1870 / 90 p. 12 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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1744 zwischen der Kurmärkischen Kriegs⸗ und Domänenkam beschränkt, dann fallen alle oben gerügten Mängel des Richters

er und dem Direktorium des Waisenhauses und unter dem 1. Siegel der Ersteren vollzogen worden. Sie befindet sich ebenfalls noch in den betreffenden Akten und sagt, daß der Königliche Besitz mit Trinitatis 1745 seinen Anfang nehmen solle, daß das abgetretene Terrain 20 Mor⸗ gen 127 DCRuthen, der Morgen zu 180 DRuthen gerechnet, betrage, daß dasselbe zusamt der Jurisdiktion auf jenem Platze in perpetuum an Se. Königliche Majestät übergehen solle, Allerhöchstwelcher demnach dort jeden actum dominii zu exer⸗ ziren habe und daß dagegen der bisherige canon von den Wein⸗ bergen erlassen sei nennt dann die beiden Teiche, den Warthe⸗ teich und kleinen Streichteich, und giebt ihnen eine Cirkumferenz von 12 Morgen 52 Ruthen.

Nachdem die ganze Angelegenheit so weit geregelt wor⸗ den, begannen auf des Königs Befehl die Terrassirungsarbeit ten. Die weiteren Befehle hinsichtlich der Anlage des Lustschlosses mochte der König mündlich gegeben und dabei auch wohl jene Zeichnung entworfen haben, welche sich früher im Besitz des Papiertapeten⸗Fabrikanten Jean Cabanis befunden hat und von diesem durch Steindruck veröffentlicht worden ist. Diese nur flüchtig hingeworfene Skizze zeigt allerdings nur drei, statt der sechs wirklich ausgeführten Terrassen, allein im Uebrigen stellt sie schon die ganze Gestaltung des Planes, wie er zur Ausführung gekommen, deutlich dar. In den Plan geschriebene Bemerkungen weisen der »écurie und cuisine« den westlichen, den »domestiques« den östlichen Seitenbau, beide in »pierres de brique« an, während das corps de logis aus ⸗pierres de taille« erbaut werden sollte. Die Lärchenhaiden zu beiden Seiten des Schlosses und von dort an dem Abhange hinab, die Kolonade, die Treibmauern an den Terrassenstufen, die große Mittelfontäne und die nach unten ausgeschweiften Treppen finden sich auf diesem ersten Entwurf bereits vollkommen aus⸗

gesprochen.

Zur geschichtlichen Entwickelung des Vormund⸗

schaftswesens in Preußen. (S. Nr. 14 der Bes. Beilage.) II.

In dem orliegenden Entwurf eines Gesetzes über das Vormundschaftswesen“) sind von den Grundsätzen, welche in

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den verschiedenen Rechtsgebieten gegenwärtig zur Anwendung kommen, diejenigen aufgenommen, welche der politischen und ozialen Entwickelung des Staates, so wie den fortgeschrittenen Verkehrs⸗ und Vermögensverhältnissen in entsprechender Weise Rechnung tragen.

In hier in Betracht kommenden Rechtsgebieten des gemeinen deutschen Rechts, des Allg. Landrechts und des franz. Rechts ist die Nothwendigkeit einer obervormundschaft⸗ lichen Aufsicht anerkannt worden. Eine gleiche Uebereinstim⸗ mung herrscht in denselben auch darin, daß diese Oberaufsicht nothwendig in letzter Instanz vom Staat ausgeübt wer⸗ den muß.

Bei der Beantwortung der Frage, welchem Organ der Staat die Mitwirkung bei der Beaufsichtigung des Vormundes zu übertragen habe, sind mannigfache Bedenken entstanden. Nach dem fast in ganz Deutschland bestehenden Rechtszustande steht dem Richter jene Aufsicht zu. Derselbe wird als unge⸗ eignet bezeichnet, weil ihm zumeist die zu einer ersprieß⸗ lichen Vermögensverwaltung nothwendige ökonomische Kenntniß mangele und weil, selbst wenn er solche besitze, er den strengen ihm von dem Gesetze auferlegten Formen unterliegen müsse; außerdem stehe der Richter den Lebenskreisen der Gerichtseinge⸗ sessenen zu fern, um ein eingehendes Verständniß für deren Be⸗ dürfnisse zu haben, und endlich könne eine Mitwirkung in schleunigen Fällen nur schwer erreicht werden. Wenn diese Be⸗ denken zum Theil gerechtfertigt sein mögen, so ist doch zu er⸗ wägen, daß die Ober⸗Vormundschaft sich lediglich auf die Ober⸗ aufsicht über den Vormund und dessen Thätigkeit beschränkt. Eine unmittelbare Einmischung in die Verwaltung und Erzie⸗ hung, als in Privatangelegenheiten, liegt der Oberaufsicht an sich fern. Wenn der Vormund kraft des Gesetzes die ihm über⸗ tragene Vormundschaft selbständig und mit eigener Verantwort⸗ lichkeit verwaltet und die richterliche Thätigkeit auf das richtige

