1929 / 295 p. 1 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 18 Dec 1929 18:00:01 GMT) scan diff

Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 294 vom 17. Dezember 1929. S. 4.

damalige Reichsfinanzminister Reinhold, sondern mit ihm weite Kreise des deutschen Wirtschaftslebens geglanbt, man könne eine Reichsanleihe zu 5 Prozent aufnehmen Inzwischen hat sich der insfuß für Darlehen sast verdoppelt. Dieser hohe Zinsfuß ist sin die Landwirtschaft untragbar, denn nach alter Erfahrung hat sich die Landwirtschaft vor der Kriegsjeit bei einem Zinsfuß von 5 bis 6 Prozent vielleicht gerade an der Grenze ihrer Rentabilität befunden. Man muß also anerkennen, daß eine Notlage der Landwirtschaft vorhanden ist, und man muß ihr durch geeignete Zollschranken helfen. Man darf aber nicht übersehen, daß die Zieigerung der Produktionskosten in fast gleichem Maße für die Industrie gilt. Es ist also notwendig auch die Industrie durch Zollschranken zu schützen, gerade aus dem Grunde, um zu ver⸗ meiden, daß die Löhne oder Soziallasten abgebaut werden. Abg. Rademacher (D. Nat) erklärte sich hinsichtlich der Be schwerden über die verspätete Zustellung der Regierungsvorlage mit dem Vorredner in Uebereinstimmung. Die wirtschaftliche Not in Deutschland sei unbestreitbar, auch gebe es wohl kaum jemand in Deutschland, der die Ansicht bestreite, daß der Landwirtschaft unbedingt 6 werden müsse. Dies sei unabwendbar nötig, und zwar nicht nur aus Gründen für die Volkswirtschaft, sondern auch zum Nutzen der Arbeitnehmer Die Zusammenbrüche in zahlreichen Industrien zeigten, daß die Arbeitslosigkeit beim Weiter⸗ bestehen der wirtschaftlichen Not nur immer größer werden würde. Gerade bei Zöllen soll man nicht immer den irrigen Standpunkt ein⸗ nehmen, daß man zwischen Verbraucher und Arbeitnehmer unter⸗ scheidet. Jeder Arbeitnehmer ist auch gleichzeitig ein Verbraucher. Alles was der Erzeugung zugutekommt, kommt eben auch dem Arbeiter zugute. Leider trägt der Regierungsentwurf diesen Gesichtspunkien nur unzureichend Rechnung. Sehr interessant ist daß die Reichsregierung das Aluminium durch Zölle besonders schützen will, daß aber die Aluminiumpæoduktion in der Haupt⸗ sache in Händen des Reiches selber liegt. Also für sich selber weiß das Reich sehr gut die Vorteile des Zollschutzes zu erkennen, weiter, sobald private

aber diese Erkenntnis geht leider nicht Interessen in Frage kommen. Zum mindesten müssen die Beschlüsse des Reichsrats wieder aufgenommen werden, die

die Deutschnationale Partei von neuem stellen wird Abg. Krätzig (Soz. äußerte sich zur Frage der Textilzölle. Die Exportpolitit müsse mit Waren betrieben werden, in denen mög⸗ lichst viel deutsche Arbeit stecke. Von der weiterverarbeitenden Industrie könne man aber nicht verlangen, daß sie neben dem gegenwärtig herrschenden hohen Zinsfuß noch erhebliche Zoll⸗ erhöhungen für Rohmaterial tragen soll. Die Fertigwaren⸗ industrie stehe wegen der Erhöhung der Agrarzölle vor immer höheren Zollschranken; denn es sei selbstverständlich, daß die⸗ senigen Länder, denen man die Ausfuhr ihrer Agrarprodukte sperrte, sich durch Erhöhung ihrer Zollschranken gegen die Einfuhr von Industrieprodukten revanchierten. In fast allen Nachbar⸗ ländern liegen die Schwierigkeiten, zum mindesten im Textil⸗ betrieb, ebenso schlimm wie in Deutschland. Es sei nicht wahr, daß niedrige Arbeitslöhne diese Schwierigkeiten ausräumten. Der beste Beweis hierfür sei die Tschechoslowakei Trotz der dort herrschenden niedrigeren Arbeitslöhne versinke die dortige Textil⸗ industrie in Ueberproduktion. Auch die Zölle seien kein Allheil⸗ mittel. Das zeige Amerika, das trotz hoher Zölle in einer riesigen Textilkrise stecke. Was die Errechnung des Lohnanteiles an der Produktion betreffe, so müsse man den Angaben der Werke höchst stkeptisch gegenüberstehen. Wie komme denn so eine Errechnung von Lohnanteilen zustande? Er (Redner) kenne eine Firma, die ge— wesene Offiziere und Stahlhelmleute unterstützt habe, und diese Summen über das Lohnkonto gehen ließe. Sobald wir Zölle er⸗ höhten, täten die anderen das gleiche. Es komme nichts heraus als eine Schraube ohne Ende. Schließlich habe keiner Nutzen davon; den Schaden aber hätten die Verbraucher. Seine Partei werde die Zölle nicht annehmen, wenn wie es hier der Fall sei schwere Störungen in die Textilindustrie hineingetragen würden. Abg. Rauch (Bayer. Vp.) betonte die ganz besondere Notlage der deutschen Landwirtschaft. Auch er verkenne nicht, daß die deutsche Industrie unter dem schweren Druck der Konkurrenz in den untervalutarischen Ländern in überaus traurigen Verhält⸗ nissen sei. Aber es bestehe ein Unterschied zwischen Agrarzöllen und Industriezöllen in der Frage ihrer Dringlichkeit. Wenn jetzt der Ausschuß zu der Beratung der in der Regierungsvorlage eat⸗ haltenen Zölle noch das große Paket der im übrigen nötigen Industriezölle hinzupacken wolle, so werde wahrscheinlich nichts durchgebracht werden. Andernfalls aber sei die Aussicht vor⸗ handen, daß sowohl die Agrar- wie die Industriezölle durch⸗ kommen, und zwar die Agrarzölle vor Weihnachten und die In⸗ dustriezölle nach Weihnachten. Seine Freunde hätten den ernsten Willen, auch der Industrie ihr volles Recht zuteil werden zu lassen, sofern auch der Landwirtschaft ihr Recht werde. Abg. Sch mid 't⸗Verlin (Soz) glaubte zugestehen zu können, daß die in der Regierungsvorlage vorgeschlagene Maßnahme der gleiten⸗ den Zölle einen gerechten Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Landsoirtschaft und der Konsumenten darstelle. Aber seine Partei werde keine Konzession machen, die weitergehe als die in der

