1926 / 44 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 Feb 1926 18:00:01 GMT) scan diff

Kreisen tut das Arbeitsministerium vlel zu viel. Dle ersteren

werfen dem Minister Schwäche vor auch Herr Karsten hat das getan Schwäche gegenüber den Kommunal⸗ oder anderen Be⸗ hörden. Ich weiß nicht, wen Herr Karsten sonst noch mit den

Jedenfalls sind die Behörden des keine

8ios o chte diese Rechte

„nachgeordneten Behörden“ gemeint hat. Kommunalbehörden aber nicht nachgeordnete Arbeitsministeriums. Das Arbeitsministerium hat gar Rechte gegenüber den Kommunalbehörden, sondern haben einzig und allein die Länder. Diesbezügliche Klagen muß man also in anderen Parlamenten vorbringen. (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

Der Herr Abgeordnete Karsten hat auch gemeint, das Arbeits-

23

ministerium hätte sich als von den Arbeitgebern abhängig erwiesen. Er hat ich muß sagen: zu meiner Verwunderung zum Be⸗ weise dieser Behauptung auf die Denkschrift des Reichsverbandes der deutschen Industrie über Wirtschafts- und Sozialpolitik hin⸗

gewiesen. Ich kann nicht recht verstehen, wie er gerade diese Denk⸗ schrift zum Beweise seiner Behauptung anziehen konnte. Denn es steht doch fest, daß diese Denkschrift sehr kritisch gegenüber den Maßnahmen des Arbeitsministeriums eingestellt ist. Ich darf mit Fug und Recht behaupten, daß ich mich nach dieser Seite wie über nach jeder Seite völlig unabhängig fühle und das tue, was ich sachgemäß für das Rechte halte.

Bei den grundsätzlichen Auseinandersetzungen über die Auf⸗ gaben des Arbeitsministeriums hat dann der Herr Kollege Erkelenz eine Reihe von Ausführnugen gemacht, die ich nicht ganz über⸗

chte. Er hat gemeint, ich würde lediglich den Faden, den Herr Professor Hitze gesponnen habe, indem er sich speziell für die staatliche Sozialpolitik eingesetzt habe, heute weiterspinnen, in einer Zeit, in der eigentlich doch andersherum gefahren werden müßte.

*

ni ß e n be

Ich glaube zunächst einmal sagen zu müssen, daß Herr Erkelenz doch Herrn Professor Hitze falsch beurteilt (sehr richtig! im Zentrum), wenn er glaubt, daß Herr Professor Hitze nur diese Seite der Sozialpolitik gepflegt oder auch nur auf sie den Haupt⸗ nachdruck gelegt hätte. Die Parole von Hitze ist immer ebensosehr, vielleicht noch mehr, die Selbsthilfe gewesen wie die Staatshilfe. Zustimmung in der Mitte und rechts.)

Der Herr Kollege Erkelenz hat gegenüber der heutigen staat— lichen Sozialpolitik den liberalen Staat und seine Ideengänge als die heste Richtschnur für uns bezeichnet und die Initiative der Selbstverwaltung besonders nachdrücklich empfohlen. Bei der Kritik, die er an bisherigen Vorgängen geübt hat, sind ihm doch einige Irrtümer unterlaufen. Das Zustandekommen der Arbeits⸗ losenpersicherung hat nicht etwa vom Fehlen eines Steuermannes abgehangen, wie der Herr Abgeordnete Erkelenz meinte, sondern es war schon richtig, was ich ihm zurief: es fehlte überhaupt das Fahrwasser dazu. (Heiterkeit) Als der erste Entwurf elner Arbeitslosenversicherung hier beim Reichstag einging es war wohl im Januar 18923 —, nachdem er bereits vom Reichswirt— schaftsrat und Reichsrat verabschiedet worden war, herrschte im hohen Hause keine Bereitwilligkeit, an die Bearbeitung dieses Gesetzes heranzugehen. (Abgeordneter Hoch: Sehr begreiflich! Damals war es so, Herr Kollege Erkelenz; heute ist es anders geworden, das gebe ich ganz gern zu. Wir haben auch zu den Zeiten des Ermächtigungsgesetzes keineswegs vor der Lösung dieser Aufgabe zurückgeschreckt, sondern es war im Gegenteil im Er⸗ mächtigungsgesetz ein Vorgehen nach dieser Seite ausdrücklich aus⸗ geschlossen worden. (Abgeordneter Hoch: Ein Glück) Die Herren werden sich erinnern, daß das Ermächtigungsgesetz ausdrücklich ausschloß, Aenderungen auf dem Gebiete der Arbeitsversicherung vorzunehmen. Sie nehmen es mir nicht übel, Kollege Erkelenz, daß ich das zu unserer Rechtfertigung hier sage.

Was nun die grundsätzliche Seite der Frage angeht, so be⸗ daure ich allerdings, mit dem Herrn Kollegen Erkelenz in der Be— urteilung des Wertes und des Könnens des liberalen Staates und der Produktivität des liberalen Gedankens nicht ganz einig zu gehen. Ich will hier natürlich nicht in die Tiefen der Theorie hin⸗ untersteigen, sondern mich an die praktischen Ergebnisse halten. Das, was Herr Kollege Erkelenz im Auge hat, ist in einem Teil von Staaten ausgeführt worden, es ist auch bei uns versucht worden. Ich brauche nur zu erinnern zum Beispiel an die Leistungen der Gewerkschaften in England, der Trade Unions, auf dem Versicherungsgebiet, und ich brauche weiter nur zu erinnern an die Art, wie man sich in den sechziger Jahren in einem Teile Deutschlands den Gewerkschaftsgedanken und die Aufgaben der Gewerkschaften vorgestellt hat. Aber ich frage Sie: ist diese Idee bei uns durchgedrungen? In England ist sie zwar verwirklicht worden, das hat aber nicht gehindert, daß jetzt auch selbst dort der Gedanke der gesetzlichen Sozialreform immer weitere Kreise zieht und immer mehr praktische Anwendung findet. (Abgeordneter Erkelenz: Aber viel mehr Selbstverwaltung) Gut, mit viel mehr Selostverwaltung. Ich bin durchaus dafür, das auch hier mit viel mehr Selbstverwaltung zu machen. Aber dabei dürfen Sie nicht übersehen, daß man die Gesetzgebung und Verwaltung eines Staates nicht schematisch auf die des anderen anwenden kann. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts Wenn ich zum BVeispiel den Gedanken der Selbstverwaltung auf das anwende, was auf dem Gebiete der Gewerkschaftsbewegung zu geschehen hat, dann liegen die Verhältnisse in England bei der einheitlichen Gewerk⸗ schafts bewegung wesentlich anders als in Deutschland bei der unQ— geheuren Zersplitterung auf diesem Gebiete. (Erneute Zu⸗ stimmung Man kann die Dinge doch nur organisch sich entwickeln

