1927 / 45 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 23 Feb 1927 18:00:01 GMT) scan diff

doch wesentlich mehr schuld als meine persönliche Veranlagung. Sentung der Reichseinnahmen kann man mit außerordentlich großem rhetorischen Schwung vertreten, und ich versichere Ihnen, auch ich werde ganz gewaltige Huldigungen erhalten, wenn ich zu einer Organisation komme und ihr sage: in den nächsten Nonaten und Jahren kann ich deine Last gang bedeutend ermäßigen. (Sehr richtig! rechts Aber, meine verehrten Damen und Herren, sparen kann man nur mit ganz nüchternem Geschäftssinn. Aufwendig, um das Wort wieder zu gebrauchen, das meinem verehrten Landsmann, dem Herrn Abgeordneten Dietrich, soviel Freude gemacht hat, aufwendig kann man im großen leben; aber beim Sparen muß man im kleinen anfangen (sehr richtig! im Zentrum), und da mag vielleicht der Kardinalunterschied zwischen dieser Etatsrede und der vorjährigen liegen. Die Situation war ja im Vorjahr eine ganz andere. Ich möchte doch immer wieder darauf hinweisen, daß, wenn ich genötigt bin, Ihnen eine nüchterne Schilderung zu geben, doch daran ich nicht schuld bin. Ich habe ja nur einen Etat zu vertreten, der mir in der letzten Stunde gleichsam als Vermächtnis in die Hand gedrückt worden ist. (Sehr richtig! im Zentrum.) Und diesem Vermächtnis hat mein sehr geschätzter Herr Amtsvorgänger ja noch ein weiteres folgen lassen, indem er mir in einem Zeitungsartikel die Richtlinien mit auf den Weg gegeben hat. (Große Heiterkeit rechts und in der Mitte.) In diesem Zeitungs⸗ artikel ich weiß nicht, ob Herr von Schlieben auch seinem Nachfolger ein derartiges Vermächtnis hinterlassen hat (3uruf von den Demokraten: der hatte nichts zu hinterlassen! hat der Herr Reichsfinanzminister Dr. Reinhold selbst zugegeben, daß das Jahr 1927 ein außerordentlich schweres sein werde. Er hat gesagt: „Ich habe nur die erste Strecke des Weges zum Ziele, das ich mir gesteckt hatte, zurücklegen können. Ich vermochte nur durch sofortige Steuersenkungen die Reichseinnahmen auf ein vernünftiges Maß zu vermindern.“ Das war sicherlich der angenehmere Teil der Aufgabe. (Heiterkeit und lebhafte Zustimmung rechts. Zurufe von den Demokraten) Das war, sage ich, der angenehmere Teil der Gesamtaufgabe, nicht wahr?

Dann kommt ein Gedankenstrich. Wir beide, sowohl Herr Dr. Reinhold als Verfasser wie ich als Leser, haben diesen Gedankenstrich benützt, um uns über den ersten Satz Gedanken zu machen. (Sehr gut! im Zentrum.)

Nun kommt der zweite Satz des Bermächtnisses. Herr Dr. Reinhold schreibt: „Jetzt muß der bei den deutschen parla⸗ mentarischen Verhältnissen vielleicht noch schwierigere zweite Teil der Aufgabe gelöst werden. Auf der Basis der gesenkten Ein⸗ nahmen müssen die gesamten Staatsausgaben auf das Maß reduziert werden, das unser verarmtes Volk ertragen kann.“ Ganz einverstanden. Aber glauben Sie, ich kann diesen zweiten, mir überlassenen Teil der Aufgabe mit derselben rhetorischen Be⸗ geisterung und unter demselben tosenden Beifall der Betroffenen lösen? (Sehr gut! im Zentrum. Heiterkeit rechts.) Ich möchte es außerordentlich bezweifeln. Denn draußen im Lande war man offenbar doch da und dort außerordentlich deprimiert über die bevorstehende Lösung des zweiten, nüchternen Teils. Es ist also doch wirklich nicht so ich möchte das einmal lant und deutlich sagen als ob der Ernst meiner Beurteilung lediglich meine persönliche Anschauung wäre. Dieser Ernst gründet sich auf die ganzen Verhältnisse, gründet sich auf die eigenen Boraussagen meines geschätzten Herrn Amts vorgängers, der im Gegensatze zur Auffassung des verehrten Herrn Ab— geordneten Dr. Fischer (Köln) mir in seinem Vermächtnis leider nur mitteilt, „wesentliche Reserven würden in dem Etat nicht mehr liegen“. (Zuruf von den Demokraten: Im Etat) Wir merden über die Kassenmittel nachher ganz ruhig miteinander reden. Man wird aber Etat und Kassenmittel nicht fortwährend durcheinanderwerfen dürfen. (Zuruf von den Demokraten: Das hat Reinhold auch nicht getan) Ich werde mich dem zweiten, weniger angenehmen Teil der Gesamtaufgabe unterziehen. Ich werde an die Vereinfachungen gehen. Ich glaube mich aber nicht auf einem Irrwege zu befinden, wenn ich sage: als die Steuer⸗ senkungen im Februar 1926 herausgegeben wurden, ist die Ver⸗ waltungsreform als ein ganz integrierender Bestandteil der Gesamt⸗ aktion bezeichnet worden. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Es tut mir außerordentlich leid, auf diese Dinge etwas deut⸗ licher eingehen zu müssen. Aber ich habe keine Lust, Spießruten zu laufen und unxichtige Behauptungen fortgesetzt auf mich an⸗ gewendet zu sehen. Dieser zweite Teil der Gesamtaufgabe ist doch wahrhaftig nicht in Angriff genommen worden. Den Abbau einiger Ministerialräte kann man doch wirklich nicht als Ver— waltungsreform bezeichnen. (Zurufe von den Demokraten: aber die Deutschnationalen protestieren ja jetzt schon gegen den Abbau! Lassen Sie doch jetzt die Deutschnationale Volkspartei bei der Verwaltungsreform erst einmal mitarbeiten. Wir wollen doch zunächst einmal sehen, was die Zukunft bringt. (Zurufe von den Demokraten.)

