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. soben. Wenn Ihr aber die Volks⸗Souverainetaͤt nicht nachgeben wollt,
o opfert wenigstens nicht die noch vorhandenen Garantieen der Ruhe auf. Mehrere Redner, unter Anderen Hr. v Thiard, haben offen gestanden, die gegenwaͤrtige Zusammensetzung der Kamimer sey es, die man an⸗
en ihr Ursprung sey es, den man ihr nicht vergeben koͤnne.
Die jetzige Debatte ban also nur den Zweck, die Patrie, welche ohne⸗ hin durch die untergeordnete Rolle, die sie im August v. J. syielte, und durch die Eliminirung von 93 ihrer Mitglieder gedemuͤthigt genug erscheint, noch mehr zu demuͤthigen. Man will sehen, ob die Pairs aus persoͤnlichem Interesse in die Schmalerung ihrer eigenen Wuͤrde willigen, ob sie sich die groͤßte Erniedrigung, die einem politi⸗ schen Koͤrper widerfahren kann, gefallen lassen werden. Welchen Einfluß, welche Kraft kann das Ministerlum von einer so gedemuͤthigten Pairie, der stolzen und unabhaͤngigen Deputirten⸗Kammer gegenuͤbct, erwarten? Das Ministerium bringt also feig und unpolitisch seine Ueberzeu⸗ gung einem persoͤnlichen Hasse zum Opfer. Aber die Maͤnner, die es haßt, werden und koͤnnen das Gesetz, das ihnen vorgelegt werden wird, nicht annehmen, sondern muͤssen ihre Wuͤrde, als eine ihnen anvertraute oͤffentliche Gewalt, behaupten. Sollen wir die Pairs von Frankreich um die Truͤmmer ihrer politischen Mannhaftigkeit feilschen sehen? Leider haben wir zum Nachtheil fuͤr die Wuͤrde des Franzoͤsischen Charakters seit vierzig Jahren viele traurige Beispiele eines schimpflichen Abkommens zwischen Gewissen und Eigennutz im Augenblick der Gefahr geseheg. Ich finde nicht Worte genug, um auszudruͤcken, wie schimpflich mir dieser Eigennutz erscheint. Man hat sich oͤfter auf die Nacht vom 4. Aug. 1789 bezogen; bei meinen bekannten Ansichten wird es Sie nicht uͤberraschen, daß ich die in dieser Nacht gemachten Opfer nicht mit demselben Auge be⸗ trachte, wie die uͤbrigen Redner. Der Franzoͤsische Adel hat eine lange und gerechte Strafe dafuͤr erlitten; denn die weitreichenden Blitze der Revolutionen kommen nicht alle aus des Menschen, son⸗ dern oft aus hoͤherer Hand, und um Ihnen meine Meinung ganz zu sagen, die gegenwaͤrtige Berathung gleicht schon sehr einer Zuͤch⸗ tigung.“
In der Sitzung vom 6. Oktober verlangte zunächst Hr. Laboissière (Vaucluse), daß die Versammlung sich möglichst bald eine von einem gewissen Dulac, Eskadrons⸗Chef der Mu⸗ nicipal⸗Garde, bei der Kammer eingereichte Druckschrift, worin er persönlich angegriffen werde, vortragen lasse, damit er sich ge⸗ gen die darin enthaltenen Beschuldigungen öffentlich vertheidigen könne. — Nachdem hierzu der nächste Sonnabend über acht Tage (15te) bestimmt worden, machte Hr. Bavoux, Namens der mit der Feststellung des Budgets der Kammer beauftragten Kom⸗ mission, folgende Proposition: „Den Herausgebern des Sténo⸗ graphe, Herren Blondeau und Chatard, sollen während der Dauer
der Sesston monatlich 5000 Fr. unter der Bedingung gezahlt
werden, daß sie jedem Deputirten ein Exemplar ihres Blattes verabfolgen lassen. Der gegenwärtige Beschluß gilt nur bis zum
1 Schlusse der Sesston, insofern er nicht bis dahin verlängert wor⸗
den ist.“ Die Versammlung kam dahin überein, sich über die⸗ sen Antrag in ihrer nächsten Sonnabend⸗Sitzung zu berathen. — Hr. Arago berichtete hierauf über den Gesetz⸗Entwurf, wo⸗ durch nachträglich noch ein außerordentlicher Kredit von 500,000
Fr. zum völligen Ausbau des neuen Saales der Deputirten⸗
Kammer verlangt wird, und erklärte, daß die mit der Prüfung dieses Gesetzes beauftragt gewesene Kommission einmüthig für die Annahme desselben stimme. Er bemerkte, zugleich, daß der Saal alsdann bis zum nächsten Monat März fertig seyn werde. Man beschloß, sich mit diesem Gegenstande erst nach der Erledigung des Pans⸗Gesetzes zu beschäftigen. — Jetzt wurden die Berathungen über die Reorganisation der Pairs⸗Kammer fortgesetzt. Herr Viennet bekämpfte zunächst denjenigen Theil der Rede des Hrn. Berryer, worin dieser es dem Ministerium
zum Vorwurfe macht, daß es gegen seine Ueberzeugung gehan⸗
delt habe. Er könne, äußerte er, dieses der öffentlichen Meinung gebrachte Zugeständniß nicht als einen Verrath betrachten; da die Mehrzahl der Mitglieder der Kammer schon im voraus Ver⸗
pflichtungen übernommen gehabt habe, so sey den Ministern nur
u die Wahl übrig geblieben, entweder nachzugeben, oder sich zurück⸗
.““
zuziehen; der letztere Entschluß wäre indeß unter den dermaligen schwierigen Umständen noch mehr als ein bloßer Mißgriff gewesen, und er sey ein zu guter Bürger, als daß er ihnen für ihr Verbleiben
am Staatsruder nicht Dank wissen sollte; der Dienst, den sie
dadurch dem Lande geleistet, sey groß genug, um eine Inkonse⸗ quenz zu entschuldigen. Was die Erblichkeit der Pairie betreffe,
“ so glaube er zwar nicht, daß der Sieg derselben sofort eine neue Rervolntion herbeiführen würde; gleichwohl müsse er aus Ueber⸗ zeugung gegen die Erblichkeit stimmen.
„Die Pairie moͤge erblich seyn, oder nicht“”, fuͤgte der Redner
binzu, „sie ist deshalb nicht minder unwandelbar und nur in ihren Mittggliedern veränderlich. Nachdem aber die Frage also gestellt wor⸗
besteht, bewies er uns zugleich
den, scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß die aufgeklaͤrte
Wahl des Monarchen geeigneter ist, der Pairie jenen Geist der Er⸗ haltung, den man von ihr verlangt, zu verleihen, als der Zufall der Geburt. Herr Guizot selbst hat uns, ohne es zu wollen, das staͤrkste Argument gegen die Erblichkeit geliefert. Indem er uns naͤmlich an jene Masse neuer Namen erinnerte, woraus die Englische Pairie daß dieses lebendige Vorbild einer politischen Aristokratie seinen Glanz und seinen Erhaltungsgeist einer
8 8 aanvderen Ursache, als dem Zufalle der Geburt, verdankt. Die Aristokratie
der neueren Zeiten ist die des Verdienstes, und diese reicht nicht uͤber das Grab hinaus. Auch in den Argumenten des Hrn. Royer⸗Collard vermisse
1 ich eine richtige Folgerung des Prinzips. Derselbe erkennt naͤmlich bloß die Souverainetaͤt der Vernunft an und beruft danach die hhoheren Klassen der Gesellschaft zur Pairie; zugleich aber stimmt er
fuaͤr die Erblichkeit. Dies scheint mir nicht konsequent; denn wenn
die hoͤheren Klassen der Gesellschaft wirklich die einzigen Elemente
deer Patrie sind, so muͤssen auch alle Maͤnner von ausgezeichnetem FTDalent und Verdienst dazu berufen werden koͤnnen.
