1850 / 174 p. 4 (Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

Die Revision des Zollvereins⸗Tarifs.

In der Beilage zu Nr. 130 d. Bl. haben wir unseren Lesern die Denkschrift vollständig mitgetheilt, mit welcher die Staatsregie⸗ rung die von ihr beabsichtigten Vorschläge wegen Abänderung des bestehenden Zolltarifs den hierher berufenen Vertretern des Han⸗ dels⸗ und Gewerbestandes und der Landwirthschaft zum Gutachten

vorgelegt hat. Nachdem die Staatsregierung die der Denkschrift beigefügten Vorschläge, mit Rücksicht auf den Inhalt der abgegebe⸗ nen Gutachten, einer nochmaligen Erwägung unterworfen und die auf Grund dieser Erwägung festgestellten Anträge auf Abänderung

des Zolltarifs den Regierungen der übrigen zum Zollverein gehö⸗ renden Staaten mitgetheilt hat, sind wir im Stande, unseren Le⸗ sern über den Verlauf und die Lage dieser wichtigen Angelegenheit weitere Mittheilungen zu machen. 1

e8 wird zunächst nicht überftüssts sein, den Gesichtspunkt klar zu machen, welcher bei der stattgefundenen Vernehmung der treter des Handels, der Industrie und der Landwirthschaft leitend gewesen ist. Bei der Beibehaltung oder Abänderung der meisten Positionen des Zolltarifs sind sehr verschiedene, häufig entgegengesetzte Interessen betheiligt; diese Interessen gegen einan er abzuwägen, den Konflikt der Partikular⸗Bestrebungen auf den hö⸗ heren Standpunkt des Gemeinwohls auszusöhnen, mit einem Worte: die Entscheidung darüber, was das wahre Interesse des ganzen Landes erheische, ist die Aufgabe der Regierung in Gemeinschaft mit den Kammern. Um diese Aufgabe lösen zu können, bedarf die Regierung nicht minder als die Kammern einer klaren Anschauung der Wirkungen, welche die Beibehaltung dieser oder die Abänderung jener Tarifbestimmung auf die dabei betheiligten Sonderinteressen auszuüben geeignet ist, und um diese Anschauung zu gewähren, erscheint vorzugsweise die Vernehmung der Betheiligten selbst als der geeignete Weg. Daß man in Großbritanien, in Frankreich, in Belgien und in anderen Ländern solche Vernehmungen, wenngleich in sehr verschiedenen Formen, der Entscheidung über wichtige Fra⸗ gen der Handelsgesetzgebung vorhergehen läßt, ist bekannt; denselben Charakter, dieselbe Bestimmung hatten die Vernehmungen unserer Landwirthe und unserer Handels⸗ und Gewerbtreibenden. Sie sind sich wohl bewußt gewesen, daß sie nicht die Vertreter des Landes, sondern die Vertreter bestimmter Interessen seien, und die Regie⸗ rung ist sich wohl bewußt gewesen, daß sie ihre Entschließung nicht vom Standpunkte bestimmter Interessen, sondern vom Standpunkte des allgemeinen Staats⸗Interesses aus zu treffen habe.

Die hierher berufenen Abgeordneten des Handels⸗ und Ge⸗ werbstandes vier aus jeder Provinz waren für die Provinz Posen, wo gesetzliche Organe des Handelsstandes nicht vorhanden sind, von dem Ober⸗Präsidenten ernannt, in allen übrigen Provin⸗ zen von den Handelskammern und kaufmännischen Corporationen frei gewählt worden. Die Kaufmannschaft in Memel hatte, nach⸗ dem ein von ihr gewählter Abgeordneter das Mandat nicht ange⸗ nommen, eine fernere Wahl unterlassen; die Wahl der Kaufmann⸗ schaft in Elbing war auf einen Mann gefallen, welcher weder dem Handels⸗ oder Gewerbstande, noch der Provinz Preußen angehört und welcher deshalb zu der Berathung nicht zugelassen werden konnte. Die Anzeigen über beide Wahl⸗Ergebnisse gingen zu spät ein, um Ersatzwahlen anordnen zu können und es ist daher die Provinz Preußen nur durch zwei Abgeordnete vertreten gewesen.

Im ganzen Laufe der Berathungen, welche vom 10. bis zum 23. Mai währten, sprachen sich die Vertreter des Handelsstandes der fünf Provinzen Brandenburg, Schlesien, Sachsen, Westfalen und Rheinland, so wie zwei Abgeordnete der Provinz Posen für die vorgelegten Abänderungs⸗Vorschläge, sowohl in ihrer allgemei⸗ nen Tendenz, als auch in Beziehung auf die meisten und die wich⸗ tigsten unter den einzelnen Sätzen aus. Die Abgeordneten aus den Provinzen Preußen und Pommern, so wie die beiden anderen Abgeordneten aus der Provinz Posen, waren nur mit den vorge⸗ schlagenen Zollbefreiungen für Fabrik⸗Materialien unbedingt ein⸗ verstanden; im Uebrigen trugen sie bei den meisten einzelnen Posi⸗ tionen auf die Annahme desjenigen Zollsatzes an, welcher in einem von Kaufleuten aus den norddeutschen Küstenplätzen im Jahre 1848 zu Frankfurt a. M. ausgearbeiteten Tarif⸗Entwurfe vorge⸗ schlagen worden ist. Für die Erzeugnisse der Landwirthschaft ins⸗ besondere nahmen sie weit bedeutendere, als die vorgeschlagenen Zollermäßigungen in Anspruch und sprachen sich namentlich gegen die Beibehaltung der bestehenden Zollsätze für Getraide und Vieh auf der östlichen Gränze aus. Uebrigens konnte von ihnen nicht behauptet werden, daß die vorgeschlagenen Zollerhöhungen für Garne und einige Arten von Geweben das Interesse der Ostsee⸗ häfen direkt beeinträchtigen würden, da ein Einfuhrhandel mit Waaren dieser Art über jene Häfen kaum stattfindet.

Die Vertreter der Landwirthschaft die Mitglieder des Lan⸗ des⸗Oekonomie⸗Kollegiums und Mitglieder der landwirthschaftlichen Hauptvereine aller Provinzen hatten die Vorschläge einer Kom⸗ mission zur Vorberathung überwiesen. Sowohl im Schoße dieser Kommission als auch bei der am 31. Mai stattfindenden Plenar⸗ Berathung sprachen sich Stimmen dafür aus, daß der in dem Zoll⸗ gesetze vom 25. Mai 1818 verheißene und auch nach Abschluß des Zollvereins von allen Vereins⸗Regierungen stets festgehaltene Schutz der einheimischen Production aufgegeben und durch ein System bloßer Finanzzölle ersetzt werden möge; die Mehrheit der Ver⸗ sammlung hat jedoch, indem sie sich gegen die vorgeschlagene Ermä⸗ ßigung der Schutzzölle für landwirthschaftliche Erzeugnisse und für mehrere von den vorgeschlagenen Zollerhöhungen für Fabrik⸗Er zeugnisse aussprach, zu erkennen gegeben, daß sie die fernere Be⸗ folgung des bisherigen Systems für dem Interesse der Landwirth⸗ schaft entsprechend erachte.

