Reichs- und Staatsanzeiger Nr. 49 vom 27. Februar 1931.
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mal mehr die Gestehungskosten. Die Marktbereinigung ist also dringlich. Tempel behauptet, Schuld daran sei die Verteucrung der Futtermittel durch die Zölle, Das ist nicht richtig. Denn die Schweinemast bringt Verlust, ob man eigenes oder aus⸗ ländisches Futter benutzt. Zur wirksamen ODsthilfe gehören auch Bahnbauten, namentlich im Kreise Crossen. Wie würde wohl die deutsche Außenhandelsbilanz aussehen, wenn man die deuische Landwirtschaft ganz preisgäbe? Dann würde die Ar⸗ beitslosigkeit ins Ungemessene steigen. Vier Fünftel der Indu⸗ strieprodukte werden nun einmal vom Binnenmarkt aufge⸗ nommen. Grundlage des Binnenmarktes, also auch der Industrie, ist aber eine kaufträftige Landwirtschaft. Zölle und Subven⸗ tionen bilden also keine Bereicherung für die Landwirtschaft, sondern fie sind dazu angetan, die gesamte deutsche Wirtschaft wieder gefunden zu lassen und die Arbeitzlosigkeit allmählich zu beseitigen. Wir verurteilen es, daß Abgeordnete, die mit Bauernstimmen gewählt worden sind, in einem Augenblick den Parlamentssitzungen fernbleiben, wo es sich um— Leben oder Sterben der deutschen Landwirischaft handelt. Wir klagen an Abgeordnete, die mit Landvolkstimmen gewählt worden sind, jetzt aber im Lande draußen der Wahrheit ins Gesicht schlagen und das Landvolk zur Empörung aufrufen. Ich klage an die Abgeordneten, die mit Bauernstimmen gewählt sind, aber in der allerschandlichften Weise Minister Schiele bekämpfen. Ich rufe dem Minister zu, er möge weiter kämpfen wie bisher. Denn Lügen haben kurze Beine, die Wahrheit wird den Sieg davon⸗ tragen. Landgraf werde hart! (Lebhafter Beifall beim Land volk.) .
Abg. Kerp (Zentr) spricht seine Genugtuung aus über die Richtlinien, die die Regierung für die Behandlung der Winzerkredite im Ausschuß mitgeteilt habe. Danach sollen erftens die rückständigen Zinsen der Kredite von 1927 bis Ende 1931 eingezogen, oder soweit sie nicht gezahlt werden, zum Ka⸗ pital zugeschlagen werden. Zweitens soll von der Erhebung der Zinsen aus den Jahren 1928-1930 2 werden. Drittens sollen vom 1. Januar 1931 ab die Kredite mit anderthalb Prozent verzinst werden, wovon einhalb Prozent an die Reichs⸗ kassen abzuführen ist. Viertens sind die Schuldsummen, be⸗ ginnend vom 15. November 1931 an, mit 10 gleichen Jahresraten zu tilgen. Fünftens sollen die aus dem unberzinslichen Zwölf⸗ millionenkredit gegebenen Summen in der gleichen Weise ge⸗ tilgt werden. Die an das Reich zurückfließenden Beträge sind restlos zur allgemeinen Förderung des Weinbaues zu verwenden. Damit, so fährt der Redner fort, hätte die ganze Frage der Vinzerkredite eine richtigere und das Volksganze besser berück⸗ sichtigende Regelung gefunden als bisher. Tamit werde endlich einmal die Frage der Winzerkredite aus der Sphäre der agita⸗ tionslüsternen Leidenschaften herausgenommen. Der Redner bittet weiter die Regierung, die Ausführungsbestimmungen zum Weingesetz dem Reichsrat baldigst zuzuleiten, damit sie noch am 1. April in Kraft treten können. Den Ernährungsminister bittet er, auf dem Wege fortzuschreiten, den er in den Ver⸗ handlungen mit Italien eingeschlagen habe, und alle Weinzölle, die nicht gebunden seien, den Wünschen des Weinhaues ent⸗ sprechend zu gestalten. Mit Genugtuung stellt er fest, daß die allerdings bescheidenen Mittel, die seit einigen Jahren zur Siche⸗ rung der Existenz der allerkleinsten Winzer für die Winzer⸗ genoͤssenschaften gegeben werden, auch im nächsten Etatsjahr weiterlaufen, wenn sie auch nicht im Etat selbst erscheinen, jene Mittel, die früher aus der Weinsteuer und künftig aus dem Rotprogramm entnommen werden sollen. Zum S luß spricht der Redner seine Genugtuung darüber aus, daß in der Frage der Winzerkredite endlich eine Entspannung eingetreten sei.
Abg. Elsa Matz (D. Vp.) begründet eine Entschließung ihrer Fraktion, die Reichsregierung zu ersuchen, für eine baldige Vor⸗ lage der Bestimmungen über die Standardisierung der Erzeugnisse der Landwirtschaft und des Obst⸗ und Gemüsebaues Sorge zu tragen, um der Auslandskonkurrenz wirksam zu begegnen und den Binnemarkt der heimischen Erzeugung stärker zu erschließen. Die Rednerin tritt dafür ein, daß auch die Hausfrauenorganisationen an den Maßnahmen beteiligt werden.
Abg. Haag (D. Landvolk) weist darauf hin, daß der Bauern⸗ stand 15 bis 2 Milliarden Mark zu wenig Lohn erhalte, daß er also die Opfer bringe. Der Bauer könne nicht mit einem Index von 142 rechnen, sondern nur mit einem solchen von 107. Der Redner erwartet, daß die Bindungen für Obst⸗ und Weinbau durch Verhandlungen, namentlich mit den Mittelmeerstaaten, baldigst beseitigt werden. Es müßten alle Maßnahmen getroffen werden, um die Absatzverhältnisse für den deutschen Wein- und Obstbau zu verbessern. .
