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Blicke auf den Archipel und die Inſeln de 85 Weißen Meeres.
(Fortſetzung des in Nr. 346 abgebrochenen Artikels.) Dilés, Dili, Delos, zwei unbewohnte, nur 5 Stunden weſtlich von Mikoni gelegene Eilande, von geringem Um⸗ fange, die durch eine ſchmale, kaum eine halbe Seemeile breite Meerenge von einander getrennt ſind. dieſer beiden Inſeln war bei den Alten unter dem Namen Rhenaͤg, oder auch Groß⸗Delos bekannt, die andere aber ward Klein⸗Delos oder vorzugsweiſe Delos genannt. Dieſer letzteren iſt von den Franken der Name Sdiles oder auch Sdille beigelegt worden, der wahrſcheinlich nur eine Entſtel⸗ lung von Delos iſt.
Delos war ſchon in der fruͤheſten Zeit beruͤhmt als das Vaterland des Apollo und der Diana. Auf dieſem Felſen, der, wie die Dichter erzaͤhlen, im Aegeiſchen Meere umher⸗ ſchwamm, und zufaͤllig in die Mitte der Cykladiſchen In⸗ ſeln *) getrieben worden war, fand die fluͤchtige Latona, nach langem Umherirren, eine Freiſtaͤtte gegen die Verfolgungen der unverſoͤhnlichen Jund, und gebahr die beiden Gorrerkin⸗ der, welche daher auch die Beinamen Delios und Delia tru⸗ gen, und hier vorzuͤglich verehrt wurden. — Die eigenen Koͤnige, welche Delos anfaͤnglich beherrſchten, und zugleich das Prieſteramt ausuͤbten, mußten der Gewalt der Athe⸗ nienſer weichen; nach der Zerſtoͤrung Korinth's (146 Jahre vor Chr. Geb.) ward die Inſel der Zufluchtsort der vertrie⸗ benen Bewohner dieſer Stadt, welche ihre Reichthuͤmer hie⸗ her fluͤchteten und Delos zum Mittelpunkt eines eben ſo ausgebreiteten als eintraͤglichen Handels machten. Abwech⸗ ſelnd den Griechiſchen Machthabern, den Perſern und den Roͤmern unterworfen, blieb Delos dennoch ſtets wegen ſeiner Wunder, ſeiner herrlichen Monumente und ſeiner prachtvollen architektoniſchen Kunſtwerke, den Feinden ſelbſt ein Gegenſtand der Bewunderung und Verehrung. Als Po⸗ lykrates, Tyran von Samos, ſich der Inſel Rhenaͤa bemach⸗ tigte, ließ er ſie, zum Zeichen, daß ihr Boden fortan dem Deliſchen Apoll geheiligt ſey, mittelſt einer, uͤber den Kanal gezogenen Kette an das Ufer von Delos anſchmieden. Da⸗ tis, Heerfuͤhrer der Perſer, welcher die Delier bekriegte, ging ſo weit in ſeiner Verehrung fuͤr den Geburtsort des Apollo und der Diana, daß er, um die geheiligte Erde nicht zu ent⸗ weihen, Delos gar nicht zu betreten wagte, ſondern mit ſeinen Truppen auf Rhenzͤa landete, und von hier aus reichliche Geſchenke an die Prieſter ſandte. Beſonders merkwuͤrdig war der, dem Apoll geweihte herrliche Tempel, den Eriſichton, der Sohn Cecrops, des erſten Koönigs von Athen, aus Pariſchem Marmor erbaut hatte, und der in der Folge unter der Mitwirkung aller Staaten Griechen⸗ lands aufs Praͤchtigſte verſchoͤnert woörden war. Er ſtand am Eingange einer ganz aus Marmor und Granit erbaue⸗ ten, reich bevoͤlkerten Stadt, welche ein großes Theater, viele herrliche Saͤulengaͤnge, koſtbare Bildhauer⸗Arbeiten, eine Nau⸗ machie, ein Gymnaſium und eine unzaͤhlige Menge koͤſtlich ge⸗ ſchmuͤckter Altaͤre beſaß, und ihrer Herrlichkeiten wegen von den Griechiſchen Geographen Neu⸗Athen genannt worden war. Der in dem Tempel befindliche, dem Apoll beſonders geweihte Haupt⸗ Altar und die coloſſale