Nach dieser allgemeinen Charakteristik des Zweckes und des Ganges der angestellten Vernehmungen kann auf die einzelnen zur Berathung gestellten Gegenstände und auf die getroffene Entschei⸗ dung übergegangen werden.

Laut der der oben erwähnten Denkschrift beigefügten Zusam⸗ menstellung der Abänderungs⸗Vorschläge war unter Nr. I. eine Zoll⸗Ermäßigung für Getraide, Butter, Rindvieh und magere Schweine und unter Nr. II. eine Zollermäßigung für Brennholz und Talg in Aussicht genommen. Die Motive für diese Vorschläge lagen einerseits darin, daß die Staatsregierung bereits im Anfange des Jahres 1848 den Regierungen der übrigen zum v gehörenden Staaten Zoll⸗Ermäßigungen für die gedach⸗

8* 8888, Fenst hatte und zu vermuthen war, daß dieselben

General⸗Konferenz jedenfalls von anderen

daß die angestellten Ereunß gebracht werden, andererseits darin,

chen die Zarüch rmittelungen keine Motive Sa aus wel⸗

rechtfertigt oder die Ablehnung jener Propositionen ge⸗

der Landwirth. 2918 wäre. Inzwischen haben sich die Vertreter

Keiaheli gegen die gedachten Zoll⸗Ermäßi⸗ Landwirthschaft im jetzigen Augenblick, wo die F r ungewöhnlich billigen Preisen

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namentlich die Produkte der Viehzucht, auch bei günstigeren allge⸗ meinen Konjunkturen dem Interesse der Landwirthschaft für ent⸗ sprechend erachtet wird. Diese Motive, welchen, bei den gegenwär⸗ tigen Preisen der landwirthschaftlichen Produkte, ein überwie⸗ gendes Interesse der Konsumenten nicht entgegensteht, hat die Staats⸗ regierung für gewichtig genug erkennen müssen, um von Vorschlä⸗ gen auf Abänderung der Eingangs⸗Abgaben von den genannten Gegenständen Abstand zu nehmen und damit auf die von dem Han⸗ delsstande der Ostsee⸗Provinzen und Schlesiens lebhaft gewünschte Erleichterung des Handels mit Getraide und Talg und auf die nur durch eine Ermäßigung der Eingangs⸗Abgabe vollständig zu errei⸗ chende Unterdrückung des Schleichhandels mit Butter zu verzichten.

Unter Nr. I. der vorgedachten Zusammenstellung ist ferner eine Zollermäßigung für Reis, und zwar für geschälten auf Rthlr., für ungeschälten (Poddy) auf ³ Rthlr. vom Centner vorgeschlagen. Die Mehrzahl der Vertreter des Handelsstandes hat eine weitere Ermäßigung auf 1 Rthlr., beziehungsweise ½ Rthlr., für den Cent⸗ ner beantragt; die Mehrzahl der Vertreter der Landwirthschaft da⸗ gegen hat sich für Beibehaltung des Zolls von geschältem Reis auf 2 Rthlr. und für Festsetzung des Zolles von ungeschältem Reis auf 1 Rthlr. vom Centner ausgesprochen. Es konnte kein wesentliches Bedenken finden, auf den Antrag des Handelsstandes einzugehen. Es war weder von der Kommission, noch im Plenum der landwirth⸗ schaftlichen Versammlung behauptet worden, daß eine Zollermäßi⸗ gung für Reis einen nachtheiligen Einfluß auf den Preis des Getraides auszuüben im Stande sei, wie denn auch, bei einem mittleren Preise von etwa 5 Rthlr. für den Centner unver⸗ steuerten Reis, ein solcher Einfluß, der Zoll mag 1 Rthlr. oder 2 Rthlr. betragen, in der That nicht zu befürchten ist. Auch im finanziellen Interesse lagen, nach früher gemachten Erfahrungen, erhebliche Gründe gegen die beantragte Ermäßigung nicht vor. Es wurden nämlich in den drei letzten Jahren, während welcher der Reis allgemein mit dem früheren Satze von 3 Rthlrn. vom Cent⸗ ner besteuert war, den Jahren 1836 38, durchschnittlich 97,020 Ctr. zu einem Zollwerthe von 291,060 Rthlr. verzollt, während in den drei Jahren, welche auf die Zollermäßigung auf 2 Rthlr. vom Centner folgten, den Jahren 1840—42, durchschnittlich 173,791 Ctr. mit einem Zollwerthe von 347,582 Rthlr., also mit einer Mehr⸗ einnahme von etwa 50,000 Rthlr. verzollt wurden. Will man auch von einer noch weiteren Ermäßigung ein gleich vortheilhaftes Re⸗ sultat nicht erwarten, so wird man doch, auf jene Erfahrung ge⸗ stützt, im schlimmsten Falle nur einen geringen Ausfall zu befürch⸗ ten haben. Auf der anderen Seite mußte es im Interesse der Kon⸗ sumenten als wünschenswerth erscheinen, den Zoll für dieses wich⸗ tige, nur im Auslande erzeugte Nahrungsmittel, welcher jetzt bis 40 pCt. vom Werthe beträgt, in ein richtigeres Verhältniß zu dem Werthe zu bringen. Es wuͤrde dadurch überdies eine völlige Gleich⸗ heit des diesseitigen mit dem im Steuerverein bestehenden Zollsatze erreicht werden. Gegen das vorgeschlagene Verhältniß der Zollsätze von geschältem und ungeschältem Reis ist von der Mehrheit beider Versammlungen nichts erinnert worden.

