machung von Landarbettern dienen. Der Restbetrag endlich soll als Sondertredit für einzelne produktionsfördernde Maßnahmen aus— geliehen werden. Dabei ist insbesondere an die Schaffung besonders zweckmäßiger Betriebsanlagen und an den erleichterten Bezug ge— eigneter Maschinen und Geräte gedacht. Auch die Unterstützung von Spezialkulturen, wie des zuvor erwähnten Obst⸗ und Gemüse⸗ baues, ist ins Auge gefaßt. Ich darf hoffen, daß der Gesetzentwurf, der ja auf die Initiative des Reichstags zurückzuführen ist, auf allen Seiten des hohen Hauses Zustinmiung finden und bald— möglichst verabschieden werden wird, damit die beabsichtigten Arheiten in Angriff genommen werden können.
Die Verflechtung der deutschen Landwirtschaft mit der Welt— wirtschaft ist heute nach dem Verlust werwoller Ueberschußgebiete im Osten des Reichs noch bedeutsamer als vor dem Kriege. Es ist daher notwendig, die weltwirtschaftlichen Verhältnisse unter be⸗ sonderer Berücksichtigung ihrer Einwirkung auf die deutsche land— wirtschaftliche Erzeugung fortlaufend zu beobachten und vor allen Dingen rechtzeitig ihre Entwicklungstendenz zu erkennen. (Sehr richtig! im Zentrum.) Eine solche Beobachtung ist schon allein mit Rücksicht auf die Handelsvertragsverhandlungen mit den fremden Staaten dringend notwendig. Neben der Beobachtung der betriebs— wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer Entwicklung ist eine fort— laufende Berichterstattung über die technischen Fortschritte der fremden Landwirtschaft erforderlich, zumal in einigen überseeischen Staaten die Landwirtschaftstechnik in den letzten Jahren größere Fortschritte gemacht hat als in Deutschland. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten) Vor dem Kriege sind etwa zehn landwirtschast⸗ liche Sachverständige im Ausland tätig gewesen, die den deutschen diplomatischen Vertretungen beigegeben waren. Die Entsendung der gleichen Anzahl kann zurzeit aus finanziellen Gründen nicht in Frage kommen; dagegen ist es notwendig, wenigstens je einen Sachverständigen in den größten und wichtigsten Agrargebieten zu haben, wie zum Beispiel Rußland und Nord- und Südamerika. (Sehr richtig! rechts.) Zu diesem Zweck sind im Haushalt des Aus— wärtigen Amts, von dem die landwirtschaftlichen Sachverständigen formell vessortieren, auf meinen Antrag erstmalig wieder Mittel angefordert worden, die, wie ich hoffe, ohne Widerspruch bewilligt werden werden. (Bravo! rechts.)
Meine Damen und Herren! Die Intensivierung der land— wirtschaftlichen Produktion und die Sicherung unserer landwirt— schaftlichen Rentabilität wird in Zukunft noch weit mehr als bisher von der Fortbildung und Anwendung unserer technischen Hilfsmittel abhängig sein. Wir werden daher unbedingt darauf bedacht sein müssen, auf eine bessere Nutzungsfähigkeit und Herab— drückung der Kosten aller Maschinen und Geräte der landwirtschaft— lichen Produktion durch Normung, Typung und spezialisierte indu— strielle Herstellung unter Erzielung eines gleichzeitigen besseren Austausches an Ersatzteilen hinzuwirken, um bei den gegebenen Erzeugerpreisen eine genügende Rentabilität zu erzielen. Zu dem genannten Zwecke hat der Reichstag erstmalig im vergangenen Jahre 1 Million Mark, auf drei Jahre verteilt, zur Verfügung gestellt. Es ist zunächst gelungen, die Normalisierung und Typi— lierung besonders bei landwirtschaftlichen Motoren erheblich zu fördern und den Preis für Motorpflüge herabzusetzen. Zurzeit sind aber die Verhältnisse auch in der landwirtschaftlichen Ma— schinenindustrie so schwierig, daß diese zu erliegen droht. Es schweben dicht vor dem Abschluß stehende Verhandlungen über die Gewährung notwendiger Betriebsmittelkredite an die Motorpflug⸗ industrie, wodurch vermieden würde, daß die Produktion deutscher Motorpflüge aufhört und wir ganz den ausländischen Fabrikaten ausgeliefert werden. Aehnliche Entwicklungsaufgaben ergeben sich auch bei anderen landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten; wir werden uns deren Förderung angedeihen lassen.
Eine der dringendsten Aufgaben der Gegenwart ist meines Erachtens die Mehrung der Landbevölkerung durch tatkräftige Siedlung. (Sehr richtig! rechts.) Sie ist notwendig, um der ver— hängnisvollen Zusammendrängung unserer Bevölkerung in den Großstädten Einhalt zu gebieten; sie ist aber auch unausweichlich infolge des ungestümen Dranges nach der Scholle, der gerade im deutschen Volke seit einigen Jahren wieder stark im Wachsen be— griffen ist. Es gilt vor allem, unseren jüngeren Bauernsöhnen, die aus dem allzu dicht bevölkerten Westen durch die Entwicklung unwillkürlich herausgedrängt werden, in den schwach bevölkerten Gebieten des Ostens eine Existenz auf eigener Scholle zu ver— schaffen; es gilt andererseits, dem vorwärtsstrebenden Landarbeiter den Aufstieg zur Selbständigleit zu ermöglichen. Wenn die öst— lichen Randgebiete mit einer dichteren bodenständigen Bevölkerung besiedelt werden, so kann das unsere politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung nur in günstigem Sinne beeinflussen. In⸗ folgedessen ist die Reichsregierung entsprechend der Regierungs- erklärung vom 28. Januar fest entschlossen, die bäuerliche und Ar— beitersiedlung in dem vollsarmen Teile des Ostens beschleunigt zu jördern. (Bravo! rechts und im Zentrum.) Man hat mit Un— recht versucht, einen sachlichen Gegensatz zwischen Siedlung und Großgrundbesitz herauszukonstruieren. Meines Exachtens hat auch der Großgrundbesitz das größte Interesse an einer gesunden Entwicklung und Vermehrung unseres Bauernstandes. (Lebhafte Zustimmung rechts. — Lachen links) Für diese Zwecke steht ein mal im erheblichen Umfange kulturfähiges Oedland zur Ver⸗ fügung; andererseits liegen zurzeit so zahlreiche freiwillige An⸗ gebote zur Abgabe von Siedlungsland vor, daß wir in absehbarer Zeit an Siedlungsboden keinerlei Mangel haben. (Sehr richtig! xechts⸗ Da die Hauptschwierigkeit bei der Siedlung im Augen⸗ blick in der Kapitalarmut Deutschlands liegt, scheint mir zunächst die Besetzung der angebotenen bereits kultivierten Landflächen mit Siedlern der bei weitem gangbarste Weg. Federführend für die Siedlungsfrage ich das Reichsarbeitsministerium. Für meine Person und mein Ressort kann ich auf alle Fälle die Bereitwillig⸗ keit erklären, mit allen Kräften an der Verwirklichung dieses großen Werkes mitzuarbeiten.
