1844 / 124 p. 2 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

,, treibung herbei, und man kann ohne Uebertreibung ,-7 2 25.2 dieses Prachtbaues mindestens 50,000

daß seit Erö 1 sich 5, hnn⸗ Hallen eingefunden haben.

** Dresden, 1. Mai. Glaubwürdigem Ver⸗ 2 4977 2 Se. Majestät der König, einen 8 am Hofe Englands abzustatten, und die Reise dahin zu Ende dieses . Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strasver⸗ fahrens haben, für die beabsichtigte Sendung eines Gleichgesinnten in die Länder des öffentlichen Verfahrens, eine Summe von 1688 Rthlrn. aufgebracht und den hierzu ausersehenen Landtags⸗ Aüge⸗ ordneten Braun, vor dem Antritt der, ihm vom öffentlichen Ver trauen übertragenen Reise, zu einem ihm zu Ehren am 5. Mai d. J. zu Leipzig zu veranstaltenden Festmahle, eingeladen. —Heute verläßt uns der hier sehr geachtete Dramaturg Mosen, um dem ihm gewordenen Rufe nach Oldenburg zu folgen.

** Aus dem Königreich Sachsen, im April. Der Abgeordnete von Watzdorf, welcher schon früher seinen Wählern, der voigtländischen Ritterschaft, in einem kleinen Schriftchen über seine Theilnahme an den ständischen Verhandlungen Rechenschaft zu geben suchte, hat dies auch in Bezug auf den letzten Landtag wiederholt und diesmal das Adorfer Wochenblatt zum Organ gewählt. Das Sendschreiben behandelt hauptsächlich seine Theilnahme an den statt⸗ gefundenen Debatten über Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Straf⸗ verfahrens und die Angelegenheiten der Presse. Es wird die Versicherung vorausgeschickt, daß den Verfasser diejenigen politischen Grundsätze, welche er in seinem ersten Rechenschafts⸗Berichte ent⸗ wickelt, auch bei dem letzten Landtage geleitet hätten, deren Hauptzweck Aufrechthaltung und Fortbildung unserer Verfassung durch die Freiheit der Presse und durch Mündlichkeit und Oeffentlich keit des Strafverfahrens stets gewesen und geblieben seiz es wird hinzugefügt: „Wenn man in den Verhandlungen des vorigen Land tags von seiner Seite eine schärfere Opposttion gegen die Regierung als früher wahrgenommen habe, so liege die Hauptursache in dem Umstande, daß von derselben jene Grundsätze in Worten und Werken mehr als je in Frage gestellt und bekämpft worden seien.“

Nach kurzer Erwähnung seines Verhaltens in der Adreßfrage spricht sich von Watzdorf über den ersten der schon angegebenen Punkte folgendermaßen aus:

„Wenige Wochen nach Erledigung der Adreßfrage folgte die bei weitem wichtigere und umfänglichere Berathung des Berichts der außerordentlichen Deputation über den Entwurf eines Kriminal⸗Prozeßgesetzes. Veranlaßt durch die hohe Bedeutung dieses Gesetzes und dessen wesentlichen Einfluß auf die Entwickelung unserer Verfassung, hatte ich schon vor Beginn des Landtages einige Bedenken gegen die von der Regierung angenommenen Grundsätze in Nr. 87 der Fßeschen Vaterlandsblätter vom Jahre 1842 veröffentlicht. Ich glaube nämlich, daß alle wichtigen Gesetz⸗Entwürfe vor ihrer Berathung in den ständischen Kammern durch die Presse erörtert wer⸗ den sollten, und zwar in unserem Vaterlande um so mehr, als durch die augenscheinlichen Mängel unseres Wahlgesetzes die meisten unserer intelli⸗ genten Mitbürger von der Stände⸗Versammlung ausgeschlossen sind, welche auf diese Weise Gelegenheit erhalten, ihrem Urtheile über die vorgelegten Gesetz⸗Entwürfe einige Berücksichtigung zu verschassen. Obgleich meine Be⸗ merkungen über den Entwurf der Sirasprozeß⸗Ordnung nur flüchtig und oberflächlich sein konnten, so hatten sie doch die erfreuliche Wirkung, daß unnsere Presse sich mit diesem Gegenstande nun eifrig beschäftigte und ihn der „vwielseitigsten Prüfung unterwarf, wodurch die Berathung des Gesetz⸗Entwurfs

in der Stände⸗Versammlung an Gründlichkeit gewiß bedeutend gewonnen hat. Was ich bei Gelegenheit derselben gesprochen habe (vergl. S. 338

is 30 2 Mittheilungen), bedarf allerdings einer Wiederholuna bis 341 der Landtags⸗Mittheilungen), bedarf nge EEE 5

8 0 sher 922 ˙ Eeeeeee˙˙— ihellung schuldig zu sein. Ich bin nämlich ein Verehrer dieser Einrich⸗ tung, welche ich namentlich für constitutionelle Staaten unentbehrlich

halte und daher auch wünsche, daß unser Vaterland derselben moöglichst bald theilhaftig werden möge. Zur Entscheidung reiner That⸗ fragen bedarf es nach meinem Dafürhalten keiner juristischen Kenntnisse. Ein natürliches gesundes Urtheil wird stets einen besseren Leitfaden dazu an die Hand geben, zumal wenn man erwägt, wie trügerisch die von den Juristen erfundene Indicienlehre ist. Rechtskenntniß ist nur dann erforderlich, wenn es sich darum handelt, den Begriff des in Frage stehenden Verbrechens fest⸗ zustellen, z. B. ob dasselbe als Mord, Todschlag, Raub, Diebstahl ꝛc. zu betrachten ist. Zu diesem Geschäfte eignen sich vorzugsweise Rechts⸗ kundige, welchen daher auch in Ländern, wo Schwurgerichte bestehen, der Vorsitz derselben übertragen zu werden pflegt. Hauptsächlich ist aber von Schwurgerichten eine bessere und unpartkeiischere Beurtheilung politischer Verbrechen zu erwarten, als von unseren deutschen Gerichtshöfen, indem die Mitglieder dieser letzteren von den bei der Untersuchung und Bestrafung jener als Partei betheiligten Regierungen, welche sie anstellt, befördert und entläßt, im höchsten Grade abhängig sind. Die Verurtheilung des edlen politischen Märtyrers Jordan dient zum Belege dieser Behauptung.

„Fragen Sie mich nun, warum ich bei diesen meinen Ansichten die Einführung der Schwurgerichte in Sachsen nicht beantragt habe? so muß ich darauf antworten, daß folgende nicht unerhebliche Bedenken mich davon abhielten: Zunächst konnte ich mir nicht verhehlen, daß ein weit verbreitetes Vorurtheil, dessen Beseitigung ich erst von der Zeit und der fortschreitenden Aufflärung erwarte, der Einführung der Schiwurgerichte in Sachsen ent⸗ gegensteht. Nicht allein die Anhänger des Ab olutismus, nein! auch aufrichtige Freunde unserer Verfassung haben sich gegen dieselben er⸗ klärt. War es nun wohl gerathen, für Sachsen eine Einrichtung zu bevorworten, welche daselbst mit vielseitigem Mißtrauen zu kämpfen haben würde? Ferner mußte ich mir sagen, daß das Bessere oft ein Feind des

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Guten ist. Die Einführung der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strasverfahrens vhne Schwurgerichte schien mir auch unter den gegenwär⸗ tigen politischen Verhältnissen möglich, mit denselben aber sehr unwahr⸗ scheinlich; auch würde die erstere in meinen Augen ein so bedeutender Fort⸗ schritt gewesen sein, daß wir uns wohl vorlaͤufig damit hätten begnügen können. Endlich rieth aber auch die Klugheit, keine Anträge zu stellen, welche möglicherweise eine Spaltung unter den Anhängern der Muündlichkeit und Oeffentlichkeit hervorrufen lonnte. Denn nur Einheit giebt Kraft! Aus diesen Gründen hoffe ich, daß auch die Freunde der Schwurgerichte mich nicht tadeln werden, weil ich zu Gunsten derselben in unserer Stände⸗ Versammlung kein Wort gesagt habe.