Abg. Dr. Ho rlacher (Bayer, Vp.) wünscht Erleichterung für Unterbringung des Oberbayerischen Großviehüberschusses. Die Einfuhrscheine für Vieh müßten so gehandhabt werden, daß der Viehüberschuß von den betreffenden Stellen weggeschafft wird. Die Einfuhrscheine für Hafer müßten spätestens am 1. April 1931 wieder hergestellt werden. Die Einfuhrscheine seien überhaupt ein notwendiges Instrument der Agrarpolitik. Wenn sie durch⸗ e, g,. Wirkung haben sollten, müßten sie das ganze Jahr urchgehalten werden. Es müsse die absolute Gewähr far ihre Wiederherstellung bestehen. Die Verhandlungen Die Gefahr sei
e z 1 darüber geben aber zu größten Bedenken An aß. vorhanden, daß hier auf einem wichtigen wirtschaftlichen Gebiete
rein fiskalische Gesichtspunkte angewandt werden. Der 6 möge gerade für die bäuerliche Bevölkerung eine beruhigende Er⸗ klärung abgeben. Die Zuckerrübenfrage sp*ll im Süden eine große Rolle. Bei den im Abschluß befindlichen Kontingen⸗ sierungsverhandlungen müßten die Rechte der bäuerlichen Bevölke⸗ rung unbedingt gewahrt werden. Der Minister müsse unter allen Umständen für die Einrichtung der Organisationen der Milch⸗ verteilung sorgen. Der Landwirt müsse davon untexrichtet werden, in wie vielen Dingen er heute dem Wucher ausgesetzt sei. Dem Wuchertum müsse endlich wieder gesetzlich entgegengetreten werden. Die Bayerische Volkspartei habe den dringenden Cre , daß alle Erwartungen des Ministers in Erfüllung gehen.
Abg. Moericke (Komm.) , ein Eingehen des Ministers auf die große Notlage der 3 Millionen Landarbeiter und Landarbeiterinnen. Die 6 rundbesitzer gingen jetzt an einen 20⸗ bis 30 8, igen Abbau der . so geringen Landarbeiter⸗ löhne. Die Notlage werde, noch durch die Bestimmungen des Ausmahlungsgesetzes vergrößert. Den Landarbeitern würden dadurch — unter Zustimmung der Sozialdemokraten — 100 Depu⸗ tatbrote im 6. vom Munde weggestohlen. Der Redner schildert ferner die elenden Wohnungen auf dem Lande, die die Arbeiter nur unter äußersten Qualen benutzen könnten. Bei einer Kündi⸗ gung müßten die Familien oft tagelang unter freiem Himmel zu⸗
ingen. Das sei die Kultur eines Dr. Wirth, die Kultur einer kapitalistischen Republik. Die Sozialdemokraten wollten den Landarbeitern g, . mit einem Stückchen Gartenland y n. damit die Arbeiter nur ja an die Scholle und ihren öostelbischen Gutsherren gefesselt blieben und sich weiter mit der Reitpeitsche behandeln lassen müßten Die Landarbeiter müßten sich unter kommunistischer Fahne zusammenschließen zum Kampf gegen Faschismus und Sozialdemokratie. Der Landarbeiter⸗ verband unter der Führung des Sozialdemokraten Schmidt⸗Cöpe⸗ nick schließe selbst in seinen Satzungen den Streik der Landarbeiter aus, weil die Arbeiten für die Volksernährung zu den Notstands⸗ arbeiten zu rechnen seien. Die Sozialdemokraten seien nicht würdig, den Landarbeitern die Schuhe zu putzen.
Damit schließt die Aussprache über den Haushalt des
Preußischer Landtag. 206. Sitzung vom 25. Februar 1931, 12,20 Uhr. Nachtrag.
Die Rede, mit der der Justizminister Dr. Schmidt die 2. Beratung des Justizhaushaltes einleitete, hat nach dem vorliegenden Stenogramm folgenden Wortlaut:
Wie schon in früheren Jahren haben auch die diesjährigen
verwaltung eine Fülle wertvoller Anregungen und neuer Ge⸗ danken gebracht. Ich möchte deshalb die zweite Lesung unseres Haushaltsplans dazu benutzen, um hier an Hand der Ergebnisse der Ausschußberatung auf einige im Vordergrund des Inter⸗ esses stehende Angelegenheiten einzugehen.
Dabei darf ich vorausschicken, daß im Hauptausschuß die sparsame Aufstellung unseres Haushaltsplans auch in diesem Jahre wieder auf allen Seiten Anerkennung ge⸗ funden hat und mehrfach betont worden ist, daß an manchen Stellen mit der Sparsamkeit nicht weiter gegangen werden dürfe. Den Anträgen auf Erhöhung der Haushalts⸗ mittel für verschiedene Fonds wird die Justizverwaltung im Rahmen der gegebenen finanziellen Verhältnisse nach Möglich⸗ keit gerecht zu werden versuchen. Zu dem Wunsch nach einer Verstärkung der Mittel für die Büchereien der Justiz⸗ behörden darf ich bemerken, daß der Büchereifonds im Jahre 1924 noch 360 000 Mark betragen hat, dann allmählich erhöht worden ist und sich seit 1429 auf 1 Million Mark be⸗ läuft. Wir haben erreicht, daß dieser Fonds für das Jahr 1931 in bisheriger Höhe erhalten werden konnte, während sonst fast alle dispositiven Fonds gekürzt werden mußten. Sobald aber die Finanzlage des Staates es gestattet, werde ich auf eine weitere Erhöhung der Büchereimittel hinwirken.
Die sparsame Aufstellung des Haushaltsplans hat uns zu einem Verzicht auf jede Vermehrung von Plan⸗ stellen genötigt. Im Hauptausschuß habe ich bereits aus⸗ geführt, daß die Zahl der Planstellen bei der Justizverwaltung, die im Verhältnis zum Gesamtbestand des Justizpersonals nur 61,32 vn ausmacht, sehr gering ist (sehr richtig) und hinter dem Anteil der Planstellen in den übrigen preußischen Staatsver⸗ waltungen weit zurückbleibt. Diese Umstände machen es er⸗ forderlich, daß an das gesamte Justizpersonal hohe Anforde⸗ rungen gestellt werden müssen. Dem Personal der Justizver⸗ waltung spreche ich auch in diesem Jahr für seine großen Leistungen gern Dank und Anerkennung aus. (Bravo!)