Unter Nr. II. der Zusammenstellung ist die Aufhebung der Eingangs⸗Abgaben von 5 Sgr. vom Centner Krapp, Flachs, Werg, Hanf und Heede und von 15 Sgr. vom Centner Kleie vorgeschlagen. Die Vertreter des Handelsstandes haben sich für, die Vertreter der Landwirthschaft gegen diese Vorschläge erklärt. Die Bedenken der Letzteren konnten für begründet nicht erachtet werden. Von Krapp werden im Inlande etwa 40,000 bis 50,000. Ctr. jährlich, und zwar in den Kreisen Breslau, Ohlau und Neu⸗ markt, erzeugt; diese Production wird jedoch durch den Wegfall des Zolles, welcher ohnehin noch nicht 1 pCt. vom Werthe beträgt, in keiner Weise berührt werden, da der schlesische Krapp von dem seeländer und Avignon⸗Krapp qualitativ verschieden ist, mithin neben und unabhaͤngig von diesen Krapparten seine ganz bestimmte Ver wendung in der Färberei hat, deshalb auch in nicht unbedeutenden Mengen exportirt wird. Was die Artikel: Flachs, Werg, Hanf und Heede anlangt, so besteht der überwiegend größte Theil der Einfuhr aus russischem Gewächs, welches über die Landgränze ein⸗ und über die Seegränze wieder ausgeht, also nicht im Lande ver⸗ bleibt; der kleinere Theil der Einfuhr kommt im Gränzverkehr aus Hannover nach Westfalen und Braunschweig und aus Oesterreich nach Schlesien und Bayern. Die Aufhebung der Eingangs⸗Abgabe soll einmal den für die Provinz Preußen wichtigen Transit⸗ handel mit russischem Flachs nach Großbritanien und Frankreich erleichtern, andererseits den Gränzverkehr von einer, nicht sowohl in der Höhe der Abgabe, als vielmehr in den mit Erhebung der letzteren verbundenen Förmlichkeiten liegenden Belästigung befreien und sie soll gleichzeitig eine Maßregel der Reziprozität gegen Hanno⸗ ver sein, wo eine Eingangs⸗Abgabe von diesseitigem Flachs nicht erhoben wird. Die bestehende Eingangs⸗Abgabe hat niemals ein Schutzzoll für die inländische Flachsproduction sein sollen und ist, mit Rücksicht auf ihren geringen Betrag, niemals ein olcher Schutz⸗ zoll gewesen. Kleie, in Oesterreich nur mit 1 Kr. vom Centner be⸗ steuert, im Wechselverkehr mit Hannover auf Grund des Vertrages vom 16. Oktober 1845 schon jetzt zollfrei, kommt nur als Gegen⸗ stand des Gränzverkehrs in Betracht, auf dessen Erleichterung die vorgeschlagene Aufhebung der Eingangs⸗Abgabe allein abzielt.

Der vorgeschlagenen Ausgangs⸗Abgabe von 10 Sgr. für den Centner der über die Gränze der Provinz Westfalen ausgehenden Heede haben die Vertreter der Landwirthschaft zugestimmt. Den auf Erhöhung dieser Abgabe und Ausdehnung der davon betroffenen Gränzstrecke gerichteten Anträgen der Mehrzahl von den Vertretern des Handelsstandes standen im Interesse der Landwirthschaft und aus Rücksicht auf die Reziprozität gegen Hannover überwiegende Beden⸗ ken entgegen.

Den wichtigsten Theil der Vorschläge bilden die Zollerhöhungen für leinene, baumwollene und wollene Garne, für rohe Seide und und für einige Arbeiten von Geweben.

Nach §. 8 des Gesetzes über den Zoll und die Verbrauchs⸗ steuer von ausländischen Waaren vom 26. Mai 1818 soll bei Fabrik⸗ und Manufaktur⸗Waaren des Auslandes die Verbrauchssteuer zehn vom Hundert des Werthes nach Durchschnittspreisen in der Regel nicht übersteigen; sie soll aber geringer sein, wo es, unbeschadet der inländischen Gewerbsamkeit, geschehen kann. Bei der Ausführung dieses an die Spitze der Zollgesetzgebung gestellten Grundsatzes ging man im Jahre 1818 von dem den Interessen des Landes vollkom⸗ men entsprechenden Gesichtspunkte aus, daß die damals vorhandene industrielle Bildung und die damals vorhandenen Kapitalien nicht ausreichten, um alle für die National⸗Wohlfahrt wichtigen Zweige der Gewerbsamkeit gleichzeitig und neben einander zu entwickeln, daß es vielmehr vor allen Dingen darauf ankomme, im Anschluß an die bereits bestehenden Elemente einigen besonders wichtigen In⸗ dustrieen den verheißenen Schutz zuzuwenden. So wurde, um auf die beiden bedeutendsten Gewerbzweige hinzuweisen, die Fabri⸗ cation baumwollener und wollener Gewebe mit einem den Satz von 10 Prozent des Werthes weit übersteigenden Zolle ge

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ihrer Erzeugnisse zu leiden hat und b

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en ber der Gesetzgebung 8 Sefer ace erleg gestellt sind, nicht für geeignet halten, ei Schutz zu vermindern, dessen Festhaltung fän. 1s

schützt. Die segensreichen Folgen dieses Verfahrens liegen seit Jahren vor Augen: beide Fabricationszweige haben eine Stufe der Entwickelung erreicht, auf welcher sie im Stande sind, die von den bestehenden Zöllen besonders betrossenen Artikel des allgemeinen

thung wurde bestimmt

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Verbrauchs in einer solchen Vollkommenheit und zu solchen Preisen zu liefern, daß nicht nur der inländische Konsument keine Ver⸗

theuerung der Waare durch die Eingangs⸗Abgaben mehr zu erlei⸗ den hat, sondern auch eine namhafte Ausfuhr derselben stattfindet.

Im Hinblicke auf diese Erfahrungen und auf die hohe Entwickelung,

welche die industrielle Bildung und der Kapital⸗Reichthum des Landes unter den Segnungen des Friedens erlangt hatte, war schon vor Jahren ein näheres Eingehen auf die von mehreren Seiten angeregte Frage nicht abzuweisen: ob es nicht an der Zeit sei, auch einigen anderen für den Wohlstand des Landes wichtigen Ge⸗ werbszweigen den durch die Zollgesetzgebung verheißenen und zu ihrer Ausbildung erforderlichen Schutz zu gewähren, und es mußte sich hierbei, nachdem für die Weberei wenig mehr zu thun war, die Aufmerksamkeit vorzugsweise derjenigen Industrie zuwenden, welche die Grundlage der Weberei bildet, der Spinnerei.

Die Verhältnisse in Beziehung auf die Spinnerei waren ver⸗ schiedener Art. Fremdes Leinengarn war nur mit einer Kontroll⸗ Abgabe von 5 Sgr. vom Centner besteuert; es rührte diese Abgabe aus einer Zeit her, wo die Maschinenspinnerei für Leinengarn sich noch in ihrer Kindheit und die einheimische Leinen⸗Industrie sich in einem befriedigenden Zustande befand. Erst nach und nach erreichte die mechanische Leinen⸗Spinnerei in Groß⸗ britanien ihre hohe Ausbildung und drückte, vermöge der Vollkom⸗ menheit der aus ihrem Erzeugniß gewebten Waaren, die Ausfuhr deutscher Leinen aus den Hauptstapelplätzen Hamburg und Bremen von 7 ½ Millionen Thalern im Jahre 1839 auf 2 ½ Millionen Tha⸗ ler im Jahre 1848 hinab. Die Versuche, welche die Staatsregie⸗ rung schon seit einer Reihe von Jahren gemacht hatte, um der Maschinen⸗Spinnerei auchzin Preußen Eingang zu verschaffen, waren zwar nicht ohne allen Erfolg geblieben, sie konnten aber, der Natur der Sache nach, nur vereinzelt wirken und waren nicht im Stande, dem immer rascher eintretenden Verfalle der Leinen⸗Industrie Einhalt zu thun. Das ausländische Baumwollengarn unterlag einer Ein⸗ gangs⸗Abgabe von 2 Rthlr. vom Centner. Diese anfangs nur als Finanzzoll charakterisirte Abgabe hatte zur Folge, daß die in der Rheinprovinz und in Sachsen zur Zeit des Kontinental⸗Systems entstandenen Spinnereien sich erhalten und eine wenn auch nicht erhebliche Ausdehnung gewinnen konnten, sie war aber, wie eine langjährige Erfahrung gelehrt hatte, nicht genügend, um die ein⸗ heimische Spinnerei, gegenüber der damals mit einem Zoll von 10 pCt. vom Werthe geschützten britischen Spinnerei, in einer dem Garnverbrauch des Landes nur irgend entsprechenden Weise zu entwickeln. 8