Meine Damen und Herren, ich werde, wie gesagt, auch diesen unangenehmeren Teil der Gesamtaufgabe selbstverständlich in Angriff nehmen. Nicht aus irgendeiner Prestigepolitik! Es sei bei meinem Amtsantritt gesagt: Es ist mir ganz egal, ob irgendeine Interessengruppe mir stürmische Ovationen darbringt, sondern ich lege Wert darauf, daß ich die Aufgabe, die mir das deutsche Volk übertragen hat, so löse, daß es seinen ungeheuer schweren Weg in seiner Gesamtheit besser gehen kann, als das bisher der Fall war. (Beifall rechts und im Zentrum.) Ob dann die Glorie sofort kommt oder erst nachher, oder ob sie überhaupt nicht kommt, das ist mir völlig gleichgültig. Denn ich sehe mein Amt nicht an als einen Posten, auf dem irgendwie die Glorifi⸗ zierung meiner Person in Frage kommt. (Bravo! rechts und im Zentrum) Ich möchte auch, und das möchte ich unterstreichen keine Fassadenpolitik auf dem Gebiet der Finanzen treiben. Ich will eine Politik führen, die das, was ich an Gutem über⸗ nommen habe, unter allen Umständen erhält, und ich hoffe, daß ich auch auf dem Gebiet Ihre Unterstützung finde.

Meine Damen und Herren, es ist mir dann allerdings zu meiner großen Freude mitgeteilt worden, daß die Parteien hier im Hause der Auffassung seien, daß 150 Millionen am Etat gespart werden können. Ich bin noch nicht lange in diesem hohen Hause und habe wahrscheinlich auch nicht alle Anträge ge lesen, die in der letzten Zeit eingekommen find. Aber auch die so fürchterlichen Menschen, die „Bürokraten“, ohne die wir übrigens überhaupt nicht verwalten und regieren könnten und denen nach

meiner Meinung Anerkennung gebührt denn wenn der Ver⸗ waltungsapparat lauft, so haben wir das der Büroklratie zu ver⸗ danken (sehr wahr! rechts), aber auch meine „Bürokratie“ erklärt mir, daß sie von Anträgen, die eine Ersparnis von über 150 Millionen im Gefolge hätten, bisher nichts gesehen habe. Ich habe nur in den letzten Tagen mehrfach Einladungen und Mit⸗ teilungen erhalten, die darauf hinausgingen, daß der Etat an allen Ecken und Enden noch erhöht werden solle nicht in den Einnahmen, sondern in den Ausgaben. Also kommt offenbar der 150⸗Millionen⸗Antrag noch in einer späteren Zeit. (Heiterkeit) Ich möchte dazu gleich sagen: ich stimme selbstverständlich allen Senkungsvorschlägen direkter und indirekter Steuern zu, wenn die finanzielle Lage des Etats und wenn es auch die Lage der Kassen erlaubt. Sie haben mir aber erst bei einem anderen An⸗ laß gesagt, daß meine Versicherung, ich würde keine Thesau⸗ rierungspolitik treiben, ziemlich wertlos sei, denn es werde sich gar keine Gelegenheit dazu geben. Deshalb nehme ich an, daß ich die nötigen Mitteilungen im Ausschuß noch erhalte, auf welch andere Weise der Ausfall, der durch Senkung der direkten Steuern oder der Verbrauchsabgaben entsteht, gedeckt werden kann. (Ab- geordneter Dietrich Baden]: Wir haben gesagt: Sie können beim Verkehrsministerium 109 Millionen an Kanälen absetzen! Gut, das sind allerdings Posten, verehrter Herr Abgeordneter Dietrich, die im Außerordentlichen Etat stehen, die ohnehin nicht durch Steuern Deckung finden, sondern aus Anleihen gedeckt werden. (Heiterkeit rechts. Abgeordneter Dietrich Baden): Als ob das nun ein großer Unterschied wäre) Nein, Herr Ab⸗ geordneter Dietrich, aber Sie wissen ganz genau, daß es im vorigen Jahr als ein ganz gewaltiger Fortschritt gefeiert worden ist, daß man endlich einmal davon abgegangen ist, werbende An⸗ lagen aus laufenden Mitteln zu bestreiten. Gut, nun hat man diese werbenden Anlagen auf das Extraordinarium verwiesen, also haben doch sie im Augenblick bei der Abwicklung des Etats wirklich mit den Steuermitteln nichts zu tun. (Abgeordneter Dietrich Baden; Dann können Sie überhaupt erst sparen, wenn Sie keine Mark Anleihe mehr brauchen, dann müssen Sie 528 Millionen absetzen) Nein, Herr Abgeordneter, das ist nicht richtig.

Herr Abgeordneter Dietrich ich darf jetzt gleich zu Ihnen kommen hat in der Verteidigung meines Herrn Amts⸗ vorgängers gemeint, ich hätte ihm nachgesagt, er habe die Ein⸗ nahmen im Etat zu hoch angesetzt. Ich habe mich sofort gegen diese Behauptung gewehrt; Herr Abgeordneter Dietrich wird sie nicht aufrechterhalten können, wenn ich ihm die Stelle meiner Rede wörtlich vorlese. Ich sagte: „Die angenommene weitere Besserung unserer Wirtschaftslage ist in den Einnahmeansätzen bereits sehr stark berücksichtigt. Und kurz darauf: „Daß die Einnahmeschätzungen von starkem Wirtschaftsoptimismus ge⸗ tragen sind, findet meine volle Zustimmung.“ Ich habe also dem Herrn Amtsvorgänger in kemer Weise vorgeworfen, er habe die Einnahmen zu hoch angesetzt. Es kann nur auf einem Hörfehler beruhen, wenn der Herr Abgeordnete Dietrich das gehört haben sollte.

