Kw r lä
Preußen.
Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Fersten.
Die Oberförsterstelle Wolfsbruch im Regierungs⸗ bezirk Allenstein ist zum 1. April 1927 oder später zu besetzen. Bewerbungen müssen bis zum 16. Februar 1927 eingehen.
Die Neulose zur 5. Klasse der 28. Preußisch⸗ Süddeutschen E254. Preuß ischen) Klasseniolterie sind nach den SS 6 und 13 des Lotterieplans unter Vorlegung des Vorklasseloses und Entrichtung des Einlatzbetrages spätestens bis zum Mittwoch, den 2. Februar 1927 abends 6 Uhr, bei Vermeidung des Verlustes des Anspruchs bei den zuständigen Lotterieeinnehmern zu entnehmen.
Die Einschüttung der Gewinnröllchen für die H. Klasse 28.254. Lotterie erfolgt am Dienstag, den 8. Februar 1925, nachmittags 2 Uhr, im Ziehungs faai des Lolteriegebäudes, Jägerstraße 56. Die Ziehung der 5. Klasse dieser Lonerie beginnt Mittwoch, den 9. Februar 1927, morgens 8 Uhr, ebendajelbst.
Berlin, den 20. Januar 1927. Preußische Generallotteriedirektlon.
——— Nichtamtliches. Deutsches Reich. Der tschecho⸗slowakische Gesandte Dr. Krofta ist nach
Berlin zurückgetehrt und hat die Leitung der Gesandtschaft wieder übernommen.
Deutscher Reichstag. 257. Sitzung vom 22. Januar 1927, mittags 12 Uhr. lBericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Jeitungsverleger.]
Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 12 Uhr.
. Ein Gesetzentwurf zur Verlängerung der Zucke run g 5⸗ frist für die Weine des Jahrgangs 1926 bis zum 28. Februar 1927 wird ohne Aussprache in allen drei Lesungen angenommen.
Darauf wird die zweite Lesung des Gesetzentwurfs zur V der Geschlechts krankheiten fort⸗ gesetzt.
Abg. Joos Cgentr.) erklärt, daß die Zentrumsfraktion dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmen werde, ob— wohl nicht alle ihre Wünsche e, ,, eien. Aber er sei gin Mittel, den Kampf gegen diese 6 ksseuche mit etwas . Erfolg zu führen. Einen Fortschritt erblicke die Zentrums fraktion darin, daß die Ansteckungsgefahr überall, wo sie unmittelbar gegeben sei, angepackt werde, bei der Frau wie beim Mann. Damit werde dem . Zustande ein Ende gemacht, daß der ansteckende Mann frei ausgehe, während die angesteckte Frau be⸗ straft würde. Frau wie Rann würden in gleicher Weise von diesem Gesetz exif Die Gemeinschaft sei mehr als der einzelne. Damit sei der Eingriff in die persönliche Freiheit zu rechtfertigen. Das Verantwortlichkeitsgefühl der Ration gegenüber der Seüche der Geschlechtskrankheiten werde zweifellos durch das Gesetz ge— stärkt werden. In der Frage der Laienbebandlung irete das Zen⸗ trum für die Regierun— Sfassung ein. Weiter könne man im gegenwärtigen Augenblick nicht gehen. Erst nach mehrjährigen Erfahrungen werde man den Kreis der Behandelnden erweitern können, erst dann, wenn es gelungen sei, die Spreu vom Weizen zu trennen. Auftlärende Vorträge würden selbstverständlich von dem Gesetz nicht berührt. Darum fei die von den Sozialdemo⸗ kraten beantragte Erweiterung nicht erforderlich.
Abg. Luise Schroeder (Soz.) stellt fest, daß die sozial⸗ demokratische Fraktion in den sozialen Gedanken des Gesetzes völlig einmütig sei. Die Kasernierung habe erst bewirkt, daß die Prostitution zu einem Gewerbe geivorden sei. Es sei er⸗ freulich, daß die Unterhaltung von Bordellen endlich verboten werden solle. Bedauerlicherweise gehe aber das Gesetz in der Bekämpfung der Prostitution nicht weit genug. Mit einer Be— . werde man die Prostitution nie bekämpfen können. Man ollte diese Bestimmungen grundsätzlich beseitigen. Die sozial⸗ demokratische Fraltion hahe von Anträgen in dieser Hinsicht ab⸗ gesehen, da die Vorurteile noch zu groß . und auf einen
rfolg nicht zu rechnen sei. Hie das Gesetz überhaupt Jahre gebraucht habe, um sich durchzusetzen, so werde si auch diese Forderung 3. später verwirklichen laffen. Unverständlich sei allerdings, daß man besondere ö 9. für Orte bis zu 15 000 Einwohnern, während doch gerade in der Großstadt die nnn am größten seien. Das Verbot der Prostitution an gewissen Stellen der Stadt bringe die Gefahr einer neuen Art von Reglementierung und Kasernierung mit . Die Prostitution sei sehr wohl auszurotten. Sie sei ein Ue 3 aus der Zeit der Hörigkeit, das Söldnerheer der Lust. Wenn fie heute noch nicht beseitigt sei, so sei das nur der großen Not zuzuschreiben. Hier müsse der Hebel angesetzt werden. Eine rundlegend geänderte Erziehungsarbeit, Bexuf ausbildung der ö. und ausveichende Bezahlung könnten allein in dieser Frage
andel schaffen.
