1932 / 296 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 17 Dec 1932 18:00:01 GMT) scan diff

Reichs- und Staatsanzeiger Nr. 298 vom 17. Dezember 1932. g. 2.

Stellung einnahm, so galt das auch für Herrn von Gayl als Ostpreußens Vertreter. Das war zu einem großen Teil das persönliche Verdienst seiner bei aller sachlichen Zähigkeit ge⸗ winnenden, stets unaufdringlichen, Freundlichen und taktvollen Persönlichkeit. Die Vertreter der Provinzen hatten ihn zu ihrem Doyen erkoren. Als solcher hat er mit ihnen allen in gutem Verhältnis gestanden. Ebenso gut war sein persönliches Ver⸗ hältnis zu den Vertretern der preußischen Regierung und zu den Vertretern sämtlicher Länder. Im Auftrage des Reichsrats sage ich dem scheidenden Kollegen ein herzliches Lebewohl und gute Wünsche für seine weitere Tätigkeit, die uns Preußen mit ihm im Preußischen Staatsrat, dessen Mitglied Herr von Gayl ge⸗ blieben ist, bereits wieder zusammenge führt hat.

Als sein Nachfolger auf dem Stuhle als Vorsitzender sind Auch Sie, Herr Reichsminister Bracht, und, namentlich uns Preußen, kein ganz Fremder. Schon von 1919 bis 1923 waren Sie als Ministerialdirektor im preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt Mitglied des Reichsrats. Während der Reichs— lanzlerschaft Marx haben Sie 1923 und 1924 als Staatssekretär in der Reichskanzlei oft mit dem Reichsrat verhandelt. Als Stellvertreter des Reichskommissars für Preußen hat die Frage Ihrer rechtlichen Stellung zum Reichsrat ganz Deutschland und darüber hinaus die Welt der Politiker und Gelehrten beschäftigt. Namens des Reichsrats begrüße ich Sie aufrichtig auf diesem Stuhle, dem Stuhle mit der höchsten Lehne, auf dem Sie ver— fassungsrechtlich ganz unumstritten als unser Vorsitzender unsere Sitzungen leiten. Hoffentlich gelingt es Ihnen, während Ihrer Ministerzeit aus der Notzeit, in der Artikel 48 der Reichsver— fassung die Stunde regiert, die Regiernungsmethode immer stärkter auf normale Bahnen hinüberzuführen. Dabei kann und dabei wird Ihnen der Reichsrat eine starke Stütze sein. (Bravo)

Der Reichsrat beschäftigte sich dann mit dem vom Reichstag beschlossenen Stellvertretungsgesetz. Wie der Berichterstatter, der preußische Ministerialdirektor Dr. Badt, mitteilte, war schon vorher in den Ausschüssen der Vorteil der neuen Regelung gegenüber dem früheren Zustand eingehend erörtert worden: früher war der Reichs⸗ kanzler Stellvertreter des Reichspräsidenten und bei längerer Verhinderung war ein Reichsgesetz notwendig. Es habe also die Gefahr bestanden, daß in einem Augenblick, wo der Reichstag nicht versammelt war, eine Notverordnung hätte gemacht werden müssen. Jetzt in w. alle Fälle vorgesorgt, indem der Präsident des Reichsgerichts als Stellvertreter ein—⸗ gesetzt sei. Gegen wenige Stimmen beschloß der Reichsrat, gegen dieses Iniativgesetz keinen Einspruch zu erheben.

Auch das vom Reichstag beschlossene Gesetz, das die sozialpolitische Ermächtigung der Reichs⸗ vegierung in der Notverordnung vom 4. Septeniber wieder aufhebt, wurde mit der Maßgabe vom Reichsrat end⸗ gültig verabschiedet, daß das Gesetz mit dem Tage der Ver— kündung in Kraft treten soll.

Auf Wunsch des Landes Mecklenburg-Schwerin hob der Reichsrat die in Schwerin bestehende Einlaß⸗ und Unter⸗ suchungsstelle für das in das JZollinland eingehende Fleisch auf.

Ferner beschloß der Reichsrat, die Länderregierungen um Anordnung zu ersuchen, daß die Arzneitaxe 1932 noch bis auf weiteres in Kraft beleibt. Der Entwurf einer Arzneitaxe 1933 liegt zwar dem Reichsrat vor, er konnte aber bisher noch nicht fertiggestellt werden, da die Verhand— lungen mit den Ländern über Einzelfragen noch nicht ab— geschlossen sind.

Reichsinnenminister Dr. Bracht erklärte dazu, es werde der Reichsregierung wahrscheinlich möglich sein, dem Reichs—⸗ rat schon in den nächsten Tagen eine neue Vorlage zuzu⸗— leiten, die den Anregungen und Wünschen der Länder ent⸗ gegenkomme.

Der Reichsrat genemigte dann in den Jahren 1924, 1926 und 1929 erfolgte Satzungsänderungen der „Revike“, Re⸗ visionsverband der Rewe. ⸗Lebensmittel-Großhandels⸗Ge⸗ nossenschaften von Rheinland und Westfalen e. V. in Köln.

Eine zweite Durchführungsverordnung zur Ge⸗— meindebiersteuer und Gemeindegetränkesteuer, die ver⸗ waltungstechnische Vorschriften für die Einziehung der Steuern enthält, wurde vom Reichsrat angenommen.

Weiter nahm der Reichsrat eine neue Finanz⸗ gerichtsordnung an. Ein Entwurf dafür war schon am 1. Februar vorgelegt worden. Inzwischen hatte sich jedoch die Notwendigkeit herausgestellt, die Reichsabgabenordnung in einigen Punkten zu ändern. Die Besetzung der Bewer⸗ tungsausschüsse mit sieben Mitgliedern, und zwar zwei Reichsbeamten, einem Landesbeamten und vier ehrenamt⸗ lichen Mitgliedern, hatte zur Bildung zu großer Ausschüsse geführt. Auch hatte man bei dieser Zusammensetzung die Ausschüsse nicht nach Steuerarten und nach örtlichen Gesichts⸗ puntten gliedern können. Im Einvernehmen mit den Län⸗ dern war deshalb die Reichsabgabenordnung durch eine Ver⸗ ordnung vom 14. Juni 1932 dahin geändert worden, daß ein Landesbeamter nur in den Bewertungsausschüssen für den Grundbesitz und nur dann, wenn die ö es beantragt, zugezogen wird. Dadurch wurde die Möglichkeit geschaffen, die Zahl der m mn, auf 6 herab⸗ zusetzen. Der Vorsitzende ist künftig ein Reichsbeamter, zweites Mitglied ein anderer Reichsbeamter oder in Grund⸗ stücksangelegenheiten ein Landesbeamter, hinzukommen drei ehrenamtliche Mitglieder, die wieder allein die Mehrheit bilden können. Der Entwurf der Finanzgerichtsordnung ist jetzt entsprechend geändert worden; vor allem ist es auch möglich gewesen, besondere Kammern für die Bewertung von Grundbesitz zu bilden. Gleichzeitig stimmte der Reichs⸗ rat einer Verordnung zu, durch die Entschädigungssätze für die Mitglieder der Bewertungsbeiräte zeitgemäß herabgesetzt werden. Unveränderte Annahme fand auch eine Verord⸗ nung über die Zerlegung der Einheitswerte und über die Verlängerung der Geltungsdauer von Vorschriften des alten Reichsbewertungsgesetzes.

