— n
ö —— — —
Der praktische Weg unseres Volkes nach oben wird nur stufen⸗ weise vor sich gehen. Ein Rüdblick auf das, was in den letzten Jahren geschehen ist, kann uns freilich mit dem stärkenden Bewußt sein erfüllen, daß dieser Weg trotz aller Not in seiner Hauptrichtung nach oben führt. (Widerspruch rechts.) 4 Ja. meine Herren, diesen Glauben an das deutsche Volt und seine Ent⸗ wicklung habe ich nun einmal. (Beifall in der Mitte. 4. Unruhe und Zurufe rechts.) Selbstvomrständlich ist auch bei den bisher dor⸗ liegenden Rückwirkungen noch eine nie ermüdende Ergänzungsarbeit durch die Organe der deutschen Regierung zu leisten. Dabei will ich aber offen die Ueberzeugung der deutschen Regierung aussprechen, daß die bereits ausgesprochenen oder getroffenen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit wesentliche Erleichterungen in den besetzien Ge⸗ bieten bedeuten und daß sie zum Teil auch von grundsätzlicher Tragweite sind. Das gilt in erster Linie von der restlosen Ab⸗ schaffung des Delegiertensystems. (Sehr richtig! bei den Sozial⸗ demokraten. Natürlich wird außerordentlich viel darauf an⸗ kommen, wie weit und wie schnell die Zahl der fremden Truppen vermindert und welche Rücksicht dabei auf die vorhandenen Unter— bringungsmöglichkeiten genommen wird. Bei dieser wie bei allen anderen Fragen legt sicherlich sehr viel Entscheidendes in der Aus⸗ führung. Der neue deutsche Rheinlandkommissar wird nach dieser Richtung eine besonders größe und verantwortliche, aber für die gesamte Zukunftsentwicklung vielleicht entscheidungsvolle Arbeit zu leisten haben. Die Grundlage dazu wird ihm die seste deutsche Ein⸗ stellung im Sinne des Vertragswerks von Locarno bieten. Ich gebe der bestimmten Hoffnung und Erwartung Ausdruck, daß auch alle Organe der Besatzungsmächte gemäß dem bestimmt be⸗ kundeten Willen ihrer Außenminister mithelfen werden, der rheini⸗ schen Bevölkerung und dem gesamten deutschen Volke die ver⸗ bleibende Last nach allen Möglichkeiten zu erleichtern. Die deutsche Regierung erblickt somit in dem Geschehenen und in Ausführung Begriffenen einen Beweis dafür, daß die Rückwirkungen sich voll— ziehen. Nie aber ist der Rückwirkungsgedanke so verstanden worden, als sollte oder könnte das ganze Maß der Rückwirkungen sosort in Erscheinung treten. Vielmehr muß dieser Gedanke weiter getragen werden durch seine eigene innere Logik. Locarno ist eben, wie der britische Außenminister wiederholt ausgesprochen hat und wie auch wir nicht oft genug wiederholen können, kein Ende, sondern ein Anfang. (Zustimmung links und in der Mitte. — Widerspruch und Zurufe rechts.)
Meine Damen und Herren, wenn ich nunmehr zu der Schilderung des Vertragswerks von Locarno selbst übergehe, so stelle ich — — (Wiederholte Zurufe rechts. — Glocke.)
Meine Damen und Herren, ich gehe also, wie ich mir schon zu bemerken erlaubte, nunmehr zu der Schilderung des Vertrags⸗ werks von Locarno selbst über und stelle dabei an die Spitze der Betrachtung die Frage des Eintritts in den Völkerbund, von deren Bejahung nach der Locarnoer Abmachung die Inkraftsetzung des gesamten Vertrages abhängt. Mit dieser Frage verbinden sich sehr ernste Sorgen, die sich auf die Gesamteinstellung Deutschlands in der internationalen Politik beziehen. Aber auch gefühlsmäßig be⸗ wegt die Frage des Völkerbundes das deutsche Volk besonders tief. Hier laufen zwei Strömungen im deutschen Volke gegeneinander an. Die eine sieht gerade im Eintritt Deutschlands in den Völker⸗ bund die Verwirklichung einer neuen Lebensgrundlage für das Völkerleben Europas und damit auch einen festen Ausgangspunkt für die Wiedergewinnung der Deutschland gebührenden Stellung. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Die andere Strö⸗ mung ist davon beherrscht, daß der Völkerbund nach seiner Grün— dung zunächst nichts anderes zu sein schien als ein Instrument zur Fortsetzung der gegen Deutschland gerichteten Politik von Ver— sailles. (Zustimmung und Zurufe in der Mitte und rechts: Ist er auch noch! Nun handelt es sich aber nicht darum, in diesem Widerstreit der Auffassungen die nüchterne Linie des deutschen Interesses festzuhalten, sondern es handelt sich um die ganz ent⸗ scheidende Frage, ob und wie sich Deutschlands gesamte welt— politische Lage durch den Eintritt in den Völkerbund verändern könnte. Dabei steht im Kernpunkt die Sorge, ob Deutschland etwa durch diesen Eintritt eine Westorientierung im Sinne einer Ab⸗ wendung vom Osten vollziehen würde. (Zuruf von den Kom⸗ munisten: Selbstverständlich! Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich eine solche Option zwischen West und Ost in Deutschlands geographischer Lage für einfach unmöglich halte. (Sehr wahr! links und in der Mitte. — Zurufe von den Kommunisten.) Nach dieser Richtung sind die Erklärungen des britischen Außenministers, daß dem Völkerbund und der Politik der Völkerbundsstaaten jede agressive Absicht gegen Rußland fernläge, besonders bedeutungsvoll. Daneben aber muß Deutschland von sich aus das Seine tun, um sich denjenigen Schutz gegen etwaige zukünftige politische Gefahren zu sichern, der in Deutschlands geographischer Lage unerläßlich ist. Hier stehen wir vor der großen Frage des Artikels 16 der Völker⸗ bundssatzung. So viele Erörterungen bisher auch über den Artikel 15 innerhalb und außerhalb des Völkerbundes statt— gefunden haben, so unterliegt es doch nach der Völker⸗ bundssatzung und der Entschließung der Vollversammlung keinem Zweifel, daß gegen den Willen keines Landes, also auch nicht gegen den Willen Deutschlands, jemals eine für das be⸗ treffende Land bindende Entscheidung darüber getroffen werden kann, ob in einem gegebenen Falle die Voraussetzungen für die An⸗ wendung des Artikels 18 und gegen welchen Staat als Friedens⸗ brecher sie vorliegen. (Abgeordneter Koenen: Chamberlam und Briand sagen es anders) ⸗ — Das ist mir nicht bekannt. — Die Möglichkeit, daß wir uns in der einen oder in der anderen Form an einem Exekutionsverfahren gegen einen Staat beteiligen müßten, den wir selbst gar nicht als Friedens⸗ brecher — will sagen: als Angreifer ansehen, ist also von vomherein ausgeschaltet. (Zurufe rechts) — Der Durchmarsch wird in keiner Weise anders behandelt als andere Exekutionsmaßnahmen. (Zuruf bon den Völkischen: Wo steht dag?) — Meine Herren, lesen Sie doch den Artikel 16 durch! (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und links. — Erneute Zurufe von den Völkischen. — Glocke.)