Abg. Marie Lüders (Dem. stimmt dem Entwurf im allgemeinen zu, wenn ihm auch noch zahlreiche Mängel anhaften. Gegenüber einer derartig heimtückischen und verheerenden Krank⸗ heit müsse die persönliche Freiheit ihre Grenzen haben. Die Rednerin fordert, daß die ärztliche Ausbildung au diesem Ge⸗ biete erheblich ausgedehnt werde. In den Kerl e r ier.
mungen müsse einwandfrei . Ausdruck kommen, daß eine
wangsbehandlung mit Mitteln, die nicht mit Sicherheit erprobt eien, verboten sei. Die Prostitution sei ein sehr trauriges Kapitel. Die elenden Wohnungsverhältnisse trügen einen großen Teil der Schuld an der Verbreitung dieser Art des Ersverbs. Mit verlogenen Rechtsgrunbfätzen könne man hier keine Abhilfe schaffen. Das neue Gesetz biete auf jeden Fall einen Weg zur Linderung der Verhältnisse. Die Rednerin spricht die Hoffnung aus, daß das Beratungsgesetz für die Jugend bald dem Reichstag vorgelegt werde.
Abg. Agnes Neuhaus (Zentr.) hält unbedingt daran fest, daß in der Nähe von Kirchen und Schulen die fr ine on ver⸗ boten werde. Unterschiede zwischen Großstadt und Kleinstadt müßten in der gewerbsmäßigen Brostitution sehr wohl gemacht werden. Die Vorwürfe gegen die Polizei seien größtenteils un berechtigt, wenn auch Uebergriffe vorgekommen selen Die Polizei arbeite mit den Fürsorgeorganifationen gut zusammen, und der Charakter der Polizei gegenüber den Mädchen habe f erheblich geändert. Ez sei in diesem Zusammenhang zu vegrüßen, daß wir endlich die Polizeibeamtin bekämen, fo daß diese ganze Arbeit in die Hände der Frau gelegt werden könne
Ministerialdirektor Dammann erklärt, daß auch die Reichs⸗ regierung das Zustandekommen des Gesetzes begrüße, nachdem sich der Reichstag seit neun Jahren mit der Materie beschäftigt habe. Die vorgelegten Abänderungsanträge bitte er abzulehnen mit Ausnaheme des Antrages, der in der Frage der Laienbehandlung die Regierungsvorlage wiederherstellen wolle. Die allgemeine Einführung der unentgeltlichen Behandlung sei unmöglich. Eine
sorgfältige ae en, und Fortbildung der geg sei in die Wege geleitet. Das inisterium werde auch nach erabschiedung des Gesetzes mit den Fürsorgeorganisationen zusammenarbeiten.
Damit schließt die allgemeine Aussprache. .
§ 1 wird in der Ausschußfassung angenommen.
Abg. Johanne Reitze (Soz) beantragt die kostenlose Be⸗ handlung von Geschlechtskranken, die keinen Anspruch auf ander⸗ weitige ärztliche Behandlung haben. Bei der Einziehung der Kosten . Härten vermieden werden; insbesondere soll keine Rückzahlung aus einem Arbeitseinkommen verlangt werden. Die ee mi, ellen sollen in Behandlungsstellen umgewandelt werden. ;
Abg. Dr. Bayersdör fer (Bayr. Volksp.) bekämpft die Einrichtung von . weil dann die Aerzte ihre Mitarbeit versagen würden. widerspri t auch der unentgelt⸗ lichen Behandlung, weil man gar nicht übersehen könne, welche Kosten das verursachen würde. Die Finanznot der Länder gestatte 53 6 nicht solche Ausgaben. Dieser Antrag müsse das Gesetz im Reichsrat zum Scheitern bringen.
Darauf wird um 255 Uhr die Weiterberatung auf Montag 4 Uhr vertagt.
Preußicher Landtag.
A0. Sitzung vom 21. Januar 1926.
Nachtrag.
Die Ausführungen des Ministers für Volkswohlfahrt Hirtsiefer auf die Anfragen der Abgeordneten D. Winckler und Genossen lauten nach dem vorliegenden Stenogramm wie folgt:
Die vom Reichsausschuß für Aerzte und Krankenkassen gemäß 8 366 e RVO. aufzustellenden Richtlinien sollen nach der Absicht des Gesetzes (6 368 a RVO.) eine Grundlage für die Regelung der Beziehungen zwischen Aerzten und Kranken⸗ kassen bilden. Die Beschlüsse des Reichsausschusses bei Erfüllung diefer ihm gesetzlich obliegenden Aufgabe find von einer Stellung⸗ nahme der Reichsregierung unabhängig. Das Preußische Staats⸗ ministerium kann daher weder unmittelbar noch auf dem Wege über die Reichsregierung Anträge des gewünschten Inhalts beim Reichs ausschuß stellen. Jedoch hat die Medizinalabteilung meines Ministeriums mit dem Reichsarbeitsministe rium bereits Verhand⸗ lungen aufgenommen, ob und inwieweit eine Abänderung der Zulassungsbestimmungen im Sinne der Großen Anfrage möglich ist.
Die unter dem 11. Juli 1924 eingeführte 20 „ ige Er⸗ mäßigung auf die Mindestsätze der ärztlichen Gebührenordnung habe ich durch Erlaß vom 22. Dezem ber
192'tz mit Wirkung vom J. Januar 1927 ab wieder aufgehoben.
Die Große Anfrage Nr. 168 der Abgg. Dr. von Campe und Gen. beantworte ich wie folgt:
Dem Landessekretariat Schlesien der sozialistischen Arbeiter⸗ jugend in Breslau hatte ich durch Erlaß vom 2. Juni 19236 ein Darlehn im Betrage von 15000 Reichsmark für die Errichtung verschiedener Jugendheime in Schlesien in Aussicht gestellt. Die Auszahlung verzögerte sich infolge Verhandlungen mit dem Herrn Finanzminister über die neu zu erlassenden Darlehnsbestimmungen. Inzwischen war der Landessekretär Zimmer wegen Gewährung eines Kredites mit der Kommunalbank für Schlesiien in Ver⸗ bindung getreten. Auf Grund angeblicher Schreiben meines Ressorts, die, wie sich später herausstellte, von ihm gefälscht waren, hat er 50 000 Reichsmark Kredit von der Bank erhalten, die er später zurückgezahlt hat. Die Mittel hierzu hat er sich anscheinend durch ein gleichfalls von ihm gefälschtes Schreiben des Landes— hauptmanns von Niederschlesien bei der Bank der Arbeiter, An⸗ gestellten und Beamten, Berlin, Wallstr. 65, verschafft.