Der Herr Abgeordnete Dietrich hat dann gesagt, meine Be⸗ hauptung, sicher auftretende Ausgaben seien in dem Etat un⸗ berücksichtigt, sei eigentlich nicht zutreffend. Er hat dabei auf die Erwerbslosenfürsorge hingewiesen, für die doch mehrere 109 Millionen eingestellt seien, während ich gesagt hätte, es sei eigentlich nichts da. Herr Abgeordneter Dietrich, es ist wirklich für die unterstützende Erwerbslosenfürsorge ab 1. April 1927 bis zu dem Zeitpunkt, wo das Arbeitslosenversicherungsgesetz in Kraft ireten soll, kein einziger Pfennig da. (Hört, hört! rechts) Denn die 50 Millionen für die produktive Erwerbslosenfürsorge sind natürlich nicht für die unterstützende Erwerbslosenfürsorge zu verwenden. Es sind dann weiter 130 Millionen für produktive Erwerbslosenfürsorge eingestellt, die besonderen Zwecken dienen. Ferner sind 200 Millionen für die unterstützende Erwerbslosen⸗ fürsorge vorgesehen. Ich habe Ihnen schon in meiner Etatsrede auseinandergesetzt, daß davon 50 Millionen als Grundstock für die neue Versicherung, 50 Millionen für die Uebergangszeit und 100 Millionen für die Krisenfürsorge erforderlich sind. Sie dürfen mir glauben, es war keine angenehme Sitnation für das gesamte Kabinett am letzten Dienstag, als ich eröffnen mußte, daß wir keinen Pfennig für die Effektnierung der Zusage an Länder und Gemeinden haben, ihnen vom 1. April 1927 an die unterstützende Erwerbslosenfürsorge abzunehmen. (Hört, hört! im Zentrum und rechts) Das ist ein Aufwand, der uns auch selbst bei einem Sinken der Erwerbslosenziffer 40 Millionen monatlich kosten wird. (Hört, hört! in der Mitte und rechts)

Für die anderen Dinge, die erwähnt worden sind Wohnungsgelderhöhung, Beamtenbesoldung einschließlich der Er— höhung der Bezüge der Kriegsbeschädigten, die Dinge hängen ja miteinander zusammen sind im Augenblick haushaltplanmäßig natürlich auch keinerlei Mittel vorgesehen; das werden Sie mir ohne weiteres zugeben. Mein Herr Amtsvorgänger sagt, wesent⸗ liche Reserven lägen nicht mehr im Etat. Ich war deshalb also doch wohl nicht im Tone der Kritik oder des Vorwurfs, sondern im Tone der Feststellung in ernster Sorge berechtigt, zu sagen: es lauern Ausgaben im Hintergrund, für die im gegen⸗ wärtigen Augenblick leine Deckung vorhanden ist. (Sehr richtig! vechts.)

Nun, Herr Abgeordneter, noch eine Sache, die mir wirklich am Herzen liegt. Sie sprachen davon, meine Redewendung, ich hätte mir zum Ziele gesetzt, den Dienstbetrieb wieder in Ord⸗ nung zu bringen, sei bei Ihnen so ausgelegt worden, als hätte ich damit eigentlich sagen wollen, mein Herr Amtsvorgänger habe den Dienstbetrieb in Unordnung gebracht. (Zuruf von den Dentschen Demokraten) Nur nicht so fürchterlich empfindlich, meine Herren! wie waren denn die Dinge in Wirklichkeit! Als badischer Finanzminister habe ich mir die Freiheit genommen, vor einigen Monaten eine große Anzahl von badischen Finanzämtern daraufhin prüfen zu lassen, wie die Landessteuern die Grund- und Gewerbestener veranlagt, erhoben und betrieben werden. Die Ergebnesse dieser Feststellungen waren teilweise geradezu ver⸗ nichtend (Hört, hört! rechts) Ich habe mir deshalb vorgenommen, das bei erster Gelegenheit im Reichssinanzministerium zur Kenntnis zu bringen und habe das auch getan. Als ich in mein nenes Amt kam, habe ich alsbald durch eine eigene Nachschau bei einem Landesfinanzamt und durch Besprechungen mit den ver⸗ schiedenen Landesfinanzamtspräsidenten festgestellt, daß das, wat

ich in Baden gesehen habe, keine Einzelerscheinung war, sondern

sich fast über das ganze Deutsche Reich ausgedehnt hat. (Hört hört! rechts) Ich habe jestgestellt, daß der Betrieb nicht in Ord— nung ist. Daß er früher einmal in der Vorkriegszeit in

Ordnung war, das habe ich auch gewußt, und deshalb habe ich

gelagt: ich will ihn wieder in Ordnung bringen. (Sehr gut rechts) Ob mein Vorgänger negativ oder positiv auf dem Gebiete gewirkt hat, habe ich in gar keiner Weise gesagt, gedacht oder irgendwie nur unterstellen wollen (Abgeordneter Dietrich Baden]: Im übrigen habe ich Ihre Ausführungen genau so ausgelegt, wie Sie jeßt!! Aber andere Herren haben es offenbar anders aus— gelegt! (Abgeordneter Dietrich Baden: Ich bin aber von ein— zelnen Herren direkt darauf aufmertsam gemacht worden, daß sie es so verstanden haben! Nun, ich nehme aber an, das wird nach meiner Erklärung ausgeräumt sein. Ich bin eben auch heute noch und da glaube ich mich auf dem Boden der Tatsachen zu besmnden der Auffassung, daß eine bessere, Aleichmäßige Ver⸗ anlagung zurzeit das beste Steuergesetz darstellt.

Nun hat der Herr Abgeordnete Dietrich noch vom „Bier—⸗ privileg“ gesprochen und hat gemeint, dieses Bierprivileg“ habe einen Bestandteil der Regierungsbildung gebildet. (Heiterkeit. Abgeordneter Dietrich Baden; Der eine Pate sei damit privilegiert worden, habe ich gesagt! „Ihr Bierprivileg“ hat es geheißen. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, Herr Ab— geordneter das wird Sie gewiß interessieren daß die Ver⸗ handlungen über die Aenderung des jetzigen Gesetzes zu einer Zeit eingeleitet worden sind, als der Herr Finanzminister Dr. Rein⸗ hold noch an meiner Stelle gestanden ist. Mit der Regierungs⸗ bildung haben Steuerfragen überhaupt nichts zu tun gehabt. Nun wird auch das wohl, wie ich annehme, ausgeräumt sein, und wir

werden, losgelöst von Bierprivilegien und anderen Dingen, zu

einer ruhigeren Betrachtung kommen können. Geiterkeit.)

