Schon in der Sitzung vom 30. Mai verpflichtete ich mich, die Verſetzung der vorigen Miniſter in den Anklageſtand in Antrag zu bringen. Dadurch, daß dieſelben ausgeſchieden, ſind ſie noch nicht freigeſprochen, und wenn Ihnen die That⸗ ſachen, die ich darſtellen werde, eben ſo wichtig als mir ſcheinen, ſo werden Sie keinen Augenblick Anſtand nehmen, Maͤnner vor Gericht zu fuüͤhren, die das Land an den Ab⸗ grund des Verderbens gefuͤhrt haben; wenn dagegen mein Antrag Ihren Beifall nicht erhaͤlt, ſo wird derſelbe minde⸗ ſtens den Beweis liefern, wie ſehr die Oppoſition es ſich ſtets angelegen ſein laͤßt, unſere Verfaſſung aufrecht zu erhalten. Es iſt vor Allem nothwendig die Frage, von der geſetzlichen Verantwortlichkeit der Miniſter ge⸗ nau feſtzuſtellen. Der 13te Artikel der Charte ſagt: „die Perſon des Koͤnigs iſt unverletzlich und heilig; ſeine Miniſter ſind verantwortlich.“ Im 55ſten Artikel heißt es: „Die Deputirten⸗Kammer hat das Recht, die Miniſter an⸗ zaklagen, und ſie vor die Pairs⸗Kammer zu laden, die allein befugt iſt, uͤber ſie zu richten:“ Und der 56ſte Artikel fuͤgt hinzu: „Sie koͤnnen nur wegen Verraths oder Erpreſſun⸗ gen angeſchuldigt werden. Beſondere Geſetze werden die Art dieſer Vergehen genauer bezeichnen, und die gerichtliche Verfolgung derſelben feſtſetzen.“ Allerdings ſind dieſe Geſetze bis jetzt noch nicht gegeben worden, weil die Miniſter dem Gedanken, ihrer Macht eine Grenze zu ſetzen, keinen Raum haben geben wollen; ſoll man aber daraus ſchließen, daß ſte wegen begangener Verbrechen nicht belangt und verur⸗ theilt werden koͤnnen? Ein ſolcher Schluß waͤre abgeſchmackt, da ſich daraus nur folgern ließe, daß die miniſterielle Ver⸗ antwortlichkeit bis dieſen Augenblick gar nicht beſtanden hat. Sind uͤbrigens jene Verbrechen nirgends genauer bezeichnet worden? Im Jahre 1814 beſchaͤftigte dieſe Kammer ſich mit einem Geſetz⸗Entwurfe, wonach ein Miniſter, als des Verrathes ſchuldig betrachtet werden ſollte, 1) wenn er gegen die innere und aͤußere Sicherheit des Staats, gegen den Koͤnig und deſſen Fa⸗ milie oder gegen die Charte irgend etwas unternimmt oder anord⸗ net; 2) wenn er irgend einen Vertrag zeichnet, welcher dem Intereſſe oder der Ehre der Nation zuwider iſt; 3) wenn er einen Act der Koͤniglichen Autoritaͤt contraſignirt und in Ausfuͤhrung bringen laͤßt, der nur von der Mitwirkung der drei Zweige der geſetzgehenden Gewalt ausgehen konnte; 4) wenn er eine willkuͤhrliche oder, die perſoͤnliche Freiheit, die Religions⸗ und Preß⸗Freiheit, ſo wie die uͤbrigen, den Fran⸗