Was die Landarbeiterfrage angeht (ironische Rufe links: Die kommen auch noch?! Erst die Bienen und dann die Landarbeiter), so bin ich mir wohl bewußt, welch wichtigen Faktor die Land⸗ arbeiter für die deutsche Landwirtschaft darstellen (erneute ironische Rufe von den Sozialdemokraten), und daß wir in dem Bestreben zur Erhaltung und Förderung unserer Landwirtschaft ein Hauptaugenmerk darauf richten müssen, einen gesunden, arbeitsfreudigen und existenzfähigen Arbeiterstand zu besitzen. (Rufe links: Was ist bisher getan?) Mit dem auch hier feder führenden Reichsarbeitsminister besteht daher eine recht enge Zu⸗
sommenarbeit auf allen Gebieten des landwirtschaftlichen Arbeits⸗ verhältnisses.
Im Vordergrund steht die Unterstützung aller Maßnahmen, die der kulturellen Hebung der Lage des Landarbeiters gelten, um diejenige Berufsfreudigkeit herzustellen, die ihn allein befähigt, wirksam an der Erzielung des vollen Erfolges im Betrieb mit— zuarbeiten.
Die fortschreitende, zur Erhaltung der deutschen Landwirtschaft dringend erforderliche Mechanisierung und Rationalisierung der Betriebe bedingt aber auch in zunehmendem Maße die Förderung der Berufsausbildung der Arbeitskräfte. (Sehr richtig! rechts) In wirksamer Weise soll dies dadurch geschehen, daß möglichst weiten Kreisen der Land⸗ arbeiter die Ergebnisse der von mir tatkräftig unterstützten wissen⸗ schaftlichen Landarbeitsforschung in Lehrkursen nahegebracht werden. (Zuruf links: Die Landarbeiterausbeutung unter⸗ stützen Sie!)
Abschließend darf ich also versichern, daß sich die Reichs⸗ regierung entsprechend ihrer Regierungserklärung vom 26. Januar 1926 und besonders mein Ressort der im Augenblick besonders ernsten Pflichten gegenüber unserer Landwirtschaft voll bewußt ist, und unser eifrigstes Bestreben dahin geht, ihr unter Auf⸗ bietung aller Kräfte nicht nur über die gegenwärtige Lage hin— wegzuhelfen, sondern ihr auch einen gesunden Aufstieg für die Zukunft zu sichern. Andererseits müssen wir uns bewußt bleiben, daß unsere notleidende Landwirtschaft nur einen Teil unserer notleidenden Gesamtwirtschaft, wenn auch wohl den wichtigsten, darstellt (sehr richtig! rechts), und daß der staatlichen Unterstützung, so weitgehend man sie auch fassen mag, immerhin gewisse, manch⸗ mal allzu enge Grenzen gezogen sind. Der letzte und energischste Ansporn zum Vorwärtskommen liegt ja schließlich nicht in einer einseitigen Unterstützungspolitik, sondern muß immer wieder der eigenen Initiative und dem Willen zur Selbsthilfe entspringen. (Sehr richtig! rechts. Erfreulicherweise hat sich unsere deutsche Landwirtschaft auf diesen Standpunkt eingestellt — wie u. a. auch wieder die bedeutsame Veranstaltung vor kurzem in Berlin — die sogenannte Grüne Woche — bewiesen hat mit ihrer Anzahl von Versammlungen und Beratungen, in denen die Energie, der Tatwille — weiter voranzuschreiten, der Wille zur äußersten Kraftanstrengung stark zum Ausdruck kam. Ich verweise hierauf auf die von Landwirtschaftskammern und Organisationen auf⸗— gegriffenen meines Erachtens sehr berechtigten Bestrebungen, die Qualität landwirtschaftlicher Produkte zu heben und gegen die Ueberschwemmung mit ausländischen Produkten deutsche Standard ware auf den Markt zu bringen (sehr richtig! rechts); ich weise hier auf die an mehreren Orten erfolgte Anbahnung direkter und enger Verbindung zwischen Erzeuger⸗ und Verbrauchergruppen.