Niemand ist
mehr als ich von der Nothwendigkeit einer monarchischen Regiec⸗
rungsform in Frankreich durchdrungen; gleichwohl kann ich meine
PHeberzeugung in Bezug auf die Erblichkeit nicht aͤndern, denn ich sage mir, daß die Erblichkeit Nichts retten, wohl aber Alles in den
schlägen der Aristokratie Geh Z Se
Abgrund stuͤrzen kann, daß eine erbliche Aristokratie noch nie eeine Stuͤtze fuͤr den Thron gewesen ist, daß sie zehnmal mehr Dy⸗
nastieen untergraben hat, als das Volk, und daß das Koͤnigthum in mihvre. gesunken ist, weil es den Rath⸗ ehoͤr gegeben und sich auf diese gestuͤtzt Aber auch die Einfuͤhrung eines Wahl⸗Systems bei der Er⸗ airs scheint mir unzulaͤssig. Wir sehen schon jetzt,
Frrankreich selbst nur deshalb
wie viel Gleichgultigkeit das Volk fur das Wahl⸗Geschaͤft zeigt, wie
leer die Wahl⸗Kollegien sind. Wie koͤnnte man unter solchen Um⸗ fiaͤnden von den Waͤhlern die Ernennung der unabsetzbaren Bewah⸗
reer des wichtigsten politischen Amtes im Staate verlangen? Unsere
Kommission hatte daher vollkommen Recht, als sie den Wahlern nicht einmal die Praͤsentation von Kandidaten bewilligen wollte.“
Deer Redner hob hierauf die Nachtheile hervor, die über⸗
dies daraus entstehen würden, wenn beide Kammern gleicharti⸗
gen Ursprungs wären, und schloß mit folgenden Worten: „Mein Wahlspruch ist: die Aufhebung der Erblichkeit, die Ernennung
purch den König, beschränkt auf gewisse Klassen der Gesellschaft,
endlich keine nochmalige Revision des 23sten Artikels der Charte. Dieser letztere Vorbehalt war ein unglücklicher Gedanke; das
Provisorium würde dadurch noch verlängert werden. Wäre man
in der Sitzung vom 7. August v. J. meinen Rathschlägen ge⸗ folgt und hätte sofort alle durch die Revolution angeregte Fra⸗
gen entschieden, so würde die Presse nicht nachträglich diese Fra⸗
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gen benutzt haben, um die Leidenschaften zu bewaffnen, die Ab⸗ sichten der Regierung anzuschwärzen und die Gemüther zu er⸗ hitzen. Machen Sie diesem Zustande der Ungewißheit ein Ende, m. H., und entfernen Sie den verderblichen Gedanken, daß die Charte immer aufs neue einer Reviston unterworfen werden könne.“ — Der Marschall Clausel erhob sich gleichfalls gegen die Erblichkeit der Patrie. Die Abneigung, die das Volk gegen dieselbe hege, äußerte er, sey keine Anwandlung einer voruübergehenden Laune, sondern das Resultat vieljähriger Erfahrungen und das längst gehegte Gefühl des Bedürfnisses nach Gleichheit. Die Vortrefflichkeit der Nicht⸗Erblichkeit ergebe sich schon hinlänglich aus dem Widerspruche, der zwischen dem von Hrn. C. Perier vorgelegten Gesetz⸗Entwurfe und der Darlegung der Motive, wo⸗ mit er ihn begleitet habe, bestehe; beide erinnerten gewisserma⸗ ßen an die Klagen, die im vorigen Jahre in beiden Kammern über das Unglück Karls X. ertönt wären und sich zuletzt in einen Eid der Treue für Ludwig Philipp aufgelöst hätten; da⸗ mals, unter der eisernen Hand des Volkswillens, habe man die Mitglieder des älteren Zweiges der Bourbonen, so sehr man sier auch beweint, sich ruhig nach England einschiffen lassen; heute ließen sich ähnliche Klagelieder vernehmen, so daß man meinen sollte, die Erblichkeit der Pairie sey ebenfalls auf der Reise nach Cherbourg begriffen (Gelachter); man solle aber wie damals, ohne auf die ver⸗ ossenen Thränen Rücksicht zu nehmen, seine Pflicht thun und rankreich mit den Institutionen ausstatten, die es mit so ge⸗ rechter Ungeduld erwarte. Der Redner beleuchtete hierauf die von den Ministern gemachten Vorschläge zur Einführung einer nicht erblichen Pairie, verwarf sie und entschied sich flir einen Wahl⸗Modus. Folgendes sind die Anträge, die er in dieser Hinsicht machte: „Der König ernennt einen Pair unter den ihm von jedem der 86 Departements vorzuschlagenden fünf Kandi⸗ daten. Alle übrige Pairs werden direkt vom Könige ernannt. Sämmtliche Pairs müssen zu einer der von der Kommission in Vorschlag gebrachten Klassen der Gesellschaft gehören. Das Minimum beträgt 200, das Maximum darf niemals die Zahl der Mitglieder der Deputirten⸗Kammer (459) übersteigen.“ — Herr André vom Ober⸗Rhein gab seine Meinung in folgenden sechs Punkten ab: „1) Die Pairs⸗Kammer nimmt an ihrer Reorganisation Theil; 2) der König allein ernennt die Pans; 3) er wählt sie unter den von der Kommission vorgeschlagenen Kategorieen; 4) das Minimum beträgt 250, das Maximum 300; 5) die Erblichkeit wird abgeschafft; 6) dieser neue Artikel der Charte ist definitiv.“ — Herr Jollivet betrachtete ein Wahl⸗ System als die nothwendige Basis für die Bildung der Pairs⸗
Kammer und verwarf sonach den vorgelegten Gesetz Entwurf. —
Herr Keratry außerte sich etwa folgendermaßen:
„M. H., ein Prozeß ist weder gewonnen noch verloren, bevor beide Parteien nicht vor ihrem kompetenten Richter erschienen sind. Man behauptet, Frankreich sey einer erblichen Pairie abgeneigt. Wer wirft sich aber bier zum Dolmetscher des Landes auf? Die Zeitungen und die Waͤhler. Waren indeß diese beiden wohl befugt, einen hoͤchsten Beschluß in einer so ernsten Sache, wie die vorlte⸗ gende, zu fassen? Waren jene nicht vielleicht die bloßen Organe ei⸗ ner Partei, die entschlossen ist, unsere Regierungssorm von Grund aus zu aͤndern? Bilden diese wohl eine gesetzlich erwiesene Majo⸗ ritaͤt, die ein Mandat erlassen koͤnnte, das einen Jeden unter uns verpflichtete? Gewiß wird Niemand so etwas behaupten. Es wuͤrde in der That unserer eigenen Wuͤrde und der des Landes wenig ent⸗ sprechen, wenn wir uns im voraus schon gegen unsere Kommitten⸗ ten gebunden haͤtten. Nein, m. H., gewiß hat Keiner von uns schon vor Eroͤffnung dieser feierlichen Diskussion ir⸗ gend eine Verbindlichkeit uͤbzrnommen, und in dieser Ueverzeugung