„Ich kann diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne auf eine der Unvoll⸗ kommenheiten des constitutionellen Systems in Deutschland aufmerksam zu machen, welche auch bei uns durch den Ersolg der Berathung über die Strafprozeß⸗Ordnung recht deutlich hervorgetreten ist, ich meine die Unveränderlichkeit der verantwortlichen Räthe der Krone welche, gleichviel ob ihre Grundsätze mit den Ansichten der Stände⸗ Versammlung in Einklang stehen oder nicht, in den deutschen constitutionellen Staaten im Amte zu bleiben pflegen. Oefters habe ich die Bemerkung gehört, daß der häufige Ministerwechsel, wie wir ihn namentlich in Frank⸗ reich wahrgenommen haben, auf die Verwaltung nachtheilig wirken müsse. Ohne dies gänzlich in Abrede zu stellen, glaube ich doch, daß das öffent liche Wohl noch weit mehr gefährdet wird, wenn, wie es in Deutschland der Fall ist, ein Minister, welcher in Bezug auf die leitenden Grundsätze seiner Amtsführung mit der großen Mehrzahl ber Stände Versammlung in Zwiespalt steht, auf seinem Posten bleibt. Dies entspricht dem Wesen eines constitutionellen Staates durchaus nicht. In demselben soll die Thätigkeit eines Ministers eine doppelte sein, eine administrative und legis⸗ lative. Wollte man nun auch annehmen, daß die erstere die Zustim⸗ mung der Volksvertreter nicht ersordere, so bedarf es doch keines Beweises, daß, wo diese fehlt, die letztere gänzlich gelähmt ist. Kann nun in die⸗ sem Falle selbst der redlichste und weiseste Minister einem wesentlichen Theile seiner Berufspflichten nicht genügen, so wird er auch als guter Patriot handeln, wenn er unter solchen Voraussetzungen einer Stellung entsagt, in welcher er nach seiner Ueberzeugung für das Wohl des Vater⸗ landes nicht wirken kann.“

Die letztere Meinung drückte unlängst ein anderes Volksblatt mit weniger Worten ungleich naiver und kräftiger aus. Im Uebri gen aber können die Konservativen sich durch die offene Erklärung des von Watzdorf nur darin bestärkt finden, daß die Stufenleiter der Neuerer erst zur constitutionellen Versassung, dann zur Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, dann zu den Schwurgerichten und endlich zur Ochlokratie führe.

Hannover. Hannover, 29. April. In der Sitzung vom 24sten nahm die zweite Kammer zunächst den Konserenz⸗Vorschlag an, der Königlichen Regierung zu erklären:

„Stände erklären die jetzige Vertheilung der Last der Gefangenfuhren und derjenigen Krankenfuhren, wozu von dem Königlichen Ministerium Fuhrbefehle ertheilt werden, als eine drückende, und ersuchen die Königliche Regierung, wo möglich noch in dieser Diät Vorschläge wegen billiger Ver⸗ theilung und Ausgleichung dieser Last an die allgemeine Stände⸗Versamm⸗ lung gelangen zu lassen. Diese Erklärung erstreckt sich jedoch nicht auf Herrendienste, mittelst deren in einigen Gegenden des Landes die Gefangen⸗ fuhren zu beschaffen sind.“

Der Tages⸗Ordnung gemäß, setzte man dann die zweite Be⸗

rathung des Gesetz⸗Entwurfs zur Verbesserung des Volksschulwesens fort. Der 20ste Paragraph: „Falls besondere Umstände nach dem Ermessen Unserer zuständigen höheren Behörden es erfordern, kann nach vorgängiger Vornehmung der Schul⸗Interessenten eine fernere Erhöhung dieses Dienst⸗Einkommens neben freier Wohnung in Land⸗ und Flecken⸗Gemeinden bis auf jährlich 150 Rthlr., in Städten bis auf jährlich 300 Rthlr. verfügt werden“, veranlassen eine längere Diskussion und mehrere Verbesserungs⸗Vorschläge. Von letzteren wurode nur der genehmigt, hinter Interessenten die Worte: „so wie in den Städten der Magistrate und Bürger Vorsteher“ einzuschalten, und der Paragraph in dieser Fassung angenommen.

Württemberg. Stuttgart, 25. April. e) Die Abrechnung süddeutscher Buchhändler, welche durch den hiesigen Buch⸗ händler-Verein angebahnt worden ist und schon voriges Jahr hier stattgefunden hat, wird voraussichtlich auch dieses Jahr durch eine große Zahl dabei Betheiligter vor sich gehen. Zwar haben die frankfurter Buchhandlungen, wohl in Erinnerung der früheren Be⸗ deutung ihres Platzes, den gleichen Zweck für denselben zu erreichen versucht und damit eine Spaltung hervorgerufen. Allein man darf annehmen, daß die Ausdehnung der hiesigen Verlags⸗Geschäfte und

die Lage unserer Stadt den Sieg davon tragen werden.

Baden. Karlsruhe, 27. April. (M. J.) In der gestrigen 57sten Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurde die Berathung über die Straf⸗Prozeßordnung fortgesetzt. Die Stelle in §. 135: „Stehen der Beeidigung Bedenken entgegen, so tritt an die Stelle derselben die einfache Ermahnung zur Angabe der Wahrheit“ giebt zur Erörterung der Frage Veranlassung, ob derjenige, welcher erklärt, daß die Ablegung eines Eides gegen seine religiöse Ueber zeugung streite, gezwungen werden könne, dennoch einen Eid abzulegen, oder ob ein feierliches Handgelübde, mit der Strafe des Meineids im Verletzungsfalle hinreiche. Diese Frage wird an die Kommission zurückgewiesen. Zu einer lebhafteren Erörterung führte die Frage, ob die Beeidigung der Zeugen nur einmal, bei der Voruntersuchung, oder nochmals in der öffentlichen Sitzung stattfinden solle. Von der einen Seite wurde hervorgehoben, daß eine zweimalige Beeidigung

das öffentliche Gefühl verletze und die Zeugen bei der zwei⸗ ten Einvernahme in ecze befangene Stellung bringe, dagegen wurde von der anderen Seiqdemerkt, daß die Eidesleistung in öffentlicher Sitzung weit feierlicher und wirksamer sei, als jene bei der Vorunter⸗ suchung, daß eine Verbesserung der in der Voruntersuchung abgeleg ten Aussage keine Meineidsstrafe nach sich ziehen solle, daß aber die Beeidigung der Zeugen als eine Wesenheit in dem Untersuchungs⸗ Verfahren in der öffentlichen Sitzung nicht fehlen dürfe. Gleichwohl erfolgte der Beschluß, nach dem Entwurf der Kommission die Beei⸗ digung der Zeugen in der Voruntersuchung zu statuiren, für die öffentliche Sitzung aber eine feierliche Erinnerung an den bereits ab⸗ gelegten Eid durch den Präsidenten des Gerichts als genügend zu erklären. In der heutigen Sitzung wurde die Berathung des Titels: von Vernehmung der Zeugen, vollendet und die des folgen⸗ den: von der Vorladung des Angeschuldigten, von Vorführung und Verhaftung desselben, angefangen. Die Verhandlung gedieh bis zu 8 189.