Somit taucht die Frage unserer Teilnahme an einer Bundes- erekution überhaupt erst dann auf, wenn auch wir selbst die Frage, wer bei einem bepaffneten Staatenstreit den Angriff eröffnet hat, für geklärt erachten. Selbst wenn nun aber die Angriffsfrage von uns zuungunsten des einen oder anderen Staates bejaht wird, so ist keine Instanz gegeben, die etwa gegen unsere eigene Auffassung mit bindender Wirkung für uns darüber zu entscheiden hätte, welche konkreten Einzel⸗ maßnahmen deutscherseits zu treffen wären. (Sehr richtig! bei den
Deutschen Demokraten) Es entsteht auch auf keinen Fall das Recht eines anderen Bundesmitgliedes, uns in irgendeiner Form gegen unseren Willen zu einer Exekutionsmaßnahme, zum Beispiel zur Duldung des Durchmarsches, zu zwingen. (Sehr richtig! im Zentrum und links. — Zuruf von den Völkischen) Diese Auffassung findet einen sehr deutlichen Ausdruck zum Beispiel auch in dem bekannten Bericht über das Genfer Protokoll, in dem es unter anderem heißt: „Jeder Staat entscheidet über die Art, wie er seinen Venpflichtungen nachkommen wird, nicht aber darüber, ob diese Verpflichtungen bestehen. (Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.) Das heißt: jeder Staat behält die Entscheidung über das, was er tun wird, nicht aber über das, was er tun soll.“ (Lachen und Zurufe bei den Völkischen und Kommu⸗· nisten) Dieser hier angeführte Satz bestätigt die Nichtigkeit der soeben geschilderten juristischen Auffassung. (Sehr richtig! bei den deutschen Demokraten.) Auf der anderen Seite betont er den ganz selbstverständlichen Grundsatz, daß dieses freie Ermessen des einzelnen Staates mit dem allgemeinen Grundsatz loyaler Erfüllung der Bundes⸗ pflichten im Einklang stehen muß (aha! bei den Voölkischen und den Kommunisten), und das ist gerade der Punkt, an dem die Erwägungen einsetzten und einsetzen mußten, die zu un seren Bedenken gegen den Artikel 16 geführt haben. Es ist für Deutschland selbstverstandlich, daß es dem Völkerbund nur in aufrichtiger Bundesgesinnung und ohne versteckten Vorbehalt beitreten kann. Zustimmung.
Es kann aber andererseits nicht außer Betracht lassen, daß der praktischen Betätigung seiner Bundesgesinnung gerade bei einer etwaigen Anwendung des Artikels 16 in vielen Fällen besondere Schranken gezogen sein wewen. Das ist die Folge von Deutschlands völliger Entwaffnung, deren Bedeutung und Gefahren durch Deutsch⸗ lands zentrale geographische Lage noch außerordentlich verstärkt werden. (Lebhafte Zustimmung.) Aus diesem Grunde kam es darauf an, noch vor dem Eintritt in den Völkerbund sicherzustellen, daß Deutschland sich nicht in Verfolg der durch seine besondere Lage gegebenen Um⸗ stände dem Vorwurf eines illoyalen Verhaltens und damit der Gefahr einer moralischen Isolierung aussetzt. Dieses Ziel wird durch die in Locarno vereinbarte Erklärung zum Artikel 16 erreicht. Denn diese Erklärung stellt fest, daß Deutschland zur Beteiligung nur insoweit verpflichtet ist, als dies mit seiner militärischen und geographischen Lage verträglich ist. (Unruhe und Zurufe bei den Völkischen) Diese Erklärung bez: eht sich hinsichtlich der Verpflichtung Deutschlands so · wohl auf die wirtschaftlichen wie auf die militärischen Hilf maßnahmen, wie auch auf die Duldung des Durchmarsches. Die Er⸗ klärung erkennt somit ausdrücklich an, daß Deutschland berechtigt ist, bei der pflichtmäßigen Prüfung der Frage, ob und inwieweit es sich an einzuleitenden Exekutivmaßnahmen beteiligen will, den n,, Maßstab anzulegen, den ihm seine besondere Lage vorschreibt. Das ist an sich für Deutschland kein Ausnahmerecht, sondern nur eine An⸗ wendung der Grundsätze, die von den Organen des Völkerbundes all⸗ gemein für die Durchführung des Artikels 16 anerkannt worden sind. Daß aber diese Erklärung Deutschland gegenüber besonders abgegeben worden ist, trägt der besonderen Tragweite Rechnung die sich für Deutschland aus seiner geographischen und militarischen Lage ergibt.
Bei diesem ganzen von mir dargelegten Sachverhalt stehe ich nicht an zu erklären, daß nach der jetzt geklärten Auslegung des Artikels 16 sich aus ihm keine Gefahren für Deutschland ergeben. (Widerspruch und Zurufe bei den Völkischen.) . .