Der Herr Abgeordnete Dr Fischer hat verschiedene Fragen hinsichtlich unserer Kassenbestände und auch hinsichtlich der Um— wandlung der Auslosungsscheine in eine verzinsliche Anleihe an mich gerichtet. Er hat hier mitgeteilt, die Verhandlungen, die mein Herr Amtsvorgänger in der letztgenannten Angelegenheit geführt habe, hätten sich anf die Zustimmung des Kabinetts ge⸗ gründet. Das Reichskabinett hat, wie ich festgestellt habe, dem Vorschlag des Herrn Reichsfinanzministers Dr. Reinhold große Bedenken entgegengebracht, hat ihn aber ermächtigt, zunächst ein- mal die Frage mit den Interessenten zu behandeln. Das ist die Sachlage.

Im übrigen, meine Herren, glaube ich, zuviel rückschauende Betrachtungen könnten wirklich die Arbeit der Gegenwart stören. Ueber Schliebensche Thesaurierungspolitik und Reinholdsche Steuersenkungspolitik wird doch die Zukunft ein ganz objektives Urteil abgeben. Wir aber sollten uns nicht immer warm sprechen darüber, wer nun den größten Erfolg oder den größten Mißerfolg auf dem Gebiete gehabt hat. Die Kosten dieser Konversation zahlt nämlich immer die Wirtschaft.

Der Herr Abgeordnete Dr. Fischer hat dann darauf hinge⸗ wiesen, daß unsere Kassenbestände offenbar ausgezeichnet sein müßten, da wir ja im Jahre 1926 eine Anleihe überhaupt nicht gebraucht hätten. Herr Abgeordneter, das ist leider nach der Ent⸗ wicklung unserer ganzen Einnahme und Ausgabegebarung nicht mehr in vollem Umfange zutreffend. Ich habe bereits am letzten Mittwoch darauf hingewiesen, daß wir im gegenwärtigen Augen- blick, in diesen Tagen, die Anleihe nicht notwendig gehabt hätten sie ift aufgenommen worden in Ausnutzung der günstigen Konjunktur daß wir aber zur Abdeckung der aus dem Jahre 1926 herrührenden Aufgaben einen Teil der Anleihe ganz bestimmt in den nächsten Wochen schon brauchen werden.

Der Herr Abgeordnete hat dann gefragt, wie hoch denn unser Kassenbestand Ende Dezember 1926 gewesen sei. Er war, wenn ich die fremden Gelder der Post mit 100 Millionen einrechne und ich füge hier in Parenthese bei, daß wir heute noch bei der Post eine Schuld von 100 Millionen haben und nicht von 70 Mil⸗ lionen am 31. Dezember 7 Millionen. Wenn ich aber dieses fremde Geld weglasse, dann haben wir einen Minusbestand von 93 Millionen gehabt. (Hört, hört! rechts.)

Der Herr Abgeordnete hat dann gemeint, es seien aber noch außerordentlich große Steuerrückstände vorhanden. Ich darf darauf hinweisen, daß diese Steuerrückstände nach den Etati⸗ sierungsgrundsätzen im Reich bei den Einnahmeschätzungen für die folgenden Jahre stets berücksichtigt werden. Es ist also in den Schätzungen der verschiedenen Steuern im Jahre 1927 der Rückstandsbetrag aus früheren Jahren und auch der voraussicht⸗ liche Rückstandsbetrag aus 19286 einkalkuliert.

Eine weitere Angelegenheit, die der Klarstellung bedarf, ist der Umfang der kurzfristigen Kredite. Diese kurzfristigen Kredite sind leider Gottes zu einem großen Teil zu festgefrorenen Krediten geworden. Zum anderen Teil bestehen sie hauptsächlich in der vorübergehend angelegten Anleihe. Diese Beträge brauchen wir aber, wie Sie wissen, zur Abdeckung des Extraordinariums vom Jahre 1925. Nun hat der Herr Abgeordnete gefragt: Ja, mit was haben Sie denn bisher das Extraordinarium abgedeckt? Mit unseren Gesamteinnahmen, die wir im Jahre 1926 hatten. Wir haben nicht geschieden nach Einnahmen aus dem Extraordinarium oder dem Ordinarium, sondern wir haben die gesamten Kassen⸗ bestände, so wie sie kamen, die gesamten Kassenmittel auch aus dem Ordinarium zur Abdeckung auch des Extraordinariums ver⸗ wendet. Dazu den liquiden Teil des Betriebsfonds, dazu die 100 Millionen der Post und dazu die sonst uns zufließenden Mittel. Im laufenden Monat ändern sich die Dinge schon ganz wesentlich. Wir werden im laufenden Monat im Ordinarium einen Zuschußbedarf auszuweisen haben. Damit wird wohl auch die Frage erledigt sein, ob wir Barbestände für besondere über⸗ tragbare Posten reserviert hätten. Soviel ich feststellen konnte und das wird mir bestätigt von meinen Mitarbeitern —, ist kein Pfennig reserviert für diese Ausgaben, die zum Teil ja erst in den nächsten Monaten uns anwachsen werden, obwohl sie im Etat für 1925 vorgeschen sind. Das waren eben alles Mittel, die uns in den vergangenen Monaten zur Abdeckung auch des Extra— ordinariums zur Verfügung standen. Reserven besonderer Art bestehen bei uns nicht, sondern sind in dem Answeis der Reichs- hauptkasse ausgewiesen. ;