Meine Damen und Herren, es fällt aber hier auch der ganzen deutschen Verbraucherschaft eine ernste Aufgabe zu: Wenn ich es unserer Landwirtschaft als eine vaterländische Pflicht und ein volkswirtschaftliches Gebot bezeichnet habe, trotz aller Not die Produktion noch weiter zu steigern — so, meine Damen und Herren, bedeutet auch vaterländische Pflicht und volkswirtschaftliches Gebot für unsere Ver⸗ braucherschaft die Befolgung der Mahnung: Deutsche ge— nießt deutsche Produkte! (Bravo! rechts und in der Mitte.) Es werden jährlich für hunderte Millionen Mark entbehrliche Genußmittel — ausländische Weine, Südfrüchte und sonstiges ausländisches Obst, verschiedene Gemüse, Kondensmilch, Butter und so fort — aus dem Ausland bezogen, während heimische Pro dukte nicht abgesetzt werden können! (Lebhafte Zustimmung rechts und in der Mitte,) Die verzweifelte Lage unserer gesamten Volks⸗ wirtschaft, insonderheit unserer Landwirtschaft, muß doch endlich vom ganzen Volke begriffen werdenl
Meine Damen und Herren! Den gegenwärtigen Stand unserer Ernährungslage habe ich bei den einzelnen Punkten schon mehr oder minder dargelegt. Zusammenfassend darf ich noch ein⸗ mal fesistellen, daß infolge der erhöhten Intensivierung der land⸗ wirtschaftlichen Betriebsführung, insbesondere einer verstärkten An⸗ wendung von Kunstdünger, und der sehr günstigen Witterung dle Ernteergebnisse des Jahres 1925 im allgemeinen als gut zu be⸗ zeichnen sind, besonders für Brotgetreide. Gegenüber den hinter uns liegenden Jahren kann diesmal von einem Mangel an An⸗ gebot keine Rede sein; vielmehr hat sich durch ein teilweises Ueber⸗ angebot ein verstärkter Druck auf die Erzeugerpreise bemerkbar gemacht und diese unter die Linie der Rentabilität heruntergedrückt. So bedauerlich das auf der einen Seite für die Landwirtschaft war, so ist es andererseits nicht ohne Vorteil für die Verbraucher geblieben, da auch die Kleinverkaufspreise im Zusammenhang damit nicht unerheblich zurückgingen. Die Großhandelsindexziffer für Agrarerzeugnisse ist in der Zeit vom August 1925 bis Anfang März 1936 von 130 auf 111,3 gefallen chört, hört! rechts) — den Stand von 19138 — 100 gesetzt — während der Großhandelsindex für Industriestoffe in der gleichen Zeit nur von 184,9 auf 128,5 zurückgegangen ist. (Hört, hört! rechts) Ebenso ist bei der Reichs⸗= indexziffer für die Gesamtlebenshaltung der Index für Ernährung allein in der Zeit vom August 1925 bis Februar 1925 von 154, auf 141,8 und der Index für Fleisch⸗ und Wurstwaren nach den Berechnungen des Statistischen Amtes der Stadt Berlin in der Zeit vom 14. Oktober 1925 bis 24. Februar 1926 von 16,5 auf 129,9 gefallen. (Hört, hört! rechts) Dabei gehören Fleisch⸗ und Wurstwaren bekanntlich zu den Artikeln, deren Preisentwicklung zeitweise der Oeffentlichkeit sowohl wie den Behörden am meisten Sorge bereitete. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Spannen zwischen Erzeuger⸗ und Kleinverkaufspreisen gerade auf dem Gebiete der Lebensmittel bei einer Reihe von Produkten immer noch zu hoch sind: Hier nimmt der Zwischenhandel einen viel zu breiten Kaum ein. Auf der anderen Seite spielen die übertriebenen Qualitätsansprüche einzelner Kreise des Publikums bei dem Festhalten an den hohen Preisen eine gewisse Rolle.
Wenn trotz des großen Angebots der Stand unserer Volks⸗ ernährung im allgemeinen immer noch nicht als befriedigend an⸗ gesehen werden kann, so liegt die tiefere Ursache dafür — von den vielfach noch zu hohen Kleinverkaufspreisen abgesehen — in der gewaltigen Krisis, die seit Monaten unser gesamtes Wirtschafts⸗ und Volksleben erschüttert und weite Kreise unseres Volkes be⸗ züglich der Ernährung auf das absolute Existenzminimum oder gar noch darunter zurückgeschraubt hat. Eine Besserung wird hier erst eintreten können, wenn wir die gegenwärtige Krisis im ganzen überwunden haben und wieder den Weg nach aufwärts nehmen.
Das Bild, meine Damen und Herren, das ich Ihnen von der Lage unserer heimischen Landwirtschaft entwickeln konnte, war notwendigerweise dunkel gefärbt. Die schweren Sorgen, mit denen heute jeder Landwirt, sei er Besitzer eines großen Gutes, sei er Bauer, Kossät, Instmann, Gärtner oder Winzer, zu kämpfen hat, werden sicher nicht von heute auf morgen überwunden werden. Wenn wir in der Agrargeschichte unseres Vaterlandes zurückgehen, so finde ich nur eine Krisis, die mit der heutigen in etwas in Parallele gestellt werden kann, das ist die Krisis, die die Land⸗ wirtschaft vornehmlich in Norddeutschland in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nach den Freiheitskriegen durchmachte. Wie es damals einer Reihe von Jahren bedurfte, um wieder zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen zu kommen, so wird es auch diesmal wieder der Fall sein. Der tut der Land⸗ wirtschaft einen schlechten Dienst, der Hoffnungen auf eine so⸗ fortige Lösung der Krisis erweckt. Ich bin der festen Hoffnung, daß jeder Landwirt auf seiner Scholle versuchen wird, mit eisernem Fleiße herauszuholen, was nur irgend die Ungunst der Zeiten ihm gestattet. Gesetzgebung und Verwaltung im Reiche und in den Ländern werden ihre vornehmste Sorge darauf zu richten haben, daß der erstgeborene Beruf unter den deutschen Erwerbsständen, der größte und bedeutsamste Zweig der deutschen Volkswirtschaft, unsere deutsche Landwirtschaft, hindurchgerettet und wieder zur Gesundung gebracht wird. Deutscher Zähigkeit, deutscher Intelli⸗= genz, deutscher Wissenschaft und sparsamster Wirtschaftsführung muß es gelingen, dieser Aufgabe Herr zu werden. Alle staat⸗ lichen Maßnahmen haben aber in sich selbst Grenzen, die, wenn sie überschritten werden, zu einer produktionsfeindlichen Reglemen⸗ tierung der Wirtschaft führen. Die entscheidende Tat muß schließlich der Landmann in eigener Wirtschaftsführung leisten. Gelingt es einer gesundenden Landwirtschaft so, der heimischen Scholle höchste Erträge abzuringen, dann wird damit auch die Aufgabe, der mein Ministerium zu dienen berufen ist, am besten gelöst sein: die Ernährung des dentschen Volkes jederzeit, auch in welt- und volkswirtschaftlich schwierigen Zeiten, zu sichern! (Bei⸗ fall im Zentrum und rechts. — Abgeordneter Obendiek: Genau wie Kanitz, bloß mehr Quatsch! — Glocke.)
