1841 / 334 p. 2 (Allgemeine Preußische Staats-Zeitung) scan diff

Man sagt: „Herr Ledruͤ⸗Rollin wird in der Snhlem Kammer dieselben Doktrinen aussprechen, wie vor den . g von Mans, und alle Journale, mit dem f diese 8 Spitze, werden seine Reden wiederholen und vb in 82 888 Weise einen glaͤnzenden Wiederhall belen. 2 üe Fammer thum; Herr Ledruͤ⸗Rollin wird nichts Aehnliche er Kammer aus⸗ ül ber Wra velcher die Polizei in der Kammer aus⸗ sagen, weil der Praͤsident, welcher die foritaͤt der Deputirten

Fbt, es ni üͤrde, weil die Majoritaͤt der Dept e uͤbt, es nicht dulden wuͤrde, ufen werde, weil man verlangen wuͤrde, daß er zur Ordnung gerufen werde, we an endli . bei der ersten republikanischen Tirade des Herrn Ledruͤ⸗ Rolih ihm augenblicklch das Wort nehmen vnd er nche. im 3 je erste Phrase, den ersten Artikel seines

Stande seyn wuͤrde, die erste Phrase, den ersten Artikel s.

S entwickeln. Fruͤhere Vorgaͤnge in der Deputirten⸗ Kammer bestaͤtigen dies, denn der Ruf zur Ordnung wurde oft zer ernste Gegenstaͤnde angewendet; das Wort auf unendlich weniger ernste Gegenste ge ““ Hwurde den Deputirten fuͤr Gegenstaͤnde entzogen, die weit weni⸗ ger Bedeutung hatten. Man kann republikanischer Deputirter feyn, unter der Bedingung, daß man in der Kammer uͤber seine Doktrinen ein vollkommenes Stillschweigen beobachtet, und es ist verboten, innerhalb der Mauern des legislativen Palastes ein ostensibles Banner aufzupflanzen. Nur durch Befolgung dieses Verfahrens hatte der verstorbene Garnier Pages eine ertraͤgliche Stellung, nur dadurch koͤnnen die Republikaner, wie Herr Arago, sich bei speziellen Fragen in der Kammer Gehoͤr verschaffen. Moͤgen Herr Ledruͤ⸗Rollin und seine Anhaͤnger nicht auf einen solchen Triumph rechnen; er wird, ungeachtet des Verdikts der Jury, nicht stattfinden, und selbst dann, wenn die Regierung in dieser Angelegenheit auch nicht drei Viertel eines Sieges davon⸗ getragen haͤtte, wuͤrde die Kammer noch immer die Diskussion

innerhalb der verfassungsmaͤßigen Schranken zu halten wissen. Wir hatten bereits fruͤher Gelegenheit, zu sagen, daß die Jury bei politischen Prozessen ihre Entscheidungen nicht der Logik und der Billigkeit unterwirft; sie gehorcht den Leidenschaften, dem

Groll, und, im guͤnstigsten Falle, mehr oder weniger vorgefaßten Meinungen. Eine Pariser Jury haͤtte Herrn Ledruͤ⸗Rollin viel⸗ leicht freigesprochen, die von Mans, der man ihn entzog, weil man Argwohn gegen sie hegte, haͤtte ihn unbedingt fuͤr nicht schuldig erklaͤrt. Diese Hypothesen, die vollkommen zulaͤssig sind, beweisen, was auf das Verdikt einer Jury in politischen Angelegenheiten in Bezug auf gesetzliche und logische Folgerungen zu geben ist. Damit beschaͤftigt man sich jedoch am wenigsten und die gleichzeitige An⸗ wesenheit der Herren Berryer und Arago bei dem Prozesse des Herrn Ledruͤ⸗Rollin beweist es. Niemand ist uͤber das Benehmen des Herrn Berryer in Zweifel gewesen, der behauptete, daß er blos die Wahl⸗Freiheit, die Freiheit der Kandidaten vor ihren kuͤnftigen Kommittenten vertheidige. Ist es aber nicht klar, daß, wenn diese Freiheit ausartet in Angriffe gegen die Constitution, Herr Berryer verbrecherische Handlungen vertheidigt? Wir moͤchten uͤbrigens wohl wissen, was Herr Berryer in aͤhnlichen Faͤllen thun wuͤrde, wenn er und die Seinigen am Ruder waͤren. Die Freiheit, wie sie Herr Ledruͤ⸗Rollin versteht, und die er heutzutage sehr gesetz⸗ maͤßig findet, wuͤrde ihm unstreitig sehr laͤstig seyn und er wuͤrde sie aus allen Kraͤften bekaͤmpfen. Er hat uͤbrigens in dieser Be⸗ ziehung seine Proben abgelegt, denn Niemand hat Herrn von Polignac wegen der Ordonnanzen herzlicher begluͤckwuͤnscht, als er. Es ist betruͤbend, zu sehen, daß so große Talente sich dem Dienste einer solchen Sache widmen, obgleich sie dieselbe verwerfen. Man

obgleich das Ministerium vorzuͤglich aus Personen besteht, welche

begreift wohl die Leidenschaften der Legitimisten und Republikaner unter Umstaͤnden, wie sie neuerdings bei den Munizipal⸗Wahlen in Toulouse stattfanden; aber man begreift nicht, daß das Haupt einer Partei gewissermaßen das Prinzip einer feindlichen Partei vertheidigt, einer Partei, welche die seinige gestuͤrzt hat und die⸗ selbe abermals stuͤrzen wuͤrde, wenn sie von neuem zur Gewalt gelangte. b 8 Was Herrn Arago betrifft, so hatte er bei dem Prozesse des Herrn Ledruͤ⸗Rollin nichts zu thun, wenigstens als Vertheidiger. Er ist kein Redner, weiß aber angenehmer und geistreich zu sprechen; er ist ein Gelehrter und kein Staatsmann, nicht ein⸗ mal ein Politiker. Seine Unterhaltung interessirt lebhaft das Institut; sein Kursus uͤber Elementar⸗Astronomie im Ko⸗ niglichen Observatorium ist sehr besucht und im Munizipal⸗Conseil von Paris verbreitet er oft viel Licht uͤber administrative Fragen. In der Kammer selbst hoͤrt man ihn mit Vergnuͤgen waͤhrend der Diskussion des Budgets der Wissenschaften; sobald er sich jedoch in die Politik einlaͤßt, bleibt sein Talent weit hinter seinem Un⸗ ternehmen zuruͤck. Er verfaͤllt in einen Anekdoten⸗Styl, wird persoͤnlich, und es scheint, daß die Faͤhigkeiten, die es ihm möglich machen, den Himmel zu durchdringen, nicht hinreichend sind, um ihn die einfachsten irdischen Fragen begreifen zu lassen. Er hat Herrn Ledruͤ⸗Rollin schlecht, oder besser gesagt, er hat ihn gar nicht vertheidigt, nicht mehr, als er seine eigenen Prin⸗ zipien vertheidigt hat. 1 1 Auch Herr Odillon Barrot war in dieser Angelegenheit nicht an seinem Platze. Was hat er mit jener Freiheit zu thun, die Herr Ledruͤ⸗Rollin will, und die an den Kommunis⸗ mus streift? Er, der dynastischen Opposition angehorend, der Ad⸗ jutant des ersten Maͤrz, der Kandidat zum Ministerium und der Apostel, man weiß nicht, welcher Reformen in dem Wahl⸗ System. Herr Barrot weiß sehr wohl, daß bei politischen Pro⸗ zessen die Anwesenheit von Advokaten, welche Deputirte sind, eine gewisse Bedeutung hat, und er haͤtte eben sowohl wie Herr Ber⸗ ryer einsehen sollen, daß er sich nicht in der Stellung befindet, die Doktrinen des Herrn Ledru⸗Rollin zu vertheidigen oder zu rechtfertigen. Wir werden uͤbrigens sehen, wie die Journale der Rechten und der Linken diese Anomalieen erklaͤren werden. Es ist dies ein großes Ereigniß fuͤr die Presse, und es wird ihr bis zur Eröͤffnung des Prozesses Quenisset, der bis zum 1. Dezember verschoben wird, um dem General⸗Prokurator Hébert Zeit zu lassen, sich mit dieser wichtigen Angelegenheit bekannt zu machen hinlaͤnglichen Stoff bieten.