Es ist in diesem Zusammenhang auch gebeten worden, wir sollten unsere Kassenausweise etwas durchsichtiger machen. Ich bin ganz gern bereit, diesem Wunsche zu entsprechen. Er steht völlig mit dem Wunsch im Einklang, den ich schon seit Monaten gehegt habe. Wie es Ihnen gegangen ist, so ist es auch mir als

Landesfinanzminister gegangen. Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß man Etatslage und Kassenlage naturlich nicht vermischen darf. Ich kann eine ganz glänzende Kassenlage haben. Wenn ich jetzt die fremden Gelder, die Anleihegelder, noch mit in die Kassen stelle, habe ich eine ganz hervorragende Kassen⸗ lage. Und die Ausländer haben ganz recht, die da sagen, in der Reichskasse wären jetzt viele hundert Millionen. Aber unsere Etatslage ist natürlich eine durchaus andere In dem Zusammen⸗ hang darf ich aber aussprechen, daß ich den Wunsch vollständig teile, daß die Kassenbestände unserer öffentlichen Kassen in viel größerem Umfang, als das bisher der Fall war, auch zusammen⸗ gefaßt werden und zusammenarbeiten. Ich möchte hier auf Einzelheiten nicht eingehen. Die Herren, die sich in den Dingen auskennen, wissen, daß es doch eigentlich ein nicht erwünschter Zustand ist, daß wir mindestens drei verschiedene große Kassen haben, die alle ihre eigenen Reserven und ihren eigenen Betriebs⸗ fonds usw. mit sich führen.

Um auf die Steuergesetzgebung noch kurz einzugehen, möchte ich hier die bindende Zusage abgeben, daß wir alles tun werden, um die reichsgesetzliche Rahmenregelung der Realsteuern im Zu⸗— sammenhang mit der Stellungnahme über das Ob und Wie der Hauszinssteuer unter allen Umständen in den nächsten Monaten Ihnen zur Vorlage zu bringen. (Bravo) Wir m. ssen aber bei diesem, wie Sie wissen, außerordentlich schwierigen Gesetz mit den anderen Steuergläubigern natürlich noch in Verhandlungen ein— treten und müssen sehen, daß wir uns einigermaßen mit ihnen auf einer Linie finden. Denn ich muß für diese Gesetzesvorlage selbfstverständlich auch den Reichsrat haben. Der Gesetzentwurf ist aber im großen bei uns ausgearbeitet, und wir können in aller⸗ nächster Zeit schon mit den Verhandlungen beginnen. Ich lege Wert darauf, verehrte Damen und Herren, daß Sie von dieser bindenden Zusage Kenntnis nehmen. Denn diese Rahmengesetz⸗ gebung ist für mich ein Weg zum endgültigen Finanzausgleich, den ich um keinen Tag länger hinausschieben will, als wie das absolut notwendig ist. Sie dürfen mir aber glauben: mein Ge⸗ danke, daß man ihn wohl länger als auf ein Jahr hinausschieben muß, entspricht nicht irgendeinem Eigensinn, irgendeiner Recht haberei, sondern, wie ich Ihnen im Ausschuß auseinandersetzen werde, ganz anderen Gründen, die durchaus im Interesse des Reiches liegen.

Bezüglich des Finanzausgleichs ist dann hier ausgeführt worden, es sei doch eigentlich nicht recht verständlich, daß man nun den Ländern und den Gemeinden mehr gebe, als sie bei der früheren Garantie von 2.1 Milliarden für Einkommen⸗ und Koörperschaftsteuer und der gesonderten Umsatzsteuergarantie er— hielten. Das wird nicht stimmen, und zwar deshalb nicht, weil ja die Garantie keine Maximalgarantie ist. Die Länder und Gemeinden die Länder in erster Linie haben doch einen gesicherten Anspruch auf ihren Anteil am wirklichen Gesamtauf⸗ kommen. Was wir ihnen jetzt garantieren, ist ein Minimal⸗ betrag. Wir glaubten, der Sachlage ich will mich vorsichtig ausdrücken gerechter zu werden, wenn wir den ständigen Streit dadurch lösen, daß wir das, was wir erhoffen und nach den Schätzungen, die vorgenommen worden sind, auch erhoffen zu können glauben denn auch in dem bekannten Zeitungsartikel heißt es ja, daß wir etwa 300 Millionen erhöhte Einnahmen aus Einkommen⸗ und Körperschaftsteuer erhalten werden gleich in die Tat umsetzen.

Ich habe allerdings in der Presse gelesen: es muß dem Reichs- etat nicht schlecht gehen, wenn man in der Lage sei, den Ländern einfach 200 bis 300 Millionen hinzuwerfen. Verehrte Herren, auf einen Anteil an diesen eingehenden 200 bis 800 Millionen haben die Länder einen gesetzlichen Anspruch. (Sehr richtig! Wenn das Geld insgesamt eingeht, müssen wir es ihnen eben dreiviertel davon geben, und es ist eine ganze falsche Auffassung, wenn man annimmt, daß man hier mit einem Geschenk an die Länder begonnen habe. Ich nehme an, daß Sie mich in meiner Amtstätigkeit wenn sie so lange währen follte noch daraufhin kennenlernen werden, daß ich allerdings nicht so veranlagt bin, daß ich, wie das Nädchen aus der Fremde, all⸗ überall hin Geschenke austeile. (Sehr gut! und Heiterkeit.) Ich glaube, unsere Aufgabe in den nächsten Monaten muß eine andere sein.

Damit vollständig im Einklang kann aber die Erklärung gehen, daß das, was in den letzten Tagen in der geitung gestanden und als Alarmnachricht durchgegangen ist, als beabsichtige das Reichsfinanzministerium, eine Betriebsstoffsteuer für die ganze Wirtschaft einzuführen, natürlich eine gemästete Ente ist. (Heiterkeit) Das stand als der Erörterung werte Eventualität seinerzeit, wie die Herren wissen, in der Denkschrift über die neue Kraftfahrzeugsteuer. Es war eine der vielen Erwägungen, die man billigerweise anstellen muß, genau so wie wir jetzt auch im Branntweinmonopolgesetz wieder alle möglichen Erwägungen in der Begründung angestellt haben. Aber eine Absicht, den ganzen Betriebsstoff im ganzen Deutschen Reiche zu besteuern, besteht im Reichsfinanzministerium nicht. Meine Herren, ich stehe zu meinem Wort, daß ich im Jahre 197 von mir aus keine Steuererhöhung vorschlagen werde.