Regierungsvorlage enthaltene. Das Herantrggen neuer Zoll⸗ probleme würde die Verhandlungen nur erschweren und die Annahme der agrarischen Forderungen in Frage stellen.

(Reichsernährungsministerium) be⸗ dem Ministerium peinliche Verzögerung der Gesetzesvorlagen. Man möge aber den komplizierten Gesetzes⸗ vorgang bedenken. Erst müßten die Gesetze dem Reichswirtschafts⸗ rat vorgelegt werden, dann müßten sie den Reichsrat passieren und vor dessen Entscheidung sei das Reichsernährungsministerium nicht in der Lage, die Vorlage den Mitgliedern des Reichstags zugehen zu lassen. Zur Zollpolitik erklärte Redner: Der fran⸗ zösische Handelsvertrag hat sich in bezug auf die deutsche Ausfuhr nach Frankreich im allgemeinen günstig ausgewirkt, wobei aller- dings zugegeben werden muß, daß einige dentsche Produktiens⸗ zweige erhebliche Opfer für die Förderung, der Allgemeinwirtschaft bringen mußten. Aber diese Tatsache ist bei allen Handels⸗ verträgen in mehr oder minder großem Ausmaße festzustellen. Im übrigen war für die Regierung bei Einbringung der gegen⸗ wärtigen Zollvorlage der Grundsatz maßgebend, die bestehenden handelsvertraglichen Bindungen nicht, zu stören, deshalb würde auch von der Erhöhung industrieller Zölle von den Aluminium⸗ und Schubzöllen abgesehen Abstand genommen. Abg. Hörnle (Komm.) fe nicht, daß die kapitalistische Wirtschaft sich in einer Krise befinde. Aber er war der Meinung, daß diese Krise mit den Mitteln der Zölle und Schutzzölle nicht zu beheben ö. weil es sich um eine tödliche Krise handle. Redner wandte

Ministerialdirektor Po sse

dauerte die auch

ich dann gegen die Art, die Schutzhollpolitik hinzustellen als eine

olitik, die man nur aus Liebe zu den Arbeitern mache. Diese Bebatte habe gezeigt, daß das Solidaritätsgefühl für Zollschutz bei den Großagrariern und den Großindustriellen vorhanden sei und daß die Großagrarier für Gewährung ihrer Wünsche den Großindustriellen jeden gewünschten Zoll gewähren werden. Weiterberatung Dienstag.

Der Rechtsausschuß des Preußischen Landtages beendete am

16. d. M. die erste Lesung des neuen Fideikommiß⸗ gesetze s. Die Vorlage wurde bis auf eine Reihe von Aende⸗ rungen angenommen. So fanden bei der Abstimmung über die Wasdbestimmungen die Zentrumsanträge Annahme .die auf eine Milderung der * abzielen. Bei den Bestimmungen über das Anerbenrecht für Waldgüter wurde ein sozialdemokrg⸗ tischer Antrag abgelehnt, bei den Anerben männliche und weib⸗ liche Nachkommen gleichzustellen; es blieb bei der Regierungs⸗3 vorlage, daß . der einzelnen Stämme der . des männlichen Geschlechts und der Erstgeburt festgelegt wird. Ab⸗ elehnt wurde auch ein deutschnationaler Antrag, wonach die albstiftungen, Waldgutstiftungen, 2 und Wein- gqutstiftungen sowie Deichgutstiftungen im Sinne der Auflösungs⸗

gesetzßebung noch weiter neu gebildet werden sollten. Die Re gierungsvorlage, die diese Möglichkeit beseitigt. wurde an⸗ genommen. Die Schlußbestimmungen des Gesetzes über die Er⸗ mächtigung an das Siaaisministertum, Vorschriften über Ge bühren und Auslagen zu erlassen, desgleichen Ausführungs⸗ bestimmungen für die Waldaufsicht usw., ferner Bestimmungen über die Ausgestaltung des Verfahrens wurden dahin erweitert, daß diese Vorschriften nach Anhörung des Staatsrates und unter Zustimmung eines Landtagsausschusses ergehen sollen. Anfang Februar wird der Ausschuß eine zweite Lesung vornehmen. Dabei wird auch über den deutschnationalen Gesetzesantrag auf Erlaß eines Aufforstungsgesetzes entschieden werden.