Abg. Schmidt-⸗-Berlin (Soz.): Die Agrarkrije ist eine Nach⸗ wirkung aus der Inflationszeit, die Landwirtschaft t wie viele andere ihr Betriebskapital größtenteils verloren. Der Minister ollte aber bei seiner Betonung der Notwendigkeit der Entschuldung zer Landwirtschaft daran denken, daß kein Stand so gut wie die Landwirte in der Lage gewesen ist, in der Inflationszeit sich seiner Schulden zu entledigen. Sehr wahr! links.) Nach der im vorigen Sommer vorgenommenen Schätzung ist die Landwirtschaft mit insgesamt sechs Milliarden belastet, viel weniger als vor dem Kriege. Gewiß ist der Zinsfuß bisher hoch gewesen, aber es be⸗ . eine Entwicklung zu immer weiterer Herabsetzung, und so ehe ich die Entwicklung der , viel e an als der Minister. Auf dem ganzen Geldmarkt herrscht die Tendenz, zu langfristigen Krediten überzugehen. Die Berichte der Hypotheken⸗ banken und Sparkassen zeigen, daß die Zeit der Geldversteifung vorüber ist. Immerhin will ich damit nicht . daß die Krisis e, . vorüber ist. Jetzt sollen aus öffentlichen Mitteln große , für die Landwirtschaft flüfsig gemacht werden. Dagegen habe ich große Bedenken, und auch der Finanzminister scheint schon etwas von diesem Weg abgewichen zu sein. Wir sollten uns ein⸗ mal klar machen, was für Gesamtverpflichtungen wir damit für die Zukunft übernehmen. Was die Lage der Landwirtschaft be⸗ trifft, so gehöre ich zu denen, die nicht alles glauben, was in der agrarischen Presse steht. Ini Sommer wurde stark über Schädi⸗ ,. der Ernte geklagt, zum Beispiel in der Pommierschen Jie ch zpost / und im Dezember bezeichnete dasselbe Blatt die letzte Ernte als die beste seit Jahren. Die Landwirtschaft ist in einer Krise, aber es ist eine Uebertreibung, von einem Zusammenhruch zu reden. (Sehr wahr! links) Viel mehr hat die Arbeiterschaft wirtschaftlichen Zusammenbruch zu beklagen. (Lebhafte Zu⸗ . links, Wenn die Arbeiter so schreien wollten wie die Agrarier, so hätten sie dazu allen Grund. (Sehr wahr! links.) Wie kam es, daß gerade da, wo der Großgrundbesitz vorherrscht, in Mecklenburg, Pommern und Ostpreußen, Leute der Schwarzen Reichswehr Unterkunft fanden, die zu ehrlicher Arbeit nicht zu ge⸗ brauchen sind, sondern nur zu Radaupolitit? Muß man nicht sagen, die Klagen der Großgrundbesitzer sind unberechtigt, wenn zu solchen Dingen Geld da ist? Die Arbeiterschaft hat in Zeiten der Not viel mehr geleistet als die agrarischen Organisationen, Die Landbundgenossenschaften sind ebenso zugrunde gang, weil sie die ihnen zur Verfügung gestellten öffentlichen Mittel zu olitischen Zwecken mißbrauchten. Hätten das Arbeiterorgani⸗ ationen getan, wie wäre da der Staatsanwalt eingeschritten! Mit ohen Zo rarifen kommt man nicht zu günstigen Handelsvomrträgen. Die Aufgabe des Ministers wäre es, statt hohe Schutzzölle zu be⸗ fürworten, die Preise der Milch verbilligen zu helfen, um ihren Verbrauch zu heben. Mit einer guten Ernte verträgt sich auch ein niedriger Preis. Auch wir sind der Meinung, daß ständig schwan⸗ kende Preise ein Uebel für die Landwirtschaft sind. Aber mit dem vorliegenden Projekt werden wir keine Stabilisierung der Roggen⸗
reise erreichen. Wiederholt ist gesagt worden, wir sollten nicht Augenblicksgesetzgebung machen. Hier sind wir auf dem besten Wege dazu, wenn aus den Ueberschüssen der Reichsgetreidestelle Getreide angekauft werden soll. Dabei wird es angesichts der . Marktlage nur Verluste geben, das ist eine verfehlte Spekulation. Dieses Programm trägt in sich alle Symptome des Mißlingens. Die Landwirtschaft müßte erkennen, daß die Ab⸗ nahmefähigkeit für ihre Produkte abhängig ist von der, Konsum⸗ fähigkeit der Bevölkerung. Der Broötkonsum und Fleischkonsum ehen zurück, weil große Massen der Bevölkerung einen normalen Fonfum nicht bezahlen können. Da kann nur eine Besserung der gesamten Lage der Arbeiterschaft helfen. Die gegenwärtige Kar— loffelverwertung kann nicht aufrechterhalten werden, Die Ver⸗ wertung in Brennereien ist ein überwundenes Verfahren. Die Badische Anilinfabrit hat ein Patent auf die Gewinnung von Alkohol aus der Kohle ausgesetzt. Die Landwirtschaft muß sich auf die technischen Aenderungen, die wir nicht achtlos beiseite lassen können, umstellen. Die gewaltigen Fortschritte der Elektrizität haben eine Menge unserer Bedürfnisse unigestaltet. Es ist ein rückständiger Sian dun Rohzuckererzeugung und Raffinerie aus⸗ einanderzureißen. Die Preise müssen durch Ausnutzung aller tech= nischen Hilfsmittel beeinflußt werden. In Musterwirtschaften