Der Ernennung des preußischen Landgerichtsdirektors Dr. Schröer zum Reichsgerichtsrat stimmte der Reichs⸗ rat zu. .

Annahme fand ferner eine Ausführungsverordnung zu dem Internationalen Freibord⸗Vertrag, der die Linie bestimmt, bis zu der Schiffe beladen werden dürfen.

Der Pauschbetrag, den die Reichspo st zur Ab⸗ lösung der Verwaltungskostenzuschüsse siz 1932 an Länder und Gemeinden zu zahlen hat, wurde auf 3 Millionen Reichs⸗

mark sestgesetzt. Der Reichsfinanzminister hatte erklärt, daß

nach seinen Unterlagen die Stadt Berlin im Jahre 1932 die

für eine Beteiligung an den Zuschüssen für sie maßgebende

Arbeitnehmerzahl von 5 vH voraussichtlich nicht erreichen

werde. Diese Zahl ist aber die Voraussetzung sowohl für die

. der steuerfreien Reichsbetriebe zur Zahlung der uschüsse wie auch

ür die Beteiligung der Stadt Berlin an

dem Pauschbetrage. In den Reichsratsausschüssen ist daher vereinbart worden, daß die Stadt Berlin noch nach⸗ träglich an den Pauschbeträgen beteiligt werde, falls die Zahl ihrer Arbeitnehmer rechtskräftig höher festgestellt werde. In diesem Fall würde die Reichspost außer den 3 Millionen noch 300 000 RM für Berlin zur Verfügung stellen müssen. Zum Schluß kündigte Minister Dr. Bracht die nächste Vollsitzung des Reichsrats für Dienstag nachmittag 5 Uhr an. Er fügte hinzu, er nehme an, daß bis dahin die Frage des Amnestiegesetzes innerhalb des Reichsrats geklärt sei.

Preußischer Landtag. 28. Sitzung vom Freitag, 16. Dezember 1932, 13,20 Uhr. (Bericht d Nachrichtenbüros d Vereins deutscher Zeitungsverleger.) Der Preußische Landtag erledigt in seiner heutigen Sitzung zunächst kleine Vorlagen.

Ein deutschnationaler Urantrag, der eine gesetzliche Neuregelung des Kirchenaustritts wünscht, geht ohne Debatte an den Rechtsausschuß.

Angenommen wird ein sozialdemokratischer Antrag, der die Regierung ersucht, in eine nochmalige Prüfung über die Bestim mung des Kreissitzes für den Kreis Grafschaft Diepholz einzutreten, das Ergebnis der Prüfung dem Landtag mitzuteilen und bis zur Beschluß⸗ fassung des Landtags hierüber von der endgültigen Regelung der Bestimmung des Sitzes für den Kreis Abstand zu nehmen.

Ein entsprechender Antrag der Deutschen Volkspartei, des Zentrums, des Volksdienstes und des deutsch⸗hannoverschen Abgeordneten wird als hierdurch erledigt erklärt. Gleichfalls angenommen wird ein vom Abg. Jürgensen (Soz.) ein⸗ gebrachter Antrag, der sich gegen den „deutschnationalen Polizeipräsidenten von Magdeburg“ wendet. Dieser Polizei⸗ präsident verbiete einseitig sozialdemokratische Kundgebungen, während nationalsozialistische erlaubt würden. Das Staats- ministerium soll nach dem angenommenen Antrag die staat— lichen n . in Preußen anweisen, eine gleichmäßige Durchführung der Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung des inneren Friedens zu gewährleisten.

Dann beginnt die

kulturpolitische Aussprache. Beim Abschnitt „Allgemeines“ erhält zuerst

Abg. Kube (Mat. Soz) das Wort. Er beginnt seine Aus⸗ führungen mit einer Erklärung, in der es heißt: Der General von Schleicher hat in seiner gestrigen Rundfunkrede Bemer⸗ kungen gegen den verehrungswürdigen Alterspräsidenten des Reichstags und des Preußischen Landtags General Litzmann ge— macht, die auf das schärfste zurückgewiesen werden müssen. Wenn auch die historische Persönlichkeit Litzmanns weit über derartigen Angriffen steht, bleibt es doch tief bedauerlich, daß ein unbekannter Major des Weltkrieges mit diesen Angriffen nicht nur gegen den Alterspräsidenten des Deutschen Reichstags und des Preußischen Landtags, sondern auch gegen den weit älteren und verehrungs— würdigeren Kameraden und seinen ihm weit überlegenen mili⸗ tärischen Führer Stellung genommen hat. Das zum Ausdruck zu bringen, halte ich mich als Fraktionsführer der Nationalsozialisten für verpflichtet. (Händeklatschen bei den ationalsozialisten,)

Ich benutze diese Erklärung, um mich mit Herrn von Schleicher weiter auseinanderzusetzen. Der Reichskanzler von Schleicher hat bei seinen Ausführungen das Wort „Kameradschaftlichkeit“ ge⸗ braucht. Ich frage Herrn Reichskanzler von Schleicher, ob er bei diesem Zitat, bei diesem Appell an die Kameradschaftlichkeit viel⸗ leicht daran dachte, wie er den Generalobersten von Seeckt unter Wasser torpedierte, wie er den n, ng Reichswehrminister Geßler kameradschaftlich zur Strecke brachte, wie er den Reichs⸗ wehrminister Groener rein tameradschaftlich zur Strecke brachte, wie er den Reichskanzler von Brüning kameradschaftlich zur Strecke brachte und wie er den Reichskanzler von Papen eben⸗ falls kameradschaftlich zur Strecke brachte. (Händeklatschen bei den Nationalsozialisten. Ich erkläre an dieser Stelle, daß Herr von Schleicher der allerletzte ist, der über den Begriff der Kame⸗ radschaftlichkeit Anschauungsunterricht zu erteilen vermag. (Er⸗ neutes Händeklatschen bei den Nationalsozialisten. Vielleicht verleitet die Kameradschaftlichteit Herrn von Schleicher dazu, mangels anderer Objekte für seine Unterwassertorpedierung sich nun selbst zu , , Dieser Beweis von Kameradschaft⸗ lichkeit würde von den Nationalsozialisten mit einer gewissen Be⸗ friedigung zur Kenntnis genommen werden. (Lachen und Hände⸗ klatschen bei den Nationalsozialisten. Ich möchte weiter fragen:

err von Schleicher, wie kommen Sie dazu, einen Mann, wie den General Litzmann, in dieser Weise anzugreifen? Welcher Soldat, Herr von Schleicher, ist in der Lage, sich für Sie zu begeistern? Kameradschaftliche Zustimmung von Hunderttausenden verbindet die deutsche soldatische Vergangenheit mit dem General Litz⸗ mann, der turmhoch über einer derartigen Rundfunkakrobatik steht. Es wäre in keinem Stagte der Welt möglich, daß in dieser Weise ein Mann, der der Geschichte angehört, angegriffen wird.

