1870 / 244 p. 1 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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punkte zu Studien über die Baustyle und baulichen Einrich⸗ tungen der verschiedenen Perioden, in welchen die betreffenden Häuser nach der Benennung zu urtheilen entstanden sind. Wie tief die Sitte der Hauszeichen und ⸗Namen in Breslau eingewurzelt war, ergiebt sich schließlich daraus, daß selbst ein⸗ zelne Verkaufsstätten, die sich in Menge neben einander be⸗ fanden, auf diese Weise kenntlich gemacht wurden. So führte z. B. jede der 40 Tuchkammern in dem früheren Tuchhause eine besondere Benennung: »Grüne Weinlaube«, »Elephant«, »Goldener Wolf« u. s. f., Namen, die zum Theil auf die an Stelle des Tuchhauses aufgeführten Häuser übergegangen sind.

I

Der K

Absichtlich oder unabsichtlich ist die Bühne jederzeit ein Ausdruck der Sitten ihres Zeitalters gewesen. Wenn aber durch eine Nation eine große gemeinsame Bewegung gegangen, ist die Bühne wohl niemals unberührt geblieben, obschon die Stimmung des Augenblicks nur selten in bleibenden Wer⸗ ken ein dramatisches Denkmal gefunden. Ein nationa⸗ ler Krieg, wie der gegenwärtige Deutschlands, welcher mit seinen Anstrengungen und Opfern jedes Privatleben erreicht, andererseits durch das Bewußtsein des höchsten Lebens⸗ zieles alle Gemüther vereinigt, nöthigt die Bühne, die Wechsel⸗ wirkung mit dem überall herrschenden Gefühl herbeizuführen. So sehen wir denn fast alle Theater Deutschlands bemüht in der Aufführung patriotischer Stücke. Die Aufgabe der Bühne ist nicht leicht, in solcher Zeit den bedeutenden Gehalt, welchen die Gemüther zu empfangen wünschen, in würdiger und ergreifender Ausprägung darzubieten. Denn keine Literatur ist reich an dramatischen Schöpfungen, welche das Nationalleben in seiner höchsten gemeinsamen Aeußerung erfolgreich behandeln. Historiker und Kritiker haben diesen Mangel in der deutschen Literatur vorzugsweise finden wollen, und die Ursache davon in der langjährigen Zerrissenheit der deutschen Nation gesucht. Die Stoffe, welche das preußische Staats⸗ und Volksleben der dramatischen Behandlung bis jetzt geboten, haben wir in Nr. 12 d. Bl. übersichtlich zusammengestellt.

Stoffe aus dem Staatsleben, welche nicht der preußischen Geschichte entnommen sind, hat das deutsche Drama vorzugs⸗ weise aus der älteren Kaiser⸗Epoche geschöpft. Doch stellt die Fremdartigkeit der zu behandelnden Zustände, noch mehr aber der undramatische, epische Charakter der Begebenheiten dem Erfolg Schwierigkeiten entgegen, die unüberwindlich scheinen.

Dem Bedürfniß, die gehobene und nationale Stimmung durch verwandte Darbietungen zu befriedigen, hat vor Allem die Königliche Bühne zu Berlin auf dem Felde der Oper wie des Schauspiels entsprochen.

In Meyerbeer's »Ein Feldlager in Schlesien«, komponirt zur Einweihung des nach dem Brande von 1843 wiederherge⸗ stellten Opernhauses, besitzt die deutsche Oper vielleicht das einzige im Opernstyl gehaltene Werk, welches patriotische Empfindun⸗ gen unmittelbar zum Gegenstand nimmt. Häufiger sind Sing⸗ spiele und melodramatische Schauspiele patriotischen Charakters. Den erhabensten musikalischen Ausdruck hat nationaler Helden⸗ muth, Schmerz und Siegesfreude in Händels Oratorien gefun⸗ den, und wenn wir als die Träger Volk und Helden des alten Testaments auftreten sehen, so ist es doch deutsches Leben, wel⸗ ches der deutsche Tonmeister seinen Gestalten eingehaucht hat.

Im rezitirenden Drama hat die Königliche Bühne drei Werke patriotischen Charakters in den letzten Wochen zur Dar⸗ stellung gebracht: Schillers Wilhelm Tell, Lessings Minna von Barnhelm und das Werk eines lebenden Dichters, welches einen Stoff aus der preußischen Geschichte behandelt: Colberg, von Paul Heyse.

Gehen wir nun näher auf die nationale Bedeutung dieser

Dramen ein. *Schhiller's »Wilhelm Tell- gehört dem Stoff nach der schweizer Geschichte und Sage an. Ton und Farbe des Stückes sind der schweizerischen Landschaft und ihren Sitten entnommen. Die Handlung bewegt sich um die Losreißung eines Gliedes vom ehemaligen deutschen Reiche. Scheinbar einen kleinen und abgesonderten Zweig der deutschen Nation feiernd, ist diese Dichtung dennoch, wie keine andere, als der dramatische Aus⸗ druck des deutschen Nationalgefühls bei ihrem Erscheinen auf⸗ genommen worden, und hat von ihrer patriotischen Wirkung bis auf den heutigen Tag nichts eingebüßt. Fast in jeder deutschen Stadt, wo ein Theater ist, geht in diesen Tagen des Aufschwunges Wilhelm Tell über die Bühne als das würdigste Bild, in welchem das Hochgefühl deutscher Hingebung an das Vaterland durch die Hülle einer fremden Zeit und Land⸗ schaft hindurch sich wiedererkennt.