Auch infolge der Uebertragung von Geschäften, die bisher von Beamten des höheren Dienstes wahrgenommen wurden, auf geringer besoldete Kräfte zählt der höhere Justizdienst nur noch 6500 Planstellen, während wir vor dem Kriege im größeren Staatsgebiet bei wesentlich geringerer Geschäftsbelastung etwa 7000 Stellen für Beamte des höheren Dienstes hatten. Gört, hört! Die Aufnahmefähigkeit der
den letzten drei Jahren waren zur Verbesserung der An⸗ stellungsverhältnisse jährlich neue Stellen für Richter und Staatsanwälte, übrigens auch für Justizobersekretäre, in größerer Zahl vorgesehen; da diese im Jahre 1931 fehlen, wird die Zahl der Neuanstellungen erheblich zurückgehen. Noch immer müssen also die Aussichten, im Justizdienst eine Lebensstellung zu finden, als außerordentlich schlecht bezeichnet werden chört, hört! rechts); nur der wirklich Tüchtige kann damit rechnen, daß er im Justiz⸗ dienst Unterkommen findet.
Die Warnungen, die ich an dieser Stelle in früheren Jahren aus Anlaß der Ueberfüllung der Justiz⸗ laufbahn ausgesprochen habe, sind nicht ganz ohne Wirkung geblieben. Im Jahre 19238 haben noch 5727 Reichsangehörige mit dem Rechtsstudium begonnen; diese Zahl ist 1929 auf 4628 zurückgegangen und wird für das Studienjahr 1930 rund 4000 betragen, ist aber auch so noch um etwa 85 vH höher als im Jahre 1913 chört, hört da im damaligen größeren Reichs⸗ gebiet nur 265 Personen mit dem Studium der Rechte be⸗ gonnen haben.
In der Zahl der preußischen Referendare macht sich dagegen immer noch ein starker Anstieg bemerkbar. Während 1926 der Jahreszugang an Referendaren noch rund 1400 betrug, hat er sich im Jahre 1930 auf nicht weniger als rund 2600 erhöht. (Hört, hört! Die Bedeutung dieser Steigerung möge daraus ersehen werden, daß der Zugang an Referendaren im Jahre 1913 im größeren Staatsgebiet nur etwa 1200 betrug, also um mehr als die Hälfte niedriger war. Am 1. Januar d. J. waren insgesamt über 8200 Referendare vorhanden chört, hörth; nach den angestellten Berechnungen muß mit einem weiteren Steigen dieser Zahl bis zum Jahre 1937 gerechnet werden. Auch bei den Gerichtsassessoren herrscht bedrohliche Ueberfülle; ihre Zahl ist von 2739 am 1. Februar 1930 auf 3079 am 1. Februar d. J. gestiegen. Die verhältnismäßig niedrige Zahl von zur Zeit 548 unentgeltlich beschäftigten Gerichts- assessoren darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Beschäfti⸗ gungsverhältnisse vielleicht im Augenblick, nicht aber für die weitere Zukunft befriedigende Aussichten bieten, da schon jetzt eine große Zahl von Gerichtsassessoren sich aus dem Justizdienst hat beurlauben lassen, um anderwärts den Lebensunterhalt zu finden.
Trotz dieses besorgniserweckenden Ansteigens der Zahl unseres Nachwuchses ist bisher davon abgesehen worden, die Zulassung zum Vorbereitungsdienst einer Be⸗ schränkung zu unterwerfen. Da der Vorbereitungsdienst auch für den öffentlichen Dienst bei anderen Verwaltungen die Grund⸗ lage bildet, will die Justizverwaltung sich der Aufgabe, den juristischen Nachwuchs in der Praxis auszubilden, auch weiterhin im Rahmen des Möglichen unterziehen. Allerdings darf unter dem starken Ansturm der Referendare die Ordnung des Aus⸗ bildungsdienstes nicht gestört werden. Bisher ist es noch gelungen, durch angemessene Verteilung der Referendare von beliebteren auf weniger begehrte Orte, durch Abkürzung einzelner besonders
Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. — Die Abstimmungen sollen am Dienstag stattfinden.
Nächste Sitzung Montag, 2. März, 3 Uhr.: Etat des Reichsinnenministeriums in Verbindung mit dem Gesetz gegen den Waffenmißbrauch. — Schluß gegen 5! Uhr.