Die Anträge, die hier zur Aussprache stehen, könnten zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit gewissen Methoden und politischen Auffassungen überhaupt führen. Im Rahmen dieser Kulturaussprache soll die einzige kulturelle Leistung des Herrn Dr. Bracht zur Besprechung gelangen.

Wenn Herr Dr. Bracht glaubt, mit derartigen Erlassen eine sittliche Erneuerung des S Volkes herbeiführen zu können, kann ich nur feststellen, daß der Horizont für solche staatspolitische Auffassung außerordentlich bescheiden ist. Es ist ja das einzige, was an Herrn Dr. Bracht außer den Beamtenbeförderungen in Preußen aufgefallen ist. So, wie die Beamtenbeförderungen un⸗ angenehm aufgefallen sind, so ist auch dieser Erlaß nicht angenehm aufgefallen.

Meine Fraktion hat Gelegenheit genommen, die Frage der Naturalisie rung deutscher Volksgenossen zum Gegenstand der Behandlung in diesem Hause zu machen. Die nationalsozialistische Freiheitsbewegung hat bereits im Mai 1924 beantragt, ein Gesetz zu schaffen, wodurch jedem Deutschen, ohne Rücksicht darauf, wo er zur Welt gelommen ist, die Reichs⸗ angehörigkeit ohne weiteres zusteht. Leider ist diefe Frage bis heute nicht zu einem befriedigenden Abschluß gekommen. Wir aben in den letzten Jahren wiederholt ett en können, daß Menschen deutschen Blutes wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt und ausgewiesen wurden, wenn sie sich im Sinne der jeweils Regierenden politisch mißliebig machten. Es waren nicht immer nur psozialdemokratische Amtswalter, die so gehandelt haben. Im Wahlkreise Frankfurt 4. d. O. wurde ein Sieben⸗ bürger Deutscher, der in Luckau als A sistenzarzt tätig war, auf Veranlassung des volksparteilichen Landrates durch den sozial⸗ demokratischen Regierungspräsidenten ausgewiesen, weil er Nationalsoziglist war. Ein sudetendeutscher Arbeiter, der sich in der Tschechoslowakei nicht vom tschechischen Militarismus gegen sein deutsches Volk mißbrauchen lassen wollte, wurde von der Re— gierung Severing ausgewiesen. Jetzt, wo wir ein Kabinett der nationalen Konzentration auch in Preußen durch Reichs⸗ kommissariate haben, haben sich diese Methoden nicht im ge⸗ ringsten geändert. Man macht es den auslandsdentschen Volks⸗ genossen erstens ungeheuer schwer, die finanziellen Voraus⸗

enen, für eine Einbürgerung zu schaffen, und man bemüht sich auch sonst mit geradezu janarischer Wut, jeden Zuwachs an Staatsbürgern deutschen Blutes und christlichen Glaubens zu ver⸗ hindern, während man in der Frage der Naturalisierung wenig erwünschter Elemente aus dem Osten außerordentlich großzügig vorgegangen ist. Zwei Drittel der in Europa lebenden Deutschen sind in den Grenzen der Republik von Weimar staatlich zu⸗ sammengefaßt. Ein Drittel der in Europa lebenden Deutschen ist auf etwa 19 andere Staaten verteilt. Es gibt eine außer⸗ ordentlich große Zahl deutscher Volksgenossen, die in engster Sied= lungsgemeinschaft mit uns leben: in Desterreich, Polen, Belgien, Elsaß-Lothringen usw', vor allem auch deutsche Vorposten im Baltenlande. Staatspolitische Pflicht des Volksreiches der Deutschen ist es nicht nur, sich moralisch oder kulturell diefer Glieder des Voltes anzunehmen, sondern vor allem alles zu vermeiden, was diesen deutschen Volksgenossen, die mindestens 20 Millionen Menschen in Europa darstellen, die Möglichkeit verschließt, in irgendeiner Form die letzte Verbindung mit dem großen Reiche der Deutschen zu finden. An unserem Grundsatz „Jeder Deutsche wird als deutscher Staats- zürger geboren“ lassen wir nicht rütteln. Ohne Unterschied der Parteien sollte man sich aber wenigstens zu der Erkenntnis durch- ingen, daß jeder Deutsche auf Antrag in einem deutschen Lande Staatsbürger werden kann. Es ist ein freiwilliger Verzicht der deutschen Nation, nicht auf ihre schlechtesten Söhne und Töchter, wenn sie die Tür des Reiches zuschlägt. Es wäre richtiger, wenn die Bürgereigenschaft nicht Staatscharakter, sondern Reichs- charakter trüge.