Die Verfehlungen des Zimmer sind durch mein Ressort aufgedeckt worden. Der erste Erlaß in der Angelegenheit datiert vom 4. August 1926. Die weiteren Ermittlungen haben sich bis Anfang Dezember 1926 hingezogen.
Der Oberstaatsanwalt in Breslau hat die Untersuchung an— geordnet.
Die Rede des Ministers Hirtsiefer in der allgemeinen Aussprache zu dem Abschnitt „Ministerium und Volks gesundheit“ hat nach dem Stenogramm folgenden Wortlaut:
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu dem Kapitel Volksgesundheit einige Ausführungen machen, die Ihnen einen Bericht über die gesundheitlichen Verhältnisse in Preußen in den verschiedenen dazu gehörigen Gebieten geben ollen. Die Gesundheitsverhältnisse in Preußen ließen auch schon im vergangenen Jahre eine weitere Besserung gegenüber den schlimmsten Jahren der Kriegs- und Nachkriegszeit erkennen, und doch würde es nicht richtig sein, aus der statistisch feststehenden Tatsache, daß die allgemeine Sterblichleit sowie die Säuglings⸗ sterblichleit und die Sterblichkeit an Tuberkulose in den letzten Jahren noch weiter abgenommen haben, nun etwa den Schluß zu ziehen, als ob die schweren Schäden der Volksgesundheit, die uns der Krieg und die dadurch bedingte Unterernährung des Volkes sowie die sonstigen Notzustände der vergangenen Jahre gebracht haben, bereits überwunden wären. Es muß vielmehr festgestellt werden, daß der Gesundheitszustand unserer Bevölkerung auch heute noch sehr bedenkliche Schäden aufweist, daß es noch der größten Anstrengungen des Staates, der Gemeinden, der Kreise sowie aller sonst zur Mitarbeit berufenen Faktoren bedarf, bis wir wieder zu einigermaßen befriedigenden Gesundheitsverhältnissen gelangen werden.
Wie ich schon erwähnte, weist die Statistik der Sterblichkeit gegenüber den Kriegs, und ersten Nachkriegsjahren, ja sogar gegenüber den günstigen Jahren der Vorkriegszeit eine Ver— besserung auf. Während wir im Jahre 1918 eine Sterblichkeit von 14.9 auf 1000 Einwohner hatten, die sich naturgemäß während des Krieges erheblich verschlechterte und bis zum Jahre 1918 auf 25 Todesfälle pro 109090 Einwohner stieg, hat sich die Sterblich⸗ keit in den Jahren nach dem Kriege wieder erheblich vermindert. Den niedrigsten Stand hatte das Jahr 1924 mit 117 auf 1000 Einwohner. Im Jahre 1925 stieg die Sterblichkeit wieder etwas an, und zwar auf 12.5 Todesfälle pro 1000 Einwohner; sie be⸗ trug in der ersten Hälfte des Jahres 1926, für das in seiner Gesamtheit die endgültigen Zahlen noch nicht vorliegen, 122 Todesfälle auf 1000 Einwohner.
Auch die Säuglingssterblichkei ist in den letzten Jahren weiter zurückgegangen. Sie betrug gegenüber dem
Höchststand mit 15 vH im Jahre 1918 im Jahre 1986 11,5 und P
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ist in der ersten Hälfte des Jahres 1929 auf 103 vs weiler
zurückgegangen.
Auch die Sterblichteit an Tuber kulose läßt in der ersten Hälfte des Jahres 1928 mit 10,7 Todes fã len auf 1000 Einwohner gegenüber den vergangenen Jahren und nament, lich gegenüber der enormen Tuberkulofesterblichkeit in den letzten Kriegsjahren eine weitere Verminderung erkennen.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre ein bedenklicher Trugschluß, aus den von mir hier mitgeteilten Ziffern nun etwa, wie es zum Teil auch im Ausland öfter ge. schieht, den Schluß ziehen zu wollen, daß unsere Gesundheits. verhältnisse bereits wieder als günstig bezeichnet werden können.
Ich muß vielmehr mit Bedauern feststellen, daß das noch keines. wegs der Fall ist. Zunächst ist behufs einer richtigen Deutung
der angegebenen Statistik folgendes hervorzuheben. Infolge der Hungerblockade find während des Krieges rund 800 0900 Menschen in Deutschland gestorben (hört, hörth, unter ihnen eine große Zahl von Personen, deren Tod unter normalen Verhältnissen erst zu einem erheblich später liegenden Zeitpunkt hätte er⸗ wartet werden können. (Zuruf bei den Kommunisten: Wieviel verhungern heute?) Dies gilt insbesondere für die Sterblich⸗ keit an Tuberkulose, die sich während des Krieges infolge Unter⸗ ernährung unseres ganzen Volkes gegenüber der Vorkriegszeit
nahezu verdoppelt hatte. Auch hier dieselbe Erscheinung, daß
viele Tausende von Tuberkulosen während des Krieges rasch dahin starben, die unter normalen Ernährungsverhältnissen noch eine Reihe von Jahren hätten leben können. Durch dieses vor—⸗ zeitige Dahinsterben bestimmter Altersklassen und Krankheits—
gruppen ist in die Medizinalstatistik der Nachkriegszeit gewisser⸗ ö maßen eine Lücke gekommen, die nunmehr zum Teil in einer
Verminderung der Todesfälle in den letzten Jahren ihren Aus— druck fand.