F stark überfüllter Ausbildungsabschnitte und durch Verminderung der vorgeschriebenen Zahl an größeren praktischen Arbeiten den
organischen Aufbaus des Vorbereitungsdienstes gerecht zu werden. Mit Rücksicht auf den zu erwartenden Andrang läßt es sich aber
mit der Ausbildung verbundenen Aufgaben ohne Aenderung des
Beratungen des Justizhaushalts im Hauptausschuß der Justiz⸗
Ju st iz ver ⸗ waltung für junge Juristen ist daher recht beschränkt. In
nicht ermöglichen, schon den Studenten zwingend eine 9 Beschäftigung bei den Gerichten vorzuschreiben. Die ma un einer freiwilligen praktischen Tätigkeit bei Gericht ist wee 2 studierenden schon seit 1919 geöffnet; von ihr wird ind ö wenig Gebrauch gemacht. 24. Erhebungen über die Herkunft der Referendare haben ger daß, wenn auch ihre soziale Schichtung zur Zeit noch nicht * Wünschen entspricht, die Tendenz der Entwicklung doch auf an sich allmählich vollziehenden Ausgleich unter den verschla n Bevölkerungskreisen hinweist; die Zahl derer, die aus dem *. der arbeitenden Bevölkerung in die Justizlaufbahn eintret 3 dauernd im Steigen begriffen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz auf den Hauptausschuß angenommenen Antrag eingehen, mit n Heraufsetzung der Altersgrenze für Richter vom auf das 68. Lebensjahr erstrebt wird, und der in den n Jahren bei den Haushaltsberatungen wiederholt eingeben worden ist, ohne bisher die Mehrheit des Landtags für i gewinnen zu können. Als Chef der Preußischen Justizverwaltt muß ich auch in diesem Jahre angesichts der geschilderne schlechten Aussichten für unseren Nachwuchs von der Henan setzung der Altersgrenze nach wie vor abraten. Die Gründe n diese Stellungnahme sind erst am 12. Mai 1930 bei der eingehe den Aussprache im Rechtsausschuß über das gleiche Thema en schöpfend dargelegt worden; auf die damaligen gedruckt vorliegen den Ausführungen meines Vertreters kann ich verweisen. Ven in diesem Jahr im Hauptausschuß darauf hingewiesen ist, da der finanzielle Erfolg angeblich höher sei als bisher angenomme so bitte ich zu berücksichtigen, daß die im Hauptausschuß g nannten Zahlen die Erhöhung der Altersgrenze bei alle Beamtengruppen zur Voraussetzung haben und daß die finanzell Wirkung sehr viel geringer sein muß, wenn, wie beantragt, alt bei den Richtern die Altersgrenze heraufgesetzt würde. Aug würden den auf dem Papier errechneten Ersparnissen erheblich Mehrausgaben für Hilfskräfte gegenüberstehen, die mit Rüchhh auf die vielfach verminderte Leistungsfähigkeit und häufige Erkrankung älterer Beamten bewilligt werden müßten. Ech richtig!)
Die eben erörterte Ueberfüllung des höheren Justizdienstet hat sich auch unter der Rechtsanwaltschaft ausgewin Um die Mitte des Jahres 1913 zählten wir im größeren Staats gebiet rund 7600 Rechtsanwälte und müssen jetzt feststellen, in diese Zahl sich Mitte 1930 auf rund 10 600, also um etwa er erhöht hat. Angesichts dieser außerordentlichen Steigerung de Zahl der Rechtsanwälte kann es nicht wundernehmen, daß ni Rechtsanwaltschaft sich vielfach in bitterer Notlage befindet Zwar bin ich nach wie vor bemüht, auf eine Besserung der win schaftlichen Lage der Anwaltschaft hinzuwirken; leider aber biet sich hier für die Landesjustizverwaltungen nur wenig Gelegenhe
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zur Betätigung. Ich bin mir durchaus darüber klar, daß untet den herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen die Existenz eine nicht unerheblichen Zahl von Rechtsanwälten auf die ihnen z fallenden Armenmandate angewiesen ist, und daß deshalb die Höhe der Armenanwaltsgebühren für die Rechtsanwaltschaft don erheblicher Bedeutung ist. Gleichwohl glaube ich, daß die A waltschaft die Herabsetzung der Armenrechtsgebühren durch R Verordnung des Reichspräsidenten vom 1. Dezember 1930 jet in Kauf nehmen und den Gedanken an eine Gebührenordnumn als nicht vereinbar mit den Bemühungen um Preisabban auf allen Gebieten zur Zeit zurückstellen muß.
Angesichts der Lage der Rechtsanwaltschaft tritt die Not⸗ wendigkeit einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der Armen= mandate sehr in den Vordergrund. Vereinbarungen, wie ie beispielsweise im Bezirk des Kammergerichts zwischen den Organen der Justizverwaltung und den berufenen. Vertretern der Rechtsanwaltschaft zur Frage der Auswahl der Arme nanwälle getroffen worden sind, scheinen mir geeignet zu sein, eine gleich⸗ mäßige Handhabung unter Wahrung der berechtigten Interessen der Armenpartei durchaus zu gewährleisten. Daß die Justiy verwaltung im übrigen nach wie vor bemüht ist, eine übermãßige Belastung der Staatskasse durch Armensachen nach Möglichleit zu vermeiden, habe ich bereits im Hauptausschuß eingehend ausgeführt.
Lassen Sie mich noch kurz auf den sonstigen Inhalt der Nol⸗ verordnung vom 1. Dezember 1930 eingehen, soweit diese de Gebiet der Justiz berührt. Durch die Erhöhung der Wertgrenze für die Zuständigkeit der Amtsgerichte tritt eine nicht unerhel— liche Verschiebung in der Geschäftsbelastung unserer Gerichte ein. Die Oberlandesgerichte erfahren eine Ent⸗ lastung, und zwar nach den angestellten Schätzungen um etwa 107 vH der zivilprozessualen Berufungssachen, die sie an die dand gerichte abgeben; gleichwohl werden wir auch künftig — auf Hunderte abgerundet — mit etwa 40 200 Berufungssachen pio Jahr bei den Oberlandesgerichten rechnen müssen, also mit einer Zahl, die noch immer weit über die 27 600 Berufungssachen herausragt, die im Jahre 1913 nach dem jetzigen Umfang des Staatsgebietes berechnet bei den Oberlandesgerichten jährlih anhängig wurden. Bei den Landgerichten werden sich zwar die Berufungssachen jährlich etwa um 4800 auf 82 000 gegenüber 69 000 im Jahre 1913 erhöhen; dafür werden aber die erstinstanz⸗
lichen Zivilprozesse bei den Landgerichten von jährlich 286 00
auf etwa 223 000 zurückgehen. Wenn diese Zahl auch noch er⸗ heblich höher ist als die Zahl der erstinstanzlichen Prozesse im Jahre 1913, die sich nur auf etwa 166 000 belief, so vermindern sich die landgerichtlichen Prozesse im ganzen doch um etwa 16 v6. Bei den Amtsgerichten endlich wird schätzungsweise eine Zunahme der Zivilprozesse um 2,3 v eintreten. Die Notverordnung schafft somit durch die Erhöhung der Wertgrenze für die Zu ständigkeit der Amtsgerichte gewiß im ganzen genommen eine Erleichterung, sie wird aber keineswegs die Belastung unserer Gerichte durch Zivilprozesse auch nur annähernd wieder auf den Stand der Vorkriegszeit herabdrücken.