Wenn somit durch die Verhandlungen in Locarno für Deutsch⸗ land hinsichtlich des Artikels 16 die Grundlagen geschafsen sind,
um in den Völkerbund eintreten zu können, so waren doch auch in
Beziehung zum Völkerbund selbst — und zwar nach Auffassung der Reichsregierung vor dem Eintritt — eine Reihe weiterer Fragen zu klären und Zweifel auszuräumen. Ich erwähne nach dieser Richtung, daß das im hohen Hause häufiger besprochene dentsche Völkerbundsmemorandum vom September 1924 nach seinem ganzen Inhalt aufrechterhalten worden ist. Aus dem Schriftwechsel, der sich an dieses Völlkerbundsmemorandum angeschlossen hat, und aus den Erklärungen in Locarno ergibt sich, daß Deutschland des Sitzes im Völkerbundsrat und einer entsprechenden Vertretung in der Völkerbundsverwaltung sicher ist. Wegen der Kolonialfrage ist das Recht Deutschlands auf Kolonialmandate ausdrücklich anerkannt worden. Wir erwarten, daß diesem seinem Anspruch auch praktisch Rechnung getragen wird. (Lachen und Zurufe bei den Kommu⸗ nisten.)
Was endlich die Frage einer Anerkennung morakischer Be⸗ lastungen, insbesondere die Kriegsschuldfrage, anbetrifft, so hat die deutsche Regierung vor Beginn der Verhandlungen in Locarno gegenüber den Verhandlungsgegnern ihre Auffassung in der Kriegsschuldfrage, insbesondere auch, wie sie durch die Erklärung der Regierung Marx vom 16. August 1924 festgelegt worden ist, förmlich zur Kenntnis gebracht und hat ihr Festhalten an ihrer Auffassung auch bei den Verhandlungen in Locarno ausgesprochen. Dieser Standpunkt der deutschen Regierung wird auch bei unserem Eintritt in den Völkerbund festgehalten werden.
Sind somit die Voraussetzungen erfüllt, unter denen Deutsch⸗ land seine grundsätzliche Geneigtheit zum Eintritt in den Völker⸗ bund durch die Rote vom September 1924 zu erkennen gegeben hat, so ist der tatsächliche Eintritt Deutschlands in den Völkerbund nur ein Voranschreiten auf der bisher gegebenen und übrigens aach in der von mir abgegebenen Regierungserklärung vom 19. Januar dieses Jahres festgehaltenen Linie. Gleichwohl möchte ich nicht unausgesprochen lassen, daß nach meiner Ueberzeugung die inneren Gründe für den Eintrittsbeschluß in der Zwischenzeit an Gewicht zugenommen haben. Denn ich vermag das Verhandlungsergebnis von Locarno, auf das ich des nähe ren noch zu kommen habe, nicht anders zu verstehen, als daß es einen wirklichen Fortschritt im Sinne der Stärkung der Friedenskräfte in Europa darstellt. (Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.) —
Nun unterliegt es gar keinem Zweifel, daß Deutschland seine große innere Kraft überhaupt nur auf den Bahnen des Friedens zu entwickeln vermag. Deutschland wird also in dem Zustande, in dem es sich nach dem unglücklichen Ausgange des Weltkrieges befindet, sein natürliches Gewicht im Völkerbund für alle Fragen, die den deutschen Staat und die das deutsche Volk innerhalb und außerhalb der Staatsgrenzen bewegen, je mehr zur Geltung bringen können, je stärker die Kräfte des Friedens, in deren An⸗ wendung Deutschland ein Gleicher unter Gleichen ist, zur Aus⸗ wirkung kommen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. Zuruf auf der äußersten Linken: Marokko!) Es ist für mich ein unver⸗ ständlicher Kleinmut, anzunehmen, daß Deutschland, wenn es jetzt Mitglied des Völkerbundes und Völkerbundsrats ist, dadurch nicht die Möglichkeit gewinnt, deutsche Interessen kräftiger zu fördern. Das Maß dieser Möglichkelten wird nicht zuletzt von Denutschlands
entschlossener Weiterarbeit auf der in Locarno beschrittenen Bahn abhängen. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)
Auch die Investigationsfrage, für deren Lösung in dem von Deutschland allein annehmbaren Sinne in den Aussprachen in Locarno eine weitgehende Klärung erfolgt ist, wird in ihrer praktischen Handhabung und Weiterentwicklckung sehr wesentlich davon abhängen, daß Deutschland den Sitz im Völkerbundsrat inne hat.
Zu den in Locarno mit allem Nachdruck gestellten Fragen, meine Damen und Herren, gehört die allgemeine Abrüstung. Es ist ganz jelbstverständlich, daß Deutschlands Friedenskraft erst dann voll zur Geltung kommen kann, wenn auch auf dem Abrüstungs— gebiet die Ungleichheit beseitigt ist. Eine wirkliche Gleichheit der Lage zwischen entwaffneten und waffenstarrenden Mächten ist nicht denkbar. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten) Die bestehende ungeheuerliche Ungleichheit des Rüstungszustandes schließt sogar die unmittelbare Gefahr ein, daß immer wieder die Waffenkraft der bewaffneten Mächte zum Vorstoß in den an Waffen leeren Raum der abgerüsteten Staaten drängt. (Lebhafte Zustimmung.)
Gerade datum muß Deutschland alles daran setzen, den Gedanken der allgemeinen Abrüstung, wie er in dem Versailler Vertrage festgelegt ist, jederzeit wachzuhalten und vorwärts zu treiben. (Sehr richtigl in der Mitte und links) Die grundsätzliche Zustimmung der Ver— tragsgegner von Locarno zu fortschreitender Abrüstung ist in den Verhandlungen und im Schlußprotokoll ausgesprochen. Auch der britische Außenminister hat die Bedeutung der Abrüstungsfrage in seiner letzten Parlamentsrede vom 18. November wiederum stark betont. (Zuruf von den Deutschvölkischen: Theoretisch) Eine weitere Wirksamkeit Deutschlands in der Richtung der Abrüstung ist prak— tisch nur im Völkerbund denkbar. Gustimmung. — Zuruf von den Kommunisten: Die Tatsachen sprechen dagegen. — Lachen in der Mitte und bei den Sozialdemokraten) — Deutschland war ja noch gar nicht im Völkerbund! Wo haben Sie die Tatsachen her?