Großbritanien und Irland.

London, 26. Nov. Die Konigin ist schon wieder so wohl

auf, daß sie an der Familientafel erscheinen kann. Auch in dem

efinden der verwiteweten Koͤnigin ist, wie es scheint, eine bedeu⸗ ende Besserung eingetreten, denn Ihre Majestaͤt hat sogar auf nehrere Stunden das Bett verlassen koönnen. Der Herzog von Cambridge, der in Kew residirt, war vor einigen Tagen dort er⸗ krankt, ist aber auch bereits wieder in der Besserung.

Dem Standard zufolge, wird die Hof⸗Zeitung heute Abend die Nachricht von der Erhebung des Kronprinzen, Her⸗ zogs von Cornwall, zum Prinzen von Wales bringen.

Die vorgestrige Hof⸗Zeitung enthaͤlt das große Avance⸗ ment, welches zur Feier der Geburt des Kronprinzen in der Land⸗ und Seemacht vorgenommen worden ist. Man erwartet auch noch Promotionen in der Pairie.

Seit der Schlacht von Waterloo hat, wie der Morning Advertiser bemerkt, nie in saͤmmtlichen Departements der Ma⸗ rine eine solche Thaͤtigkeit geherrscht, als gegenwaͤrtig. „In einem einzigen Dienstzweige“, sagt dieses Blatt, „haben die in einer

Woche eingesandten Rechnungen den Betre eingesandten Wochenrechnung um 40,000 Pfd. Sterl. uͤberstiegen. Das Marinebudget fuͤr das naͤchste Jahr wird zuverlaͤssig bedeu⸗ tend erhoͤht werden; denn die Regierung scheint fest entschlossen, den „Wall“ Englands in die kraͤftigste Verfassung zu setzen. Diese Woche ist ein Lieferungsvertrag uͤber 100,000 Gallonen Rum fuͤr die Flotte abgeschlossen worden, nachdem erst vor 2 Monaten ein Kontrakt uͤber dieselbe Quantitaͤt dieses geistigen Getraͤnkes vor⸗ hergegangen war; die Haͤlfte wird in Westindischem Rum geliefert

Die Bank hat gestern ihre gewoͤhnliche Anzeige wegen der bei ihr aufzunehmenden Anleihen von nicht weniger als 2000 Pfd. bekannt gemacht und in derselben ihren Diskonto bis zum 14. Ja⸗ nuar auf 5 pCt. festgestellt, ihn also nicht, wie man fuͤrchtete, er⸗ hoͤht. Uebrigens verlangt sie von den Anleihern eine besondere Promesse außer den zu deponirenden Schatzkammerscheinen oder Ostindischen Obligationen.

Der sechswoͤchentliche Durchschnittspreis von Weizen war am 19ten d. 64 Sh. 8 Pee., der Zoll ist also 22 Sh. 8 Pce. Man haͤlt es nicht fuͤr wahrscheinlich, daß er in diesem Jahre unter 20 Sh. 8 Pere. fallen werde. Der Umsatz am Getreidemarkte war heute unbedeutend. Fremder Weizen geht nur zu niedrigeren Preisen ab. In Betreff der Korngesetze sind die widersprechend⸗ sten Geruͤchte im Umlauf.

Aus Schottland sind guͤnstigere Berichte, den Leinwandhan⸗ del betreffend, eingelaufen, auch wird aus Liverpool gemeldet, daß mehr Nachfrage nach Baumwolle eingetreten ist. Indessen ver— hehlt man sich das Bedenkliche der mit dem steigenden Elend im— mer mehr zunehmenden Frechheit der Chartisten nicht.

Gisborne und Wilson in Manchester, Kattundrucker von ei— niger Bedeutung, haben ihre Wechsel zuruͤckgewiesen. Die Passiva sollen 80,000 Pfd. betragen.

Der Admiral Sir John Wells und der beruͤhmte Bildhauer Sir Fr. Chantrey sind gestern hier gestorben.

F London, 26. Nov. In der politischen Welt sieht es sehr ruhig aus. So druͤckend auch die Verhaͤltnisse sind, so scheint die Nation im Ganzen doch entschlossen, nichts zu uͤbereilen und der Regierung die Zeit zu lassen, welche sie sich selbst gesetzt hat. Selbst in Irland scheint man an die Moͤglichkeit zu glauben, daß,

einst als Tories keine bessere Politik gekannt, als die protestan⸗ tische Partei ausschließlich im Besitz der Gewalt zu erhalten, das— selbe unter den neuen Verhaͤltnissen unparteiisch seyn koͤnne. Selbst der Unmuth, welchen die Orangisten neulich an den Tag elegt, weil die Regierung einen Mann statt eines anderen befoͤr⸗ ert hatte, scheint dazu gedient zu haben, diese Meinung zu ver— faͤrken. Freilich wollen die Oppositions⸗Journale aus dem Um⸗ stande, daß der Lord-⸗Lieutenant den Herrn West, welcher sich zuruͤckgesetzt glaubte, zu sich rufen ließ und ihn beruhigte, daraus den Schluß ziehen, daß die Regierung sich vor dem Mißfallen der Orangisten fuͤrchte, und einige Blaͤtter dieser Partei ha⸗ ben selbst diese Meinung unter ihrem Anhange zu verbrei— ten gesucht. Zernuͤnftige Leute jedoch sehen hierin blos einen Beweis, daß die Regierung die Nothwendigkeit fuͤhlt, wo nur immer moͤglich mit allen Parteien gut zu stehen, besonders mit denen, deren Unterstuͤtzung sie mit ihr Daseyn zu verdanken hat. Zog doch auch Lord Eliot, als O'Connell ein so furcht⸗ bares Geschrei gegen die Ernennung eines Herrn Brewster als

v“ g jeder seit 25 Jahren

Rechts⸗Konsultenten der Regierung erhob, bei mehreren der ange⸗

sehensten Katholiken in Dublin Erkundigungen uͤber den wahren

Charakter dieses Mannes ein, ehe er sich entschloß, bei der Ernen- nung zu beharren.