muß den Landwirten gezeigt werden, wie rückständig sie vielfach arbeiten und wie sie ihre Betriebe rentabel machen können durch eine andere Wirtschaftsweise. Die Landarbeiter sind schlecht bezahlt und elend untergebracht; deshalb gehen sie vom Lande weg. Das sind die Sünden der alten Großwirtschaft. Eine Siedlung nützt nur, wenn sie die selbständige Existenz des Arbeiters sichert; wir müssen den Arbeitern die heimische Scholle wiedergeben. Der Rückgang der ländlichen Bevölkerungsziffern zeigt, daß wir falsche Bahnen gegangen sind. Das Verprügeln der Arbeiter ist nicht mehr zeit⸗= emäß. Das gilt auch von der politischen Rechtlosigkeit der hehe, Die soziale Stellung der Landarbeiter, namentlich im Osten, ist so herabgedrückt, daß wir uns ernstlich damit beschäftigen müssen. Wir wollen im ganzen die folgenden Maßnahmen unzer⸗ stützen: Hebung der Produktign, Erleichterung der Real kredite, Steuererléichterung für die tiefstehenden Schichten, aber nicht für die leistungsfahigen, Urbarmachung von DOedland, plan mãßig⸗ Siedlungspolitik, Maßnahmen zur Verbindung zwischen Produzent und Konsument, damit der Produzent Preise erhält die ihm die Fortführung der Wirtschaft ermöglichen und der Konsument eine menschenwürdige Lebenshaltung führen kann. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Sweite Beilage
zun Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staats anzeiger
Or. 71. Nichtamtliches.
(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)
Prenußischer Landtag. 147. Sitzung vom 23. März 1926. Nachtrag. Die vom Ministerpräsidenten Braun im Laufe der weiten Beratung des Etats des Staatsministeriums gehaltene hie lautet nach dem Stenogramm wie folgt:
Meine Damen und Herren, der Ausgang der Verhandlungen in Genf, der von allen, die ihre Politik auf die Verständigung der Völker eingestellt haben, bedauert wird, gibt freilich denen, die dieser Politik konstant widersprochen haben, ein sehr dankbares Material für ihre Agitation. Ich nehme es daher den Herren von der Rechten auch nicht übel, wenn sie dieses Material weidlichst ausnutzen. Ich frage mich nur: was wird damit für unser Volk, was wird damit für unser Land erreicht? (Sehr richtig! links.) Denn bei all der scharfen Kritik, auch bei all der geschickten Kritik, die ich hier von der rechten Seite und die wir noch soeben aus dem Munde des Herrn Baecker gehört haben, bleibt doch am Schluß immer das große Fragezeichen: was dann? (Sehr richtig! links.) Sie haben hier in einer neu formulierten Art durch den Herrn Abgeordneten Winckler, jetzt durch den Herrn Abgeordneten Baecker unterstrichen, mir das Mißtrauen der Deutschnatio⸗ nalen Voltspartei ausgesprochen. Es war bisher ja üblich, wenn man den Mut zur Konsequenz hat, daß dieses Miß- trauen nicht nur ausgesprochen, sondern auch versucht wird, ihm durch einen Beschluß des Landtags Nachdruck zu verleihen. Herr Abgeordneter Baecker, ich habe doch so das Gefühl, daß diese Formulierung, die hier im Parlament neu ist — man wird sich erst daran gewöhnen müssen und sie danach zu werten ver⸗ suchen — von Ihnen gewählt worden ist, weil Ihnen doch etwas der Mut zur Konsequenz fehlt. (Lachen rechts) Sie haben offenbar mit mir die Ueberzeugung, daß ein Antrag, den Sie eingebracht hätten, mir das Vertrauen zu entziehen, weil ich als Leiter der preußischen Staatsgeschäfte die bisher von der Reichsregierung in der Außenpolitik eingehaltene Linie mit allem Nachdruck unter⸗ stützt habe, hier in diesem Hause doch sehr wenige Stimmen, außer den Ihrigen, erlangen könnte. Weil dem so ist, und weil Sie auch genau wissen, daß heute im Reichstage, wo ja doch eigentlich die zuständige Stelle für die Beurteilung dieser Politik und für die Entscheidung über sie ist, diese Entscheidung entgegen Ihrer Auffassung ausfallen wird, deswegen haben Sie sich mit dieser neuen Art des Ausdrucks eines formulierten Mißtrauensvotums begnügt. Meine Herren, Sie haben das bedingt gemacht und haben mir noch die kleine Möglichkeit gelassen, Ihr Vertrauen eventuell dadurch zu erwerben, daß ich vielleicht jetzt nach Maßgabe der mir verfassungsrechtlich zustehenden Rechte auf die Reichs regierung dahin einwirken werde, daß sie nunmehr schleunigst ihren Antrag auf Aufnahme in den Völkerbund zurückzieht. Das wurde bereits am Sonnabend von dem Redner der Deutsch— nationalen Partei verlangt, bevor noch der Herr Reichskanzler und der Herr Außenminister die Möglichkeit hatten, vor dem Parlament über das, was in Genf vorgegangen