Meine Damen und Herren, man braucht und soll die Aussichten in dieser Richtung nicht überschätzen. Aber es darf auch nicht ver— gessen werden, daß der Gedanke der allgemeinen Abrüstung zurzeit nicht mehr ein bloßes Ideal oder eine bloße Utopie ist. Der Gedanke bildet vielmehr einen durchaus praktischen Bestandteil der Politik der Kabinette (Heiterkeit rechts, einen Bestandteil, der um so be⸗ deutender ist, als er von sehr realen Interessen getragen wird. (Sehr wahr! in der Mitte.)
Meine Damen und Herren, die Reichsregierung erblickt somit im Eintritt in den Völkerbund in keiner Weise eine Schwächung der deutschen politischen Lage, sondern umgekehrt die Gewinnung einer neuen Plattform, auf der es möglich sein wird, in angestrengter und mühsamer Arbeit die Interessen des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes zu fördern.
Die Frage des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund be—⸗ kommt jedoch ihre ganz bestimmte Note erst durch die Verbindung mit dem Sicherheitspakt und den Schiedsverträgen; denn Sicher- pakt und Schiedsverträge stellen einen erheblichen Schritt zur Weckung und Stärkung gerade jener Kräfte des Friedens dar, die Deutschlands Stellung innerhalb und außerhalb des Völkerbundes zu festigen geeignet sind.
Bevor ich nun den Hauptinhalt des Vertrages von Locarno selbst schildere, muß ich in einem kurzen Wort auf die bisher vielfach geübte Art der Kritik eingehen. Die Bemühungen der Reichs⸗ regierung, auch die breite Oeffentlichkeit über Inhalt und Sinn der Vertragstexte aufzuklären, sind vielfach durchkreuzt worden durch Versuche, Auslegungszweifel in die Erörterung zu werfen, die die bon Regierungsseite gegebene Darstellung als zweifelhaft, als ein⸗ seitige oder sogar gekünstelte Auslegung hinstellen. Man hat Wider— sprüche zwischen dieser Auslegung und angeblichen autoritativen Aus— lassungen von anderer, insbesondere ausländischer Seite feststellen zu können geglaubt. (Zuruf von den Völkischen: Angebliche?)
Verallgemeinernde Bemerkungen, die das Vertragswerk in eine ganz unrichtige Perspektive rückten, haben dabei manchmal eine erhebliche Rolle gespielt. Ich muß demgegenüber feststellen, daß mir, obwohl ich die Aeußerungen des Auslands über die LocarnoW Verträge mit größter Sorgfalt verfolgt habe, darunter bisher keine Aeußerung von irgendwie autoritativer Bedeutung bekannt ge⸗ worden ist, die mit unserer eigenen Darstellung in wirklichem, sach⸗ lichem Widerspruch stände. (Lärm bei den Völkischen. — Abgeord⸗ neter von Graefe Mecklenburgl: Unerhört! Das sagen Sie als verantwortlicher Leiter der Regierung? — Zuruf von den Kommu— nisten: Das heißt den Kopf in den Sand stecken! — O nein, meme Herren, das heißt nur, sich nicht von dem geraden Wege dadurch abbringen zu lassen, daß einem fortwährend Dinge, die im Ver— tragstext selbst gar nicht begründet sind, dazwischen geworfen werben. (Sehr richtig! in der Mitte) Das heißt einfach: die Augen auf das richten, was ist, und nicht die Augen deshalb künstlich von der Linie, die allein gegeben ist, abwenden, weil hier und dort irgendwelche Einwendungen allgemeiner Art entstehen, die mit dem Vertragstext selbst gar nichts zu tun haben. (Lebhafte Zustim⸗— mung bei der Deutschen Volkspartei und in der Mitte. — Zuruf von den Völkischen: Wir werden Ihnen die Beweise schon bringen k
Meine Damen und Herren, ich will auch an dieser Stelle den Inhalt des Vertragswerks noch einmal in seinen wesentlichsten Teilen wiedergeben, wobei ich mich nur auf den Wortlaut der Ver— träge selbst zu stützen brauche. :
Das Kernstück des Vertragswerks bildet der Westpakt zwischen Dentschland, Belgien, Frankreich, England und Italien. Er ist bestimmt, unsere Grenzen im Westen zu befrieden. Dies bedeutet auf deutscher Seite den Schutz der Rheinlande, und zwar nicht nur gegen eine Verletzung der Grenze als solcher durch eine kriegerische Handlung, sondern auch gegen Gefahren, die ohne unmittelbare Grenzverletzung im Wege des See⸗ und Luftangriffs auf deutsches Gebiet fich ergeben könnten. Die eigene Verpflichtung Deutsch— lands und Frankreichs sowie Deutschlands und Belgiens, nicht mit Angriffskrieg oder anderen aggressiven Gewaltakten gegeneinander vorzugehen, wird durch England und Italien, und zwar durch jeden dieser Staaten, besonders garantiert. (Zuruf von den Völkischen: Famose Garanten) Entschließt fich Frankreich oder Belgien gegen Deutschland oder entschließt sich umgekehrt Deutschland gegen Frankreich oder Belgien zum Angriffskrieg oder zu einer Invasion, so müssen England und Italien dem angegriffenen Lande mit ihren Machtmitteln zu Hilfe kommen. In flagranten Fällen, wo sich die Angriffsabsicht in der militärischen Ueberschreitung der Grenze oder in der Eröffnung von Feindseligkeiten auswirkt, haben die Ga—
ranten dem angegriffenen Lande ihren Beistand sofort und ohne weiteres zu gewähren. In anderen Fällen ist zunächst die Ent⸗ scheidung des Völkerbundsrats herbeizuführen.