Die Spinnerei von wollenem Garne endlich hatte in gewissen Zweigen einen Grad der Ausbildung erlangt, welcher kaum etwas zu wünschen übrig ließ, in einem Zweige jedoch, der Verfertigung von Kammgarn für gewisse, anfangs der Mode angehörige, später in den allgemeinen Verbrauch übergegangene Waaren, war sie zurückgeblieben.

So lagen die Verhältnisse, als die Frage wegen Erhöhung der Garnzölle im Jahre 1845 von der Staats⸗Regierung zum Gegen⸗ stande umfassender und wiederholter Erörterungen gemacht wurden. Es handelte sich damals um die Anfertigung des Zolltarifs für die Jahre 1846—48, und es kam darauf an, welche Stellung Preußen zu jener im eigenen Lande, wie in fast allen anderen zum Zollverein gehörigen Ländern, lebhaft verhandelten Frage einzunehmen habe. Im Handelsrathe, in welchem nach der damaligen Verfassung (Ver⸗ ordnung vom 7. Juni 1844), unter dem Vorsitz Sr. Majestät des Königs, die wichtigeren Angelegenheiten des Handels und der Ge⸗ werbe zu berathen und zur Allerhöchsten Entscheidung zu bringen waren, kam am 27. Mai jenes Jahres die dem preußischen Be⸗ vollmächtigten zur General⸗Konferenz zu ertheilende Instruction zur Beschlußnahme. Nach einer ausführlichen Diskussion der Gründe und Gegengrüude war der Gesichtspunkt entscheidend, daß eine Vermehrung der Gewerbthätigkeit die Vermehrung des National⸗ Reichthums zur Folge habe und deshalb Opfer der Staatskasse zur Unterstützung der Industrie nicht zu scheuen seien; daß nicht blos solche Gewerbe den Schutz als einheimische verdienten, welche aus dem Grund und Boden entsprossen seien, wie die Eisen⸗Indu⸗ strie, die Leinen- und Wollen⸗Fabrication, sondern auch andere, wenn sie einmal im Lande Wurzel gefaßt hätten, und daß es an⸗ gemessen sei, auch solchen ursprünglich fremden Industriezweigen zur rechten Zeit, wenn sie auf den Standpunkt gediehen seien, um sich im Lande einzubürgern, Schutz und Pflege angedeihen zu lassen ihnen einen kräftigen Nachdruck zu geben, um sie völlig einheimisch zu machen.

Es wurde demgemäß und unter Vorbehalt weiterer Beschluß⸗ nahme je nach den aus der Rücksicht auf die von anderen Seiten zu erwartenden Vorschläge sich ergebenden Gesichtspunkten bestimmt, daß von Seiten Preußens eine Erhöhung der Eingangs⸗Abgabe von allem fremden Leinengarn auf 4 Rthlr. und von fremdem Baumwollengarn auf 3 ½ Rthlr. vom Centner, unter Gewährung eines Rückzolls von 3 Rthlr., beziehungsweise von Rthlr. für den Centner der ausgeführten leinenen, beziehungsweise baumwolle⸗ nen Gewebe in Vorschlag zu bringen sei.

Nachdem die Ansichten der übrigen Vereins⸗Regierungen über den Gegenstand vorlagen, fand, wenige Tage nach dem Beginn der General⸗Konferenz, am 10. Juli 1845, eine zweite Berathung der Sache im Handels⸗Rathe statt. Es wurden bei dieser Berathung als leitende Gesichtspunkte vorangestellt, einmal, daß bei dem Sy⸗ stem, welches der preußischen Zoll⸗Gesetzgebung zum Grunde liege, der einheimischen Industrie einen mäßigen Schutz gegen das Ausland zu gewähren, stehen zu bleiben und nicht zu Prohibitiv⸗ Zöllen, wie solche in einigen angränzenden Ländern bestehen, über⸗ zugehen sei; ferner, daß die den Wünschen nahe verbündeter Re⸗ gierungen schuldige Rücksicht es erheische, auch über das im unmit⸗ telbaren Interesse Preußens wünschenswerthe Maß des Schutzes hinauszugehen, sofern man dabei nur überhaupt innerhalb der Grän⸗ zen mäßiger Schutzzölle bleibe. Auf Grund der an diese Gesichts⸗ punkte sich anknüpfenden Erwägungen wurde bestimmt, daß zwar an den von Seiten Preußens gemachten Vorschlägen nichts zu än⸗ dern, daß aber, wenn die übrigen Vereins⸗Regierungen entschieden auf höhere Zölle für die Garne dringen möchten, alsdann auf einen Zollsatz bis zu 4 Rthlr. für Twiste, Leinengarn und wollenes Kammgarn, mit einem Rückzoll von 3 Rthlr. für die aus diesen Garnen gewebten Zeuge, einzugehen sei.

Inzwischen ergaben die während der Monate Juli und August auf der General⸗Konferenz gepflogenen Verhandlungen nicht, daß in dem Wunsche nach höherer Besteuerung der Garne eine wirkliche Einstimmigkeit vorhanden sei. Es wurde namentlich von zwei Regierun⸗ gen sowohl den von Preußen, als auch ven von anderen Seiten vorgeschla⸗ genen Zollerhöhungen widersprochen, und es wurde hierdurch eine noch⸗ malige Erwägung der Sache im Handelsrathe, namentlich eine Ent⸗ scheidung darüber erforderlich, oh unter ben obwaltenden Verhält⸗ nissen die am 10. Juli bebingungsweise beschlossene, bis dahin noch nicht abgegebene Erklärung wegen gleicher Besteuerung der leinenen und baumwollenen Garne und dee wollenen Kammgarne, unter Be⸗ willigung gleichen Rückzölle für vie Gewebe, noch für angemessen zu erachten set. Bet dLieser am 8. September stattfindenden Bera⸗

vaß von Erhöhung der Eingangs⸗Abgabe

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von wollenem Kammgarn Abstand zu nehmen 6 da diese Erhö⸗ hung nur von wenigen Seiten besonders lebhaft vertreten war, daß dagegen, zur Vermittelung der Ansichten über die Besteuerung der beiden anderen Garnarten, die Erhöhung des Zolls von leinenem Maschinengarn und baumwollenem Garne auf 4 Rthlr., unter Be⸗ willigung eines Rückzolls von 3 Rthlr. für ausgehende Leinen⸗ und Baumwollgewebe, vorgeschlagen werden solle. Dieser von dem preußischen Bevollmächtigten demnächst gemachte Vorschlag hatte sich indessen der allgemeinen Zustimmung nicht zu erfreuen, und da auch keinem von anderen Seiten gemachten Vorschlage eine solche Zu⸗ stimmung zu Theil wurde, so ging die General⸗Konferenz aus ein⸗ ander, ohne eine Löfung der Frage herbeigeführt zu haben.