Weiter ist aber folgende Tatsache von erheblicher Bedeutung. Unsere Geburtenziffern, die schon in den letzten Jahren bor dem Kriege gegenüber der Zeit um die Jahrhundertwende einen bedauerlichen Rückgang aufwiesen, haben sich in den letzten Jahren in bedenklichem Umfange weiter vermindert. Während wir im Jahre 1913 noch eine Geburtenziffer von 28, auf 1000 Einwohner hatten, betrug unsere Geburtenziffer im Jahre 19294 nur noch 20,8 auf 1009 Einwohner, stieg im Jahre 1925 wieder auf 22,8, ist in der ersten Hälfte de Jahres 1926, für die bisher nur Zahlen vorliegen, wieder auf 20,7 auf 1099 Einwohner und damit auf einen so niedrigen Stand zurückgegangen, wie wir ihn bisher noch nicht zu ver⸗ zeichnen hatten. Namentlich in manchen Großstädten haben wir einen erschreckenden Gebu rtenrückgang derart, daß in diesen Städten die bedenkliche Gefahr, daß überhaupt kein Ueber schuß der Geburtsfälle über die Sterbefälle mehr erzielt werden wird, immer näher rückt. Insgesamt betrug der Ueberschuß der Geburten über die Todesfälle, der sich im Jahre 1913 noch auf 12.8 je 1000 Einwohner belief, in der ersten Hälfte des Jahres 1926 nur noch etwa 7 auf 1000 Einwohner. (Hört, hört!! Wie be— denklich dieser zweifellos auch durch die wirtschaftliche Not unseres Volkes mitbedingte Rückgang unserer Geburtenziffern für unsere Zukunft zu bewerten ist, brauche ich hier nicht näher auszuführen.
Besonders wichtig ist nun die Beobachtung, daß ein erheb⸗ licher Rückgang der Geburtenziffern aus naheliegenden Gründen immer einen Rückgang der Säuglingssterblichkeit mit sich bringt, eine Erscheinung, die wir in allen Kulturländern beobachten können. Wenn auch die von mir vorhin dargelegte erfreuliche Verminderung unserer Säuglingssterblichkelt mit auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß viele Tausende unserer Mütter durch die Not der Kriegs- und Nachkriegszeit, auch durch die ihnen seit Einführung der Reichswochenhilfe gewährten Still- prämien mit veranlaßt wurden, in erhöhtem Maße den Säug⸗
lingen die Mutterburnst zu gewähren, so kann es doch als zweifel⸗ los angesehen werden, daß die Verminderung unserer Sterb— lichkeit auch eine besondere Folge des bedauerlichen Geburten⸗ rückganges ist.
Nun ist aber im Zusammenhange hiermit noch folgendes zu berücksichtigen. In den früheren Jahren entfiel ein Drittel aller Todesfälle, ähnlich wie in anderen Ländern auch, regelmäßig auf Todesfälle im ersten Lebensjahre, also auf die Säuglinge. Da wir nun in den letzten Jahren aus den von mir angeführten Gründen eine bemerkenswerte Verringerung der Säuglings sterblichkeit festzustellen haben, so ist natürlich auch die absolute Ziffer der auf das erste Lebensjahr entfallen den Todesfälle gesunken. Dadurch wird aber zwangs⸗ läufig auch die Gesamtsterblichkeit günstig beeinflußt und damit eine weitere Erklärung für den anscheinend so niedrigen Stand unserer jetzigen Sterblichkeitsziffern gegeben.
Auch der allgemeine Gesundheitszustand unseres Volkes kann, wie ich eingangs meiner Ausführungen schon angedeutet habe, leider noch nicht als günstig bezeichnet werden. Abgesehen davon, daß auch heute noch viele Tausende unter den Folgen einer un— zureichenden Ernährung leiden — das wird von uns am aller⸗ meisten bedauert — und daß infolgedessen bei vielen Menschen noch immer allgemeine Körperschwäche, Blutarmut und eine be⸗ dauerliche Verminderung der Widerstandskraft gegenüber Krank— heiten verschiedenster Art besteht, haben wir allen Anlaß zu der Annahme, daß trotz der Abnahme der Sterblichkeit an Tuberkulose leider die Erkrankungen an Tuberkulose nicht ab⸗ genommen, sondern eher noch zugenommen haben. GHört, hört) Auch die Skrofulose, die wir als ein Vorstadium der Tuberkulose im Kindesalter ansehen dürfen, ist unter unserer Jugend noch außerordentlich stark verbreitet.
Von besonders ernster Bedeutung ist noch immer der un— günstige Ernährungs- und allgemeine Gesundheitszustand unserer Kleinkinder und Schulkinder, und zwar namentlich derjenigen Altersklassen, die während des Krieges ge— boren sind, die Hungerblockade des Krieges und noch einmal die schwere Notzeit der schlimmsten Inflationsjahre 1922 und 1923 mit ihrer allzu knappen Ernährung durchgemacht haben. Die uns aus den letzten Jahren vorliegenden Berichte von Kreisärzten, Schul— ärzten, Lehrern und anderen Stellen sowie die gelegentlich von Beamten meines Ministeriums, auch in Gemeinschaft mit aus ländischen Kommissionen vorgenommenen Besichtigungen der Kinder in großstädtischen Schulen lassen deutlich erkennen, daß in dem Gesundheitszustand unserer Schulkinder und Kleinkinder in den letzten Jahren nur eine geringe Besserung eingerzeten ißt. Geradezu erschütternd ist die Ttasache, daß viele Tausende von
Schulkindern infolge der Notzustände der vergangenen Jahre in ihrer körperlichen und vereinzelt auch sicherlich in ihrer geistigen
Entwicklung direkt zurückgeblieben sind, so daß zum Beispiel Kinder
im Alter von 198, 198 oder 14 Jahren bei körperlichen Unter⸗ suchungen den Eindruck von 9 bis 10 jährigen Kindern machen. (Hört, hört Und es bildet den Gegenstand ernstester Sorge für uns, daß zwar der allgemeine Gesundheitszustand solcher Kinder sich im Lause dre Zeit etwas bessern kann, daß aber die geschilderten Wachstumsstörungen dieser armen Kinder niemals wieder völlig überwunden werden können. So ist es denn selbstverständlich nicht nur unsere Pflicht, sondern auch ein Gebot der Selbsterhaltung unseres Staates., für die Kräftigung unserer Jugend, die ja das wertvollste Kapital unseres verarmten Vaterlandes darstellt, alles zu tun, was uns irgendmöglich ist. Ich habe deshalb auch im ab— gelaufenen Jahre mit den mir zur Verfügung stehenden, leider bescheidenen Mitteln zahlreiche Anstalten und sonstige Ein⸗ richtungen jur Kräftigung unserer Jugend, insbesondere Säug⸗ lingsheime, Fürsorgestellen für Säuglinge und Kleinkinder durch Beihilfen unterstützt und werde dies auch in Zukunft im Rahmen der allerdings, wie ich bereits dargelegt habe, leider nur be⸗ schränkten staatlichen Mittel tun.
