1830 / 320 p. 2 (Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Thu, 18 Nov 1830 18:00:01 GMT) scan diff

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Vereidigung mehrerer Deputirten, die wegen Unzulaͤnglichkeit der von ihnen beigebrachten Certifikate vorlaͤufig noch zuruͤckgewie⸗ sen worden waren. Sodann wurden die Berathungen uͤber den Antrag des Hrn. Bavoux wieder aufgenommen. Herr Le⸗ véque de Pouilly verlangte, daß man das Porto fuͤr die Zeitungen ganz eingehen lasse, wogegen Herr Odier eine bloße Ermaͤßigung desselben fuͤr um so unzulaͤssiger hielt, als sich in den Einkuͤnften der Post fuͤr das laufende Jahr ohnehin ein Ausfall von 2,200,000 Fr. ergebe, der durch die neue Organisirung des Postwesens herbeigefuͤhrt worden sey. Der Graf v. Laborde gab seine Verwunderung zu erkennen, daß keiner der Minister im Laufe der Diskussion das Wort ergreife. Auf die Frage des Grafen von Noailles, wie stark der Ausfall seyn wuͤrde, wenn man das Postporto auf 2 Cent. verminderte, erwie⸗ derte der Berichterstatter, Herr André, daß die Summe sich etwa auf 660,000 Fr. belaufen moͤchte. Herr Viennet bemerkte, daß, so wie die Sachen jetzt staͤnden, ein Zeitungs⸗ schreiber immer von einem heiligen Schrecken befallen wuͤrde, wenn sich ein neuer Abonnent bei ihm meldete. Die Ver⸗ sammlung schien dieser Versicherung keinen besonderen Glau⸗ ben zu schenken, obgleich Herr Viennet sie darauf stuͤtzte, daß das bisherige Haupt⸗Einkommen der Journale, naͤmlich die Insertions⸗Gebuͤhren fuͤr Prioat⸗Annoncen, durch die Oeffentlichkeit der Debatten der Pairs⸗Kammer bedeutend ge⸗ schmaͤlert wuͤrde. Der obige Antrag des Herrn Bavoux wurde daher auch, als jetzt daruͤber abgestimmt wurde, mit großer Stimmen⸗Mehrheit verworfen. Nicht besser erging es einer Proposition des Herrn Viennet, das Porto von 5 auf 3 Centimen zu reduziren. Derselbe Deputirte trat hier⸗ auf mit dem Antrage auf eine Ermaͤßigung von 5 auf 4 Cent. hervor. Dieser wurde endlich angenommen. Herr Madier de Montjau entwickelte hierauf einen Zusat⸗Artikel fol⸗ genden Inhalts: „Die Stempel, und Post⸗Gebuͤhren fuͤr die in den Departements, mit Ausnahme derer der Seine und der Seine und Oise, erscheinenden Zeitungen und pe⸗ riodischen Schriften sollen in Staͤdten von mehr als 50,000 Einwohnern um die Haͤlfte, und in Staͤdten von weniger als 50,000 Etnwohnern um drei Viertel ermaͤ⸗ ßigt werden.“ Der Finanz⸗Minister fand sich dadurch zu folgenden Bemerkungen veranlaßt: „Die Kammer wird leicht einsehen, wie schwer es haͤlt, ein solches Finanz⸗ Gesetz leichsam zu improvisiren. Ich habe mich bereits gestern vee. die Ansichten der Regierung ausgesprochen. Gewiß wird Niemand uns in dem Verdacht haben, daß wir keine Freunde der Preßfreiheit waͤren. Es handelt sich hier aber von einer finanziellen Frage. Ohne Zweifel wird man bei Gelegenheit des Budgets zwei Dinge von uns verlangen, die groͤßtmoͤglichste Ersparniß in den Ausgaben, und die Angabe der Mittel, um diese Ausgaben zu bestreiten. In dieser Be⸗ ziehung wiederhole ich aber, daß die Lage des Schatzes mir, in dem Interesse der Preßfreiheit selbst, keine sofortige Ver⸗ minderung der Einnahmen zu gestatten scheint. Das Bud⸗ get wird Ihnen unverzuͤglich vorgelegt werden; alsdann koͤn⸗ nen Sie mit voller Sachkenntniß entscheiden.“ Hr. Madier de Montjau nahm hierauf sein Amendement zuruͤck. Herr v. Tracy verlangte, daß die uͤberseeischen Zeitungen nicht wie Briefe, sondern nach dem fuͤr die inlaͤndischen Zeitungen bestehenden hoͤchsten Satze taxirt wuͤrden, indem bei der jetzi⸗ gen Einrichtung das Porto oftmals so hoch sey, daß die Em⸗ pfaͤnger es vorzoͤgen, ihre Pakete gar nicht von der Post ab⸗ holen zu lassen. Herr von Salvandy schloß sich die⸗ sem Antrage an und schlug zugleich vor, eine solche Ver⸗ guͤnstigung auch den in fremden Sprachen erscheinenden Journalen zu Theil werden zu lassen. Beide Vorschlaͤge wurden angenommen. Jetzt kam die Reihe an das (bereits gestern erwaͤhnte) Amendement des Herrn Isambert. au kceet also: „Jedem Geschaͤftsfuͤhrer einer Zeitung oder politi⸗