ist, Bericht zu erstatten. (Abg. Baecker Berlin): Sie haben nichts Neues gesagth — Herr Abgeordneter Baecker, es ist ja möglich — Sie sind ein kluger Mann, Sie haben daher vielleicht schoön am Sonnabend gewußt, daß Sie nichts Neues sagen werden. (Heiterkeit links.) Heute stellen Sie nun fest, daß Sie nichts Neues gesagt haben. Aber am Sonnabend konnten Sie und Ihr Parteifreund Winckler noch nicht so klug sein. Ich gebe Ihnen jedoch auch heute nicht zu, daß in der Tat der Herr Außenminister Stresemann im Reichstag nichts Neues gesagt hat. Jedenfalls hat er in seiner Rede, die ich heute früh nach meiner Rückkehr aus dem Rheinlande flüchtig gelesen habe immerhin zum Verständnis und zur Beurteilung der ganzen Situation in Genf und der Vorgänge, die sich dort ab—Q— gespielt haben, doch ganz Wesentliches und Wertvolles gesagt. (Sehr richtig! im Zentrum und links. Wer es nur werten will, wer nicht bereits am Sonnabend seine Meinung über das, was der Herr Außenminister noch nicht gesagt hatte, gefaßt hatte, kann jetzt doch nach dieser Rede schließlich zu anderen Schlüssen kommen, als Sie, Herr Abgeordneter Baecker, gekommen sind. Meine Herren, ich sehe keinen Anlaß, von dieser Stelle aus die Außen politik der Reichsregierung eingehend zu erörtern und zu verteidigen. Gewiß, es kann Situationen geben, in denen auch die Landesparlamente, wenn es sich zum Beispiel in einzelnen Fällen um ganz vitale Interessen des Landes handelt, und zwar um eine zeitlich und örtlich umgrenzte Angelegenheit, zu dieser einzelnen konkreten Frage Stellung nehmen. Wenn das aber üblich werden sollte, daß unsere zahlreichen Landesparlamente, die wir noch im Reiche haben, zu allen Fragen der Außenpolitik laufend einzeln Stellung nehmen über das hinaus, was ihnen verfassungsmäßig zusteht, dann weiß ich nicht, wie das Deutsche Reich außenpolitisch eindrucksvoll und wirkungsvoll in die Er—⸗ scheinung treten soll. Sehr richtig! im Zentrum und links. — Un⸗ ruhe und Zurufe rechts) Wir müssen daran festhalten — ich habe daran festgehalten und werde es auch in Zukunft tun — daß die Führung der Außenpolitik bei der Reichsregierung liegt, die diefe Politik mit voller Verantwortung vor dem Reichsparlament, vor dem ganzen deutschen Volk zu führen hat. (Sehr richtig! im Zentrum und links. — Zurufe rechts: Auch wenn Preußen vor die Hunde geht! — Lachen und Zurufe links.) — Daß Preußen nicht vor die Hunde geht, dafür werde ich wirken, solange ich die Ehre habe, an dieser Stelle zu stehen. (Lachen und Zurufe rechts.) Ich habe oft die Befürchtung, meine Herren, wenn nicht von der Reichsregierung und auch bisher von der preußischen Regierung mit der Verantwortlichkeit und dem Ernst, die uns unsere schlimme wirtschaftliche und politische Lage auferlegt, die Politik der letzten Jahre nach außen und innen geführt worden wäre, daß dann allerdings Preußen schon längst vor die Hunde gegangen wäre.
Gehiet gewesen.
Gerlin, Donnerstag, den 25. März
(Sehr richtig bei der Sozialdemokratischen Partei.) Sie (nach rechts) haben bisher scharf kritistert, Sie haben aber noch nicht einen Weg genannt, der uns irgendwie aus diesem Dilemma heraus führt. (Zurufe und Unruhe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) — Nein, Herr Abgeordneter Baecker, auch in Ihrer ganzen heutigen Rede ist nicht ein positiver Vorschlag, wie wir anders vorwärtskommen. (Erneute Zurufe und Unruhe bei der Deutschnationalen Volkspartei) Wenn ich mit aller Schärfe die Politik der Regierung in einer so wichtigen Lebensfrage unseres Reiches und Landes kritisiere, dann bin ich insbesondere als Ver⸗ treter einer großen Partei verpflichtet, auch meinerseits den Weg zu zeigen, den einzuschlagen ich für richtig halte. Das haben Sie nicht getan. (Sehr richtig! im Zentrum und links. — Unruhe und Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei) — Freie Hand nach Ost und West! — Herr Baecker, nehmen Sie es mir nicht übel: das ist eine allgemeine, unbestimmte Wendung, mit der sich viel⸗= leicht irgendein deutschnationaler Zeitungsleser für befriedigt erklärt. Aber damit kommen wir doch nicht weiter. Sehr gut! links. — Zurufe rechts.) — Gestatten Sie doch, daß ich auch ruhig ausspreche. Ich habe Ihre Redner stets sehr ruhig angehört! Zwingen Sie mich doch nicht, Ihre angenehme Nachbarschaft auf⸗ zugeben und von dort zu sprechen! (Heiterkeit Ich möchte noch die alte Tradition aufrechterhalten, von dieser Stelle aus zu sprechen, aber machen Sie mir es nicht zu schwer! (Sehr richtig! links.)