Die weitere Bestimmung der Notverordnung, die es ge⸗ stattet, Amtsgerichtsräte gleichzeitig bei mehreren Amtsgerichten anzustellen, gewinnt besondere Bedeutung für die Fälle, in denen jetzt die Richterkräfte durch die vorhandene Arbeitslast nicht vol ausgenutzt werden. Denn sie ermöglicht, daß in geeigneten Fällen nicht wegen jedes bei einem Gericht auftretenden eber pensums eine neue volle Richterkraft bewilligt werden muß
Neichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 49 vom 27. Februar 1931.
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ondern daß dem nicht voll beschäftigten Richter eines Nachbar⸗ erichts die oft nur geringe Mehrbelastung übertragen werden Auf diese Weise wird insbesondere bei kleineren Amts⸗ eine volle Ausnutzung der Richterkräfte erzielt werden Deshalb begrüße ich in der neuen Bestimmung einen der kleine Amtsgerichte lebensfähig zu erhalten ge⸗
lann. gerichten können. Ausweg, iignet ist. Bei der gerade jetzt wieder veranstalteten Prüfung der
Frage, ob nicht wesentliche Ersparnisse und Vereinfachungen durch Aufhebung solcher kleinen Amtsgerichte erzielt werden können, hat sich ergeben, daß die von der Aufhebung sleiner Amtsgerichte erhofften finanziellen Auswirkungen er⸗ blich hinter den Erwartungen zurückbleiben; es muß sogar befürchtet werden, daß eine solche Maßnahme nicht nur für die Bvevölkerung, sondern wenigstens in den ersten Jahren auch für den Staat mit Mehrausgaben verbunden sein wird. (Hört, hört! Ich stimme daher durchaus den Mitgliedern des Hauptausschusses zu, die empfohlen haben, in der Frage der Aufhebung kleiner Amtsgerichte größte Vorsicht walten zu lassen. Im Ausschuß ist mit Recht darauf hingewiesen, daß die Aufhebung von Amts⸗ gerichten, die in kleineren Orten vielfach die einzige Behörde und namentlich in ländlichen Gegenden das Kulturzentrum für eine peitere Umgebung sind, geeignet sein würde, die wirtschaftliche Not der Gemeinden wesentlich zu verschärfen.
In der Frage der zweckmäßigsten Gliederung und Unter⸗ pbringung der Gerichte in Groß Berlin ist es nun—⸗ mehr nach vielen Mühen gelungen, dem Arbeitsgericht ein vürdiges Heim in dem Gebäude des ehemaligen Kriegsministe⸗ riums zu bereiten, das seinem neuen Zwecke entsprechend in mustergültiger Weise um⸗ und ausgebaut worden ist. Für die Prüfung der Frage einer einheitlichen Unterbringung der drei Berliner Landgerichte sind im diesjährigen Haushaltsplan im Hinblick auf die finanzielle Notlage des Staates besondere Mittel nicht eingesetzt worden; aus den früher bewilligten Mitteln steht aber noch ein kleiner Ueberschuß zur Verfügung. Hoffentlich ann die Frage der räumlichen Zusammenlegung der Berliner Landgerichte — ein Ziel, das angesichts der politisch und wirt⸗ schaftlich einheitlichen Entwicklung der Stadtgemeinde Groß Berlin eine Notwendigkeit bedeutet — bald ihrer Lösung zu⸗— geführt werden. In der Zwischenzeit sind wir keineswegs un⸗ tätig; als alter Berliner habe ich, der ich diesen Fragen ganz besonderes Interesse entgegenbringe, mich mit dem Plan befaßt, ob es angängig ist, schon vor der räumlichen Zusammenlegung organisatorisch für das Stadtgebiet Berlin ein einheitliches Landgericht und ein einheitliches Amtsgericht, letzteres unter Aufrechterhaltung der auf die verschiedenen Stadtteile verteilten Geschäftsgebäude, und entsprechend auch eine einheitliche Staats⸗ anwaltschaft zu schaffen. Kammergerichtspräsident und General⸗ staatsanwalt beim Kammergericht sind beauftragt worden und setzt damit beschäftigt, diesen Plan nunmehr in den Einzelheiten auszuarbeiten.