Braunschweig. Braunschweig, 25. April. (Wes. Z.) Gestern fand hier die erste Versammlung der hiesigen Landesgeistlichen, Schulmänner ꝛc. zum Zweck der Bildung eines evangelischen Vereins der Gustav⸗Adolph⸗Stiftung statt. Es ist ein Ausschuß ,für den Entwurf der Statuten gewählt und zugleich über die Grundzüge der⸗ selben eine vorläufige Vereinbarung getroffen. In dieser Beziehund hat man unter Anderem die Feststellung des Grundsatzes beschlossen, daß ein Drittheil der Einnahmen des Vereins für kirchliche Zwecke hier im Lande verwendet werden müsse, ein Beschluß, welcher in die⸗ ser Fassung der mehr kosmopolitischen Grund Idee der Gustav⸗Adolph⸗ Stiftung kaum entsprechen und darum, vorzüglich aber aus dem Grunde, den Beifall der Regierung nicht finden dürfte, weil für das kirchliche Bedürfniß unseres Landes verhältnißmäßig bedeutend mehr als an⸗ derswo von Staatswegen geschieht. Außer den reichlichen Spezial⸗ Fundationen für einzelne Kirchen wird nämlich der Reinertrag des s. g. Kloster⸗ und Studien-Fonds mit jährlich etwa 131,800 Rthlr. aus⸗ schließlich zu kirchlichen und Schulzwecken, namentlich auch als Zu⸗ schüsse für gering dotirte Pfarrstellen verwendet; eine gewiß beden tende Summe für ein Land von 71 UMeilen mit etwa 200,000

Frankreich.

Pairs⸗Kammer. Sitzun gen vom 26. und 27. April. Am eifrigsten für vollständige Unterrichts- Freiheit sprach, vom religiösen Gesichtspunkte aus, Graf Montalemb i welchem bekanntlich der Klerus in seinem Streit mit der Unüversität einen unermüdlichen Kampfgenossen gefunden hat. Der junge Pair ist ein Mann von Talent und Geist, und auch die Gegner seiner Ansichten lassen seiner glänzenden Beredtsamkeit alle Gerechtigkeit widerfahren. Diesmal war seine Rede ein völliges Kriegs⸗-Manifest; er bekämpfte und verwarf Alles in dem bestehenden und vorgeschlagenen Unter⸗ richts⸗Systeme. Sein Ziel ist ganz unbeschränkte Freiheit des Un⸗ terrichts, wie sie in Belgien, England und den Vereinigten Staaten besteht. In seinem System ist weder von Fähigkeits⸗, noch von Sittlichkeits⸗Zeugnissen, weder von Studien Certifikaten, noch von akademischen Diplomen die Rede; es bleibt nichts übrig, als das individuelle Recht in der höchsten Potenz, ohne Bürgschaften, ohne Aufsicht und ohne Einmischung des Staats. Er begann seine Rede mit folgender an Herrn Guizot gerichteten Apostrophe:

„Meine Herren, als ich gestern den Minister der auswärtigen Angele⸗ genheiten in dieser Debatte mit dem Gewicht und der Beredtsamkeit seines Wortes auftreten sah, glaubte ich, er würde entweder die gelehrte und muthige Darlegung freisinniger Grundsätze in der Unterrichtssache, welche Graf Beugnot gegeben, oder die geistvolle Kritik, mit welcher Baron von Brigode den Gesetz⸗Entwurf beurtheilt hat, beantworten. Aber nichts von alledem; nicht einmal ein einziges Wort zu Gunsten des Gesetzes sagte der Herr Minister; er überläßt es seinem Schicksal. Seine Rede beschränkte sich auf Kundgebung der Absichten und Pläne der Regierung in Bezug auf den allgemeinen Stand der religiösen Frage. Er nahm also nur die Dis kussion auf, welche ich bei Gelegenheit der geheimen Fonds anzuknüpfen suchte. Er bestätigte eine meiner Behauptungen, indem er sagte, der Kampf dürfte lange anhalten und umfasse weit mehr, als die bloße Freiheit des Unterrichts. Deshalb eben wollte ich auch schon vorher und abgesehen von der jetzigen Diskussion darüber sprechen. Er hat außerdem zwei Be⸗ hauptungen geäußert, die ich zu bestreiten mir erlaube. Erstens sagte er, der größte Theil der Geistlichkeit sei dem gegenwärtigen Kampf fremd ge⸗ blieben. Darauf antworte ich, daß bei dem gegenwärtigen Zustande der französischen Kirche die Geistlichkeit keinen anderen Repräsentanten hat, als die Bischöfe. Nun kann ich aber wohl behaupten, daß es unter den 75 oder 76 gegenwärtigen Bischöfen kaum mehr als einen oder zwei giebt, die nicht energisch die Unterrichtsfreiheit gesordert und dies Universitäts- System bekämpft hätten; 38, also über die Hälfte, haben das öffentlich ge⸗- than. Wenn man übrigens glaubt, daß die Mehrheit des Klerus außer⸗ halb des Kampfes stehe, warum hegt man denn so große Furcht vor Allem, was den Anschein einer Verabredung hat, vor allen Provinzial⸗Konzilien und Diözesan Synoden, in welchen ja wohl der Geist jener Mehrheit, auf die man zählt, unfehlbar sich zeigen würde? Der Herr Minister hat ferner gesagt, es gäbe unter der Geistlichkeit Männer, bei welchen ein Streben nach Gewalt, bei welchen Erinnerungen, Wünsche und Versuche, sich einer mit dem jetzigen Zustand der Gesellschaft unverträglichen Gewalt wieder zu bemächtigen, im Hintergrund lägen. Ich glaube jedoch die französische Geist⸗ lichkeit besser zu kennen, als der ehrenwerthe Herr Guizot. Meine Stellung und, ich darf sagen, auch mein Glauben geben mir das Recht und die Befähigung, sie besser zu kennen, und ich

zählt, und hieraus ergiebt sich der Grund, warum Frankreich im Norden unzählige Festungen und im Osten fast gar keine besitzt, da jene sechsfachen Jura⸗ und tertiairen Gebirge natürliche Defensions⸗Linien für Paris bilden, welche von großem Einsluß auf den Gang der strategischen Operationen sind, was sich niemals mehr, als in der denkwürdigen Campagne von 1814 herausgestellt hat, wo die einzelnen Schlachten stets in der Reihe der emporragenden Hügelzüge geschlagen wurden.

Auß dem nach Paris zu belegenen neuesten tertiairen Kranzstücke liegt Montereau, Noyent, Sezanne, Vauchamps, Montmirall, Champaubert, Epernay, Craonne und Laon.

