebereinstimmung mit fast allen Antrag⸗ stellern aus dem hohen Hause — das in Absatz 5 des Artikels 48 angekündigte Ausführungsgesetz zu schaffen, welches den außerordent⸗ lichen Befugnissen des Reichspräsidenten einen festen Rahmen geben will. Sehr richtig! rechts) j
Gleichzeitig hat die Erfahrung aber gelehrt, daß zur Behebung
wirtschaftlicher Schwierigkeiten und Notstände, bei denen die An⸗ wendung des Artikels 48 bestritten ist, ein Notverordnungsrecht der Reichsregierung unbedingt erforderlich ist, wie es die Verfassung vieler Staaten, wie es vor allen Dingen auch die preußische Ver⸗ fassung vom 30. November 1920 vorsieht. Eine entsprechende Vorlage liegt, wie Sie wissen, der Beschlußfassung dieses Hauses bereits vor.
Im Anschluß an die oben von mir wiedergegebene Erklärung des Reichskanzlers möchte ich nun einige grundsätzliche Worte über das Verhältnis von Reich und Ländern sagen, welches im Mittel⸗ punkt unseres gesamten Verfassungswesens steht. Wie Ihnen bekannt, hat die bayerische Staatsregierung in einer eingehenden Denkschrift die grundsätzliche Umgestaltung der Verhältnisse zwischen Reich und Ländern angeregt. Auch die juristische Wissenschaft hat sich mit diesen Fragen beschäftigt ebenso wie manche anderen Kreise unseres Volkes. Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie können nicht achtlos an dieser bayerischen Denkschrift vorübergehen. (Sehr richtig! rechts) Sie können aber auf der anderen Seite von mir auch nicht verlangen, daß ich jedes Wort dieser Denkschrift deswegen decke, weil ich nicht achtlos daran vorübergehen will, Herr Kollege Koch. (Zuruf von den Deutschen Demokraten.) Ich kann nur empfehlen, daß Sie Gelegenheit dazu geben, daß wir in einem Verfassungsausschuß oder im Rechtsausschuß auch die in der Denk— schrift berührten Fragen durchsprechen. (Zuruf links) Es kann nicht geleugnet werden, daß die Beziehungen zwischen Reich und Ländern nicht immer so herzlich und sachlich unumstritten gewesen sind, wie es im Interesse beider Teile dringend erforderlich ist. Das mag zu einem Teil daran liegen, daß gewisse Bestimmungen unserer Verfassung, die sich auf die Regelung der beiderseitigen Zuständig⸗ keiten, hier von vornherein einen bedenklichen Konfliktsstoff geschaffen haben. Artikel 9 und die folgenden und Artikel 76 der Weimarer Verfassung geben dem Reiche die Möglichkeit, durch einseitige Gesetzgebung seine Zuständigkeit auf Kosten der Hoheitsrechte der Länder zu erweitern. Es ist nur zu verständlich, daß diese Tatsache in den Ländern ein Gefühl der Unsicherheit schafft und die Meinung entstehen läßt, die Länder seien stets zu einer Abwehrstellung gegen ⸗ über dem Reich genötigt. (Sehr wahr! rechts) Eine solche Ein⸗ stellung kann der Pflege herzlicher und vertrauenevoller Beziehungen nur wenig förderlich sein in einer Zeit, in der die Länder den Schmerz über den Verlust wichtiger staatlicher Hoheitsrechte noch nicht über⸗ wunden haben. Für Kämpfe zwischen Reich und Ländern ist die Zeit zu ernst. Unser Volk hat für derartige Konflikte nur das allergeringste Verständnis und lehnt sie vielfach als Ergebnis einer allzu bürokratischen Entrechtung ab. Es betrachtet die Länder nicht als Selbstzweck, sondern als lebendige Glieder des Reichs, und der Staatsgedanke wird vielfach mit dem Reichsgedanken — und das mit Recht — identifiziert und verknüpft. Unter diesen Umständen liegt eine baldige und klare Abgrenzung der Zuständigkeiten, die einen Dauercharakter haben muß, im wohlverstandenen Jateresse beider Teile und der Autorität sowohl des Reichs wie der Länder.
(Sehr richtig! rechts.)
