1927 / 20 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 25 Jan 1927 18:00:01 GMT) scan diff

In dem Folle B können der Niederleger oder seine Rechts⸗ nachfolger über die Depots nur mit schriftlicher Zustimmung des Sperrberechtigten oder seiner Rechtsnachfolger, dagegen über fällige Erträge ohne weiteres verfügen ö

In beiden Fällen werden au , d. Erlöse von Bezugsrechten, Ueberschüsse bei Ersatzankaufen 8 d Papiere und Liquidationsraten wie die Depots selbst

ehandelt.

15 Der Niederleger kann erklären, daß nach seinem Tode ein namentlich bezeichneter Dritter berechtigt sein soll, die Ver= tragsleistungen zu fordern. In diesem Falle erwirbt der Dritte mit dem Tode des Niederlegers unmittelbar das Recht, die der Reichsbank obliegenden Vertragsleistungen J fordern. Der Dritte muß jedoch Leistungen, die die Reichsbank vor der Bor⸗ legung einer standesamtlichen Bescheinigung über den Tod des Niederlegers auf dessen Verfügung bewirkt hal hen Ist der Dritte schon vor dem Niederleger gestorben, so . t der Anspruch aus dem Depotvertrage den Erben des Nieder⸗ egers zu.

16. Soll ein Dritter berechtigt sein, die Kapitalerträge ab⸗ zuheben und darüber rechtsgültig zu quittieren, so ist dies in einer von dem Dritten mitvollzogenen, bei dem Kontor nieder⸗ zulegenden Erklärung nach bestimmtem Muster auszusprechen. Desgleichen bedarf es der Niederlegung einer besonderen Voll⸗ macht nach bestimmtem Muster, 6 ein Dritter, sei es auch ein Prokurist oder Generalbevoll mächtigter, befugt sein soll, für den Niederleger Erklärungen rechtsgültig abzugeben und über die Depots und Zinsen usw. zu verfügen und zu quittieren.

17. Die Reichsbank kann jederzeit ohne Angabe von Gründen die Rücknahme von Depots verlangen und, wenn diese binnen 14 Tagen nach Absendung einer schriftlichen Aufforderung nicht erfolgt, die Papiere auf Gefahr und Kosten des Niederlegers diesem 1 oder bei der öffentlichen Hinterlegungsstelle hinter⸗ legen oder auch lediglich die ihr nach diesen Bedingungen obliegende Verwaltung der Depots, insbesondere die Einziehung und Aus⸗ zahlung der Kapitalerträge, ohne Hinterlegung der Papiere einstellen.

18. Die Reichsbank behält sich vor, die Niederlegungs⸗ bedingungen jederzeit zu ändern. Die Aenderung ist im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger sowie in den anderen zu öffentlichen Bekanntmachungen des Reichsbank⸗ direktoriums bestimmten Blättern bekanntzumachen; sie tritt am Tage nach der Bekanntmachung im Reichsanzeiger in Kraft.

Die bis zum 31. Januar 1927 ausgeslellten Depotscheine haben vom 1. Februar 1927 ab nur noch die Bedeutung einfacher Depotquittungen.

II. Mit Wirkung vom 1. Februar 1927 erhält Nr. 9 der Bedingungen für die Verwahrung von Mündeldepots bei der Reichsbank folgende Fassung:

„An Gebühren sind zu entrichten:

1. eine einmalige Gebühr von 1 Reichsmark für die Aus⸗

fertigung eines Mündeldepoibuchs,

2. eine jährliche Verwahrungsgebühr, die sich nach den

Gattungen der jedesmal gleichzeitig eingelieferten oder der zu Anfang jedes neuen Hinterlegungsjahrs (s. Nr. 10) vorhandenen Papiere richtet. Sie beträgt

a) bei allen inländischen, auf Papiermark lautenden Wert⸗ e. einschließlich derjenigen, aus denen Schuldner

n den abgetretenen Gebieten verpflichtet sind, für je angefangene 40 000 Mark des Gesamtnenn⸗ , b) bei allen inländischen, auf Reichsmark lautenden sowie bei allen ausländiichen Wertpapieren.

Der weitere Wortlaut bleibt unverändert.

Berlin, den 25. Januar 1927.

Reichsbank ⸗Direktsrinm. Dreyse. v. Grim m.

Bekanntmachung.

Die von heute ab zur Ausgabe gelangende Num mer 4 des Reichsgesetzblatts Teil 1 enthält:

die Verordnung über Rechtsmittelfosten auf Grund des Reicha⸗ bewertungtgesetzes für den ersten Hauptteststellnnaszeitraum (Be—= wertungefostenverordnung 1925/26), vom 17. Januar 1927;

die Verordnung über die Zerlegung der für den ersten Haupt⸗ seststellungszeitraum feftgestellten Einbeitswerte auf die Länder and Gemeinden (Zerlegung verordnung 1925/26), vom 17. Januar 1927.

Umfang 3/, Bogen. Verkaufspreis 15 Rpf.

Berlin, den 25. Januar 1927. Gesetzlammlungsamt. Dr. Kaisenberg.

Preußen. Ministerium des Innern.

Das Preußische Staatsministerium hat mittels Erlasses vom VN. Dezember 1926 verliehen: Die Rettungsmedaille am Bande a: Karl Feucht, Kaufmann, Frankfurt a. M., Georg Klein, Unteroffizier der 2. reit. Batterie 6. Pr. Artl⸗ Regts. in Verden (Aller), Hans Schreiber, Bademeister, Hersfeld. Die Erinnerungsmedaille für Rettung aus Gefahr an: Johann Löw, Katastersekretär. Recklinghausen, Erich Lenthe, Postinspektor, Wesermünde⸗Geestemünde, Nichard Wehrh eim, Polizeiunterwachtmeister, Berlin, Erich Wreschnik, Schlosser, Breslau.

Ministerium für Landwirtschaft, Do mänen und Forsten.