An die Stelle der somit im Westen unterhundenen kriegerischen Maßnahmen tritt ein Schiedsgerichtsperfabren für Rechtestreitigkeiten und ein Schlichtungsverfabren für Interessenkonflikte. Das Schieds⸗
gerichtsverfahren ist so aufgebaut. daß die streitenden Parteien sich
dem Richterspruch endgültig unterwerfen
Bei der Würdigung dieser Bestimmungen erhebt sich sofort die
Frage, in welchem Verhältnis der Westpakt zum Versailler Vertrage steht. Es war, wie sich schon aus der deutschen Note vom 20 Jult er⸗ gibt, nicht das deutsche Verhandlungsziel, durch den Sicherheitsvakt den Versailler Vertrag als solchen zu ändern heißt es im Artikel s des Westpaktes, daß dieser die Rechte und Pflichten unberührt läßt, die sich für die teiligten Staaten aus dem Vertrage von geben. (Zuruf von den Völkischen: lüge) Der Sinn dieser Bestimmung ist klar: Sie findet sich in der gleichen Fassung in einer ganzen Reihe anderer Ner— träge, die wir in den letzten Jahren, ja noch im Laufe des letzten Sommerzs abgeschlossen haben. Die Rechte und Pflichten aus dem Versailler Vertrag bleiben unberührt — das bedeutet nicht, daß Deutschland erneut ein förmliches und feierliches Bekenntnis zum Verfailler Vertrag ablegte (Zuruf von den Völküchen: Doch!) und bedeutet eben sowenig, daß ein neuer Rechtsgrund für die Geltung und Dauer dieses Vertrages geschaffen würde. (Zurufe von den Voölkischen.) Es bedeutet vielmehr lediglich, daß es mit der Geltung der Rechte und Pflichten aus dem Vertrage so bleibt wie es damit vor dem Abschluß des Wesspaktes stand, und daß infolgedessen auch an der dentschen Stellungnahme zu den eintelnen Bestimmungen des Vertrages weder moralisch, noch politisch, noch rechtlich etwas geändert wird. (Sehr richtig! im Zentrum) Was aber durch den Westpakt geändert wird, das ist die Hand habung der an sich unberührt bleibenden Ver— tragsrechte, die durch die Unterwerfung dieser Rechte unter das obli— gatorische Schiedsverfahren auf eine neue Grundlage gestellt wird— (Sehr richtig! im Zentrum) Damit wird der Politik der Diktate und Ultimaten, die sich auf einseitige, von Deutschland praktisch nicht zu verhindernde Vertragsautlegung stützte der Boden (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei) Denn alle Meinunge— verschiedenheiten über die Auslegung des Versailler Vertrags und des Rheinlandabkommens sind künftig ebenfo wie andere Rechtsstreitig— keiten dem Schiedsgericht unterstellt. (Sehr richtig! bei den Demo— kraten) Ich stehe nicht an, schon allein diesen einen Punkt, die Ver— wirklichung des Schiedsgerichtẽgedankens, in Uebereinstimmung mit den letzten Ausführungen des britischen Außenministers als eine außer— ordentliche Errungenschaft für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der guten Beziehungen zwischen den Staaten zu betrachten. (Sehr wahr! im Zentrum.)
Ueber diese für Deutschland überaus wichtige praktische Ver— änderung hinaus bedeutet der Abschluß des Westpaktes, und zwar nicht nur als politische Zukunftshoffnung, sondern als unmittelbare vertragliche Wirkung, eine grundsätzliche Neugruppierung der Mächte. Frankreich, Belgien, Italien und England standen Deutschland bisher als geschlossene Einheit gegenüber. Jetzt wird eine politische Ver— tragsgemeinschaft geschlossen, der alle fünf Länder auf dem Fuße der Gleichberechtigung angehören. Der Gedanke eines Sicherheitspaktes gegen Deutschland, der noch vor einem Jahre im Bereich der Mög— lichkeit lag und der sich sogar auf einer ausdrücklichen Bessimmung des Versailler Vertrages, nämlich den Artikel 31 über den Ersatz der früheren belgischen Neutralitätsverträge, hätte aufbauen können, ist endgültig beseitigt.
Ich gehe nun über zu den Verträgen mit Polen und der Tschecho⸗Slowakei. Wir haben steis offen ausgesprochen, daß unsere Stellung zu den Ostfragen nicht die gleiche ist wie zu den West⸗ fragen, daß deshalb auch im Rahmen der Sicherheits verhandlungen eine dem Westpakt gleichende, in irgendeiner Weise auf die Grenzen abgestellte Regelung für den Osten nicht in Betracht kommen könnte. Daß Deutschland nicht die Macht und nicht den Willen hat, im Osten Krieg zu führen, brauche ich nicht erneut zu betonen. Wir haben keinen anderen Wunsch und kein anderes Interesse, als auch unsere östlichen Beziehungen sich auf friedlichen Wegen entwickeln zu sehen. Ein Beweis dafür sind die in Locarno paraphierten Schieds- verträge mit Polen und der Tichecho⸗Slowatei. Sie gleichen inhalt— lich genau den Schiedsverträgen mit Belgien und Frankreich, nur mit dem grundsätzlichen Unterschied, daß sie sich nicht wie diese letzteren an einen besonderen Sicherheits— pakt anlehnen. Ihre Tragweite erschöpft sich in den in ihnen selbst enthaltenen Bestimmungen und wird dadurch genau und unjweideutig umgrenzt. Rechtestreitigkeiten zwischen Deutschland und Polen sowie zwischen Deutschland und der Tschecho⸗Slowakai sollen durch bindendes Schiedsgerichtsurteil erledigt, politische Interessen⸗ konflitte dagegen in einem Ausgleichsperfahren ohne endgültige Bindung behandelt werden. Auch das ist eine Vereinbarung von großer Bedeutung. Sie wird im Interesse beider Teile zunächst den praktischen Vorteil mit sich bringen, daß die Beziehungen zwischen den beteiligten Ländern von nutzlosem Streit über akute Einzelsragen entlastet werden. Sie schafft aber außerdem in Verbindung mit den Bestimmungen der Völkerbundssatzung eine Grundlage für die Auf— rechterhaltung des Friedens im Osten überhaupt, eine Grundlage, die nicht dadurch wertlos wird, daß sie nicht restlos jede Kriegsmöglich⸗ keit beseitigt.