Nach meinen grundsätzlichen Anschauungen, die ich eben habe andeuten können, kann diese Abgrenzung nur auf der Grundlage einer gesunden Dezentralisation erfolgen (sehr richtig! rechts), die keineswegs eine Schwächung, sondern eine Stäckung des Reichs und des Reichsgedankens bedeutet. Ich erinnere daran, daß auch der große preußische Staatsmann Freiher vom Stein vor 100 Jahren bei seiner Staatsreform von dem Gedanken der Dezentralisation, der allein die Basis für die Selbstverantwortlichkeit sein kann, aus⸗ ging und auf ihm den Neubau des Staates errichtete. Sein und Bismarcks Grundgedanke war es: was in den unteren Verwaltungs—⸗ stellen gemacht werden kann, soll nicht in den mittleren, und was in den mittleren gemacht werden kann, soll nicht in den höheren Verwaltungsstellen geleistet werden. Die Seele der Verwaltung eines großen, kraftvollen Staatswesens ist die Verantwortlichkeit des Staatsbürgers selbst, die nur bei rechter kommunaler und landschaft— licher Gliederung zur Geltung kommt. Solche Gliederung bedeutet nicht die Stärkung zentrifugaler Kräfte, sondern die Vertiefung und Belebung des Staatsgedankens und Staatswesens überhaupt. Sie sammelt und weckt die zentripetalen Kräfte, auf die Herr Dr. Schreiber auch gestern hinzuweisen Gelegenheit nahm. Sie weckt die Kräfte, die nach dem Innern, nach dem Zentrum des Reichs hinsteuern.
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß der Föderalismus, der alleia die Grundlage des staatsrechtlichen Aufbaues unseres Reichs sein kann, kein starres Prinzip ist. Er weist die mannigfachen Formen auf und verläuft vom völkerrechtlich noch losen Bund, wie ihn der Deutsche Bund von 18165 bis 1865 darstellte, bis zur Aufnahme mehr oder weniger starker unitarischer Elemente in den verschiedensten Mischformen. Mit der Forderung des Föderalismus sind also die Möglichkeiten deutscher staatsrechtlicher Gestaltung noch keineswegs eindeutig umschrieben. Nicht so sehr auf das Wort kommt es an, als auf die Sache. Nicht ängstliche Scheu vor einen offenen, klaren Auseinandersetzung auf diesem Gebiet und über diese Fragen bringt uns vorwärts — das möchte ich besonders den Herren gegenüber aussprechen, die sich grundsätzlich gegen die Erörterung dieser Fragen gewandt haben —, sondern nur der Mut zum Entschluß, nur der Mut zur Offenheit. Dann wird es ruhiger Ueberlegung und sorglicher Prüfung gelingen, die auseinander⸗ strebenden Elemente unter Wahrung ihrer Eigenart und ihres Selbständigkeitsgefühls dem Ganzen so einzuordnen, daß uns in allen Kämpfen und Nöten der Gegenwart erhalten bleibt, worauf es uns allen ankommt: das einige deutsche Volk! (Bravo! bei den Deutsch⸗ nationalen.)
Auch im Rahmen der geltenden Reichsverfassung wird es möglich sein, ihre Bestimmungen sowohl auf dem Gebiete der Reichsgesetz⸗ gebung als auch auf dem Gebiete der Reichsverwaltung so auszulegen und praktisch zu handhaben, daß ein Teil der berechtigten Wünsche der Länder erfüllt wird. Die Praxis hat sich dieser Auffassung in der letzten Zeit mehr und mehr zugeneigt, und ich bin meiner seits gewillt, diese Praxis fortzusetzen. (Bravo! rechts)
Nun, meine Damen und Herren, sollen noch diejenigen zu ihrem Recht kommen, die von mir erwarten, daß ich mich zur Flaggenfrage äußere. Nach Artikel 3 der Reichsverfassung sind die Reichsfarben Schwarz ⸗Rot⸗Gold. Daraus ergibt sich von selbst, daß diese Farben als Reichsfarben Anspruch auf den Schutz des Staates haben, den ihnen zu gewähren ich durchaus gesonnen bin. (Heiterkeit und Zurufe links) Soweit sie als Hoheitszeichen verwandt werden, sind sie außerdem durch die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs gegen bös⸗ willige Wegnahme und beschimpfenden Unfug geschützt. (Zurufe lin ks) Weite Kreise unseres Volkes erstreben eine Wiederkehr der alten Reichsfarben Schwarz-Weiß⸗Rot, und im Kampfe gegen diese Be strebungen ist ein Streit um die Reichsfarben entbrannt, der jedem, der den inneren Frieden unseres Volkes will, tief bedauerlich er⸗ scheinen muß. Diesen Streit aus der Welt zu räumen, ist eine der dringendsten uns obliegenden Aufgaben. Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) Ich bin der letzte, der dabei vergißt, daß auch dem schwarzweißroten Deutschland die Farben Schwarz⸗Rot⸗Gold ein Gegenstand der Verehrung gewesen sind. (Hört, hört! und 3u— ruf links: Gewesen) — Ich spreche durchaus geschichtlich! — Bildeten doch diese Farben, in denen eine allerdings nicht mit Sicherheit nach⸗ weisbare Legende die Farben des alten heiligen römischen Reichs deutscher Nation sehen wollte, das Symbol jener Bewegung, die seit dem zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts, ausgehend von der Deutschen Burschenschaft, Deutschlands Freiheit und Deutschlands Einheit ersehnt⸗. Durch fast 50 Jahre war Schwarz ⸗Rot⸗Gold der Ausdruck eines romantischen Sehnens und Träumens, das den Weg zur Wirklichkeit suchte und nicht fand. Aber, meine Damen und Herren, Achtung gegen Achtung! Ich will es noch stärker betonen wie einer der Herren: Heiligkeit gegen Heiligkeit! Es war die schwarzweißrote Fahne, unler der ein starkes Deutsches Reich durch fast 50 Jahre hindurch Bürge des Weltfriedens war. Das steht un⸗
auslöschlich in Gedächtnis unseres Volkes in allen Herzen geschrieben,
die Treue und Dankbarkeit kennen. (Bravo! rechts) Es sollte von niemand, wo er auch immer steht, vergessen werden, daß unter den Farben Schwarz-Weiß⸗-Rot das Volk der Denker und Dichter zum Volke der Erfinder und Ingenieure wurde, welches sich eine starke
Wirischaft schuf uns neue Formen der Sozialpolitik begründete, die
vorbildlich für die ganze Welt geworden sind. Bei allem Streit der Meinungen darf nicht vergessen werden, daß unter der schwarzweiß⸗ roten Kokarde geeint deutsche Männer aller Stämme der Uebermacht fast der ganzen Welt getrotzt haben und den Feind vier Jahre hin2 durch von den deutschen Grenzen ferngehalten haben. (ELebhaftes Brabo rechts) Auch die Verfassung von Weimar hat ja die staats-— politische Bedeutung der alten Reichsfarben dadurch anerkannt, daß sie sie als Handelsfarben beibehalten hat, weil man dem deutschen Ueberseehandel die imponderablen Werte dieser Farben erhalten wollte. (Sehr richtig! rechts. — Zuruf links. — Gegenrufe rechts.) Betrüblich erscheint mir, daß der Streit um die Reichsfarben geradezu zu einem Parteistreit geführt hat und insofern als ein Ausdruck unserer Zerxrissenheit, als ein Ausdruck jener Uebersteigerung des Partei wesens in unserem Volke erscheint, unter der wir seit der Staats⸗ umwälzung besonders leiden. Es ist nicht richtig, wenn schon damals in der Nationalversammlung von dem damaligen Minister des Innern Herrn Dr. David davon gesprochen wurde, daß die schwarzweißroten Farben im Grunde genommen das Symbol preußischer Vorherrschaft seien. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) Das ist nicht richtig, und noch viel schärfer muß die Behauptung des Herrn Kollegen Sollmann abgelehnt werden, daß sich unter den schwarzweißroten Farben Bestrebungen verbergen, unser Volk zu klassifizieren (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), es in Subjekte und Objekte des Staates zu zerspalten, Herrengelüste und Knechtseligkeit zu erneuern,
herrenrechte und Knechtspflichten herzustellen. (Sehr richtig! bei den
Sozialdemokraten) Nein, es sind in der Tat große imponderable Fragen, um die es sich bei der Wertung der Reichsfarben handelt. Durch nichts wird gerade nach außen hin die Parteizerrissenheit so deutlich bekundet als durch den Streit um die Reichsfarben. Es muß daher jedem, dem die Geltung unseres Volkes wie sein innerer Frieden am Herzen liegt, als das dringendste Gebot erscheinen, deß dieser Streit endlich zum Abschluß gebracht wird. (Sehr richtig! rechts) Dabei scheint mir folgender Gedanke entscheidend. Die Flaggenfrage ist für unser Volk nicht bloß eine Frage geschichtlicher Betrachtung, sie ist auch nicht nur eine Zweckmäßigkeitsfrage, sie ist auch keine Konstruktionsfrage, die den Verstand allein angeht, sie ist vielmehr eine Frage des Herzens, eine Frage des Nationalempfindens, in der sich alles vereinigt, was an Hingabe für die vaterländnsche Idee, an Zukunftshoffnungen für unser Deutsches Reich, an Opfermut und Lebenswillen in unserem deutschen Volke lebt. (Bravo! rechts.) Deshalb hege ich die feste Hoffnung, daß es gelingen wird, eine Lösung zu finden, die dem innersten Empfinden unseres Volkes Rechnung trägt und die zum Herzen und zum Gewissen des deutschen Volkes spricht. (Bravo! rechts. — Lebhafte Zurufe von den Sozialdemo—⸗ kraten: Welche Lösung?)