Bildſaͤule des Gottes, welche, nach ihrer Hoͤhe zu urtheilen, wahrſcheinlich das Frontispiz des pracht⸗ vollen Gebaͤudes zierte, wurden zu den Wunderwerken der damaligen Welt gerechnet. Obgleich die Orakel, welche Apoll hier waͤhrend des Sommers ertheilte, wegen ihrer Deutlich⸗ keit und Zuverlaͤſſigkeit vor allen anderen beruͤhmt waren, ſo hat doch das ſogenannte Deliſche Problem, oder die Aufgabe den Wuͤrfel zu verdoppeln, den Philoſophen und Mathematikern jener Zeit gewaltiges Kopfbrechen verurſacht. Als naͤmlich einſt auf Delos die Peſt wuͤthete, ertheilte das Drakel den Einwohnern, welche daſſelbe um ein Mittel ge⸗ gen die verheerende Seuche befragt hatten, den Rath, den Altar des Apollo, welcher die Geſtalt eines Wuͤrfels hatte, noch einmal ſo groß zu machen. — Auch Diana und La⸗ tona, Neptun und Herkules hatten Tempel auf Delos, das ganz den unſterblichen Goͤttern geweiht war und wo kein Bild des Krieges noch der Zerſtoͤrung geduldet wurde. Den Todten diente die nahe gelegene Inſel Rhenaͤa zur Begraͤb⸗
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*) Zea, Andco, Tino, Syra, Thernia, Serpho, Siphnos, Milo, Argentiere, Nanſio, Santorin, Amorgo, Nio, Sikino, Polikandro, Paros und Antiparos, Naros und Mikony, wurden von den Alten die ECykladen genannt, weil ſie gleichſam einen Kreis bildeten, von welchem Delos, willkuͤhrlich genug, als der Mittelpunkt angeſehen wurde; dagegen wurden die uͤbrigen weſt⸗ lich und noͤrdlich zerſtreut gelegenen Inſeln Nikaria, Pathmos, Lero, Kolimno, Piskopi, Nikaro, Stampalia, Stancho, Skarpen⸗ tho und Kaſſos unter der Benennung der Zerſtreuten oder Sporaden begriffen. 1“
keile ſo zahlreichen Bevoͤlkerung, haben wir keine beſtimmten Nach⸗ Die groͤßere
nißſtätte; auch die ſchwangeren Frauen wurden hieherge⸗ bracht, um daſelbſt ihre Entbindung abzuwarten. — Ueber die ſpaͤteren Schickſale von Delos, ihre Beziehungen zum Byzantiniſchen Kaiſerreiche, den allmaͤhligen Verfall ihrer Beruͤhmtheit, und das gaͤnzliche Verſchwinden der ehemals
richten; die letzten Beſitzer derſelben waren die Rhodiſer⸗Ritter, welche ſich von hier aus den Griechiſchen Kaiſern und nachher den Muſelmaͤnnern furchtbar machten, am Ende aber doch, laͤngeren Widerſtandes unfaͤhig, nach dem Verluſte ihres Haupktſitzes zu Rhodus (1522) beide Inſeln an den Eroberer des Archi⸗ pel's, Suleyman II., abtreten mußten. In den Ruinen auf Rhenaäͤa finden ſich noch an mehreren Stellen Jeruſalemer⸗ Kreuze eingehauen, die auf den Beſitz der Johanniter⸗ oder Rhodiſer⸗Ritter hindeuten. — Von den vielen Wundern, den koſtbaren Monumenten, den ſeltenen Kunſtſchaͤtzen, den unzaͤhligen Prachtwerken und der außerordentlichen Bevoͤlke⸗ rung, welche Delos zur Zeit der Griechen und Roͤmer zur vornehmſten der Cykladiſchen Inſeln erhoben hatten iſt heute nichts üͤbrig, als eine mit Schutt und Truͤmmern 82 Einoͤde. Wie dieſer Verfall allmaͤhlig herbeigefuͤhrt 168ben und wer die Schuld der graͤßlichen Umwaͤlzung⸗ traägt die ſchonungslos die koſtbarſten Heiligthuͤmer zu Boden geſtuͤrzt hat, laͤßt ſich nicht nachweiſen, indeſſen duͤrfte es keinein Zweifel unterworfen ſeyn, daß Delos ſchon bei der Grüͤn⸗ dung des Oſt⸗Roͤmiſchen Reichs vieler ſeiner vorzuͤglichſten Schaͤtze zur Verſchoͤnerung des neu erbauten Byzanz beraubt worden iſt, und es iſt hinlaͤnglich bekannt, daß Konſtantin der Große und ſeine Nachfolger kein Bedenken getragen ha⸗ ben, Griechenland, die Cykladen und das nahe gelegene Aſien auszupluͤndern, um die mit dem alten Rom wetteifernde