Auf dem zweiten von der Kreide gebildeten Zuge befindet sich Troyes, Brienne, Vitry⸗le⸗frangais, Sainte Menehould. Da steht auch Valmy!

Der dritte Kreis ist nicht so vollständig ausgedrückt, längs ihm fanden indeß die Züge der Argonne statt.

Die vierte Linie gehört schon dem Jura an, und auf ihr liegen Bar⸗ sur⸗Seine, Bar⸗sur⸗Aube, Bar⸗le⸗Duc und Ligny.

Auf dem fünften Jurazuge sieht man Chatillon⸗sur⸗Seine, Chaumont, Toul und Verdun. Den letzten endlich bilden jene Hügelreihen, von denen Metz und Nancy beherrscht wird, und welche sich ohne Unterbrechung von Langres bis Longwy und nach der Umgegend von Mezieres fortziehen.

Paris steht in Mitten diefer sechsfachen Umwallung, welche die Natur Phen die europäischen Invasionen gebildet hat, und die nur an einzelnen

Siellen durch Flüsse durchbrochen werden, welche wie die Ponne, Seine,

Marne, Aisne und Oise ihren Lauf nach dem Centrum des Bassins nehmen ind 9 Dienste der großen Hauptstadt darbringen.

vgeen des pariser Beckens ist durch die Natur nicht so be

. waper kommt es denn, daß hier eine Menge von künstlichen

8 Flanben⸗ 1 e sind, zu denen Sedan, Mezidres, Rocroy, Aves⸗

n. f. w. dehbden. alenciennes, Lille, Bergues, Ardres, Douap, Cambray

Im Westen und Sübden sind die Umkrän

d zungen des großen Beckens

IFse. . e Oeen, so daß die Combnunicaticn des großen

ales mm oem Innem des Landes durch die große Hochebene,

welche sich von Beauce bis zur Bretagne und zur Gascogne ausdehnt, um

Vieles erleichtert wird. Hieraus kann man erkennen, wie die Lage von Paris durch die Natur bestimmt wurde und sein politischer Einsluß vor⸗ züglich ein Resultat hiervon ist. Die Hauptflüsse des nördlichen Frankreichs sließen der großen Hauptstadt zu, deren Umgegend einen köstlichen und fruchtbaren Boden und die ausgezeichnetsten Baumaterialien darbietet. Die Champagne, die Sologne und Perche schließen den Kern des pariser Beckens ein, 1- daß der Punkt, auf dem die Hauptstadt steht, sich gleich einer Oase in Mitten der Wüste befindet, so daß der Name Ile de France, wel⸗ chen unsere Vorfahren der in Rede stehenden Gegend gegeben haben, auf eine äußerste glückliche Weise deren geognostische Lage desinirt.

Weder dem Zufall also, noch einer Laune des Glücks verdankt Paris seinen Glanz, und die, welche erstaunen, nicht Bourges als die Hauptstadt Frankreichs zu sehen, bekunden nur ihre gänzliche Unwissenheit von der Be⸗ schaffenheit des französischen Bodens. Paris verdankt allein den natür⸗ lichen Verhältnissen seine Entstehung, und gewann insbesondere an Bedeut⸗ samkeit durch den Einfluß der Struktur des Bodens. So sieht man die Terrainbeschaffenheit auf die Gruppirung von Völkerstämmen, so das Klima auf die Bildung der Gesetze eines Landes einwirken!

Dieselben Ursachen aber, welche aus Paris die Hauptstadt Frankreichs machten, begünstigten zu gleicher Zeit seinen Einfluß in ganz Europa. Da Frankreich, wie wir es weiter unten zeigen werden, im Nord ⸗Osten keine natürlichen Gränzen hat, so ist sein geistiger Einfluß auf dieser Seite auch ungleich v her. als nach allen anderen Richtungen hin; so kommt es, daß, wenn auch Paris in geographischer Beziehung ganz im Norden Frankreichs belegen, es dennoch im Mittelpunkte seines moralischen Einflusses steht.

Die Gränzen Frankreichs zeigen sich nun zum Theil, zum Theil aber auch nur, von der Natur eben 2 gebildet, wie in Spanien und Italien. Zuvörderst das Meer von Dünkirchen bis Bayonne; eben so von Port Vendre bis Antibes.

Zwischen diesen beiden Meeren liegen die Pyrenäen gleich einem Walle, der waͤhrend des größten Theiles im Jahre mit Schnee und Eis gekrönt, um Vieles schwieriger zu übersteigen ist, als ein Meer zu durchfahren wäre,

und der ungleich vollständiger die Communication der benachbarten Völker und selbst den Austausch der Klimate untereinander verhindert.

Die Alpen bieten von dem mittelländischen Meere bis zum Genfersee eine ähnliche Barriere dar: dies ist auch eine hohe ehrfurchtgebietende Gränze, die freilich breiter und daher minder scharf ausgedrückt ist. Zwischen dem Genfersee und dem Rhein gewährt das Juragebirge trotz seiner schiefen Lage einen gleichen Schutz.

Zwischen dem Jura und der Nordsee giebt es aber in der That keine natürlichen Gränzen. 8 8

Auf der Karte scheint der Rhein diese Gränze zu gewäh ren, und man könnte es eine nationale Eifersucht nennen, daß ihm dieses Recht nicht zugestanden wird. Jene Eifersucht aber wird mit den Verhältnissen einstens untergehen, die heute aus dem Rheine die wichtigste militairische Stelle Europa's machen. Sie wird sich von selbst verlieren, sobald eine höhere Civilisation der traurigen Nothwendigkeit entbindet, die von der Natur gebotenen günstigsten Verhältnisse als Hinder⸗ nisse und Scheidungen zu benutzen. 8..

Der Rhein ist als schiffbarer Strom gleich der Seine nicht bestimmt, zwei Völker von einander zu trennen, son⸗

dern im Gegentheil, sie zu vereinigen. Er wird von Tag zu

Tage durch die Dampfböte und Kettenbrücken immer mehr ein Communicationsmittel der beiden Ufer jener schönen Ebene werden, die sich von Basel bis Mainz 1nn den Vogesen und dem Schwarzwalde ausdehnt. Wahrlich, der Rhein ist keine politische Gränze; wahrlich, es hieße die Natur verhöhnen, wollte man den Rhein als Scheidewand zweier Landstriche betrachten, die offenbar zusammenge⸗ ören! h Wo aber würde denn Frankreich seine natürlichen Gränzen im NO. finden? Könnte es der Schwarzwald, möchten es die Vogesen sein? Beide sind nicht hoch genug, um an sich genug Respekt einzuflößen. 8 Frankreich hat gegen NO. keine natürlichen Gränzen, und das ist ein bedeutsamer, ein folgereicher Umstand. Die