Die Oberförsterstelle Chorin im Regierungsbezirk Potsdam ist zum 1. April 1927 zu besetzen. Bewerbungen müssen bis zum 18. Februar 1927 eingehen.

Nichtamtliches. Deutsches Reich. Der Reichsrat hält Donnerstag, den N. Januar 1927,

8 Uhr nachmittags, im Reichstagsgebäude eine Vollsitzung.

Dentscher Reichstag. BS. Sitzung vom 24. Januar 1927, nachmitiags 4 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbũros des Vereint deutscher Zeimngtsverleger)

Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 4 Uhr.

Die zweite Lesung des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechts krankheiten wird fortgesetzt, und zwar bei den 88 2 bis 6, die u. a. bestimmen, daß der an einer Geschlechts krankheit Leidende sich von einem approbierten

gegen sich gelten

Arzt untersuchen und erforderlichenfalls so lange behandeln lassen muß, wie eine Ansteckungsgefahr besteht. Minder⸗ bemittelte sollen auf Kosten der Länder unentgeltlich be⸗ handelt werden. Wer andere Personen fahrlässig ansteckt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Die Ver⸗ folgung tritt nur auf Antrag ein.

Abg. Rädel (Komm) nennt die Vorlage ein kapitalistisches Kasten⸗ und Sieg er et, Er fordert unentgeltliche Abgabe der Mittel zur Verhütung der d ,. an die Be⸗ völkerung, völlige Unentgekltlichkeit der Behandlung und un⸗ beschränkie Zulassung der Naturheilkundigen zur Behandlung der Geschlechtskrankheiten.

Abg. Dr. Marie Lüders (Dem) tritt *. die unentgeltliche Behand 6 mittellos gewordenen Mittelstandes ein, will sich aber mit Annahme der Ausschußentschließung über diesen Gegenstand begnügen, weil sonst der Einspruch des Reichsrats gegen das Gesetz drohe.

Abg. v. Ramin (Völk) protestiert dagegen, daß der Kranke um willenlosen Objekt des Arztes gemacht werden soll, und

eantragt namentliche Abstimmung über den Kurpfuscherei⸗ Paragraphen. Der Redner hält ferner die kostenlose rr dre. für eine unausweichliche Konsequenz des Behandlungszwanges.

Abg Dr. Anng Stegmann (Soz) weist darau n 8 es auch unter den Laien, die ö Geschlechts krankheiten behandeln, Leute mit Insti und Erfahrung gebe, die mehr Erfolge aufzuweisen hätten als mancher Arzt. Man könne für Nichtärzte einen Befähigungsnachweis fordern, man könne ihre Ausbildung fördern, aber an der Ausübung der Heilkunst könne man sie nicht hindern. Die Schulmedizin befinde sich in einer Krisis, sie könne den Menschen gar nicht mehr im lebendigen Zusammenhang sehen. Sie habe also wichtigere Aufgaben als die n, . des Kurpfuschertums.

Abg. Banyersdörfer Bayr. Volksp) erkennt die Verdienste mancher Laien zum Beispiel durch den Hinweis auf die Heilkraft von Luft und Wasser an. Hier handele es sich aber darum, den Geschlechtskranken praktisch zu helfen. Und das sei nur möglich mit den Methoden der alten Schulmedizin, nicht aber mit denen der Naturheilkunde.

ö Dr. Hilferding (Soz) hält gleichfalls das ganze Gesetz für unwirksam, wenn man von der Regierungsvorlage beim Kurpfuscherei⸗Paragraphen abweiche. )

Damit schließt die Aussprache. Unter Ablehnung sämt⸗ licher Abänderungsanträge bleiben rn ö. 2 (Behandlungszwang für ansteckende Geschlechtskranke) und §z 3, der die Durchführung den Landesbehörden überträgt.

Zu §5 4 wird ein Antrag Bickes (D. Vp) an⸗ genommen, der anonyme und nicht genügend begründete Anzeigen über Geschlechtskrankheiten anderer nicht berück⸗ sichtigen will. Mit dieser Aenderung wird § 4 selbst an⸗ genommen, der die Möglichkeit zwangsweiser Behandlung von Geschlechtskrankheiten gibt.

Unverändert bleiben 8 5 (Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren für den Geschlechtskranken, der den Beischlaf ausübt) und § 6 (dieselbe Strafe für die Eingehung der Ehe).

5§5 7 (Gurpfuschereiparagraph) enthält das Behandlungs⸗ monopol der Aerzte. Der Ausschuß beantragt, dieses Monopol auf „ansteckende“ Geschlechtskrankheiten zu beschränken. Auf Antrag Bayersdörfer (Bayer. Vp) wird diese Be⸗ schränkung gegen die Stimmen der meisten Sozialdemokraten, der Kommunisten und Völkischen wieder gestrichen. Gegen dieselbe Minderheit wird der Kurpfuschereiparagraph selbst in der Faffung der Regierungsvorlage angenommen.

In der Einzelberatung über die 8 bis 12 weist

Abg. Lim bertz (Soz) nochmals auf die Erfolge der Natur⸗ ,, in. Auch die Geschlechtskrankheiten kännten damit

eitigt werden. Der Redner beantragt, wenigstens Vorträge, aufllärende Schriften usw. zuznlassen.

Dieser Antrag wird angenommen. die 88 8 bis 12 unverändert.

Bei der Beratung des Restes des Gesetzes beantragt

Abg. Dr. Anna Stegmann (Soz.), Eltern nicht schon dann mit Geldstrafe zu belegen, wenn sie ihr Kind 3 lassen durch eine Amme ohne Zeugnis darüber, daß „gesundheitliche Be⸗ denken gegen das Stillen nicht vorliegen“, sondern nur, wenn ein

eugnis darüber fehlt, daß weder an dem Kinde noch an dessen Muñter eine Geschlechtskrankheit nachweisbar ist“.