Unter diesen Umstaͤnden darf man sich also nicht wundern, daß, so sehr die Konsumenten im Ganzen auch eine bedeutende Ermaͤßigung im Getraide-⸗Zoll, eine gaͤnzliche Veraͤnderung im System, wo nicht gar totale Abschaffung desselben wuͤnschen, die League, mit all ihrer Thaͤtigkeit, keine auffallende Bewegung gegen die Getraide-Gesetze hervorzurufen vermag. Aber sie hat sich auch bei der allgemein herrschenden Ueberzeugung, daß in England kein Gewerbe, und am wenigsten der Ackerbau, ohne den Schutz eines Zolles, mit den Erzeugnissen des Auslandes zu konkurriren vermoͤge, durch die Fordervng der gaͤnz⸗ lichen Abschaffung aller Zoͤlle, in der oͤffentlichen Meinung ge— schadet; die sie freilich in keiner anderen Erwartung gemacht hat, als durch diese groͤßte Forderung eine bedeutendere Nachgiebigkeit von den Gutsherren zu erzwingen, als wenn sie dieselbe von vorn herein maͤßig gestellt haͤtte. Aber noch mehr hat sie sich durch ihre demagogische Verfahrungsweise, ihre Uebertreibungen, selbst Luͤgen, bei allen maͤßigen und gutgesinnten Buͤrgern geschadet, wenn man auch bekennt, daß ohne dieses alle Hoffnung, die Mas⸗ sen in die Bewegung hineinzuziehen, vergeblich war, wie die, ohne die Bewegung der Massen von den Gutsherren irgend eine Nach— giebigkeit zu erhalten. Aber dennoch hat sie, nach aller Erfahrung, weislich gehandelt, und war es nur ein solches Verfahren, welches (wenn ja in dieser Sache etwas Erkleckliches von der Regierung vorgeschlagen werden sollte) einem Peel und anderen ein- sichtsvollen Maͤnnern die Macht giebt, die große Masse de— rer, welche das Heft in ihren Haͤnden zu haben glauben, zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Wurden ja alle große Reformen in der neuesten Zeit auf diesem Wege erzwungen. Man erinnere sich nur, wie im Jahre 1818 die Forderung einer Parlaments⸗ Reform, durch die Heftigkeit eines Hunt, und nach der ungluͤck⸗ lichen Versprengung der Volksversammlung zu Manchester in uͤblen Ruf verfiel, und wie dennoch 12 Jahre spaͤter eine ausge⸗ dehntere Reform stattfand, als selbst ein Hunt sich hatte traͤumen lassen.

Die Heftigkeit der Chartisten, wie sie sich in kurzem zu Nor— wich und noch neulicher zu Newport in Wales und in dem Theile von London selbst, Lambeth genannt, wo sie die Annahme einer Gluͤckwunsch⸗Adresse an die Koͤnigin verhinderten, wirkt freilich auch gegen die League, weil es eben diese Klasse ist, welche sie mit aufzuregen sucht. Aber gerade die Furcht, die man vor die⸗ sem Gesindel hegt, wird am Ende ein Haupt⸗Hebel seyn, um die Gutsherren zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Dieses sehen die Cobden und andere Haͤupter der League recht gut ein und gehen deswegen, ohne sich durch die Kaͤlte des großen Publikums oder die Schmaͤhungen der Gutsherren und deren Organe im geringsten irre machen zu lassen, auf der einmal betrete⸗ nen Bahn immer weiter fort. Der Konvent, welchen sie berufen hat, wird stattfinden, und selbst von manchen besucht werden, welche ihre Verfahrungsweise mißbilligen. Ließ sich doch Lord Nugent, Oheim des Herzogs von Buckingham, bewegen, nachdem er sich mit uͤberströmendem Eifer gegen dieselbe ausge⸗ sprochen hatte, als einer der Abgeordneten von dem großen Kirch⸗ spiel Mary⸗le⸗bone diesem Konvent beizuwohnen.

Inzwischen nimmt der seit einiger Zeit etwas stiller gewor⸗ dene Streit uͤber die Kirchensteuer eine neue Wendung, welche die bedeutendsten Folgen haben muß. Dies ist eine Steuer, wo⸗ zu seit undenklichen Jahren jedes Kirchspiel verpflichtet schien,

um die in demselben liegenden Gotteshaͤuser, insoweit solche

nämlich zur Staatskirche gehoͤren und nicht (wie manche Kapel⸗ len und selbst Kirchen) Privateigenthum sind, in baulichem Zu⸗ stande zu erhalten. Hierzu wurde immer von den Kirchen⸗Vor⸗ stehern die Gemeinde berufen, und diese entschied durch die Mehr⸗ heit der Stimmen, ob uͤberhaupt eine solche Steuer zu erheben, und wie viel solche betragen solle. Da nun hierzu jeder Hausherr, ohneRuͤcksicht auf seinen Kirchenglauben, nach dem in den Gemeinde⸗ Buͤchern angesetzten Zinswerth seines Hauses beitragen muß, so hat auch jeder Hausherr, ohne Unterschied des Glaubens, eine Stimme. Nun geschah es bis in der neuesten Zeit selten, daß die Steuer verweigert wurde; wo es zur Abstimmung kam, galt es nur im⸗ mer die Rata, wonach die Steuer angelegt werden sollte. Seit⸗ dem aber die Nonkonformisten ihre Staͤrke kennen gelernt haben ist solche, besonders in Staͤdten, haͤufig gaͤnzlich verweigert wor⸗ den; und in manchen Kirchspielen unterzogen sich diejenigen, welche 8 e 8 4 2 28 . E die Pfarrkirche wirklich besuchten, ohne ihren andersglaubenden Nachbarn beschwerlich fallen zu wollen, und des Friedens halber freiwilligen Beitraͤgen zur Erhaltung und Verschoͤnerung der Kirche.

1 Seitdem aber die Puseyiten das kirchliche Bewußtseyn so kraͤftig angeregt, hat man hier und da dieser Maͤßigung entsagt; und man ist nun eben in einem der hiesigen Kirchspiele in einem Versuch begriffen, ob ein Kirchspiel nicht von den Vorstehern be⸗ steuert werden koͤnne, nachdem die Mehrheit gegen die Steuer entschieden habe. So weit man jetzt den Rechtsstand kennt, kann der Orts⸗Pfarrer oder sein Bischof mittelst des geist⸗ lichen Gerichtshofes die Vorsteher zwingen, die Kirche in anstaͤn— diger Reparatur zu erhalten; nun will man also sehen, ob es ei— nen Weg giebt, die Einwohner zu zwingen, diese schadlos zu hal⸗ ten; womit dann freilich alle Berathschlagung und Abstimmung der Gemeinde zur nichtigen Formalitaͤt herabsinken wuͤrde. Aber die geistlichen Gerichte, die mit ihrem Roͤmischen und kanonischen Rechte schon grell genug gegen unsere allgemeine Rechtspflege ab⸗ stechen, wuͤrden dadurch nur noch verhaßter werden, wenn uͤber⸗ haupt das Volk einen solchen Eingriff in die Grundlage aller sei⸗ ner Freiheiten, das Recht, sich selbst zu besteuern, ertraͤgt. Ist es doch schon ein gehaͤssiges Vorrecht dieser Gerichte, daß, wenn einer sich weigert, nach der Entscheidung der Mehrheit der Ge— meinde seinen Antheil an der Kirchen-Steuer zu entrichten, das⸗ selbe nicht, wie bei der Verweigerung anderer Steuern, seine Habe in Beschlag nimmt, sondern sich seiner Person bemaͤchtigt! Die Kirche ist zwar stark, staͤrker als sie es seit vielen Jahren war, aber dieses waͤre dennoch ein sehr gefaͤhrliches Spiel, be⸗ sonders da der Zwiespalt in ihrem Innern taͤglich offenbarer wird. Nicht die unbedeutendste Wahl kann jetzt zu Oxford statt— finden, ohne daß Protestanten und Puseyiten in Kampf gerathen. So in diesem Augenblicke wieder, wo ein Professor der Poesie an die Stelle des ausgetretenen Puseyiten Keble gewaͤhlt werden soll. Jede bringt ihren Kandidaten ins Feld, angeblich wegen seines Verdienstes im allgemeinen, und jede beschuldigt die andere, daß sie keine andere Absicht habe, als sich zu verstaͤrken. Die oͤffent— lichen Briefe, womit die Doktoren Pusey und Gilbert einander der Parteisucht beschuldigen, sind noch ziemlich hoͤflich; aber die Aufregung unter den Haͤuptern der Universitaͤt und noch mehr unter den Studenten ist sehr groß, und die skandaloͤse Chronik ist

hoͤchst geschaͤftig, die Papistischen Gebraͤuche einzelner Puseyiten

ans Licht zu ziehen. Belgien.