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erkläre, daß mir kein Priester bekannt ist, der jemals im entferntesten den Wunsch sich hätte entschlüpfen lassen, irgend einen Einfluß im weltlichen Regiment wieder zu gewinnen. Niemand ist entfanter von einem solchen Gedanken, als die Geistlichkeit selbst, die ganze Geistlichkeit. Uebrigens zolle ich der edlen, erhabenen und gemäßigten Sprache des Herrn Guizot meine aufrichtige Huldigung. Möchte ich hoffen können, daß er im Stande sein werde, der Sprache und den Handlungen seiner Kollegen in Religions⸗ Angelegenheiten dieselben Eigenschaften mitzutheilen. Ich rufe mit ihm den Augenblick herbei, wo, wie er es nennt, die Aussöhnung zwischen Kirche und Staat erfolgen möge. Ich wünsche dies leb⸗ haft, wie Jedermann es wünscht. Damit aber diese Aussöhnung dauerhaft und aufrichtig sei, muß sie auf Gerechtigkeit sich stützen. Das Ihnen vor⸗ geschlagene Gesetz jedoch, welches Herr Guizot mit seinem Stillschweigen bedeckt hat, macht diese Aussöhnung unmöglich, und deshalb bekämpfe ich es. Dieses Gesetz bekämpfen, heißt, das jetzige Universitäts-Monopol be⸗ kämpfen, welches grausamer und unverbesserlicher geworden ist als jemals. Wir wollen durch die Religion zur Freiheit gelangen, Ihr aber führt uns durch die Willkür zum Despotismus.“

An diesen Eingang der Rede des Grafen Montalembert schlossen sich noch einige vorläufige Bemerkungen, ehe derselbe zur Sache selbst kam und die von ihm verlangte Unterrichtsfreiheit gegen den ministe riellen Gesetz⸗Entwurf vertheidigte. Sie betrafen den Kommissions Bericht über den Entwurf und dann das belgische Universitätswesen. In ersterer Hinsicht sagte der Redner:

„Ich bedauere, durch meine herbe Freimüthigkeit die Harmonie der Lo⸗ beserhebungen, welche bisher zu Ehren des Berichts Ihrer Kommission in diesen Mauern ertönten, stören zu müssen. Ich für mein Theil erkläre, daß, um mich eines Ausdrucks des Herrn Villemain, hinsichtlich meiner, zu be dienen, jene Kühnheit, alles rein heraus zu sagen, womit die (von diesem Minister verfaßte) Auseinandersetzung der Motive schlechtweg sagt, es gäbe gar kein gesellschaftliches Bedürfniß zu befriedigen, und womit sie ohne Um⸗ schweife den Zustand des öffentlichen Unterrichts verleumdet, mir immer noch lieber ist, als die unter einer moralischen Hülle verschleierte Unterdrückungs Theorie, welche der (bekanntlich vom Herzoge von Broglie verfaßte) Bericht Ihrer Kommission enthält; als jene Huldigungen, die man beiläufig den wahren Grundsätzen jener Gesellschaft zollt, und die nur als Einleitung zu Verdächtigungen dienen; als jene beredten Predigten, die man den Familienvätern hält, und die nur darauf abzwecken, sie unter Schloß und Riegel der Universität zu halten, damit sie nicht auf Irrwege gerathen; als jene ruhige Verachtung, womit man unter gänzlichem Stillschweigen süber die einstimmigen Reclamationen von 80 französischen Bischöfen hin⸗ weggeht; als jene hochmüthige und leichtfertige Wegwerfung, womit man den Unterricht jener Häuser behandelt, in denen der ganze französische Prie⸗ sterstand gebildet wird; als jene unerhörte Dreistigkeit endlich, die Proscrip- tion der geistlichen Orden unter den Schutz des Andenkens Karl's X. zu stellen. Sensation.) Diese letztere Unbill, meine Herren, hat mich bis in die tiefste Seele empört. Ich habe den König Karl X. nicht gekannt, ich habe ihm nicht gedient, wie mehrere Mitglieder der Kommission, aber ich will ihn gegen sie vertheidigen und zu ihnen sagen: Begnügt euch, ihn entthront zu haben; lasset ihn ruhig schlafen in der fremden Erde und ent⸗ ehrt nicht sein Andenken, indem ihr ihn verantwortlich machen wollt für Akte, die er sich, ihr wißt es am besten, nur widerstrebend hat entreißen lassen, und daß der König seine Einwilligung zu jenen Verordnungen nur gab, weil man als Compensation für dieses Zugeständniß eine Dotation von 1,200,000 Fr. zu neuen Freistellen an den kleinen Seminarien von den Kammern auswirken wollte.“ (Zeichen des Erstaunens und Murren.)

Bearon Feutrier: Die Verordnungen von 1828 (welche gegen die kleinen Seminare und gegen die Jesuiten gerichtet waren) wurden dem Könige Karl X. so wenig aufgedrungen, daß er vielmehr unter dem Polig⸗ naeschen Ministerium sich weigerte, sie zurückzunehmen, als man ihn dazu nöthigen wollte.

Graf Montalembert wandte sich dann zu dem Unterrichts⸗ wesen in Belgien, indem er behauptete, man habe durch unrichtige Deesarfdü desselben die vorliegende Frage absichtlich verdunkeln wollen.

Es giebt in Belgien, sagte er, vier Universitäten, von denen eine dem Klerus angehört. Ist das etwa, was Herr Villemain eine Alleinherrschaft nennt? Nur eine einzige der vier Universitäten gehört dem Katholizismus, die Universität Löwen, welche kaum den dritten Theil der auf den übrigen Universitäten befindlichen Anzahl von Studirenden hat. Was die Prüfungs⸗ Jury betrifft, so hat sie solche Unparteilichkeit gezeigt, daß bei einer lebhaf⸗ ten Diskussion, welche neulich in Belgien stattfand, nicht eine einzige Klage gegen ihre Gerechtigkeit sich erhob. Statt Belgien dergestalt zu verleumden, sollte man ihm lieber nachahmen. Einstweilen müssen wenigstens diese grundlosen und unloyalen Beschuldigungen zurückgewiesen werden. (Heftiges Murren und lange Unterbrechungen. Mehrere Mitglieder: Das ist unparlamentarisch.)

Der Präsident: Sie haben sich allerdings mit dem Ausdrucke „unloyal“ eines unparlamentarischen Ausdrucks bedient.

Graf von Segur: Eben so unparlamentarisch ist auch das Wort Verleumdung.

Graf von Montalembert: Wie Sie wollen. Aber wir verweisen jene Beschuldigungen in dieselbe Klasse mit denen, welche in dem Berichte gegen die Studien in den kleinen Seminarien Frankreichs gerichtet sind.

Mit Hinsicht auf den vorliegenden Gesetz⸗Entwurf erinnerte Graf Montalembert dann die Minister an das Wort Montesquieu's, daß schlechte Gesetze die schlimmsten Tyrannen seien. Er fügte hinzu, die scheinheiligen Gesetze wären nicht minder schlecht und tyrannisch.