Es ist bemerkenswert, daß die Kreise, die immer von Du a lismus reden, von sich aus ganz ungerechtfertigt den Anspruch aufstellen, Preußen müßte in irgendeiner Form mit dem Reich auch personell oder politisch verbunden werden. Nie und nimmer, meine Herren von Papen und von Schleicher, wird die Nationale sozialistische Deutsche Arbeiterpartei es dulden, daß Preußen zum Reichsland gemacht wird und daß man Preußen von seiten der Reichsregierung anders beurteilt und behandelt (1s Bayern, Zachsen, Württemberg usw. (Händeklatschen bei den Nat. Soz.) Es ist eigenartig, daß die Hüter peeußischer Tradition, die reak— tionären Kreise, in diesem Falle sich um Preußen verhältnismäßig wenig kümmern, daß sie aus zeitlichem Vorteil heraus ihre grund- sätzliche oder als grundsätzlich ausgegebene Überzeugung preis- geben. Meine Herren von der Deutschnationalen Volkspartei, das verstehe ich unter preußisch⸗konservativem Staatsgedanken nicht, daß man Preußen schlechter behandeln läßt als andere Länder. Man hätte annehmen müssen, daß die Kreise der Reak- tion, die in den letzten sechs Monaten politischen Einfluß im Reiche hatten, die preußische Verfassung im Gegenteil nach der Richtung ausgebaut hätten, durch Scaffung eines Staatspräsi⸗ denten die nötige Unabhängigkeit zu sichern. Wir müssen fordern, daß die staatlich individuellste Persönlichkeit der deutschen Ge⸗— schichte nicht en canaille behandelt wird, wie es Papen und Schlei⸗ cher getan haben. Wenn =. von Schleicher in seiner gestrigen Rede, in der nur ein Satz bemerkenswert ist, nämlich die Einsicht, daß er bald wieder verschwinden könnte, darauf hingewiesen hat, daß er den Dualismus nicht dulden würde, so frage ich: Herr von Schleicher, wer sind Sie? Sie sind ein auf Grund der Reichs- verfassung verfassungsmäßig ernannter Kanzler. Der Reichs⸗ präsident, der Sie ernannt hat, ist nicht der Zar aller Reußen in Deutschland, sondern der höchste Beamte der deutschen Republik, der die Verfassung ebenso genau zu beachten hat wie irgendein anderer Beamter. Die gegenwärtige Verfassung ist auch für Sie geltendes Recht. Auf die Dauer werden Sie, allein gestützt auf die technische Fraktion des Reichstags, nicht Politik machen können. Die Worte von Plänen und Gesetzen in Tischschubladen haben wir auch bei Severing und Wirth gehört. Diese Schrechsalve hat für uns ihre Schrecken verloren. Wenn Sie glauben, daß Ihr Appell an Aktenbündel irgendwelchen Eindruck auf uns macht, gebe ich Ihnen den Rat, nachdem Sie aus der anonymen Dunkelheit des Kanzlermachers und Kanzlerstürzers herausgetreten sind, sich einen guten Eintänzer zu suchen, wofür Herr Planck vielleicht nicht der richtige Mann ist, wofür aber Herr Treviranus sich zur Verfügung stellen würde, Sie werden bald merken, daß Sie auf dem glatten Boden vorsichtig gehen müssen.

Wir werden den Kampf um Preußen nicht aufgeben, weihß irgend⸗ ein Herr, der in der Wilhelmstraße sitzt, sagt: Ich ziehe die Reichs—⸗ kommissar-Verordnung nicht zurück. Herr Reichskanzler von Schleicher, das wollen Sie zur Kenntnis nehmen: Mit derselben Erbitterung und Konsequenz, mit der wir um Preußen mit den Sozialdemokraten gerungen haben, werden wir mit jedem ringen, der es wagt, sich zwischen uns und den Preußischen Staat zu stellen. (Bravo !-Rufe und Händeklatschen bei den Nationalsozia— listen,. Die Machtposition Preußens darf nicht dadurch zum Stillstand kommen, weil man hofft, im Reich zu einem Kuhhandel u kommen. Wir wollen kein Schein⸗Ministerium in Preußen . Wir Nationalsozialisten sind bereit, auch den Reichs— kommissar, den wir nicht mit Brachialgewalt entfernen können, nicht zum Anlaß zu nehmen, eine Regierung in Preußen nicht zu wählen. Wie dann der Kampf mit dem Reichskommissar ausfällt, Herr von Schleicher, wird eine Sache der besseren Ausdauer und der besseren Nerven sein. Ihre gestrige Rede, Herr von Schleicher, hat uns davon überzeugt, daß Ihre Nerven nicht mehr so in Ord⸗ nung sind, wie im Mai, als Sie Brüning torpedierten, mit dem Sie zwei Jahre lang verbunden waren. (Beifall bei den National⸗ sozialisten.)

Der Redner kritisiert dann die Personalpolitik auch bes neuen Reichskommissars und erwähnt u. a, daß auch jetzt noch der Sozialdemokrat Noske Oberpräsident sei. Wir sehen, so sagt er, in Noske den Mann, das wollen wir öffentlich zum Ausdruck bringen, der Ihnen die Revoludion gemacht hat. (Sehr wahr! bei den Nationalsozialisten) Auf dem Gebiet der Kultur politik hat die neue Kommissariatsregierung, abgesehen von der don Herrn Kähler empfohlenen Berufung des deutschnationalen Abgeordneten und Lehrers Kickhöffel nach Berlin, keine Großtat of , (Heiterkeit und Zustimmung.) Dagegen hat sie nichts unternommen gegen den Rektor der Breslauer Unipersität Vockel⸗ mann, der so scharf gegen die nationalsozialistische Studentenschaft vorgegangen ist. ir sagen, daß der Rektor damit bewußt oder unbewußt die Interessen des Polentums und nicht die des Grenz⸗ landdeutschtums vertritt. (Händeklatschen bei den National sozia—= listen,. Wir sehen in Herrn Bockelmann einen nationalen Schäd⸗ ling. (Beifall bei den Nationalsozialisten.)

Unter den jetzigen Regierungen entbehrt auch das Aus⸗ landsdeutschtum jedes Schutzes. Weder Herr von Papen noch Herr von Schleicher haben eine aktivere Außenpolitik ge⸗ trieben als etwa Stresemann. Die gewaltigen Ansätze, die sich in den letzten Jahren für die Aktivierung der Außenpolitik ergaben im Anwachsen der nationalsozialistischen Bewegung sind erstickt worden durch die sogenannten nationalen Regierungen. Das, Herr von Papen und Herr von Schleicher, ist Ihre Schuld vor der deutschen Geschichte. Wir stellen insbesondere auch fest das Ver- en der deutschen Außenploitik hinsichtlich des Schutzes des be⸗

rängten deutschen Volkstums in Danzig, Memel und der Tschecho⸗ slowakei. Wir verlangen, daß Preußen im Reichsrat fordert, daß das Auswärtige Amt eine besondere Abteilung geschulter Kräfte bekommt, die ständig die Verfolgung von Deutschen im Auslande beobachtet und die sich einsetzt für in Not geratene Volksgenossen im Auslande. (Beifall bei den Nationalsozialisten. . Die national⸗ sozialistisch Bewegung, die bewußt großdeutsch ist, fordert un= . Schutz des Auslands- und Grenzlandsdeutschtums. Wir stellen fest, daß die deutsche Ostpolitik schön vor dem Kriege nicht weniger versagt hat als nach dem Kriege. Vor dem Kriege hat man sich nicht gescheut, polnische Großgrundbesitzer zu Mitgliedern des Herrenhauses zu machen. Jetzt erlaubt man immer noch, daß deutscher Boden im Osten in polnische Hände übergeht. Wir fordern, daß deutsche Bauernfamilien im Osten angesiedelt werden

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auch auf Kosten des Großgrundbesitzes. Die nationalsozialistische Revolution wird Deutschland von der Gefahr des Bolschewismus befreien und sich daran auch von irgendwelchen Reichskanzlern nicht hindern lassen. (Stürmischer Beifall bei den National⸗ sozialisten. Lachen bei den Kommunisten.)