Meine Herren, ich will mich nicht auf die Einzelheiten der Genfer Verhandlungen einlassen. Wenn aber heute hier erklärt worden ist: Rückwirkungen sind noch keine eingetreten; es sei auch ganz falsch gewesen, daß die Deutschen die Anregung gegeben hätten, die Locarno⸗Politik fortzusetzen; es sei auch falsch gewesen, daß man nkcht sofort das Aufnahmegesuch zurück gezogen hätte — so kann ich nur das eine erklären, besonders das letztere: das wäre, wenn man die Dinge rein gefühlsmäßig be handelt, wenn man sich in einer schwierigen politischen Situation nur vom Gefühl leiten läßt, vielleicht eine ganz forsch scheinende Politik, auf die Vorgänge in Genf hin, den Antrag auf Aufnahme zurückzuziehen. (Sehr richtig Nein, das ist nicht richtig, sondern das wäre das Auftreten einer kapriziösen Primadonna und nicht die Politik eines nüchtern urteilenden Staatsmannes, der für Land und Volk sich verantwortlich fühlt. So kann man nicht handeln. Ich weiß wohl, daß derartige Gesten in gewissen Kreisen immer sehr viel Eindruck machen, aber mit diesen forschen Gesten ist uns nicht gedient, dazu sind die Folgen für unser Land und Volk viel zu verhängnisvoll, als daß sich ein verantwortlicher Staatsmann von seinem Gefühl allein leiten lassen kann. Wenn aber hier weiter erklärt wird, die Käumung der Kölner Zone, die Milderung des Besatzungs⸗ regimes im noch besetzt gebliebenen Gebiet — das wären doch alles Dinge, die man nicht als Folgen der Locarno⸗Politik hin⸗ stellen könne — — (Zurufe rechts) — Seien Sie doch nicht so „Vorwärts“⸗gläubig! (Sehr gut! links — Große Heiterkeit.) Sie können doch nicht, Borwärts“ gläubiger fein als ich! (Zuruf rechts.) — Es handelt sich gar nicht um den Glauben, sondern um Tat- sachen. (Sehr richtig! links. Es handelt sich um die Tatsache, daß die Kölner Zone vertragsgemäß nicht geräumt wurde (sehr richtig! links), daß wir keine reale Macht in der Hand hatten, um diese Räumung, die nach dem Vertrage zu erfolgen hatte, zu er⸗ zwingen. (Zurufe rechts) De jure hatten wir durchaus recht, die Räumung zu verlangen. De facto wurde nicht geräumt. Es wurde erst geräumt, als infolge der Locarno⸗Politik eine gewisse Neigung zur Verständigung bei unseren Gegnern Platz griff.
(Zurufe rechts. — Das war auch eine der Nebenforderungen, die
gestellt wurden, aber es wäre gar nicht dazu gekommen, daß auf Grund der Erfüllung dieser Forderung die Zone geräumt wurde, wenn nicht Locarno vorausgegangen wäre. (Sehr richtig! links. — Zurufe rechts.) Wir mögen nach außen hin sagen — das ist durch⸗ aus richtig —; wir hatten die Räumung früher zu verlangen. Wir haben es nicht erreicht, und wenn heute Herr Müller meint:
wenn man sich darüber freue, so sei das eine Beurteilung vom
Kirchturmsstandpunkt — so muß ich Ihnen sagen: Ich bin zwei Tage jetzt mit dem Herrn Reichspräsidenten im ehemals besetzten In allen Kundgebungen, auf der Straße und überall, ist uns der helle Jubel der Bevölkerung darüber entgegen⸗ gebracht, daß das Volk endlich frei geworden ist. (Sehr wahr! links), und dort besteht nur eine Stimme, daß man in der Tat diese Freiheit der konsequenten Politik zuzuschreiben hat, die bisher von der Reichsregierung eingehalten worden ist. (Bravo! links. — Zurufe vechts) Wenn Sie es besser wissen, wie die Rheinländer fühlen, wenn Sie glauben ihre Gefühle besser interpretieren zu können, so erleben wir, daß, je weiter von der Front Sie weg sind, Sie um so besser glauben die Gefühle der Rheinländer zu
verstehen, und glauben das gering einschätzen zu können, was
dort hoch eingeschätzt wird.
Wenn Herr Wulle meinte, daß seinerzeit der, Borwärts“ ge⸗ schrieben hätte, die Annahme des Dawes⸗Plans sei ein Erfolg der Sozialdemokratie, und im weiteren Verfolg dieses Gedankens er klärte, die Arbeitslosigkeit und der furchtbare wirtschaftliche Nieder⸗ gang seien eine Folge des Dawes Abkommens, so möchte ich daran erinnern, was durch das Londoner Abkommen, dem das Dawes⸗ Gutachten zugrunde gelegt war, beseitigt wurde? Was hatten wir vorher? Vorher hatten wir die Ruhrbesetzung und das Micum⸗Abkommen, und jeder, der, nicht von rein parteipolitischer Einstellung verblendet, ruhig und sachlich die wirtschaftlichen Vor⸗ gange betrachtet, wird zugeben, daß für unsere Wirtschaft ein
großer Fortschritt erreicht ist. (Lebhafter Widerspruch rechts und
bei den Deutschvölkischen. Meinen Sie, wir hätten heute keine Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Misere, wenn heute noch die Ruhrbesetzung und die Micum⸗Verträge beständen? (Zuruf des Abgeordneten von der Osten.) Ich bewundere Fhren naiven Kinderglauben, Herr von der Osten, daß Frankreich das nicht durchführen könnte. In Frankreich hat es mehr Schwierigkeiten
1928