Es konnte dieses Ergebniß nur als ein sehr unbefriedigendes bezeichnet werden. Cs war bei den bestehenden Zöllen für fremde Garne verblieben, nicht weil dieselben von allen oder auch nur von der Mehrheit der betheiligten Regierungen für die angemessensten gehalten wurden im Gegentheile hatten alle Regierungen, mit zwei Ausnahmen, eine Aenderung derselben als wünschenswerth an⸗ erkannt sondern lediglich, weil eine Verständigung über Art und Maß der Aenderung nicht zu erzielen gewesen war. Es war des⸗ halb von Preußen und von der Mehrzahl der anderen Vereins⸗Re⸗ gierungen bei dem Schluß der karlsruher Berathungen ausdrücklich erklärt worden, daß man die Frage nicht als bis zur nächsten Re⸗ vision des Tarifs vertagt ansehen könne, sich vielmehr vorbehalten müsse, dieselbe noch als schwebend zu betrachten und deren Erledi⸗ gung auf geeignetem Wege weiter zu verfolgen, und es wurde von Seiten der preußischen Regierung schon im Anfange des Jah⸗ res 1846 dazu geschritten, von diesem Vorbehalte Gebrauch zu machen.

Die Art und Weise, in welcher hierbei zu verfahren sei, wurde in einer Sitzung des Handels⸗Rathes am 25. Januar 1840 fest⸗ gestellt, und es ist als Ausdruck der bei dieser Gelegenheit laut ge⸗ wordenen Ansichten und gefaßten Beschlüsse eine Denkschrift anzu⸗ sehen, welche noch in demselben Monat den übrigen Vereins⸗Regie⸗ rungen mitgetheilt wurde. Es wurde in dieser Denkschrift die vermittelnde Stellung hervorgehoben, welche Preußen während des ganzen Laufes der karlsruher Berathungen einzunehmen bemüͤht ge⸗

wesen sei, und welche es, ungeachtet der Erfolglosigkeit seiner da⸗

maligen Bemühungen, festzuhalten bestrebt sein werde; es wurde, mit Rücksicht auf die in Karlsruhe kundgegebene Abneigung meh⸗ rerer Vereins⸗Regierungen gegen die Bewilligung von Rückzöllen und auf die gegen Rückzölle im Allgemeinen sprechenden Bedenken, der Vorschlag gemacht, eine ohne Ruͤckzoll⸗Bewilligung ausfüͤhrbare Erhöhung der Garnzoͤlle, und zwar für leinenes Maschinengarn auf 2 Rthlr., für Baumwollengarn auf 3 Rthlr. vom Centner ein⸗ treten zu lassen, und es wurde, gegenüber der aus den Erklärungen ihrer Konferenz⸗Bevollmächtigten entnommenen Tendenz einiger Vereins⸗Regierungen die Ansicht erklärt, daß bei den Prinzipien des

bestehenden Zoll⸗Systems, unter Anderem auch bei dem Grundsatze, daß die Gewährung von Bonificationen bei der Ausfuhr von Fa⸗

brikaten unter allen Umständen mit großen Bedenken und in der Regel mit Nachtheilen verbunden und nur aus ganz besonderen Gründen, als eine Ausnahme und nur als eigentlicher Rückzoll zu⸗ ässig sei, festgehalten werde. Der gemachte Vorschlag sollte indeß keinesweges als ein Ultimatum, als eine Lossagung von den in

Karlsruhe gemachten Vorschlägen angesehen werden.

„Indem die preußische Regierung“, heißt es in der Denk— schrift, „in ihren weiter oben entwickelten speziellen Tarif⸗Vorschlä⸗ gen (3 Rthlr. für Twiste und Warps und 2 Rthlr. für Leinen Maschinengarn, ohne Einführung von Rückzöl⸗ len) den von Kurhessen gemachten Vermittelungs⸗Versuch (oben ad b)¹) im Wesentlichen adoptirt, ist sie aber nicht ge⸗ meint, sich von dem in Karlsruhe gemachten Zuge⸗ ständnisse bestimmt loszusagenz; sie erklärt vielmehr von neuem, daß sie, wenn es ihr nicht gelingt, die übrigen Vereins⸗ Regierungen für ihre Ansicht zu gewinnen, bereitwillig auch zu ihrem letzten Vorschlage (oben ad d) ²), der sich von dem Großherzoglich hessischen Vorschlage (oben ad a) ³) nur durch die Beschränkung der höheren Leinengarnsteuer auf das Maschinenge⸗ spinnst unterscheidet, oder noch lieber zu dem sächsischen Vorschlage (oben ad c) ³) zurückkehren wird, insofern dadurch eine alle Theile zufriedenstellende Einigung herbeigeführt werden kann“ ⁵).

Die in der Denkschrift entwickelten Vorschläge kamen auf einer im Sommer 1846 zu Berlin abgehaltenen General⸗Konferenz zur Berathung und wurden von den übrigen Vereins⸗Regierungen an⸗ genommen. Diese Annahme erfolgte jedoch, was die Erhöhung des Zolls für Baumwollengarn von 2 Rthlrn. auf 3 Rthlrn. anlangt, von Seiten der Mehrzahl der Vereins⸗Regierungen nur mit gro⸗ ßem Wiederstreben. Wenn schon, wurde bemerkt, der Eingangszoll von 2 Rthlrn. für Twist und der Betrag der Bezugs⸗ und Ver⸗ sendungs⸗Spesen den im deutschen Binnenlande arbeitenden Fabri⸗ kanten Mehrkosten auferlegen, die nur durch niedriges Arbeitslohn und Beschränkung des Arbeitsgewinnes aufgewogen werden können, wenn ferner die englische Fabrication durch die leichtere und schnel⸗ lere Verbindung mit den Weltmäarkten, durch großen Kapitalreich⸗ thum, durch das enge Ineinandergreifen vieler Handel und In⸗ dustrie befördernden Einrichtungen, sich, im Vergleiche mit der deut⸗ schen, in einer weit günstigeren Lage befindet, wenn endlich der deutsche Exporthandel keinesweges die dem Fortschritte der Industrie entsprechende Vermehrung zeigt, so wird sich nicht behaupten lassen, daß ihm unbedenklich noch eine weitere künstliche Erschwerung auf⸗ erlegt werden könne. Diese Erschwerung durch Erhöhung des Zoll⸗ satzes um 1 Rthlr. könne bei manchen Artikeln bis 2 pCt. des Werthes betragen. Für viele Aussendungen solcher Waaren gingen die Retouren erst nach Jahresfrist ein und gäben dem Unternehmer