—“) Entwurf eines Gesetzes über das Vormundschaftswesen nebst Erläuterungen. Ausgearbeitet im Königlichen Justiz⸗Ministerium.

r Sache liegende Maß auf die Ober⸗Vormundschaft

weg. Deshalb und in fernerer Erwägung, daß keine anderen staatlichen Organe zur Zeit vorhanden sind, welchen mit Er⸗ folg jene Funktionen anvertraut werden könnten, ist in dem Entwurf die Ober⸗Vormundschaft den Gerichten belassen wor⸗ den, und zwar ist hierbei so viel wie möglich jede Thätigkeit der Behörde ausgeschlossen, welche nicht als ein Ausfluß der Ober⸗ Vormundschaft, als oberaufsehender Gewalt, erscheint.

Die fernere Frage, ob die Ober⸗Vormundschaft durch ein Kol⸗ legium oder durch Einzelrichter ausgeübt werden soll, ist zu Gunsten des Letzteren entschieden worden. Die Thätigkeit des Einzelrichters erscheint um so unbedenklicher, da nach dem Ge⸗ setzentwurf eine unmittelbare richterliche Einmischung bei der Vermögensverwaltung ausgeschlossen ist. Durch die Uebertra⸗ gung der Ober⸗Vormundschaft an den Einzelrichter wird aber einem großen Uebelstande aus dem Wege gegangen. Es ist dies die jede ersprießliche Thätigkeit des Richters hemmende Besorg⸗ niß, welche aus der Regreßpflicht der Behörde hervorgeht. Diesem Uebelstande wird theilweise schon dadurch Abhülfe ge⸗ than, daß der Richter fortan nur in seltenen Fällen mit der wirklichen Vermögensverwaltung zu thun haben wird; die Wurzel des Uebels aber, die Haftung jedes Mitgliedes des Kol⸗ legiums für einen Kollegialbeschluß, kann nur mit Erfolg beseitigt werden, wenn die kollegialische Behandlung der Vormundschafts⸗ sachen überhaupt fortfällt. Dem Einzelrichter als Ober⸗Vor⸗ mund gegenüber sind besondere Bestimmungen hinsichtlich seiner Regreßverbindlichkeit vollständig überflüssig. Es können nur die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts zur An⸗ wendung kommen.

Bei der weiteren Erwägung über eine zweckmäßige Gestal⸗ tung der Ober⸗Vormundschaft handelte es sich um die Entschei⸗ dung über die Frage, ob letztere dem Staat allein vorbehal⸗ ten bleiben soll, oder ob vielmehr bei derselben eine Mitwir⸗ kung der Gemeinde und Familie, und zwar in welchem Maße eingeräumt werden müsse.

Für die Mitwirkung der Gem ein de sprechen folgende Erwä⸗ gungen: Der zu Bevormundende ist nicht nur Mitglied der Staats⸗ gemeinschaft; er ist auch, und zwar zunächst Mitglied der Ge⸗ meinde. Aus denselben Gründen daher, aus welchen dem Staat eine Einwirkung auf die Vormunbdschaft eingeräumt werden muß,