„Das vorliegende Gesetz“, fuhr der Redner fort, „Fonfiszirt die Frei⸗ heit des Unterrichts, anstatt sie zu heiligen; es macht sich aus den Gewissen eine Waffe gegen die Gewissen. Es ist kein freies Gesetz, sogar kein orga⸗ nisches Gesetz. Es ist nur ein präventives, ein Polizei⸗Gesetz, es substituirt einem traurigen Status quo eine noch traurigere Zukunsft. Es hält das Monopol der Universität aufrecht; es geht selbst noch weiter und wird es durch die Hindernisse, die es schafft, bald dahin bringen, daß alle jetzt be⸗ stehenden Privat Anstalten sich auflösen müssen. Von der Grün⸗

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dung neuer Anstalten kann ohnedies keint Rede sein. So sst dieses Gesetz den zwei größten Interessen entgegen, der Freiheit und der Religion. Das Monopol der Unversität, das mißbräuch⸗ liche Uebergewicht des vom Staate ertheilten Untenichts, ist mit der politischen Freiheit, der Grundlage der Constitution des Laddes, unverträglich. Der Staat ist zur Zeit nicht mehr blos weltlich; c. ist ungläubig, höchst un⸗ gläubig. (Murren.) Ja, jetzt wo es keine Saats⸗Religion mehr giebt, wo der Staat in geistlichen Dingen nur noch ene bloße Polizei⸗Befugniß bat, entbehren seine Anforderungen hinsichtlich eines dogmatischen, religiösen Unterrichts allen Grundes. Der Staat hätte, anstatt den Unterricht aus⸗ schließlich zu leiten, vielmehr die Kanäle dessilben vervielfältigen müssen. Ich brauche nicht gerade auf Belgien hinzuwesen; auch in England und den Vereinigten Staaten ist der Unterricht jed's Einflusses der Regierung überhoben. In England denkt man gar nicht an eine Ueberwachung des Privat Unterrichts von Seiten des Staats, und dinnoch weiß man dort nichts von jenen Aergernissen, womit man Frankreich drocht. In England giebt es kein Bakkalaureat; in England hat Jeder die Freiheit, zu lehren, was er will, wem er will und wie er will. Frankreich verlangt nun eine gleiche Freiheit. Dann erst, wenn diese gewährt ist, wird das Bedürfriß des Religions Unterrichts seine Befriedigung erhalten können. In den (olleges existirt gar kein Re⸗ ligions-Unterricht mehr. Man macht, so gu es geht, seinen christlichen Kursus ab, das Christenthum aber durchdringt nicht alle Zweige des Unter⸗ richts, es beherrscht die Studien nicht, es ist ein Unterricht, wie jeder andere, das ist Alles. Ein Mitglied der Deputirten⸗Kammer hat folgende Er⸗ klärung abgegeben: „„Ich habe viele Zöglinge unserer Colleges exraminirt. Wenn man ihnen gewisse relgiöse Fragen stellt, wissen sie nichts mehr zu antworten. Offenbar nehmen die moralischen Ideen nicht die Stelle im Unterricht ein, die sit einnehmen sollten.““ Aus dieser und anderen Angaben erhellt, daß die Klagen des Episkopats gerecht und vernünftig sind. Laien, die theils dem Protestantismus, theils der Universität selbst angehörten, haben dieselben bestätigt. Wie ist nun hier zu helfen? Soll man die Colleges mit Jesuisen, den Erziehungs⸗Rath mit Priestern füllen? Gewiß nicht. Die Universtäi soll bleiben, wie sie ist, aber es soll auch die Freiheit gewährt werden, welche die Charte verspricht, nicht blos Freiheit für den Klerus, sondern Freiheit für Alle. Es ist nicht mehr als billig, daß die Skeptiler das Recht ha⸗ ben, ihre Kinder vor der sogenannten religiösen Ueberreizung zu schützen; aber die Anderen duͤrfen nicht dazu verdammt werden, die ihrigen derselben Aegide anzuvertrauen. Der Klerus will auch das gemeinsame, durch Privilegien nicht getrübte Recht; aber er sucht dasselbe in der Freiheit, nicht in der Sklaverei. Was⸗ mich persönlich betrifft, so verwerfe ich jede Art von Privilegium und noch mehr jede Art Mono⸗ pol zum Vortheil des Klerus. Ich erkläre, als ein Mann, der seit vierzehn Jahren für die Freiheit des Unterrichts kämpft, daß ein Monopol, wie das der Universität, wollte man es dem Klerus bewilligen, ihm selbst das ver⸗ derblichste Geschenk und zugleich ein Mittel sein würde, den letzten Ueberrest der Religion in Frankreich zu vertilgen. Der (Gesetz Entwurf will die Mit wirkung des Klerus, ohne seine Unabhängigkeit zu wollen; darum verwerfe ich dieses Gesetz als eine Reaction gegen den religiösen Fortschritt; darum verwerfe ich es mit der dreifachen Kraft meines Gewissens, meines Glau⸗ bens und meines Patriotismus.“ (Beifall.)

Die Behauptung des Grafen Montalembert über die Umstände, welche unter der Restauration die Erlassung der Verordnungen von 1828 herbeigeführt hätten, als ob nämlich jener Beschluß dem Könige Karl X. abgedrungen und gewissermaßen durch einen Zuschuß von 1,200,000 Fr. zu der jährlichen Bewilligung für die kleinen Semi nare von ihm erkauft worden wäre, veranlaßte den Grafen Por talis, welcher damals Justiz⸗Minister gewesen war, zu Erklärungen über die verschiedenen Phasen, welche jene wichtige Frage über die geistlichen Congregationen durchlaufen, ehe sie unter dem Martignaec schen Ministerium definitiv entschieden wurde. Er versicherte, es habe zwischen der Bewilligung jener Subsidie und der Unterzeichnung der Verordnungen nicht der geringste Zusammenhang stattgefunden, vielmehr habe der Monarch mit vollkommener Freiheit und Sicherhoit seines Gewissens gehandelt. Der Redner erinnerte daran, daß, nachdem die Jesuiten in Frankreich wieder erschienen waren, die öffentliche Meinung darüber in lebhafte Aufregung gerieth, und daß, nachdem der Königliche Gerichtshof von Paris durch einen Beschluß die Ungesetzlichkeit dieser Congregation proklamirt hatte, durch eine aus ausgezeichneten Mitgliedern der beiden Kammern gebildete Kom⸗ mission ein Bericht an den König vorbereitet wurde.

„Dieser Bericht“, sagte Graf Portalis, „wurde während eines Zeit⸗ raums von vier Monaten ausgearbeitet. König Karl X. wollte anfangs aus Gewissens⸗Bedenken die Verordnungen nicht unterzeichnen; das Mini⸗ sterium wartete, und einige Tage später entschloß sich der König, nachdem er selbst in der vollsten Freiheit die Frage gründlich geprüft hatte, ohne unser Ansuchen, die Verordnungen mit seiner Unterschrift zu versehen. Das ist die angebliche Gewalt, die man dem Könige angethan. Und jetzt sagt man, der König habe seine Unterschrift nur gegeben, um dem Klerus eine Subsidie von 1,200,000 Fr. bewilligen zu lassen. Auf diese Weise hätte, nach Ihnen, der König Karl X. die Freiheiten der Kirche für 1,200,000 Fr. verkauft. Hierdurch verleumden sie das Andenken dieses Königs, der ein so guter Christ war, und ich weise den Vorwurf, der gegen uns gerichtet worden, mit Entrüstung zurück.“

Graf Roy bestätigte als Mitglied des Ministeriums von 1828, von welchem die fraglichen Ordonnanzen ausgingen, vollkommen die Behauptungen des Grafen Portalis, und die Kammer nahm die Er⸗ klärungen beider Pairs mit lebhaftem Beifall auf.