ehe ich zur Sache uͤber. Wir Alle fuͤhlen, daß die Lage unseres Landes nicht so ist, wie ste seyn sollte. Verschiedene Ursachen sind daran Schuld. Eine der ersten sind ohne Zweifel die Anforderungen der aufgeregten Leidenschaften. Aber macht sich nicht auch der Mangel einer dritten Gewalt, die bei unserer Regierungsform un⸗ erlaͤßlich ist, uͤberall fuͤhlbar? Man wird mir vielleicht einwenden, daß die Pairs⸗Kammer ja bestehe. Hierauf erwiedere ich aber, daß sie in ihrer gegenwaͤrtigen Lage, naͤmlich in steter Erwarctung einer definitiven Sbbeen. ihres Lebens⸗Prinzips beraubt ist. Man spricht uns bestaͤndig von einem populairen Throne, umgeben von republikanischen Institutionen. Obgleich der Name des Mannes, der sich dieser Worte bedient hat, mir Achtung gebietet, so glaube ich doch, daß ein solcher Thron bald umgestuͤrzt seyn wuͤrde, wenn man ihm nicht noch eine andere Stuͤtze liehe. Glauben Sie mir, m. H., es handelt sich hei der vorliegenden Frage um die Existenz der ganzen Monarchie. Da wir die Stifter des Koͤnigthums von 1830 sind, so muͤssen wir min⸗ destens auch den Muth zeigen, dasselbe zu vertheidigen, und es nicht den Leidenschaften des Volkes preisgeben. Man schlaͤgt uns zu die⸗ sem Behufe vor, die Pairie durch die Volkswahl zu staͤhlen. Das Wesen dieser letzteren besteht aber nicht darin, das Bestehende zu erhalten, sondern stets Neuerungen einzufuͤhren; wollte man dieselbe dahber auf einen permanenten Staats⸗Koͤrper anwenden, so wuͤrde man ihren Standpunkt voͤllig verruͤcken, um Dinge von ihr zu ver⸗ langen, die sie gar nicht zu gewaͤhren im Stande ist; denn nach 3 Jahren schon wuͤrde das Volk in den Pairs, wozu es die Kandida⸗ ten gestellt, eben so wenig mehr seine Auserwaͤhlten wiederfinden, als es solche in dem Senate Napoleons erkannt hat. Die Erblich⸗ keit allein kann das Bestehende erhalten; sie laͤßt sich aus unseren Institutionen nicht verbannen, ohne das Land den groͤßten
efahren auszusetzen. Bevor Sie daher, m. H., einen Be⸗ schluß in dieser Sache fassen, ersuche ich Sie, Ihre Blicke nur einen Augenblick auf dasjenige zu heften, was sich um uns zutraͤgt. Eine gewisse Bangigkeit macht sich uͤverall bemerklich. Ist das Volk etwa fuͤr seine Freiheit und Gleichheit besorgt? Gewiß nicht; man fuͤhlt aber allgemein, daß es in unserer gesellschaftlichen Ordnung ein hoͤchst schwaches Element giebt, und dies ist eben die Koͤnigliche Macht. Allerdings geben Sie sich alle Muͤhe, m. H., dieselbe zu unterstuͤtzen und die Luͤcke, die durch den Mangel einer starken Pairie entsteht, moͤglichst auszufuͤllen. Aber der Wille, der Ihnen die Thuͤren dieser Kammer geoͤffnet hat, ist seiner Natur nach wan⸗ delbar, und eben aus diesem Grunde muß es noch einen anderen Koͤrper im Staate geben, der einer solchen Veraͤnderlichkeit nicht unterworfen ist. So wenig wie die Erblichkeit uͤberall an ihrer Stelle waͤre, eben so wenig waͤre es die Volkswahl. Zwischen zwei unstaͤten Staatskoͤrpern muͤßte der Thron unaufhoͤrlich hin und her wanken; zwischen die Erblichkeit und die Volkswahl gestellt, hat er zwei Stuͤtzpunkte und kann selbst der oͤffentlichen Ordnung den dauerhaftesten von allen gewaͤhren’”“
Der General Lafahyhette erklärte zunächst, daß er sich der Kommissson anschließe, insoweit diese darauf antrage, daß man die Frage über die Pairie gleich definitiv erledige; eben der ge⸗ genwärtige Zustand des Provlsorischen, bemerkte er, sey großen⸗ theils mit Schuld daran, daß das öffentliche Vertrauen nicht zurückkehren wolle. Der Redner ließ sich hierauf in eine Wider⸗ legung desjenigen Theiles der Rede des Herrn Royer⸗Collard ein, worin dieser eine Definition von der Volks⸗Souverai⸗ netät gab, und suchte sodann aus den Ereignissen der letz⸗ ten Revolution zu beweisen, daß der Deputirten⸗Kammer in der vorliegenden Frage allerdings eine konstituirende Gewalt zustehe, gleichwie den Deputirten eine solche im Juli v. J., wo sie die vorige Dynastite des Thrones für verlustig erklärt und einem ihrer Mitbürger, ungeachtet seiner Verwandtschaft mit die⸗ ser Dynastie, die Krone übertragen hätten, zugestanden habe; es wäre vielleicht besser gewesen, wenn man damals gleich eine kon⸗ stituirende Versammlung zusammenberufen hätte; auch gestehe
er, daß dies sein erster Gedanke gewesen sey; da indessen „ allen Seiten die lautesten Beitritts-Erklärungen zu demjengg was die Kammer gethan, eingelaufen wären, so habe man i als eme Bestätigung von fast ganz Frankreich gehalten; als
Deputirten⸗Kammer sich zu jener Zeit die Rekonstituirung
Pairs⸗Kammer ausdrücklich vorbehalten, habe er nicht ang, geglaubt, als daß es ihre Absicht sey, sich diesen Rest der kong tuüirenden Gewalt allein vorzubehalten; in der That könne Pairs⸗Kammer mnimmermehr Richterin in ihrer eigenen che seyn. Herr Lafagyette vertheidigte demnächst seine Anste üiber das Spezial⸗Mandat und verwies dabei auf das (r. lische Unterhaus, in dem es gewiß nicht ein einziges Mitz gebe, das man nicht vor seiner Erwählung gefragt habe, wie über die Reform-Frage denke; es lasse sich schwerlich annehme daß, wenn einer von ihnen das in dieser Beziehung gegeh Wort verletzte, seine Kommittenten sich durch eine gelehrte N sertation über die Theorie des Mandats hinlänglich entschäk fühlen würden. Man berufe sich bei der Vertheidigung der 6. lichkeit auf die großen Dienste, die die Aristokratie von jeher Throne geleistet habe; er seinerseits könne diese Leistungen n gends erblicken, wohl aber wisse er, daß die Aristokratie der nastie des älteren Zweiges der Bourbonen den ersten Stoß ue setzt habe; wäre Ludwig XVI. damals, statt sich dem in die Arme zu werfen, vertrauensvoll