scheint es nothwendig, auch der Gemeinde eine solche Berechti⸗

ung zuzugestehen, zumal sie es ist, welche in der Regel an Fefhe Bezu⸗ eintreten muß, wenn die eigenen Mittel des zu Bevormundenden zu seiner Erhaltung nicht ausreichen. Auch in Betreff der Erziehung ihrer künftigen Mitglieder hat die Gemeinde ein unleugbares Interesse. Das innigere und nähere Verhältniß zwischen der Gemeinde und ihren einzelnen Mitglie⸗ dern scheint sogar darauf hinzuweisen, daß gerade der Gemeinde mit dem allergrößten Erfolg wenigstens die erste Fürsorge für den zu Bevormundenden und die nächste Aufsicht über den Vormund anvertraut werden könne. Trotz dieser Gründe dafür ist in dem Entwurf die Mitwirkung der Gemeinde ausgeschlossen worden, und zwar hauptsächlich aus folgenden Motiven: Vermögensverwaltung und Erziehung, und das sind die beiden Kreise, in welchen sich die Vormundschaft bewegt, erfordern an erster Stelle, wenn sie mit Erfolg geführt wer⸗ den sollen, möglichste Einfachheit des Organismus, dem sie anzuvertrauen sind. Schiebt man zwischen Staat und Vor⸗ mund eine Zwischeninstanz, so wird die Verwaltung der Vormundschaft sofort eine verwickeltere, schwerer zu über⸗ sehende; ein solches Verhältniß führt eine Verletzung jener ersten Grundregel mit sich. Unmöglich kann, wenn man daran fest hält, daß dem Staat in höchster Instanz die Oberaufsicht gebühre, für einzelne Geschäfte die Kontrole dem Gemeinde⸗Organe überlassen werden. Dies würde nichts anderes sein, als in gewissen Richtungen die Oberaufsicht des Staats ausschließen. Will man dies nicht, so legt man dem Staat neben seiner Verpflichtung, den Vormund zu beaufsichti⸗ gen, noch eine neue Pflicht auf, das Gleiche hinsichtlich der Gemeinde⸗Organe zu thun. Allerdings stehen letztere dem Vor⸗ mund näher als der Staat. Allein denselben Vorzug haben Einzelrichter für engbegrenzte Bezirke, und letztere haben noch den Vorzug, daß ihre Interessen seltener mit denen des Bevor⸗ mundeten in Widerspruch gerathen werden „als es zwischen Mitgliedern derselben Gemeinden, besonders ländlichen, der Fall sein kann.

Bei der weiteren oben angeregten Frage: ob und wie weit der Familie des zu Bevormundenden bei Führung der Vor⸗ mundschaft und Aufsicht über dieselbe eine Mitwirkung einge⸗ räumt werden müsse, ist von folgenden Erwägungen ausge⸗ gangen worden:

Die Vormundschaft, als ein Ersatzmittel der fehlenden väterlichen Gewalt, knüpft naturgemäß an die Familie an.

Berlin 1870 Verlag der Königlichen Geheimen Ober⸗Hofbuchdruckerei (R. v. Decker).

Diese erscheint am geeignetsten, jene Lücke auszufüllen.

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Rede stehende Recht mit

In Anerkennung diese Prinzips ist der vorliegende Ent⸗ wurf bestrebt gewesen, die in den meisten in Preußen geltenden Partikularrechten beinahe ganz verloren gegangene Mitthätigkeit der Familie neu zu beleben. Dieser Zweck konnte erreicht werden, einmal, wenn man die Befugniß bestimmter Personen, die Führung der Vormundschaft kraft des Verhältnisses, in welchem sie zu dem Familienvater, beziehungsweise zu den zu Bevormundenden stehen, selbst zu übernehmen, stärker als bis⸗ her betonte, und zweitens, indem man, ohne Rücksicht darauf, ob ein Familienmitglied oder ein Fremder zum Vormund be⸗ rufen wird, der Familie, als einem Begriffsganzen, eine Ein⸗ wirkung auf die Führung der Vormundschaft im Allgemeinen zugestand, sei es in der Form eines bloßen Aufsichtsrechts, sei es dadurch, daß man die Rechtsbeständigkeit gewisser Akte an die Genehmigung der Familie knüpfte.

Was zunächst den Anspruch gewisser Personen auf die Führung einer Vormundschaft in einem bestimmten Falle be⸗ trifft, sei es, daß ein solcher durch ein Testament oder das Ge⸗ setz begründet wird, so ist derselbe von allen Gesetzgebungen, auch von denen, welche die Vormundschaft am meisten als eine rein staatliche Angelegenheit hingestellt haben, allerdings in sehr verschiedenen Abstufungen anerkannt worden, weil der Grund⸗ satz, daß das scheidende Familienoberhaupt am allerbesten den zukünftigen Vertreter der nachgelassenen Minorennen wählen könne, und in Ermangelung eines solchen durch das Familien⸗ haupt gewählten Vormunds, die nächsten Blutsverwandten die geeignetsten Personen seien, zu sehr aus der Natur des Ver⸗ hältnisses folgt, um ganz verleugnet zu werden.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß das hier in der fortschreitenden Ausbildung der Ober⸗Vormundschaft in Deutschland immer mehr in den Hinter⸗ grund gedrängt worden ist. Der Staat konnte sich, nachdem er das Oberaufsichtsrecht ausschließlich an sich gezogen hatte, weder aus Rücksicht auf die Bestimmungen des Vaters noch aus Rücksicht auf die nächsten Bande des Bluts einen Vor⸗ mund aufdrängen lassen, von dem er nicht wußte, ob er seinen Zwecken vollständig entsprach.