Ich wende mich nun zu einer Sonderbesprechung der einzelnen, von der Medizinalabteilung meines Ministeriums bearbeiteten Gebiete, und zwar zunächst zur Sen chenbekämpfung. Die Seuchen hielten sich im Jahre 1926 in mäßigen Grenzen. Von den gemeingefährlichen Seuchen, die bei uns nicht heimisch sind, sind nur sechs Pockenfälle und zwei Fleckfiebererkrankungen beobachtet worden, die auf einer Einschleppung aus dem Osten beruhten.
Von den bei uns heimischen Seuchen zeigte die Diphtherie, wie auch bereits in den letzten Jahren, eine geringe Neigung zur Häufung der Erkrankungen. Doch ist ihr Charakter bisher gutartig geblieben.
Dasselbe gilt in verstärktem Maße vom Scharlach, der in den letzten Jahren fast die doppelte Erkrankungsziffer wie in den Vorjahren erreicht hat; doch ist auch sein Charakter gutartig, so daß die Zahl der Todesfälle gegenüber dem Vorjahre nur wenig gestiegen ist. Immerhin ist bei der Unberechenbarkeit dieser letzteren Erkrankung, die ganz plötzlich einen schweren Charakter annehmen kann, ein Ansteigen der Erkrankungsziffer nicht unbedenklich. Doch läßt uns die Entdeckung des Erregers des Scharlachs durch das amerikanische Ehepaar Diek hoffen, daß wir auch beim Scharlach, wie bereits seit Jahrzehnten bei der Diphtherie, Immunisierungs⸗ methoden durch Einspritzung der abgetöteten Erreger sowie eine neue Heilmethode durch Gewinnung eines Heilserums erhalten werden, eine Hoffnung, zu der ganz besonders auch die im letzten Jahre durch Professor Friedemann im Rudolf⸗Virchow⸗Krankenhaus angestellten Untersuchungen immerhin zu berechtigen scheinen.
Auch gegen die Masern ist in dem letzten Jahre von dem Greifswalder Professor Deglkwitz eine Serumbehandlung empfohlen worden, und zwar in doppelter Form; zum Schätze besonders der kleinen Kinder gegen die Maserninfektion die prophylaktische An⸗ wendung von Masernrekonvaleszentenserum sowie zum Schutze Masernbedrohter wie auch zur Behandlung bereits erkrankter Per⸗ sonen ein von Tieren gewonnenes Masernserum. Die Erfolge des Masernrekonvaleszentenserums sind bereits von vielen Seiten be— stätigt worden. Es ist nur schwierig, solches Rekonvaleszenten⸗ serum zu erhalten, da die Eltern der Kinder sich nur in selteneren Fällen bereitfinden lassen, den von Masern genesenen Kindern die hierzu nötige geringe Blutmenge abnehmen zu lassen. Dagegen sind die Erfolge mit dem Masernheilserum noch sehr umstritten. Das Verfahren bedarf noch erst der wissenschaftlichen Durch arbeitung. Ein außerhalb Preußens vorgekommener, angeblich durch Anwendung von Masernserum entstandener Todesfall hat mir Veranlassung gegeben, in einem Erlaß auf die notwendigen Vor— sichtsmaßnahmen nochmals besonders hinzuweisen.
Auch der Typhus hielt sich in mäßigen Grenzen und blieb zahlenmäßig hinter dem Vorjahre zurück. Nur wenige Epidemien wie besonders die große hannoversche Epidemie sowie zwei zahlen⸗ mäßig zwar kleinere, prozentual aber ganz erheblich größere Epi⸗ demien in Schönecken und Freudenberg im Regierungsbezirk Trier, ferner die kleinen Epidemien in Torgelow und Gollnow im Regie⸗ rungsbezirk Stettin sowie die kleine Milchepidemie in Potsdam sind hier besonderer Erwähnung wert. Im übrigen haben meine Erlasse vom März 1926, die die Ueberwachung zentraler Wasser⸗ versorgungsanlagen sowie der Mollereien und des Molkerei⸗ personals betreffen, günstig gewirkt.
Ebenso wirkt sich auch das zweite Ergänzungsgesetz zum preußischen Seuchengesetz über die Anzeigepflicht bei Typhusverdacht und die gegenüber Typhusdauerausscheidern zu ergreifenden Maß⸗ nahmen anscheinend schon recht günstig aus. Die Ausführungs⸗ bestimmungen zu diesem Gesetz liegen dem Staatsrat vor und werden demnächst bekanntgegeben werden.
Die Ruhr ist nur in einigen wenigen, unbedeutenden und örtlich begrenzten Epidemien aufgetreten.
