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ewesen. Es gereicht mir zum Vergnügen, Ihnen mittheilen zu kön⸗ nen, daß ich wie bisher, so auch jetzt in freundschaftlichen Beziehungen und gutem Einvernehmen mit den Souveränen und Staaten der ci. vilisirten Welt mich befinde. Die Aktenstücke, welche die Politik meiner Regierung in den verschiedenen Fragen, welche ich eben sum⸗ marisch berührte, näher darlegen, werden Ihnen in gebührender Weise vorgelegt werden.
Indem ich mich jetzt den einheimischen Angelegenheiten zuwende, habe ich Ihnen zunächst mitzutheilen, daß ich die Vermählung meiner
ochter Prinzessin Louise mit dem Marquis of Lorn gestattet und aeine Zustimmung zu dieser Verbindung im geheimen Rath aus⸗
drücklich erklärt habe.
Meine Herren vom Hause der Gemeinen! Die Einkünfte des Staates befinden sich in einem blühenden Zustande und die Lage von
andel und Industrie darf als eine befriedigende bezeichnet werden.
ie Voranschläge für das kommende Jahr werden Ihnen baldigst vorgelegt werden. Mylords und meine Herren! Die Leh⸗ ren in militärischer Beziehung, welche uns der gegenwärtige Krieg gegeben hat, sind eben so zahlreich als w chtig gewe⸗ sen. Die Zeit scheint dazu angethan, um aus solchen Lehren in entscheidenderer Weise als bisher praktische Verbesserungen zu ent⸗ nehmen. Wenn Sie solches unternehmen, so werden Sie nicht ver⸗ fehlen, sich des eigenthümlichen Charakters zu erinnern, welcher diesem Lande, das sich in Betreff öö Entwickelung wie der Sicher⸗ heit seiner Bevölkerung in wenn wir jetzt zu einem wirksamen und elastischerem Defensiv⸗System übergehen, welches wenigstens für eine Zeit lang die Vermehrung verschiedener Ausgaben mit sich bringt, so wird Ihre Weisheit und Ihr Patriot’smus sich gegen diese Kosten nicht sträuben, so lange Sie die befriedigende Ueberzeugung haben daß der Zweck wichtig und die Mittel hierzu verständig sind. Einen Gesetzentwurf, betreffend die bessere Organisirung der Armee und der Land⸗Reservetruppen wird Ihnen unverzüglich vorgelegt werden. Ich brauche denselben wohl kaum Ihrer sorgfältigen und unparteiischen Erwägung zu 8 Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß das mächtige Interesse, welches sich gegenwärtig an aus⸗ wärtige Angelegenheiten ünd militärische Fragen knüpft, der Energie, welche Sie bisher der allgemeinen Verbesserung unserer heimischen Gesetzgebung widmeten, keinen Eintrag thun wird. Ich empfehle Ihrer Aufmerksamkeit verschiedene Maßregeln, deren Vorlage ich schon in der letzten Session gewünscht hätte, deren Erledigung jedoch bei der Kürze der Zeit nicht mehr moöglich erschien. Ich erinnere in dieser Beziehung an die Gesetzentwürfe, betreffend die Religionzeide an den Universitäten Oxford und Cam⸗ bridge, sowie über die kirchlichen Rechtsansprüche; ferner an die Vorlage, betreffend die Unzuträglichkeit der Gewerkvereine und über die Friedensgerichte und Appellgerichte. Ebendahin gehöͤren die Vor⸗ lagen über die Ausgleichung lokaler Steuerlasten und die Konzessioni⸗ rung von Verkaufstellen für Spirituosa. Eine Vorlage, betreffend die Herstellung geheimer Abstimmung wird Ihnen demnächst zur Be⸗ rathung in pleno vorgelegt werden, nachdem das Unterhaus bereits in Kommissionsberathung darüber verhandelt hat. In Schottland wird ein Gesetzent vurf, betreffend die Regelung der Elementarschulen, lebhaft erwartet. In Betreff der Herstellung einer Zagenderziebung auf nationaler Grundlaͤge hat gerade dieses Land besondere Ansprüche auf eine wohlwollende Berücksichtigung seitens des Parlaments, und ich vertraue darauf, daß dieses Jahr nicht hingehen werde, ohne daß Sie diese Frage durch Schaffung eines gerechten und wirksamen Gesetzes geregelt haben. Die Zustände in Irland betreffs der agrarischen Verbrechen haben im Allgemeinen einen wohlthuenden Gegensatz zu dem Zu⸗ stande dargeboten, welcher auf dieser Insel im vergangenen Winter geherrscht hat. Um die Hauptresultate der großen Maßregeln zu sichern, welche durch die Beschlüsse der beiden letzten Sessionen in Wirk⸗ samkeit getreten sind und welche die eindringlichsten Ansprüche auf Beachtung in allen Klassen der Bevoölkerung haben, dazu ist eine ruhigere Zeit zu wünschen, und ich habe es deshalb für angemessen gehalten, bei der gegenwärtigen Lage der Dinge Ihnen keinen Anlaß zur Diskussion politischer Fragen zu geben, da dieselben leicht den Ausgangspunkt für neue und ernste Kontro⸗ versen im Lande geben könnten. Die Lasten, welche auf Ihnen, als dem großen Rath der Nation und dieses alten und ausgedehnten Reiches, ruhen, sind gewichtig, aber Sie arbeiten für ein Land dessen gesetzliche Institutionen schon lange Zeit bestanden haben; für ein Land, dessen Bevölkerung mit Ernst an diesen Institutionen hängt und deren Fortdauer wünscht und welches sich mit seinem Herrscher vereinigt, um auf Ihr Thun und Denken die Gnade und die Hülfe des Allerhöchsten herabzuflehen.