Abg. Martha Arendsee (Komm) beantragt, daß bestraft werde, wer nicht der Amme ein ärztli Zeugnis darüber vor⸗ . „daß gesundheitliche Bedenken gegen das Stillen nicht vor⸗ iegen“.

Abg. Dr. Bayersdörfer (Bayer. 2 . die Straf⸗ bestimmung der Vorlage dadurch abschwächen, daß er das Fehlen des Zeugnisses in Notfällen straffrei lassen will.

Die Anträge Stegmann und Arendsee werden abgelehnt, der Ant rag Bayersdörfer wird angenommen. Im übrigen bleiben unverändert 5 13 (Gefängnis bis zu einem Jahr und Geldftrafe für geschlechtskranke Ammen, Eltern geschlechtskranker Säuglinge, die durch Ammen gestillt werden usw.), der vom Ausschuß eingefügte 5 13a (Aufhebung der Kasernierung), 3 14 (Zeugniszwang für Ammen und durch Ammen zu stillende Kinder), S i5 (Milderung der Be⸗— stimmungen des Strafgesetzbuchs über Kuppelei usw.), § 16 (Durchführung des Gesetzes durch die Länder) und 8 17 (Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Oktober 1927).

Damit ist die zweite Lesung des Gesetzes erledigt.

Das Haus vertagt sich auf Dienstag 3 Uhr: Vorlagen.

Schluß 6* Uhr.

Im übrigen bleiben

Kleine

Preuß ijcher Landtag. 242. Sitzung vom 24. Januar 1927, mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)

Die zweite Beratung des Wohlfahrtsetats wird mit der weiteren allgemeinen Aussprache zum Abschnitt „Allgemeine VoltsWwohlfahrt“ fortgesetzt.

Abg. Steinhoff (D. Nat.) bezeichnet als Ziel der Volks- wohl ahrt die 3 vung der een , körperlichen und wirt⸗ schaftlichen Gesundung des Volkes. Namentlich von der letzteren seien wir, wie die großen Arbeitslosenmafsen zeigten, noch weit entfernt. Der Exnst der Lage ergebe sich daraus, daß z. B. die Stadt Berlin 45 Prozent ihrez ganzen Etats nur für Wohlfahrts⸗ . verwende,. Die Deutschnatlonalen würden unter keinen

mständen damit einverstanden sein, daß von den Wohlfahrts⸗ bewilligungen der in letzter Zeit etatüblich gewordene zehn⸗ rozen Abzug gemacht würde. Vor allem setzt sich der Redner afür ein, daß die Kleinrentnerfürsorge reichsgesetzlich geregelt wird, je daß die Kleinrentner einen Rechtsanspruch auf eine Mindestgrenze erhalten. Vor allem müßten die elenden Haus⸗ ratverpfändungen aufhören. (Sehr wahr! Der Redner begründet weiter einen deutschnationglen Antrag zugunsten der Zivilblinden, die vor allem in den Blinde nwerkstätten ausreichend entlohnt werden müßten, und verweist auf die große Zahl der Obdach⸗ losen, denen großzügig entgegenzukommen sei. Wenn etwa weiterhin „wilde“ Hausbesitzer in Profitjägermanier die Frei⸗ lassung der gewerblichen Räume aus der Zwangswirtschaft miß⸗ brauchlen, müßten fie fich die Folgen selbst zuschreiben. (Sehr

wahr! rechts) Den Kriegsopfern müßte hn viel wie irgend meglich Fuürsorge zuteil werden. Zur Ertüchtigung und ehr⸗

ftigteit der Jugend müsse der Staat immer Mittel haben Deshalb sollten die von den Deutschnationalen für Leibesübungen verlangten drei Millionen Mark bewilligt und der Landtags. ausschuß für Leibesübungen 8 eingesetzt werden, damit der bisherige Zustand aufhöre, daß z. B. in Berlin auf jeden achten ö ein Kinoplatz, 94 jeden 781. aber erst ein Platz für ein Schwimmbad komme. Sehr wahr! bei den Deutschnationaͤlen; Zu fordern sei bessere rn, , und Förderung der be= währten . Fürsorge. ie gegen das überparteilich und überkonfessionell organisierte Rote Kreuz erhobenen Angriffe eien als unbegründet zurückzuweisen. Die Einzelwohlfahrts—= ürsorge müsse auf die Alten und Kranken und auf die Jugend

schränkt werden. Im übrigen müsse das wr, . ungs. . ausgebaut und die Wirtschaft von den allzu starken

teuerfesseln befreit werden. Die , soziale Arbeit müsse den sozialen Staat bringen. (Beifall rechts.)

Abg. Elisabeth Kirsch mann S betont, agitatorisch wirksamen Rede des Abg. Steinhoff könne man doch nicht glaubhaft machen, daß die Rechte tatsä 3 über ein so warmes 21. verfüge. Das zeige sich daran, daß alljährlich gerade beim Wohlfahrtsetat am meisten gespart . werde. Neidloz müsse man vr n, daß in der privaten Wohlfahrtspflege die innere Mission und die Charitas voranstehen. Das . sich aus der jahrzehntelangen Unterdrückung der Arbeiterschaft. Inzwischen sei aber trotz der Verelendung der breiten allen der Wille zur. Selbsthilfe bei ihnen machtvoll erwacht. Der Wohlfahrtsminister müsse, wie dies vor ihm schon Minister Stegerwald anerkannt habe, auch die Arbeiterwohlfahrtsfürsorge berücksichtigen und fördern, in der bereits jetzt mehr als 46 Helfer und Helferinnen ehrenamtlich tätig seien. Minister Stegerwald habe auch versprochen, die Ausbildung der minder⸗ bemittelten Arbeitervertreter zu Wohlfahrtshelfern, Fürsorgern und Fürsorgerinnen zu förden. Die bisher ausgesetzten geringen Stipendien genügten aber auf die Dauer keineswegs: 53 recht⸗ fertigten neben den sonst gemachten Schwierigkeiten das Miß. trauen der Gewerkschaften, daß man die Arbeiter wieder einmal von einem wichtigen Zweig des öffentlichen Lebens künstlich ausschließen wolle. (Sehr wahr! bei den Sozialisten) Das fei. sich auch darin, daß nur sehr geringe Beträge vom Wohl ahrtsministerium zin haben seien, die als Zuschuß für die Erhaltung der Arbeiterjugendheime usw. gebraucht würden.