lassen und kann nur auf dem aufbauen, was in jahrzehntelanger Entwicklung georden ist und was der Eigenart des betreffenden Landes und Volkes und seiner Verhältnisse entspricht. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten, in der Mitte und rechts.) Bei aller Achtung vor den Erfahrungen, die man auf Reisen in anderen Ländern, in Amerika usw. macht, muß man doch jedesmal bei der Anwendung der von dort mitgenommenen Lehren nach den dortigen Verhältnissen und nach den Voraussetzungen für diese Verhältnisse fragen und damit die Voraussetzungen im eigenen Lande vergleichen. (gustimmung.)

Wesentlich mehr einverstanden bin ich mit dem, was der Herr Kollege Erkelenz hinsichtlich des Reichskuratoriums für Wirtschaft⸗ lichkeit und Förderung der wirtschaftlichen Technik gesagt hat. Darin gehe ich mit ihm völlig eins und bin durchaus bereit, das Meinige in dieser Richtung zu tun. Ganz besonders aber würde es mich freuen, verehrter Herr Kollege, wenn Sie das Arbeits⸗ ministerium und speziell den Minister von seiner Arbeit ein halbes Jahr so entlasten könnten, daß er in der Lage wäre, Ihrer Auf⸗

Herr

machen. (Große Heiterkeit) Das würde ich besonders gern akzep— tieren. (Abgeordneter Dißmann: Hört das Sehnen! Heiterkeit) Herr Kollege Erkelenz hat dann auch gewünscht, es möchten die Gesetzesvorschläge, die aus dem Arbeitsrechtsausschuß hervor- gegangen sind, veröffentlicht werden. Ich darf darauf hinweisen, daß das bereits geschehen ist. Die Gesetzesvorschläge sind im Laufe der Zeit im Reichsarbeitsblatt erschienen. Ich weiß nicht, ob Sie noch wünschen, daß sie kodifiziert veröffentlicht werden. Das wäre eine Frage für sich, die sich noch einmal nachprüfen ließe. Ueberhaupt bin ich damit einverstanden, daß wir die Wirt— schaftsstatistik sowohl wie die sozialpolitische Statistik das ist auch von Herrn Kollegen Hoch als Berichterstatter gewünscht worden weiter durchführen und ausbauen sollten. Wir sind damit be— schäftigt und wollen diesen Weg weitergehen.

Aus dem Gebiet der Sozialversicherung hat Herr Kollege Karsten die Frage gestellt, wieweit wir eigentlich mit der Aus⸗ dehnung der Krankenversicherung auf die Seeleute wären. Ich kann ihm antworten, daß der Entwurf dazu fertig ist, und daß wir in der allernächsten Zeit mit den Berufsverbänden in Beratung eintreten werden.

Die Frage der Kinderzuschläge zu den Invalidenrenten ist auch wieder in der Debatte gestanden. Die Renten für die Kinder der Invalidenrentner bestehen allgemein; aber die Erhöhung von 3 Mark auf 7,50 Mark ist nur für die Zukunft vorgenommen worden. (Zuruf von den Kommunisten: Wieviel Invaliden be— kommen den Kinderzuschlag im Verhältnis?! Diejenigen In⸗ validen haben jedenfalls die meiste Not, die daneben auch noch die Kinder zu unterhalten haben.

Auf fünf Iwalidenrentner sagt mir soeben Ministerialdirektor Grieser treffen zwei Kinderrenten. Die Beschränkung der Erhöhung dieser Kinderrenten von 3 Mark auf 7.50 Mark auf die Zukunft ist deshalb erfolgt, weil die Ausdehnung der Erhöhung auch auf alle bisherigen Kinder— renten uns 28 bis 30 Millionen Mark gekostet hätte und wir der Meinung waren, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen solche Summen nicht zu erschwingen seien. Daß zwischen Vergangenheit und Zukunft die besprochene Unterscheidung gemacht werde, ist im Ausschuß ausdrücklich, und zwar gerade auf eine Anfrage des Herrn Abgeordneten Karsten, betont worden.

Auf die Frage, ob die Unfallversicherung auf Betriebe und Tätigkeiten ausgedehnt werden soll, die zurzeit noch nicht der Un⸗ fallversicherung unterliegen, möchte ich antworten, daß wir grund⸗ sätzlich einer solchen Ausdehnung durchaus nicht abgeneigt gegen⸗ überstehen. Eine Denkschrift über diese Frage bejaht auch das Bedürfnis. Die Ausdehnung ist ferner in dem Genfer Abkommen von 1914 über Unfallentschädigung vorgesehen worden. Es wird zurzeit geprüft, ob es zweckmäßiger ist, bei uns die Ausdehnung durch Landesgesetze herbeizuführen oder durch Ratifikation des Genfer Abkommens.

Es sind dann ferner auch organisatorische Maßnahmen auf dem Gebiete der Sozialversicherung verlangt worden bzw. ist dar— über Klage geführt worden, daß man auf diesem Gebiete nicht schnell genug und nicht weit genug vorangehe. Ueber das, was nach der Seite erwünscht ist, gehen natürlich die Meinungen in diesem hohen Hause sehr auseinander, und auch der Arbeits⸗ minister kann über diese Meinungsverschiedenheiten nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen und diese oder jene Wünsche einer Seite erfüllen.

Immerhin sind auch nach der Seite eine Reihe von wichtigen Fortschritten gemacht worden. Wir gestehen zu, daß kleine Krankenkassen den Ansorderungen, die die gegenwärtige Krisis an Krankenkassen stellt, nicht genügen können und sind deshalb auch durchaus der Meinung, daß eine Mindestmitgliederzahl für Krankenkassen festgesetzt werden muß.