Im Hauptausschuß habe ich bereits eingehend dargelegt, welche Aufgaben sich für die Justizbehörden mit der Bereini⸗ gung der Grundbücher verbinden. Ob trotz der beson⸗ deren Schwierigkeit dieser neuen Aufgaben Rechtspfleger zu ihrer Erledigung herangezogen werden können, wird zur Zeit noch geprüft; erforderte Berichte stehen noch aus. Der Anregung, auch die Bestandsverzeichnisse der Grundbücher möglichst gründlich zu bereinigen, wird schon seit längerer Zeit Beachtung geschenkt; durch Gewährung von Kostennachlaß oder Kostenfreiheit suchen wir die Vereinigung zersplitterten Grundbesitzes auf einem Grundbuchblatt zu erleichtern und zu fördern. Auf Grund des gleichzeitig mit dem Gesetz über die Grund⸗ buchbereinigung erlassenen Gesetzes über die Fälligkeit und Ver⸗ zinsung der Aufwertu ngshypotheken waren bis zum 10. Februar 1931 bei den preußischen Aufwertungsstellen gegen 12000 Anträge auf Gewährung von Zahlungsfrist für die gekündigte Hypothek gestellt; es hat jedoch den Anschein, als wenn zahlreiche von einer Kündigung der Aufwertungshypothek be⸗ troffene Schuldner von dem Recht, Zahlungsfrist zu verlangen, bisher keinen Gebrauch gemacht hätten. (3urufe: Das kommt noch) — Wir sprachen darüber ja vorhin schon privatim. Jeden⸗ falls bestand bei uns bisher dieser Eindruck. Um den Klagen über eine vielfach zu lange Dauer der Konkursverfahren zu begegnen, ist den Konkursgerichten be⸗ schleunigte Erledigung der Konkursverfahren ans Herz gelegt worden; über den Gang jedes Konkurses muß von Zeit zu Zeit berichtet werden, damit die Beschleunigung ständig überwacht werden kann. Das System der Abschlag⸗ zahlungen gilt gerade als ein besonderer Vorteil unseres Kon⸗ kursrechtes; doch würde es kaum der Absicht des Gesetzes ent⸗ sprechen, wenn schon Beträge von ganz geringem Wert an die Gläubiger verteilt würden, , . im Hauptausschuß mitgeteilt wurde. Daß im Vergleichsv rfahren die Durchführung des geschlossenen Vergleichs häufig Schwierigkeiten bereitet, ist aus gelegentlichen Erörterungen im Schrifttum bekannt; dieser Er scheinung wird von den maßgebenden Stellen — die Vergleichs⸗ ordnung ist Reichsrecht — die nötige Aufmerksamkeit entgegen⸗ gebracht, damit aus den Erfahrungen der Praxis Lehren gezogen werden können. Ferner ist im Hauptausschuß darüber geklagt worden, daß Beamte, die durch ihr Verschulden Parteien oder sonstigen Beteiligten einen Schaden zugefügt haben, namentlich aber Grundbuchbeamte, auf Grund ihrer Ersatzpflicht vielfach unbillig haftbar gemacht würden. Demgegenüber möchte ich darauf hinweisen, daß dem geschädigten Dritten im Falle eines Beamtenverschuldens, einerlei, ob Vorsatz, grobe oder leichte Fahrlässigkeit, in aller Regel der Staat und nicht der Beamte haftet. Der Staat seinerseits kann sich an dem schuldigen Beamten schadlos halten. Gerade aber bei Grundbuchbeamten besteht der Regreßanspruch des Staates nur dann, wenn dem Grundbuchbeamten grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz zur Last fällt. Bei Ausübung des Regresses wird schon jetzt weitgehend Nachsicht geübt und insbesondere bei Grundbuchbeamten auf die durch die Aufwertungsgesetzgebung hervorgerufenen und sonst bestehenden rechtlichen Schwierigkeiten Rücksicht genommen. Zu dem vom Hauptausschuß angenommenen Antrage, die Bestimmungen über die Gerichtsferien zeitgemäß umzu⸗
ferien für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine Geltung haben, abgesehen von den Nachlaß⸗ und Vormundschafts⸗ sachen, die, soweit sie keiner Beschleunigung bedürfen, während der Gerichtsferien nicht bearbeitet zu werden brauchen. Im übrigen sind Strafsachen sowie bestimmte Zivilsachen durch das Gesetz zu Feriensachen erklärt worden, müssen also auch während der Gerichtsferien bearbeitet werden. Im Verfahren vor den Amtsgerichten sind auf Antrag der Parteien auch andere Sachen als Feriensachen zu behandeln. Nach den geltenden Bestimmun⸗ gen machen sich also die Gerichtsferien nur bei einem beschränkten Teil der gerichtlichen Tätigkeit bemerkbar. Die Justizverwaltung hat daneben schon seit einer Reihe von Jahren den Gerichten empfohlen, bei Prüfung der Frage, ob eine Sache als Ferien⸗ sache zu behandeln sei, auf die herrschende wirtschaftliche Lage Rücicht zu nehmen, die vielfach eine Beschleunigung der Rechts⸗ streitigkeiten auch während der Gerichtsferien erforderlich macht. Ganz überwiegend wird von den Gerichten auch hiernach verfahren. Besondere Beachtung hat bei den Beratungen im Haupt⸗ ausschuß die Strafrecht spflege gefunden, die in den gegenwärtigen Zeiten schwerster wirtschaftlicher Depression, ver⸗ bunden mit einer gleichzeitig auftretenden außerordentlichen Ver⸗ rohung und Erhitzung des politischen Kampfes, vor Aufgaben gewaltigen Ausmaßes und nicht zu unterschätzender Schwierigkeit gestellt ist. Ein Blick in die Tagespresse zeigt Ihnen täglich von neuem die erschreckende Zahl von Mord und Raub, Plünderung und Ueberfällen auf Personen und Kassen und sonstiger schwerer wirtschaftlicher Not entsprungener Delikte. Zu diesen Notdelikten treten in ganz ungewöhnlicher Zahl Straftaten, die ihre Ursache in Zusammenstößen radikal⸗politischer Gegner oder in Be⸗ schimpfungen des Staates und seiner Organe finden. Erst ganz kürzlich hat der Reichstag in über 200 Fällen die Genehmigung zur Strafverfolgung von Abgeordneten radikal⸗ politischer Parteien erteilt; man bedenke, welch arbeitsreiche und heikle Aufgabe die Durchführung derartiger Verfahren für unsere Strafverfolgungsbehörden bedeutet. Zur Kennzeichnung der Tatsache, in welchem Umfange gerade die politischen Strafsachen im vergangenen Jahre an Zahl gewachsen find, habe ich im Hauptausschuß darauf hin⸗ gewiesen, daß die dem Justizministerium erstatteten Berichte über politische Strafsachen eine Zunahme von rund 8900 im Jahre 1929 auf etwa 14500 im Jahre 1930 erfahren haben. Gört, hört) Dabei möchte ich ein Mißverständnis klarstellen, das sich bei Mitteilung dieser Zahlen eingeschlichen zu haben scheint. Eine Bemerkung des Kollegen Freiherrn von Wangenheim