Minister Volkswohlfahrt Hirtsiefer: Haushaltsabfchnitt „Allgemeine Volkswohlfahrt“ habe hohen Hause noch folgende Ausführungen zu machen.

Die Armut unseres Volkes, die Sorge der breiten Volts— schichten um ihr tägliches Brot sollen unter diesem Haushalts. abschnitt ihren Fürsorger finden. Leider sind wir noch weit davon entfernt, allen Hilfsbedürftigen restlos Hilfe bringen zu können. Doch müssen wir, wenn wir den Blick nach rückwärts richten. immerhin feststellen, daß die Bestrebungen von Reich, Land und Kommunen, die soziale Not durch tatkräftige gemeinsame Maß— nahmen anhaltend zu lindern, die natürliche Volkskraft zu heben, doch nicht ganz ohne Erfolg geblieben find. Will man einen Maßstab anlegen an den Fortschritt der Fürsorgebestrebungen, dann darf man nicht übersehen, daß wir die unmittelbaren Lasten eines unglücklichen Krieges zu tragen und die mittelbaren wirtschaftlichen Folgen dieses Weltdramas zu überwinden haben. Das sind Nachteile, die auf lange Zeit hinaus die Beseitigung der entstandenen Schäden sehr erschweren und auf die Entwick⸗ lung unserer dringendsten Wohlfahrtspflege hemmend einwirken müssen. Ich kann mit besonderem Dank an das hohe Haus fest⸗ stellen, daß das Interesse des Landtags an der Ausgestaltung der Wohlfahrtspflege in stetem Wachsen begriffen ist, und wenn in diesem Jahre bei den Beratungen im Hauptausschuß verschiedene Abgeordnete mit großem Ernste immer wieder die Frage auf⸗

Zu dem ich dem

geworfen haben, wie es ermöglicht werden könnte, für die Linde⸗

rung der Volksnot weitere Mittel frei zu machen, so muß ich dieses Bestreben, mich in meinen Aufgaben zu unterstützen, leb⸗ haft begrüßen.

Im einzelnen möchte ich noch folgendes bemerken. Beiden .

öffentlichen und privaten Wohlfahrtseinrich⸗ tungen machte sich die Not der Zeit ganz besonders bemerkbar. Einmal ist ihre Inanspruchnahme durch die Bedürftigen sehr ge⸗ stiegen, andererseits haben fast alle diese Anstalten usw. durch die Inflation ihr Vermögen verloren, so daß es mir als eine Art Pflicht auch des Staates erscheint, einigermaßen zum Ersatz dieses Verlustes beizutragen. In der Durchführung der öffentlichen Fürsorge, insbesondere derjenigen für Klein- und Sozial⸗ rentner bin ich ständig bemüht, durch Einwirkungen auf dis Fürsorgeverbände deren Leistungen zu erhöhen. Die Bestre⸗ bungen der Kleinrentner, aus der Fürsorge herauszukommen und in den Genuß von Renten, die sich auf Rechtsansprüche gründen, zu gelangen, sind mir durchaus verständlich. Aus Anlaß des vom Rentnerbunde im Herbst 19235 vorgelegten Entwurfs eines Rentnerversorgungsgesetzes hat die Reichsregierung Erhebungen angestellt. Diese Erhebungen haben aber ergeben, daß die Kosten die Durchführung eines Gesetzes im Sinne des Entwurfs aus⸗ schließen. Eine Abgrenzung des Personenkreises, die die Mehr⸗ kosten einer Neuregelung tragbar erscheinen läßt, ist bisher nicht gefunden worden. Im Benehmen mit der Reichsregierung würdige ich diese die Rentner bewegende Frage mit vollem Ernst

und hoffe, daß die Beschaffung weiterer Unterlagen bald eine

Entscheidung darüber ermöglicht, ob die finanzielle Auswirkung überhaupt eine dem Wunsche der Reniner entsprechende Rege⸗ lung zuläßt.

Die staatlichen Erziehungsheime find im letzten Stadium ihrer Auflösung angelangt. Der Abschluß der Verträge steht bevor. Die anderweitige Unterbringung der Lehrer und Lehrerinnen ist sichergestellt; wegen der Verwendung des übrigen Personals schweben Verhandlungen. Ich muß nochmals bemerken,

daß mir der Entschluß, die staatlichen Erziehungsheime aufzulösen,

nicht leicht geworden ist, muß aber nochmals wiederholen: ich konnte ihre weitere Fortführung nur dann verantworten, wenn mir durch die Bereitstellung der entsprechenden Mittel die Möglichkeit geschaffen worden wäre, sie zu Musteranstalten auszubauen. Der Staat kann unmöglich ein Interesse daran haben, irgendwelche Durchschnittsanstalten zu haben; auf jeden Fall konnte ich mich dafür nicht einsetzen. Die nötigen Mittel sind mir verweigert worden.

Für die Unterbringung gesundheitlich gejähr⸗ deter und unterernährter Kinder auf dem Lande oder in Kinderheimen standen mir im laufenden Rechnungsjahre dank der Staatsspende aus Anlaß der Befreiung der Kölner Zone etwas reichlichere Mittel zur Verfügung, die, soweit die Staatsspende in Frage kommt, für die erholungsbedürftigen Kinder der noch be— setzten Gebietsteile Verwendung gefunden haben. (Bravol) Ferner habe ich meine Fürsorge in erster Linie den Kindern der durch die

trotz der

Gren ziehung gefährdeten Gebiete zuteil werden lassen. Nach diesen

Richtlinien wird, soweit es die mir für Kindererholungsfürsorge zur Verfügung stehenden, leider nur geringen Mittel zulassen, auch im kommenden Rechnungsjahr verfahren werden.