Abg. Möller⸗Halle (Soz): Wir haben mit großem Interesse den Teil der Rede des Abg. Kube gehört, der sich mit dem General von Schleicher und mit den Deutschnationalen be— här re, Ein Teil meiner Freunde war der Ansicht, daß diese lusführungen Kubes gar nicht zur Kulturdebatte gehörten. Ein anderer Teil glaubt, dieser Teil der Rede des Herrn Kube sei zu betrachten als ein Zwickel für bestimmte innerparteiliche Vor⸗ gänge in der N. S. D. A. P. und Vorgänge in den Koalitions⸗ verhandlungen. Dieser Teil der Rede erinnert mich an die Klagelieder des Jeremias. Allerdings wird jeder, der die Koalitionsverhandlungen und die innerparteilichen Vorgänge in der N. S. D. Al. P. verfolgt, Verständnis dafür haben, daß Herr Kube Klagelieder austimmte. (3ustimmung bei den Sozial⸗ demokraten) Herr Kube hat dann weiter eine Geburtsanzeige mitgeteilt, indem er verkündete, die nationalsozialistische Be⸗ wegung sei stark. Wir hätten gern gehört, daß Herr Kube in die sem l mn d eng etwas über den Konflikt Strasser⸗-Hitler ausgeführt hätte und er uns den Briefwechsel zur Kenntnis gebracht hätte, der zwischen dem Landtagspräsidenten Kerrl und Herrn Dr. von Winterfeld entstanden ist. GHeiterkeit und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. Vizepräsident Haake: Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir uns bei der Kultur⸗ debatte befinden! Große Heiterkelt und Zurufe: Aber Kube durfte politische Ausführungen machen! Der Vizepräsident ruft einen kommunistischen Abgeordneten zur Ordnung). Wenn die Nationalsozialisten für sich in Anspruch nehmen, im Rahmen einer Kulturaussprache politische Dinge zu erörtern, dann 21 wir für uns in Anspruch, auch das zum Ausdrück zu bringen, was den Nationalsozialisten aus begreiflichen Gründen un— angenehm ist. (Beifall bei den Sozialdemokraten. Wir haben geglaubt, die Reichsregierung und die Reichskommissare würden sich im Sommer bereits den Kopf darüber zerbrechen, wie man im kommenden Winter sieben Millignen Erwerbslose betreuen könne. Tatsächlich aber haben sie sich den Kopf darüber zer⸗ brochen, wie man erreichen könne, daß im kommenden Sommer nur noch „ausreichend bekleidet“ gebadet werden darf. Geiterkeit und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten Unter der Devife „Bade im Gehrock“ haben sich die Kommissare dagegen gewehrt, daß Sonne und Luft an den Körper gelassen werden; sie be⸗ trachten scheinbar Sonne und Luft als marxistische Erfindung aus der Aera Braun⸗Severing. Auf keinen Fall durfte die Zwickelverordnung auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung erlassen werden. Die Zwickelverordnung ist nicht nur eine Be⸗ leidigung der Bevölkerung, sondern auch ein Dokument unsittlicher kulturwidriger Gehirnverrenkung. (Beifall bei den Sozialdemo⸗ kraten) Die Badepolizeiverordnung, die die Sittlichkeit nach dem Zentimetermaß regulieren will, muß, wie wir es beantragen, vom Landtag schkeunigst aufgehoben werden. Darüber hinaus aber muß dieses ganze reaktionäre Regime verschwinden.

Der Redner beschäftigt sich dann mit den nationalsozialistischen Anträgen zu diesem Abschnitt. Wenn die Nationalsozialisten sich gegen die Unterdrückung des deutschen Volkstums wendeten, so erklären die Sozialdemokraten, daß sie jede Unterdrückung nationaler Minderheiten verurteilen. Der N. S. D. A. P. müsse aber gesagt werden, daß sie selbst im Glashaus sitze, denn die N. S. D A. P. habe in Veutschland in der Politik den Grundsatz eingeführt: Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag' ich dir den Schädel ein! (Abg. Dr. Meyer⸗Quade Nat. Soz.): Tas ist unwahr, Sie frecher Schwindler! Große Unruhe. Vize⸗ präsident Haake ermahnt den Abgeordneten Meyer⸗Quade, sich in den Ausdrücken zu mäßigen) Weiter verlangten die National sozialisten, daß den bedrängten Sudetendeutschen auf Wunsch sofort die Preußische Staatsangehörigkeit zuerkannt werde. Dabei sei zu fragen, warum die Rationalsozialisten so einseitig vorgehen wollten, warum sie nicht eine gleiche Forderung auch für die 250 000 Deutschen in Südtirol aufstellt. Sie täten das wohl nicht, weil sie den Judas⸗Ischariot Verrat an Südtirol begangen hätten. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten; Große Ün⸗ ruhe bei den Nationalsozialisten; Abg. Dr. Meyer-Quade geht auf das Rednerpult zu und ruft dem Redner zu: Sie sind ein ganz frecher Schwindler! Vizepräsident Haake ersucht Dr. Meyer⸗Quade erneut, sich a mäßigen. Ein anderer Natio⸗ nalsozialist ruft zu den Sozialdemokraten hinüber: Ihr habt ja das ganze Deutsche Volk verraten, Ihr Lümmels! h nb? Unruhe.). Der Redner zitiert Material der Deutsch-Völkischen Arbeitsgemeinschaft von Südtixol zum Nachweis der Richtigkeit 6 Angriffes gegen die N. S. D. A. P., während die National⸗ ozialisten anhaltend Zurufe machen. Dann verweist der Redner darauf, daß in einem weiteren Antrag die Nationalsozialisten die Reichsregierung auffordern wollten, im Völkerbund „gegen die Räubermethoden des tschechischen Staates dem Deutschen Volk gegenüber“ vorzugehen. Er stelle mit Genugtuung fest, daß sich auch hier wieder einmal ein Gesinnungswechsel bei den National⸗ sozialisten bemerkbar mache. Ausgerechnet die Nationalsozialisten betrachteren nun als letzte Rettung für die von ihnen vertretene Forderung den Völkerbund, und ausgerechnet sie erwarteten von der Reichsregierung, daß die Reichsregierung beim Völkerbund gegen die Methoden der Tschechoslowakei vorgehe. Heiterkeit links. Der Redner schließt mit den Worten: Die National⸗ sozialisten werden uns durch keine Drohung davon abhalten, sie vor dem Volke so zu kennzeichnen, daß Deutschland recht bald vom ngtionalsozialistischen Druck erwacht und dann einer gesunden Entwicklung entgegengeführt werden kann. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Graf von Galen (Ztr. führt aus: Das Zentrum hat sich seit seinem Bestehen in den Dienst des Schutzes christlichen Volkstums gestellt. Es hat in den letzten Jahren wiederholt An⸗— träge gestellt, die sich gegen Schmutz und Schund und alle mög⸗ lichen Erscheinungen der Unsittlichkeit im öffentlichen Leben wenden. Sie hat das nicht ohne ae, getan. Wir sind mit der Fassung des zur Aussprache stehenden Erlasses nicht einverstanden. Wir halten sie für unglücklich und wollen uns nicht mit dem Wortlaut dieser Verfügung identifizieren. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Sittlichkeit nicht allein mit dem Polizei⸗ fnüppel hergestellt werden kann. Die sittliche Erneuerung des Volkes muß auf dem Boden des Christentums erfolgen. Der Staat hat aber die Pflicht, die Unsittlichkeit dort, wo sie als Aergernis, als Verhetzung der Jugend auftritt, auch mit seinen Ordnungsmaßnahmen zu bekämpfen. In diesem Sinne begrüßen wir die Badeverordnung, weil sie der Versuch eines kräftigen Ein— greifens ist. Wir in Deutschland haben uns keinen großen Ruhm dadurch geschaffen, daß wir mit dem Badeunwesen, mit der Nackt⸗ kultur an der Spitze der europäischen Völker marschieren. Sie wissen, daß wir in diesem Hause die Staatsregierung noch nicht elobt haben, aber ich möchte wünschen, daß auch die schamlosen Moden in der Gesellschaft unter solche Vorschriften gestellt werden können. Wir sind die letzten, die dem Volke das Baden verbieten wollen, aber es handelt sich hier um ernstere Dinge. Wir sprechen so oft vom Volksrecht, aber Gottt hat auch das Recht, daß wir ibn verteidigen, weil nur die Gebote Gottes Ordnung in der Welt schaffen können. Es muß alles unterstützt werden, was vom Staate geschieht, um die Rechte Gottes zu schützen.