Brüssel, 26. Nov. Die Repraͤsentanten⸗Kammer hielt gestern eine kurze Sitzung, in welcher der Gesetz-Entwurf wegen freier Einfuhr auslaͤndischer Gerste mit 64 gegen 2 Stimmen angenommen wurde.

Unter den neuen Gesetz-Entwuͤrfen, die der Kammer uͤber— geben worden, befindet sich einer, durch welchen die Ausfuhr der Kartoffeln verboten, ein anderer zur Erhoͤhung der Pension der Wittwe des Bildhauers Kessels, wegen der von demselben nach⸗ gelassenen und dem Staat heimgefallenen Kunstwerke, von 2000 auf 3500 Fr., und endlich der Ratifikations⸗Entwurf der am 5. Nov. zwischen der Regierung und der Stadt Braͤssel abgeschlossenen Uebereinkunft.

Der Minister der auswaͤrtigen Angelegenheiten hat in der Repraͤsentanten⸗-Kammer angezeigt, daß die Konzentrirung Fran⸗ zoͤsischer Truppen an der Graͤnze gaͤnzlich aufgehoͤrt habe; daß der einzige Zweck dieser Konzentrirung eine Maßregel der Vor⸗ sorge von Seiten der Franzoͤsischen Regierung gewesen, veranlaßt durch uͤbertriebene Geruͤchte uͤber die diesseitigen Vorgaͤnge, daß man aber auch darin nur das Wohlwollen des Franzoͤsischen Gouvernements anzuerkennen habe. Der Minister des Innern fuͤgte hinzu, daß man vor 15 Monaten in einer solchen Truppen⸗ Bewegung allenfalls etwas Beunruhigendes haͤtte erblicken koͤnnen; gegenwaͤrtig sey jedoch ein Anlaß dazu nicht mehr vorhanden.

Deutsche Bundesstaaten. Stuttgart, 26. Nov. (Wuͤrtt. Bl.) In der Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 23. November, in welcher die Berathung uͤber die Straf⸗Prozeß⸗Ordnung fortgesetzt wurde, stellte Knapp den Antrag: daß der ganze Untersuchungs⸗Arrest an der Strafe abgerechnet werden solle, vorbehaltlich der Strafe, welche der Angeschuldigte durch eine waͤhrend der Untersuchung began⸗ gene Ungebuͤhr oder eine strafbare Handlung uͤberhaupt verwirkt habe. Die Kammer beschließt, diesen Antrag an die Kommission zu verweisen. . 8

Die Tagesordnung fuͤhrte nun auf Fortsetzung der Bera— thung des Schlußverfahrens. Zunaͤchst wurden die betreffenden Stellen des Kommissions⸗Berichts uͤber Oeffentlichkeit und Muͤnd⸗ lichkeit, Staats-Anwaltschaft und Staats⸗Rekurs verlesen und so⸗ fort von dem Praͤsidenten die Debatte eroͤffnet, die sich heute auf die Frage: ob und in wie weit Oeffentlichkeit und Muͤnd⸗ lichkeit im Allgemeinen, ohne Ruͤcksicht auf die Antraͤge der Kommission, in einzelnen Straffaͤllen im Schlußverfahren einzu⸗ treten habe, zu beschraͤnken hatte.

8 rahe ge zuvoͤrderst verschiedene Stellen des Kommissions⸗Berichts. Sodann faͤhrt derselbe fort:

Der Nutzen der Deffentlichkeit sey der, daß der erkennende Rich⸗ ter erfahre, auf welche Weise die Beweisgruͤnde, beruhen sie in den Bekenntnissen des Angeschuldigten oder in anderen Beweismitteln, erhoben worden seyen. Die unmittelbare Anschauung muͤsse bessere Wahrheit schaffen, als der Vortrag des Referenten, gestuͤtzt auf das Protokoll; die unmittelbare Erkenntniß der Wahrheit sey sicherer, als die mittelbare, und die unmittelbare Erkenntniß sey die, wenn der Richter aus dem Munde der Zeugen und des Angeschuldigten die Aussagen vernehme. Der Zweck der Oeffentlichkeit und Muͤnd⸗ lichkeit sey keinesweges, der Neugierde und dem Muͤßiggang ein Schauspiel zu gewaͤhren; der Zweck sey der, das Volk zu uͤberzeu⸗ gen, daß die Rechtspflege so verwaltet werde, wie sie verwaltet wer⸗ den solle, und demselben eine Kenntniß der Gruͤnde zu verschaffen auf welche das Erkenntniß sich stuͤtze, was fuͤr den Richter von Interesse sey, und gerade in Wuͤrttemberg um so mehr, damit das Volk erfahre,

daß nicht der Richter es sey, der die harte Strafe verhaͤngt habe,

daß er vielmehr nur den Vollstrecker des harten Gesetzes seo. Er b sey fuͤr Oeffentlichkeit und Muͤndlichkeit des Verfahrens in allen Instanzen und in allen Faͤllen, indem er den von der Kommisston geltend

gemachten Grund, daß es in geringeren Faͤllen fuͤr den Angeschuldig⸗

ten selbst hart sey, nicht theilen koͤnne, der nur von unserer angebor⸗ nen 8 77 4 der Hefentlichkeit herruͤbre. Man duͤrfe sich hierbei nicht immer die Lage des Schuldigen denken, man muͤsse sich auch des Unschuldigen erinnern, der den Gerichts⸗Saal gleichsam als Sie⸗ ger verlasse. Ueberdies aber muͤsse er sich fuͤr die Reconstruction der Beweis⸗ und Gegenbeweismittel aussprechen. Durch den von dem Entwurf vorgeschlagenen Vortrag des Anklaͤgers, durch das Verlesen der Vertheidigung, durch die Exception, Replik und Duplik erhalte der Angeschuldigte nur das Ergebniß der Thatsache, allein die Art und Weise, wie sich dieses Bild nach und nach gestaltet habe, die Gruͤnde des Richters bleiben dem Publikum ver⸗ schlossen. Was die Muͤndlichkeit betreffe, so sey ihm wohlbe⸗ kannt, daß auf die Protokolle alles Gewicht gelegt werde. Es habe aber die Berathung in diesem Saale vor wenigen Tagen gezeigt, daß man diesen Protokollen das Vertrauen nicht schenken duͤrfe, denn im Gefuͤhle ihrer Unsicherheit habe man nach Garantieen gesucht. Die einzige Sicherheit finde sich in der unmittelbaren Anschauung. Rich⸗ tig sey es, daß das materielle Rechtsmittel des Rekurses uͤber die Thatfrage bei der Muͤndlichkeit ausgeschlossen sey, dann aber bleibe noch der Rekurs uͤber die Rechtsfrage uͤbrig. Ueberdies lasse sich eine Verbindung des muͤndlichen mit dem schriftlichen Verfahren denken, wenn die vor dem erkennenden Richter gemachten Angaben zu Pro⸗ tokoll genommen werden, wogegen er nichts einzuwenden habe. Der Redner stellt den Antrag auf ein qoͤffentliches Schlußverfa hren in allen Instanzen und in allen Faͤllen mit Reconstruction der Be⸗ weis⸗ und Gegenbeweismittel, welcher Antrag bei Berathung der einzelnen Kommissions⸗Antraͤge an den betreffenden Stellen wieder aufgenommen werden wird.