dem dritten St de entgegengekommen, so würde er sich nicht ins Vexzy ben gestürzt haben. Der Redner stimmte am Schlusse nes Vortrages nicht bloß gegen das Prinzip der Erblichfe sondern auch gegen die ausschließliche Wahl der Pairs durch König. Nachdem er die Tribune verlassen hatte, verlangte Graf v. Lameth das Wort wegen eines persönlichen Faktun Dasselbe wurde ihm indessen nicht bewilligt. Gleichzeitig trug mehrere Deputirte darauf an, daß man die allgemeine Berathu schließe, und Hr. v. la Pommeraye forderte den Präsidenten au daß er hierüber abstimmen lasse. Dieser nahm jedoch keine Rict sicht darauf, und als jener bei seiner Forderung beharrte, rief der Präsident zu, er werde ihn zur Ordnung verweise wenn er noch ferner die Ruhe störe. Herr Jars sh sonach die Diskussion fort. Zu Anfang seines Vortrages syu er die Hoffnung aus, daß mit der gegenwärtigen Diskussion Zwiespalt zwischen der Opposttion und dem übrigen Theile Kammer aufhören, und daß dann die veralteten Benennung von ministeriellen Bänken und Bänken der linken Seite e Bedeutung verlieren und außer Gebrauch kommen würden. rechne es sich übrigens zur Ehre, daß man ihn und seine Frem in den Standpunkt der richtigen Mitte stelle, in den es Viec so schwer werde sich zu versetzen, und den man in Zeiten e Unruhe und Zwietracht verächtlich zu machen suche, auf den me aber durchaus zurückkommen müsse, wenn man wahr, gerecht verständig seyn, wenn man das Wohl seines Landes aufricht ohne Stolz und ohne Ehrgeiz wolle. Die Frage über Erblichkeit der Pairie, fuhr der Redner fort, sey besse ders darum so schwierig und gefährlich, weil in Frau
reich eine dem Systeme beider Kammern und vielleicht a
dem Königthume abgeneigte geheime Partei vorhanden se Diese verlange zunächst die Abschaffung der Erblichkeit der P. rie, um diese späterhin ganz zu vernichten und auch den Stu des Thrones herbeizufuhren. Die Besorgniß, welche die Ta denz dieser Partei einflöße, werde durch die Nachgiebigkeit de Minister bei der vorliegenden Frage noch vermehrt. Eine Hi
unter diesen schwierigen Umständen sey nur von der durch du g
genwärtigen Debatten aufgeklärten Vernunft und Einsicht Framt reichs, von der Erkenntniß der dem Lande drohenden Gefahm von der Mitwirkung aller rechtlichen Männer, von dem in e gewerbtreibenden Klassen vorhandenen Bedürfniß, der Ordmn und Stabilität, und endlich von der Eintracht und Unabhänge keit der Kammer, so wie von dem Gefühle zu erwarten, d diese von der Größe und Wichtigkeit ihres Berufs habe. 2 vorige Kammer habe emen König gemacht, der jeyzig bleibe übrig, eine Monarchie zu gründen. Bis jetzt habe die R gierung nur den Namen einer monarchischen gehabt, und n. republikamschen Einrichtungen, wie man deren fortwaäͤhrend ve lange, werde es nie gelingen, eine constitutionnelle Monarchie errichten. Die Schwäche der Regierung, so wie der unbehu liche Zustand des ganzen Landes, haben darin seine Quelle,”d es derselben an Charakter fehle, daß sie oft entgegengesetzten Pn zipien folge, und daß man von ihr verlange, ste solle sich i Bedingungen der Republik unterwerfen, nachdem man ihr he Namen und die Formen einer Monarchie gegeben. Hierause stehe für Land und Regierung eine eben so schiefe als gefährli Stellung, welche die Gegenwart und Zukunft unsicher mat und über die, wenn man sich nicht jetzt beeile, aus ihr hera zukommen, später nur der Despotismus den Sieg davontraze werde. Bei der gegenwärtigen Debatte entstehe die höchst wichtg Präjudizial⸗Frage, ob die ganze Natur des Staats geändert we den solle? Hege man diese Absicht, so sey es erklarli daß man die Erblichkeit der Pairie abschaffen und die Walh Kammer in zwei große Sectionen von ähnlichem Ursprunge tih len wolle. Wenn hingegen, wie man bis jetzt habe glaube müssen, Frankreich die Monarchie verlange, so müsse es a diese auf monarchische Institutionen gründen wollen. Nach ner Ueberzeugung, so schloß Herr Jars, gebe es ohne Erblichte keine Pairie, ohne Pairie keine constitutionnelle Monarchie, m müsse man, wenn man das Königthum und die Charte von 18 zu erhalten wünsche, auch die Erblichkeit der Pairie beibehaltat in diesem Sinne werde er stimmen und sey geneigt, die Ame dements, die an diese Ansicht geknüpft werden möchten, zun terstützen. — Nach diesem Vortrage, der von einem großen The der Versammlung mit Zeichen des Beifalls aufgenommen wurne ward die Sitzung aufgehoben und die Fortsetzung der allgemeine Diskussion über das Pairsgesetz auf den nächsten Tag anberau an welchem ste wahrscheinlich auch geschlossen werden wird. ¹ der Sitzung vom nächsten Montag würden dann die Debatt über die einzelnen Paragraphen und Amendements beginnen.
Paris, 7. Oktober. Der König führte gestern im Minift Rathe den Vorsitz und arbeitete dann mit dem Minister des fentlichen Unterrichts.
Der Polizei⸗Präfekt hat in einer Verordnung vom 2ten!
seinen Beamten die strenge Vollziehung der verschiedenen, de Aufenthalt der Fremden in hiesiger Hauptstadt betreffenden,) lizeilichen Bestimmungen anempfohlen.
Der diesseitige Botschafter in Neapel, Graf von Latvou
Maubourg, ist von hier abgereist, um sich wieder auf seinen Posi
zu begeben.
Aus Algier schreibt man unterm 21. September: „D
Kommandant Huder ist in Bona angekommen. haben sich fünf Stunden weit von der Stadt bensmittel sind dort in Fülle vorhanden. ren fort, im Dienste Tapferkeit, H
“
Die Belager zurückgezogen. Die Zuares fäl ingebung und
her Deputirten⸗Kammer vom 3ten, 4ten und 5ten d. M.:
Poch Hr. Guizot (Siehe das vorgestri
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Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten erhielt gestern inen Courier aus Konstantinopel.