Meine Damen und Herren! Nun einige Ausführungen zu dem Wesenskern meines Ministeriums! Ich habe schon eingangs meiner Ausführungen angedeutet, worin die Hauptaufgaben meines Ministe— riums bestehen, in der leiblichen und seelischen Pflege unseres Volkes in allen seinen Ständen und in der Pflege der deutschen Kultur. Ich möchte mich dabei auf einige allgemeine, leitende Grundgedanken be⸗ schränken und behalte mir vor, nachdem hier im Reichstag beschlossen ist, das Material meines Ministeriums gruppenweise zu behandeln, über die einzelnen wichtigen Arbeitsgebiete, insbesondere über das Erziehungs- und Bildungswesen und die damit zusammenhängenden Dinge, über das Gesundheitswesen, über die Beamtenfragen, über Polizei und Technische Nothilfe besondere Einzelausführungen zu ge— gebener Zeit zu machen.
Unsere heutigen Aufgaben erinnern uns an die bedeutende Rolle, die in der Wiederaufrichtung Preußens vor 100 Jahren unter dem Ministerium Humboldt das Schulwesen, das Erziehungswesen, die Universitäten, kurz das Geistige gespielt hat. Wie Preußen damals seine Erneuerung von innen heraus, aus dem Geistigen heraus ge—
wonnen hat, so soll uns das auch heute ein Vorbild, ein Leitfaden
sein, und wir wollen nicht vergessen, daß es sich dabei nicht allein um das Intellektuelle handelt, sondern daß vorzugsweise auch das Ethische in der Erziehung, daß die sittliche Ertüchtigung heute im Vordergrund stehen muß. Und diese sittliche Ertüchtigung muß, ganz wie damals, Hand in Hand gehen mit dem köwperlichen Schutz, mit der Pflege des leiblichen Wohles der heranwachsenden Jugend. (Sehr richtig! rechts.)
Wie vor 100 Jahren der Turnvater Jahn, der heute noch im Gedenken des Volkes verehrt fortlebt, dem Turnen seinen besondéren Platz im Wiederaufbau gab, so wollen auch wir daran denken, daß die sportliche Erziehung und Ertüchtigung unserer Jugend die not⸗— wendige Grundlage für alle Wiederaufrichtung, auch auf dem Gebiet des Geistigen schafft, daß sie insbesondere für die Charaktererziehung, für die Selbstzucht, für das Selbstbewußtsein unserer Jugend eine ähnliche Rolle spielen muß, wie das früher die große Schule unseres Heeres tat. (Sehr richtig! rechts.)
In dieser Jugendbewegung wird das frische Leben, das wir in unserem Volkstum wahrnehmen, am deutlichsten und am stärksten sichtbar. Sie ist ihrer Natur nach großdeutsch eingestellt, und von Jahr zu Jahr in wachsendem Maße verbindet gerade auch die Jugend— bewegung die deutschen Siedelungen des Auslandes mit dem eigent⸗ lichen Heimatland. Das Akademikertum, unsere Studentenschaft, gliedert sich dieser Jugendbewegung führend ein und hat sich in der Not als Hort begeisterter Vaterlandsliebe bewährt.
Auch auf dem Gebiete unseres geistigen Lebens darf die Verein—⸗ heitlichung und Verinnerlichung, die wir erstreben müssen, nicht ver⸗ wechselt werden mit Uniformierung. Gerade hier muß sich stammes artige Freiheit mit völkisch-⸗deutscher Einheit innig verbinden. Bis— marck wußte wohl, was er tat, als or die Gestaltung des Bildungs- wesens jedem einzelnen Bundesstaate grundsätzlich überließ, und Hein rich v. Treitschke hat mit Recht gesagt: „Die größte Gefahr, die dem Einheitsstaate drohen kann, ist die Zentralisation der Bildung.“ In ihrer reichen landschaftlichen Gliederung liegt die Stärke unserer deutschen Kultur, und es ist eines der wesentlichsten Verdienste der deutschen Dynastien, daß sie es verstanden haben, vor= zugsweise in ihren Residenzen Kulturzentren eigenen bodenständigen Charakters zu pflegen und durch eine große Anzahl voll ausgebauter Landesuniversitäten zahlreiche Stätten der Wissenschaft und der Forschung zu schaffen. (Sehr richtig! rechts.)