Doͤrtenbach: Er schaͤtze es sich zur Ehre, dem verehrten Redner, der so eben gesprochen, sich unmittelbar anschließen zu duͤrfen. Er lasse Maͤnner vom Fache daruͤber urtheilen, in wie weit die Oeffentlichkeit eingefuͤhrt werden solle, im Allgemeinen er— klaͤre er sich fuͤr eine Ausdehnung derselben. Wenn man nach den Gruͤnden forsche, die gegen die Oeffentlichkeit geltend gemacht werden, so stoße man immer auf die Besorgniß, daß die Unab⸗ haͤngigkeit des Richters unter der Oeffentlichkeit leide. Diese Be— sorgniß theile er nicht, er halte es vielmehr fuͤr eine Aufgabe des neunzehnten Jahrhunderts, die Gerichtsthuͤren zu oͤffnen.

von Werner: Wenn der Werth der Oeffentlichkeit auch nur darin bestehe, daß der Verbrecher vor dem Publikum entlarot und der unschuldig Angeklagte seine Unschuld, seine Ehre vor den Au— gen Aller retten koͤnne, was mehr werth sey, als ein Bogen Pa— pier mit Urtel und Entscheidungs-Gruͤnden, die außer ihm viel— leicht Niemand lese, so sey die Oeffentlichkeit nicht zu theuer er— kauft; sie sey aber auch noch eine sehr lehrreiche Bildungsschule fuͤr das Volk, dessen Rechtsgefuͤhl dadurch unmittelbar angeregt und belebt werde, sie sey ferner ein sehr geeignetes Mittel, um die Vaterlandsliebe zu wecken und zu staͤrken ꝛc. Auf die schon laut gewordene Aeußerung, es habe sich im Volk noch nie ein Beduͤrfniß danach kundgegeben, muͤsse man fragen, wie dies wohl habe bekannt werden koͤnnen, da wir keine freie Presse haben. Er sey fuͤr die moͤglich breiteste Grundlage der Oeffentlichkeit.

von Zwergern spricht sich fuͤr unbedingte Oeffentlichkeit und Muͤndlichkeit in allen Faͤllen aus. Die in der Verfassung verheißene Rechtspflege koͤnne nur dadurch erreicht werden, nur darin erhalte das Volk eine Garantie einer unabhaͤngigen Justiz. Nichts koͤnne mehr den Geist des Volkes heben, nichts mehr das Vertrauen desselben wecken, als die öffentliche Verwaltung der Rechtspflege. Er erinnere an das Franzoͤsische und Englische Volk: mit welcher Liebe haͤngen diese Voͤlker an ihrer Rechts⸗ pflege! er erinnere an unsere Deutschen Mitbruͤder am Rhein, die durch ihre Einverleibung in einen fremden Staat die schoͤnste Er⸗ oberung gemacht haben. Von Allem, was er wuͤnsche, gewaͤhre der Entwurf nichts, die Bestimmungen desselben seyen ohne Werth fuͤr die Justiz und ohne Werth fuͤr das Publikum. Er trete den Ansichten und Antraͤgen des Abgeordneten Duvernoy bei.

Hiller: Auch er muͤsse sich fuͤr unbeschraͤnkte Oeffentlichkeit aussprechen. Wenn die Behauptung aufgestellt werde, daß noch keine Stimme danach laut geworden sey, so muͤsse er dem wider⸗ sprechen und an die Einrichtung der Buͤrger⸗Ausschuͤsse erinnern, die im Verlauf der Zeit an die ihnen geoͤffnete Gemeinde⸗Ver⸗ waltung sich gewoͤhnt und diese Institution liebgewonnen haben. Dieselbe Hoffnung hegt er von unserem Volk bei der Oeffentlich⸗ keit der Rechtspflege.

Staatsrath von Prieser sprach sich in einem ausfuͤhr— lichen Vortrage folgenderweise aus:

Er wolle die Kammer zunaͤchst daran erinnern, daß der Verfasser des Entwurfs einer der freisinnigsten und geachteisten Rechtsgelehr⸗ ten und Staatsmaͤnner Wuͤrttembergs war; daß seine Arbeit wieder⸗ holt, nicht nur von Kommissionen, in welche die tuͤchtigsten Maͤnner vom Fache berufen waren, so wie von dem Geheimen⸗Rathe, son⸗ dern auch von den durch Sachkenntniß und durch Unabhaͤngigkeit der Stellung vorzugsweise zum Urtheil berufenen Ober⸗Gerichten gepruͤft und gebilligt worden sey, und daß durch solche wiederholte Revisio⸗ nen und durch die sorgfaͤltigste und umsichtigste Erwaͤgung aller hier in Betracht kommenden Verhaͤltnisse zu Stande gekommene Werk von einer Regierung genehmigt und zur Verabschiedung eingebracht wor⸗ den sey, welche sich, wie auch diese Kammer wiederholt anerkannt habe, stets als eine aufrichtige Freundin des Rechts und der Gerech⸗ tigkeit und eines weisen und besonnenen Fortschritts bewaͤhrt habe. Schon hierin duͤrfte fuͤr jeden Unbefangenen eine dringende Auffor⸗ derung zum Zweifel liegen, ob die verlangte Ausdehnung der Oef⸗ fentlichkeit und Muͤndlichkeit des gerichtlichen Verfahrens auch wirk⸗ lich ein Beduͤrfniß sey, da es doch auffallend waͤre, wenn dieses Be⸗ duͤrfniß von den vielen sachverstaͤndigen Maͤnnern und Behoͤrden, welche an dem Entwurfe gearbeitet haben, uͤbersehen worden oder unbeachtet geblieben seyn wuͤrde. Man werde ihm aber vielleicht entgegnen, daß dieses Beduͤrfniß, wenn auch nicht von den Organen der Staatsgewalt, so doch von dem Volke gefuͤhlt und erkannt werde. Er muͤsse diesem widersprechen. Das Volk sey im Allgemeinen mit der bestehenden Einrichtung und Verwaltung der Rechtspflege zufrieden und beweise unseren nicht oͤffentlich verhandelnden Gerichten großes Vertrauen. Im Laufe der letzten Jahre seyen saͤmmtliche Bezirksge⸗ richte des Landes von den Gerichtshoͤfen visitirt worden. Hier⸗ bei werden stets nicht nur das rechtsgelehrte Gerichts⸗Personal, sondern auch die Gerichts⸗Beisitzer, Schultheißen und andere Personen um ihre Wuͤnsche hinsichtlich der Einrichtung und Ver⸗ waltung der Rechtspflege vernommen. Er habe aber nicht finden koͤnnen, daß bei diesem Anlasse Jemand den Wunsch nach einem oͤf⸗ fentlichen muͤndlichen Verfahren in Strafsachen ausgesprochen haͤtte, was doch gewiß der Fall haͤtte seyn muͤssen, wenn das erwaͤhnte Be⸗ duͤrfniß im Volke wirklich erxistirte. Fuͤhle aber das Volk kein Be⸗ duͤrfniß einer oͤffentlichen Straf⸗Justiz, schenke dasselbe der bestehenden Einrichtung und Verwaltung der Rechtspflege ein begruͤndetes Ver⸗ trauen, und halten auch die Sachverstaͤndigen eine ausgedehnte Oef⸗ fentlichkeit und Muͤndlichkeit des Verfahrens in Strafsachen weder fuͤr nothwendig, noch fuͤr raͤthlich, so frage man mit Recht, wozu dann gleichwohl ein so kostspieliges und bedenkliches Experiment in der Gesetzgebung gemacht werden solle. Er wolle nicht sagen, daß kein Beduͤrfniß einer verbesserten Gesetzgebung uͤber das Verfahren in Strafsachen vorliege. Aber dieses Beduͤrfniß gehe zunaͤchst nur dahin, daß die großentheils nur auf Gerichtsgebrauch beruhenden Normen aber den Strafprozeß durch ein gerechtes und humanes Gesetz jedem Buͤrger zugaͤnglich und verstaͤndlich gemacht werden sollen; daß der Rechtsgang moͤglichst beschleunigt und daß der erschreckenden Zu⸗ nahme der Verbrechen aufs kraͤftigste begegnet werde. Diesem Be⸗ duͤrfniß werde durch den Gesetz⸗Entwurf in genuͤgender Weise ab⸗