Dagegen hat die spinale Kinderlähmung in einigen Kreisen, besonders Mitteldeutschlands, an Ausdehnung gewonnen und besonders in dem Kreise Ilfeld und in der Grafschaft Hohen⸗ burg (Nordhausen) zu Erkrankungen von je 50 bis 65 Personen geführt.
Die epidemische Gehirnentzündung, die Eme⸗ phaletis, ist nur noch in vereinzelten Fällen aufgetreten. Es scheint, als ob der Höhepunkt ihrer Ausbreitung bereits vor zwei Jahren überschritten wurde und sie seithem im ständigen Abnehmen begriffen ist.
In den im Juni vorigen Jahres von Ueberschwemmungen heimgesuchten Niederungen der Oder, Elbe und deren Nebenflüsse kam es in den Monaten Juli⸗August zu zahlreichen als Schlammfieber bezeichneten Erkrankungen. Die Krankheit, die übrigens in ähnlicher Form bereits in früheren Jahren im Anschluß an die Ueberschwemmungen beobachtet worden war, zeigte im allgemeinen einen gutartigen Charakter. Die von mir sofort veranlaßten Untersuchungen über die Ursachen der Erkrankungen haben zu einem eindeutigen Ergebnis noch nicht geführt. Ich habe die Medizinalbeamten angewiesen, bei dem Wiederauftreten ähn⸗ licher Erkrankungen zu berichten, und werde gegebenenfalls bei einer Wiederholung der Erkrankungen weitere Untersuchungen über ihre Ursache veranlassen. .
Die Neuordnung des Desinfektionswesens nach den im Jahre 1921 erlassenen Vorschriften, in denen besonderer Wert auf die fortlaufende Desinfektion am Krankenbett gelegt wird, hat weitere Fortschritte gemacht. In den Städten ist die neue Desinfettiontordnung nunmehr allenthaltben durchgeführt.
Schwierigleiten ergeben sich nur noch hier und da in ländlichen Bezirken bei der Durchführung der laufenden Desinfektion, weil es an geeignetem Hilfspersonal mangelt. Der Vermehrung des in der Desinfektion geprüften Pflegepersonals werde ich nach wie vor meine ganz besondere Aufmerkfamkeit widmen.
Eine wertvolle Hilfe bei den Maßnahmen der Volksgesund⸗ heitsverwaltung leisteten wie bisher die Institute und Anstalten meines Ministeriums, die im immer stärkeren Umfange bei der Bekämpfung der Desinfektionskrankheiten auf dem Gebiete der Wasser⸗ Boden- und Lufthygiene sowie der Nahrungsmittelunter⸗ suchungen usw. in Anspruch genommen werden. Auf diese verstärkte Tätigkeit sind auch die in dem Haushalt nachgewiesenen höheren Einnahmen an Gebühren zurückzuführen.
Im Sommer 1926 wurde in einer Sitzung des Landesgesund⸗ heitsrats das Kropfproblem von verschiedenen namhaften Sach verständigen eingehend behandelt. Auf Grund des Ergebnisses dieser Verhandlungen werde ich der Bekämpfung des Kropfes und insbesondere den bei unserer Jugend auftretenden Schwellungen der Schilddrüse künftig noch größere Aufmersamkeit schenken und diese Fragen durch Spezialforschungen, insbesondere auch im Sinne einer besseren Versorgung der Bevölkerung mit einer die notwendige Jodmenge enthaltenden Nahrung, weiter zu klären versuchen. Die Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Kropf, eigentümlichen Ge fäßveränderungen und gewissen Formen des Schwachsinns, die mit behördlicher Unterstützung bereits seit längerer Zeit in Kassel ausgeführt werden und über die in einer Sitzung des Landesgesundheitsrats sehr bedeutsame Mitteilungen gemacht wurden, werden auch in Zukunft fortgesetzt.
Auf dem Gebiete der Wasserversorgung und der Abwässerbeseitigung machen sich noch immer die Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit in gesundheitlicher Beziehung sehr unangenehm bemerkbar. Die zahlreichen Anträge von Ge— meinden auf Hergabe von Staatsbeihilfen oder niedrig verzins⸗ lichen Staatsdarlehen für den Bau neuer oder die Verbesserung bestehender Wasserversorgungs- und Abwässerbeseitigungsanlagen beweisen, daß auf diesem Gebiete Mängel vorliegen, die zurzeit nur sehr schwer zu beseitigen sind. Den besonderen Beweis für die Unzulänglichkeiten zahlreicher derartiger Einrichtungen liefert die Bobachtung der Typhusverbreitung in Deutschland. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die seit dem Kriege gesteigerte Häufigkeit der Typhuserkrankungen bzw. der Typhus— epidemien mit der mangelhaften Wasserversogung und Abwässer⸗ beseitigung in vielen Kreisen in ursächlichem Zusammenhange steht. Am peinlichsten trat uns dies bei der hannoverschen Typhusepidemie entgegen, bei der der ursächliche Zusammenhang mit der Wasserversorgung Hannovers nicht zu bestreiten ist. Wenn es zweifellos meine Aufgabe ist, auf die Beseitigung dieser Mängel mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln hinzuwirken, so darf andererseits nicht außer acht gelassen werden daß die Geneigtheit der Kommunen zum Bau oder zur Verbesserung der genannten Einrichtungen und ihre Möglichkeit dazu schwer unter der finanziellen Notlage der Gemeinden leiden. Leider muß gegenüber den zahlreichen Anträgen auf staatliche finanzielle Hilfe grundsätzlich daran festgehelten werden, daß die Einrichtung und Erhaltung gesundheitlich unbedenklicher Einrichtungen auf diesem Gebiete eine kommunale Aufgabe ist und daß staatliche Hilfe für derartige Aufgaben in der Regel nicht in Frage kommen kann. Gegenüber der finanziellen Not der Gemeinden habe ich aber inner⸗ halb der Staatsregierung stets den Standpunkt vertreten, daß in besonderen Fällen unter gewissen Voraussetzungen im Interesse des öffentlichen Wohls und der öffentlichen Gesundheit ausnahms⸗ weise auch finanzielle Staatshilfe zur Errichtung von Wasserversorgungs-⸗ und Anbwässerbesei⸗ tigungsanlagen eintreten muß.