¹) „b. Kurhessen machte, mit Rücksicht auf die gegen Rückzö Ausfuhrprämien sprechenden Bedenken, den vagca 1nn Twist auf 3 Rthlr. und für Leinengarn auf 2 Rihlr. zu erhöhen wobei es der Bewilligung von Rückzöllen nicht bedürfen werde.“ 1

²¹) „d. Von Preußen wurde die Bereitwilligkeit zu erkennen gegeben insofern dadurch ein Einverständniß erzielt werden könne, in eine Erhöhung des Eingangszolls für Twist (einschließlich der Waps) auf 4 Rthlr. mit 3 Rthlr. Rückzoll zu willigen, wobei jedoch hinsichtlich des Leinengarns der ursprünglich beantragte Zollsatz von 4 Rthlr. auf Maschinengarn be⸗ schränkt wurde.“ Daß mit dem Antrag auf Erhöhung des Zolls für Lei⸗ nengarn der Antrag auf Bewilligung eines Rückzolls von 3 Rthlr. verbun⸗ den r⸗ ist 9 denugh.

„a. Vom Großherzogthum Hessen wurde vorgeschlagen baum⸗ wollene und das leinene Garn gleichmäßig mit 4 hacte ceag,n Has taun⸗ eines gleichen Rückzolls von 3 Rthlr. zu besteuern.“ 1

9 ne. Von Sachsen wurde vorgeschlagen, von einer Zollerhö⸗ hung auf Twist vorerst ganz abzusehen und nur den Eingangszoll auf leinenes Maschinengarn, ohne Gewährung eines Rückzolls, auf 1 Rthlr bis 681 1 ½ Rthlr. zu erhöhen.“ 1

) Aus der oben abgedruckten Stelle der Denkschrift ergiebt sich di Unrichtigkeit der aus einer präsumtiv wohlunterrichteen c sis hi deein Behauptung, daß die im Jahre 1845 in Karlsruhe gemachten Zu⸗ Ler ec im Jahre 1846 förmlich und ausdrücklich zurückgenommen wor⸗ u seien, und daß die beiden Vorschläge, welchen Preußen im Jahre 1846

eventuell e15 b 5 * 28 häͤtten. zustimmen zu wollen erklärt, jeden Ruͤᷣckzoll ausgeschlossen

dann vielleicht 6 oder 7 Prozent für Zinsen und Nutzen. Wie möchten derartige Geschäfte fortgesetzt werden können, wenn dieser geringe und prekäre Nutzen eine so beträchtliche Kürzung erfahre! Es wurde ferner darauf hingewiesen, daß die auf Herabsetzung der Preise der Lebensmittel in England gerichteten Aenderungen der dasigen Zollgesetzgebung, dem wichtigsten Vorzuge, welchen bisher die deutsche Fabrication vor der englischen vorausgehabt habe, der Wohlfeilheit des Arbeitslohns, nothwendiger Weise Abbruch thun und der ersteren sonach die Konkurrenz mit der letzteren erschweren werde, und es wurde auf Beispiele hingewiesen, wie einzelne ledig⸗ lich für die Ausfuhr arbeitenden Zweige der Weberei, welche in dem Kampfe mit fremder Konkurrenz sich in einem stets ge fährdeten Zustande befinden, durch eine auch nur geringe Vertheuerung der Waare zum Stocken gebracht werden können. Bei so gewichtigen Bedenken erfolgte die Zustimmung nur aus dem Grunde, um es nicht von neuem zu einer erfolglosen Berathung kommen zu lassen, und von Seiten einiger Regierungen unter der ausdrücklich ausgesprochenen Erwartung, daß, wenn die von ihnen besürchteten Nachtheile der Maßregel sich erfahrungsmäßig an den Tag legen, wenn namentlich die vereinsländische Weberei und die Ausfuhr ihrer Fabrikate unter der Zollerhöhung für Garn leiden sollten, alsdann die übrigen Vereins⸗Regierungen sich mit ihnen vereinigen würden, das zur Abhülfe dienliche zu beschließen.

Leider sind die befürchteten Nachtheile für die Weberei in vollem Maße eingetreten. Es kann in dieser Beziehung auf die in der Denkschrift (Beil. zu Nr. 130 des St.⸗Anz.) angeführten Thal⸗ sachen verwiesen und es kann hinzugefügt werden, daß einzelne Re gierungen sich dadurch veranlaßt gesehen haben, zeitweise theils wirkliche Rückzölle, theils Ausfuhr⸗Begünstigungen, welche den Rück⸗ zöllen sehr nahe kommen, eintreten zu lassen. Es würden diese Nachtheile weniger ins Gewicht fallen, wenn ihnen wenigstens er⸗ hebliche, in Folge der Zollerhöhung eingetretene Vortheile für die Entwickelung der Spinnerei gegenüber ständen, solche Vortheile sind aber, wie die Erfahrung gezeigt hat, nicht vorhanden.

Die Staatsregierung mußte es als ihre Pflicht erkennen, einen Zustand, welcher einem der wichtigsten Gewerbszweige des Landes, der Weberei, wesentlich schadet, ohne irgend einem anderen In⸗ teresse wesentlich zu nützen, nicht fortdauern zu lassen, ohne Alles von ihr Abhängende versucht zu haben, um denselben zu beseiligen. Es boten sich zu diesem Zwecke zwei Wege dar: Ermäßigung der Garnzölle auf den bis zum Schluß des Jahres 1846 bestehen⸗ den Satz, oder Erhöhung dieser Zölle unter Bewilligung von Rück⸗ zöllen für die ausgeführten Gewebe. Die Staatsregierung sah sich durch diese Alternative genau in dieselbe Lage zurückversetzt, in wel⸗ cher sie sich im Jahre 1845 befand, nur um die Erfahrung war sie reicher geworden, daß der im Jahre 1846 zwischen diesen Alterna⸗ tiven eingeschlagene Mittelweg unhaltbar sei.

Es sind oben die Grüunde charakterisirt, welche im Jahre 1845 dahin führten, eine Aenderung der damals bestehenden Zoll⸗ sätze zu beantragen oder doch gutzuheißen. Die seitdem eingetre⸗ tenen Verhältnisse haben diesen Motiven nicht nur nichts an ihrem Gewichte entzogen, sondern daßelbe noch wesentlich verstärkt. Da⸗ mals befand man sich in einem seit einer langen Reihe von Jahren bestehenden Zustande, welcher zwar der Spinnerei wenige Aussich⸗ ten darbot, welcher aber für die Weberei im Allgemeinen nicht un⸗

narunechengenn und, Sride gestimmt. Mit Rücksct auf die oben gestellten, für diese Erhöhung sprechenden Gründe konnte diesem Votum ein entscheidendes Gewicht nicht beigelegt werden. Die Kom⸗ mission der Versammlung hatte nach einer längeren Berathung der Sache ihr Gutachten dahin abgegeben, befinde, über diese den Interessen der Landwirthschaft Frage eine bestimmte Ansicht auszusprechen; bei der Berathung der⸗ selben im Plenum gebrach es an Zeit, um die schwierige und ver⸗ wickelte Materie nach allen Seiten hin zu besprechen und in das rechte Licht zu stellen.