Das Journal des Débats bemerkt über die Sitzungen - 1 llen drei Sitzungen war die Ueberlegenheit des Lneesn Beredtsamkeit und, wie wir meinen, auch der Vernunft auf Sei⸗ en der Vertheidiger der Erblichkeit der Pairie. Am Montag var es Hr. Thiers, am Dienstag Hr. Roher⸗Collard, am Mitt⸗ zot G 1 e und gestrige Blatt der St. Zeit.), die in drei vortrefflichen Vorträgen, den besten, die n Laufe der Diskussion noch gehalten worden, jener so laut erschrieenen Sache das Wort redeten. Wir sehen also hier drei usgezeichnete, als Redner bewunderte, als Schriftsteller berühmte änner eine liberale und erhaltende Institution gegen die Vor⸗ rtheile des Landes, gegen die Leidenschaften des Augenblicks erfechten. Der eine, noch jung, entwickelt in seiner Vertheidi⸗ ung eine frühzeitige Reife des Verstandes, großen Scharssinn nd eines der seltensten Redner⸗Talente, die noch in unseren olitischen Versammlungen ausgetreten sind; der andere, ein be⸗ ühmter Professor, ein mit tiefer Gelehrsamkeit begabter Schrift⸗ eller, ein vortrefflicher Improvisator, zeigt dabet einen aus histori⸗ hhen Studien geschöpften Scharfblick und eine durch die geistreichsten orschungen geübte Vernunft; der dritte endlich, ein ausgezeich⸗ eter Metaphysiker, ein scharfer und beredter Logiker, ein Mann oll von praktischer und spekulativer Erfahrung, ein unvergleich⸗ cher Redner hinsichtlich der Kraft, des Glanzes und der Origi⸗ alität seiner Vorträge, drückt jener Frage gleichsam das Siegel ines Rufes, dem sich noch vor kaum 4 Jahren Aller Augen zu⸗ handten, so wie einer Art von politischer Divinations⸗Gabe auf, ie sich leider so ziemlich bewährt hat. Ist es nun aber wohl laublich, daß drei Männer, deren verschiedenartige Stellung ih⸗ r Meinung ein so großes Gewicht leiht, die schlechte Sache, nd daß umgekehrt diejenigen, die ihnen verderbliche, abgeschmackte id widersprechende Systeme, wobei sie unter einander selbst un⸗ inig sind, entgegenstellen, die gute Sache verfechten sollten?“
Der Vicomte v. Martignac ist hier angekommen.
Aus Bayonne wird gemeldet, daß ein Spanisches Schiff uf der Höhe von San Sebastian ein mit Geld und wichtigen Dapieren beladenes Fahrzeug, das angeblich an den General Nina und die Spanischen Ausgewanderten gerichtet war, weg⸗ nommen hat. 1“
Großbritanten und 1“
Parlaments⸗Verhandlungen. Oberhaus. Sitzung om 5. Okt. Fortwährend ist der Andrang des Publikums zu n Sitzungen des Oberhauses sehr groß. Auch Damen, na⸗ entlich Pairinnen mit ihren Töchtern, sieht man an jedem bende in großer Anzahl auf den Tribunen. Ihre Theilnahme üir oder gegen die Reform spricht sich unverkennbar aus, und die imes macht die Bemerkung, daß in der Regel die älteren Hamen der Opposition ihren lauten Beifall schenken, während ejungen und schönen sich mit großer Lebhaftigkeit für die Bill teressiren. Der Raum in der Nähe des Thrones ist gewöhn⸗ ch von Mitgliedern des Unterhauses und ausgezeichneten Frem⸗ n besetzt, unter welchen Letzteren man heute auch den berühm⸗
Braminen Ramohun Roy bemerkte, der von Sr. Königl. oheit dem Herzoge von Cumberland eingeführt worden war. zittschriften zu Gunsten der Reform⸗Bill wurden wiederum in oßer Menge überreicht. Lord Wharneliffe hatte eine von 0 Banquiers, Kaufleuten u. s. w. der Londoner City unterzeichnete, gen die Reform gerichtete, Petition zu übergeben und bemerkte bei, daß die Bittsteller einen großen Theil alles Vermögens
der City repräsentirten, wo der Eifer für die Reform⸗Bill erhaupt nachgelassen habe, indem die daselbst zu Gunsten der⸗ ben kürzlich unterzeichnete Petition nur 4700 Unterschriften lige, während eine im vorigen Monat März zu Stande gekom⸗ ene deren 9600 getragen habe. Seiner Meinung nach fände gan in allen Läden der Stadt London, Westminsters und des irchspiels Marylebone den größten Widerwillen gegen die Bill d eine besonders große Furcht vor den Folgen derselben. Wie fahrdrohend die von dem Ministerium angeregte Maaßregel sey, he unter Anderem aus einer Beschreibung hervor, die er von r letzten Versammlung der Birminghamer politischen Union er⸗ lten habe. Wenn das Oberhaus sich gezwungen sähe, den Vor⸗ hriften der Leute zu folgen, die bei dieser Versammlung das Wort ührt, so sey die Revolution, welche von Vielen antizi⸗ t und besorgt werde, nicht bloß begonnen, sondern sogar hon geschehen. Die aus 150,000 Personen bestandene Ver⸗ umlung sey unter Anderem von einem gewissen Herrn Haynes gendermaßen angeredet worden: „Ich danke Gott, daß die age einer geheiligten Herrschaft vorüber sind, und daß meine gend, durch eine Versammlung, wie die gegenwärtige, die den rfassungsmäßigen Zweck hat, der politischen Unterdrückung Wi⸗ rstand zu bieten, zu vermehrter Thatkraft angefeuert wird; ich ge, den verfassungsmäßigen Zweck, weil das Englische Gesetz i Volke das Recht zuerkennt, gegen die Tyrannei zu protesti⸗ und sich ihr zu widersetzen. Widerstand gegen Tyrannei ver⸗ hunseren Vätern die magna charta, derselbe Widerstand verlieh s das Glück, einen König, wie den gegenwärtigen, auf dem Thron haben, und dieser Widerstand wird endlich uns und unseren Kindern e Segnungen wieder verleihen, deren uns die Burgfleckenhändler verfassungswidrig beraubt haben. Wenn ich Euch jedoch von Eurem chte, Widerstand zu leisten, belehre, so will ich nicht etwa zu waltthätigkeiten anrathen. Des Volkes Macht ist am größ⸗ ‚nicht wenn sie niederschlägt, sondern wenn ste droht und im Wum hält. Ostendite bellum, pacem habebitis, so sagte anlius zu den Römern, und so sage ich Euch auch: Zeigt nur, Ihr fechten könnt, und Ihr werdet dann niemals zu fechten hig haben. Von der ruhigen Weise, in der das Volk bisher ne Macht ausübte, schreibt sich sein Erfolg her. Als die Re⸗ m-Bill in das Haus der Lords kam, waren diese wie Bel⸗ azar bei seinem unheiligen Festmahle aufgeschreckt; zwar profa⸗ en sie nicht, gleich ihm, die Gefäße von Gottes heiligem are, aber sie profanirten das, was diesem Altare!Ʒ zu⸗ chst steht, und was dem Allmächtigen am meisten ge⸗ t, das Glück und die Freiheit seines Volkes. Ihre Dyna⸗ nähert sich jedoch dem Ende; die Handschrift an der Mauer sich ihnen gezeigt. Die Macht des Volkes ist triumphirend; können nicht widerstehen, eben so wenig als die Teufel in