Herr von Montalembert: Ich bin in dem, was ich gesagt habe, durch die Autorität des Bischofs von Hermopolis geleitet worden. Wenn⸗ Jemand den Werth dieser Autorität bestreiten könnte, so bin ich gewiß, daß der Großkanzler, der in einem anderen Saale diesem Bischof ein so schönes Lob gespendet hat, der erste sein würde, ihln zu vertheidigen. Wohlan, der Bischof von Hermopolis hat D. enkschristen hinterlassen, worin er die schmerz⸗ lichen Eindrücke Karl's X. in Folge der Unterschrift dieser Ordonnanzen be⸗ richtet. Erlauben Sie mir, es zu sagen, ich glaube, daß es nicht gut ist,

den König Karl X. zum verantwortlichen Herausgeber der besagten Ordon⸗ nanzen zu machen.

Nach einigen Gegenbemerkungen des Grafen Portalis beant⸗ wortete Herr Villemain, Minister des öffentlichen Unterrichts, die Rede des Grafen Montalembert; er behauptete namentlich, daß die Opposition, welche der Gesetz Entwurf findet, von etwas ganz Ande⸗ rem ausgehe, als von dem Gedanken eines besseren Unterrichts und von der Lehrfreiheit im Allgemeinen. „Die Wahrheit von allem diesem“, sagte er, „ist die Hoffnung, die alte Herrschaft des Kle⸗ rus wieder zu erheben, die Hoffnung, die Gesellschaft Jesu wieder an die Spitze der europäischen und absolutistischen Ge⸗ sellschaft zu stellen, indem man die Jugend besonderen Professo⸗ ren, nicht durch den Unterricht Aller, sondern durch einen besonderen Unterricht anvertraut.“ Graf Montalembert: Ich habe dies nicht gesagt. Herr Villemain: Dies findet sich in der Stelle einer Bro⸗ schüre des Herrn von Montalembert, worin es heißt: die Jugend müßte den religiösen Congregationen und insbesondere den Jesuiten anvertraut werden. Daher muß die Regierung jede durch den Staat nicht erlaubte Congregation zurückweisen. In dem Gesetz⸗Entwurf haben wir nicht alle Konkurrenz mit dem Klerus verhindern wollen; wir haben ganz im Gegentheil einen großen Antheil für die Bischöfe, aber keinen für die Jesuiten gelassen.

In der letzten Sitzung sprachen der Marquis von Gabriac, der Vicomte Dubouchage und der Marquis von Courtarvel gegen den Gesetz-Entwurf, der dagegen in seinen Haupt⸗Bestimmun⸗ gen von den Herren Lebrun und Keratry vertheidigt wurde. Die allgemeine Diskussion ist noch immer nicht geschlossen. E1“

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Paris, 28. April. Der Herzog von Montpensier ist von Algier in Marseille angekommen und dort mit Auszeichnung empfan⸗ gen worden; die Feste drängten sich; 400 junge Leute aus den er⸗ sten Familien haben ihm im Hotel de l'Orient ihre Aufwartung ge⸗ macht; mit besonderer Zufriedenheit wurde eine Aeußerung des jun gen Prinzen vernommen; er sagte nämlich: der Krieg in Afrika werde bald zu Ende gehen; Marseille möge sich bereiten, Handels⸗Unter⸗ nehmungen und industrielle Pläne an seine Stelle treten zu lassen. Der Prinz von Joinville ist von seinem Ausfluge nach Brest wieder in Paris eingetroffen.

m Paris, 27. April. Da am gestrigen Tage die Leichenfeier des letztverstorbenen Königs von Schweden in Stockholm stattfand, so veranstaltete der hiesige Gesandte von Schweden, General Karl Löwen⸗ hjelm, in der protestantischen Kirche de la Redemption ebenfalls gestern ein feierliches Todtenamt. Die Repräsentanten der mit dem schwedi⸗ schen Hof verwandten Mächte, so wie mehrere andere Mitglieder des diplomatischen Corps und die hier residirenden schwedischen Unter⸗ thanen wohnten dem Trauergottesdienst bei, welcher vom Pastor Cu⸗ vier vollzogen wurde. Graf Gustav Löwenhjelm, welcher von seinem neuen Monarchen beauftragt worden war, dessen Thronbesteigung un⸗ serem Hofe zu notifiziren, wird erst nach den Festen, die zu Ehren der Herzogin von Kent vom König gegeben werden sollen, Paris verlassen.

Grossbritanien und Irland.

London, 27. April. Ueber die unmittelbare Veranlassung der Zurückberusung Lord Ellenborough's von dem Posten eines Ge⸗ neral⸗Gouverneurs von Ostindien verlautet noch keine Sylbe, und die gestrige Erklärung der Minister im Parlamente kam den meisten Mitgliedern ganz unerwartet. Die Times stellt heute darüber Be krachkungen an, aber sie bemüht sich vergebens, den Grund der Maß⸗ regel zu entdecken. „Lord Ellenborough“, schreibt die Times, „hat während seiner Verwaltung Indiens Vieles ausgeführt Weises und Thörichtes, Gutes, Schlechtes und Gleichgültiges. Welche von seinen Handlungen ist es aber, die seiner Regierung ein so plötzliches Ende macht? Hat er zu viel oder zu wenig erobert? Hat er gewuchert oder hat er sich geweigert, Wucher zu treiben? Hat er den Präsidenten der Direktoren beleidigt oder hat sich der einstige Groß-Mogul über ihn beklagt? Verlassen ihn seine Kollegen und überliefern sie ihn dem Zorne der Lady⸗Compagnie? Alles ist noch Geheimniß eine schwarze undurchdringliche Wolke, welche ein einziger Blitz erhellt, die gestrige Erklärung des Ministers kein Fingerzeig, keine Andeutung irgend eines Planes und einer Absicht. Aber die Wahrheit muß bald an das Tageslicht kommen. „Es be⸗ weist inzwischen ein großes Vertrauen auf ihre untergeordneten Be⸗ amten“ heißt es an einer anderen Stelle, „daß die ostindische Direc⸗ tion es wagt, gerade im jetzigen Augenblicke einen Mann von außer⸗ ordentlichen Kenntnissen, von Energie und Eifer, von der Spitze der dortigen Regierung abzurufen, der noch dazu mit Erfolg, wenn nicht immer grundsätzlich, eine großartige kühne Politik befolgt. Wir triumphiren zwar in diesem Augenblicke überall; aber Afghanistan und Persien schauen mit finsteren Blicken auf uns, in Sind fallen Meutereien vor; unsere Sipoys wollen nicht marschiren; das Pendschab ist in Unordnung, in gesetzlosem Zustande und uns feindlich gesinnt; Gwalior ist zwar geschlagen, aber nicht beruhigt. Dazu fommt, daß Lord Ellenborough, dem trotz seiner Extravaganzen nichts mißlungen ist, seine Pläne geheim hält und sie Niemanden errathen läßt. In einer solchen Krisis ist es eine kühne, wir wollen nicht hoffen, eine unvorsichtige Maßregel, den Geueral⸗ Gouverneur abzurufen und sein Spiel einem Civil Beamten in Kal

politische Gränze kann immerhin durch eine künstliche Linie gebildet werden, die moralische findet gar nicht statt.