Der rn, nr, m. des Preußischen Land⸗ tags setzte am 16. 8. M. seine Beweisaufnahme fort. Zunächst ist die Vernehmung des Kassierers Heinricht und des Prokuristen Sommermeier von der BAG. vorgesehen. Ferner wird der frühere Stadtkämmerer Dr. Karding dazu gehört werden, was während seiner Amtszeit sich zwischen der Stadt und den Sklareks ereignet hat, und schließlich soll sich Stadtsyndikus Lange noch mals äußern. Die Vernehmung der weiteren zahlreichen Zeugen dürfte sich bis Sonnabend hinziehen. Am Mittwoch wird u. a. der sozialdemokrgtische Bürgermeister vom Bezirk Mitte Schneider, gehört, während am Donnerstag deutschnationale Vertreter vernommen werden. Der Kassierer bei der BAG., Heinricht, ist seit 18922, der Gründung der BAG., im Amt. Er bekundete dem Nachrichtenbüro des Vereins deutscher Zeitungs⸗ verleger zufolge, Kieburg habe von den Fabrikanten einen Sonderrabatt, für Konserven verlangt. Die Fabrikanten gaben ohne weiteres 4 v5 Rabatt. So gewonnene Beträge gingen in den Direktionsfonds, über den Kieburg selbst verfügte, der auch besonders verbucht wurbe und aus dem Unterstützungen gewährt wurden. Der später gewählte Ausdruck „Schwarzer Fonds“ wurde von uns nicht verwandt. Ich selbst habe aus diesem Fonds monatlich 100 Mark erhalten als Aufwandsentschädigung und als Ausgleich für Fehlbuchungen. Einblick in das Buch über den Direktionsfonds, das der Sekretär Kieburgs führte, habe ich nicht bekommen. Die Fabrikanten mußten die Rechnungen auf den vollen Betrag ausstellen und zahlten nachträglich den Rabatt in die Direktionskasse. Auf Fragen des Berxichterstatters Koennecke (D. Nat): Die Quittung von 200 900 M, die Kieburg in die Kasse tat, betraf eine Zahlung an Sklareks und wurde bald durch eine Originalquittung Sklareks ersetzt. Aehnlich ist auch mit anderen Lieferanten verfahren worden, wenn die Kasse an sich schon geschlossen war. Auf Fragen des Abg. Riede! (Dem): Der Revisor Schwarze bude entlassen weil er ü, sich Benzin entnahm und eine Rechnung darüber auf eine Anstalt ausstellte, die auch von mir honoriert werden mußte. Abg. Meistermgann (Ztr): Wäre es für Sie eine Belastung gewesen, wenn Sie den Direktionsfonds offiziell mitverwaltet hätten? Heinricht: Nein! Auf weitere Fragen des Abg. Meisterm ann (Str. und des Abg. Dr. von Kries (D. Nat.): Es war ungewöhnlich, daß Kieburg, weil die Sklareks angeblich dauernd kein . hatten, häufiger Zahlungsanweisungen an die Sklareks mündlich gab und evtl. vorläufige Quittungen selbst unterzeichnete, wie es bei den erwähnten 200 000 M der Fall war. Auf meine Bedenken hat Kieburg sich die mündlichen Zahlungs⸗ anweisungen als Direktor ausdrücklich vorbehalten. Abg. Ob uch (Komm.): Haben Sie Unregelmäßigkeiten bei der Geschäfts⸗ führung der KVG. bemerkt? Heimricht: Nur die bevor⸗ zugte Zahlungsweise an die Sklareks, wobei Kieburg als Mittels⸗ person auftrat. Abg. Riedel (Dem): Zeuge Schwarze hat be⸗ hauptet, Sie hätten Rechnungen der Sklareks bevorzugt behandelt und kleinere Lieferanten warten lassen. Heinricht: Das ist nicht richtig. Die Rechnungen trugen Fälligkeitsvermerke, nach denen ich zahlen mußte. Allerdings mußte ich die mündlichen An⸗ weisungen Kieburgs begchten, an Sklareks schnell, evtl. auf münd⸗ liche Anweisung, zu zahlen. Abg. Koenn ecke (D. Nat.): Wie kommt es, daß Sie auf Konto F. G. 8 bei der Girokasse Gelder anlegten, während Sie zu gleicher Zeit wahren Kredithunger gegenüber der Stadt zeigten? Heinricht: Wir wollten Zins⸗ gewinne erzielen, um mehr an den Magistrat abführen zu können. Auf weitere Fragen Koenneckes): Rosenthal hat keine , auf nicht gelieferte Waren erhalten, wie es manchmal bei Sklareks der Fall war. Er hat sogar in der Inflationszeit öfter auf seine Zahlungen warten müssen.

Der ÄAusschuß beschloß, sich selbst Kenntnis von den Rech⸗

nungsbüchern der KVG. zu verschaffen und hörte dann den Prokuristen Som mermeier, der seit 1922 bis jetzt bei der BAG. tätig ist. Zeuge bestätigte die Angaben

Heinrichs hinsichtlich des sogen. „Schwarzen Fonds“. Er er⸗ klärte noch, daß am Jahresschluß die Debet⸗ und Kreditseite des Direktionskontos in die Hauptbücher übernommen werden sollte. Kieburg schied dann aus, so daß es nicht mehr zu einer Ueber⸗ nahme kam. Vors. Schwe 91 (Komm.): t Ihnen etwas darüber bekannt, daß Kieburg seiner Bilanz dadurch aufhalft daf er bei der Inventur Ware von der KVG. in das Lager der BAs

. Sommermeier: Es war nicht meine Ausgabe, die Läger zu kontrollieren. Ich hatte nur die fertige Bilanz aus den einzelnen Zahlen zusammenzustellen. Auf Fragen des Abg, Koennecke (D. Nat.): Die Bezeichnung „Schwarzer Fonds“ hat im Prozeß gegen Marquard und Genossen der Vernehmende angewandt. Wir nannten dieses Konto „Sonderfends der Direktion“. Auf weitere Fragen des Abg. Könnecke: Zu der Frage der Uebernahme vom Bestande der KVG, auf die BAG. oder umgekehrt bei Inventuren erkläre ich noch: Kieburg hat 1924 ausdrücklich die Abteilungsleiter angewiesen, vor der Inventur Stichproben über die Ist⸗ und Sollbestände der Läger vorzunehmen und darüber zu berichten. Für die entsprechenden Berichte, die als Unterlagen der falschen Bilanz der KVG. von 1985 dienten, waren meiner Meinung nach die Abteilungsleiter Krause und Liebert verantwortlich. Auf Fragen der Abgg. Ob uch Comm), Meistermann