Hölle den Vorschriften der göttlichen Gerechtigkeit widerstehen nen. Wir sind hier, Ihr seht es, unserer 150,000 versam⸗ lit, um die Lords in einer Bittschrift anzugehen. Werden sie wagen, die Bill zu verwerfen?“ — „Diese Frage“, fuhr der d fort, „richtete der Redner an eine Versammlung von 02,000 Menschen, die in lauten Beifall ausbrachen und daher eits entschieden haben, daß wir es nicht wagen dürfen, die l zu verwerfen. Wenn das keine Drohungen und Einschüch⸗
ugen seyn sollen, so wüßte ich nicht, waͤs sonst mit diesem amen belegt werden könnte. Habe ich nun nicht Recht, zu sa⸗ „ daß, wenn wir diesen Leuten folgen, die Revolution
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nicht bloß begonnen, sondern schon durchgeführt seh?“ — Der Lord⸗Kanzler hielt sich für derpnlichten! Lh e kungen Einiges zu antworten, da er es war, der gestern die Bitt⸗ schrift aus Birmingham überreicht hatte. Zunächst bemerkte er, daß eine ganze Versammlung für die heftige Sprache, die etwa ein Einzelner dabei geführt, nicht vorantwortlich gemacht werden könne. Wie loyal diese Versammlung gewesen, gehe unter An⸗ derem daraus hervor, daß sämmtliche Anwesende, bevor sie sich getrennt, ihre Hüte abgenommen und die Königl. Namens⸗ hiffre mit enthustastischen Anhänglichkeits⸗Bezeugungen begrüßt, und für die Wohlfahrt ihres Souverains gebetet hätten. Wie un⸗ gegründet übrigens die Bemerkungen des edlen Lords in Bezug auf die Londoner Handelsleute seyen, würde am besten daraus her⸗ vorgehen, daß man bald eine neue Bittschrift von dieser Seite zu Gunsten der Reform würde erscheinen sehen. — Da Lord Wharnecliffe die Bemerkung hatte fallen lassen, daß das Ober⸗ haus die Bill schon deshalb verwerfen müsse, weil die Minister gar keine Veränderung daran gestatten wollten, so sah sich der Graf Grey zu der wiederholten Erklärung veranlaßt, daß er geneigt sey, Aenderungen zuzulassen, die mit dem Prinzipe der Bill nicht im Widerspruche sich befanden, und daß er nur dieje⸗ nigen Aenderungen nicht gestatten werde, die ihrer ursprünglichen Wirksamkeit etwas an Kraft nähmen. Es würde anmaßend von ihm seyn, wenn er den edeln Lords jeden Vorschlag einer Aenderung im Ausschusse untersagen wollte; doch behielte er es sich vor, im Ausschusse zu beweisen, daß jede Aenderung, die das Prinzip der Bill beträfe, eine Täuschung des Volks seyn würde. — Nachdem die in Folge dieser Bemerkungen entstandene De⸗ batte beendigt war, trug Lord Kenyon endlich auf die Tages⸗ Ordnung, die Fortsetzung der Debatte über die zweite Lesung der Reform⸗Bill, an. Zunächst erhob sich der Graf von Dudley und Ward (bekanntlich Minister der auswärtigen Angelegenhei⸗ ten unter Canning) und erklärte sich gegen die Bill, die er re⸗ volutionair nannte, weil sie alle Gewalt im Unterhause konzen⸗ trire und das bisherige glückliche Gleichgewicht ganz vernichte. Er be⸗ schuldigte das Ministerium überhaupt, lauter Maaßregeln begünstigt zu haben, die dem Lande unheilbringend seyen; es habe sich, sagte er, Englands Feinde zu Verbündeten erwählt und dagegen seine alten Alliirten in Feinde verwandelt. Eben so täusche es jetzt das Volk, indem es ihm goldene Berge von der neuen Maaß⸗ regel verspreche, von der das Volk nichts Geringeres als einen lebhafteren Handel, vermehrte Arbeit und einen erhöhten Ar⸗ beitslohn bei wohlfeilen Lebensmitteln sich verspreche. Von sol⸗ chen trügerischen Hoffnungen verblendet, ja berauscht, sey die Masse des Volks unfahig, über die möglichen Folgen der Bill ein verständiges Urtheil zu fällen, und die verderbliche neue Philosophie mache sich dies zu Nutze, um den Einfluß und die Privilegia des Oberhauses zu untergraben. Die Bill werde Englands freundschaftliche Verbindungen mit dem Auslande auflösen und zugleich seine inneren Angelegenheiten zu Grunde richten. Das Kabinet selbst werde sich erniedrigen müssen, die Launen der Menge zu studiren. Stolz auf das bisherige System, unter wel⸗ chem England eine lange Reihe von Triumphen zur See wie zu Lande sich erworben, wolle er es gegen keine Neuerung vertau⸗ schen. Altar sowohl als Thron, das Recht der Erstgeburt und die ganze Existenz des Adels, wie die Privilegia des Oberhauses, sähen sich durch die unglückschwangere Reform⸗Bill kompromittirt. Darum erwarte er zuverlässig, daß das Haus die Bill ohne viele Ceremonien verwerfen und sich dadurch, wenn erst der gegenwärtige Schwin⸗ del verflogen sey, den Dank der spätosten Nachkommenschaft er⸗ werben werde. — Der Marquis von Landsdowne nahm nun das Wort und suchte zuvörderst die Angriffe des vorigen Redners auf das jetzige Ministerium zurückzuweisen, sodann äußerte er sich über den eigentlichen Gegenstand der Debatte folgendermaßen:
„Ich muß die Behauptung, daß die Minister die 88
Absicht haͤtten, die Constitution umzustoßen und die geheiligten Einrichtungen unserer Vorfahren niederzureißen, fuͤr durchaus un⸗ begruͤndet erklaͤren. Die meisten der Argumente, welche die Gegner der Bill vorgebracht haben, sprachen - zu Gunsten des Gruünd⸗ satzes, als gegen denselben. Nachdem ich gestern die Rede des edlen Grafen (Harrowby) gegenuͤber angehoͤrt hatte, konnte ich nicht be⸗ greifen, wie er gegen die Maaßregel stimmen mochte Er raͤumt ein, daß man ein langes Verzeichniß derjenigen Personen anfertigen koͤnne, welche durch den Ausdruck der oͤffentlichen Meinung in Be⸗ zug auf Reform anderen Sinnes geworden seyen. Ich gehe noch weiter und behaupte, daß von allen edlen Lords gegenuͤber, die sich gegen jede Veraͤnderung aufgelehnt haben, kein ein⸗ ziger ist, auf den nicht die Macht der oͤffentlichen Meinung ihre Wirkung ausgeuͤbt haͤtte. Alle haben mehr oder weniger zugegeben, daß irgend eine Veraͤnderung nothwendig sey. Ich bin der Meinung, daß jede Veraͤnderung, besonders bei einem so komplizir⸗ ten und civilisirten Zustande der Gesellschaft, wie die unsrige, ein Uebel ist, und eben so muß ich zugeben, daß die Lage keiner Gesell⸗ schaft sicher ist, in welcher das Eigenthum nicht 228 sehr großen Einfluß ausuͤbt (Beifall), und daß lange bestandene Verhaͤltnisse zwischen Regierer und Regierten leichter aufrecht zu erhalten sind, als neue, wenn diese auch noch so vollkommen sind. Wenn ich aber diese Grundsaͤtze einraͤume, so laͤugne ich eine aus denselben gezogene Folgerung durchaus ab, daß es naͤmlich der Charakter der Institutionen und der Constitution dieses Landes sey, sich allen Modificationen, welche durch den Wechsel der Zeiten bedingt werden, streng und starr zu wider⸗ setzen. Ich habe die Geschichte unserer Institutionen mit anderen Augen