schen Schrift, so wie allen Andern, ist, unter Androhung der

im Artikel 290 des Strafgesetzbuchs enthaltenen Strafen, so

wie uͤberdies bei einer Geldbuße von 25 1000 Fr., welche

Strafen gleichzeitig oder einzeln auferlegt werden koͤnnen

untersagt, ohne die Erlaubniß der polizeilichen Sebg An⸗ oder an⸗ schlagen zu lassen, auszurufen oder ausrufen zu lassen.“ Nach⸗ Isambert diesen Antrag naͤher entwickelt hatte,

aͤußerte der Minister des Innern sich daruͤber in folgender

Weise: „Da ich unter meiner Verantwortlichkeit mit der

Polizei des Landes beauftragt bin, so ist meine erste Sorge gewesen, mich mit der Frage zu beschaͤftigen, die so eben hier Ich habe mehrere General⸗Pro⸗ nratoren zu Rathe gezogen, um mich von den zur Aufrecht⸗ stehenden Mitteln gehoͤrig

kuͤndigungen auf oͤffentlicher Straße anzuschlagen

dem Herr

b Sprache gebracht wird.

healtung der Gesetze mir zu Gebote m zu unterrichten, und diese Mittel gedachte ich demnaͤchst zum Besten der Preßfreiheit anzuwenden, um sie von Allem zu