Wir müssen die Freudigkeit an der Pflege aller dieser einzelnen gweige der deutschen Kultur in den einzelnen Ländern erhalten, und solche Freudigkeit würde nicht gefördert werden durch starkes Regle · mentieren und Zentralisieren von seiten des Reiches.
Aber, meine Damen und Herren, ich verkenne hier auch nicht die besondere Aufgabe des Reiches, die ich schon im Ausschuß betont habe. Ich verkenne hier keineswegs, daß die Kulturaufgaben und die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes im Reichsgedanken zum Aus— druck kommen sollen, daß also auch das Reich an dieser Stelle nicht nur eine gewisse, sondern eine mitentscheidende Führung haben muß. (Sehr richtig! rechts) Die Pflege dieser landschaftlichen Eigenarten hat selbstverständlich dort ihre Grenze, wo sie zur Eigenbrödelei und damit zu einer Gefährdung der Einheitlichkeit der deutschen Kultur werden könnte. Unser begrenztes Streben nach Vereinheitlichung hat sein letztes Ziel in der Vertiefung und Verinnerlichung unseres geistigen Lebens und insbesondere unseres Erziehungswesens, in einer Rückkehr zu den wesentlichsten Grundlagen unserer Kultur.
Der deutsche Mensch mit all seinen Vorzügen und seinen Schwächen, mit seiner reichen Begabung zu klarem, folgerichtigem Denken, mit seinem tiefen, ich möchte sagen faustischen Ringen nach Wahrheit, aber auch mit seiner Neigung zur Rechthaberei, zur Eigen. brödelei und seinem geringen Sinn für die Allgemeinheit, hat im Laufe der Jahrhunderte die stärksten Einwirkungen erhalten durch die gewaltigen Schätze, die aus der christlichen Religion in das deutsche Volk eingeströmt sind. Es ist nicht zu leugnen, und der Ausfall der Elternbeiratswahlen hat dies mit aller Deutlichkeit erwiesen, daß auch heute noch die weitaus überwiegende Mehrheit unseres deutschen Volkes diese Kräfte der christlichen Religion für die Erziehung ihrer Kinder nicht entbehren will. (Bravo! rechts.)
So sind erfreulicherweise starke Kräfte und Strömungen am Werke unserer inneren Wiederaufrichtung. Kunst und Wissenschaft stehen nicht zurück, und mein Ministerium wird alles tun, was in seinen Kräften steht, um ihnen Förderung angedeihen zu lassen. Ob-
wohl der Haushalt von 1925 mit Rücksicht auf dle Finanzlage des Reichs mit äußerster Sarsamkeit aufgestellt ist, so hat es doch die Stetigkeit der Währung gestattet, in verschiedenen Positionen eine gewisse Erhöhung eintreten zu lassen. Dies gilt besonders für künst⸗ lerische und wissenschaftliche Zwecke, für die rund 8 Millionen Mark verwendet werden sollen, wobei die Ausgaben für die drei wissenschaft⸗ lichen Institute, die physikalisch⸗technische Reichsanstalt, die chemisch⸗ technische Reichsanstalt und die Reichsanstalt für Erdbebenforschung, mit eingerechnet sind.
Der größte Posten entfällt mit 5 Millionen Mark auf die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, die im wahrsten Sinne Wiederausbauarbeit an dem geistig⸗wissenschaftlichen Bestande unseres Volksgutes leistet und deren segensreiche und nützliche Arbeit über⸗ einstimmende und volle Anerkennung in diesem hohen Hause und weit darüber hinaus gefunden hat. (Brawoh
Ich möchte nicht verfehlen, hier der erfolgreichen Tätigkeit zu gedenken, die der Herr Staatsminister Schmitt⸗Ott an der Spitze der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und Herr Professor Harnack als Leiter der Kaiser⸗Wilhelm⸗Gesellschaft geleistet haben, und beiden Männern auch von dieser Stelle aus für ihre Tätigkeit besonderen Dank auszusprechen.
Wie den genannten großen Instituten, so gilt unser Bestreben der Erhaltung und dem Ausbau der großen nationalen Sammlungen, in denen die Geschichte und der Bestand unseres Kulturgutes gepflegt werden. Immerhin beträchtliche Summen sind für das Germanische Museum in Nürnberg, für das Römisch⸗Germanische Museum in Mainz, für die Deutsche Bücherei in Leipzig und nicht zuletzt für das Deutsche Museum in München ausgeworfen, dessen Vierteljahr⸗ hundertfeier vor wenigen Wochen zu einer eindrucksvollen Kund⸗ gebung der deutschen Wissenschaft und Technik Gelegenheit gab. Alle diese Mittel werden dazu beitragen, das überall in deutschen Landen, vielfach noch immer unter drückenden und schwierigen Ver⸗ hältnissen, frisch aufblühende Geistesleben unseres Volkes zu stärken. Wir denken nicht daran, auf diesem Gebiete zu verzagen, sondern wollen auch hier vorwärts streben, in stolzem Glauben an die hohe Begabung unseres Volkes und seine ungebrochene geistige Kraft. (Beifall rechts.)