elesen. Ich blicke in das Statuten⸗Buch und frage mich: was fuͤr Gesetze begleiteten die große Veraͤnderung in der oͤffentlichen Mei⸗ nung — die Reformation? Was fuͤr Gesetze bestimmten und ver⸗ theidigten die Praͤrogative der Krone unter dem ungluͤcklichen Hause Stuart? Welche Gesetze sicherten dem Hause Hannover die Thron⸗ folge? Durch welche Gesetze wurde die Vereinigung Schottlands mit England begruͤndet? Ja, und endlich: was war die Wirkung derjenigen Veraͤnderung, welche, keiner fruͤheren weder an Staͤrke noch an Umfang nachgebend, kuͤrzlich durch den edlen Herzog (von Wellington) eingebracht, und wodurch drei Fuͤnfteln der Frlaͤndi⸗ schen Waͤhler ihr Wahlrecht entzogen wurde? Alles dieses sind Beispiele von Aenderungen in unseren Institutionen, und es geht daraus hervor, daß ich in den Grundsaͤtzen mit dem edlen Herzog uͤbereinstimme, wenn wir auch in der Anwendung verschiedener Mei⸗ nung sind. Ich kann nicht verhehlen, daß ich die Bemerkungen des edlen Herzogs uͤber das, was ich noch immer seine ungluͤckliche Erklaͤrung in Bezug auf Reform nennen muß, mit Erstaunen gehoͤrt habe. Er sagt uns, wenn ich ihn anders recht verstanden habe, daß er da⸗ mals als ein Minister und nicht als Privatmann gesprochen habe, und daß, was auch immer seine individuelle Meinung gewesen seyn moͤchte, er als Koͤnigl. Minister verpflichtet gewesen waͤre, sich gegen 38 zu erklaͤren, und dem Parlament jede Einmischung abzu⸗ rathen. Wenn ich an das Betragen des edlen Herzogs bei anderen Gelegenheiten denke, so haͤtte ich erwartet, daß er der Letzte seyn wuͤrde, einen solchen Unterschied zu machen. Bei der katholischen Emancipation erklaͤrte der edle Herzog, daß eine solche Maaßregel nothwendig von der Regierung ausgehen muͤsse, und bei der vorlie⸗ genden Bi ist er der Meinung, daß sie auf keinen Fall von einem Mi⸗ nister eingebracht werden duͤrfte. Darin wird Niemand eine Konsequenz auffinden koͤnnen. Dem sey indeß, wie ihm wolle, so viel ist gewiß, daß alle die edlen Lords, welche gegen die Bill gesprochen, doch die Nothwendigkeit einer Veraͤnderung eingeraͤumt haben; keiner von den edlen Lords aber giebt irgend einen Plan an, nach welchem er die Reform he⸗ werkstelligt zu sehen wuͤnscht, und obgleich die Debatten uͤber diesen Gegenstand schon laͤnger als 6 Monate dauern, so haben wir doch
bas geheime Arzneimittel noch nicht in Erfahrung bringen koͤnnen, welches als Gegengift gegen die traurigen Folgen unseres Systems dienen soll. (Hoͤrt, boͤrt, vom Marquis v. Londonderry.) Ich wuͤrde mich sehr freuen, wenn der edle Marquis, der mir so eden seinen Beifall ertheilt, mich mit diesem Plane bekannt machen wollte; viel⸗ leicht wird er so guͤtig seyn, dies bei naͤchster Gelegenheit zu thun, und mich zu gleicher Zeit uͤberzeugen, daß dieser Plan mit aller Klugheit und Ueberlegung, der ihn nothwendig cha⸗ rakterisiren muß, ausgearbeitet ist. Das Englische Volk hat ein Recht, sich zu beklagen, daß die edlen Lords gegenuͤber, wenn sie wirklich einen Reform⸗Plan besitzen, denselben so lange verborgen halten, da sie doch die Nothwendigkeit einer Ver⸗ aͤnderung einraͤumen. Es wurde dem anderen Hause eine Reform⸗ Maatzregel vorgelegt — das Parlament wurde wegen dieser Frage aufgelbst — die Maaßregel wurde von neuem eingebracht — die Bill ging in jenem Hause durch — und wir befinden uns jetzt auf dieser vorgcruͤckten Station, ohne daß das Englische Volk weiß⸗ was es zu erwarten hat, wenn diese Bill verworfen wuͤrde, oder worin anders, als in der von uns vorgeschlagenen Maaßregel, seine
Sicherheit bestehen soll. (Beifall.) Es 18 sehr hart von denen, welche uns und namentlich meinen edlen Freund (Grey) neben mir fuͤr Betruͤger und Empiriker ausgeben, und die behaupten, daß sie die eigentlichen Staats⸗Aerzte und allein im 898. einer heilsamen Me⸗ dizin seyen, — es ist sehr hart von jenen, sage ich, daß sie das Englische Volk den Quacksalbereien meines edlen Freundes uͤber⸗ lassen, anstatt demselben die Mittel anzugeben, wodurch es sich sei⸗ ner Uebel entledigen koͤnnte.“
b Nachdem der Redner noch einige Bemerkungen der Oppo⸗ fition in Bezug auf die Reform der Schottischen Repräsentation widerlegt, dann die Reform im Allgemeinen zu vertheidigen ver⸗ sucht und unter dem lauten Beifall des Hauses seinen Platz wie⸗ der eingenommen hatte, erhob sich der Marquis von London⸗ derry und erklärte, daß er die Aufmerksamkeit Ihrer Herrlich⸗ keiten einen Augenblick in Anspruch nehmen müsse, um auf ei⸗ nen persönlichen Angriff des edlen Marquis zu antworten, der ihm um so unerwarteter komme, da er sich nicht bewußt sey, den edlen Marquis jemals persönlich beleidigt zu haben. Auf die Erklärung des Marquis von Landsdowne, daß er nicht die Ab sicht gehabt habe, den Marquis von Londonderry persönlich zu 5 gab sich Letzterer zufrieden und fuhr folgenderma⸗
en fort:
„„Ich denke nicht, daß der edle Marquis ein einziges von den vielen Argumenten widerlegt hat, die von dem edlen Grafen (Har⸗ rowby) neben mir mit so vielem Talent aufgestellt worden sind. Der edle Marquis hat sich in Declamationen ergangen, worin er so sehr excellirt; der Unterschied zwischen jenen Declamationen und den Ar⸗
umenten des edlen Grafen besteht darin, daß die Rede des edlen
rafen die Bill in Stuͤcken zerrissen hat, und daß der edle Marquis trotz der großen Macht seiner Phrasen nicht im Stande gewesen ist, auch nur einen Theil derselben wiederherzustellen. Ich selbst bin der Mei⸗ nung, daß die Bill ungerecht, heefeg gre erg und grundsatzlos ist. Un⸗ gerecht ist sie, weil sie einen großen Theil des Volkes seiner Rechte beraubt verfassungswidrig, weil sie alle große Institutionen des Landes umstößt, und grundsatzlos, weil die Regierung in dem anderen Hause im Laufe der Verhandlungen von allen urspruͤnglichen Grundsaͤtzen ab⸗ gewichen ist und alle eingeschlagen hat, welche sie fuͤr die geeignetsten hielt, um im Amte zu bleiben. Ich beschuldige ferner die Minister der Parteilichkeit in den Details der Bill.“ Nachdem der Redner einige einzelne Faͤlle angefuͤhrt hatte, um diese Behaup⸗ tung darzuthun, sagte er: „Ich glaube nicht, daß die Reformers mit der Bill, so ausgedehnt die Veraͤnderung ist, welche sie hervor⸗ bringt, zufrieden seyn werden. Der edle Graf muß einsehen, daß das allgemeine Wahlrecht und das Balottement hinter ihr liegt und unvermeidlich nachfolgen muß. („Nein, nein!“ vom Grafen Grey.)