veranlaßt mich zu der Ausführung, die ich jetzt mache. Berichte erfordern und erhalten wir nicht nur in politischen Strafverfahren, sondern in Verfahren aller Art, sofern sie von solcher Bedeutung sind, daß das Ministerium über ihren Verlauf unterrichtet sein muß. Bei besonders wichtigen politischen Strafsachen halte ich es für erforderlich, daß das Ministerium über den Gang des Verfahrens auf dem laufenden gehalten wird. Die Berichterstattung erfolgt aber durch die Staatsanwaltschaften und nicht etwa durch die Gerichte, so daß die Rechtsprechung der Gerichte auch in politischen Strafsachen völlig unbeeinflußt vor sich geht. Bei der außerordentlichen Fülle rechtlich und tatsächlich häufig äußerst verwickelt liegender Strafsachen trage ich ernste Bedenken, ob es gelingen wird, mit dem vorhandenen Personal den Andrang der Arbeitslast zu bewältigen. Wenn bisher die Strafgerichtsbarkeit den an sie gestellten gewaltigen Anforde⸗ rungen hat gerecht werden können, so bedeutet dies eine außer⸗ ordentliche Leistung des gesamten Personals. (Sehr richtigh Wir sind nach Kräften bemüht, auf eine Verminderung der Zahl der Strafsachen und auf eine Beschränkung des Prozeßstoffes in den sogenannten Monstreprozessen hinzu⸗ wirken. Ich stimme durchaus der im Hauptausschuß geäußerten Auffassung zu: Nicht der Staatsanwalt darf ein besonderes Verdienst für sich in Anspruch nehmen, der eine Anklageschrift von 10009 und mehr Seiten verfaßt hat; eine verdienstvolle Leistung bedeutet es vielmehr, einen umfangreichen Stoff auf das Wesentliche zu beschränken und in knappster Form zu meistern. (Sehr richtig) Daß unser Streben nach Verminderung der Strafsachen schon einen gewissen Erfolg zeitigen kann, möge durch einige wenige Zahlen erkennbar gemacht werden: Im Jahre 1929 sind auf Grund der S5 153, 154 der Strafprozeßordnung und des § 32 des Jugendgerichtsgesetzes insgesamt über 29 000 Einstellungsverfügungen und zbeschlüsse ergangen; davon ent⸗ fielen etwa 7400 auf die Gerichte und eiwa 21 700 auf die Staats⸗ anwaltschaften. Im Jahre 1930 hat sich die Gesamtzahl der Einstellungen auf über 36 600, darunter rund 9000 bei den Gerichten und etwa 27 600 bei den Staatsanwaltschaften, erhöht, ist also gegenüber dem Vorjahr um etwa 25 v gestiegen. Beacht⸗ lich scheint mir noch die Tatsache zu sein, daß in beiden Jahren etwa * aller Einstellungen durch die Staatsanwaltschaften ver⸗ fügt worden sind, so daß in diesen Fällen eine gerichtliche Ver⸗ handlung überhaupt nicht stattzufinden brauchte. Auf dem Gebiete der Meineidsdelikte sind Ihnen unsere Bestrebungen, die Zahl der Eidesleistungen herabʒusetzen und die Möglichkeit einer unrichtigen Eidesleistung sowohl im Prozeß wie auch bei Abnahme des Offenbarungseides zu ver⸗ mindern, aus den Verhandlungen des Vorjahres bekannt; die Anregung, durch eine Blutgruppenuntersuchung in unterhaltsprozessen die Gefahr einer Eides verletzung weiter zu vermindern, werden wir gern einer Prüfung unter ziehen. Die Zahl der Anzeigen wegen Verletzung der Eidespflicht ist immer noch außerordentlich hoch. Im Jahre 1929 sind bei den Staatsanwaltschaften über 383 000 derartiger Anzeigen ein⸗ gegangen. Auf Grund dieser Anzeigen ist das Verfahren gegen mehr als 20 000 Personen von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, weiter sind rund 1400 Personen durch Gerichtsbeschluß außer Verfolgung gesetzt, in 241 Fällen ist Freispruch ergangen. Die neuesten Zahlen für i 35 000 Anzeigen sind über 24 000 Einstellungsverfügungen er⸗ gangen, mehr als 1200 Personen außer Verfolgung gesetzt und 192 Personen freigesprochen. Die Zahlen beweisen, daß die Staatsanwaltschaften auch in diesem Jahr bei der Bearbeitung der Eidesdelikte mit besonderer Sorgfalt verfahren sind.
das Jahr 1930 lauten ähnlich: Bei fast
Eine erhebliche Entlastung für die Strafverfolgungsbehörden
Polizeiverwaltungsgesetzes, der dem Landtag vom Minister des Innern vorgelegt worden ist. Berstöße gegen Polizei⸗ verordnungen und polizeiliche Strafverfügun⸗ gen werden nach ihm die Gerichte nur noch selten beschäftigen, so daß diese in erheblichem Umfange von den kleinen und kleinsten Bagatellsachen entlastet werden.
Auf anderen Gebieten des Strafrechts muß die Straf⸗ verfolgung den Zeitumständen entsprechend mit Nachdruck be⸗ trieben werden. Auf die Bedeutung der Ahndung von Ver⸗ stößen gegen die strafrechtlichen Vorschriften der Sozialversicherungsgesetze habe ich die Justiz- behörden durch eine Allgemeine Verfügung vom 21. Mai 1930 besonders hingewiesen. Angesichts der in erschreckendem Umfange herrschenden Arbeitslosigkeit gewinnen auch die Verstöße gegen die Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeiter besondere Bedeutung; im Einvernehmen mit dem Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten beabsichtige ich, die Justizbehörden auf die Bedeutung unzulässiger Beschäfti⸗ gung ausländischer Arbeiter hinzuweisen und die . Straf⸗ verfolgungsbehörden zu ersuchen, diesen Strafsachen in Fühlung⸗ nahme mit dem zuständigen Arbeitsamt besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. . Auf die im Hauptausschuß geäußerten Wünsche nach einer angemessenen Entschädigung der Personen, die sich unschuldig in Uuntersuchungshaft befunden haben oder im Wiederaufnahmeverfahren frei ⸗ gesprochen worden srtsd, nenne ich hier über die Hand⸗ habung in den letzten Jahren einige Zahlen: An im Viederauf⸗ nahmeverfahren freigesprochene Personen sind im Geschäftsjahr 1938 in 4 Fällen Entschädigungen in Höhe von rund 3300 RM, im Geschäftsjahr 1929 in 13 Fällen Entschädigungen in Höhe von etwa 56 300 RM und im bisher abgelaufenen Teil des Geschäfts⸗ jahres 1830 in 9 Fällen Entschädigungen in Höhe von über et 1090 RM gezahlt worden. Für unschuldig erlittene Unter⸗ suchungshaft wurden im Geschäftsjahr 1928 an 58 Personen mehr als 84 1560 RM, im Geschäftsjahr 1929 an 4 Personen etwa 23 000 RM und im bisher abgelaufenen oder bisher bekanntge⸗ wordenen Teil des Geschäftsjahres 1930 an 35 Personen rund 11 800 RM als Entschädigung gewährt.