Gerade in unserer Zeit schwerster Not fallen der Wissenschaft große Aufgaben zu, die im engsten Zusammenhang mit der Wieder⸗ aufrichtung der deutschen Wirtschaft stehen. Wie sie auf der einen Seite den Geist und die Methode reiner Forschung wahren und in diesem Geiste strebsamen Nachwuchs für höchste Leistungen heran⸗ ziehen muß, so steht es andererseits auch bei ihr, neue Betätigungs⸗ felder für unser übervölkertes Vaterland zu erschließen und für willige Arbeitskräfte neue Lebensmöglichkeiten zu eröffnen. Ich erinnere nur an die Erschließung neuer Bodenschätze, an die Rationalisierung unserer Wärmewirtschaft, an die Aucbreitung des Luftwerkehrs und an zahlreiche andere Arbeitsgebiete, die durch schöpferische Arbeit
aer * ö — 164 ö MVetrtkevwworbda, der Wissenschaft, der Ingenieure, der Erfinder in ihrer Wettbewerbs⸗
fähigkeit gegenüber dem Auslande gestärkt werden können und müssen,
damit unsere Exportfähigkeit gesteigert werde zur Gesundung unserer Handelsbilanz. dringend angewiesen sind, nach Kräften zu steigern.
Alle diese Aufgaben, die der deutschen Wirtschaft dienen, werd mit gutem Grunde als solche des Reichs von uns angesehen, keine Hemmungen durch partikularistische Strömungen vertragen.
,, . f w Gegenüber beispielsweise der Tatsache, daß Amerika in einem Jahre hundert Millionen Dollars zur Förderung der Forschung in seinem
Haushalt einstellt, bedarf es der Zusammenfassung aller Kräfte, damit die deutsche Wirtschaft nicht ins Hintertreffen gerät. Sehr richtig! rechts.)
Die wissenschaftliche Arbeit muß von dem Gedanken getragen sein — ich habe dies in größerem Zusammenhange bei der Weihe des Deutschen Museums in München auszuführen Gelegenheit ge· funden — daß alle Forschung, daß alle technische Arbeit, daß die ganze Welt der Erfindungen nicht um ihrer selbst und auch nicht allein um des Erwerbes und um des Gewinnes willen geschaffen ist, sondern um der Menschen willen. Alle Leistungen gewinnen ihren höchsten Wert erst in dem sozialen Gedanken, von dem ich die Erneuerung unseres nationalen Lebens erwarte. J
Meine Damen und Herren, mit Besorgnis gedenke ich in diesem Zusammenhang der drückenden Not, unter der ein Teil gerade unserer geistigen Arbeiter den Kampf ums Dasein führt. Wo es immer möglich ist, zu helfen, werde ich dies nach Kräften tun um der großen Bedeutung willen, die gevade die geistigen Arbeiter für unser nationales Leben und besonders für unsere Kultur besitzen Ihre freudige und rückhaltlose Mitarbeit an der seelischen und sittlichen Gesundung unseres Volkes gehört zu den besten Bürschaften für unseren Wiederaufstieg. Ihnen gilt, wo sie auch immer stehen mögen, der Dank der Reichsregierung, daß sie trotz der schweren Not und der wirtschaftlichen Krise, die die Nachkriegszeit über sie gebracht hat, durchgehalten haben in des Wortes stolzester Bedeutung.