Während Frankreich die schärfsten natürlichen Gränzen nach den Län⸗ dern zu hat, deren Bewohner mit seinen Besitzern wegen des gemeinsamen lateinischen oder celtischen Ursprungs ihrer Sprache oder Bildung in deren genauestem Zusammenhange stehen, während vielleicht, hätte die Natur jene Umwallungen nicht aufgethürmt, Franzosen, Spanier und Italiener alsdann eine Nation bildeten, findet gegen NO., d. h. nach Deutschland zu, gerade das Gegentheil statt; nach Deutschland, das von Völkern germanischer Abkunft bewohnt wird, die seit undenklichen Zeiten mit den Galliern in allen Be⸗ ziehungen kontrastirten. Sollte sich hieraus nicht ergeben, wie Frank⸗ reich bestimmt ist, das bindende Glied zwischen den germanischen und rö⸗ mischen Völkerstämmen zu werden?

Um indeß diese Rolle als Gründerin eines gemeinsamen, moralischen, europäischen Vereins gehörig spielen zu können, gehörte vor Allem dazu, daß Frankreich in sich selbst die ersten Elemente hierzu trug. Und in der That, Frankreich zeigt einen der größten Menschen Vereine, welche den gleichartig sten Charakter besitzen. Das verdanken die Franzosen der natürlichen Be⸗ schaffenheit ihres Landes, dem Umstande, daß der Süden aus bergigen Partieen gebildet wird und deshalb verhältnißmäßig ungleich kälter als der Norden ist, daß also, mit Ausnahme der Gascogne und der Mittelländi⸗ schen Meeresküste das ganze Land in allen Departements dieselbe durch schnittliche Temperatur zeigt.

Wenn diese Höhen⸗Verhältnisse, von denen wir so eben sprachen, um⸗

gekehrt wären, wenn die Ebenen Nord Frankreichs nach dem mittleren Frank⸗

reich gebracht würden, und die Berge des Central⸗Plateau's nach dem Nor⸗ den kämen, so müßte Frankreich dadurch, eben so wie Großbritanien in ngland und Schottland, so auch in zwei von einander durchaus verschiedene Theile getrennt werden. Dasselbe, was wir so eben für Frankreich darthaten, sindet auch für das ganze Europa seine Anwendung. Europa bildet zwischen Moskau und Portugal eine weite, mächtige Landenge, die zwischen zwei Meeren von durchaus verschiedenem Charakter

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eingeengt liegt. Auf der einen Seite bietet der große Ocean, der unter an deren Himmelsstrichen so pittoreske Ufer besitzt, an seinen Gestaden nur ein⸗ förmige Flächen dar, die sich selten zu Hügelreihen erheben, von denen aus die Wasser nur allmälig an Tiefe zunehmen, die auf wenigen Punkten aus nahmsweise hübsche Partiecen, aber nur en miniature zeigen, und welche so in öder Monotonie in Frankreich, Holland ind Deutschland, von der Bidassoa bis zur Elbe, sich hinziehen.

Das andere Meer ist das Mittelländische, das Meer Virgil's und Homer's, das freilich nicht so groß ist, auch keine Ebbe und Fluth besitzt, aber un⸗ gleich poetischere Gestade aufzuweisen hat. Es hat an der europaischen Küste eine größere Tiefe als der Ocean, es ist dort von hohen Gebirgsketten eingeschlossen, deren Juß von allen Seien in die blauen Meereswellen taucht und jene pittoresken Punkte bilde, die das Mittelländische Meer durch die tiefen Einschnitte der bergigen Küste, durch die hervorspringenden Felsenrisse, durch die zackigen Gestalten sener Gestade, durch die Farbe sei⸗ nes Himmels zu dem entzückendsten der Velt gemacht haben.

9. K.

MNehrlich’s Gesangs⸗Institut. Berlin. Am Freitage trat das seitlängerer Zeit vorbereitete Gesangs⸗

Konservatorium des Herrn C. G. Nehrlich (Louisenstraße Nr. 13 a), durch einen feierlichen Gesangs⸗Akt praktisch ins Leben. Durch diese Anstalt be⸗ kömmt eine seit langer Zeit fast gänzlich vergessene Unterrichtsweise wieder öffentliche Geltung, eine Methode, welche in der klassischen Zeit des Gesan⸗ ges geübt wurde und dieser ihre großer Sänger und Sangerinnen gab. Herr Nehrlich bringt seinen Schülern vor allen Dingen die möglichen Thä⸗ tigkeiten des Stimm Organismus zu klaem Bewußtsein und kehrt sie die⸗ selben normal gebrauchen. Dadurch giebt er der Stimme nicht nur Reinheit, sondern auch Umfang und Kraft, so wie ene Leichtigkeit im Vortrage, welche den schwersten Gesang zum Spiele macht und keine der Gesundheit schadenden Anstrengungen verlangt. Nur durch dicsen letzteren Umstand kömmt jene

seelenvolle Innigkeit in den Gesang, wilche ihn zu dem höchsten Genusse

erhebt. In der That kam der Gesang bei jedem der auftretenden Sänger aus dem Herzen und ging darum auch bei den Zuhörern zum Herzen. Bei jedem Solo hörte man den Ausruf: „Eine schöne, herrliche Stimme!“ Man würde aber ungerecht gegen Herrn Nehrlich sein, wenn man diese Wirkung blos auf die Rechnung der Stimmen setzen wollte; sie rührt eben so sehr von der Unterrichtsweise her, sonst müßte man solche Stimmen überall hören. Herr Nehrlich kennt die Natur der Stimme in einem sel tenen Grade, muthet ihr daher nichts zu, was gegen ihre Gesetze ist, sondern hält sich in Allem und Jedem streng an diese. Sein neuestes Werk: „Ge⸗ sangschule für gebildete Stände“ wird hoffentlich auch anderwärts dem mechanischen Schlendrian im Gesang⸗Unterricht ein Ende machen und für den Gesang gewiß wieder eine bessere Zeit herbeiführen. Es ist dies um so mehr zu erwarten, als er sein Institut vorzüglich auch in der Absicht eröffnet hat, tüchtige Lehrer des Gesangs zu ziehen. Eine ernstere Bahn des Strebens schlogen bei ihm auch die Dileltanten ein, was von nicht geringer Wichtigkeit für die Kunst ist; denn der Dilettant von ernstem Streben verlangt dieses Streben auch von dem ausübenden Künstler und ist mit sogenannten Knalleffekten nicht zufrieden.

Wie sehr die Nehrlichsche Methode die Innerlichkeit des Sängers zu beleben weiß, zeigte sich ganz besondens in der Ausführung der Bachschen Motette „Gottes Zeit“, mit welcher der Gesangs⸗Akt eröffnet wurde. Eine Dame sang die Gnaden ⸗Arie aus „Robert der Teufel“ und das „Ave Maria“ von Reissiger mit einer Gefühlswahrheit, die nichts zu wünschen übrig ließ, und ihr Pianissimo war in der That entzückend. Auch in den übrigen Stimmen gab sich eine schöne künstlerische Bildung kund. Sie waren sämmt⸗ lich überzeugende Belege für die praktische Ausführbarkeit der Nehrlichschen Theorieen und erzeugten gewiß bei allen Anwesenden den stillen Wunsch, daß dieselben zum Segen der Kunst bald in weiteren Kreisen Eingang fin⸗ den möchten. Es kann dies um so weniger ausbleiben, als Herr Nehrlich in einer Stadt und in einem Staate lebt, wo sich das Große und Gute nur zu zeigen braucht, um anerkannt und gepflegt zu werden. Dr. S.

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