Wir haben ferner eine organisatorische Verbesserung von Belang insoweit erzielt, als durch das neue Unfallgesetz vom Juli 1925 eine enge Verbindung zwischen Berufsgenossenschaften und Krankenkassen hergestellt worden ist, und zur gemeinsamen Be⸗ kämpfung von Volksseuchen und Volkskrankheiten ist auch eine engere Fühlung zwischen Krankenkassen und den Invalidenversiche⸗ rungsanstalten hergestellt worden. Vor wenigen Tagen haben noch Verhandlungen zwischen diesen Organisationen stattgefunden, und beide Teile haben sich für ein gemeinsames Vorgehen auf dem bezeichneten Gebiete ausgesprochen. Die Richtlwien für dieses Zujammenarbeiten werden dem Reichstag und Reichsrat in Kürze zugehen. U

Es ist dem hohen Hause bekannt, daß der Entwurf zu einem umfassenden Arbeiterschutzgesetz im Arbeitsministerium fertig⸗ gestellt ist. Der Entwurf umfaßt das gesamte Gebiet des Arbeiter⸗ schutzes, den Schutz der Jugendlichen, der Frauen, den Schutz bezüglich der Nachtarbeit, die Sonntagsruhe, kurzum alles, was auf diesem Gebiete verstreut in der Gewerbeordnung liegt. Der Entwurf faßt aber nicht bloß die vorhandenen Bestimmungen zu⸗ sammen und registriert sie, sondern bringt auch materielle Ver⸗ besserungen auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes. Der wichtigste Teil des Entwuffs aber ist das Arbeitszeitgesetz, das wie ich nochmals betonen möchte, auch in Anknüpfung an die Inter⸗ pellation und Anträge, die vorliegen in Anpassung an das Washingtoner Abkommen ausgearbeitet worden ist. Selbstver⸗ ständlich werden wir, sobald dieses Gesetz dem Reichstag zugeht, auch das Ratifizierungsgesetz dem Reichstag vorlegen. Zuruf: Wann wird das geschehen? Ja, das weiß ich jetzt nicht, Herr Kollege Graßmann, wann wir durch Kabinett, durch Wirtschafts⸗ rat und Reichsrat durch sein werden. Ich habe kein Interesse daran, dieses Gesetz länger hinzuziehen, sondern ich werde jeden falls das meinige tun, daß das Kabinett die Beratungen so schnell wie möglich abschließen kann. Das eine kann ich Ihnen sagen, ich hoffe bestimmt, daß wir noch vor der Sommerpause dieses Gesetz im Kabinett erledigt haben werden. Was dann weiter

geschieht, das ist allerdings nicht allein meine Sache, sondern da arbeiten noch sehr viel andere Kräfte mit, und Sie als Abgeord⸗ nete werden alle das Ihrige dabei tun können, daß es möglichst schnell vorwärtsgeht. (Zuruf von den Sozialdemokraten Ich glaube nicht, daß sich zurzeit erneut Hindernisse auftürmen. Ich hoffe sogar, daß die Beratungen, die wir in London haben werden, uns Fortschritte bringen werden, und wenn Sie sehen, daß jetzt

Perr

be st and

Ich freue mich im übrigen über die Aufnahme, die der

Regierungsentwurf über das Arbeitsgerichtswesen gefunden hat, und hoffe auf Grund dieser im allgemeinen günstigen Aufnahme dieses Gesetzes (Zuruf von den Sozialdemokraten) doch, im all⸗ gemeinen günstigen Aufnahme —, daß dieses Gesetz bald hier im hohen Hause verabschiedet wird.

Es ist, wenn auch nicht gerade von vielen und nicht häufie ö au]

mehr, bei unseren Verhandlungen auch wieder der Vorwurf der „Lohndrückerei“ worden. nisten Nr. 1784 Koenen, Stoecker hewor. die ganze Arbeit des Arbeitsministeriums aus den letzten Monaten, also während dieser Krise verfolgen, dann werden Sie, ins— besondere soweit Sie Gewerkschaftler sind, dem Arbeitsministerium zugestehen müssen, daß es die Löhne während dieser Zeit, soweit es an ihm lag, sicherlich nicht gedrückt hat, sondern daß das Arbeits⸗v ministerium sich bemüht hat, die Löhne zu halten. Wir haben im Gegenteil sogar eine ganze Reihe von Schiedssprüchen nicht bloß, sondern auch von Verbindlichkeitserklärungen aufzuweisen, die selbst in sondern auch erhöht haben

gegenüber dem Arbeitsministerium gemacht Er klingt auch aus einer Interpellation der Kommu— Ich glaube, wenn Sie

schweren Zeit die Löhne nicht nur gehalten, (Hört, hört! rechts und im Zentrum.) Es liegt nur ein einziger Fall einer Verbindlichkeitserklärung

dieser

vor, bei dem es sich um eine kleine Verminderung der Löhne ge⸗ handelt hat. Die ist aber nur erfolgt, um einen erbitterten Kampf beizulegen, an dessen Beilegung alle Beteiligten ein gemeinsames Interesse hatten. Ich halte ein derartiges Vorgehen des Arbeits⸗ ministeriums nicht bloß für sozialpolitisch, sondern auch für wirt⸗ schaftspolitisch richtig und stimme den Ausführungen zu, die Herr Kollege Erkelenz nach dieser Seite gemacht hat.

Dann hat auch die Frage des Wohnungsbaues eine große

Rolle in den Debatten gespielt. Es wird gestritten über das Aus— maß der Wohnungsnot, und man hat vielfach beim Arbeitsministe⸗ rium angeregt, einmal Zahlenmaterial über diese Frage zu ver— öfftiraN6rrreee freie Zahlen nach der Seite lassen sich nicht beibringen. Was die Wohnungsämter an Statistiken über die Wohnungsnot bisher bei—⸗ gebracht haben, ist erstens nicht zuverlässig, und zweitens verändert sich das Bild von Jahr zu Jahr. Ich habe trotzßem dem Gedanken einer Enquete über die Wohnungsnot widersprochen. Weil ich mir gesagt habe: ehe man sich über die Art und Weise dieser Enquete einig ist, ehe man sie dann durchgeführt hat und ehe man sich dann wieder über die Ergebnisse der Enquete einig geworden ist, ist ein ganzes Jahr verstrichen, das wir viel besser für praktischere Arbeit verwenden können. Tatsache der Wohnungsnot und all das moralische Elend, das sie im Gefolge hat, ist so offensichtlich für die breiten Kreise unseres Volkes, daß ich nicht verstehe, wie man diese Tatsache überhaupt noch bestreiten känn. (Lebhafte Zustimmung.)