Im besonderen gedenke ich hier der Mitarbeit der Presse, deren bedeutungsvolle und perantwortungsreiche Aufgabe für unser Volk sich immer klarer abzeichnet. Die Freiheit und die innere Unabhängig keit der Presse ist für die Erfüllung ihrer Aufgaben unerläßlich. Sie zu sichern und dadurch unser öffentliches Leben vor schweren Gefahr · dungen zu behüten, werde ich stets bemüht sein. Es ist mir eine besondere Freude, hier feststellen zu können, daß die wichtigsten Berufsgruppen der Presse sich in schwierigen, aber von schönen Erfolgen gekrönten Verhandlungen die gemeinschaftliche Arbeit am Dienst für die Oeffentlichkeit durch Vereinbarungen ermöglicht haben, die sowohl die ideellen wie die materiellen Grundlagen der Journalisten in der Hauptsache gesichert zu haben scheinen.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, nun den von mir ent wickelten Gedankengängen gefolgt sind, so werden Sie es selbstver ständlich finden, daß füt mich die Pflege der Einheit unseres völkischen. sozialen Lebens und unserer geistigen Kultur nicht an den politischen Grenzen Halt machen darf. Die Arbeit an unserem Volk in der Heimat bildet nur die Grundlage, aus der auch die Kräfte erwachsen sollen, um un seren Volksgenossen im Auslande, mit denen wir uns auf das engste verbunden fühlen, die Behauptung deutschen Wesens zu ermöglichen. (Bravo! rechts) Die Schwächen deutsche: Wesensart, die ich auch vorhin nicht unerwähnt ließ, eine gewisse Neigung zur Eigenbrödelei, die Trennung der Stämme, das Auseinanderfallen der Konfessionen und manches andere machen es den Söhnen unseres Volkes besonders schwer, sich im Auslande zur Geltung zu bringen, und das lange Fehlen eines gemeinsamen ausgeprägten National · bewußtseins hat dazu beigetragen, daß dem Deutschtum im Auslande schwere Verluste nicht erspart geblieben sind. Aber mit aller Ent
Die ärztliche Wissenschaft bemüht sich mit Erfolg, die gesundheitliche Leistungsfähigkeit unseres Volkes, auf die wir
schiedenheik möchte ich hier den Gedanken zurückweisen, der oft geradezu als ein Vorwurf erklingt, als ob der Deutsche weniger als andere Völker willens und in der Lage wäre, im Auslande seine Stammeszugehörigkeit zu erhalten. Man tut den Balten, man tut den schwäbischen Kolonisten in Rußland und in Siebenbürgen, den Kolonisten in Südamerika und in vielen anderen Lände: bitteres Unrecht mit diesem Gedanken. Zäher als irgendein anderes Volk haben sie oft unter den schwierigsten Verhältnissen deutsche Einen art, deutsche Sprache, deutschen Glauben sich zu bewahren gewußt. Der Krieg und die folgenden Jahre mit ihren oft unerhörten Be drückungen haben diesen Geist der Zähigkeit nicht etwa geschwäct Im Gegenteil — das lehren uns die Stimmen, die jetzt täglich und immer wieder eindringlich zu uns spreck— — sie haben das National⸗ gefühl verstärken, es auch im Auslande zu einer gemeinsamen alle durchdringenden Macht erheben können. Sie haben den deutschen Lebenswillen und das Zugehörigkeitsgefühl zum deutschen Volk und zur deutschen Kulturgemeinschaft überall in ungeahnter Weise geweckt und gestärkt. Mehrere Tagungen, gerade in den letzten Wochen, ins⸗ besondere auch die feierliche Weihe des Deutschen Hauses in Stutt—⸗ gart, bilden hierfür ein herrliches Zeugnis. Zuversichtlicher als je⸗ mals klingt trotz aller Bedrückung der Vers, den manche Deutsche im Auslande sich als Bekenntnislied Erkoren haben:
„Was auch immer werde,
Steh zur Heimaterde,
Sleibe wurzelstark.
Kämpfe, blute, werbe
Für Dein höchstes Erbe,
Siege oder sterbe,
Deutsch sei bis ins Mark!“ (Lebhaftes Bravo! rechts) Deutschland gewährt denjenigen fremd⸗ stämmigen Minderheiten, welche bei uns Wohnrecht und Heimatrecht seit alters haben, gem eine Heimat. Sie genießen den Schutz der Gesetze, der freiheitlichen Verfassung und den des duldsamen Geistes der deutschen Nation. Man wird es uns aber nicht versagen, wenn wir auf die neue Zuwanderung fremdstämmiger Elemente in unser Vaterland ein besonderes Augen merk richten. Gerade Erfahrungen der letzten Zeit haben gezeigt, wie verheerend übermäßige Zuwande⸗ rung aus dem Osten auch auf unser Wirtschaftsleben gewirkt hat. Wir müssen die körperliche und sittliche Gesundheit unseres Volkes gegen eine solche Zuwanderung schützen und auf richtige Grenzüberwachung und Vorsicht in der lung von Einwanderungserlaubnissen besonders bedacht sein. Wenn wir aber den alteingesessenen Minderheiten Heimatrecht gewähren, so müssen wir es um so bitterer empfinden, daß gerade die⸗ jenigen Länder, die ihre Fremdstämmigen gern nach Deutschland ab⸗ schieben, die deutschen nationalen Minderheiten vielfach planmäßi unterdrücken, und daß sich trotz alles internationalen Rechtes und der Minderheitsschutzes sich in diesen Ländern selten jemand findet, den Deutschen in seinen verbrieften Rechten schützt. Wir müssen er⸗ warten, daß der Deutsche, wo er sich immer in der nationalen Minder⸗ heit befindet, ebenso behandelt wird, wie man im Deutschen Reiche ĩ ᷣ m behandelt zu wissen wünscht. Keine
Forderung verzichten, am wenigsten e n
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deutsche Regi in einer Zeit der Millionen treuer Deutscher gewaltsam aus dem
Reiches losgelöst sind. (Lebhafte
Zustimmung.)
