Zweite Beilage zur Allgemeinen
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Prenßischen Staats⸗Zeitung
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Beurtheilung der handelnden Personen, den Zustand der Kultur im Allgemeinen, den Einfluß der religioͤsen Vorur⸗ theile und den Drang der Umstaͤnde in Anschlag zu bringen. So wenig sich die Orientalische Autokratie uͤberhaupt lob⸗ preisen laͤßt, eben so wenig lassen sich die in den angefuͤhr⸗ ten beiden Epochen durch den Sultan und seine Minister angeordneten Blut⸗Urtheile und graͤßlichen Verfolgungen recht⸗ fertigen⸗ wobei haͤufig den Unschuldigen das Loos des Schul⸗ digen getroffen haben mag. Von den fuͤrchterlichen Wirkun⸗ gen, welche muselmaͤnnischer Fanatismus, angefacht durch die Partheiwuth der christlichen Secten, im Orient hervorbringt, zeugen uͤbrigens neuerlich noch die grausamen Verfolgungen, welche die friedlichen, treuergebenen katholisch⸗armenischen Un⸗ terthanen der Pforte erlitten haben, und wenn auch den Sultan kein anderer Vorwurf traͤfe, als der, der erbarmungs⸗ losen Haͤrte und der habsuͤchtigen Willkaͤhr seiner Minister keine Graoͤnzen gesteckt zu haben, so wuͤrde doch diese Unter⸗ lassungs⸗Suͤnde hinreichen, um ihn fuͤr die Thraͤnen, das Elend und das Verderben so vieler tausend Ungluͤcklichen verantwortlich zu machen. Indessen muß zur Steuer der Wahrheit bemerkt werden, daß Sultan Mahmud persoͤnlich und aus eigenem Antriebe bisher nur da mit grausamer Strenge verfahren ist, wo Politik und Nothwendigkeit sol⸗ ches nach Orientalischen Ansichten erheischten; daß er diese grausame Strenge nur gegen diejenigen angewendet hat, welche Rebellen waren oder die Neigung verriethen, es zu werden, und nur in solchen Faͤllen, wo seine eigene Sicher⸗ heit und das oͤffentliche Interesse sich gegenseitig als Bedin⸗ gung voraussetzten. Nur dann wuͤrde er verdienen, in der Zeitgeschichte mit dem Namen eines grausamen, wilden, bar⸗ barischen Machthabers gestempelt zu werden, wenn es erwie⸗ sen waͤre, daß er wissentlich und absicht lich unschuldiges Blut zur Befriedigung seiner Privat⸗ Zwecke vergossen haͤtte. Da⸗ gegen ist notorisch, daß er das Todes⸗Urtheil uͤber seinen Bru⸗ der Mustapha erst dann aussprach, als die Erhaltung seines eige⸗ nen Lebens und der oͤffentlichen Ruhe, von diesem fuͤrchterlichen Beschlusse abhing ¹), — daß er nach der Katastrophe Mu⸗ stapha Batraktar's, den Urhebern der Unruhen, die Mittel gewaͤhrte, aus der Hauptstadt zu entfliehen ²³), anstatt sie der Wuth des Volkes preis zu geben, wie dies von seinen Vorfahren bei aͤhnlichen Vorfaͤllen fast immer geschehen war, — daß er Molla Pascha, dem Nachfolger Paswan Oglu’'s in Widdin, das Leben schenkte und seine Schaͤtze ließ ³) — daß er selbst Staatsverbrecher meist nur mit dem Exil, sel⸗ ten mit dem Tode bestrafte — daß er von dem schrecklichen