geholfen, waͤhrend die beantragte Ausdehnung der Oeffentlichkeit

das Verfahren ohne Noth sehr schleppend und kostspielig ma⸗ chen wuͤrde. In Bezug auf die Kostspieligkeit des vorgeschlagenen Verfahrens mache er darauf aufmerksam, das die Kosten der Straf⸗ rechtspflege seit Jahren foatwaͤhrend gestiegen seyen, und daß ein weiterer bedeutender Kostenaufwand hierfuͤr, auch abgesehen von dem vorliegenden Antrage, jedenfalls bevorstehe. Er wolle diesfalls nur einige Zahlen anfuͤhren. Im Jahre 1821 seyen bei saͤmmtlichen Be⸗ zirks⸗Gerichten des Landes 3352 Untersuchungen angefallen. Schon damals habe man uͤber große Vermehrung der Verbrechen geklagt. Zwanzig Jahre spaͤter, im Jahr 1840 41, seyen aber 11,434 gericht⸗ liche Untersuchungen anhaͤngig geworden, 3 ½ mal so viel als im Jahre 1821! Die Inquisttionskosten, welche im Jahre 1821 ungefaͤhr 75,000 Fl. betragen hatten, stiegen im Jahre 1839 u. 40 auf 124,000 Fl., wozu noch 10,000 Fl. Assistenzkosten zu rechnen seyen. Der Aufwand fuͤr die gerichtlichen Strafanstalten, welcher sich bereits bis auf 130,000 Fl. jährlich vermehrt habe, sey mit der zunehmenden Zahl der Strafge⸗ fangenen fortwaͤhrend im Steigen begriffen. In dem naͤchsten Finanz⸗ Etat werden fuͤr neue Untersuchungs⸗Gefaͤngnisse und Strafanstalten bedeutende Summen exigirt werden. Die Vollziehung der Straf⸗ Prozeß-⸗Ordnung mittelst Einfuͤhrung eines oͤffentlichen Schlußver⸗ fahrens in schwereren Kriminalfaͤllen werde einen weiteren bleibenden Kostenaufwand im Betrage von mehr als 13,000 Fl. jaͤhrlich verur⸗ sachen, so wie einen voruͤbergehenden von etwa 3000 Fl. fuͤr Gefaͤng⸗ nißbauten. Wuͤrde die Oeffentlichkeit auf alle von den Gerichtshoͤfen abzuurtheilenden Faͤlle, in welchen es sich von Erkennung entehren⸗ der Strafen handelt, ausgedehnt (7—800 Faͤlle jaͤhrlich), so wuͤrde sich der bleibende jaͤhrliche Mehraufwand auf mehr als 100,000 Fl. steigern. Auch muͤßten an dem Sitze jedes Gerichtshofs große Ge⸗ faͤngniß⸗Gebaͤude mit einem Aufwande von ein paarmalhunderttau⸗ send Gulden und einem betraͤchtlichen Gefangenwaͤrter⸗Personal er- richtet werden. Wolle vollends die Oeffentlichkeit des Schlußverfah⸗ rens auf alle kreisgerichtlichen Straffaͤlle ausgedehnt werden (etwa 2000 jaͤhrlich) so muͤßten bei jedem Gerichtshofe mehrere Staatsan⸗ waͤlte bestellt werden, und auch die uͤbrigen Kosten wuͤrden sich enorm vermehren. Eine solche Steigerung des Aufwandes fuͤr die Rechtspflege ließe sich um so weniger rechtfertigen, als das Verfahren nach dem Vorschlage des Abgeordneten Dnvernoy sehr schleppend und unsicher wuͤrde. Alle Nachtheile des muͤndlichen akkusatori⸗ schen Straf⸗Prozesses, welche schon bei Berathung des Artikel 2 des Gesetz⸗Entwurfs nachgewiesen worden, wuͤrden außerdem bei die⸗ sem Verfahren eintreten. Dasselbe sey im Wesentlichen nichts an⸗ deres, als der Franzoͤsische Prozeß nur, ohne Jury. Es ginge hier⸗ bei das Rechtsmittel des Rekurses verloren, welches doch von dem hoͤchsten Werthe sey. Lassen wir unseren welschen Nachbarn uͤber dem Rhein ihre mit Rednerkuͤnsten und amuͤsanten Skandalen ge⸗ schmuͤckten Justiz⸗Dramas. Dem Deutschen, dem die Rechtspflege eine ernste, heilige Sache sey, koͤnne diese Prozeßform nicht zusagen. Was die Deutsche Nationalitaͤt von der Franzoͤsischen scheidet, soll auch die Gerichts-Verfassungen beider Voͤlker trennen; denn nirgends spreche sich die Nationalitaͤt bezeichnungsvoller anus. Daß unser nicht⸗oͤffentliches Verfahren den Vorzug der Gruͤndlichkeit und Si⸗ cherheit habe, erkennen selbst seine Gegner an. Nur auf Kosten des materiellen Rechts diene die Justiz politischen Nebenzwecken. In dem Berichte des Preußischen Justiz⸗Ministers Muͤhler sey zunaͤchst nur von Einfuͤhrung eines muͤndlichen Anklage⸗Prozesses in gerin⸗ geren Straffaͤllen die Rede. Sollte aber auch die Preußische Re⸗ gierung sich veranlaßt finden, wie Duvernoy unterstelle, Oeffentlich⸗ keit und Muͤndlichkeit in Strafsachen in ausgedehnterem Sinne einzufuͤhren, so ließen sich in einem Staate, der keine allgemeine Landes⸗Verfassung besitze, Gruͤnde einer solchen Maßregel denken, welche in Wuͤrttemberg nicht zutreffen. Allem Bisherigen zufolge sey aller Grund vorhanden, dem Antrage des Abgeordneten Duver⸗ noy keine Folge zu geben.