Das ist auch neuerdings wieder geschehen. Einwand⸗

Warum?

(Sehr wahr! Die

Eine andere Frage ist, ob nicht auch aus dem alten Wohnungs⸗ noch manches herangeschafft werden könnte durch Ver⸗ kleinerung der Wohnungen und dergleichen Dinge, nicht durch polizei⸗ liche Zwangsmaßnahmen. Von letzteren erwarte ich nichts. Die Erfahrung zeigt, daß man damit nicht weiterkommt. Aber auf anderem Wege wäre das schon möglich; das gebe ich durchaus zu. Aber das, was auf diesem Wege zu erreichen ist, ist nicht belangvoll genug, um die Wohnungsnot zu beheben, die aus der Tatsache entspringt, baß wir eben fünf Jahre lang überhaupt nicht gebaut und in den folgenden Jahren immer nur unzureichend gebaut haben. 3

Nun will ich in dieser späten Abendstunde hier nicht noch eine Rede halten über den bekannten Streit, ob und inwieweit wir das vorhandene Kapital in den Wohnungsbau leiten dürfen, was da wirt⸗ schaftlich ist und was nicht wirtschaftlich ist. Ich will nur sagen ich wehre mich mit aller Entschiedenheit gegen eine einseitige Be⸗ trachtung und Behandlung dieser Frage lediglich von dem Stand punkte des Kapitals aus. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) Ich wehr mich insbesondere gegen Schlüsse, wie sie gezogen worden sind, daß beispielsweise die Aufstellung neuer Maschinen produktiv, dagegen die Beschaffung neuer Wohnungen unproduktiv sei. Wenn man solche Schlüsse ziehen wollte, dann käme man ja letzten Endes dazu, zu sagen: daß man eine Scheune auf dem Lande baut, ist produktiv, aber daß man dem Bauern eine Wohnung daneben setzt ist un · produktiv (sehr richtig)h; daß man eine Maschine baut, ist produktiv, aber daß man dafür sorgt, daß die Arbeiter, die die Maschine be⸗ dienen müssen, auch ordeniliche Wohnverhältnisse haben, in denen sie sich glücklich fühlen können, damit sie am anderen Tage wieder Lust an der Arbeit haben, das ist unproduktiv. Nach solchen Grundstzen, meine berehrten Damen und Herren, kann man natürlich keine Politik, auch deine Wohnungspolitik machen. Gustimmun ) Das ganze wirtschaftliche Leben läßt sich so einseitig nicht dirigieren. ö.

werden wir auf eines Rücksicht nehmen müssen.

Allerdings ö 2 m Würden wir Wohnungen bauen unter Aufwendung übermäßiger

Kosten, würden wir Wohnungen bauen in einem Ausmaß, daß damit die Preise für Baumaterialien und alles mögliche in die Höhe ge trieben würden, so würde ich das allerdings für unproduktiv und für unverantwortlich halten. Da liegen selbstverständlich Grenzen.

Aber so gesehen scheint mir schließlich die Frage uicht Ane grund⸗ sätzliche zu sein, sondern eine Frage des Ausmaßes, eine Frage, wie⸗ viel Kapital wir für den Wohnungsbau zur Verfügung stellen können. Dabei ist letzten Endes meines Erachtens nicht einmal das Ent⸗ scheidende, ob das Kapital für diesen Zweck es handelt sich um die ersten Hypotheken, an denen es uns fehlt, wenigstens zu einem erträglichen Zinsfuß ob dieses Kapital aus dem Ausland oder aus dem Inland beschafft wird. Würden wir es aus dem Inland holen, so würden im Kapitalvorrat im In land wieder so viel Lücken entstehen, daß wieder andere Leute auf den Auslands markt ghen würden, um ihren Bedarf zu decken. Deshalb messe ich dieser Fra nicht einmal die entscheidende Bedeutung bei. Käme man zu dem Ergebnis ich will nicht hoffen, daß das das Ende des Kampfe sein wird, der sich zurzeit abspielt daß nur die Gelder aus der Hauszinssteuer zur Verfügung stehen, an deren Höhe ö rec ich nun einmal in diesem Jahre nichts andern kann. Wir w inschen ja alle, daß aus der Hauszinssteuer mehr in den Wohnungsbau flösse als der Finanzausgleich dem Wohnungsbau gelassen hat, aber keine Partei wird sagen können, daß ich das in diesen Jahr. , n, könnte; wir kommen zu einem anderen Finanzausgleich 6 falls im Jahre 1927, aber nicht im Jahre 1926; wir müßten un

diese Beratungen auch von der englischen Regierung selber angeregt werden, dann werden Sie es hoffentlich verstehen, daß wir Wert darauf gelegt haben, die Ratifizierung auch in Verbindung mit England vornehmen zu können, und daß das nicht gleichgültig

. 332 4 n . also mit dem bescheiden, was zurzeit aus der Daustinsstenen zuholen ist, wenn man nicht auf anderem Wege wenigstens für di

ersten Hypotheken Gelder flüssig machen kann. . Es stehen uns nun im ganzen Reiche bestenfalls 60 bis 100

forderung zu folgen und auch eine Studienreise nach Amerika zu

gewesen ist.