Was die Besteuerung der Gewebe anlangt, so ist für rohe Leinen eine Zollerhöhung nur um denselben Betrag vorgeschlagen um welchen der Garnzoll erhöht werden soll; für gebleichte Leinen der Satz von 25 Rthlr., welcher für einen Theil dieser Waaren höher, für einen anderen Theil derselben niedriger bemessen ist, als der bestehende. Rohe und gebleichte Baumwollengewebe sollen auf die Hälfte des jetzigen Tarifsatzes, also auf 25 Rthlr., ermä⸗ ßigt werden. Die hinsichtlich der Gewebe sonst vorgeschla⸗ genen Zollerhöhungen treffen ohne Ausnahme Gegenstände des Lurus, nämlich: leinene Battiste, Gazen, Stickereien, Kanten und Spitzen, baumwollene Jaconets, Battiste, Tülle, Gazen, Musseline, Stickereien und Putzwaaren, welche auf 75 Rthlr., seidene Waaren, welche auf 150 Rtylr., halbseidene Waaren, welche auf 75 Rthlr., feine Shawls, welche auf 100 Rthlr., bedruckte, brochirte und ge⸗ stickte Wollenwaaren und wollene Spitzen, welche auf 75 Rthlr. zu erhöhen sein würden. Es sind dies Artikel, deren höhere Besteue⸗ rung eine Vermehrung der Zoll⸗Einnahme in sichere Aussicht stellt, und die vorgeschlagenen Sätze, welche meist noch unter 10 pCt. vom Werthe bleiben, sind niedriger als die entsprechenden Zollsätze in den meisten anderen fabrizirenden Staaten und so bemessen, daß sie eine Aufforderung zum Schleichhandel nicht enthalten.

Von Seiten der Vertreter des Handels⸗ und Gewerbstandes waren für einzelne von diesen Artikeln höhere, als die vorgeschla⸗ genen Sätze beantragt, die Staatsregierung hat indessen geglaubt, an dem Grundsatze einer mäßigen Besteucrung der ausländischen Gewerbs⸗Erzeugnisse festhalten zu müssen und deshalb diesen An

günstis war; verblieb man in diesem Zustande, so hatte man das Bestehende für sich, man verzichtete zwar auf die wünschenswerthe Entwickelung der Spinnerei, aber man entzog wenigstens keinem Gewerbszweige einen bereits vorhandenen Schutz. Wollte man jetzt zu dem Zustande des Jahres 1845 zurückkehren, so würde man sich nicht nur mit demjeuigen in Widerspruch setzen, was durch die Zoll⸗ Erhöhungen im Jahre 1846 anerkannt wurde, nämlich mit der Absicht, der einheimischen Spinnerci, im Interesse des Gemeinwohls einen höheren, als den damaligen Schutz zu gewähren, sondern man würde der Spinnerei einen bestehenden Schutz entziechen. Mit einem Worte: man würde den in Beziehung auf die Spinnerei bisher befolgten Gang verlassen.

Die Staats⸗Regierung hat daher nur dasjenige wieder auf⸗ nehmen können, wozu Preußen bereits im Jahre 1845 entschlossen war und hat demgemäß den übrigen Vereins⸗Regierungen die Er⸗ höhung der Eingangs⸗Abgaben für leinene, baumwollene und wol⸗ lene Garne auf 4 Rthlr. vom Centner vorgeschlagen. Wenn nach diesem Vorschlage, was früher nicht zur Sprache gekommen ist, gauch für wollenes Streichgarn eine Zoll⸗Erhöhung eintreten würde, so hat dies seinen Grund in der Besorgniß, daß eine verschiedene Besteuerung von Streichgarn und Kammgarn in der praktischen Ausführung Schwierigkeiten unterliegen möchte und in der Erwäg ung, daß eine Erhöhung des Zolles von Streichgarn für die vereinsländische Wollenwaaren⸗Fabrication insofern gleichgültig ist, als dieselbe keine ausländischen Streichgarne verwendet. Die gleichzeitig vorgeschlagene Erhöhung der Eingangs⸗Abgabe von roher Seide auf den Satz von 4 Rthlrn. erscheint angemessen, theils um das Verfahren bei⸗ Gewährung der Rückzölle zu erleichtern, theils um den Kassen der Zollvereins⸗-Staaten eine durch die Eigenschaft dieser Waare als

eines Luxus⸗Artikels vollkommen gerechtfertigte Einnahme von 35,000 bis 40,000 Rthlr. jährlich zu gewähren.

Es ist in der Denkschrift ausführlich dargestellt worden, daß die zur Wahrung der Interessen der Weberei mit der Erhöhung der Garnzölle in Verbindung zu setzenden Rückzölle einen nur transitorischen Charakter haben und in dem Maße vermindert wer⸗ den sollen, als die Einfuhr ausländischer Garne in Folge der Ent⸗ wickelung der inländischen Spinnerei abnimmt, als mithin die in⸗ ländische Weberei im Stande ist, ihren Garnbedarf wohlfeil im Inlande zu beziehen, und welche Maßnahmen zu treffen sein möch⸗ ten, einerseits um der Staatskasse noch für mehrere Jahre eine be⸗

trächtliche Einnahme aus den Verzollungen fremder Garne zu be lassen, andererseits um Mißbräuche und Betrügereien bei der Ausfuhr der mit dem Anspruch auf Rückzoll ausgehenden Waaren zu verhüten. Es kann hinzugefügt werden, daß es für das in dieser Beziehung vorgeschlagene Verfahren von Seiten der Beamten keiner größeren technischen Bildung und überhaupt keiner weiteren Kontrollen bedarf,“ als solche hinsichtlich der Eingangs⸗ und Durchgangsgüter erforderlich sind, bei deren Abfertigung das Interesse der Staatskasse in weit erheblicherem Maße betheiligt ist, als bei Abfertigung der zum Rückzoll berechtig⸗ ten Waaren.

Sowohl mit den vorgeschlagenen Erhöhungen der Garnzölle, als auch mit den in der Denkschrift dargestellten Grundsätzen über, Bewilligung von Rückzöllen, haben sich die Vertreter des Handels⸗ und Gewerbstandes mit der im Eingange bezeichneten Majorität einverstanden erklärt.