aber vier und ein halbes Jahrhundert bestanden hat. Nur kurze Zeit hindurch die Stuͤtze, weit laͤnger aber die Geisel des Staats, waren die Janitscharen nicht mehr der Schrecken der Feinde des Reichs, wohl aber der Schrecken ihrer Mitbuͤrger, und die unver⸗ söhnlichen Widersacher aller das Gemeinwohl bezweckenden Anord⸗ nungen und Reformen; ihre Widerspenstigkeit hat das Reich im Kriege und im Frieden an den Rand des Verderbens gebracht, und ihre wiederholten Aufstaͤnde haben die Grundpfeiler des Staats⸗ gebaͤudes erschuͤttert. Hundert Tausende von friedlichen Büͤrgern, die hochherzigsten Staatsmaͤnner und die tapfersten Feldherren bluteten unter dem Mordschwerdte dieser, jedes Gesetz verhoͤhnen⸗ den Barbaren; vier Sultane, die dem Reiche Ruhe schenken woll⸗ ten, fielen, ein Opfer ihrer Verruchtheit, und abermals vier Sul⸗ tane *) verloren den Thron durch die Janitscharen. Die hier zusammengestellten Angaben und theilweise selbst der Tert, sind entlehnt aus Mémoires du Baron de Tott; G Tableau général de Empire Otltoman, par. M. D'Ohsson; Histoire de l'Empire Ottoman, par M dHe Salaberry; Révolut de Constantinople én 1807 et 1808, par M chereau de St. Denis; 3 Constantineple et le Bosphore, par M. le. Comte Andreossy; Geschichte der Aufhebung der Janitschaͤren durch Sultan Mahmud, von Essgad Efendi, Historiograph des Os⸗ manischen Reichs, ins Deutsche uͤbersetzt durch E. von Adelburg.) 21) Révolutions de Constantinople en 1807 et 1808, par Juchereau de St. Denis, P. II. p. 231. 32. 1 22) Am angefuͤhrten Orte T. II. p. 235. Constantinople et ie Bospnore, par Andreossy, Chap J. 13. 8 1 1 2³) Molla Paschg zog sich mit seinem Harem und seinen Reichthuͤmern nach Skutari zuruͤck, dem Serai von Konstantino⸗ pel gegenuͤber, woselbst er, ohne die mindeste Belaͤstigung von der Regierung erfahren zu haben, im Jahre 1812 an der Pest starb. Der Graf Andrceossy sagt in seinem oft angefuͤhrten Buche, wo er diee Thatsache erzaͤhlt: „on pourrait citer nombre de faits de
5 ce senre.
Ju-
*) Mustapha I. 1618. Osman II. 1022. Ibrahim 1649.
saad Efendi.)
11 Muhamed IV. 1687. Mustapha II. 1703. Achmet 11I. 4730. Selim III. 1807. Mustapha IV. 4808.
Nr. 154.
Rechte, welches ihm vermoͤge der Institutionen des Reichs zusteht, taͤglich 14 Personen ohne gerichtliche Procedur oder Zeugen⸗Verhoͤr vom Leben zum Tode bringen zu lassen ²4), mit Ausnahme der Schreckens⸗Tage waͤhrend der Griechi⸗ schen Empoͤrung und der Vernichtung der Janitscharen, noch nie Gebrauch gemacht hat — daß er endlich von seinen Um⸗ gebungen allgemein geliebt und verehrt wird, und daß selbst seine Feinde nicht eine einzige beglaubigte Handlung des Jaͤhzorns von ihm anzufuͤhren wissen.
Der Aufhebung der Janitscharen loͤsung der aus sechs Corps bestehenden, be terei⸗5), welche ebenfalls den Keim der Rebellion in ihrer innersten Natur trug, und wegen ihrer Theilnahme an fast allen Empoͤrungen der Janitscharen mit der neuen Ordnung unvertraͤglich war. 85
Auch die Jamack's, obgleich sie an der letzten Ver⸗ schwoͤrung keinen Antheil genommen hatten, wurden auf⸗ geloͤst, da ihre Treue nicht auf sicherem Grunde zu ruhen schien, und theilweise den neuen Truppen einverleibt, theil⸗ weise aber in ihre Heimath zuruͤckgeschickt.