(Zentr) und Drügemüller (Soz.) führte Som mermeier u. a. aus: Es trifft nicht zu, daß man dem Revisionsbeamten Schwarze gewissermaßen ein Arbeitsgebiet nach dem anderen eat⸗ zog. Schwarze wird zugeben müssen, daß auf seine Reklamation mmer eingegangen wurde. Allerdings ging es einmal nicht weiter; bei Schwarze waren nämlich 5000 Rechnungen, die ge⸗ prüft werden sollten, im Rückstand geblieben. Von einem Kalt⸗ stellen Schwarzes kann keine Rede sein. Das Kassen⸗-Nebenbuch über den sogen. „Schwarzen Fonds“ ist der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Abg. Könnecke (D. Nat.); Die Haupt⸗ prüfungsstelle hat schon am 17. . 12265 Mängel in der Buch⸗ führung der BuülG. gerügt. Der Bericht moniert z. B., daß die am 6. 6. 1925 für Sklareks aus der Kasse entnommenen 200 000 Mark den Sklareks erst am 26. 6. zur Last geschrieben wurden. Som mermeier: Wenn das so gebucht worden ist, war es eben falsch. Näheres darüber weiß ich aber nicht, weil dazu be—⸗ sondere Beamte da waren. Der Zeuge verwahrte sich dagegen, daß man etwa ihm deshalb Vorwürfe machen könne. Auch hätte er z. B. bei dem riesigen Betriebe der BAG. nicht wissen können, daß Liebert als zuständiger Abteilungsleiter u. 4. eine Rechnung über 8700 Mark einfach nicht aufführte, um die Bilanz besser er⸗ scheinen zu lassen. Abg. Hill ger Spiegelberg (D. Nat): Die Hauptprüfungsstelle hat 1927 ausdrücklich fes g felt daß in der Liquidations⸗Bilanz der KBG. per 31 März 1926 für rund 444 000 Mark Waren als e. aufgeführt wurden, die der KVG. gar nicht gehörten, sondern die Kieburg in seiner Eigen— schaft als gleichzeiliger Leiter der BAG. einfach von dieser Gesell⸗ schaft während der Fnventur übernahm. Die Hauptprüfungsstelle spricht von einer Bilanzfälschung. So mmermeier: Es ist niemals eine Bilanz frisiert worden. Ich habe die Bilanzen nur nach dem mir gegebenen Zahlenmaterial aufgestellt. Ich hatte etwa 30 Buchhakter, bei denen einer auf den anderen achtete, und kann mir nicht denken, daß da eine Fälschung möglich war. Abg. HFillger (B. Nat): Ist Ihnen als Kaufmann nicht bewußt ge⸗