Dasselbe lau⸗

saͤubern, wodurch sie in den Augen des Publikums besudelt werden koͤnnte. Aus den desfallsigen Konferenzen hat sich indeß ergeben, daß hinsichtlich unsrer Gesetzgebung uͤber die Anschlag⸗ zettel und die oͤffentlichen Ausrufer in der That große Mei⸗ nungs⸗Verschiedenheiten herrschen. Die Regierung fuͤhlt daher auch vollkommen die Nothwendigkeit, eine gesetzliche Maaßregel in dieser Beziehung zu ergreifen; doch glaubt sie, daß eine solche mit dem vorliegenden Gegenstande durchaus nichts ge⸗ mein habe. Sie ersucht also den vorigen Redner, eine be⸗ sondere Proposition dieserhalb zu machen; wo nicht, so wird sie selbst damit hervortreten.“ Nachdem hierauf Herr Isam⸗ bert seinen obigen Antrag zuruͤckgenommen hatte, trat Herr Benjamin Constant mit dem Vorschlage hervor, den ueunen Zeitungen zur Cautions⸗Leistung eine zweimonatliche Frist zu gestatten. „Ich trete“, äͤußerte er unter Anderm, „zur Vertheidigung einer Sache auf, die sich, wie mir scheint, eben keiner besonderen Gunst zu erfreuen hat. Ein gewandter Redner (Hr. Guizot) hat gestern einen Unterschied zwischen den alten und neuen Zeitungen gemacht und von den einen wenig Gutes, von den andern aber viel Schlechtes gesagt. Daß die letzteren zuweilen uͤbertreiben, mag ich nicht in Abrede stellen, doch bin ich der Meinung, daß sich unter gewissen Umstaͤnden auch wohl eine Entschuldigung dafuͤr auffinden laͤßt. Die neuen Journale sind aus dem Schooße der Re⸗ volution des Monats Juli hervorgegangen; sie sprachen sofort unverholen ihre Freude und Hoffnung aus, und wenn auch jene auf unanwendbaren Theorieen beruhte, diese aber die Graͤnzen der Moͤglichkeit uͤberschritt, so waren beide doch unschuldig. Nichts⸗ destoweniger zeigte sich sofort ein unerklaͤrliches Mißtrauen ge⸗ gen jene Blaͤtter, nicht bloß gegen die Grundsaͤtze derselben, son⸗ dern auch gegen die Maͤnner, deren Organe sie waren. Ue⸗ berall hoͤrte man die seltsamen Worte: Die Zeiten der Scho⸗ nung sind voruͤber. Gleichsam als ob es sich darum handelte, unfolgsame Kinder zum Gehorsam zuruͤckzubringen. Andrer⸗ seits sahen jene Zeitungen eine Menge von Feinden unsrer Revolution im Amte bleiben; mit einem Worte, sie befanden sich gleichsam in der Lage eines Armee⸗Corps, das, in einer Festung eingeschlossen, einen muthigen Ausfall wagt, nach errungenem Siege aber die Thore derselben Stadt, die es gerettet, hinter sich verschließen sieht. Man hat es den mehrerwaͤhnten Blaͤrtern auch zum Vorwurfe gemacht, daß sie die Volks⸗Klubs vertheidigt haben. Ich meinerseits halte dergleichen Klubs fuͤr uͤberfluͤssig und nachtheilig, sobald die Presse frei ist; die neuen Zeitungen haben indeß leicht durch die Betrachtung irre gefuͤhrt werden koͤnnen, daß einer der vorigen Minister (Herr Guitzot) bei den vorletzten Wahlen selbst Praͤsident der Gesellschaft: „Hilf dir, so wird der Himmel dir helfen!“ war. Ihr Irrthum ist daher wohl verzeihlich; daß sie aber auf den Umsturz der bestehenden Ordnung nicht hinarbeiten, geht schon daraus hervor, daß sie seit dem Antritt der neuen Minister auch neues Ver⸗ trauen fassen und neue Hoffnung schoͤpfen. Ich verlange, daß man ihnen zur Cautions⸗Leistung eine angemessene Frist bewillige, damit sie wo moͤglich ihre Existenz noch ferner fri⸗ sten koͤnnen. Zwar glaube ich im Voraus versichern zu koͤnnen, daß wenige von ihnen mit dem Leben davon kommen werden; indeß wer⸗ den wir doch wenigstens dem Lande beweisen, daß es nicht soͤrmlich auf ihren Tod abgesehen ist.“ Nach Herrn Benj. Coustant bestieg Herr Guizot unter Zeichen des lebhaftesten Interesses von Seiten der Versammlung die Rednerbuͤhne und aͤußerte sich folgendermaßen:

cch bedaure, m. H., daß ich die Kammer auf die gestrige Distastehn danceea denauß, hich habe keinesweges die Absicht auf unnuͤtze Strenge gegen die Journale zu dringen, oder mi dem von dem vorigen Redner in Antrag gebrachten Amendement zu widersetzen. Wenn die Kammer es fuͤr angemessen erachtet, den neuen Blaͤttern eine Frist von zwei bis drei Mongten zu ge⸗ waͤhren, um ihre Caution zu leisten, so widersetze ich mich dem in keinerlei Weise. Nicht gegen die neuen Journale insbesondere habe ich das Wort ergriffen, sondern um auf eine wichtige That⸗ sache, auf eine große Gefahr aufmerksam zu machen, die ich in dem jetzigen Zustande der Presse zu entdecken glaube, und um auf diese Thatsache, auf diese Gefahr die Nothwendigkeit der Beibe⸗ haltung der Caution im Allgemeinen zu begruͤnden. Auch komme ich, um einige allgemeine Behauptungen zu widerlegen, die sich nicht auf die Frage, die uns beschaͤftigt, sondern auf unsere ganze Lage und auf das Benehmen behicben, welches zu beobachten ich berufen war, so lange ich die Ehre hatte, im Rathe des Koͤnigs zu sitzen. (Die gespannteste Neugierde gab sich bei diesen Wor⸗ jen in der Versammlung kund.) Nicht der Ucbertreibung babe ich gestern die neuen Journale beschuldigt, und was ich sagte, galt auch nicht allen, sondern nur einigen unter ihnen. Eines Hauptirrthums, einer schlechten Leitung und eines schlechten Ein⸗ flusses klage ich sie an. Uebertreiben kann man auch das Gute, und auch auf der Bahn der Wahrheit kann man zu weit gehen. Eine solche Uebertreibung aber werfe ich keinesweges den neuen Jout⸗

nalen vor, sondern ich finde sie, ich wiederhole es, ihrem Wesen nach und von Grund aus schlecht. Wenn auch ihr Ton gemaͤ⸗ ßigter waͤre, ihr Irrthum wuͤrde mir darum nicht minder gro und gefaͤhrlich, ihre Lehren wuͤrden mir nicht minder schlecht, un die Leidenschaften, die sie naͤhren, nicht minder verderblich gch t. nen. Es dreht sich hier um eine Grundfrage, die noch nicht in ihrem ganzen Umfange betrachtet worden ist. Die letzte Revolu⸗ tion wird naͤmlich unter zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet Mehr als einmal hat man uns vorgeworfen, wir be⸗ griffen die Revolution des Juli nicht, (Hoͤrt, oͤrt!) wir gingen nicht auf die von ihr angegebene Richtung ein und verfolg⸗ ten dieselbe nicht bis ans Ende in dem Sinne, wie sie be⸗

onnen worden sey. Darauf, meine Herren, beruht die

rage. Wer aber begreift wahrhaft die Revolution des Juli, wer geht auf ihre Richtung ein und setzt sie so fort, wie sie be⸗