Millionen Mark aus der Hauszinssteuer für den Wohnungsbau ut

Verfügung. Die Bemerkung des Herrn preußischen Ministers der Finanzen, daß er glaube, daß in diesem Jahre in Preußen etwa 100 000 Wohnungen gebaut werden können, hat, wie ich ausdrücklich feststellen möchte, zur Voraussetzung gehabt, daß die Kapitalien für die ersten Hypotheken nicht aus der Hauszinssteuer genommen werden. Müßten sie aus der Hauszinssteuer genommen werden, dann würde die Rechnung des Herrn preußischen Finanzministers nicht 100 000 Wohnungen, die übrigens günstig errechnet sind, sondern nur etwa b0 000 ergeben, und genau so würde es uns mit dem Wohnungsbau im ganzen Deutschen Reiche gehen. Nach den bisherigen Fest⸗ stellungen, die wir machen können, würden wir damit das Bau⸗ gewerbe wahrscheinlich nicht beschäftigen. Die Frage, ob über den Kleinwohnungsbau hinaus das Baugewerbe noch von anderer Seite große Anregungen erfährt, ist zum mindesten sehr strittig. Ich glaube kaum, daß die Industrie oder die Landwirtschaft so viel Bauaufträge geben werden und können, als sie anfangs des vorigen Jahres ge⸗ geben haben.

Ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen, daß der Auf⸗ trieb der Preise im vorigen Frühjahr lediglich der Tatsache zu ver⸗ danken war, daß damals die Industrie wie die Wirtschaft überhaupt mit sehr starken Aufträgen am Baumarkt lagen. Das ist in diesem Jahre nicht zu erwarten. Ob nun aus öffentlichen Aufträgen, z. B. Brückenbau oder dergleichen bei der Eisenbahn, so viel Aufträge an das Baugewerbe ergehen werden, daß sie ein ebentuelles Minus auf dem Gebiet des Wohnungsbaues ersetzen könnten, scheint mir immer⸗ hin sehr fraglich zu sein, und selbst wenn das der Fall wäre, dann würde damit, dem Bedürfnis des Wohnungsbaues nicht genügt sein. Man kann nicht zu gleicher Zeit und im gleichen Atem verlangen, die Wohnungszwangswirtschaft abzubauen, und dann den Wohnungs— bau hindern; das vereinigt sich nicht miteinander. (Sehr wahrh Dieselben Kräfte, die den Wohnungsbau hemmen, hemmen auch den Abbau unserer Wohnugszwangswirtschaft. Wir können erst dann die Wohnungszwangswirtschaft abbauen, wenn wir von der Wohnungs— not befreit werden und größeres Angebot auf dem Wohnungsmarkte vorhanden ist als heute.

Es mag verschiedene Wege geben, das zu erreichen. Man sagt, der andere Weg sei der, daß die Mieten erhöht werden, erstens auf die nominelle Höhe der Friedensmiete und weiter um das Ausmaß der Geldeniwertung. Aber welche von den Parteien und wer von den Mitgliedern des hohen Hauses will etwa die Forderung vertreten, daß wir eine solche Entwicklung in beschleunigtem Tempo durchmachen könnten? Ich will mich auf dem Gebiete sehr vorsichtig ausdrücken. Jeder weiß, wie kritisch diese Frage ist.

Es ist dann auch das Gesetz zur Abänderung der Fürsorgepflicht⸗ verordnung in der Debatte verschiedentlich erwähnt worden. Es spielt auch in einer der Interpellationen (Nr. 1504) eine Rolle. Die Frage, ob dieses Gesetz rechtsgültig zustande gekommen ist, war und ist meines Erachtens mindestens strittig, und in der Tatsache, daß sie strittig war, liegt der Grund, warum dieses Gesetz dem Herrn Reichspräsidenten zur Unterzeichnung nicht vorgelegt worden ist. Die Frage wird zurzeit im Geschäftsordnungsausschuß des Reichstags nachgeprüft.

Die materielle Seite der Frage ist auf unseren Antrag hin schon in der Sommerpause des vorigen Jahres mit dem Reichsrat, sowelt es irgend möglich war, auf der bestehenden gesetzlichen Grund lage, und zwar im Sinne und in der Richtung des Initiativgesetzes, gelöst worden. (Abgeordneter Hoch: Völlig ungenügend) Ich fage ja, soweit uns das möglich war. Wir konnten im Wege der Verordnung nicht mehr tun, als was damals mit dem Reichsrat zu erzielen war. Es wird jetzt natürlich Sache des Reichstags sein, ob er glaubt, weitergehen zu können, als es unsere Verordnung, die wir mit dem Reichsrat gemacht haben, getan hat.

Die neuen Vorschriften, die wir schon erlassen haben, haben auch den Zweck, den Wünschen der Interpellation Scholz entgegenzu⸗ kommen, die auf die Kleinrentnerfürsorge im Sinne unserer Fürsorge⸗ pflichtverordnung einen besonderen Nachdruck legt.

Der Herr Abgeordnete Tiedt hat hier Ersparnisse aufmarschäeren lassen, die wir im vergangenen Jahre an den Ansätzen für Erwerbs⸗ losenunterstützungen im Etat gemacht hätten. Er hat die Dinge so dargestellt, als wenn diese Ersparnisse eine Folge des Mangels an sozialem Pflichtgefühl und an sozialen Leistungen auf diesem Gebiet gewesen seien. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Auf diesem Gebiete geht es selbstverständlich so: haben wir eine gute Konjunktur, dann brauchen wir das Geld, das im Etat für diese Zwecke aus— geworfen ist, vielleicht nicht, und so wer es in dem Vorjahr; haben wir dagegen eine Krise wie in der Gegenwart, dann brauchen wir mehr als im Etat steht, müssen Nachforderungen machen und sind im Augenblick vielleicht nicht in der Lage, zu übersehen, wieviel wir überhaupt für diese Zwecke in den Etat hineinsetzen sollen. Man kann daraus also keinen Mangel an sozialpolitischem Verständnis folgern.