worden, daß Sie sich auf eine schiefe Ebene begeben, wenn im Hauptkassenbuch der von den Fabrikanten gewährte Rabatt von 14 Prozent, der in den Direktionsfonds floß, gar nicht in Er⸗ scheinung trat? Sommermeier: Nein, zumal nach An⸗ weisung meines Direktors Kieburg diese Beträge ja in einem Nebenkassabuch geführt wurden. Als Abg. Hillger (D. Nat.) darauf aufmerksam machte, daß der frühere Revisor Schwarze im Zuhörerraum sei und bei den Bekundungen Sommermeiers wiederholt den Kopf geschüttelt habe, wurde die Oeffentlichkeit für kurze Zeit ausgeschlossen, um über eine Gegenüberstellung von Schwarze, Heinricht und Sommermeier zu beschließen. 2 Nach Wiederherstellung der Oeffentlichkeit teilte der Vor⸗ sitzende den Beschluß mit, den Bücherrevisor Schwarze als Zeugen zu vernehmen. Zunächst wurde die Vernehmung des Jeugen Som mermeier zu Ende geführt. Auf Befragen ag den Abg. Riedel (Dem) erklärte der Zeuge, das Kassennebenbue wurde nur dem leitenden Geschäftsführer vorgelegt; ob die Prüfung ommissian es vor Augen bekommen hat, weiß der Zeuge nicht. Nach Eintritt des Obermagistratsrats Schalldach sst die zunächst zurückgewiesene Bilanz in Ordnung gebracht worden, dabei müssen falsche Buchungen berichtigt worden sein. Fehlbuchungen können nur auf die Textilabteilung zurückgeführt werden. Deren Abteilungsleiter Liebert ist auf Veranlassung von Herrn Schalldach beurlaubt und vor einigen Tagen entlassen worden. Auf Fragen des Abg. Ob uch (Komm): Bis dahin hat Herr Liebert mir noch geschäftliche Meldungen gemacht. Wie ie Geschäfte der Städt. KBG. mit der BAG. zustandekamen, war für mich vollkommen undurchsichtig. Auf Fragen des Abg. Tadendorff (Wirtsch. P): Halten Sie es als Hauptbuchhalter überhaupt noch für zulässig, daß nach amtlicher Feststellung einer Bilanzfälschung die Bücher nachträglich noch durch Buchungen geändert, glatkgemacht werden? Zeuge: Niemals würde ich wissentlich eine falsche Buchung vornehmen lassen. Bei der Auf⸗ stellung bin ich zugegen gewesen, die Hauptyrüfungsstelle hat in meiner Gegenwart die Buchungen richtiggestellt. Sagen Sie mir, um welche Buchungen es sich handelt, dann werde ich vielleich Auskunft geben kö5denen. Eine Aenderung des Systems mußte Platz greifen. Der betreffende Buchhalter schrieb sofort, die Kassenrechnung aus und die Prüfungsstelle konnte sie prüfen. Auf Fragen durch den Abg. Metz enthin (D. Vp. : Beim Ein⸗ tritt des Obermagistratsrats Schalldach wurde das ganze System grundlegend geändert, so daß Fehlbuchungen nicht mehr vorkommen konnten! Aus dem Hauptkassenbuch konnte man die Existenz eines Nebenkassenbuches nicht ersehen; nur am Jahresende sollten Debet und Kredit des Rebenkassenbuches ins Hauptkassenbuch übertragen werden. Zeuge Schwarze (auf Befragen durch den Abg. Drügemüller Soz ): Der Vorfall, nach dem ich unbefugt Waren entnommen haben sollte, ist so gewesen: Ich habe Benzin durch einen Arbeiter der BAG. in meinen Tank gießen lassen, nachdem ich vorher die Erlaubnis dazu erhalten hatte. Zur Verbuchung der Rechnungen waren fünf Buchhalter vorhanden, in der Re⸗ visionsstelle war ich schließlich ganz allein. Jede Rechnung be⸗ stand noch dazu aus bis zu 29 verschiedenen Warenposten, so daß ich die Arbeit infolge Ueberlastung nicht bewältigen konnte. Dazu kam, daß ich auf drei Wochen in Urlaub ging. Da blieben die Rechnungen liegen und sammelten sich an. Dadurch erklären sich die 500) rückstaͤndigen Rechnungen. Zeuge Sommermeier: Das ist wohl nicht richtig, daß Herr Schwarze ganz allein war; da waren noch Hilfskräfte vorhanden. Richtig ist, daß man beim Urlaub nicht in jedem Fall eine Ersatzkraft einstellte; da muß der Betreffende sich eben etwas heranhalten. Später ist für jede Ab⸗ teilung ein besonderer Revisionsbeamter bestellt worden. Auf Befragen durch Abg. Drügemüller Soz ): Nach meiner Minung war der Lagerhalter Lemke nicht befugt, Herrn Schwarze Benzin zu verabfolgen. Zeuge Schwarze betonte demgegenüber, er sei doch dazu befugt gewesen. Das werde auch der Personalchef be⸗ zeugen können, der gleichfalls im Zuschauerrgum sitze. Abg. Riedel (Dem): Waren die Zustände in der BAG. so, daß Fie eine richtige Bilanz aufstellen konnten, wenn Ihnen die Ab⸗

teilungsleiter ordnungsgemäß das Naterial dazu gaben? Zeuge Som'mermeier: Unbedingt. Zeuge Sch wa x3 9 (auf Be fragen durch den Berxichterstatter Abg. Koenneckhe D. Nat.):

Die Quittung des Direktors Kieburg über 200 O9 Mark lag in der Kasse: ich wußte nicht, daß die Summe für Sklarek war, ich hatte das Empfinden, daß Herr Kiehurg die Summe zur Sicher⸗ stellung seiner Familie entnommen hätte. Aus dem Direktions⸗ fonds haben, wie ich später festgestellt habe, sehr. viele Angestellte Zuwendungen erhalten. Zeuge Sommermeier (auf Fig gen des Abg. Koch D. Nat), ob ihm bekannt ist. daß in einer Bilguz 100 060 Mark Miete anstatt auf die Aus gabenseite auf die, Ein⸗ nahmenseite gesetzt worden seien): Davon ist mir nichts belannt. Abg. Koch (D. Nat.): Es ist durch die Hauptprüfungsstelle eine solche Fehl⸗ bzw. Falschbuchung, also eine gefälschte Bilanz. fest⸗ gestellt worden. Zeuge Som m ermeier: Bon, einer be⸗ wußten Falschbuchung ist mir. nichts bekannt. Abg. woch (D. Nat): Wer ist für die Buchführung, die der Bilan zugrunde liegt, verantwortlich? So mmerm erer: Fur die Hilanz war ich der zuständige Buchhaltungschef. Abg. Koch (D. Nat); Sie hätten doch aber feststellen müssen, wer Ihnen das falsch Material gegeben hatte. Sommer mel gr Es waren zwei Abteilungslelter in der Textilwarenabteisung: Liebert und Krause. Ich kann daher eine einzelne Person nicht nennen, sondern nur die Textilabteilung.

Abg. 1 ö Ich laube, wir nähern uns schon wieder dem Gebiet bzw. einer . . der strafrechtlichen Untersuchung vorbehalten ift. Vors. Abg. Schwenk (Komm.); Die Befragung der Zeugen ist beendet, die Heug h sind entlassen. Abg. Koch (d. Nat.): Es handelte sich doh nicht um Befragung von Personen, dis einer trafbaren Handlung bezichtigt sind, sondern um. den Versuch, ur eugenbefragung die Verantwortlichkeit he immter Per⸗ sonen festzustellen Herr Riedel wollte aber wieder eine Ent ien fe fer unternehmen. Abg. Riedel (Dem): Ich protestiere entschieden gegen diese Unterstellung, daß ich eine Ent⸗ lastun offen si vz unternehmen wollte. (1bg. Obuch Kamm; Sine nf na Ein Vertreter des Just izministeriu ms Illnlt er habe in der Art der Befragung eine Gefährdung des Zweckes der ö Untersuchung nicht gesehen. (Zuruf rechts: Na also)h ö ö . .