Für die Kindererholungs⸗Heilfürsorge find vom Hauptaus⸗ schuß mehr Mittel eingesetzt worden. Wenn auch, wie ich bereits in meinen Ausführungen zu Abteilung 1 gesagt habe, die Tuberkulose⸗ sterblichkeit heruntergegangen ist, so haben leider die Tubertulose⸗ erkrankungen zugenommen. Auch im übrigen machen sich die Folgen der Kriegszeit bei unserer Jugend stark bemerkbar, so daß es dringend erwünscht ist, ihr eine Erholung, sei es auf dem Lande, sei es in Erholungs- und Gene sungsheimen oder in Heilstätten zu ermöglichen.

Die von Jahr zu Jahr um viele Millionen steigenden Aus⸗ gaben für die Durchführung der Fürsorgeerziehung, von der der Staat zwei Drittel zu tragen hat im Jahre 1924 waren in den Staatshaushalt 8 Millionen Reichsmark eingesetzt, während für 1927 schon 23 Millionen Reichsmark angesetzt find —, erfordern gebieterisch, in ernste Beratungen darüber einzutreten, wie etwa durch organisatorische Aenderungen oder auf andere Weise einem weiteren Steigen der Kosten Einhalt geboten und alsdann eine Verringerung der Ausgaben erreicht werden kann. Sie wissen, daß ich da grundsätzlich auf dem Standpunkt stehe, daß unsere vor⸗ beugenden Maßnahmen in viel stärkerem Maße ausgebaut werden müssen, und daß insbesondere ja auch die Hebung der Wohnungs⸗ frage uns auf diesem Gebiete in erster Linie weiterbringt. Vor Eintritt in diese notwendige Beratung ist in Aussicht genommen, daß sich zunächst eine aus Vertretern des Finanzministeriums, der Oberrechnungskammer und des Ministeriums für Volkswohlfahrt bestehende Kommission durch Einsichtnahme in die Rechnungs⸗ unterlagen und durch Besichtigungen verschiedener an der Durch⸗ führung der Fürsorgeerziehung beteiligter Arbeitsstellen die noch erforderlichen Informationen einholt. Die nötigen Vor⸗ besprechungen haben bereits stattgefunden, das Erforderliche ist in die Wege geleitet.

Die Statistik über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger ist in Vorbereitung; sie soll für die Rechnungsjahre 1824 und 1925 gemeinsam in einem Heft veröffentlicht werden. Es muß schon jetzt leider mitgeteilt werden, daß die Zahl der Zöglinge noch immer im Wachsen begriffen ist.

Im Etatsjahre 1926 habe ich mich bemüht, die weilere Du rch⸗ führung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt nach Möglichkeit zu fördern. In Ausführung meines Erlasses vom 1. August 1925 haben die Regierungspräsidenten in Gemeinschaft mit den Landesjugendämtern und den örtlichen Jugendämtern einen großen Teil der Anstalten, die Pflegekinder aufnehmen, besichtigt. Ich habe versucht, diese Tätigkeit im Rahmen der mir zur Ver⸗ fügung stehenden Mittel durch Zuwendung von Beihilfen, ins⸗ besondere für die Ausgestaltung und Verbesserung von Kleinkinderschulen und Kindergärten, auch als vorbeugende Maßnahme zu unterstützen. In einigen Bezirken sind auf diesem Gebiete erfreuliche Fortschritte zu verzeichnen.

Die von den städtischen Jugendämtern seit langem gewünschte Verordnung über die Ermächtigung von Beamten und Mitgliedern der Jugendämter zur Vornahme von Beurkundungen gemäß § 43 des Reichs⸗ gesetzes für Jugendwohlfahrt ist am 1. Januar dieses Jahres erschienen, zugleich mit dem Gesetz über die Aufnahme vollstreckbarer Verpflichtungserklärungen von Vätern unehelicher Kinder. Damit ist auch auf diesem Gebiete der weiteren Entwicklung Raum gegeben und die vom Reichs⸗ jucendwohlfahrtsgesetz beabsichtigten praktischen Erleichterungen für die Tätigkeit der Amtsvormünder geschaffen worden.

Die Gefährdetenfürsorge ist auch nach Möglichkeit von mir weiter gefördert worden. Das Zusammenwirken von Staat, Selbstverwaltung und freier Wohlfahrtspflege als den Trägern dieser Arbeit hat sich gut entwickelt. Für die staatliche Tätigkeit sind im Etat 1927 im Hinblick auf die ständig wachsenden Auf⸗ gaben drei weitere Stellen von Polizeifürsorgerinnen eingesetzt und der Dispositionsfonds von 60 009 auf 90 000 „1 erhöht worden.

Selbstverständlich kann mit einer so bescheidenen Summe die Unter stützung der kommunalen und privaten Tätigkeit auf diesem Gebiete auch nur bescheiden sein.

Daneben ist die Einrichtung von Schutzheimen und Vorasylen kommunalen und privaten gefördert worden. Das kommende Gesetz zur Bekämpfung der Ge⸗ schlechts krankheiten und der Ausbau der weib lichen Polizei wird der Gefährdetenfürsorge vermehrte Auf⸗ gaben bringen. Ich hoffe, daß Gemeinden und freie Wohlfahrts⸗ pflegeeinrichtungen wie bisher dieser Arbeit ihr besonderes Interesse zuwenden, einer Arbeit, deren Auswirkung ebenso wie auf dem ge⸗ samten Gebiete der Jugendwohlfahrtspflege in der rechtzeitig ein⸗ setzenden vorbeugenden Fürsorge liegt.