Ich glaube auch, daß wir auf die Dauer mit einer starken Erwerbslosenziffer zu rechnen haben, daß die Verzögeraug der Deflationskrisis auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß im vorigen Jahre noch gewisse Kapitalvorräte vorhanden waren, die unterdes wirtschaftlich aufgezehrt worden sind, und ferner auf die Tatsache, daß die Ueberführung der Löhne von der Bemessung nach Papier⸗ währung in die Goldwerte und auf die Höhe des Reallohns der Friedenszeit, während des Jahres 1924 und teilweise auch 1925 nur schrittweise sich vollziehen konnte. Die Folge davon ist. daß wir erst jetzt die Krise in ihrer ganzen Schwere auf uns lasten fühlen, und ich glaube, daß wir uns auf das englische Vorbild ein⸗ richten müssen, daß wir mit einer Dauerkrisis insofern zu rechnen haßen werden, als große Erwerbslosenziffern dauernd auf dem Arbeitsmarkt zu verzeichnen sein werden. ;

Immerhin bitte ich aber auch das eine dabei zu berüchsichtigen: wir wollen doch nicht vergessen, daß wir heute keine 700 000 Menschen beim Heere stehen haben (lebhafte Zustimmung in der Mitte), wir wollen vor allem nicht vergessen, daß heute die gesamten Aufträge für Heereszwecke nicht existieren. (Erneute Zustimmung.) Was das besagt, wird jeder sofort erkennen, der meinetwegen ein⸗ mal nach Essen fährt und sich die Verhältnisse der dortigen Arbeiter ansieht, wie sie jetzt sind, und sie mit der Lage etwa der Kruppschen Arbeiter vor dem Kriege vergleicht. (Abgeordneter Dißmann:

Damals haben wir auch Krisen erlebt!) Herr Dißmann, ich leugne

das ja nicht; ich sage nur, daß es berechtigt ist, auch diese Tatsache in Erwägung zu ziehen, wenn man richtig würdigen will, was auf dem Gebiet der Erwerbslosenfürsorge bisher schon geschehen ist.

Es ist viel auf diesem Gebiete geschehen, auch in letzter Zeit wieder. Die Ziffern darüber sind ja genannt worden. Es ist darauf hingewiesen worden, daß wir gegenwärtig in Reich und

Ländern eine monatliche Ausgabe von annähernd 100 Millionen Mark für die Erwerbslosenunterstützung haben, die Kurzarbeiter⸗ unterstützung noch nicht eingerechnet. Ich weise erneut darauf hin, daß wir auch die Notstandsarbeiten in viel stärkerem Ausmaß auf Kosten des Reiches und der Länder fördern, als das früher geschehen ist.

Wir wollen selbstverständlich auch gern mit der produktiven Erwerbslosenfürsorge alles das tun, was möglich ist, ohne künstliche Arbeitsgelegenheiten in einem Ausmaß zu schaffen, daß dadurch die wahre Wirtschaftslage verheimlicht oder gar eine falsche vor⸗ getäuscht wird. Das wäre verfehlt. Wir nehmen unsererseits auch gern den Gedanken auf, daß unser ganzes Straßensystem für die Zukunft, wenn wir mehr Automobilverkehr haben, einer Ver⸗ besserung bedarf. Wir haben auch vom Arbeitsministerium durch⸗ aus nicht abgelehnt, Herr Kollege Erkelenz, solche Pläne zu fördern. Wir waren z. B. dem Gedanken der Autostraße von Aachen nach Köln durchaus wohlgesinnt und haben unsere Hilfe zugesagt. Aber das Arbeitsministerium kann natürlich mit der produktiven Er⸗ werbslosenfürsorge diese Kosten nicht allein bestreiten. Es ist übrigens eine beträchtliche Besserung auf dem Gebiete des Straßenbaues an manchen Stellen zu verzeichnen, insbesondere auch im Ruhrgebiet, und an diesen Bauten ist die produktive Er⸗ werbslosenfürsorge ebenfalls beteiligt. Wir wollen auch dem Sied⸗ lungswesen die Aufmerksamkeit schenken, die hier gewünscht wird. Wir sind daran, und zwar sehr intensiv, in den Ostprovinzen mit den Siedlungen jetzt auch zu Taten zu kommen, Herr Kollege Erkelenz, und über das Planen hinauszuwachsen. Ich hoffe, daß Sie das in diesem Jahre noch bestätigen werden. .

Ich möchte freilich wünschen, wir hätten mehr Mittel zur Ver⸗ fügung. Es ist bescheiden, wenn wir nach der Seite heute vielleicht mit etwa 60 Millionen Kapital anfangen müssen. (Bravo!)

Sie wissen, daß wir Beträchtliches auch auf dem Gebiet der Oedlandkultivierung durch die produktive Erwerbslosenfürsorge getan haben. Diese ganze Kultivierungsarbeit hat natürlich wenig Sinn, wenn wir nicht auch die Siedlungsarbeit daran anschließen. Aber wenn die Dinge nicht immer so gehen, wie man es an sich wünschen mag, so muß man doch auch ein gut Teil der Schuld auf unser außerordentlich schwerfälliges Verwaltungssystem setzen, das wir nun mal auf Grund unserer Verfassung in Deutschland haben. (Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren! Es ist in einer der Interpella⸗ tionen, die mit dem Etat des Arbeitsministeriums verbunden sind, auch auf die bedauerlichen Grubenunglücke hingewiesen worden, die sich im letzten Jahre ereignet haben. Sie werden nicht von mir erwarten, daß ich in dieser Stunde noch von den bergpolizei⸗ lichen Maßnahmen der Länder spreche, die da in Frage kommen. Soweit die Entlohnung dabei eine Rolle spielt, muß ich feststellen, daß wir im Arbeitsministerium der Frage der Entlohnung gerade im Bergbau unsere besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben, daß noch gegen Ende des letzten Jahres in allen Bergbaugebieten die Löhne neu geregelt worden sind, überall unter Mitwirkung des Ministeriums, und zwar in den allermeisten Fällen in der Richtung der Erhöhung. Daß auch hier bei der Wirtschaftslage unseres Bergbaues, insbesondere des Steinkohlenbergbaues, be⸗ trächtliche Schwierigkeiten bestehen, ist den Herren ja bekannt. Die Frage der Arbeitszeit im Bergbau wird in dem Bergarbeiterschutz⸗ gesetz geregelt werden, das wir gleichzeitig mit dem allgemeinen Arbeiterschutzgesetz dem Reichstag vorlegen wollen. Auch dieses Gesetz ist im Arbeitsministerium vorbereitet. Was die Mit⸗ wirkung dey Betriebsvertretungen bei der Bekämpfung der Unfall⸗ gefahren angeht, so stehen wir auf dem Standpunkt, daß die gesetz⸗ lichen Betriebsvorschriften in dieser Richtung im allgemeinen ge⸗ nügen., Es wird aber wohl einer besondeven Anpassung dieser Vorschriften an die Bedürfnisse des einzelnen Gewerbes bedürfen. Das soll, soweit der Bergbau in Frage kommt, auch in dem Berg⸗ arbeiterschutzgesetz geschehen.