Schweiz. 8

Genf, 22. Nov. (Schweizer Bl.) Die Regierung von Genf, in Besorgniß fuͤr die morgenden Ereignisse, laͤßt in diesem Augenblicke die ganze Miliz unter die Waffen treten; eine Kolli— sion ist unvermeidlich. Man schlaͤgt im Repraͤsentanten⸗Rath einen Verfassungs⸗Rath vor; er wird wohl heute beschlossen werden. Wenn dies nicht geschieht, so wird sich das Volk zum General⸗ Rath konstituiren und denselben beschließen. Alle Ausfluͤchte sind nunmehr unmoͤglich. Der Staats⸗Rath hat einen Fehlgriff begangen, die ganze Miliz einzuberufen; zwei Drit⸗ tel haben sich geweigert, die Waffen zu ergreifen. Die— sen Morgen wurden die mageren Bataillone, die man zusammen⸗ bringen konnte, um das Rathhaus aufgestellt, um den Platz frei zu halten. Sie sind forcirt worden; fast alle Milizen sind aus⸗ einander gegangen. Nicht 500 Mann sind noch unter den Waf⸗ fen und haben ein trauriges Aussehen, den 7—8000 Buͤrgern ge⸗ genuͤber, die ihre Rechte fordern. Wahrscheinlich wird diesen Abend alles beendigt seyn. Das Volk ist fest und ruhig; es ist die Haltung der Macht. Nachschrift. Der Verfassungs⸗Rath ist vom Repraͤsentanten⸗Rath Abends um 4 Uhr beschlossen worden.

Aegypten.

Alexandrien, 6. Nov. (L. A. Z.) Die Consuln haben MNehmed-Ali uͤber die nachtheilige Wirkung, welche die Ordon⸗ anz, die Franken zu verabschieden und die Schulen zu schließen, in Europa hervorbringen wuͤrde, die Augen geoͤffnet. Er hat an— rkannt, wie gegruͤndet ihre Vorstellungen waren, und der Ordon⸗ nanz keine weiteren Folgen gegeben. Indeß hat er doch diese Ge⸗ egenheit benutzt, um den Gehalt gewisser Angestellten zu vermin⸗ ern, und die italienischen Aerzte und Pharmaceuten, welche bei em Ruͤckzuge aus Syrien ohne Ausnahme sich als Verraͤther ezeigt und zum Feinde uͤbergegangen, definitiv abzusetzen.

In den letzten Tagen ist hier eine Verordnung bekannt ge⸗ jacht, kraft deren am 1. des Monats Redscheb die tuͤrkischen Muͤnzsorten außer Cours gesetzt werden. Es wird dabei jedoch nicht angegeben, welche Maßregel zu dieser Zeit getroffen werden solle. Einige behaupten, man werde den Tarif nach ihrem inneren Werthe, in Vergleich mit den aͤgyptischen Muͤnzen, bestimmen; Andere meinen, man werde dieselben nach Konstantinopel schicken, um sie dort umschmelzen und mit jenen des Pascha auf gleichen Fuß stellen zu lassen; bis zu der Zeit aber, wo die neuen Muͤnzen in Umlauf gesetzt werden koͤnnten, werde die tuͤrkische Regierung Papiergeld emittiren.

Die Deutsch⸗Russischen Ostsee⸗Provinzen.

Die Deutsch⸗Russischen Ostsee⸗Provinzen, oder Na⸗ 8 tur⸗ und Voͤlkerleben in Kur⸗, Liv⸗ und Esthland, von In G. Kohl, korrespondirendem Mitgliede der Kurlaͤndischen Gesellschaft fuͤr Literatur und Kunst. 1841. 8. 2 BaJnde. Dresden, Arnold.

8 Man hat der Reise⸗Literatur neuerdings zuweilen den ge⸗ aruͤndeten Vorwurf gemacht, daß sie in Hervorhebung des rein Subjektiven, in Darstellung von persoͤnlichen Erlebnissen und Begeg⸗ nissen ihre wesentlichen Gesichtspunkte verfehle und, dem Vorgange eines geistreichen Mannes folgend, das augenblicklich Pikante dem bleibend Werthvollen vorziehe. Sie verirrt sich damit eben so weit von ihrem wahren Ziele, wie die Journalistik, wenn diese so haͤufig in ihren Feuilletons, wie in ihren leitenden Artikeln, statt allgemeine

Zeit⸗Interessen einzelne Persoͤnlichkeiten bespricht und mehr auf die kleinliche Neugierde ihrer Leser, als auf ihre Theilnahme an den gro⸗ ßen Bewegungen der Zeit rechnet. Denn wie die Journal⸗Literatur die Zeit in ihrem Werden zu ergreifen, die allgemeinen Interessen und Tendenzen derselben sich anzueignen und urtheilend zu laͤutern und zu entwickeln die hohe, einflußreiche —2 hat, wie sie der Stimme der Intelligenz einen weiteren Wirkungskreis geben soll: so ist gerade die Form der Reise⸗Darstellung geeignet, unseren geistigen Blick auf die vorhandenen Zustaͤnde zu erweitern und in Vereinigung der man⸗ nigfachen geographischen und historischen, politischen und literarischen Elemente uns das Bild eines Volkes so zu zeichnen, daß sie, den ge⸗ genwaͤrtigen Augenblick fixirend, uns darin das Resultat der Vergan⸗ genheit sehen laͤßt und eine Vorahnung der Zukunft giebt. Mit Freude begruͤßen wir jedes Werk, welches dieses Ziel, wenn nicht er⸗ reicht, doch mit Erfolg erstrebt; uͤber die vorliegende Schrift duͤrfen wir dies unbedenklich aussprechen. Von lebhaftem Interesse fuͤr Na⸗ tur⸗ und Voͤlkerleben beseelt und mit einem scharfen Sinne fuͤr das Eigenthuͤmliche darin begabt, hat der Verfasser dem reichen Schatze von Erfahrungen und Beobachtungen, welchen ein laͤngerer Aufent⸗ halt in den verschiedenen Theilen der Ostsee⸗Provinzen ihn sammeln ließ, durch das Studium der Geschichte, der Sprache und Literatu des Landes erst seine volle Bedeutung gegeben, so daß sich aus der Verbindung aller dieser Momente ein Bin des Landes und seine Bewohner in scharfen Umrissen und in frischen, lebendigen Farben heraushebt. Ist diesem schon an sich sein Werth unbestreitbar, so fin⸗ det es bei uns noch ein besonderes vaterlaͤndisches Interesse. Der Kampf der Germanischen und Slavischen Nationalltaͤt hat seit einem Jahrtausend eine welthistorische Bedeutung fuͤr die Entwicke⸗ lung der Europaͤischen Verhaͤltnisse, und daß auch in der Gegenwart seine politische Wichtigkeit nicht geringer ist als sonst, daran sind wir in der neuesten Zeit auf mannigfache Weise erinnert worden. Die Deutsch⸗Russischen Ostsee⸗Provinzen sind ganz eigentlich ein Kriegs⸗ schauplatz, auf welchem dieser Kampf vor unseren Augen gefuͤhrt wird; in die Verhaͤltnisse der beiden Nationalitaͤten, die Art und Lage des Streites eine genaue Einsicht zu erhalten, wird jedem Deutschen Le⸗ ser diese Schrift besonders werth machen. Natuͤrlich kann bei einer Schilderung jener Laͤnder nach Natur⸗ und Voͤlkerleben der Gegen⸗ satz des Germanischen und Slavischen nicht den einzigen Gesichts⸗ punkt bilden, wenn nicht wichtige Gebiete uͤbersehen werden sollen; aber daß er ein wesentlicher Gesichtspunkt ist, laͤßt der Titel des Buches erwarten, der von den Deutsch⸗Russischen Provinzen zu handeln verspricht, so wie das Motto des ersten Bandes:

„Du weiter Ost, wo allgemach

Des Deutschen Volkes Well' erstirbt.“ und die Ausfuͤhrung entspricht dieser Erwartung.