Ungeachtet dieser Seee des edlen Grafen, behaupte ich, daß das Volk nicht mit dieser Bill zufrieden seyn wird. Wenn die Re⸗ formisten einmal den ersten Laufgraben gezogen haben, so werden sie nicht eher ruhen, bis der Platz erobert ů Als Irlaͤnder empfinde ich die Uebel, welche aus dieser Maaßregel hervorgehen muͤssen, mit dop⸗ pelter Staͤrke. Irland, welches ungluͤcklicherweise durch ein einziges Organ geleitet wird, wird sich mit der Reform⸗Bill nicht begnü⸗ ben. Es wird dieselbe lediglich als einen Schritt vorwaͤrts zur Auf⸗
ebung der Union betrachten, und ich bin vollkommen uͤberzeugt, baf, wenn die Bill durchgeht, Irland ganz den Katholiken in die
Haͤnde fallen und das protestantlsche Interesse und die protestan⸗ tische Kirche daselbst ganz vernichtet werden wird. So weit ich es be⸗ rechnen kann, wuͤrde 88989 nach den in der Bill enthaltenen Bestim⸗ mungen, ungefaͤhr 72 Mitglieder ins Unterhaus senden, welche dem pro⸗ testantischen Interesse feindlich gesinnt und der Aufhebung der Union geneigt waͤren. Die neuen Ernennungen von Pairs halte ich fuͤr un⸗ passend und fuͤr ungerecht, weil dadurch dieselben Personen an verschie⸗ denen Orten uͤber denselben Gegenstand zweimal ihre Stimmen abgeben.
ch hoffe auch, daß man nicht ferner versuchen wird, sich des Namens des
oͤnigs zu bedienen, um eine die Constitution zerstörende Maaßregel durchzubringen. Es ist durchaus unpassend und unschicklich, den
Namen des Souverains mit der Souverainetaͤt des Volkes zusam⸗ nSegemngen. Eben so protestire ich gegen den Styl und die Art deß Aufrufs, welchen der edle Graf (Grey) an die Bank der ehr⸗ wuͤrdigen Bischoͤfe erlassen hat. Es ist dies ein hoͤchst unconstitu⸗ tionnelles Verfahren. Was berechtigt irgend einen Patr, zu glau⸗ ben, daß der Muth, der Geist und die Ehre jener sehr ehrwuͤrdigen Bank geringer sey, als sein eigener? Ich will indeß Ew. Herrlsch⸗ keiten nicht durch fernere Bemerkungen laͤstig fallen. Ich erklaͤre, daß ich mich der Bill widersetzen werde; vorher aber bitte ich den edlen Grafen, welcher sich an der Spitze der Regierung befinder, den vorliegenden Gegenstand noch einmal wohl zu uͤberlegen und sich zu besinnen, bevor er uns zu einem Schritt zwingt, der nicht zuruͤckgethan werden kann.“
Nach dem Marquis von Londonderry nahm der Viscount Goderich das Wort, der einen Rückblick auf die Geschichte der Reform warf. In den Jahren 1793 bis 1795 habe die Re⸗ form⸗Frage in England in üblem Rufe gestanden; im Laufe des darauf folgenden Krieges hätten sich jedoch Ereignisse zugetragen, die in dem Volke den mächtigen Wunsch erweckt hätten, die Verfassung verändert zu sehen. Mitten unter den großen Trium⸗ phen, die sich England zur See wie zu Lande erworben, hätten doch die zunehmende Armuth, die wachsende National⸗Schuld und die immer drückender werdenden Abgaben das Bedurfniß einer Aenderung des bisherigen mangelhaften Repräsentativ⸗Sy⸗ stems immer mehr kund gethan. Das im Lande herrschende Elend habe man hauptsächlich der Art der Zusammensetzung des Unterhauses beigemessen, nachdem sich gezelgt, daß der so sehr herbeigewünschte Friede dem Nothstande kein Ende gemacht. Nachdem noch der Graf von Haddington gegen und der Graf von Radnor für die Bill gesprochen hatten, wurde die Debatte für heute geschlossen und deren Fortsetzung auf den näch⸗ sten Tag verschoben. Das Haus vertagte sich um halb 2 Uhr.
— Unterhaus. Sitzung vom 5. Okt. Da auf eine Frage des Lord Ebrington Herr O'Connell erwiedert hatte, daß es nicht seine Absicht sey, auf seine für den nächsten Mon⸗ tag angesetzte Aufforderung an das Haus zum Erscheinen sämmt⸗ licher Mitglieder zu bestehen, so erklärte der Erstere, daß er, in Rücksicht auf den Zustand des Landes, es für seine Pflicht halte, die Aufforderung an das Haus seinerseits ergehen zu lassen, in⸗ dem er einen Antrag in Bezug auf den Stand der öffentlichen Angelegenheiten zu machen habe.“) Das Haus ging darauf zur
eventuell auf en werde.
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*) Die Times bemerkt, daß sich dieser Antra die Verwerfung der Reform⸗Bill im Oberhause bezich
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