An diesem Grundsatz mußte, da dem Staat das höchste Aufsichtsrecht in dem vorliegenden Entwurf bewahrt worden ist, wenigstens insoweit festgehalten werden, daß Niemand das Amt des Vormundes überkommt, bevor nicht eine Prüfung seiner Befähigung Seitens des Staats vorangegangen ist.

Dagegen erschien es geboten, den Einfluß des Staates bei den hier in Frage stehenden Fällen der Berufung durch Testa⸗ ment oder Gesetz in einer anderen Richtung mehr einzuschrän⸗ ken, als es in fast allen Partikulargesetzgebungen Deutschlands bisher geschehen ist. Wenn nämlich durch Anordnungen der Eltern die Person des Vormundes bezeichnet ist, oder nahe Blutsverwandte (Mutter und Ascendenten) vorhanden sind, kann von einer uneingeschränkten Auswahl des Vormun⸗ des durch den Richter nicht mehr die Rede sein. In einem solchen Falle hat sich die von dem Richter anzustellende Prü⸗ fung lediglich auf die Frage zu richten, ob die betreffenden Personen den gesetzlich gestellten Anforderungen entsprechen, nicht aber auf die weitere Erwägung, ob nicht in dem Gerichts⸗ sprengel Personen vorhanden sind, welche sich nach der Ansicht des Richters noch besser zur Führung der betreffenden Vor⸗ mundschaft eignen. Das Urtheil des Vaters oder der Mutter, und die allgemeine Vermuthung, welche aus der unmittelbaren Nähe der Blutsverwandtschaft entspringt, darf in keinem Falle, wenn nur ein höherer oder niederer Grad der Tüchtigkeit in Frage kommt, dem Urtheil des Richters nachgesetzt werden. Als tüchtig, das heißt fähig zur Führung einer Vormundschaft, ist aber jeder zu betrachten, gegen den nicht einer der gesetzlichen Unfähigkeitsgründe vorliegt.

„Hiernach erscheint die Ernennung des Vormundes durch die Eltern oder das Verhältniß der unmittelbaren Blutsver⸗ wandtschaft nicht mehr als ein bloßer Empfehlungsgrund für den Richter bei der Auswahl des Vormundes, auf welchen er »Rücksicht« zu nehmen hat, und an welchen er nicht gebunden ist, wenn er »wesentliche⸗« Bedenken hat, sondern in einem sol⸗ chen Falle ist der Richter verpflichtet, jene Personen, trotz seiner etwaigen Bedenken, zu bestätigen, es sei denn, daß diese Be⸗

denken sich auf einen Mangel in der Person des Betreffenden

gründen, welchen das Gesetz ausdrücklich als Grund der Un⸗ fähigkeit zur Führung der Vormundschaft hervorgehoben hat. Was die Mitwirkung der Familie als eines Begriffs⸗ ganzen bei der Beaufsichtigung und Führung der Vormund⸗ schaft betrifft, so ist zwar das Institut des Familienraths, wie das französische Recht solches ausgebildet hat, nicht aufgenommen worden, vielmehr an dessen Stelle den Verwandten in den ge⸗ richtlich beaufsichtigten Vormundschaften eine größere Mitwir⸗ kung beigelegt worden, als dies im gemeinen Recht und in den deutschen Partikularrechten bisher der Fall war. Andererseits

aber auch für besondere Fälle ein Familienrath in dem

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Entwurf angenommen,

welcher anstatt des Richters die Vor⸗ ehb zu veaussichtigen und v dieser Richtung noch

und unabhängiger gestellt ist, als der; amilienrat 8 französischen Rechts. e 5 2 gb

WF. vorliegende Gesetzentwurf steht, indem er die Mit—

wirkung der nächsten Familienmitglieder in besonders hervor⸗ gehobenen wichtigen Fällen auf die Ertheilung von Gutachten beschränkt, auch in Uebereinstimmung mit der Richtung, welche in dieser Beziehung die Gesetzgebung der neueren Zeit genom⸗- men hat. Außerdem weicht er hierin von dem, in dem bei weitem größten Theile Preußens geltenden Rechte nicht wesent⸗ lich ab. Denn schon das Allgemeine Landrecht erkannte durch einzelne Bestimmungen an, daß in einigen der wichtigsten An⸗ gelegenheiten des P eglings der Rath der Familie von Seiten des Vormundes und Richters gehört werden müsse, beschränkte aber allerdings diese Mitwirkung der Verwandten wieder da⸗ durch, daß er in den meisten dieser Fälle den Richter das Gut⸗ achten der Verwandten nur dann einzuholen verpflichtet, wenn sich letztere an demselben Orte, wie der Pflegling, oder doch wenigstens in derselben Provinz aufhielten.