Meine Damen und Herren! Ich will für heute abend mit diesen Ausführungen schließen. Ich nehme an, daß das Ministe⸗ rium noch Anlaß haben wird, während der Spezialberatung auf diese oder jene Frage im einzelnen einzugehen. Ich darf wohl am Schluß der gestrigen und heutigen Beratungen feststellen, daß die allgemeine Aussprache sich mehr, als das sonst der Fall war, auf grundsätzlichem Gebiete bewegt hat. Das ist mir ein Beweis dafür, daß wir praktisch in den letzten Jahren doch vorwärts ge— kommen sind, daß praktische Forderungen nicht mehr in dem Aus⸗ maß wie vor zwei oder drei Jahren vorgelegen haben. Ich glaube das feststellen zu dürfen und gebe dem Reichstag die Versicherung, daß wir in dieser ruhigen, sachlichen Arbeit weitergehen wollen. (Bravo! bei den Regierungsparteien.)

166. Sitzung vom 20. Februar 1926, mittags 12 Uhr. (Gericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)

Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 12 Uhr 20 Minuten.

Der vom Steuerausschuß empfohlene Gesetzentwurf zur Vereinfachung der Lohnsteuer wird ohne Aus⸗ sprache in zweiter Und dritter Lesung angenommen, ebenfalls das deutsch⸗französische andelsabkommen vom 12. Februar 1926.

36 der Tagesordnung stehen dann die Vorschläge des Haus ha e c fen über die Erwerbslosen⸗ und Kurzarbeiterunterstützung. Danach werden die Unterstützungssätze in den ß . A, B und C mit so⸗ fortiger Wirkung erhöht 1. für alleinstehende Erwerbslose unter 21 Jahren um 20 vH, 2. für alleinstehende Erwerbslose über 21 Jahre um 10 vH, 3. für alle übrigen Hauptunter⸗ stützungsempfänger, 4. sie bereits acht Wochen nachein⸗ ander unterstützt worden sind, ebenfalls um 10 vH. In einer Entschließung wird die Reichsregierung ersucht, mit allem Nachdruck bei den Ländern dahin zu wirken, daß eine unberech⸗ . Benutzung der Erwerbslosenfürsorge bekämpft und jede Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme wahrgenommen wird. Die Kurzarbeiterunterstützung beträgt für den 3., 4. und 5. aus⸗ efallenen Arbeitstag den Tagessatz, den der Kurzarbeiter als Vollerwerbsloser erhalten würde.

Abg. Aufhäuser (Soz.) berichtet über die Ausschußver⸗ handlungen.

Abg. Diß man . 69h bedauert die Verschlechte⸗

üsse durch das Kompromiß der Regierungsparteien. r empfiehlt einen Antrag seiner Fraktion, wonach die Unterstützungssätze für die Hauptunter⸗

rung der ursprünglichen Ausschußbeschli

D Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehgbenen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

stützu—ngsempfünger um 39 vo. fn die Familienguschäge, um 15 vo erböht werden ollen. Ferner soll die AUnterstützu fuͤr die Dauer der Erwerbslosigteit gegeben werden. Nedner weist . die Zwangslage hin, die bei den Kurzarbeitern besteht. Man sollte diese Zwangslage aber nicht zum Nachteil der Erwerbslosen ausnützen. Die augenblickliche Krise sei auf ganz Europa aus⸗ edehnt. Den * n müsse geholfen werden, da sonst das der Wirtschaft erschüttert werde. Auf dem Ho c des Wohnungshaues, der Kanglisation, der inneren Kolonisation sei noch viel Arbeit zu leisten. Diesen Dingen müsse die Regierung ihre Unterstützung schenken. Auf keinem Gebiete sei eine solche hre ge eum, wie hei den Re stosfen für den Wohnunqghau eingetreten. Wir müßten unsere ee technisch auf die Höhe bringen. Die jeg g. Krise beweise, wie unhaltbar die kapitalistische Herrschaft und ? rt chaft geworden sei, eine Besserung werde erst die sozialistische Wirtschafts orm bringen.

Abg. Hartmann (D. Nat.) weist gleichfalls auf die teuren Materialspreise für den Wohnungsbau hin; so seien die Preise für Bauhölzer um 150 Prozent gestiegen. Notstandsarbeiten seien erforderlich. Der Export müsse gesteigert, die Kaufkraft gehoben werden.

Abg. Christine Teusch (Zentr) legt dor, daß im Dezember vorigen Jahres die erste Teillbsung von allen Seiten als solche angesehen worden sei. Es habe sich herausgestellt, daß es den alleinstehenden Erwerbslosen besonders schlecht gehe; ihnen solle nun geholfen werden. Rednerin weist die rn risft des e. Diß⸗ mann zurück, dessen heutige Angaben mit seinen Ausführungen im Ausschuß nicht übereinstimmten. Der Antrag ihrer Fiaktion wolle, daß die Unterstützung nicht höher als der Lohn sei. Durch die Neuregelung der Kinderzuschüsse trete keine Verschlechterung ein. Die Lohnübersteigung durch die Unterstützung müsse ver⸗ mieden werden. Der Mangel der Arbeitskräfte auf dem Lande sei geradezu erschreckend, hier müsse die Arbeitsfreude gehoben werden. Ihre Fraktion sei sich bewußt, für die Erwerbslosen alles getan zu haben, wat ihnen zugute kommen könnte. (Beifall im Zentrum.)

Abg. Rädel (Komm,) erklärt, es sei unmöglich, daß eine erwerbslose Familie mit 15 Mark wöchentlich leben könne. Das Zentrum sei umgefallen, trotz der gegenteiligen Behauptungen der Abg. Teusch. Man wolle grundsätzlich die Erwerbslosenfürsorge nicht weiter ausbauen. Seine Partei werde nichts unversucht lassen, . heuchlerische Verhalten des Zentrums zu entlarven. Viele Gemeinden weigerten sich, die erhöhte Unterstützung aus⸗ zuzahlen, und die Regierung tue nichts dagegen.