Abg. Kasper (Komm.) nennt die heutige Rede des national—⸗ sozialistischen Fraktionsführers Theaterdonner. Kube, der vor drei Monaten mit schärfsten Ausdrücken gegen das Zentrum ge⸗ wettert habe, so fährt er fort, liegt heute eng umschlungen mit dem Prälaten Lauscher in einem Bett. (Große Heiterkeit. Die nationalsozialistische Fraktion schläft mit dem Zentrum im Bett der Regierungskoalition. Der nationalsozialistische Pressedienst

nannte Schleicher einen kulturell hochstehenden Politiker, mit dem zu sprechen ein ästhetischer Genuß sei. Die Nationalsozialisten * durch ihr Verhalten dem Kabinett Schleicher die Möglich⸗ eit gegeben, für sich in Anspruch zu nehmen, von einer parlamen⸗ tarischen Mehrheit getragen zu werden. Der Redner spricht ferner von der verschärften Kulturreaktion, die sinnfälliger Aus⸗ druck des * der kapitalistischen Gesellschaft sei. Be⸗ ga, sei es, daß der Verfasser des Zwickelerlasses preußischer Innenminister werden konnte. Die Einbürgerungspolitik der preußischen Regierung nennt der Redner einen Skandal. Arbeits⸗ lose würden grundsätzlich nicht eingebürgert. Leute, die seit Jahr⸗ zehnten in Deutschland lebten, würden ausgewiesen, wenn sie nicht auf Unterstützung verzichteten. Zur Rundfunkrede des Reichskanzlers erklärte der Redner: Die Ausführungen sind allein gegen die revolutionäre Arbeiterschaft gerichtet. Aber ebenso wie wir bereits Herrn von Papen entgegengetreten sind, der den Kom—⸗ munismus mit Stumpf und Stiel ausrotten wollte, ebenso kühl und nüchtern werden die Massen unter Führung der KPD. auch zum Kampfe gegen Herrn von Schleicher antreten. Die national⸗ sozialistischen Weihnachtsmänner aber klopften an alle Türen der Bourgeoisie und werden noch schlimmer als die Bettler ab⸗ . Wir fordern die Proletarier auf, den Burgfrieden zu urchbrechen und das kapitalistische System zu zerbrechen.

Abg. Dr. Hönig (3tr.) hält die Forderungen der National⸗ sozialisten auf Einbürgerung von Auslandsdentschen nicht in vollem Umfange für durchführbar. Eine grenzpolitische Ver— schiebung auf gewaltsamem Wege durchzuführen, lehne das Zen⸗ trum ab. Loyale Pflichterfüllung den Landesgesetzen gegenüber helfe den Auslandsdeutschen besser als Erregung national⸗ politischer Leidenschaften. Der Verein für das Deutschtum im Auslande nehme vielfach leider keine Rücksicht auf die religions⸗ politischen Verhältnisse der Auslandsdeutschen, sonst würde er mehr die Unterstützung des Zentrums Finden.

Damit schließt die Besprechung. Das Haus geht über zum zweiten Punkt der Kultur⸗ aussprache: Theater und Rundfunkwesen.

Abg. Meier⸗Berlin (Soz) wendet sich gegen die national⸗ sozialistischen ö, keine Ausländer mehr an deutschen Bühnen und im Rundfunk zu beschäftigen. Von den an diesen Stellen beschäftigten Künstlern 66 nur 2, vH Ausländer, die meisten davon seien zudem Oesterreicher, Sudetendeutsche, Ungarn oder Schweizer. Dagegen seien von den in der Schweiz tätigen Künstlern 90 v5 Deutsche, in Oesterreich 3g v5. In der Tschechei, Lettland usw. sei die Mehrzahl der Künstler deutscher Abstammung. Eine Aktion, wie die Nationalsozialisten sie wünschten, würde eine schwere Schädigung der deutschen Künstler und der deutschen Kunst bedeuten. Ein Künstler dürfe auch nicht nach seiner Konfession beurteilt werden, sondern lediglich nach seiner Leistung.