Der Entwurf hat nunmehr jenes Prinzip klar ausge⸗ sprochen, die gedachte Beschränkung nicht aufgenommen und die Anzahl der Fälle, in welchen dergleichen Gutachten eingeholt werden müssen, erweitert.

Bei der hundertjährigen Feier von Schillers Geburt spra Jakob Grimm in seiner Festrede u. a. folgende Worte: b 4 anderes, größeres Denkmal unsern Dichtern zu errichten, bleibt in Herausgabe ihrer Werke, wie bisher sie nicht einma begonnen, geschweige denn vollbracht ist. Schillers ichte liegen immer nicht so vor Augen, daß wir ihre Folge und Ord⸗ nung, die Verschiedenheit der Lesart überschauen, alle ihre Eigenthümlichkeit aus sorgfältiger Erwägung ihres Sprach⸗ gebrauchs kennen lernen, dann der Textfeststellung in würdiger außerer Gestalt uns erfreuen könnten. Für Schiller, es ist wahr, ist mehr geschehen, als für Göthe, und dieser fällt auch viel schwerer. Göthe und Schiller haben ihre Ge⸗ dichte vielfach umgearbeitet, oft weichen die Texte von einander ab, wie kaum stärker bei mittelhochdeutschen Gedichten, und nicht überall wird man die neue Lesart der alten vorziehen, es ist aber nothwendig und hoͤchst belehrend, beide, und alle Texte, soviel es giebt, zu kennen.« Seit jener Rede sind über 10 Jahre verflossen. Die Herstellung kritischer Ausgaben der deukschen Nationaldichter hat in den letzten Jahren begonnen. Den beachtenswerthesten Versuch, eine vollständige kritische Ausgabe von Göthe's Werken herzustellen, hat bis jetzt die Buch⸗ handlung von Gustav Hempel zu Berlin unternommen. Der zwölfte und dreizehnte Theil dieser Ausgabe ent⸗ hält den ersten und zweiten Theil der Faust⸗Dichtung. Der Zerausgabe hat sich der Königliche Geheime Regierungs⸗Rath H. von Löper zu Berlin unterzogen. Derselbe hatte, dem Plane der Gesammtausgabe gemäß, eine dreifache Aufgabe zu lösen. Erstens, alle Varianten und Bruchstücke früherer Ent⸗ würfe des Textes zu sammeln; zweitens, eine orientirende Ein⸗ leitung zu geben, welche, der Theilung des Gedichts entsprechend, eine zweifache geworden ist drittens, diejenigen Stellen des Textes, welche sachlich oder sprachlich dunkel sind, durch Anmer⸗ kungen zu erläutern. So liegt denn zum ersten Mal Göthe's Faust⸗Dichtung in einer Ausgabe vor, welche dieselbe wie ein Werk des klassischen Alterthums behandelt. In Bezug auf kri⸗ tische Textesrezension und Sammlung der Lesarten hatte Lach⸗ mann in seiner Lessingausgabe das erste Muster philologischer Behandlung eines modernen Klassikers gegeben. In der kriti⸗ schen Schillerausgabe, welche die Cotta'sche Buchhandlung jetzt veranstaltet, wird die geschichtliche Entstehung der Texte mit einer bisher fast niemals erreichten Vollständigkeit vor Augen geführt und erläutert. Daß mit solchen Ausgaben der Klassike unserer großen Literaturepoche der ernstliche Anfang jetzt gemach wird, ist darum an der Zeit, weil diese Epoche, obwohl unte allen ähnlichen die modernste, doch unter Lebensbedingunger stand, die ihre Zeit erfüllt haben und abgeschlossen hinter un liegen. Es ist bereits nicht mehr möglich, allein aus unseren Leben heraus die Epoche unserer Dichtung zu verstehen. So bedürfen wir der historischen Erläuterung, und die kritischen Ausgaben haben nicht nur den Beruf, den literarischen That bestand vollständig vorzuführen, sondern auch die Aufgabe, den Faden des Verständnisses dem Leser an die Hand zu geben.