Sodann wurde der frühere Stadtkämmerer Kar dimg ver⸗ nommen, der u. a. ausführte: 1923, während der Inflation, sahen wir alles von dem Gesichtspunkt aus an, daß Geld wertlos, Sach⸗ werte aber sehr bedeutsam waren. Das alt auch noch für die eeste Zeit nach der Stabilisierung. Deshalb gaben wir 1924, nach eingehenden Besprechungen im Magistrat, guch der städtischen KVG. und der BAG. Kredite für Einkäufe. Uebrigens wurden damals aus gleichen Erwägungen auch Mittel für den Ankauf von U-⸗Bahn⸗Akttien gegeben. Berichterstatter Koennecke D. Nat): Nach den Statuten sollte Kredit aber nur mit Ge⸗ nehmigung des Aufsichtsrats gewährt werden. In den Aufsichts= ratsproiokollen ist aber niemals von Krediten die Rede. Sie

(Fortsetzung in der Ersten Beilage.)

Veran twortlicher Schriftleiter: J. V.: Weber in Berlin. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Rechnungsdirektor Mengering in Berlin.

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Perlin, Mittwoch, den 18. Dezember, abends. Postschecktonto: Berlin 41821.

1929

m

Inhalt des autlichen Teiles:

Deutsches Reich.

Bekanntmachung über den Londoner Goldpreis. Fil mverbot.

Amtliches. Deutsches Reich.

Betanntmachung über den Londoner Goldpreis gemäß §?2 der Ver— ordnung zur Durchführung des Gesetzes über wert— beständige Hypotheken vom 29. Juni 1925 (RGBl. 1 S. 482). Der Londoner Goldpreis beträgt sür eine Unze Feingoldi!⸗« .. . 34 Sh. 10t d, für ein Gramm Feingold demnach . . 32,7375 penge. Vorste hender Preit gilt für den Tag, an dem diese Bekannt- machung im Reichsanzeiger in Berlin erscheint, bis einschließlich des Tages, der einer im Reichsanzeiger erfolgten Neuveröffentlichung vorausgeht. Berlin, den 18. Dezember 1929. Neichsbantdirektorium. Dreyse. Fuchs.

Film verbot.

5 Die öffentliche Vorführung des Bildstreifens: „Das Geheimnis im Chinesenviertel“. 8 Akte 2358 m, Antrag⸗ steller; Hegewald⸗Film G. m. b. H. Berlin, Ursprungtzfirma; Syndicate Pictures, New York, ist am I7. Dezember 1929 unter Nr. 648 (Prüfnummer 24 359) verboten worden.

Berlin, den 17. Dezember 1929. Der Leiter der Filmoberprüßsstelle. Dr. Seeger.

Nichtamtliches. Deutscher Reichstag. 1I7. Sitzung vom 16. Dezember 1929.

Nachtrag.

Die Rede, die der Reichssingnzminister Dr. . zu Beginn der Beratung des Gesetzes über Zolländerungen gehalten hat, lautet nach dem vorliegenden Slenogramm, wie folgt:

Meine Damen und Herren! Die Vorlage, die heute zu Ihrer Beratung steht, bildet den zweiten Teil der gesamten Wirtschafts⸗ politik der Reichsregierung, und sie steht so in innigem Konnex mit den von Ihnen behandelten Fragen der Finanzen, weil ja in Verbindung mit der Steuersenkungsaktion die Neuregelung wichtiger Zollfragen dazu bestimmt ist, unserer gesamten Wirt⸗ schaft einen Auftrieb zu geben und ihre Produktionsfähigkeit zu steigern. Es wäre nun sehr interessant, ausführlich auf die Zoll⸗ vorlage einzugehen, weil, wie ich glaube, diese Zollvorlage einem neuen Prinzip Ausdruck gibt; ich muß mich aber angesichts der Geschäftslage des Reichstags auf einige prinzipielle Bemerkungen beschränken.

Es ist zunächst klar, daß dieser Gesetzentwurf noch vor Weih⸗ nachten verabschiedet werden muß, weil sonst ein Vakuum ein⸗ treten würde, das unsere Wirtschaft nicht vertragen könnte. Wir haben aber auf der anderen Seite auch geglaubt, daß die Ver— längerung des Zolltarifs bei den industriellen Positionen ohne wesentliche neue Aenderungen des bisherigen Tarifs vorgenommen werden soll. Wir sind der Meinung, daß es gefährlich wäre, wenn jetzt etwa durch Erfüllung von verschiedenen Wünschen ver⸗ schiedener Industriezweige, deren an sich oft prekäre Lage wir durchaus nicht verkennen, gerade von Deutschland eine neue Welle des Protektionismus ihren Ausgang nähme. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten) Es ist ja bekannt, daß die Steigerung des Protektionismus nach dem Kriege gerade Industrieländer wie Deutschland besonders hart trifft, und gerade wir haben das Interesse, daß keine weitere Vermehrung sondern im Gegenteil ein Abbau der Schutzzölle international erfolge. der Zeitpunkt, in dem wir jetzt diese Vorlage verabschieden, uns zu besonderer Vorsicht mahnen muß. über die Einführung eines einheitlichen Zollschemas verhandelt wird. Wir hoffen, daß die Erörterung dieser Frage Gelegenheit geben wird, protektionistischen Wünschen auch in anderen Ländern

Ich glaube, daß

Sie wissen, daß in Genf

gewisse Hemmungen zu bereiten; das einheitliche Zollschema wird geeigaet sein, der öffentlichen Meinung einen besseren Vergleichs- maßstab für die Höhe der einzelnen Schutzzollmauern zu geben, so daß die öffentliche Meinung in den verschiedenen Ländern leichter gegen die Ueberhöhung des Schutzzolles wird Stellung nehmen können.