neue Kaiſer⸗Stadt zur erſten der Welt zu erheben. So ge⸗ chah es auch, daß die koſtbaren Saͤulen des Apollo zu Delos in
der vom Kaiſer Juſtinian, im Jahre 538 vollendeten Aja Sofia, neben jene zu ſtehen kamen, welche zur Ver⸗ herrlichung dieſes Meiſterwerkes Neu⸗Griechiſcher Bau⸗ kunſt, aus den Tempeln der Digna zu Epheſus, der Pallas zu Athen, der Cybele von Cyzikus u. ſ. w. entwen⸗ det worden waren.*) Seit den letzten dreihundert Jahren iſt Delos ſo zu ſagen zum Steinbruch geworden, aus dem die Bewohner der umliegenden Inſeln die koſtbarſten Ueber⸗ reſte ehemaliger Prachtwerke wegfüahren, um ſie ruͤckſichtslos zu zertruͤmmern und als Bau⸗Maucrial zu verwenden. Ueber die noch vorhandenen hoͤchſt merkwuͤrdigen Ruinen und In⸗ ſchriften haben die Reiſebeſchreiber Spon, Wheeler und Tournefort am Ausfuührlichſten berichtet. * Von der Vortrefflichkeit der Ankerplaͤtze, welche Klein⸗ und Groß⸗Delos den Schifffahrern darbieten, iſt ſchon un⸗ ter dem Artikel Mykoni Erwaͤhnung gethan worden. Klein⸗Delos beſitzt das beſte Quellwaſſer des ganzen Ar⸗ chipels; Plinius, der dieſe Quellen unter dem Namen Ino⸗ pus anfuͤhrt, traͤgt kein Bedenken, im vollen Ernſte zu er⸗ zaͤhlen, ſie ſteige und falle gleichzeitig mit dem Nil; dieſes Strabo gehoͤrig gewuͤrdigt hatte,
Maͤhrchen, welches ſchon 1 wied heut⸗ noch von den Mykoniern nacherzaͤhlt, welche je⸗ doch den Jordan dem Nil ſubſtituirt haben, wahrſcheinlich um das Wunder auf eine orthodoxere Weiſe zu erklaͤren Der an ſchoͤnem Granit reichhaltige Berg Cynthos nach welchem Apoll und Diana benannt worden, iſt *
zu Tage unter dem Namen Kaſtro bekannt.
Schutt und Steinbloͤcke bedecken den duͤrren, unfrucht⸗ baren Boden, welcher wuͤſt liegt und nur noch mit Kanen⸗ chen bevoͤlkert iſt, die ihre Wohnung unter den marmornen Truͤmmern aufgeſchlagen haben, und ſich in unendlicher Menge vermehren. Fruͤher war die Inſel, wegen des Ueber⸗ fluſſes an Haſen und Wachteln, bald Lagia, bald Ortygia genannt worden. 2
Ganz grundlos iſt die von einigen leichtglaͤubigen Reiſe⸗
2) Im Vorbeigehen ſey es bemerkt, daß die Kunſiſchäͤtze welche Englaͤnder, Franzoſen und Oeutſche aus Griechenland“ dem Archipel und Klein⸗Aſien entfuͤhrt haben, und jene, welche noch auf claſſiſchem Boden erhalten ſind, die den Tuͤrken zur Laſt gelegte Beſchuldigung der Zerſtoͤrungsſucht aus blindem Fanatismus hinlaͤnglich widerlegen. Daß die Muſelmaͤnner kei⸗ nen Sinn fuͤr Kunſtwerke haben, und folglich auch nichts fuͤr die Erhaltung derſelben thun, iſt allerdings ſehr wahr, eben ſo wahr iſt es aber auch, daß ſie an der Zerſtoͤrung der vorgefun⸗ denen Meiſterwerke einen weit geringeren Antheil gehabt haben, als der frevelnde, ſelbſt das Heiligſte entweihende Vandalismus der Byzantiniſchen chriſtlichen Fanatiker, der Bilderſtuͤrmer, der Kreuzfahrer, der Lateiner und Franken im Allgemeinen, beſon⸗ ders aber der Genueſer und Venetianer.
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