Der Reichsexekutive gegen Preußen sei sehr bald die Reichs⸗ exekutive gegen den Rundfunk gefolgt. Es sei charakteristisch, daß keine Zeitung in Deutschland mit dem 6 zufrieden sei. Der ehemalige , n,, , , Scholz habe ein un⸗ heimliches Durcheinander geschaffen. Leider aber sei das Kultur⸗ niveau des Rundfunks trotz der Verabschiedung von Scholz seitdem nicht besser geworden. Die Arbeiterschaft komme heute überhaupt nicht mehr zu Worte. Dafür habe man die berüchtigten Ketzereien am Wochenende eingeführt. Ein Skandal sei es, daß man Löbe nicht am 9. November zum deutschen Volke habe sprechen lassen. Man habe die ,, , . gehabt, den Gründer der deut⸗ schen Sozialdemokratie, Ferdinand Lafalle, im Rundfunk gewisser⸗ maßen als ersten Nationalsozialisten hinzustellen. Eingehender beschäftigt sich der Redner mit der Zensurierung eines Rundfunk⸗ vortrages des Vorstandsmitgliedes des ADGB., Eggert, der schließlich darauf verzichtet habe, den zusammengestrichenen Vor— trag zu halten. In Deutschland sei es Sitte geworden, Regie⸗ rungsprogramme nicht dem Reichstag vorzulegen, sondern sie im Rundfunk vorzutragen. Seit Brünings Sturz habe die Reichs⸗ , 1098 offiziöse Sendungen durch Funk verbreitet. Man solle sich des Geschreis erinnern das ausgebrochen sei, als aus⸗ nahmsweise einmal Braun und Severing früher gesprochen hätten. Die Länderkommissionen, die an die Stelle des Ueberwachungs— ausschusses getreten seien, setzten sich aus Beamten zusammen, die vom Rundfunk nichts verständen. Es sei zu verstehen, daß Bahern und andere Länder sich entschieden gegen die Richtlinien wandten. Diejenigen, die von Anfang an im Rundfunk tätig waren und die die Eigengesetzlichkeit des Rundfunks kannten, habe man abgesetzt und an ihre Stelle Leute gebracht, die bis . nichts mit dem Rundfunk zu tun gehabt hätten. Die neuen Programmleiter des Rundfunks hätten von ihrer vorgesetzten Stelle die Anweisung bekommen, enn Ausländer und jeden Juden nach Möglichkeit aus dem Rundfunk auszuscheiden. (Hört, hört! links.) ieses neue Rundfunksystem, das von sich , . es wolle . sei außer⸗ dem noch teurer. Die neuen Abteilungsleiter bekämen 18 990 4 Jahresgehalt, während die alten nur 12000 M erhalten hätten. Es ö. ein Wunder, daß bei dem eigen Durcheinander im Rund⸗ funk kein besseres Programm zustandekomme und daß sich breite Schichten des deutschen Volkes unter Protest von dieser Gestaltung des Rundsunks abwendeten. Vom 1. Juli bis 1. Dezember d. J. hätten genau 486 009 ö den Rundfunk abbestellt. Allerdings behauptet der Rundfunk, daß nur zwei 6 hiervon aus politischen Gründen abbestellt hätten. Doch könne der . . eine solche Behauptung gar nicht beweisen. Der Redner schließt mit der Erklärung, daß die S. P. D. ihren enn gh für die Arbeiter auch y' . werde als ang gegen die politische und gegen die kulturelle Reaktion im Rundfunk. Auch im Rundfunk wolle die S. P. D. für geistige Freiheit und gegen die Diktatur eintreten. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Kerff (Komm.) meint, es komme den Nationalsozialisten mit ihren Theateranträgen nicht so sehr auf die Ausschaltung der Juden an als vielmehr auf das Eindringen des Nationalsozia⸗ lismus in die Stagtsthegter. Es sei bezeichnend, daß im Aus— schuß ein antisemitischer Antrag der Nationalsozialisten mit Hilfe des Zentrums zur Annahme gelangt sei, so daß ein National⸗ sozialist habe feststellen können, das Zentrum sei wenigstens für einen Augenblick einmal auf den Boden der Rassenfrage getreten. Die Nationalsozialisten bekennten sich, wie ihre Anträge zeigten, zum System der bürgerlichen Staatstheater. Die Kommunisten lehnten die Staatstheater von heute grundsätzlich ab, weil es sich dabei um Zentren der jetzigen Gesellschaftsform handle. Nur im Interesse der dort beschäftigten Theaterarbeiter und angestellten verzichteten die Kommunisten darauf, die Schließung dieser Stagtstheater zu beantragen. Allerdings werde die Theaterkrise wohl von selbst zur Schließung führen. Von sieben Staats⸗ theatern, die Preußen 1930 hatte, seien bis zu diesem Herbst nur noch zwei erhalten geblieben. Im Gegensatz zum Theatersterben in Deutschland erlebe das Theater in' Sowjetrußland einen ge⸗ waltigen Aufschwung. Die Kommunisten seien sehr stolz auf den „Kulturbolschewismus“ der russischen Theater, der sich darin zeige, daß das Theater in der Sowjetunion mit den Interessen der Arbeiter und Bauern verwachsen sei, und daß es mitten in den Be⸗ strebungen der Werktätigen wurzle. (Händeklatschen bei den Kommunisten) Die Rundfunkreaktion habe heute ein Ausmaß erreicht, das kaum noch überboten werden könne. Die revolu⸗ tionäre ⸗Arbeiterschaft werde sich den Einfluß auf die Errungen⸗ schaft des Rundfunks nicht nehmen lassen, auch dann nicht, wenn man ihr den normalen Zugang zum Rundfunk versperre. (Beifall bei den Kommunisten.)

Damit schließt die Debatte. Die Ergänzung der Bade⸗ polizei verordnung und der nationalsozialistische Ur⸗

antrag auf Vorlegung einer Aufrechnung aus dem

Deutschtum⸗Fonds gehen an den Hauptausschuß,

während die nationalsozialistischen Anträge auf Gegenmaß⸗ nahmen zur Propaganda der Tschechoslowakei auf preußischem Gebiet und über Ein bürgerungsversuche von Sudetendeutschen dem Verfassungsausschuß zugeleitet werden.

Die zu dem Abschnitt „Theater- und Rundfunk⸗An⸗ gelegenheiten“ vorliegenden Ausschußanträge sollen in einer späteren Sitzung zur Entscheidung gestellt werden.

Ohne Aussprache nimmt das Haus noch auf Vorschlag des dandelsausschusses einen kommunistischen Antrag an, der das Staatsministerium ersucht, folgende Anordnungen zu treffen: Mitteilungen an die Bergbehörde von Betriebsräten sowie anderen Belegschaftsmitgliedern einer Schachtanlage, die auf Mißstände im Betriebe aufmerksam machen und die Aufsichtsbehörde anrufen, um deren Beseitigung zu erzielen, müssen von der zuständigen Behörde vertraulich behandelt werden. Der Werkverwaltung ist leine Einsicht in diese Schreiben zu gewähren, sondern nur von den sachlichen An⸗ schuldigungen nach erfolgter Kontrolle Kenntnis zu geben, ohne Namensnennung des Einsenders. Die Befahrung der genannten gefährdeten Betriebspunkte durch die Aufsichts⸗ behörde muf ohne vorherige Benachrichtigung der Werkver⸗ waltung erfolgen.