Es fehlte nicht an Stimmen, welche, im Interesse einer rascheren Entwickelung der Spinnerei, eine höhere Normirung der Garnzölle gewünscht hätten; auch diese Stimmen traten indessen dem Votum der Mehrheit darin bei, daß die vor⸗ geschlagenen Zollsätze genügen würden, um der Spinnerei einen nachhaltigen Impuls zu geben. Die landwirthschaftliche Versamm⸗ lung hat sich in ihrer Mehrheit für die vorgeschlagenen Zoll erhöhungen auf Leinengarn und Baumwollengarn und für die Bewilligung von Rückzöllen bei der Ausfuhr von Geweben aus die⸗ sen Garnen ausgesprochen, dagegen wider die Zollerhöhungen auf

trägen nicht nachgeben zu dürfen.

Als Konsequenz der Zollerhöhung sfür Seidenwaaren ist für neue Kleider eine Erhöhung auf 150 Rthlr. und für Wachstaffte eine Erhöhung auf 12 Rthlr. vom Centner vorgeschlagen.

Endlich ist es angemessen erschienen, für die Eingangs-Abgaben von Cigarren, Schnupftaback und rohem ungeschliffenem Spiegel⸗ glas eine Erhöhung von 15 Rthlr. auf 25 Rthlr., beziehungsweise von ½ auf 3 ½ Rthlr. vorzuschlagen. Diese Erhöhung, welche nur Luxusgegenstände betrifft, stellt für den Zoll⸗Verein eine nahmhafte Mehr⸗Einnahme in Aussicht.

Was die vorgeschlagenen Abänderungen der Zölle für die Aus⸗ fuhr und Durchfuhr anlangt, so haben sowohl die Vertreter des Handels⸗ und Gewerbestandes, als auch die Vertreter der Land⸗ wirthschaft, der beabsichtigten Ermäßigung der Durchfuhr⸗ und Fluß⸗ zölle freudig zugestimmt. Dagegen hat sich in beiden Versammlun⸗ gen eine obwohl nur kleine Majorität gegen die Aufhebung der Ausgangs⸗Abgabe von den über die Seegränze exportirten Knochen ausgesprochen. Dessenungeachtet hat die Staatsregierung geglaubt, diese Aufhebung vorschlagen zu müssen. Die Ausgangs⸗Abgabe be⸗ trägt etwa 75 bis 90 pCt. vom Werthe der Knochen in der Pro⸗ vinz Preußen und hat deshalb die Ausfuhr dieses Artikels von Jahr zu Jahr vermindert. Der hieraus entstehende Nachtheil trifft nicht sowohl den Handelsstand, als vielmehr einen Theil der ärmsten Ein⸗ wohnerklasse der Ostsee⸗Provinzen, welcher sich mit dem Einsammeln von Knochen ein kärgliches Brot zu verdienen gewohnt ist. Ein inländischer Markt für Knochen findet in jenen Provinzen nicht statt, da, wie auch in der landwirthschaftlichen Versammlung zugegeben wurde, die Knochen bei der Landwirthschaft in Preußen und Pom⸗ mern zur Zeit keine Verwendung finden. Unter diesen Umständen durfte auf das für die Majorität in beiden Versammlungen leitend ““ naͤmlich die Zeit kommen könne, wo die Land . Se Provinzen der Knochen bedürse, um so we⸗ ileh lung ls 8 Hewicht gelegt werden, als es sich bei der

gabe lediglich um Erhaltung eines in früheren

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Wissenschaft und Kunst.

Stein. ““

Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein, von G. H. Pertz. Berlin, Verlag von Reimer. 1850. Zweiter Band.

(Fortsetzung. Vergl. Preuß. Staats⸗Anz. Nr. 172 u. 173 Beilage.

Wenige Tage nachdem die letzten Franzosen aus Berlin ausgezogen waren, traf Stein daselbst ein. Er lebte ruhig im Kreise seiner Familie, als der neue französische Gesandte, Herr von St. Marsan, in den ersten Tagen des Januars (1809) mit einem Kaiserlichen Dekret in Berlin ein⸗ traf, worin Stein als Feind Frankreichs und des Rheinbundes erklärt, die Beschlagnahme seiner Güter und, wenn er persönlich betroffen würde, seine Verhaftung befohlen wurde. Herr von St. Marsan machte Stein durch den holländischen Gesandten mit diesem Befehl bekannt, und bat ihn, sogleich abzureisen, damit er ihn als schon abgereist betrachten könne. Mit Hülfe treuer Freunde gelangte Stein heimlich und ungefährdet über die schlesische Gränze und traf am 16ten Januar in Prag ein. Die Achtserklärung aber wurde überall, wo französische Truppen in Deutschland standen, durch öffent⸗ lichen Anschlag bekannt gemacht, und mit Staunen las die Menge, oft zum ersten Mal, den Namen des Mannes, auf den Napoleon wie auf einen Unbezwinglichen fahndete. Aller Edlen Herzen fühlten sich, wie Gneisenau später an ihn schrieb, dadurch näher an ihn angeschlossen. Er gehörte ehe⸗ dem nur dem preußischen Staate an, nun der ganzen civilisirten Welt.

Von Prag begab sich Stein schon nach wenig Tagen auf den Wunsch des Grafen Stadion, des österreichischen Ministers der auswärtigen Ange⸗ legenheiten, nach Brünn. Er hatte eben Zeit gehabt, seine frühere Bekannt⸗ schaft mit Gentz zu erneuern und die Briefe seiner besorgten Freunde zu empfangen. Der König selbst schrieb ihm und gab ihm Beweise der auf⸗ richtigsten Theilnahme. Trotz des Drängens des sranzösischen Gesandten hatte er mit dem Erlaß der Verhaftsbefehle gegen Stein gezögert, bis er ihn in Sicherheit wußte, und Gneisenau war ausdrücklich beauftragt, ihn zu schützen.

Was seine Freunde für ihn empfanden, zeigt folgender Brief Niebu hr's, en Denkmal für den Charakter Beider: „Du kannst Dir denken, wie mich die Vorstellung von Stein’'s Proscription mit Bildern quält, die man sich nicht ausdenken und auch nicht von sich entfernen kann. Eine schwache Hoffnung, daß es nicht bis zum Aeußersten kommen werde, tröstet mich zu⸗ weilen und ermuntert noch mehr zur Entfernung der fürchferlichsten Vor⸗ stellungen: es wäre doch nicht das erstemal, daß man sich begnügt hätte, durch ein ausgesprochenes Urtheil zu strafen und zu schrecken. Ich will nichts über eine Sache vermuthen, die durch die Begebenheiten entschieden sein muß, ehe Du dieses liest. Es scheint ein Dämon im Spiel zu sein, der ihn von einer Verblendung zur anderen fortgerissen hat, ihn hald durch Hoffnung, bald durch Verzweiflung, bald durch Sicherheit, bald durch Zu⸗ trauen täuschte und so in den Abgrund führte, und dieses Schicksal ängstigt mich mehr als Alles mit der Furcht, daß er bis in die rste T