Die Wohlfahrtsschulen sollen im folgenden Jahre immer stärker ausgebaut werden. Zurzeit wird ein Gesamtlehwlan aufgestellt, der alle Fragen der theoretischen und praktischen Aus⸗ bildung mit Rücksicht auf die besonderen Forderungen der Zeit neu beleuchten soll. Ich habe ferner in Aussicht genommen, der praktischen Ausbildung meine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und auch das Probejahr nach bestimmten Gesichtspunkten zu regeln. Die Ausbildung der Männer für die Aufgaben des sozialen Lebens soll durch besondere Kurse erfolgen, über die ich mir Vorschriften im einzelnen nach bestimmten praktischen Erfahrungen noch vor— behalten muß.

Die Lage der Wohlfahrtspflegerinnen und der Wohlfahrtspfleger wird auch in Zukunft vom Wohlfahrts— ministerium mit besonderer Anteilnahme beobachtet werden. Ich bin davon überzeugt, daß alle Wohlfahrtsgesetze und anderen Vorschriften nur durchgeführt werden können mit Hilfe geeigneter, warmherziger und gut durchgebildeter Wohlfahrtspfleger und Wohlfahrts⸗ pflegerinnen. Auf die Ausführungen der Frau Abgeordneten Kirsch⸗ mann⸗Röhl darf ich mir erlauben, am Schlusse zurückzukommen.

Auf dem Gebiete der Jugendpflege, und zwar sowohl auf dem Gebiete der Leibesübungen wie auch auf dem Gebiete der geistigen und sittlichen Beeinflussung unserer Jugend, wird rastlos weiter ge⸗ arbeitet. Wie bisher habe ich mein besonderes Interesse der Pflege der Leibesübungen zugewandt. In erster Linie habe ich es mir angelegen sein lassen, durch eine große Anzahl von zentralen. Bezirks- und Kreislehrgängen den großen Verbänden füt Leibes übungen tüchtige und geschulte Führer ausbilden zu helfen. (Sehr gut! rechts) Ferner ist es mir auch in diesem Jahr möglich ge—

wesen, trotz der verhältnismäßig geringen Mittel des Jugendpflege⸗ fonds in zahlreichen Fällen Beihilfen für die Schaffung von Turnhallen, Turn⸗ Spiel⸗ und EDortplätzen, Badeanstalten und dergleichen zu gewähren Daß auch die Mittel der produktiven Erwerbslosenfürsorge diesem Zwecke dienstbar gemacht worden sind. erwähne ich in anderem Zusammenhange. Um festzustellen, wo die Hilfe am nötigsten ist, habe ich die statistische Erfassung der Turn⸗, Spiel⸗ und Sportplätze in Preußen eingeleitet (sehr gut), um einmal ein Bild davon zu bekommen, wieweit wir zurzeit schon find. Die wichtige Frage der sportärztlichen Betreuung der Turn⸗ und Sportvereine ist im verflossenen Jahr ebenfalls vor⸗ wärts gebracht worden. Die Schaffung von sportärztlichen Be—⸗ ratungsstellen ist in einzelnen Fällen auch materiell gefördert worden. (Bravo!)

Das mehr und mehr in die Erscheinung tretende Bestreben der Verbände für Leihesübungen, neben der körperlichen Erziehung auch die sittliche Weiterbildung ihrer jugendlichen Mitglieder in die Hand zu nehmen, entspricht durchaus meiner Auffassung, daß Leib und Seele der jungen Menschen möglichst harmonisch aus⸗ gebildet werden müssen. (Bravo! und sehr gut! Demgemäß habe ich auch das Gebiet der geistigen und sittlichen Erziehung der schul⸗ entlassenen Jugend mit den Mitteln und Methoden, die sich als bewährt erwiesen haben, nach Kräften weiter gefördert. Ins⸗ besondere ist dies bei den erwerbslosen Jugendlichen geschehen, für die zurzeit eine ganze Reihe von guten Ansätzen vorhanden ist

Allen den Männern und Frauen, die sich in selbstloser Weise nebenamtlich oder ehrenamtlich der Jugendpflegearbeit widmen, insbesondere den Fugendpflegern und⸗pflegerinnen, möchte ich auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank für ihre Mithilfe aussprechen. (Bravo!)

Der Einfluß des Staates, der selbst keine Jugendpflege treiben kann und will, sondern mit seinen Beihilfen und Vergünsti⸗ gungen die Vereine als die eigentlichen Träger der Jugendpflege nur anregen und fördern kann, findet seine Grenze in den zur Verfügung stehenden Mitteln, und das sind noch nicht ganz vier Millionen Mark bei den so ausgedehnten und vielseitigen Auf⸗ gaben der Jugendpflege. Erstmalig sind in dem Haushalt sür 1926 Mittel zur Gewährung von Darlehen ausgeworfen worden. Der Betrag von 900 000 Reichsmark ist bei der großen Not ver⸗ hältnismäßig klein (sehr wahr! rechts); denn selbst das Mehrfache würde ebenso wie bei den drei Millionen Reichsmark Beihilfe⸗ mitteln nicht ausreichen, um alle dringenden Bedürfnisse zu be⸗ friedigen.

Diese Mittel hat das Ministerium im letzten Jahre über die bereits vorher dezentralisierten um mehr als zwei Drittel hinaus noch weiter dezentralisiert, um eine möglichst gerechte Verteilung über das Land Preußen herbeizuführen. Außerdem habe ich auch den Landesjugendämtern in den einzelnen Provinzen für die sogenannten provinziellen Jugendpflegeaufgaben Jugend⸗ herbergswesen, Lichtbildstellen, Büchereiwesen, bestimmte Lehr⸗ gänge erhöhte Mittel zugewiesen, die also nicht über die Regierungspräsidenten gegangen sind, sondern die den provinziellen Jugendämtern zur Verfügung gestellt worden sind.