der jetzigen Regierung gemacht, den Kreisen gegenüber, dis politisch etwa so eingestellt sind wie die Deutschnationalen bei uns, die Zurückziehung der Befatzung durchzuführen, als Sie sich vor= stellen. Das ist ja der Grundfehler: Wir beurteilen die Ver⸗ hältnisse drüben immer nach unseren Verhältnissen. Sie vergessen, daß diejenigen Leute und Richtungen, die politisch so eingestellt sind wie Sie, dort drüben unsere schlimmsten Gegner sind. Und Sie reflektieren immer auf die Politiker auf der anderen Seite, die politisch so eingestellt sind wie wir. Sonst könnten Sie nicht zum Ausdruck bringen, die Franzosen konnten die Ruhrbesetzung nicht aushalten. Nein, sie konnten sie leider länger aushalten mie wir, wir wären dabei zugrunde gegangen; nahe daran war es. Deshalb war es ein kolossaler Fortschritt für das Ruhrgebiet und das Rheinland, das in der Gefahr der Isolierung stand. Auch für ganz Deutschland war es ein Fortschritt, daß wir zum Londoner Abkommen kamen. Das war eine wichtige Etappe auf dem Wege von Rapallo bis Locarno. Und weil bei unserer Wehr⸗ losigkeit auf diesem Wege allein es möglich ist für Deutschland, aus den jetzigen Verhältnissen wieder langsam in aufopfernder Awbeit sich hoch zu arbeiten, deshalb hat die preußische Regierung bisher diese Politik der deutschen Reichsregierung unterstützt und wird sie auch auf die Gefahr eines erneuten Mißtrauensvotums von rechts in Zukunft unterstützen. (Bravo! bei den Sozial demokraten) So viel zu dem Etat des Außenministers und des Reichskanzlers. Jetzt will ich zu meinem Etat kommen. Es ist von dem Abgeordneten Baczewski die Minderheitsfrage angeschnitten. Die Regelung der Minderheitsfrage ist naturgemãß für uns in Deutschland sehr viel schwieriger als in den Ländern, die uns umgeben. Einmal haben wir in unserer Verfassung die Bestimmung, daß es den fremdsprachigen Volksteilen ermöglicht sein muß, ihre Kultur und ihren Unterricht in ihrer Muttersprache zu pflegen. Weiter liegen die Dinge so — das möchte ich doch diejenigen Herren, die auch in dieser Frage für eine möglichst forsche Politik sind, zu beachten bitten — daß leider zurzeit ungemein mehr deutschsprachige Bevölkerungsteile unter fremder Staatshoheit stehen als fremdsprachige Teile bei uns in Deutsch⸗ land unter unserer Hoheit; was an fremdsprachigen Teilen unter unserer Hoheit steht, ist nur ein geringer Bruchteil von den Deutschen, die heute unter fremder Staatshoheit stehen. Bet allem, was wir auf diesem Gebiete unternehmen, müssen wir uns stets die Frage vorlegen: wie wirken unsere Maßnahmen auf die Deutschen jenseits der Grenzen. Nicht nur dadurch allein, sondern auch dadurch, daß wir von Grenznachbarn umgeben sind, die in ihrer politischen Struktur und in ihrem kulturellen Stand von einander sehr verschieden sind, wird diese Frage noch sehr ver⸗ wickelt, um so mehr, als die Regelung an einer Stelle uns nach außen hin auch leicht für die Regelung an anderen Grenzen präjudiziert. Sie sehen, daß die Sache doch nicht so einfach ist, wie Herr Abgeordneter Baczewski oder vielleicht auch politische Kreise, die ihm entgegenstehen, sie auffaßt. Wir haben nach langen Verhandlungen an der dänischen Grenze die Regelung gefunden, die übrigens bei uns nicht ungeteiltem Beifall begegnet ist, sondern sehr umstritten wird. Und da handelte es sich nur um einen kleinen Abschnitt und um zwei Bevölkerungsgruppen, die stammesverwandt sind und in ihrer Kultur auf gleicher Stufe stehen.
Im Osten ist die Frage in jeder Hinsicht sehr viel komplizierter und schwieriger. Wenn Herr Abgeordneter Baczewsti meint, in Polen sei das alles schon glänzend geregelt, so mag das von seinem Standpunkt aus glänzend sein. (Sehr richtig! rechts) Aber selbst wenn das alles in Polen schon so glänzend geregelt wäre, wie es nach seiner Auffassung geschehen sein soll, dann haben die Polen doch immer vor einer sehr viel leichteren Aufgabe gestanden als wir. Sie fanden in den von Deutschland abgetretenen Gebieten eine hochstehende Kultur und ein gutes Schulwesen vor; sie hatten nur — und das haben sit nach meiner Ansicht leider sehr schnell gemacht — aus nationalen Gründen abzubauen; sie haben ab⸗ gebaut. Ven uns verlangen sie hier einen Aufbou, noch dazu in einer Situation, wo doch die politischen Aspirationen von der anderen Seite dahin gehen — und sie äußern sich in Polen leider nicht nur in ausgesprochen nationalistisch⸗extremen Blättern und seitens solcher Politiker, sondern anch von sehr offizieller Seite — weitere deutsche Gebiete unter polnische Herrschaft zu bringen. (Sehr wahr!)
Unter diesen Umständen sieht sich jeder verantwortliche Staats⸗ mann, sei es im Lande, sei es im Reiche, bei der Lösung der Minderheitsfrage, die auf dem Gebiete des Schulwesens besonders brennend ist, immer wieder vor die Frage gestellt: was liegt im Interesse unseres Volkes, was liegt im Interesse unseres doch immer noch stark umkämpften und bedrängten Landes. Von diesem Standpunkt aus wird man von Preußen wie vom Reiche diese Frage behandeln müssen, und ich kann daher auch dem Bestreben, diese Minderheitenfrage durch das Reich 1ösen zu lassen, nicht ohne weiteres zustimmen. (Sehr richtig! rechts.) Auch da will ich mich noch nicht endgültig binden; aber ich habe bisher doch die Erfahrung gemacht, daß durch die Grundsatzgesetzgebung des Reiches auf vielen Gebieten die Aufgaben für die Länder nicht vereinfacht und erleichtert, sondern erheblich kompliziert und er= schwert werden, und ich frage mich bei der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse, die auf diesem Gebiete zu meistern sind, ob es da zweckmäßig und ob es überhaupt möglich sein wird, wenn man allem gerecht werden will, ein Rahmengesetz im Wege der Grundsatzgesetzgebung im Reiche zu schaffen, und ob man das nicht besser den beteiligten Ländern überläßt. Leider ist ja vornehmlich Preußen daran beteiligt; denn wir sind es, die diese Grenzen zu verteidigen haben, die die großen Gebiete mit deutscher Be⸗ völkerung hingeben mußten.
Ich möchte nicht viel von dem wiederholen, was ich im Haupt⸗ ausschuß schon ausgeführt habe, und daher auch über die Sied . lungsfrage nicht eingehend sprechen. Ich habe dort ausein⸗ andergesetzt, daß die preußische Verwaltung durchaus gewillt und auch in der Sage ist, in weitestgehendem Maße den Bedürfnissen