Es kommt aber noch ein bedeutsameres Moment hinzu. Das ist der Vorschlag, der namentlich von der englischen Reglerung verfolgt wird, einen Zollfrieden zunächst für eine bestimmte Zeit zu schließen. Das ist ein sehr bedeutungsvoller Vorschlag, und wir müssen uns hüten, in der Welt etwa den Eindruck zu er⸗ wecken, als nähmen wir kurz vor der Behandlung dieser Frage Zollerhöhungen vor, die natürlich auch für andere Länder das Signal würden, ihrerseits ebenso vorzugehen. Ich messe dem Zu⸗ standekommen eines solchen Zollfriedens gerade vom Standpunkt der deutschen Wirtschaft und der deutschen Industrie stärkste Be⸗ deutung bei; denn ich hoffe, daß es in einer solchen Atmosphäre wirklich gelingen wird, den Kampf gegen den Protektionismus auf internationaler Basis zu verstärken.

Deswegen sind wir von dem Prinzip ausgegangen, Ihnen in bezug auf die Industrie nur dort Vorschläge zu machen, wo es sich um unvermeidliche Korrekturen handelt oder wo bestimmte Beschlüsse des Handelspolitischen Ausschusses vorliegen. Dabei haben wir uns von dem Prinzip leiten lassen, Erhöhungen der autonomen Positionen dort nicht vorzuschlagen, wo diese Positionen bereits durch Sandelsverträge gebunden sind. Wir glauben, das wäre im Grunde genommen eine Geste, die, weil ja die Bin dungen vorliegen, der betreffenden Industrie nichts nützen würde, im Auslande aber ausgenutzt würde, trotz des Scheindaseins dieser Erhöhungen neue Schutzzollforderungen zu stellen. Die Vor⸗ schläge für die Industrie haben also, im Gesamtrahmen gesehen, keine allzu große Bedeutung, ste lassen den Zustand im wesent— lichen so wie er ist.

Trotzdem wäre es falsch, die Bedeutung dieser Vorlage zu unterschätzen; denn ste bringt einen Schritt vorwärts in prin⸗ zipieller Beziehung. Darüber lassen Sie mich noch kurz einige Ausführungen machen. Sie wissen, daß, je stärker sich die Organi⸗ sationstendenzen in der kapitalistischen Wirtschaft durchgesetzt haben, auch die Funktion der Handelspolitik und der Zölle eine andere geworden ist. Während im Stadium der freien Konkurrenz Schutzzölle im wesentlichen gerechtfertigt wurden und bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt waren als Erziehungszölle, als Schutz der Schwachen, ist, seitdem die Organisation der kapita⸗ listischen Industrie immer weitere Fortschritte gemacht hat, die Bedeutung der Schutzzölle eine ganz andere geworden. Sie sind im wesentlichen ein Mittel geworden, die Kartell⸗ und Trust⸗ bildung zu erleichtern, und sie dienen in immer stärkerem Maße nicht mehr dem Schutz der Schwachen, dem Schutz einer sich ent⸗ wickelnden Industrie, der, wenn die Industrie sich entwickelt hatte und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig geworden war, die Zölle überflüssig machen sollte, sondern sie dienen der Erhaltung der Kartelle und der Erhöhung des Kartellprofits, indem sie dem Kartell den inländischen Markt reservieren und ihm ermöglichen, die Inlandspreise um den Betrag des Zolles dauernd über Welt⸗ marktpreis zu halten. In den letzten Jahren ist die Entwicklung einen weiteren Schritt gegangen. Beim Uebergang der Kar⸗ tellierung von nationalen zu internationalen Organisationen ist der Schutzzoll immer mehr zugleich ein Mittel gewesen, den Quotenkopf innerhalb dieser internationalen Kartelle und Trusts zu führen. Es ist infolgedessen ganz klar, daß in einem solchen Stadium die Handelspolitik begleitet sein muß von gewissen Maß- nahmen der Marktregelung und der Preisüberwachung, wie wir sie in der Kartellgesetzgebung, wenigstens in ihren Anfängen, zu verzeichnen haben.

Aber dieselbe Entwicklung, die in der Industrie zu solchen Maßnahmen geführt hat, erweist sich nun bei der Lage der Land⸗ wirtschaft nach dem Kriege gerade für diese von ganz besonderer Bedeutung. Wie ist hier jetzt die Situation zunächst in politischer Beziehung? Ich glaube, die Tatsache, daß die Lage der Landwirt⸗ schaft nach dem Kriege eine bedrückte und außerordentlich schwierige geworden ist, steht heute außerhalb des politischen Kampfes; die wird heute von allen Parteien anerkannt. Zu⸗ gleich hat sich aber herausgestellt, daß für gewisse Gebiete der Landwirtschaft bloße Maßnahmen der Zollpolitik ungenügend sind, daß diese nicht ausreichen, um wirklich Hilfe zu schaffen. Auch das steht außerhalb des politischen Streites, daß für die Hebung der Lage der landwirtschaftlichen Produktion das Wichtigste jene Maßnahmen sind, die man als Selbsthilfe der Landwirtschaft be⸗ zeichnet, also alle die Maßnahmen der Standardisierung, der Rationalisierung innerhalb der landwirtschaftlichen Produktion und dann das große Problem der Verkürzung der Handels⸗ spanne zwischen landwirtschaftlichen Produzenten und Konsu⸗

menten. Es ist ja bekannt, daß diese Handelsspanne sich in der Nachkriegszeit außerordentlich vergrößert hat, daß diese Produ⸗ zenten Preise bekommen, die nur einen ungenügenden Bruchteil dessen darstellen, was der Konsument wirklich für die Ware zu zahlen hat.

