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koͤnnen? Hat die Regierung nicht bereit Alles und mehr fuͤr ſie gethan, als man ihr billiger Weiſe zumuthen kann? Ich bewohne ſelbſt eine bedeutende Manufaktur, Stadt, wo der Handel, eben ſo wie an anderen Orten, leidet. Gleichwohl ſind unſere Fabrikanten, weit entfernt, ſich daruͤber zu beſchweren, daß Frankreich dem Auslande offen

ſteht, vielmehr die erſten, welche neue Abſatz⸗Punkte fuͤr ſich

verlangen, und wenn ſie ſehen, daß unſere Ausfuhr ſich ver⸗

mindert, ſo meſſen ſie die Schuld davon hauptſaͤchlich unſerm Zoll⸗Tarif bei. Nichts wuͤrde nachtheiliger fuͤr uns ſeyn, als wenn wir die ſchlaffen Bande, die uns noch an einige Europaͤiſche Staaten knuͤpfen, gaͤnzlich zerreißen wollten. Ich ſtimme fuͤr die Tagesordnung.“ Herr Thil meinte, er koͤnne nicht recht begreifen, welchen Nachtheil es fuͤr das Land haben wuͤrde, wenn man in einem Augenblicke, wo die Regierung ſich mit einem neuen Zoll⸗Tarife beſchaͤftige, die gedachten Bittſchriften dem Handels⸗Miniſter zuſtelle. Herr von Saint⸗Crieg widerſetzte ſich dieſer Ueberweiſung zwar nicht, erklaͤrte aber zugleich, daß die Regierung die verſchiedenen Intereſſen gleichmäaͤßig wahrnehmen muͤſſe, und daß ſie daher einen Handelszweig nicht vor dem andern beguͤnſtigen duͤrfe. Der Vicomte von Tracy ſtimmte fuͤr die Tagesord⸗ nung; er bdemerkte, daß das Publikum ſelbſt die Hol⸗ laͤndiſche Leinewand der Franzoͤſiſchen vorziehe, weil jene beſſer und billiger als dieſe ſey; es gebe ſonach fuͤr die Franzoͤſiſchen Fabrikanten ein leichtes Mittel, die Hollaͤndiſchen zu verdraͤngen, wenn ſie naͤmlich eben ſo gut arbeiteten und eben ſo wohlfeil verkauften als

dieſe. Herr Cabanon hielt eine voͤllige Umſchmelzung des

Zoll⸗Tarifs fuͤr dringend nothwendig. Die Herren Jars und Humblot⸗Conté hoben die Nachtheile des Prohibitiv⸗ Syſteims hervor. Der neu ernannte Deputirte, Graf von Murat (Dept. des Nordens), welcher bei dieſer Gelegenheit hee erſtenmale die Rednerbuͤhne beſtieg, ließ ſich in eine aus⸗ üͤhrliche Unterſuchung der Beſchwerden der Bittſteller ein;