Ein Wort noch über die Handhabung der Gna denprapis, über die in der Oeffentlichkeit vielfach unrichtige Vorstellungem zu herrschen scheinen! Im Jahre 1928 ist — auf Hunderte ab⸗ gerundet — an 33 200 Personen, im Jahre 1929 an 34 00 Per- sonen und im Jahre 1930 an 37 500 Personen eine Vergünstigung hinsichtlich der Verbüßung der ganzen Strafe oder eines Straf- teils erteilt worden. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle haben die Gerichte die Strafaussetzung bewilligt; die Zahl der Fälle, in denen Strafaussetzung vom Justizministerium gewährt worden ist, belief sich im Jahre 1928 auf rund 2000 — 6 vo, im Jahre 1929 auf 1780 —= 5,2 vH und im Jahre 1930 auf 2460 6,6 v5. Welch geringen Anteil endlich Entschließungen des Landtags an der Handhabung der Gnadenpraxis haben, bitte ich durch diejenigen Zahlen dartun zu dürfen, die Herr Kollege Eich⸗ hoff als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Hauptausschuß ge⸗ nannt hat. Danach sind dem Rechtsausschuß im ganzen 3510 Petitionen überwiesen worden; nur 118, d. s. etwa 33 vs, hat der Rechtsausschuß dem Staatsministerium zur Berücksichtigung über- wiesen. (Hört, hört! bei der Deutschen Staatspartei) Die be⸗ dingt Begnadigten — das ist auch etwas, worüber falsche Vor⸗ stellungen herrschen — haben sich in 75— 80 vH der Fälle bewährt und sind nur in 20 — 25 vH der Fälle des ihnen erteilten Gnaden⸗ erweises nicht würdig gewesen; der erziehliche Einfluß des Gnadenerweises ist also in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle ein durchaus günstiger gewesen. .
Die Erörterung der Verhältnisse in unserer Strafjustiz kann nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die Strafrechts⸗ pflege nuerdings auch aus Kreisen der Rechtsparteien mehr beanstandet wird. Ich habe demgegenüber im dauptaus· schuß darauf hingewiesen, daß der weitaus größte Teil der Tätig- keit unserer Gerichte sich in völlig veibungsloser, klarer Objettivitãt vollzieht, und die Ausführungen aus dem Kreise der Ausschuß⸗ mitglieder haben dies als richtig bestätigt. Man muß bedenken. daß schon unter gewöhnlichen Umständen die Justiz in besonderem Maße der Kritik ausgesetzt ist. Wer im Strafprozeß verurteilt wird oder im Zivilprozeß unterliegt, wer in Konkurs gerät oder wessen Grundstück zwangsversteigert werden soll, ist leicht geneigt. mit der Justiz unzufrieden zu sein. Es kommt hinzu, daß die lebhaften Wogen politischer Hochspannung und die Folgen der außerordentlichen Verschärfung des politischen Kampfes heute bis in die Gerichtssäle hinein zu spüren sind. Nicht selten wird dann eine ungünstige gerichtliche Entscheidung als vermeintliche Folge irgendeines politischen Einflusses angesehen. Aber immer sind es doch nur Einzelfälle, in denen vielleicht Zweifel an wirklicher innerer Unparteilichkeit des Gerichts entstehen können, und gerade diese müssen heute mehr denn je aus den unruhigen politischen Zeitläuften heraus gewürdigt werden. Dabei darf nicht vergessen werden, daß an der Rechtsprechung in Strafsachen zu einem großen Teil auch Laienrichter beteiligt sind, die durchaus in der Lage sind, auf Beratung und Abstimmung Einfluß aus- zuüben. Unsere Beratungen im Hauptausschuß haben wieder bestätigt, daß die preußische Rechtspflege im ganzen nicht nur auf achtbarem, sondern auf hohem Niveau steht und als fleißig, sach⸗ und rechtskundig, pflichttreu, unparteiisch und gerecht anerkannt werden muß. Sie dürfen überzeugt sein, daß ich jedem diese Kennzeichnung nicht rechtfertigenden Einzelfall mit allem Ernst nachgehen und darauf dringen werde, daß etwa sich zeigende Mängel und Fehler mit Sorgfalt und Nachdruck abgestellt und beseitigt werden. Aber für die Beurteilung der Justiz im ganzen dürfen diese Einzelfälle nicht ausschlaggebend sein. ;.
Ich habe im Hauptausschuß erneut einiges über die grund- sätzliche Stellungnahme der Justizverwaltung zum Brinzip der richterlichen unabhängigkeit dargelegt. In Wieder⸗ holung früherer Ausführungen konnte ich dartun, daß das Bewußt⸗ sein von der Notwendigkeit der unbedingten Achtung vor der Unabhängigkeit der Gerichte bei der Justizverwaltung nach wie vor unerschüttert fortbesteht, und konnte feststellen, daß diese Auf⸗ fassung unter den Mitgliedern des Hauptausschusses auf allen
gestalten, bemerke ich, daß die Vorschriften über die Gerichts⸗
und die Strafgerichte verspreche ich mir von dem Entwurf eines
Seiten vollauf geteilt wurde. Ich darf auch hier betonen, daß die