Damit möchte ich meine Bemerkungen beendigen. Ich möchte Sie nur um eins bitten. Es ist mehrfach durchgeklungen, als ob nun eine Sorge darüber entstanden sei, daß mit dem Wechsel im Reichsfinanzministerium wieder die „Bürokratie“ allmächtig werde und die Volkswirtschaft in Nachteil geraten werde. Meine Damen und Herren, ich fühle mich verpflichtet, für meine Mitarbeiter im Reichsfinanzministerium bis hinunter zum letzten Amt die Zusicherung zu geben, daß Vorwürfe, die darauf hinausgehen, als ob meine Beamten nicht wirtschaftlich denken und in der Ausführung ihrer Geschäfte nicht wirtschaftlich handeln würden (Zurufe: Wer hat das behauptet?) das war doch gemeint durchaus unrichtig wären. Es ist nicht so, als ob nun der Geist aus dem Reichsfinanzministerium ausgetrieben worden sei und wir nun die Absicht hätten, in öder, plumper, bürokratischer Wichtigtuerel und Rechthaberel die Geschäfte weiterzuführen. Wir werden auf dem Boden volks- wirtschaftlicher und sozialer Grundsätze im Reichsfinanz⸗ ministerium das uns anvertraute Amt weiterführen. Ich hoffe, daß Sie sich in den nächsten Monaten davon überzeugen werden, daß der Geist volkswirtschaftlichen und sozialen Denkens im Reichsfinanzministerium im großen ganzen nicht so sehr von der wechselnden Person des Ministers abhängt, als es da und dort offenbar geglaubt wird. (Lebhafter Beifall)

275. Sitzung vom 22. Februar 1927, nachmittags 3 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)

Vizepräsident Esser eröffnet die Sitzung um 3 Uhr.

Acht Anträge der Völkischen, des Bayrischen Bauern⸗ bundes und der Demokraten auf Aenderung der Auf⸗ wertungsbestimmungen werden dem Rechtsausschuß überwiesen.

Die zweite Lesung des Reichshaushaltsplans für 1227 wird beim „Haushalt für Versorgung und Ruhe⸗ gehälter“ fortgesetzt. ;

Abg Loibl (Bayer. Vp) bedauert, daß man die Generals⸗ 6 zu Agitationszwecken ausnutze. D * Bezüge seien im

a 1 gewesen wären. Wenn man die Generalspensionen besonders hervorhebe, müsse man damit auch die Bezüge der anderen Beamten im g 4 Range vergleichen. Man dürfe be⸗ 1 nicht vergessen, in den Städten mit sozialdemo⸗ atischen Mehrheiten die Gehälter der Bürgermeister und höheren städtischen Beamten die der Generale vielfach noch übertreffen. 335 hört!! Unter den in der Denkschrift erwähnten Generalen eien solche mit 59 Dienstjahren. (Hört! hört! rechts. Unruhe und Zurufe links) Der Redner beschwert fi beim Vize 3 denten Esser darüber, daß durch einen Zuruf „Kaufbeuren“ auf die dortige Irrenanstalt angespielt worden sei (Heiterkeit) Das Elend der Offiziere sei seinerzeit auch von den Sozialdemokraten anerkannt worden. mmerhin werde die Bayerische Volkspartei e die . ließung über Höchstpensionen stimmen weil n so schwerer Zeit jeder Opfer bringen müsse. Uebrigens seien die Offiziere des Beurlaubtenstandes auch um ö Ansprüche ge⸗ kommen. Er selbst sei einer der 23 rotzdem 1 rüche, solange die Be⸗

re 1920 ö worden, als die Sozialdemokraten in der

er auf ein iederaufleben dieser An 1 des Versorgungsgesetzes auch die Mannschaften nicht

friedigen könnten. ebrigens werde Ehrhardt jetzt ch Pensionsansprüche stellen. Bisher habe er gar nicht gewußt, daß er solche habe. Aber die Rede eines Sozialbemokraten im Haus⸗ haltsausschuß habe ihn darauf aufmerlsam gemacht. (Heiterkeit) Die Erregung unter den Kriegsbeschädigten sei erst durch Flug—⸗ blätter des Reichsbundes hervorgerufen worden. Im Ausschuß solle man prüfen, ob die von den Sozialdemokraten beantragten Rentenerhöhungen aufzubringen seien. Was finanziell tragbar 6. werde auch die Bayerische Volkspartei bewilligen. Mit der

bfindang der Zwanzigprozentigen seien die Sozialdemokraten selbst 1920 . gewesen. (Hört! hört! rechts) Das unzureichende Versorgungsgesetz . ja überhaupt vom damaligen Arbeitsminister Schlicke mit Hilfe der y, , . gemacht worden. Der Redner kündigt für den Ausschuß Anträge a Erweiterung des Kreises der Bezieher der Elternrente an. Da Heer stehe und falle mit der Zivilversorgung. Fördern müsse man die Soldatensiedlung und die Heeresfachschulen. Ministerialrat Kerschensteiner kündigt den Nachweis über die Beförderung von Offizieren während des Krieges für die nächste Woche an. Die Statistik über die Tropenzulage, die 2 Zeit in Anspruch nehmen würde, werde nur geringen praktischen Wert haben.

Damit schließt die Aussprache.

Der kom munistische Antrag, die Pensionen für 104 Reichsminister und Staatssekretäre und 1753 Generale zu . wird gegen die Stimmen der Antragsteller a b⸗ gelehnt. Auch die übrigen kommunistischen Anträge finden keine Mehrheit.

Der sozialdemokratische Antrag, die Regie⸗ rung solle bis zur dritten 6 des Etats eine Novelle zum . vorlegen und die Mittel für die Renten der Kriegsbeschädigten um 160 Millionen erhöhen, geht an den Haushaltsausschuß.