Im Zufammenhang mit diesen Schiedsverträgen hat Frankreich in Locarno, wie der französische Außenminister in der Schlußsitzung der Konserenz mitteilte, besondere Vereinbarungen mit Polen und der Tschecho⸗ Slowakei abgeschlossen. Der Wortlaut dieser Vereinbarungen ist nachträglich bekanntgeworden. Deutschland ist an ihnen nicht beteiligt, und sie bilden auch keinen Bestandteil des Vertragswerks von Locarno, das sich ausschließlich aus den Ihnen vorliegenden fünf Verträgen, nämlich dem Westpakt und den vier Schiedsverträgen mit Frankreich, Belgien, Polen und der Tichecho⸗Slowakei. zu⸗ sammensetzt. Durch diese Sondervereinbarungen sind die nun einmal bestehenden Bündnisse Frankreichs mit Polen und der Tschecho⸗ Slowakei den Bestimmungen des Westpatts angepaßt und daduich sowie durch die Eingliederung in das System der Vöölkerbundslatzung au! eine Grundlage gestellt worden, die als Klärung und Verbesserung des bisherigen Zustandes begrüßt werden kann.
Das ganze Systein von Veipflichtungen, wie ich es speben ge— schildert habe, gipfelt schließlich im Völkerbund, dessen Organe die
Versailles er⸗
Dementsprechend am Westpakt be⸗
Also auch die Schuld⸗
entzogen.
könnte Entblößung von allen militärischen Machtmitteln zur Vorsicht
pflichtungen bilden. Das Vertrage werk von Locarno steJlt also letzten Endes einen Ausbau der Völkerbundssatzung dar, einen Ausbau der bestimmten Problemaebieten, nämlich einerseits den westlichen Pro⸗ blemen und andererseits den östlichen Problemen, angepaßt ist und der unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der Lage im Westen und Osien eine Verstärkung der Friedensgarantien bejweckt. Diese Ein⸗ gliederung des neuen Vertragsswstems in den Rahmen des Völter⸗ bunds läßt zugleich noch einen anderen Gesichtt punkt von grund⸗ legender Bedeutung hervortreten. Eine umjassende internationale Rechts. und Friedensordnung, wie sie das letzte und höchste Ziel des Völkerbundes bildet, kann nicht nur auf die bestehenden Zustände abgestellt sein, sondern muß auch Raum für die Entwicklung des Völkerlebens schaffen. Den Frieden sichern heißt vor allem die friedliche Entwicklung sichern Ein Versuch, das Völkerleben in einen Zustand der Erstarrung zu versetzen, könnte zu nichts anderem als zu einer gewaltsamen Sprengung der unnatürlichen Fesseln führen. Nur darum kann es sich handeln, die Entwicklung aus den Bahnen der Gewalt in die Bahnen des Rechts zu leiten. Dem sucht auch die Völferbundssatzung Rechnung zu tragen. inbesondere durch den bekannten Satz. daß Verträge, die unanwendbar geworden sind, und internationale Verhältnisse, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte, einer Revision unterzogen werden müssen. Man mag die praftische Verwirtlichung dieses Satzes der für alle Arten von Verträgen und für alle Arten internationaler Verhälmisse gilt, zurzeit auch noch ffeptisch beurteilen, so kommt es bei unseren gegen—⸗ wärfigen Betrachtungen doch in erfter Knie auf das Prinzip an, und dieses Prinzip steht außer Zweisel; es hat mithin auch für den ge⸗ samten Fragenkomplex zu gelten, auf den sich das Vertragswerk von Lecarno erstreckt. Auch das Selbfibestimmungsrecht der Völker ist in keiner Weise eingeschränkt.
Meine Damen und Herren! Damit ist der Tatbestand, der das unmittelbare Ergebnis der Konferenz von Locarno darstellt, in seinen wesentlichen Zügen wiedergegeben. Ich kann, wie ich nochmals betonen möchte, nicht für berechtigt halten, an diesem Tatbestand selbst zu zweifeln oder ihn durch Hineintragung von Gedanken zu verdunkeln, zu denen weder der Wortlaut noch der Zusammenhang der Bestimmungen irgendeinen Anlaß gibt Ez ist kein Beweis gegen die Richtigkeit meiner Wiedergabe des Tatbestandes, wenn er in irgendwelchen Presseäußerungen des In⸗ und Auslandes anders dargestellt wird. (Sehr richtig! in der Mitte.) Es ist ebenfowenig
autoritativerer Bedeutung nicht mit den gleichen Worten und Wendungen umschrieben wird. Es liegt auf der Hand, daß auch ein eindeutiger Sachverhalt ohne Verletzung der objektiven Wahrheit in verschiedener Betonung seiner einzelnen Bestandteile geschildert werden kann, je nach dem Interessenstandyunkt, von dem aug diese einzelnen Bestandteile angesehen werden. Das sollte bei der Prüfung von Auslassungen dieser Art nicht vergessen werden.
Meine Damen und Herren! Ueberblickt man das Gesamtergebnis von Locarno, wie es hiernach jetzt zur Entscheidung vorliegt, so be— deutet die Annahme des Vertragswerks den Entschluß zu positiver Mitarbeit im Völkerleben. Nach meiner Ueberzeugung ist die politische Ge samtentwicklung der Welt jetzt so weit fortgeschritten, daß Deutsch⸗ land durch solche positive Stellungnahme seine eigenen Interessen fördert und der politischen und wirtschaitlichen Gesamtentwicklung der Welt dient. Die Auswirkung des Entschlußses auch gerade zugunsten Deutschlands wird um so stärker sein, mit je festerem Schritte das deutsche Volk die neue Entwicklungsstufe betritt Deshalb hat die Reichsregierung ihr Bestreben unentwegt darauf gerichtet, eine möglichst große Mehrheit des Reichstags auf die Zustimmung zum Werk von Locarno zu vereinigen.