Um das große Werk der Vertilgung des Janitscharen⸗ Stammes mit allen seinen Neben Zweigen zu vollenden, mußte noch der Orden der Begtaschi's ) vernichtet⸗
verden, dessen Mitglieder nicht nur als Feinde des Reichs betrachtet wurden, wegen ihrer Verbruͤderung mit den Janitscha⸗ ren, sondern auch als Feinde der Religion, wegen Verfaͤlschung der Dogmen, Einschiebung unaͤchter Traditionen und Entstellung der reinen Lehre, wegen Fraß und Voͤllerei, wegen Wein⸗ Gelage statt vorgeschriebener Fafeen, endlich wegen Ueber⸗ tretungen, Ausschweifungen und Laster aller Art. Nach Abhaltung eines großen Rathes wurden die uͤbelberuͤchtigte⸗ sten Glieder des Hrdens oͤssentlich hingekichtet, und am 10. Juni 1826 erschien ein Großherrlicher Ferman, der den Or⸗ den fuͤr ewige Zeiten aufzuheben, die Kloͤster, Zellen und Grabstaͤtten, wie auch die Buͤcher zu vernichten, die Moͤnche selbst aber nach Maaßgabe ihrer Schuld, theils mit dem Tode zu bestrafen, theils in die entferntesten Provinzen zuS exiliren gebot. Mit Vollziehung dieses Befehls wurde der Anfang in der Hauptstadt gemacht, und zur Ausfu hrung desselben in den Provinzen eigene Commissaire nach Rume⸗ lien und Anatolien abgeschickt. . (Fortsetzung folgt.)
24) D'Ohsson, Tableau général de 'Empire Ottoman — 8 Poderini de la littérature des Tures besonders aber das oben angefuͤhrte klassische Werk von Jucherean de St. Denis, T. I. p. 192.
25) Die Sipahis, Reiter, die Silihdare, Waffentraͤger, die Ulefadschiani Femin und Jessar, Soͤldlinge des rechten und linken Fluͤgels, dann die Ghurebai Jemin und Jessar, Fremdlinge des rechten und linken Fluͤgels. Ihre erste Einrich⸗ tung war, wie jene der Janitscharen, das Werk Sultan Orchan's (1328), ihre weitere Ausdehnung faͤllt ebenfalls wie die jenes Corps in die Regierung Murad's I. (1362). 8
26) Hadschi Begtasch, ein frommer Scheich*), der im Rufe der Wunderthaͤtigkeit stand. Nach seinem Tode bildeten dessen Schuͤler ci⸗ nen Moͤnchs⸗Orden, und legten sich, das Andenken ihres Meisters ch⸗ rend, den Namen Begtaschi's bei. Unverbuͤrgten Erzaͤhlungen zufolge soll Hadschi Begtasch, auf das Ersuchen des Sultans Orchan, der damals errichteten neuen Truppe den Namen FJenitscheri gegeben und den Aermel seines Kleides auf den Kopf eines der neuen Soldaten gelegt haben, weshalb die Ceremonien⸗Muͤtze der Jani⸗ tscharen bis zuletzt die Form eines auf den Kopf gesteckten, hinten herabhaͤngenden Aermels behalten hat. Diese und andere aͤhnliche Sagen waren der Grund zur Verbruͤderung der zwei Korperschaf⸗ ten der Janitscharen und der Begtaschi’s, welche zusammen d. große Famtlie des Hadschi Begtasch bildeten. Ein soge⸗ nannter Stellvertreter desselben hielt sich bestaͤndig in einer der 49 Kasernen der Janitscharen auf. Der Scheich des Ordens war zugleich Oberster der 99sten Dschemgat (Compagnie), und Fcht
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Derwische waren bestimmt, Tag und Nacht fuͤr die Wohlfahrt des Reichs und den Erfolg der Waffen zu beten. Die Begtagschi's waren der eigentliche Bettel⸗Orden der Tuͤrkei. Sie bearbeiteten ; ihre Bruͤder, die Janitscharen, auf eine fuͤr Reich und Glauben
hoͤchst verderbliche Weise, und die Regierung betrachtete sie nicht mit Unrecht als die Haupt⸗Urheber des revpolutiongiren Geistes derselben. (S. v. Hammer'’s Staats⸗Verfassung B. II. 193. 406 E. v. Adelburg's Uebersetzung der Tuͤrkischen Denkschrift des Es⸗
*) Der Name Scheich, d. h. Greis, wird überhaupt jedem, durch sein Alter, sein einsames Leben, seine Tugend verehrten Manne beigelegt. Bei den Arabern ist er Ehren⸗Name des Hauptes des Stammes der Familie, un sogar der Teufel heißt bei ihnen der Scheich von Nedschd. Bei den Türken und im Osmanischen Reiche wird dieser Name ausschließlich nur den Predi⸗
gern und den Obern der verschiedenen Derwisch⸗Orden beigelegt. (S. v. Ham⸗ mer's Staats⸗Verfassung B. II. 392.) 2