Im Hinblick auf diese Gesichtspunkte hat die Staatsregierung im Oktober 1925 zwei Millionen Reichsmark bei der Preußischen Staatsbank behufs Vermittlung niedrig verzinslicher Darlehen an bedürftige Gemeinden zum Zwecke der Wasserversorgung, Abwässerbeseitigung und Entwässerung zur Verfügung gestellt. Dieser Betrag ist zurzeit leider aufgebraucht. Zahlreiche Anträge der Gemeinden konnten bei dem beschränkten Umfang der Mittel nicht berücksichtigt werden. Im Augenblick ist eine erneute Zur⸗ verfügungsstellung solcher Staatsmittel im Hinblick anf die schwierige Finanzlage des Staates leider nicht zu erreichen gewesen.
Der Zusammenhangzwischen Typhus verbrei⸗ tung und Wasserversorgung sowie Kanalisation der Gemeinden hat mich veranlaßt, erneut zu prüfen, in⸗ wieweit durch entsprechende Maßnahmen auf die Verhütung von Typhusepidemien infolge mangelhafter Wasserversorgung und Ab⸗ wässerbeseitigung eingewirkt werden könne. Ich habe zunächst frühere Erlasse zu diesem Zwecke in Erinnerung gerufen und zugleich im Oktober 192 durch einen neuen Erlaß eine verschärfte Auf⸗ sicht über alle Wasserwerke angeordnet. Ferner habe ich den Präsidenten der Landesanstalt für Wasser⸗, Boden⸗ und Luft⸗ hygiene beauftragt, alle die zentralen Wasserversorgungsanlagen Preußens, die in erster Linie für eine gelegentliche Verseuchung durch Typhus oder ähnliche Krankheitserreger in Frage kommen, durch je ein Mitglied der wassertechnischen und der hygienisch⸗ bakteriologischen Abteilung der Anstalt in Verbindung mit den zuständigen Beamten der Regierungs⸗ sowie der Lokalinstanz einer Revision zu unterziehen. Unter Berücksichtigung der bei diesen Revisionen gewonnenen Erfahrungen wird der Präsident der Landesanstalt eine Denkschrift vorlegen, in der alle Fragen er⸗ örtert werden sollen, die für die Planung, den Bau und die Be— aufsichtigung solcher Anlagen, sowohl staatlicher als gemeindlicher Anlagen, in gesundheitlicher Beziehung von Bedeutung sind. Welche Möglichkeiten sich daraus für eine weitere Verschärfung der Staats⸗ aufsicht oder der den Gemeinden selbst obliegenden Kontrolle er— geben, behalte ich mir vor, besonders zu prüfen.
Bei dem Wachstum der großen Gemeinden in Verbindung mit ihrer geringen finanziellen Leistungsfähigkeit gibt auch die Art und Weise der Beseitigung der festen Abfall⸗ stoffe: Straßen staub, Müll usw., öfter zu Bedenken im Hinblick auf das öffentliche Wohl Veranlassung. Deshalb wird von den Medizinalbehörden darauf gehalten, daß zur Bekämpfung der Gefahren, die aus der Lagerung und der Beseitigung solcher Abfallerzeugnisse für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung entstehen können, alles Erforderliche geschieht. Für die Verunreinigung der Luft durch die unvollkommene Verbrennung der Kohle beim Hausbrand oder den industriellen Heizungsanlagen durch das Abstoßen unangenehm wirkender Gase, Dämpfe oder
auch staubförmiger Bestandteile aus gewissen industriellen Be⸗ trieben und durch die Staubentwicklung in den Straßen infolge der schnellen Ausbreitung des Kraftwagenverkehrs macht sich ent⸗ sprechend dem Wachstum der Gemeinden und der Entwicklung der Industrie in solchen Gegenden von Tag zu Tag zum Nach⸗ teil der menschlichen Gesundheit und der pflanzlichen Entwicklung immer unangenehmer bemerkbar. Daß die Staatsregierung diesen Zuständen gegenüber die nötige Aufmerksamkeit beobachtet, zeigt der Umstand, daß die frühere Landesanstalt für Wasserhygiene seit dem Jahre 1922 bereits auch die Auf⸗ gabe zugewiesen bekommen hat, in demselben Sinne auch auf dem Gebiet der Boden⸗ und Lufthygiene tätig zu sein. Diese Aufgabe erfüllt die Landesanstalt mit großem Eifer und — wir dürfen auch sagen — mit gutem Erfolge. Das wird unter anderem durch die Tatsache bewiesen, daß die gutachtliche In⸗ anspruchnahme der Landesanstalt durch die verantwortlichen ge⸗ meindlichen oder privaten Stellen gegenüber der Vorkriegszeit eine ganz ungeahnte Ausdehnung gewonnen hat. Das Geheimnis des Erfolges der Landesanstalt liegt eben darin, daß sie in glück⸗ licher Kombination wissenschaftliche Forschung und praktische Be⸗ tätigung im Auftrage der in Betracht kommenden Kreise beim Studium an Ort und Stelle verbindet.