zoſen geſetzlich zuſtehenden öͤffentlichen Rechte und die Unan⸗

taſtbarkeit der National⸗Domainen, beeintraͤchtigende Hand⸗ lung begeht oder anordnet. Nach demſelben Entwurfe ſollte ein Miniſter der Erpreſſungen fuüͤr ſchuldig erachtet werden, wenn er 1) Auflagen oder Steuern erhöͤbe, die von dem Geſetze nicht autoriſirt ſind, oder wenn er 2) dem oͤffentli⸗ chen oder Privat⸗Eigenthume zu nahe traͤte, und die zur Be⸗ ſtreitung der Staats⸗Ausgaben beſtimmten Gelder verſchleu⸗ derte. Im Jahre 1817 legte der Großſiegelbewahrer ein Geſetz vor, wonach jeder Miniſter fuͤr einen Staats⸗Verrä⸗ ther gehalten werden ſollte, wenn er auf irgend eine Weiſe den Artikeln 4, 5, 8 und 9 zuwider handelte.“ Nach dieſem Eingange beleuchtete der Redner zuerſt den Gang der geſammten vorigen Verwaltung und demnaͤchſt die Hand⸗ lungen der einzelnen Mitglieder derſelben; er erklaͤrte, daß er ſich mit der möglichſten Ruhe und Maͤßigung, und zwar ſo ausdruͤcken werde, als ob das vorige Miniſterium noch eriſtire; ſeine Rede, fuͤgte er hinzu, werde daher woͤrtlich die⸗ ſelbe ſein, die er bereits im vorigen Jahre abgefaßt gehabt habe, mit alleiniger Hinzufüͤgung einiger ſpaͤtern Thatſachen. Niemand, meinte er, der aufrichtig befragt würde, und eben ſo aufrichtig antwortete, koͤnnte in Abrede ſtellen, daß Frank⸗ reich unter der vorigen Verwaltung einer neuen Revolution entgegengefuͤhrt werden ſollte; die Anſtellung im Staats⸗ dienſte von Feinden des Landes (den Jeſuiten), der Haß gegen die Verfaſſung, die Suspendirung oder Nichtvollzie⸗ hung der Geſetze, die religiöſe Unduldſamkeit, die Verkuͤr⸗ zung der Volksfreiheiten, die willkührlichen Abſetzungen und der Zorn gegen unabhaängige, aber unfolgſame Behoͤrden; Alles, bis auf die Verachtung der Kammern, zeugte von der Wahrheit jener Behauptung. Der Redner ſuchte hier aus⸗ fuͤhrlich zu beweiſen, daß die Miniſter ſich aller dieſer Vergehen ſchuldig gemacht haͤtten. Er klagte, daß dieſelben die Wahlen verfaͤlſcht, daß ſie die Siebenjaͤhrigkeit der Kammer eiugefuͤhrt, daß ſie die Gleichheit vor dem Geſetz zu vernichten geſucht, und daß ſie die Cenſur wieder hergeſtellt haͤtten; daß ſie die Jeſuiten beſchuͤtzt und ſich der Unduldſamkeit gegen alle Re⸗ ligionen, mit Ausnahme der katholiſchen, ſchuldig gemacht haͤtten; daß ſie eine ſchimpfliche Rache gegen diejenigen Ju⸗ ſtiz⸗Behoͤrden ausgeuͤbt haͤtten, die nicht in ihrem Sinne haͤt⸗ en erkennen wollen, und daß ſie General⸗Advocaten, j

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Mitglieder der Academie abgeſ⸗ etzt, und Ge Generaͤle aus

den Armee⸗Liſten geſtrichen haͤtten. Der Redner ging hier⸗ auf zur politiſchen Lage Frankrelchs in ihren Beziehungen zum Auslande uͤber; die Landes⸗Deputirten, meinte er, wuͤß⸗

ten niemals, welche Rolle Frankreich in Europa ſpiele, und wer ſeine eigentlichen Alllirten waͤren; die Ehre der Nation, deren Wuͤrde und Macht ſei comprommittirt worden, und unter dem luͤgenhaften Vorwande einem Kriege im Norden vorzubeugen, habe man in Spanien Millionen an einen Kampf, wofuͤr Frankreich weder Ruhm noch Dank einge⸗ erndtit habe, geſetzt, und an die Stelle einer regelmaͤßigen Ordnung der Dinge Willkuͤhr und Geſetzloſigkeit eingeführt; mittlerweile liege der Handel danieder, und die ſonſt ſo ge⸗ ſchaͤftige Bewegung in den Haͤfen nehme mit jedem Tage

ab. „Dies, meine Herren“, fuhr der Redner fort, „war der allgemeine Gang der Verwaltung, und hieraus ſchon ergiebt ſich nach unſerem Staatsrecht hinlaͤnglich der Ver⸗ rath gegen den Staat und deſſen Oberhaupt. Wer⸗

fen wir nunmehr einen Blick auf die einzelnen Zweige dieſer Verwaltung, ſo finden wir vorerſt, daß das Finanz⸗ Miniſterium die ihm ausgeſetzten Summen ſtets uͤber⸗ ſchritten, und daß die Mehrausgabe allein in den 5 Jahren von 1822 bis 1826 die bedeutende Summe von 15 Millionen Fr. betragen, waͤhrend in demſelben Zeitraume die Staats⸗ Schuld ſich um ein Viertel vermehrt hat. Und welcher Vortheil iſt fuͤr die Kuͤnſte, den Handel und den Gewerb⸗ Fleiß daraus erwachſen? Sind etwa neue Straßen angelegt, neue Bruͤcken gebaut, nuͤtzliche Anſtalten gegruͤndet; iſt un, ſere Marine vermehrt, ſind Denkmaͤler errichtet, iſt der Ha fenbau vollendet worden? Nichts von dem Allen iſt geſche⸗ hen; Frankreich verdankt den Miniſtern keine einzige Wohl-⸗ that, und von allen ſeinen Opfern bleibt ihm nichts als ein Defieit, welches mit jedem Tage zuzunehmen droht. Es iſt