Weiter wird auf Vorschlag des Handelsausschusses folgender sezialdemokratischer Antrag angenommen: „Das Staatsministerium wird ersucht, im Interesse des Schutzes der Arbeiterinnen, weiblichen Angestellten, Jugendlichen, Kinder und Heimarbeiterinnen das für den Schutz dieser Per⸗ sonenkreise arbeitende Referat in der Gewerbeaufsicht im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit auch nach dem J. De—⸗ zember 1932 bestehen zu ö

Gegen 53 Uhr vertagt sich das Haus auf Dienstag, den 17. Januar 1933, 13 Uhr. Der Präsident ist ermächtigt, die Tagesordnung selbst festzusetzen. Er behält sich vor, wenn es die politischen Verhältnisse erfordern, den Landtag vor dem genannten Termin einzuberufen.

Parlamentarische Nachrichten.

Haushaltsausschuß am 10. Januar.

Der Reichsfinanzminister hat dem Vorsitzenden des Haus— haltsausschusses des Reichstags, Abg. Torgler (Komm), mitge⸗ teilt, daß er ebenso wenig wie der Reichswirischafts⸗ und der Reichs— arbeitsminister nicht in der Lage sei, schon am 19. Dezember Aus⸗ kunft über das Arbeitsbeschaffungsprogramm zu geben und sich am 10. Januar an einer finanzpolitischen Aussprache im Haushalts⸗ ausschuß zu beteiligen. Es lasse sich noch nicht übersehen, wann die Beratung der Regierung über die Arbeltsbeschaffungsmaß⸗ nahmen abgeschlossen sein würde. Für die finanzpolitische Aus⸗ sprache würde es von Wert sein, wenn die Vorbereitungen für den Haushaltsplan 1933 vorher abgeschlossen wären, die wiederum wegen der noch nicht feststehenden Einzelheiten der Arbeitsbeschaf— fung hätten zurückgestellt werden müssen. Minister Graf Schwerin von Krosigk sieht deshalb keine Möglichkeit zu einer Beratung im Haushaltsausschuß vor der zweiten Januarhälfte.

Wie wir hören, hält jedoch der Vorsitzende des Ausschusses, Abg. Torgler (Komm), an dem Ausschußbeschluß fest, daß am 109. Januar die finanzpolitische Debatte stattfinden soll. Da vor Weihnachten keine Sitzung mehr zustande kommt, werden auf der Tagesordnung des Ausschusses am 10. Januar auch die Anträge auf Aufhebung der Notverordnung vom 4. September stehen, namentlich der Bestimmungen über Steuergutscheine.

Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Reichstags.

Der Reichstagsausschuß für auswärtige Angelegenheiten trat am Donnerstag, den 15. DTejember, zu einer Sitzung zusammen. Ueber ihren Verlauf wird vom Ausschuß folgender Bericht aus— gegeben: „Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags wurde um 11 Uhr vom Vorsitzenden, Abg. Dr. Frick Nat. Sez) eröffnet, der einleitend auf die unter der Kanzlerschaft von Papen von Ausschuß gefaßten Beschlüsse hinwies. Dann nahm der Reichs— Außenminister Freiherr von Neurath das Wort zu den beiden Tagen Lausanner Konferenz und Abrüstung.

iese Ausführungen wurden vom Reichsfinanzminister von Krosigk nach der finanziellen Seite ergänzt. An der Aus⸗ sprache über diese Fragen beteiligten sich die Abgg. Dr. Quaatz (D. Nat), Graf Reventlow Nat. Sozz, Dr. Wirth (Gentr., Rosenberg (Nat. Soz) und Tr. Neubauer (Komm.).

Im Laufe des Nachrnittags wurde auch die Aussprache über die Abrüstungsfrage zu Ende geführt. Daran beteiligten sich Ver⸗ treter fast aller Fraktionen. Von Regierungsseite wurden die ewünschten Auskünföe erteilt. Beschlüsse wurden nicht gefaßt. 8 Besprechung weiterer außenpolitischer Fragen, insbesondere der Ostfragen und handelspolitischen Fragen, wurde eine weitere Sitzung in Aussicht genommen, deren Einberufung dem Vor⸗ sitzenden, Abg. Dr. Frick (Nat. Soz.) überlassen wurde.“

In parlamentarischen Kreisen verlautet, daß die nächste Sitzung des Auswärtigen Ausschusses nicht mehr vor Weihnachten stattfinden werde. VD)

Nummer 50 des Reichsgesundheitsblatts, heraus⸗ egeben vom Reichsgesundheitsamt, vom 14. Dezember 1932 hat 6 genden Inhalt: sn Meldungen über die gemein⸗ gefährlichen Krankheiten im In⸗ und Auslande. Gesetzgebung usw. (Preußen,) Einfuhr österreichischen Geflügels. Veterinär= untersuchungsämter. Untersuchungsstelle für ausländisches Fleisch. (Italien) Dauerwaren pflanzlicher Herkunft. esterreich) Einfuhr von Pelztieren. Rumänien.) Kontrolle der Nahrungsmittel und Getränke. Niederlassungs⸗, Handels⸗ und Schiffahrtsübereinkommen mit Schweden. Rechtsprechung. „Quell⸗Caleanit“ als Lebensmittel i. S. d. 5 1 d. MG. Nicht⸗ amtliche Abhandlungen: Merres-Turnau. Ueber das Färben von Lebensmitteln in früherer Zeit. Vermischtes. Gegenwärtiger Stand der Psittakosis und ihre Bekämpfung auf dem Boden inter⸗ nationaler Gemeinschgftsarbeit. (Deutsches Reich) Spinale Kinderlähmung. Ehescheidungen 1931. Bevölkerungsbewe⸗ ung im 1. de ich. 1932. Getreideernte 1932. Reuten⸗ ewegung in der Sozialversicherung im 3. Vierteljahr 1932. „Im Banne der Strahlen und der Wünschelrute“, Heftankündi⸗ gung. Kampf mit der i Tn gs in der Ü. d. S. S. R.“ Vor⸗ trag im Rahmen der Russisch⸗Deutschen Medizinischen Woche. Monatsbericht über die natürliche Bewegung der Bevölkerung in den deutschen Gemeinden mit 15 000 und mehr Einwohnern im September 1932. Wochentabelle über Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle in den deutschen Großstädten mit 199 909 und mehr Einwohnern,. Geburts- und Sterblichteitsverhältnisse in einigen größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen und Sterbefälle an übertragbaren 1 in deutschen Ländern. Tierseuchen im Deutschen Reich am 1. Dezember. Im Auslande.

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