onnen worden ist? Ich selbst stelle diese Frage in ihrer 8

usdehnung zwischen mir und meinen Gegnern auf und behaupte nun, daß sie es sind, die die Revolution von 1830 nicht begrei⸗ fen, daß sie es sind, die, statt dieselbe fortzusetzen, sie nur ent⸗ stellen und ihr eine verkehrte Richtung geben. Verzeihen Sie, m. H, aber ich halte es fuͤr Pflicht, mit der groͤßten Frei⸗ muͤthigkeit zu sprechen. (Beifall). Ich behaupte, daß wir es sind, die uns innerhalb der Richtung der neuesten Revolution be⸗ finden und die dahin gestrebt haben, ihr ihren wahren Charakter zu geben, waͤhrend unsere Gegner sie zu entstellen und, um mei⸗ nen Gedanken ganz herauszusagen, sie zu verkehren trachten. Weit entfernt bin ich, hierbei die Absichten irgend einer Person ankla⸗ gen zu wollen. Eine große Thatsache bei der Revolution von 1830 war die einmuͤthige Zustimmung, die ihr in ganz Frankreich zu Theil wurde. Glauben Sie aber, daß dieser einstimmige Bei⸗ fall alle Verschiedenheit der Meinungen und Interessen ausschließt; glauben Sie, daß die Revolution, so wie sie vollbracht worden, alle Hoffnungen und Wuͤnsche erfuͤllt hat? Niemand hat ver⸗ gessen, was sich zugetragen. Welches war der Charakter unserer Revolution? Sie hat die Dynastie gewechselt; statt ihrer hat sie die naͤchstfolgende Linie auf den Thron gesetzt (Bewegung auf der aͤußersten Linken). Das ist nicht ohne Absicht geschehen; es war ein Werk des oͤffenrlichen Instinkts, des National⸗Interesses. Dieser Instinkt, dieses Interesse, haben dem Lande die Nothwen⸗ digkeit einer gruͤndlichen Veraͤnderung fuͤhlbar gemacht; aber dasselbe Gefuͤhl hat das Land bewogen, diese Veraͤnderung in moͤglichst enge Graͤnzen einzuschließen, sowohl in Bezug auf die Dynastic als auf die Institutionen. Niemand unter uns kann vergessen haben, was in jenen wichtigen Tagen und in dem Augen⸗ blicke vorging, wo das gewaltige Ereigniß vollbracht wurde. Ge⸗ wisse Maͤnner verlangten eine ganz neue Verfassung und wollten gar nichts mehr von der Charte wissen, fuͤr welche man gefoch⸗ ten hatte; sie betrachteten dieselbe als gar nicht vorhanden. Ihre Ansicht hat nicht die Oberhand behalten, die Ereignisse haäͤben gogen sie entschieden, und daß es so gekommen ist, kann nicht der Weisheit irgend einer Person zugeschrieben werden; Ereignisse dieser Art stehen uͤber allen verstnlichen Berechnungen. Was ge⸗ schehen ist, war das Resultat jener allgemeinen Vernunft, welche nicht einem einzelnen Individuum angehoͤrt, sondern die Atmo⸗ sphaͤre gleichsam anfuͤllt und die Schritte derer, die von der all⸗ gemeinen Bewegung fortgerissen werden, ohne ihr Wissen leitet. Dieser universellen Vernunft und dem allgemeinen Interesse Frankreichs war es angemessen, daß die Revolution so geschah, wie sie geschehen ist, das heißt, daß sie die der Charte liegenden Institutionen annahm, daß sie sich nicht blindlings in eine unbekannte Laufbahn warf, daß sie alle vollbrachten That⸗ sachen achtete, daß sie mit allen Interessen unterhandelte, daß sie der Welt bereits vollendete Unternehmungen aufzeigte und in dem Augenblicke, wo sie geschah, sich selbst maͤßigte uͤnd inne hielt. Dies war ihr Charakter und ihr Ursprung; das war sie an und fuͤr sich, das hat sie thun wollen, und sie hat es auf den Fingerzeig der Nothwendigkeit und der allgemeinen Vernunft Fehan. ach Verlauf einiger Zeit machte sich diese Nothwen⸗ igkeit, welche anfangs Jedermann eingeleuchtet hatte, nicht mehr mit derselben Macht fuͤhlbar. Die natuͤrlichen Gegensaͤtze traten wieder hervor; Jeder kehrte zu seiner Meinung zuruͤ k, und die fruͤheren Meinungs⸗Verschiedenheiten haben sich noch entschiede⸗ ner als sonst wieder eingefunden. Die Schwierigkeiten wuchsen mit dem Drange der Ereignisse, und nun handelte es sich um die Frage, wer die Revolution wirklich verstehe, und wer sich in der von ihr angegebenen Richtung besinde. Die Einen, ich stehe nicht an, es zu saͤgen, wollten sie von ihrem wahren urspruͤngli⸗ chen Charakter ablenken und sie anders fortsetzen, als sie begon⸗ nen hatte. Als Folgen der Revolution stellten sie dieselben Gruͤnd⸗

saͤtze auf, denen zufolge man anfangs etwas ganz Anderes beab⸗

sichtigte, als was wirklich gecdeben Im Namenderselben Grund⸗ saͤtze und Gesinnungen, die, erlauben Sie mir den Ausdruck, im Schooße der letzten Revolution gewiegt worden sind, verlangte man von uns, die Revolution fortzusetzen. Nun wohl, m. H., meine Freunde und ich wir haben uns geweigert, es in diesem Sinne zu thun. (Lebhafte Bewegung.) Wir hoben die Revolu⸗ tion ihrem urspruͤnglichen Geiste nach fortsetzen, haben diesem Geiste der Maͤßigung und Versoͤhnung, der Schonung aller In⸗ teressen, der Ausgleichung aller Meinungen treu bleiben wollen. Wir glauben darin nicht blos dem urspruͤnglichen Charakter und der wahren Natur der Revolution, sondern auch der wieklichen und