Auf dem Gebiete der Fahrpreisermäßigung bei Benutzung der Eisenbahn hat die Reichsbahnverwaltung für die Jugendpflege in dankenswerter Weise wieder zugestanden, daß bei Benutzung der dritten und vierten Klasse statt zwei Drittel des nor⸗ malen Fahrpreises nur die Hälfte gezahlt zu werden braucht. Durch die Einführung besonderer Führerausweise ist dabei eine gewisse Erschwerung eingetreten, auf die die Reichsbahnverwaltung bei der wesentlichen Herabsetzung des Fahrpreises aber nicht verzichten zu können geglaubt hat.

Für die Zukunft muß die Schaffung besonderer haupt⸗ amtlicher Stellen für die Bezirks jugendpfleger und besonders zu gendpflegerinnen erreicht werden. Der Landtag steht erfreulicherweise auf dem gleichen Standpunkte. Er hat sich wiederholt mit dieser Frage beschäftigt und hat zuletzt am 9g. November 1926 das Staatsministerium ersucht, die an den Regierungen der besonders gefährdeten Gebiete seit langen Jahren tätigen Bezirksjugendpfleger bzw. Bezirksjugendpflegerinnen wenn möglich in freiwerdenden planmäßigen Stellen unter⸗ zubringen. (Sehr gut) Wenn das auch nur eine Teillösung ist, so würde ich es doch als Anfang einer Regelung dieser so wichtigen Frage lebhaft begrüßen. .

Die Bedeutung der weiblichen Jugendpflege ist wchen der besonderen Verhältnisse der Zeit immer mehr ge— stiegen. Da wir die obligatorische Fortbildungsschule noch nicht besitzen, wird die Einrichtung von Kursen jeder Art, die das junge

Lädchen auf ihren späteren Hausfrauen⸗ und Mutterberuf vor— bereiten, von meinem Ministerium gern unterstützt. Auch die geistige Durchbildung der Frau nimmt mit Rücksicht auf die An⸗ forderungen der verschiedenen Berufe an Bedeutung zu. Ich werde ferner auch in Zukunft bemüht sein, alle Bestrebungen, die darauf hinausgehen, das junge Mädchen körperlich zu er⸗ tüchtigen, wirksam und mit Nachdruck zu fördern. Wir haben es ja in der weiblichen Jugendpflege und Jugendbewegung nicht mehr nur mit kleinen Gruppen zu tun, sondern mit der großen Masse von Frauen, für die der Berufs⸗ und Jugendverein von besonderer Bedeutung wird, weil die Hilfe der Familie nicht mehr ausreicht. J

Der Arbeitsmarkt hat im vergangenen Jahre ein überaus ungünstiges Bild gezeigt. Schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1925 begann das Steigen der Zahl der unterstützten Erwerbslosen. Am 1. Januar 1926 waren in Preußen rund 906 009 Hauptunterstützungsempfänger vorhanden. Die Zahl stieg dann rasch, am 15. Januar auf rund 103000, am 1. Februar auf 1222 000, am 15. Februar auf 1 246 000 und am 1. März auf 1 249 000 Hauptunterstützungsempfänger. Damit war der Höhepunkt erreicht. Der 15. März 1926 zeigte nur noch 1225000 Erwerbslose, am 15. April waren es 1156000. Bis zum 15. Juli blieb die Zahl ungefähr gleich. Dann machte sich, offenbar besonders von der Landwirtschaft her, ein weiterer Arbeiterbedarf geltend, so daß am 15. August 1926 976 0090, am 15. September 898 000, am 15. Ottober 803 000 und am 15. No⸗ vember 789 009 Hauptunterstützungsempfänger in Preußen vor⸗ handen waren. Damit war vorläufig der tiesste Punkt erreicht, denn am 15. Dezember 1925 war die Zahl der unterstützten Er⸗ werbslosen bereits wieder auf rund 880 009 gestiegen. Seitdem hat sich leider ein sehr erhebliches weiteres Ansteigen gezeigt.

Aus dieser Entwicklung scheint, wie ich bereits erwähnte, hervorzugehen, daß die Abnahme der Erwerbslosigkeit im Sommer

haltende hohe

und im Herbst des vorigen Jahres vorwiegend auf den landwirt⸗ schaftlichen Arbeiterbedarf zurückzuführen war. Dies würde sich zweifellos auch ergeben, wenn man in der Lage wäre, die Zahl der aus der Landwirtschaft stammenden Erwerbslosen gesondert fest⸗ zustellen. Ein Anhaltspunkt hierfür gibt immerhin die Tatsache, daß in den vorwiegend industriellen Provinzen des Staates ein Herabsinken der Erwerbslosen⸗ ziffern nicht in dem Umfange zu beachten war wie in den mehr ländlichen, insbesondere in den östlichen Bezirken. Zurzeit ist die Zahl der auf dem Lande wohnenden unterstützten Erwerbslosen wieder außerordentlich hoch. Wenn man annimmt, daß im allgemeinen diejenigen Erwerbslosen, die in Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern unterstützt werden, als städtische und die übrigen als ländliche Erwerbslofe zu beirachten sind, so wohnten am 15. Dezember 1926 von rund S880 009 unterstützten Erwerbslosen fast 250 000 oder fast 30 .. auf dem Lande.

Die von mir genannten Zahlen geben bereits ein Bild von der unsagbaren Not, die die Wirtschaftskrise über unser deutsches Volk gebracht hat. Die Not wird um so schlimmer, je länger die Krise und damit auch die Erwerbslosigkeit des einzelnen dauert. Zwar war erstaunlicherweise die Fluk⸗— mation unter den Erwerbslosen verhältnismäßig sehr stark, aber immerhin wächst nach und nach die Zahl derjenigen Erwerbslosen, die der Höchstdauer der Erwerbslosenunterstützung nahe kommen. Deswegen wurde durch das Reichsgesetz vom 19. Novem⸗ ber 1986 eine Krisenfürsorge für die Erwerbslosen geschaffen, die infolge des Ablaufs der Höchstdauer aus der Er⸗ werbslosenfürsorge ausscheiden müssen. Zurzeit befinden sich etwa 90 000 Erwerbslose in Preußen in der Krisenfürsorge.