Selbstverständlich bedeutet jeder positive Entschluß gleichzeitig eine Bindung. Ich vermag aber nicht zu erkennen, inwieweit sich ein Wachsen der deutschen Kraft, das die Voraussetzung jeder für Deutschland und die Allgemeinheit nützlichen deutschen Betätigung im Völkerleben ist, durch Abseitẽbleiben von der Völkerentwicklung vollziehen sollte. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte) Ich sehe auf dem Wege des Wiederaufstiegs Deutschlands zurzeit nur die eine große Notwendigkeit vor mir, daß Deutschland gesfünder und stärker werden muß (Sehr gut! in der Mitte.) Dazu gehört selbst— verständlich daß die Bewegungssreiheit Deutschlands nicht in einer Weise eingeengt wird, die solche Entwicklung hemmt.
Wenn behauptet worden ist, Deutschland gebe durch den Eintritt in den Völkerbund seine Souveränität auf, so ist dies sicher eine völlig schiefe Auffassung. Dazu ist zunächst zu bemerken, daß jeder Vertragesabschluß eine Einschränkung der Souveränität bedeutet Es kommt also allein darauf an, welcher Art diese Einschränkung ist. Nun unterwirft sich Deutschland beim Eintritt in den Völkerbund nur denselben Beschränkungen. denen die anderen Vöolferbundsmächte einschließlich der Großstaaten selbst unterliegen. (Widerspruch rechts) Gewiß ergibt sich hier ein tatsächlicher Unterschied durch die militärische Machtlage. (Aha! rechts) Aber, meine Damen und Herren, inwie⸗ fern wirkt sich dieser Machtunterschied geringer zu Deutschlands Nach—= teil aus, wenn Deutschland dem Völkerbund fernbleibt? (Sehr richtig! in der Mitte.)
Was soll ferner die oft gehörte Behauptung bedeuten, wir würden innerhalb des Völkerbundes zwangläufig in die Gefolgichait anderer Staaten geraten? Die Dinge liegen nicht im entferntesten so daß es im Välkerbunde einen alle anderen Mitglieder überragenden Staat oder eine geschlossene Gruppe von Staaten gäbe, die einem schwachen Deutschland die politijche Betätigungmöglichkeit ohne weiteres nehmen Der Punkt, in dem uns unsere geographische Lage und die
nötigten, war der Artikel 16. Nachdem dieser Punkt befriedigend getlärt ist, muß der andere Gesichtspunkt überwiegen, daß uns die Zugehörigkeit zum Völkerbund Möglichkeiten eröffnet, die wertvoller sind als diejenige Art von Selbständigkeit, die in Wirklichkeit nichts ist als Isolierung und Passivität. (Sehr richtig! bei der Mehrheit) Soweit sich Beschränkungen gegenüber den nicht zum Völkerbund gehörenden Staaten ergeben, sind sie auch nicht derart, daß sie real⸗ politisch fär Deutichland von nachteiliger Bedeutung wären. Deutsch⸗ land wird selbstverständlich das größte Gewicht darauf legen, auch mit den nicht zum Völkerbund gehörenden Staaten, an die es natür— liche Interessen binden. die besten Beziehungen zu pflegen und zu entwickeln. Was zum Beispiel das Verhältnis Deutschlands zu Rußland anbetrifft, so hat Deutschland unmittelbar vor der Abreise der Delegation nach Locarno duch Abschluß des deutsch⸗rußsischen Handelevertrags seinen klaren Willen kundgetan, aus dem Abschluß des Lorearnovertrags keinerlei Trübung feiner freundschaftlichen Be⸗
ein Beweis gegen die Richtigkeit, wenn er in Auslassungen von
Das Deutsche Reich wird., wenn die Zustimmung des hohen Hauses erfolgt, den Vertrag von Locaino in der sesten Absicht ab- schließen, auf dem daduich eröffneten Friedenswege mit aller Kraft voranzuschteiten Ungeachtet der großen grundsätzlichen Bedeutung, die ich dem Vertragswert von Locarno beilege, erwarte ich nicht. daß die Dimge der Welt, die Deutschland angehen, mit einem Male ihre Gestalt völlig ändern. Uebertriebene Hoffnungen nach dieser Richtung könnten ung nur von dem feften Entschluß ablenken, in ununter brochener Arbeit und Hingebung an das Vaterland die Mühsal des deutschen Autstiegs weiter zu ertragen. Die Arbeit der deuschen Reichs tegierung, der Länderregierungen und aller anderen öffentlichen Organe Deutschlands insonderbeit der Volkeverttetungen. wird in Gemeinschaft mit dem ganzen deutschen Volke auf der Grundlage von Locarno darauf abzuzielen haben, daß wir sowohl auf politischem wie auf wirtschastlichem Gebiet in immer steigendem Maße Rutzen aus der Heistellung eines wirklichen Friedens in Europa ziehen. (Leb hafter Beisall bei der Mehrheit — Zischen bei den Völtichen)
Präsident Löbe teilte mit, daß von den Kommunisten ein Mißtrauensantrag gegen die Reichsregierung eingebracht worden sei.
Die Verhandlungen wurden darauf auf Dienstag, Vor⸗ mittags 19 Uhr, vertagt.
Schluß 123 Uhr.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags der gestern nachmittag unter dem Vorütz bes Abg. He rgt S Nat.) usammentrat, behandelte laut Bericht des Nachrichtenbüros des ereins deutscher Zeitungsverleger im Rahmen der Beratung des Locarno⸗Abkommens zunächst die ö , . frage, zu der die Vertreter der verschiebenen zu⸗ , . Ministerien Stellung nahmen. Alsdann beschäftigte . er Ausschuß mit den Auswirkungen des Loecarno— Abkommens auf das besetzte Gebiet. Die Redner der einzelnen Parteien gingen ausführlich auf die vorgetragene Materie ein. Am Schluß der ausgedehnten Debatte sprach Reichs⸗ minister des Aeußern Dr. Strese mann. Es wurde dann noch verkündet, daß das Gutachten der Reichsregierung darüber, ob das Loregrno⸗ get ein verfassungänderndes sei oder nicht, den Mit⸗ liedern des Ausschusses mit größter Beschleunigung in gedruckter Form zugeleitet werden wird, so daß schon in den nächsten Tagen der Auswärtige Ausschuß über diese Frage beraten wird.