Mag e ische Reich gegenwärtig nur geringe Macht nach außen entfalten können, so bleibt uns die Gewißheit, daß deutscher Geist und der deutsche Wille zur Selbstbehauptung kräftig lebt und
wächst und keine politischen Grenzen kennt. In diesem Geiste und Willen fühlen wir uns mit dem Deutschtun im Ausland einig. Wir werden dafür sorgen, daß er sich in unserem Vaterlande und in unserem Volke immer mächtiger entfalte, und daß auf dieser Grund⸗ lage aus sittlicher Kraft und Erneuerung und aus dem Bekenntnis zum deutschen Staate neue Macht und neue Autorität füt unser Reich erwächst. Diese Autorität, in der Heimat, im Vaterlande ver ⸗ ankert, wird auch jenseits unserer politischen Grenzen und jenseits der Meere dem Deutschtum zu neuem Ansehen und neuer Blüte verhelfen. (Lebhafter Beifall rechts.)
78. Sitzung vom 15. Juni 1925, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverl ener *).)
Am Regierungstische: Reichsinnenminister Schiele.
Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 2 Uhr 20 Minuten.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt der
Abg. vgn Kardorff (D. Vp) eine Erklärung ab, in der er seststellt, daß sich der Abgeordnete Koch- Weser durch eine seiner Bemerkungen in der letzten Plenarsitzung Verletzt gefühlt habe. Er habe schon persönlich dem Abgeordneten Koch sein Bedauern über diese Bemerkung gusgesprochen und nehme hiermit auch vor dem Plenum diese Aeußerung zurüch
Auf der Tagesordnung steht dann die zweite Beratung des Gesetzenlwurfs über Sepots und Depositen⸗ geschäfte.
Abg Rauch⸗ München (Bayr. Vp) empfiehlt namens des Ausschusses die Vorlage zur Annahme.
Aba. Fischbeck (Dem): Dag. Kapitalfluchtgesetz, Las durch die Stabilisierung der ihrung hinfällig geworden ist, schloß unsolsde Clemente vom Depot. und Depositengeschäft aus,. Heute beftehen soiche Befürchtungen nicht mehr, die eine Beschränkung des Tepot. und Depositengeschäfts rechtfertigen können. Von Kapital; ffucht ist keine Rede mebr, die Begründung der,. Vorlage beruft sich deshalb nur noch auf volkswirtschaftliche Schäden. die durch un. lauteren Wettbewerb entstehen könnten. Unlauterer Wettbewerb jst im Bankwesen aber ven jeher möglich gewesen, ebe man an alle ficke Gesetze dachte. Das Publikum muß die nötige Versicht üben. Schon ein AÄntrag auf Konzeffionsentziehung kann einem Unternebmen den Ruin bringen, das vollkommen solide ist. Eine Ausbeutung dez Publikums ist schließlich auf allen Gebie len möglich, dagegen muß nöglichst die Gewerbeordnung geschützt werden. Die Konze sionigrung des Depofitengeschäfts bringt alle Gefahren mit, sich, die überbaupt mit Konzessionierungen verbunden sind, namentlich die Gefabt pon Beginstigungen. Das Publikum wird zu dem Glauben verleitet, daße die konzefsionierten Unternehmungen unter allen Umständen ber= traue nm sidig sind. Wir. Haben aber erleßt, wie ibst, Warkessen das Vertrauen des Publikums getäuscht haben Wir können dem Gesegenhrurf nicht zustimmen, find aber hereit. verschiedene Be. stimmungen der Vorkage nochmals nachzuprüfen, und ich beantrage Kghalb bie Zurückpermelsung an den volkswirtschafflichen Ausschuß.
Ein Regierungsvertreter bittet. diesen Antrag ab⸗ zulebhnen, za. der Ausschäß, die Malerie sehr eingehend beraten hat und das Gesetz am J. Juli in Kraft treten muß.
) Mit Ausnahme der durch Sperrdruch hervorgehobenen Reden
der Herten Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.