Es ist gewiß nicht die bloße Tendenz der Verherrlichung des Patriotismus, welche dem Stück inmitten einer tief und

reich gebildeten Nation, wie die deutsche, eine so bevorzug⸗ Wirksamkeit anweist. Vielmehr ruft jede bewegte Zeit Bühnen erzeugnisse hervor, in welchen die Begebenheiten des Tages, wenn nicht poetisch bewältigt, doch theatralisch mehr oder minder glücklic berührt werden. Der dankbare Stoff verschafft solchen Stücken eine augenblickliche Gunst. Sobald die unmittelbare Gewalt des Stoffes aufhört, verschwinden sie. Wenn ein Drama, daß vor 66 Jahren entstanden, eine Begebenheit des 14. Jahrhun⸗ derts auf fremdem Boden zum Gegenstand hat, uns noch heut als die edelste Verkörperung des Nationalgefühls anspricht, so kann dies nicht an Stoff und Tendenz allein, es muß an dem Werth der Dichtung liegen.

Der Dichter schildert eine Erhebung, deren unterscheidender Grundzug nicht nur mit künstlerischer Kraft veranschau⸗ licht, sondern überdies ganz in das Element deutscher Sinnesart getaucht ist. Die Erhebung tritt uns entgegen als Nothwehr gegen ein frevelhaftes Bedrängniß, als Vertreibung herausfordernden Uebermuthes, der an Best und Familie der Unterdrückten muthwillig grausam sich vergreift. Die Unterdrückten sind kernhafte, muthige Menschen, im Kampfe mit gefährlichen Naturgewalten an Wagniß und Todesverachtung gewöhnt. Aber sie sind schwach durch ihre Vereinzelung, sie kennen den Staat nur als eine Gewalt, die ihnen durch fremde Herrscher kommt, nicht al ihren eigenen Schutz. Der Gedanke, durch Einigung den eigenen Staat hervorzubringen, drängt ihnen erst die fremde Gewal⸗ samkeit auf.

„Wie viel Berührungspunkte liegen hiermit im deutschen Gefühl! Das deutsche Volk hat zu allen Zeiten am meisten begehrt, sich mit gemüthvollem Ernst in die Tagesarbeit des friedlichen Lebens zu versenken, sei der Ertrag auch noch so be⸗ scheiden, die Arbeit auch noch so gefahrvoll. Nur fremde Ge⸗— waltsamkeit regt den deutschen Sinn zur Abwehr auf. Und in dieser Abwehr tritt stets das Gottvertrauen zu Tage, welches bereit ist, aus Gottes Hand Gefahr und Untergang hin⸗ zunehmen, um Schmach und Grausamkeit von Menschen⸗ hand nicht zu dulden. Dieser Sinn athmet au jeder Zeile der Schiller'schen Dichtung: »Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht ge fällt.« »Wir wollen trauen auf den höchsten Gott und unz nicht fürchten vor der Macht der Menschen.« »Wäre ein Obmann zwischen uns, so möchte Recht entscheiden und Gesetz, so muß Gott uns helfen durch unsern Arm.⸗« Auch das ist deutsche Sinnesart, jedes solche Unternehmen nicht blos auf die innere Güte der Sache, sondern wo⸗ möglich auf historisches Recht und ehrwürdige Ueberlieferung zu stellen. Auch diesen Zug breitet die Dichtung lebendig um gewinnend vor uns aus. Die deutsche Natur schätzt den ur⸗ lebendigen Besitz nicht blos um des Gewinnes und Genusse willen, sondern widmet selbst den Sachen eine gemüthvolt Hingabe. Dennoch weiß sie, wo sie in der Würdigkeit und Rein⸗ heit ihres Lebens sich bedroht sieht, auch das theuerste irdische Gut entschlossen zu opfern. »Wüßt' ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt, den Brand würf' ich hinein mit eigner Hand« dieses Wort legt der Dichter einer Frau in den Mund, deren Tagewerk die treue häusliche Sorge ist. Alle Lebensverhältnisse erscheinen in pa⸗ triarchalischer Reinheit und Einfachheit. Gerade dieser Kontrast einer friedlich einfachen, der Schätze ihres Gemüthes sich kaum bewußten Existenz, mit Gewaltthat und Mißhandlung, matt die Dichtung für die deutsche Empfindung so anziehend, Jede deutsche Nationalerhebung weist dieselben Züge auf welche die Dichtung zum gesammelten und reinen Aus⸗

druck bringt. Lange fortdauernde Gewaltthat und Mißhand⸗

lung rief 1813 das Volk unter die Waffen, und selbst gegenwärtigg wo wir stark und geachtet in Europa dastanden, haben wirt doch in Friedensliebe Jahre lang Alles gethan, den bösen Nac⸗ bar nicht zu reizen. Was wir heute thun in dem größten Kriege eines halben Jahrhunderts, sind Thaten der Nothwehr' die Ziele, die wir uns stecken, sind Mittel der Abwehr. Sellken oder niemals steckt das deutsche Volk sich Zwecke, welche auf Kosten Anderer seine Existenz erhöhen. Nur sich vertheidigend wird es wachsen.

Das andere Element der Dichtung, welches den deutschen Sinn tief angesprochen hat, ist die Einigung lose verbundener Gemeinden zu einem starken Ganzen, die Ueberwindung klein⸗

lichen Haders im Angesichte einer großen Gefahr. »Er ist mein

Widerpart, der um ein altes Erbstück mit mir richtet. Wir sind Feinde vor Gericht, hier sind wir einig.“ Seit Schillerz Dichtung die Bühne betreten, hat das deutsche Volk sich dee Worte sehnsuchtsvoll in's Herz geschrieben: »Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Noth uns trennen und Gefahr.“ Sechs und sechzig Jahre hindurch ist die Mahnung gehört worden, heute ist das Wort des Dichters erfüllt.

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