— Der Reichstagsausschuß für Soziale An⸗ 6 legenheiten behandelte gestern Fragen der Exwerbs⸗ osenfürsorge. ie Sozialdemokraten beantragten nach dem Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger, die Unterstützungen der Erwerbslosen in aus⸗ reichendem Maße entsprechend der gegenwärtigen Notlage der Er⸗ werbslosen zu . Den Kurzarbeitern soll eine entsprechende
AUnterstützung gewährt und die Unterstützungsdauer so weit ver⸗
längert werden, wie es gegenwärtig notwendig ist. Der Ver⸗ treter des Zentrums erklärte, daß das Zentrum grund⸗ sätzlich auf dem Standpunkt des sozialdemokratischen Antrags . dessen Inhalt einem Beschlusse des Casseler Parteitages ent⸗ preche. GSbenfalls in zustimmender Weise sprachen sich die Ver⸗ treter der demokratischen, der dentschnatio nalen und der deutschen Volkspartei aus, wobei sie allerdings erklärten, daß sie mit ihren Fraktionen wegen der hen e; noch nicht Fühlung hätten nehmen können. Die Kommunisten ver⸗ langten sofortige Verdoppelung der Erwerbslosenunterstützung, die 1 . an alle Erwerhslosen für die ganze Dauer der erwerbslosigkeit zur Auszahlung gebracht werden soll. Geheimrat Weigel (Reichsarbeitsministerium) hlelt es in Anbetracht der großen finanziellen Auswirkungen der vorliegenden Anträge für geboten, daß sich zunächst der zuständige Ausschuß des Ver⸗ waltungsrats dez Reichsamts für Arbeitsvermittlung, der noch im Laufe dieser Woche zusammentreten werde, mit den Anträgen beschäftige. Der Vorsitzende des Ausschusses, Abg. Esser (Zentr.), tellte das allseitige Interesse an der baldigen Regelung diefer ragen fest und warnte unter Hinweis auf einen Vorgang der etzten Tage vor der übereilten und überflüssigen Entsendung von Deputationen aus dem Lande nach Berlin. In den meisten Fällen genüge eine schriftliche Unterrichtüng der Abgeordneten. — Hierarf bertagte sich der Ausschuß. ö 2 er , für Jugendschutz
und Jugendpflege begann gestern die Beratung des Geietz= entwurfs über den Schutz der Jügend dei Lustbarketen. Zur Berichterstgtterin wurde die Abg. Klara Mende (D. Bp.) ge⸗ wählt. Dem Nachrichtenbürd des Vereins deutscher Zeitungs- verleger zufolge belonten die Abgeordneten H. Mum m D Nat.) und Paula Müller-Otfried (D. Nat.) in der Anssprache die Notwendigkeit einer Ordnung dieser Fragen und eine wirksamere Kontrolle als bisher. Abg. Br. Marie güders (Den) wies auf die schweren Mißstände ianerhalb der sogenannten Rummelplätze hin, wobei sie besonders auf Vorgänge in Magdeburg Bezug nahm. Von den Abgg. Margarete Bohm-⸗-⸗Schuch (Soz) und Mathilde Wurm (Soz.) wurde die Notwendigkeit erwogen, einmal in all= gemeiner Weise diesen und ähnlichen Schäden entgegenzutreten. Mit dem Schutzalter von achtzehn Jahren waren alle‘ einver— standen. Von den Vertretern der Reichsregierung Oberregie⸗ rungsrat Dr. Be ck«r und Geheimrat Hör c wurde auf An— fragen mitgeteilt, daß das Filmgesetz im Reichsrate bereits vor- liege; der Abschluß der Beratung aber noch nicht zu übersehen sei. Das Gesetz sehe vor, daß die Ausführungsbestimmungen nur durch die Landesregierungen erlassen werden sollten. Reichs ausführungs—⸗ bestimmungen könnten erst in Frage kommen, wenn von den Ländern der n dazu bestehe oder sich sonst die Notwendigkeit für eine einheitliche Reichsausführung ergebe. Die Ausführungs⸗ bestimmungen hingen im übrigen von der Gestaltung des Gesetzes ab, das sich noch nicht überfehen lasse. Ein geschloffener Rummel⸗= platz, wie z. B. der Lunapark falle unter das Gesetz, andere Plätze wieder nicht; es käme vor, daß beispielsweise solche Plätze ver⸗ schiedenen Besitzern gehörten und an verschiedene Schaufteller ver⸗= mietet würden, so daß sie vom Gesetz nicht ohne weiteres als ein⸗ heitliches Ganzes betrachtet werden könnten. — Hierauf vertagte sich der Ausschuß. — Der Geschäftsordnungsausschuß des Reichs⸗ tags beriet gestern vormittag über den Antrag der kommunisti⸗ schen Fraktion, die im Laufe des Sommers bei der Beratung der Zollvorlage für zwanzig Sitzungstage ausgeschlofsenen kommnnisti⸗ schen Abgeordneten sofort wieder zuzulassen, obwohl diese zwanzig Sitzungstage noch nicht abgelaufen sind. Der Geschäftsorsnungs— ausschuß einigte sich darüber, daß erst die Fraktignen sich mit dieser r befassen sollen, und vertagte sich für die Weiterberatung auf eute.
Gesundheitswesen, Tierkraukheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.
Der Ausbruch der Maul⸗ und Klauen seuche ist vom Schlachtviehhoöz in Stuttgart am 19, der Ausbruch und das Erlöschen der Maul- und Klauenteuche vom Schlachtviehhof in Pklauen am 20, das Erlöslchen der Maul- und Klauenseuche von den Schlachtviehböfen in veipzig und Mannheim am 21. November 1920 amtlich ge meldet worden.
oberste Instanz für die Entscheidung äber die Duichsührung jener Ver—
rr , m. , ee, g,, . 2 Ez TES niit nini sz
ziehungen zu Rußland entstehen zu lassen.
— —