er ſuchte den Grund, warum die Franzoͤſiſchen Manufaktu⸗

ren mit den auslaͤndiſchen die Concurrenz nicht beſtehen koͤnn⸗ ten, zum Theil in dem hohen Preiſe der Steinkohlen, die bei ihrem Eingange aus Belgien einen Zoll von 35 Centi⸗ men fuͤr das Hectoliter zu entrichten haben. Er verlangte ſonach eine Ermaͤßigung dieſes Zolles. Als Beweis, wie wenig das Geſetz vom 28. April 1816, wodurch das jetzige Prohibitiv⸗Syſtem eingefuͤhrt worden iſt, zur Ausfuͤhrung komme, fuͤhrte der Redner an, daß die Aſſecuranz⸗Praͤmie fuͤr eingeſchmuggelte Waaren allmaͤhlig von 36 auf 10 pEt. ſefallen ſey. Der Handels⸗Miniſter beſtritt die Richtig⸗ eit dieſer Angabe; waͤre dieſelbe indeſſen gegruͤndet, meinte er, ſo haͤtte der vorige Redner um ſo weniger das Prohibitiv, Syſtem vertheidigen ſollen, und man muͤßte in dieſem Falle eine voͤllige Handels⸗Freiheit einführen. Die gedachten Bittſchriften wurden hierauf den Miniſtern des Handels und der Finanzen, ſo wie der Commiſſion zur fung des Zoll⸗Tarifs zugeſtellt. Der Schulhalter Ray⸗ naud zu Paris beklagte ſich, daß man ihm im Jahre 1821 ſeinen Erlaubnißſchein zur Haltung einer Elementarſchule des⸗ halb entzogen habe, weil er Proteſtant ſey; er verlangte da⸗ her eine Entſchaͤdigung. Dieſer letztere Antrag war Schuld daran, daß die Commiſſion fuͤr die Tagesordnung ſtimmte, obgleich ſie uͤbrigens nicht in Abrede ſtellte, daß es bis zum Jahre 1828 den Schulhaltern geſtattet worden ſey, Kinder von verſchiedenen Religionen aufzunehmen. Hr. alverte ſtimmte fuͤr die Ueberweiſung der Eingabe an den Miniſter des öͤfſentlichen Unterrichts. Nirgends, meinte er, beſtehe ein⸗Geſetz, wonach es einem proteſtantiſchen Schulhalter nicht erlaubt ſey, ka⸗ tholiſche Zoͤglinge aufzunehmen; ein ſolches Geſetz wuͤrde auch der Charte zuwiderlaufen, und man könnte alsdann mit gleichem Rechte die Frage aufwerfen, ob es einem katholiſchen Schul⸗ lehrer geſtattet ſey, proteſtantiſche Kinder zu unterrichten. Der Miniſter des oͤffentlichen Unterrichts raͤumte ein, daß es nach der Verordnung vom 29. Jan. 1816 einem proteſtantiſchen Schulhalter nicht verboten geweſen ſey, katho⸗ liſche Zoͤglinge aufzunehmen und eben ſo umgekehrt; nichts⸗ deſtoweniger theile die gedachte Verordnung die Elementar⸗ Schulen in proteſtantiſche und katholiſche, wovon jene von Proteſtanten, dieſe von Katholiken gehalten werden ſollten, mit der Erlaubniß jedoch, Kinder, ohne Unterſchied der Re⸗ ligion, anzunehmen; Raynaud ſey nun aber als katholiſcher Schulhalter autoriſirt worden; er habe ſonach ſeine eigentliche Religion verlaͤugnet und die Behoͤrde, ſo wie die Aeltern, die ihm

ihte Kinder anvertraut, getaͤuſcht. Als nachdieſer Erklaͤrung uͤber

die von der Commiſſion in Antrag gebrachte Tages⸗Ordnung abgeſtimmt ward, wurde dieſelbe gleichwohl verworfen, und die Eingabe des Raynaud dem Miniſter des öͤffentlichen Un⸗

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Daits zu Blois verlangte eine Belohnung dafuͤr, daß er die Entfernung der Erde von der Sonne gefanorn habe. Der

Bittſteller hatte ſich bereits mit ſeinem Geſuche an die Akademie der Wiſſenſchaften gewandt, von dieſer aber zur Antwort erhalten: „daß ſie ſich mit dergleichen Din⸗ gen nicht beſchaͤftigen koͤnne;“ jetzt erklaͤrte er ſich bereit, ſein Geheimniß gegen ein National⸗Geſchenk einer Commiſſion von eputirten zu entdecken. Der Bericht⸗ erſtatter bemerkte indeß, die Kammer koͤnne ſich noch we⸗ niger als die Akademie mit dergleichen Dingen be⸗ ſchaͤftigen, und ſtimmte ſonach fuͤr die Tages⸗Ordnung. Dieſe wurde auch angenommen. Die ganze Angelegenheit erregte gro⸗ ßes Gelaͤchter. Achtzig Einwohner von Angers, worunter 60 Wähler, verlangten die Abſchaffung der beiden Geſetze uͤber das doppelte Votum bei der Deputirten⸗Wahl und üͤber die ſiebenjährige Zuſammenſtellung der Kammer. Der Berichterſtatter (Herr Wirod) erklaͤrte im Namen der Com⸗ miſſion, daß ihr der Gegenſtand einer ernſten Unterſuchung wuürdig ſcheine, und daß ſie ſonach fuͤr die Niederlegung der Bittſchrift auf das Nachweis⸗Buͤreau ſtimme. Dieſer An⸗ trag erregte eine lebhafte Senſation in allen Theilen des Saales. Hr. v. Mauſſion widerſetzte ſich demſelben und ſtellte einige Betrachtungen uͤber den Gebrauch oder vielmehr üͤber den Mißbrauch an, der von dem Petitions⸗Rechte ge⸗ macht werde. „Die Beſchluͤſſe der Kammer uͤber die einge⸗ gangenen Bittſchriften,“ außerte er, „ſind rein moraliſcher Na⸗ tur; es giebt deren dreierlet: die Tagesordnung, die Niederlegung auf das Nachweis⸗Bruͤeau (in ſofern die Bittſchrift einiges In⸗ tereſſe zu verdienen ſcheint) und die Ueberweiſung an die betreffen⸗ den Miniſter. Duech dieſen letztern Beſchluß giebt die Kam⸗