Der Versorgungshaushalt bleibt unverändert.

Zum Haushalt des Reichspräsidenten be— antragt der Haushaltsausschuß unveränderte Bewilligung.

. Abg. Hoernle (Komm.) befürwortet den Antrag seiner Partei, das Gehalt und den Dispositionsfonds des Reichs- Präsidenten zu streichen. Der Reichspräsident beziehe täglich 500 , wenn man ihm eine Arbeitzeit von acht Stunden zubillige, verdiene er hundertmal soviel wie ein Industriearbeiter und dreihundertmal so viel wie ein Landarbeiter. Der Name Hinden⸗ burg sei verbunden mit Erinnerung an die Zeit der größten Schmach und Erniedrigung des deutschen Proletariats. (Pfüi⸗Rufe rechts; große Unruhe; Vizepräsident Esser ersucht den Redner, sich zu mäßigen) Der Name Hindenburg sei damit verbunden, daß die deutschen Arbeiter die Mordwaffe gegen ihre Brüder im Ausland hätten führen müssen, verbunden auch mit der Parole des Siegfriedens, der zur Unterdrückung des Proletariats durch die Bourgeoisie führen ar. (Fortgesetzte Unruhe im Hause.) Die reaktionären Kreise hätten ihre Kriegsgewinne in Nachkriegs⸗ e, umgewandelt und sich dafür immer hinter den breiten ücken des „unpolitischen“ Generalfeldmarschalls gesteckt. Darum sei Hindenburg auch zum Sammelkandidaten der reaktionären Kreise geworden. Der deutsche Imperialismus fahre im Kiel⸗ wasser der englischen Politik. Die größten Gewalttaten würden jetzt in China verübt. Das Proletariat werde es aber dahin bringen, daß seine Stimme gehört werden müsse. Die „Kreuz⸗ zeitung“ habe die Auffassung der Demokraten bestritten, daß Hindenburg durch seinen Eid auf die Verfassung epublitanen geworden sei. Auch hier könne das berühmte Wort gelten: „Wie ich sie . Es frage sich, wie Hindenburg die Republik auffasse. as alte System sei fortgeführt worden bis zur Bildun der jetzigen reaktionären Regierung. Die Sozialdemokratie se dem Reichsbannergeneral Mary 2 und habe vor dem Reichspräsidenten auf den Knien gelegen und ihn gerade am 18. März, am Erinnerungstage des Proletariats, in Köln mit loyalsten Kundgebungen begrüßt., Hindenburg sei der erste Ber⸗ treter der Bourgeoisie. Fort mit diesem Hindenburg! Fort mit diesem Reichstag! (Beifall bei den Kommunisten. Großer Lärm im ganzen ane) Reichsjustizminister Hergt ergreift das Wort zu einer Entgegnung, die im Wortlaut mitgeteilt werden wird.

Damit schließt die Besprechung. Der Haushalt des Reichs⸗ präsidenten wird entgegen dem kommunistischen Antrag un⸗ verändert bewilligt.

Es folgt der ministeriums.

Berichterstatter Abg. Dr. Rosenberg (Komm) be⸗ richtet über die Ausschußverhandlungen.

Zu diesem Etat liegt eine Reihe von Anträgen vor. Der Ausschuß verlangt eine statistische Uebersicht über die Ent⸗ d,, für unschuldig erlittene Haft. Die Kommunisten

eantragen die Streichung der Position des Staatssekretärs und mehrerer Senatspräsidenten, e, ,,, . und Reichsanwälte, die Verwendung von Mitteln der Gefangenen— fürsorge auch durch den Zentralvorstand der Roten Hilfe Teutschlandz und den Hilfsfonds zu diesem Zweck um 5000 Mark zu erhöhen und die Vorlegung eines Gesetzes zur Ent— lastung des Reichsgerichts von allen Sachen 3. Instanz. Die Sozialdemokraten beantragen Milderungen in der Be— strafung des Hochverrats sowie die Vorlegung eines Gesetzes zur Wiederherstellung der früheren Schwurgerichte; ferner be⸗ ) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden der Herten Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

Haushalt des Reichsjustiz-—

antragen ö die Angabe der Stimmenmehrheit bei Verkündung der Gerichtsurteile in Strafsachen. Mehrere Anträge ver⸗ langen Aenderung der Rechtsanwaltsordnung durch Zulassun der Rechtsanwalte von Amtsgerichten bei 1 un Handelskammern der Landgerichte. Die Demokraten ins- besondere verlangen die Zulassung der Rechtsanwälte in jedem deutschen Lande.

Reichsjustizminister Hergt ergreift zunächst das Wort. Seine Rede wird nach Eingang des Stenogramms veröffent- licht werden.

Abg. Dr. Se vi (Soz) drückt dem Reichsjustizminister einen Dant dafür aus, daß er zum erstenmal von bieser Stelle aus ö habe, daß eine ganze Anzahl von Fällen eine nicht