aufrichtigen Meinung, so wie den Interessen Frankre ichs, treu ge⸗

blieben zu seyn. Es sey mir vergoͤnnt, bei diesem Punk 4 1. 1 „bei diesem Punkte noch einen Augenblick zu verweilen. Ich bitte die Kammer und na⸗

mentlich die Mitglieder, welche anders denken als i ir in Bezug auf meine Ausdruͤcke ihre ganze Nachsicht Feee; * Es koͤnnte seyn, d ine5 1 nk sevn seyn, daß meine Worte uͤber meine Gedanken hinaus gingen, und daß ich Meinungen, Lehren und Handlungen, die von den meinigen abweichen, und die ich getadelt habe und noch tadele, strenger anklagte, als es meine Absicht ist. Hinter der von der unsrigen verschiedenen Meinung befinden sich drei Ansichten, die ich folgendermaßen unterscheide: 1) Die republikanischen Ideen; 2) die heißen Leidenschaften und 3) die ausschließenden Forde⸗ rungen. Frankreich hat weder republikanische Ideen, noch heiße Leidenschaften, noch macht es ausschließende Forderungen, und wer dergleichen hegt, ist nicht national (Lebhafter Beifall). Ich achte die Anhaͤnger der Republik; ihre Grundsaͤtze sind ehrenryerth, ihre Gefuͤhle edel, ihre Gesinnungen großmuͤthig, und wenn es uͤberhaupt thunlich waͤre, so wuͤrde ich die Morte des alten Galba zu ihnen sagen: „„Wenn die Republik wiederhergestellt werden koͤnnte, so waͤret Ihr wuͤrdig, sie zu beginnen.“ Die Buͤrger unter sich moͤgen mit mehr oder weniger Interesse von der Republik sprechen, aber Frankreich ist nicht republikanisch, und wenn man es diesem Ziele entgegentreibt, so thut man dies gegen den Willen des Landes. Eben so wenig ist Frankreich leiden⸗ schaftlich; nicht leidenschaftlicher Hang nach Veraͤnderungen, sondern Maͤßigung und richtiger Sinn sind der herrschende Geit und der allgemeine Charakter der Franzosen. Man hat an unser Verfahren gegen die Volks⸗Vereine erinnert. Was wir gethan haben, das hatte das Land bereits vor uns gethan. Eine freiwil⸗ lige nationale Bewegung hat jene Vereine aufgehoben, und ich koͤnnte einen von liberalen Waͤhlern ernannten Deputirten nen⸗ nen, der sich morglisch verpflichtete, aus allen Kraͤften dem beklagenswerthen Einflusse der Volks⸗Vereine zu steuern. Der uns leitende Geist ist die Maͤßigung, und wer heut⸗ zutage durch die Leidenschaften wirken will, wird auf eine Menge von Hindernissen stoßen, weil diese Leidenschaften dem Geiste Frankreichs zuwider sind. Nach einer Revo⸗ lution, wie die unsrige, ist ein Volk leicht zum Irrthum geneigt; wenn es aber die Erfahrung der Vernunft und des Un⸗ gluͤcks besitzt, so laͤßt es sich von diesem Irrthum nicht weit fortreißen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß Frankreich jetzt gemaͤßigt ist. Eben so wenig aber entsprechen die ausschlie⸗ ßenden Forderungen dem Geiste Frankreichs. Keiner von uns faͤllt uͤber seinen Nachbar, uͤber den, der unsere Ansichten nicht theilt, ein hartes Urtheil. Wir beduͤrfen gegenseitig großer Nach⸗ sicht und muͤssen einander Gerechtigkeit widerfahren baffen Man kann nicht sagen, daß diejenigen, deren Ansichten ganz entgegen⸗ gesetzt sind, sich darum wirklich feindselig waͤren. Gerechtigkeit