Der Verfasser macht uns zuerst zu Beglestern auf einer Reise, welche uns von dem suͤdlichsten Hafenorte Kuüͤrlands, Libau, bald blos den Hauptstraßen folgend, bald Seitenwege einschlagend, durch Kur⸗ land, Livland und Esthland hindurchfuͤhrk, bis auf dem Wege von Narwa nach Petersburg die letzten Spuren Deutscher Nationalitaͤt verschwinden und wir uͤns mit dem Eintritt in voͤllig Russisches We⸗ sen aus dem Gebiete der Deutsch⸗Russischen Ostsee⸗Laͤnder herausver setzt finden. Die Menge der einzelnen Bilder, welche uns auf diesem Wege in reicher Mannigfaltigkeit, aber in charakteristischer Auswahl, vorgefuͤhrt werden, vereinigt der Verfasser dann in groͤßere Gemaͤlde des allgemeinen Natur⸗ und Vdlkerlebens dieser Laͤnder; er laͤßt uns die Gegenden, welche wir im Einzelnen durchwanderten, die sittlichen und politischen Verhaͤltnisse, die wir im besonderen Falle sahen, von einem Hoͤhenpunkte im Ganzen uͤberschauen. In diesem Sinne fol⸗ gen auf die Reisebeschreibung „Baltische Natur⸗Ansichten“, dann wird nach einer genauen Angabe der Elemente der Bevoͤlkerung in den Ost⸗ see⸗Provinzen eine ausfuͤhrliche Charakteristik des Lettischen und des

Esthnischen Stammes gegeben und in dem Abschnitte „Deutschthum und Russenthum“ die gesammte politische, religidse und literarische Stellung der beiden Nationalitaͤten gegen einander eroͤörtert.

Auf den Reisenden, der, aus dem Suͤdwesten kommend, in das Innere Kurlands eindringt, kann die einfoͤrmige Natur, nur wenig belebt von der duͤnnen, spaͤrlich in einige wenige Staͤdte und auf ein⸗ zelne Guͤter vertheilten Bevoͤlkerung, keinen anderen als einen trauri⸗ gen Eindruck machen. Desto wohlthuender ist der Kontrast, welchen dazu das gesellige Leben in den hoͤheren Kreisen des Landes bildet: mit zuvorkoͤmmender Liberalitaͤt darin aufgenommen, wird der Fremde zum Theilnehmer aller Freuden gemacht, welche die Vereinigung un⸗ ter Gebildeten in behaglicher, wohlthaͤtiger aͤußerer Einrichtung ge⸗ waͤhren kann, oder die man der Ratur im Sommer an der See, im Winter auf Jagden abgewinnt. Von der nordischen Gastfreiheit dem Leben in den Seebaͤdern und auf den Jagden giebt uns der Ver⸗ fasser eine hoͤchst freundliche und liebliche Schilderung; und wohl ge⸗ ziemt es dem Gaste, den dankbare Erinnerung an dieses Land knuͤpft, die Lichtseiten des Lebens hervorzuheben und damit zuͤgleich den Leser zu weiterer Bekanntschaft mit dem Lande einzuladen. Was der Ver beser verschweigt oder leise andeutet, liest man schon zwischen den

eilen.

Den Mittelpunkt fuͤr das gesellige Leben der vornehmen Welt Kur⸗ lands bildet Mitau und zeigt in den Wintermonaten, wo viele adelige Familien von ihren Guͤtern sich hierher uͤbersiedeln, einen Glanz, welcher die Groͤße der Stadt bei weitem uͤbertrifft. Ein Weg von nur fuͤnf Mei⸗ len fuͤhrt den Reisenden von da nach der Hauptstadt Livlands Riga; aber nicht leicht wird sich sonst bei so geringer Entfernung so starker Gegensatz zeigen. „Riga mit hohen gothischen Haͤusern und engen altreichstaͤdtischen Gassen, das Ganze kompakt und aus Stein gemeißelt. Mitau dagegen mit regelmaͤßigen Straßen, mit nie drigen Haͤusern, die sich ihrer ganzen Laͤnge nach an den Gassen hin⸗ ziehen; die⸗Haͤuser fast alle nur einstoͤckig, aus Holz zusammengezimmert. Riga wurde von Buͤrgern auf⸗ und ausgebaut, von aͤchten Staͤdtern, die ihre Geburt und ihr Ende, ihren ganzen Lebenslauf und Wirkungskreis in⸗ nerhalb der Mauern der Stadt abschlossen; Mitau dagegen von Herza gen und Edelleuten, die, auf ihren Landguͤtern an weite Raͤume gewoͤhnt auch in der Stadt, wo ohnedies ihres Bleibens nicht war, nur fůͦr die Saison einiger Wintermonate ihre Wohnungen gleichsam etwas naͤher an einander schoben. Rigg erhielt sich rein von Juden, wie eine keusche Jungfrau von zudringlichen Liebhabern; Mitau dage⸗ gen wimmelt von Israeliten, wie eine juͤdische Synggoge. Riga ist durchaus echte Kaufmannsstadt mit Geld⸗Aristokratie und buͤrgerli⸗ cher Thaͤtigkeit, Mitau dagegen echte Adels⸗Kapitale mit Geburts⸗ Aristokratie und feiner, vornehmer Geselligkeit.“ In sich selbst zeigt Riga einen anderen Gegensatz, der diese Stadt wie zu einem Minia⸗ tur Bilde der Deutsch⸗Russischen Ostsee⸗Provinzen macht. Denn es trennt sich die Stadt entschieden und im schroffsten Kontraste in den alten inneren Deutschen Stadtkern und die darum angesetzten Russi schen Vorstaͤdte. Jener ist klein an Umfang, mit thurmhohen Haͤu sern, engen, finsteren Gassen und Gaͤßchen; diese dehnen sich in ge⸗ raden Straßen von unabsehbarer Laͤnge und Breite, deren weiß oder gelb angestrichene, meistens hoͤlzerne Haͤuser mit ihrer großen Saͤulen⸗ Verschwendung mehr ein pomphaftes Aeußere als ein solides Innere zei⸗ gen. Es ist, als haͤtten sich die 30,000 Deutsche in der alten Stadt als ih⸗ rer Burg gegen die zu 20,000 erwachsenen und in steter Zunahme begriffe⸗ nen Russen verschanzt, welche in den Vorstaͤdten lagern und immer drin⸗ gender die Zulassung zum vollen Buͤrgerrechte, die Gleichsetzung ihrer unzuͤnftigen Gewerbe mit den staͤdtischen Zuͤnften, kurz, Aufhebung der in der Capitulation von 1710 gesicherten Privilegien, fordern. Die Rechte des Bestehenden einerseits und des Werdenden, kraͤftig Erwachsenden andererseits liegen hier noch eben so im Streit, wie zu Anfange von Alerander's Regierung, als die Rigenser in einer in⸗ teressanten Petition, die der Verfasser mittheilt, die Aufrechterhaltung ihrer alten Institutionen erbaten.

Wie Riga, so zeigt sich Rewal, die noͤrdlichste Stadt Esthlands, in seiner ] seinen staͤdtischen Einrichtungen und deren alterthuͤmlich Deutschen Benennungen, in der ganzen Bildung und dem geselligen Tone seiner Einwohnerschaft, als eine Deutsche Stadt; aber hier fehlt der Kampf, der in Riga die Kraͤfte in frischer Thaͤtigkeit erhaͤlt, oder er ist schon ausgekaͤmpft. Die Handels⸗Privilegien, durch welche Petersburg von seiner Ent⸗ stehung an gehoben ist, haben den Handel Rewals beinahe zu gaͤnz⸗