efriedigende Erledigung gefunden habe und daß die Vertrauenskrife unbedingt beseitigt werden müsse. Besonders wichtig sei das Vertrauen 6 den Arbeitsgerichten, die das Wohl und Wehe eines roßen Teils der Wirtschaft in Händen habe. Selbftverständlich ei zugegeben, daß in Deutschland eine große Zahl von Fällen in normaler Weise von der Justiz erledigt werde. Aber an den nicht normalen Konflittsfällen erweise sich die sittliche Befähigung des Richters. Da entständen vielfach Urteile, die von der e . Menge des deutschen Volkes nicht verstanden würden.“ Per Minister habe hier eine semmelwarme Rede gehalten, die sich als Leitartikel für den Lokalanzeiger eigne. Aber an den entscheidenden Punkten sei er doch vorbeigegangen. Der Fiedner wendet sich gegen die Behandlung des Anwalts, der nach den Ausführungen des Ministers „auch ein Organ der Rechtspflege“ sei. 1 sonderheit beim Reichsgericht würden die Anwälte bon An⸗— geklagten der Linkskreise nicht diesem Grundsatz entsprechend, ja vielfach unwürdig behandelt. Der Richter überschreite 2 seine Amtsbefugnis, wenn er zum Beispiel einem Verurteilten noch eine moralische Kritik mit auf den Weg gebe. Gerade für die Jugendgerichte müßten die Landesjustizberwattungen die Richter mit, größter Vorsicht auswählen. Beim Reichsgericht seien die Dinge seit der Berufung des derzeitigen Präsidenten Dr. Simons nicht besser, sondern schlechter geworden trotz seiner früheren Bekenntnisse. In München habe Dr. Simons Sozial⸗ demolraten die Fähigkeit zum Richteramt abgesprochen. Alb e Dr. Kahl D. Vp.]: Das hat er nicht getan) Der Redner üßt ferner Kritik an der Tätigkeit des Senatspräsidenten beim Reichs⸗ gericht Niedner. Allerdings stehe der fünfte Strafsenat gerade in den Fragen des Landesverrats vor einer schwierigen Aufgabe. Der Begriff des Landesverrats sei heute ganz anders zu beurteilen als in den Zeiten des Krieges. Krieg führten heute nicht mehr die Soldaten, sondern Industrie und Bevölkerung. Die Militärs bewiesen hier vielfach eine geradezu bornierte Ressortmäßigkeit und gäben Gutachten ab, zum Teil über ihre eigene Schande. Allgemeinstaatliche und politische Interessen würden hier leider von leinem Oberreichsanwalt gegenüber den Militärs vertreten. Der Fall Bullerjahn 9 noch immer nicht erledigt. Auf Grund der Aussagen von Zeugen, deren Namen man nicht kenne, auf Grund von Indizien sel hier ein Mann zu fünfzehn Jahren Zuchthaus ver⸗ urteilt worden. Der Reichsjustizminister müsse diesem Manna mindestens die Möglichkeit geben, den Leuten, die ihn beschuldigten, Aug in 5 gegenübergestellt zu werden. Die erste Voraus— setzung für die Verurteilung eines Kommunisten wegen Hoch— verrats sei die . daß die Kommunistische Partei in einem konkreten Falle den Bürgerkrieg und die Staatsumwãälzung beabsichtige. Die tatsächlichen Verhälinisse seien 1927 doch völli anders geworden als 1923. Die Kommunistische Partei habe ig seitdem doch durchaus geändert. Man könne einen kommunistischen Literaten, Verleger und Drucker doch nicht als Hochverräter hin— tellen, wie es die Spruchpraxis des Reichsgerichts tue. Dis

resse habe der Justiz gegenüber erfreulicherweise heute eine wichtige Aufgabe übernommen, die Aufgabe einer letzten Instanz über die Gerichte und die Misere der Gerichte hinaus. Die Presse werde sich bewußt sein müssen, daß sie ihre schwere Aufgabe werde durchführen müssen gegen die Justiz. Auch die alten Schwurgerichte hätten Fehlsprüche getan, aber sie seien getragen gewesen vom Vertrauen des Volkes. Ihre Beseitigung noch dazu unter Mißbrauch der Ermächtigungsgesetze 9 e, sehr bedauerlich. Im Falle Marschner 96 sich mindestens heraus⸗ gestellt, daß der sog. Laie in juristischen Dingen unerfahren sei. Das setze voraus einen klugen und taktvollen Richter. Während einer dreistündigen Beratung habe Landgerichtsdirektor Marschner den Schöffen nicht ein Wort der Belehrung gesagt. Der Redner verlangt in den schwersten Fällen Urteil durch Geschworene nach öffentlicher Belehrung.

Darauf wurde die Beratung abgebrochen.

Das Haus vertagt sich auf Mittwoch 3 Uhr: Fortsetzung der Beratung des Justizetats.

Abg. MülleLe r⸗-Franken (Soz.) beantragt, den Initiativ-= antrag über das Arbeitszeit-Notgesetz als ersten Gegenstand auf die morgige Tagesordnung zu setzen.

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns: Ich werde lediglich durch den Antrag des Vorredners veranlaßt, dem Hause die Mit⸗ teilung zu machen, daß die Regierungsvorlage über das Arbeitszeit⸗ notgesetz morgen an den Reichsrat geht. Ich nehme an, daß des Reichsrat auch sofort die Vorlage behandeln wird. (gurufe links.) Weiteres kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich hielt mich aber für verpflichtet mitzuteilen, daß die Vorlage der Regierung jedenfalls morgen dem Reichsrat zugeht.

Da die Abstimmun über den Antrag Müller-Franken dem Präsidenten zweifelhaft ist, muß Auszählung erfolgen. Das Ergebnis der Auszählung ist die Ablehnung des Antrag mit 160 gegen 107 Stimmen.

Schluß 66 Uhr.

Preußischer Staatsrat. Sitzung vom 22. Februar 192. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger]

Der Staats rat hielt heute abend eine kurze Eröffnungs— sitzung für einen Tagungsabschnitt, der bis Donnerstag dauern oll, ab. Er stimmte lediglich einer Vorlage zu, wonach der Regierungspräsident für den Geschäftsbetrieb wia , Ver⸗ steigerer jederzeit eine Aufwertung entwerteter und eine Erhöhung nicht mehr als ausreichend zu betrachtender Sicher— heiten verlangen kann.

Für die weiteren Sitzungstage stehen eine Reihe kleinerer Vorlagen zur Erledigung. Ob das neue Polizeibeamtengesetz in diesem Abschnitt noch beraten wird, ist zweifelhaft. Der Entwurf über eine Staatsbelhilfe für den Ausbau des Stral— sunder Hafens soll erst im März zur Beratung kommen.

Preußischer Landtag. 251. Sitzung vom 22. Februar 1927, mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger)

Unter großem Lärm der Kommunisten wird zunächst der Einspruch des Abg. Kellermann (Komm) gegen seinen im Zusammenhang mit den Tumultszenen bei Beratung der