Abg. He meter (D. Nat) begründet einen von seiner Frak⸗ tion sowie der Deutschen Volkspartei, dem Zentrum, der Wirt⸗ schaftlichen Vereinigung, der Bayerischen Volkspartei und den Völkischen eingebrachten Antrag, die Erwerbslosenunterstützung in wesenklich erhöhtem Maße in Sachleistungen, insbesondere in Roggenbrot, Kartoffeln und Milch, zu gewähren. Von der Möglich⸗ leiß, die Erwerbslosenunterstützung in Sachleistungen zu gewähren. werde aber leider nach feiner Beobachtung fast so gut wie gar kein Gebrauch gemgcht. Vereinzelt sollten, nach den Ausführungen des Herrn Reichsfinanzministers, die er neulich im Sozialpolitischen Ausschuß gemacht habe, Gemeinden im Erzgebirge ihren Erwerbs⸗ sofen tellweife Sachleistungen in Roggenbrot geben. Nach seiner Fraktign zugegangenen Metteilungen soll man speziell in Lippe dazu übergegangen sein, Milch als Sachleistung für die Erwerbs⸗ losenunterftützung zu benutzen. Seine Fraktion begrüße das Vor⸗ gehen dieser einzelnen Gemeinden, bedauere aber auf der anderen Seite, daß der weitaus überwiegende Teil der Genieinden dieser Sachleistungsentrichtung disher keine Aufmerksamkeit, geschenkt habe. Sie bedauere dieses um so mehr, als große Teile unserer Landwirtschaft einen Teil ihrer Produkte, vor allem Roggen, Kartoffeln und Milch, überhaupt nicht los werden könnten. Es wäre sinfolgedessen außerordentlich zu begrüßen, wenn die Ge⸗ meinden von der Möglichkeit der Sachleistung möglichst viel Ge⸗ brauch machen und dadurch mithülfen, die Notlage unserer Land⸗ . wenigstens etwas zu mildern. (Sehr richtig! Aus dieser Lage heraus hätten seine Freunde ihre Entschließung eingebracht, durch die die Reichsregierung die öffentlichen Arbeitsnachweise an= weifen solle, die Erwerbslosenunterstützung in erhöhtem Maße in Sachleistung zu bieten. Die Entschließung sei unterzeichnet von den verschiedensten Parteien des Hauses, ein Beweis, daß die Be⸗ rechtigung der Forderung allgemein anerkannt werde. Er hoffe daher, daß die Entschließung auch einstimmig vom Hause an⸗ enomnten werde. Würde sie angenommen, so trete in keiner Weise eine Beeinträchtigung der Erwerbslosenfürsorge ein, Auf der anderen Seite werde aber mitgeholfen, die schwere Absatzkrise unserer Landwirtschaft wenigstens etiwgs zu lindern. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte. Lebhafter Beifall.)

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns: Meine Damen und Herren! Aus dem Hause ist eben die Frage an mich gerichtet worden, wie die Regierung zu den Ansätzen im Etat für die Erwerbslosenfürsorge stände. Ich wiederhole deshalb hier, was ich bereits im Ausschuß erklärt hatte, daß nämlich diese Ansätze in den Etat hineingekommen sind zu einer Zeit, wo wir die gegen— wärtige Erwerbslosigkeit und ihren Umfang noch nicht ahnen, geschweige denn überschauen und ermessen konnten. Wir sind der Meinung, daß die gegenwärtigen Ansätze viel zu gering ind. Es

ist richtig, was der Herr Berxichterstatter hervorgehoben hat, daß

die gegenwärtigen Ansätz nicht einmal ausreichen, um die Kosten eines einzigen Monats für die Erwerbslosenfürsorge zu decken. Wir waren aber mit den Parteien des Reichstags, wenn ich mich recht erinnere, dahin einig geworden, daß wir eine endgültige Summe erst bei der dritten Lesung einsetzen wollten. Allseitige Zustimmung) Bis dahin haben wir etwas mehr Unterlagen für einen solchen Entschluß. Ich bitte deshalb den Reichstag, mit der endgültigen Festsetzung der Summe bis zur dritten Lesung zu warten. (Zustimmung.)

Abg. S ch neider⸗Berlin (Dem) erklärt sich mit der Ueber⸗ weisung des Antrags Hemeter an den Ausschuß einverstanden. Abg. Schmidt-⸗Cöpenick (Soz.) erklärt, darauf hinweisen zu sen, in welcher Weise die Landarbeiter um die Arbeitslosen⸗ ichérung gebracht werden sollen. ö Abg. Dr. Pfeffer (D. Vp) bezeichnet die jetzige Art der Erwerbslosenfürsorge als unmoralisch. Ohne dringende Not⸗ wendigkeit lege kein Unternehmer seinen Betrieb still.

In der Abstimmung werden die weitergehenden Anträge abgelehnt. Die nn fe bezüglich der ,,,, und des Sozialpolitischen nu r e bg , der Kurz⸗ arbeiter werden angenommen. Ebenso die Entschließung gegen den Mißbrauch der Fürsorge. Der Antrag Hemeter wird dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen.

Darauf wird die zweite Lesung des Haushalts des Reichsarbeitsministeriums fortgesetzt. . Abg. Au fhäpuser (Soz.) wendgt sich gegen Soꝛʒialreaktionqᷣre. Die vom Reichsarbeltsministerium festgestellte absglute Summe der Erwerbslosenunterstützung könne man nur dann richtig werten, wenn man bedenke, in welchem Umfange sich die Personenzahl der Sozial⸗ versicherung bermehrt habe und welchen Änte sl der Lehn an den Hut- ar Produktionskosten darstelle. Die , e,, der Kranken assen betrügen jetzt im Höchstfalle 8 prrhant während sie in der Vorkriegszeit 10 Prozent gewesen wären. Der Redner verteidigt die Ginrichtung einer eigenen Arzneimittelstelle durch die Octskranken⸗ kassen gegenüber den Apotheken. Auch das Krankenkassenwesen müsse modern flert und vationalifiert werden. In der gesamten Sozial versicherung sollte man mehr als bisher nach wirtschaftlichen ˖ und sozialen Gesichtspunkten verfah ven. Der Redner bedauert es, daß man bie Vermögen der Angestellten und So n in zu. gevingem Umfange der Wohnungsbautätigkeit zuführe, Cine . des Reichs arbeigtsnünisteriums durch die Sozialreaktion misse mit allen

müs ver

Mitteln verhindert werden.