mer zu erkennen, daß ſie ſich des Bittſtellers annimmt, und daß * ihm gerecht zu werden wuͤnſcht. Von 450 Petitio⸗ nen, die bisher ihre Erledigung erhalten haben, iſt der groͤßte Theil durch die Tagesordnung beſeitigt, ein Viertel etwa auf das Nachweis⸗Buͤreau niedergelegt, und nur einem geringen Theile die Ehre der Ueberweiſung an die Miniſter zu Theil geworden. Das Nachweis⸗Buͤreau koͤnnte man aber fuͤglich die Katakomben der Bittſchriften nennen (Ge⸗ läͤchter); mehr als 2000 Eingaben liegen hier begraben, und mehrere Monate wuͤrden dazu gehoͤren, um ſich aus dieſem Labyrinthe herauszuſinden. Ich frage nun, von welchem Nutzen eine Ueberweiſung an dieſes Buͤreau ſeyn kann. Die Bittſchriften nehmen einen großen Theil unſerer Sitzungen ein, als ob ſie der Hauptgegenſtand unſers Mandats ünd der Sorgfalt der Regierung wären. Unmoͤglich kann ich dem Erſten Beſten das Recht zuerkennen, die Kammer von Gegenſtänden zu unterhalten, die durchaus nicht zu ihrer Competenz gehoͤren, und ihr dadurch eine koſtbare Zeit zu rauben. Mindeſtens ſollte man die Petitionen 1eee

behandeln. Was die vorliegende betrifft, ſo ſtimme ich fuͤr

die Tagesordnung, weil man durch eine Ueberweiſung an das Nachweis⸗Buͤreau ihr eine Wichtigkeit beilegen wuͤrde, die ſie gar nicht hat.“ Dieſe Uesegneſn wurde gleichwohl beſchloſſen. Am Schluſſe der Sitzung kamen noch die Ein⸗ gaben mehrerer Familienvaͤter von Paris und andern Staͤdten zur Sprache, worin dieſe eine Aenderung in dem Re⸗ crutirungsweſen verlangen, und namentlich darauf antragen, daß die Contingente kuͤnftig nicht mehr in dem Verhaͤltniſſe d ganzen Bevölkerung, ſondern nach Maaßgabe der waffenfäͤhig Mannſchaft jedes Departements erfolge. Die Generale Ma⸗ thieu Dumas und Higonnet ließen ſich uͤber den Ge⸗ genſtand vernehmen. a indeſſen nach der Beendigung der Rede dieſes Letztern nur noch einige dreißig Deputirte im Saale waren, die Sache aber von großer Wichtigkeit iſt, ſo trug der Präſident darauf an, die Fortſetzung der Berathung bis auf den naͤchſten Sonnabend auszuſetzen. Dieſer Vor⸗ ſchlag wurde einſtimmig angenommen, und die Sitzung um 6 Uhr aufgehoben. Paris, 22. Juni. Vorgeſtern nach der Meſſe bewil⸗ ligten Se. Maj. Ihrem Botſchafter in der Schweiz *), Gra⸗ fen von Rayneval, und dem ehemaligen Engliſchen Botſchaf⸗ ter in Konſtantinopel, Herrn Strarford⸗Canning, in Beglei⸗ tung des Lord Stuart, Privat⸗Audienzen. (Hr. Stratſord⸗ Canning iſt in der Nacht vom 20ſten auf den lſten nach London abgereiſt.) Geſtern Morgen um 8 Uhr iſt der Koͤnig zur Stadt gekommen, um der Frohnleichnams⸗Prozeſſion beizuwohnen. Der Monzteur enthäͤlt Folgendes: „Mehrere Jour⸗ nale haben nach Briefen aus Havre wiederholt, daß die Bra⸗

*) Die in Nr. 172, der Staats⸗Zeitung nach dem Conſtitu⸗ tionnel gegebene Rachricht, daß der Herzog von Rauzan ſich als Franzoͤſtſcher Botſchafter nach der Schweiz begeben werde, ſcheint ſonach ungegrundet zu ſeyn. 1

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