und Unparteilichkeit herrschen in Frankreich; man urtheilt uͤber das Verdienst eines Beamten nicht nach seiner politischen An⸗ sicht, im Gegentheil betrachtet Jeder mit Besorgniß Reactionen und Absetzungen; mit einem Worte, die aus sch teßenden Forde⸗ rungen liegen nicht im Geiste Frankreichs. Was die Theorieen betrifft, so ehre ich sie; ich weiß, daß sie der Triumph der mensch⸗ lichen Vernunft und das Resultat der edelsten Anstrengungen sind, um zur Erkenntniß der Wahrheit zu gelangen. Aber die menschliche Vernunft irrt oft, und wenn es sich um die prakti⸗ sche Anwendung handelt, so erkennt man bald die Maͤngel der Theorieen. Wenn sie wahr waͤren, so wuͤrden sie auch gut seyn; aber nur hoͤchst selten sind sie wahr, sie sind fast immer unvoll⸗ staͤnddig und darum unwahr. So lange es bei der Theorie bleibt, ist die Gefahr nicht groß; man irrt, und damit ist es abgemacht; wendet man sie aber praktisch an, so wird die Falschheit und die Gefahr, sich ihr zu uͤberlassen, offenbar. Nicht mit Theorieen, sondern mit dem Verstande, der die Wirklichkeit zu Rathe zieht, der sich mit dem, was ist, begnuͤgt, begruͤndet man Staaten. Dasselbe gilt von den Leidenschaften; ich ehre sie, wenn sie edler Natur sind, aber es ist nicht in ihrer Art, sich den Be⸗ duͤrfnisen der Voͤlker zu fuͤgen, die verschiedenen In⸗ teressen auszugleichen, alle Rechte und alles Bestehende u ehren. Dadurch begruͤndet man Staaten, aber nicht urch unbestimmte Theorieen und stuuͤrmische Leidenschaften. Eben so ist es mit dem Parteigeiste, der eine große Rolle in der Welt spielt; er paßt nicht in die Sphaͤre, in der wir uns befin⸗ den und wo es sich darum handelt, das Beispiel der Stabilitaͤt zu geben und alle Interessen, auf denen die Gesellschaft beruht, zu ehren. Schon im Privatleben kann man die Erfahrung ma⸗ chen, daß der, welcher sich seinen großherzigen Ansichten, seinen Leidenschaften blind hingiebt, in eine Menge von Irrthuͤmer verfaͤllt; im oͤffentlichen Leben ist es nicht anders; in der Leitun der oͤffentlichen Angelegenheiten wie in Privat⸗Verhaͤltnissen mu man klug und gemessen seyn. Hierin beruht der ganze Unter⸗ schied zwischen uns und unsern Gegnern. Aus dem Gesagten erhellt, wie meine ehrenwerthen Freunde und ich die Revolution verstanden haben, warum wir von dieser Bahn uns auch nicht einen Schritt weit entfernen wollten, und warum wir aus dem Ministerium austreten mußten, als wir unsere Ansichten und Wuͤnsche nicht geltend machen konnten. Keinesweges glaube ich, daß unsere Nachfolger einen andern Weg einschlagen werden, als wir; sie koͤnnen es nicht, denn die Gewalt der Dinge leitet sie, wie uns. Sie sind einsichtsvolle, rechtschaffene Maͤnner und gute Buͤrger. Die Verschiedenheit, die zwischen uns vorhanden war, als wir zusammen im Kabinette des saßen, ist jetzt, ich sage es frei, weit geringer. Die Minister sehen sich genoͤthigt, die Revolution zu begreifen, wie wir sie begriffen haben, sie fort⸗ zusetzen, wie wir sie fortzusetzen gedachten. Sie sind denselben Gesetzen der Nothwendigkeit unterworfen, wie wir, und das