Gerade die letzten Wochen haben verschiedene Ver besse⸗— rungen für die Erwerbslosen gebracht. Durch die Weihnachtsbeihilfe, die aus Mitteln des Reiches gezahlt wurde, sollte der Notlage wenigstens in gewissem Umfange ab⸗ geholfen werden. Diese Aktion des Reiches wurde unterstützt durch Weihnachtsgaben der Gemeinden, die diese in sehr zahlreichen Fällen nach Prüfung der Bedürftigkeit des einzelnen Erwerbs- losen gewährten. Damals, um Weihnachten herum, hat ein an⸗ geblicher Erlaß von mir, daß an die Erwerbslosen nicht besonders gezahlt werden dürfe, eine große Rolle gespielt. Das beruht auf einem Irrtum. Ich habe lediglich eine Verordnung des Reichs- arbeitsministeriums vom vorigen Jahre auf Anrufen vom Westen aus gewissermaßen in Erinnerung gebracht, wozu ich unter den obwaltenden Umständen verpflichtet war. Es hatten sich aber nachher die Dinge für die Erwerbslosen doch noch etwas anders gestalten lassen. (Zuruf links: Es gab doch große Schwierigkeiten!) Ich konnte sie aber nicht vermeiden. Ich war verpflichtet, den Weisungen des Reichsarbeitsministers zu folgen und auf die bestehende Verordnung hinzuweisen. Mich hat es jedenfalls am meisten gefreut, daß die Dinge nachher doch noch geändert werden konnten. In der Zeit, als ich angefragt wurde, konnte ich eine andere Auskunft nicht geben.

Diese Attion des Reiches wurde unterstützt durch Weih⸗ nachtsgaben der Gemeinden die diese in sehr zahl reichen Fällen nach Prüfung der Bedürftigkeit des einzelnen Er⸗ werbslosen gewährten. Von besonderer Bedeutung ist ferner die Neuregelung der Bedürftigkeitsprüfung und der Pflichtarbeit, die soeben durch eine mit Zustimmung des Reichsrats erlassene Verordnung des Reichsarbeitsministers erfolgt ist. Die preußischen Behörden werden angewiesen, für die einheitliche Durchführung und verständnisvolle Anwendung der neuen Vorschriften Sorge zu tragen.

Angesichts der unglücklichen Lage des Arbeitsmarktes ge⸗ wannen alle diejenigen Maßnahmen erhöhte Bedeutung, die darauf hinzielen, durch eine Umschulung oder Fort⸗ bildung der Erwerbslosen die Arbeitsaufnahme zu erleichtern. Es ist allerdings außerordentlich schwer, zur⸗= zeit Berufe zu finden, in denen Mangel an Arbeitskräften besteht. Immerhin ist dies doch schon des öfteren der Fall gewesen. Ich brauche nur an den großen Bedarf an Kraftwagenführern in Berlin zu erinnern. Für die Förderung dieser Maßnahmen, die der Zuftimmung der Aunffichtsbehörden bedarf, sind nicht un⸗ erhebliche Mittel aufgewendet worden.

Einen besonderen Zweig dieser Maßnahmen bilden die für jugendliche Erwerbslose bestimmten Einrichtungen. In mehreren Erlassen habe ich den Regierungspräsidenten und Gemeinden die größtmögliche Förderung solcher Einrichtungen ans Herz gelegt und weitestes Entgegenkommen meinerseits zu— gesagt. Trotz der großen Schwierigkeiten, die sich allen derartigen Maßnahmen aus den verschiedensten Gründen entgegenstellen, sind im vergangenen Jahre doch von den Aufsichtsbehörden zahl⸗ reiche Kurse zur Förderung zugelassen und die Mittel dafür in großem Umfange bereitgestellt worden. Insgesamt dürften etwa 20 000 Personen, davon 15 000 Jugendliche, an solchen aus der Erwerbslosenfürsorge geförderten Veranstaltungen teilgenommen haben bzw. noch teilnehmen. Mit einem weiteren Ansteigen der Zahlen ist zu rechnen, weil alle diejenigen Gemeinden, die muster⸗ gültige Einrichtungen auf diesem Gebiete geschaffen haben, zur⸗ zeit von den verschiedensten Seiten aus, so auch von anderen Gemeinden, besucht werden.

Auf dem Gebiete der produktiven Erwerbslosen⸗ für sorge stand das Ministerium für Volkswohlfahrt Anfang des Jahres 1926 der Tatsache gegenüber, daß trotz ständigen An⸗ wachsens der Erwerbslosigkeit Rot standsarbeiten nur in sehr geringem Umfange durchgeführt werden konnten. Der Grund hierfür lag vor allem in den wenig günstigen Bedingungen für die Hergabe der Reichs⸗ und Landesdarlehen. Es gelang dem Ministerium für Volkswohlfahrt, bei den Reichsressorts wesent⸗ liche Erleichterungen für die Förderung von Rotstands⸗ arbeiten durchzusetzen, die sich insbesondere auf eine Er⸗ höhung der Darlehen aus den Fonds der produktiven Erwerbs⸗ losenfürsorge, eine Herabsetzung des Zinsfußes und eine Ver⸗— längerung der Tilgungsfrist durch Vorschaltung von Freijahren erstreckten. Durch diese Vergünstigungen wurden die Gemeinden in kurzer Zeit zu einer sehr erheblichen Vermehrung der Not⸗ standsarbeiten angeregt, so daß die Zahl der bei Notstandsarbeiten beschäftigten Erwerbslosen bereits im Mai 1926 auf über das Vierfache der Januarzahl gesteigert werden konnte. Da die an⸗ Erwerbslosigkeit die Mehrzahl der Gemeinden auch weiterhin stark belastete, wurden die Darlehnsbedingungen für die von der Erwerbslosigkeit besonders getroffenen Provinzen und Gemeinden durch nochmalige Herabsetzung des Zinsfußes