auswaͤrtigen Angelegenheiten uͤbernommen hatte; wie er ſolches gethan, habe ich ſchon oben erwaͤhnt; die Ehre, ja vielleicht unſere eigene Sicherheit erheiſchen, daß wir Frankreichs diplomattſche Geſchichte ſeit den letzten 6 Jahren kene. nen; eine gerichtliche Unterſuchung allein kann ſie uns offenbaren. Werfen wir einen Blick auf das Miniſterium des In⸗ nern, ſo finden wir, ohne die Leitung deſſelben in ihrem

ganzen Umfange zu betrachten, daß es auch hier wenige Zwelge der Verwaltung giebt, die in einzelnen Fällen mehr

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Verachtung der Geſetze bewieſen und ſich tyranniſcher und niſterium des Innern.““ Hter fuͤhrte der Redner jum Beweiſe ſeiner Behauptung eine lange Reihe von Thatſaa,. chen an, und gedachte unter andern auch der Unruhen, welche . im November v. J. in der Straße St. Denys ſtatt gefun-⸗ den haben, ſo wie der ſtrafbaren Umtriebe, deren das gedachte Miniſterium ſich bei den vorigen Wahlen ſchuldig gemacht hat. „Nicht minder ſtrafbar“, fuhr er fort, „erſcheint der Miniſter der geiſtl. Angelegenheiten, und der des ] chen Unterrichts. Wenn es wahr iſt, was ſich heutiges Tages nicht mehr beſtreiten laͤßt, daß ſich Frankreich unter 23 8

das Joch einer apoſtoliſchen Parthei beugt, die von den Ge⸗

ſetzen geaͤchtet iſt, laͤßt ſich da noch annehmen, daß der im Rathe des Koͤnigs ſitzende Miniſter an den Fortſchritten dieſer Par⸗ thei keinen Theil genommen habe? Dem Miniſter konnte es nicht unbekannt ſein, daß die Jeſuiten aus Frankreich verbannt ſind; es war ihm aber auch nicht unbekannt; denn als er beſchulx,

proteſtirte er gegen jegliche Verbindung mit ihnen, und laͤug⸗ nete, daß er ihnen irgend Schutz verleihe. Und haben wir nicht gleichwohl geſehen, daß derſelbe Miniſter ſpaͤter das Daſein der Jeſuiten foͤrmlich eingeſtand, daß er zugab, daß ſieben Unterrichts⸗Anſtalten ſich in ihren Haͤnden befin⸗ den? Hat er nicht ohne die Zuſtimmung der Stadtraͤthe in die Stiftung weiblicher Congregationen gewilligt? Hat er nicht eine Paͤpſtliche Bulle, die den Frelheiten der Gallica⸗ niſchen Kirche und den Beſtimmungen des Concordats zu⸗ widerlaͤuft, gerichtlich beſtaͤtigen. laſſen? Hat er nicht die die Zahl der Biſchöͤfe in parlibus vermehrt, und dadurch die Ausgaben ſeines Miniſteriums erhöhr? Verdanken wirer ſeiner Duldſamkeit nicht die karthaͤufer, die Trappiſten, die Kapuziner und die Miſſionarien? Hat er nicht jedem pro⸗

teſtantiſchen Schulhalter verboten, Katholiſche Kinder aufzu⸗ nehmen? Die Verwaltung des Juſtiz⸗Weſens würde, wenn eine ſtrenge Unterſuchung die dabel vorgefallenen Migße bräuche und Gewalthaͤtigkeiten zu Tage foͤrderte, unſerm Lande zur Schande gereichen. Die oͤffentliche Meinung hat

ſich daruͤber einſtimmig ausgeſprochen, und es ließen ſich zahlloſe Beiſpiele anfuͤhren, wo die Buürger in ihren Rechten ge⸗

a ſogar kraͤnkt,

oder wo ihre Freiheit Se iſt. So wie

bekannt, daß der Graf von Villèle die oberſte Leitung de Z

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willkuͤhrlicher E die Buͤrger gezeigt haben, als das Mi⸗«.. .

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digt ward, daß er die Ruͤckkehr derſelben insgeheim begünſtigte,