Unter den Bolksseuchen verdient unsere besondere Beach— tung noch die Tuberkulose und deren Bekämpfung. Die in den letzten Kriegsjahren nahezu auf das Doppelte an— gewachsene Sterblichkeit an Tuberkulose ist in den letzten Jahren entschieden zurückgegangen. Im Jahre 1923 starben in Preußen an Lungen⸗ und Kehlkopftuberkulose 50 600 Personen; das sind 18,11 auf 10000 Lebende; im Jahre 1924 89 597 Personen; das sind 10,5 auf 10 000 Lebende und im Jahre 1926 nur noch 27 807 Personen; das sind 7, auf 10 000 Lebende, also nicht ein⸗ mal die Hälfte von dem, was im Jahre 1923 war. Wenn wir somit auch eine erfreuliche Abnahme der Sterblichkeit an Tuber kulose feststellen können, so müssen wir doch andererseits hervor= heben, daß die Erkrankungsziffer an Tuberkulose bisher nicht zurückgegangen, sondern anscheinend noch immer mehr in weiterer Zunahme begriffen ist. (Hört, hört!) Diese bedauerliche Tat- sache, die insbesondere auch auf die noch immer herrschende Wohnungsnot (hört, hört! bei den Kommunisten) und die da— durch bedingte erleichterte Verbreitung von Tuberkulose⸗ ansteckungen zurückzuführen ist, bildet einen ernsten Hinweis darauf, daß wir die Zeiten der schweren gesundheitlichen Nöte mit allen ihren bedauerlichen Folgen für unsere Volksgesundheit noch lange nicht überwunden haben. (Zurufe bei den Kommu— nisten, — Wenn Sie uns helfen, die Wohnungsnot zu beseitigen, dann werden wir uns hierüber schon verständigen. Bisher haben Sie uns aber leider sehr wenig geholfen. (Zuruf bei den Kom⸗ munisten: Und die Konzerne Tietz und Wertheim?! — Für die habe ich noch nie Wohnungen gebaut; die mögen Sie gebaut haben.
Auf Grund des Tuberkulosegesetzes wurden im Jahre 1924 53 930 Erkrankungen an Lungen- und Kehlkopftuberkulose und im Jahre 1925 56 581 solcher Fälle gemeldet. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Zunahme der Tuberkuloseerkrankungen im Jahre 1925 nur auf die größere Genauigkeit der Meldungen, die naturgemäß erst allmählich nach dem Inkrafttreten des Tuber kulosegesetzes zu erwarten ist oder auf eine tatsächliche zahlen⸗ mäßige Zunahme der Krankheitsziffern an Tuberkulose zurück- zuführen ist. Die im vergangenen Haushaltsjahre vom Landtag beschlossene Gründung von Arbeitsgemeinschaften zur Tuberkulosebekämpfung in den preußischen Pro⸗ bingen ist von mir inzwischen in die Wege geleitet worden und bereits in den Probinzen Ostpreußen, Hannover, Hessen⸗Nassau und Rheinprovinz zum Abschluß gekommen. ach den vor⸗— liegenden Berichten ist die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften in den übrigen Provinzen in kurzem zu erwarten. Da das Ge⸗ setz zur Bekämpfung der Tuberkulose bom 4. August 1923 hin⸗ sichtlich seiner praktischen Handhabung mancherlei Mängel hat erkennen lassen, sind zurzeit Vorarbeiten zu einer entsprechenden Ergänzung dieses Gesetzes im Gange.
Auch auf dem Gebiete der Schulhygiene sind weitere Fortschritte zu verzeichnen. Mit Ablauf des Jahres 1921 waren bei rund 388 Millionen Einwohnern Preußens die Kinder von rund 24 Millionen Einwohnern Ende 1926 bereits die Kinder von rund 31 Millionen Einwohnern schulärztlich versorgt, so daß jetzt nur noch die Schulkinder von 7 bis 9 Millionen Einwohnern der schulärztlichen Fürsorge entbehren. Dieses Ergebnis ist lediglich durch Verwaltungsmaßnahmen, und zwar besonders dadurch er⸗ reicht worden, daß der Staat solchen Kreisen, die diese Für⸗ sorge einführen wollten, unter gewissen Bedingungen drei Jahre hindurch Beihilfen aus den schulärztlichen Fonds, die im Ministe⸗ rium bestehen, gewährte. Es besteht die Hoffnung, daß der Rest der Bevölkerung auf diese Weise in einigen Jahren schulärztlich vbersorgt sein wird. Deshalb habe ich bon der Vorlage eines vom Landtage gewünschten Schularztgesetzes absehen und zu⸗ nächst die weitere Entwicklung der Dinge abwarten zu sollen ge⸗ glaubt. Ein Schularztgesetz würde die freiwillige Mitarbeit der Kreise und Gemeinden in einen sicher nicht gern gesehenen Zwang ver⸗ wandeln und den Staat pekuniär erheblich, nämlich mit rund ? Millionen jährlich, dauernd belasten. Die Verhandlungen mit den in Betracht kommenden Ressorts haben ergeben, daß auch ihnen der Erlaß eines Schularztgesetzes bei der jetzigen Lage aus den angegebenen Gründen unzweckmäßig erscheint. Auch die in Betracht kommende kommunale Organisation, der Landkreistag, hat sich gegen ein Schularztgesetz ausgesprochen.
Schwierig waren im vergangenen Jahre auch die Verhältnisse auf dem Gebiet des Hebammenwesen s. Sehr richtig Das Preußische Hebammengesetz ist, wie Ihnen bekannt ist, durch die Entscheidung des Oberverwaltungs⸗ gerichts vom J. Januar 1925 namentlich insoweit für ungültig erklärt worden, als es Vorschriften über die Erteilung und die Zurücknahme von Niederlassungsgenehmigungen enthält. Das Oberverwaltungsgericht ist bei dieser Entscheidung von der Rechts⸗ auffassung abgewichen, die es in zwei früheren Urteilen bekundet hat, und die auch bisher vom Preußischen Justizministerium immer vertreten worden sind. Auf diese bisherigen Urteile und auf die Ansicht, die in dem größten Kommentar zur Reich ogewerbeordnung, nämlich in dem Kommentar von Landmann vertreten wird, stützte sich die im Hebammengesetz getroffene Regelung, die im übrigen auch den in einer Reihe anderer Länder gültigen, zum Teil seit Jahrzehnten bestehenden Vorschristen entspricht.