Trotzdem müssen in einer so schweren Lage der Landwirt⸗ schaft gewisse Maßnahmen, zum mindesten Uebergangsmaßnahmen, getroffen werden, um der Landwirtschaft die Möglichkeit zu geben, die Selbsthilfe auch wirklich durchführen zu können. Das gilt namentlich für den Getreidebau. Hier liegen die Verhältnisse wieder vollkommen verschieden beim Weizen und beim Roggen. Beim Weizen hat sich bekanntlich die Lage auf dem Weltmarkt be⸗ sonders verschärft, weil seit dem Kriege die Anbaufläche für Weizen um 12 vH zugenommen hat, weil eine Steigerung der Hektarerträge zu verzeichnen ist, und eine Reihe von Staaten organisatorische Maßnahmen getroffen haben, um den Export des Weizens zu erleichtern.

Wenn man auch immer wieder darauf verweisen muß, daß die Getreideproduktion nicht das Wichtigste innerhalb der land⸗ wirtschaftlichen Produktion überhaupt ist, daß die Schweine⸗ produktion in ihrem Wert z. B. das Doppelte der Roggenernte ausmacht, daß der Milcherlös mehr bringt als der Erlös aus allen Getreidearten zusammen, so ist es doch ganz klar, daß auch die Krise des Getreidebaues Abhilfe fordert.

Nun ist die Frage beim Weizen verhältnismäßig einfach, weil wir beim Weizen ständig mit einem starken Einfuhrbedarf rechnen müssen und hier eine Zollerhöhung eine wirksame Maßnahme ist. Die Dinge liegen beim Weizen augenblicklich so, daß der Weizen⸗ preis von ungefähr 230 RM 120 bis 125 vH der Vorkriegspreise beträgt, und diese Differenz von 20 bis 25 vH nicht ausreicht, um die Produktionskosten voll zu decken. (Abgeordneter Gandorfer: Stimmt nicht!)

Hier ist also eine gewisse Erhöhung durch Zollmaßnahmen zu berantworten, nur muß unserer Auffassung nach gleichzeitig dafür gesorgt werden, daß auch ein Schutz der Konsumenten vorhanden ist, wenn etwa bei schlechtem Ausfall einer Weizenernte die Preise allzu stark in die Höhe gehen. Deswegen und das ist die prinzipielle Neuerung soll hier versucht werden, das Interesse des Produzenten mit dem Schutz des Konsumenten zu verbinden und namentlich auch das Interesse der Landwirtschaft an der Stabilität der Preise herzustellen. Das soll dadurch erreicht werden, daß der Zoll nicht starr gestaltet, sondern daß ein Gleit⸗ zoll eingeführt wird, der in der Richtung wirkt, ein bestimmtes Preisniveau festzuhalten, das bei Weizen zwischen 250 und 270 Reichsmark pro Tonne liegen soll.

Alle die Einwände, die man gegen den Gleitzoll geltend ge⸗ macht hat, treffen bei diesem System im wesentlichen nicht zu, denn es ist bei der gegenwörtigen Lage des Weltweizenmarktes nicht zu erwarten, daß von dem System der Gleitzölle allzuviel und allzuoft Gebrauch gernacht wird. Soweit eine Voraussage möglich ist, wird das auch in den nächsten Jahren nicht der Fall sein. Wir können also in der Praxis damit rechnen, daß der Zoll, der einmal bestimmt ist, auch für eine gewisse Zeit bestehen bleiben wird, so daß die Nachteile, die durch ein allzu häufiges Gleiten des Zolls eintreten würden, insbesondere die Ermöglichung der Spekulation für den Handel, auf diese Weise nicht eintreten werden. Der Gleitzoll ist im wesentlichen ein Katastrophenschutz, der den Konsumenten vor einer allzu starken Verteuerung der notwendigen Lebensmittel schützen soll, falls einmal eine sehr schlechte Ernte eintritt.

Gerade weil wir ein allzu häufiges Gleiten des Zolls nicht zu erwarten haben, ist es auch richtig, die Einfuhrscheine auf den niedrigsten Zollbetrag festzulegen. Ich glaube nicht, daß da⸗ durch Nachteile entstehen werden, am allerwenigsten beim Weizen, denn die Weizenausfuhr aus Deutschland bedeutet ja sowohl volks- wirtschaftlich als auch für die deutschen Landwirte einen Nachteil. Wir sorgen ja jetzt schon durch den Vermahlungszwang dafür, daß ein erheblicher Teil des deutschen Weizens in Deutschland ver⸗ braucht wird. Die Ausfuhr findet aber regelmäßig unmittelbar nach der Ernte statt, und zwar zu gedrückten Preisen, während wir im späteren Verlauf des Jahres das entsprechende Weizen- quantum zu höheren Preisen vom Auslande zurückkaufen müssen. (Abgeordneter Gandorfer: Das ist ja falschh Das ist nicht falsch; das kann gar nicht anders sein. Das wiederholt sich in jedem Jahre und läßt sich ziffernmäßig belegen. Volkswirt schaftlich ist diese Ausfuhr kein Vorteil, und für die Landwirte ist der Nachteil der, daß der Weizen bei der Ausfuhr zu einem Preis verkauft werden muß, der um die Fracht geringer ist als der Preis, der dann im zweiten Teil des Jahres erlöst werden kann. In Verbindung mit dem Vermahlungszwang und mit dieser Art des Zollschutzes ist es, glaube ich, durchaus gerechtfertigt, wenn wir kein Einfuhrscheinsystem wählen, das eine künstliche Förderung des Exports darstellt.

nnn * 2