— In der heutigen Unterhaussitzung kündigte der Staats⸗ Sekretär des Krieges, Cardwell, die Vorlage, betreffend die Heeresorganisation, für nächsten Donnerstag an. Hierauf folgte die Adreßdebatte. Disraeli tadelte den Mangel an Energie Seitens der Regierung und insbesondere, daß sich die Regie⸗ rung, als Gortschakoff seine Depesche in der Pontusangelegen⸗ heit erlassen hatte, an Preußen, einen Nicht⸗Alliirten, um Rath gewandt habe. Gladstone vertheidigte hierauf die von der Re⸗ gierung befolgte Politik der Neutralität und Nichtintervention. Die englische Regierung habe den König von Preußen gebeten, Paris nicht zu bombardiren. Der Minister appellirte schließlich in entschiedener Weise an das Vertrauen des Hauses. — Die Adresse wurde hierauf ohne Abstimmung angenommen.
Im Oberhause beantragten die Lords Westminster und Rosebery, die Thronrede mit einer Adresse zu beantworten. Lord Richmond tadelte in gemäßigter Weise einzelne Stellen der Thronrede und insbesondere den Umstand, daß die Sitzun⸗
o günstiger Lage befindet, eigen ist. Und
gen der Pontuskonferenz ohne Anwesenheit eines Vertreters Frankreichs abgehalten würden. Lord Granville erklärte hier⸗ auf, die Regierung sei ernstlich bemüht gewesen, strenge un⸗ parteiische Neutralttät aufrecht zu erhalten Bezüglich der Kon⸗ ferenz habe Frankreich den Zusammentritt derselben gebilligt, und es würden die Beschlüsse derselben erst nach Beendigung des Krieges in Vertragskraft treten. Lord Granville hofft auf ein baldiges Ende des Krieges, und theilte mit, daß sowohl von England als auch von Nordamerika je fünf Kommissare zur Schlichtung der zwischen beiden Staaten schwebenden Streit⸗ fragen ernannt worden seien. Die Adresse wurde hierauf an genommen. 1
— Das auswärtige Amt hat eine von Jules Favre an Lord Granville gerichtete Note d. d. 3. Februar erhalten, welche binnen Kurzem veröffentlicht werden wird, in welcher der Dank für die Uebersendung von Lebensmitteln ausgesprochen wird. In ne Schreiben heißt es: »Erlauben Sie mir, in diesen Geschenken die Gewaͤhr für jene Einigkeit zu erblicken, welche alle Nationen zu gegenseitiger Hülfeleistung verbinden sollte, anstatt daß dieselben miteinander kämpfen, um sich ge⸗ genseitig auszurotten. Die Bewohner von Paris trösten sich mit dem Gedanken, ihre Pflicht erfüllt zu haben und durch Beweise von Achtung und Sympathie belohnt zu werden.⸗
Frankreich. Die Regierung von Paris hat an ihre Mitbuürger folgende Proklamation erlassen:
Mitbürger, wir wollen Frankreich sagen, in welcher Lage und nach welchen Anstrengungen Paris unterlegen ist. Die Einschließung hat vom 16. September bis zum 26. Januar gedauert. Während dieser ganzen Zeit haben wir, abgesehen von einigen Depeschen, von der übrigen Welt abgesperrt gelebt. Die ganze männliche Bevölkerung war in Waffen, bei Tage zu den Uebungen und Nachts auf den Wällen und Vorposten. Das Gas ging uns zuerst au; und die Stadt war Abends in Dunkelheit gehüllt; dann kam der e an Holz und Kohlen. Seit dem Monat Oktober mußte zum Metzgerfleisch Pferdefleisch zur Speise hinzugefügt werden; vom 15. Dezem⸗ ber an mußten wir noch zu letzterem ganz unsere Zuflucht nehmen. Sechs Wochen hindurch bekamen die Pariser täglich nur 30 Grammes Pferdefleisch; seit dem 18. Januar wurde das Brod, worin Roggen nur noch den dritten Theil bildete, zu 300 Grammes für den Tag angesetzt, was auf einen gesunden Menschen im Ganzen 330 Grammes Nahrung ausmachte. Die Sterblichkeit, welche 1500 betrug, überstieg 5000 unter dem Einflusse der hartnäͤckigen Pocken und der Entbehrungen aller Art. Alle Stände haben gelitten, alle Familien hatten Trauer. Das Bombardement hat einen Monat ge⸗ dauert und die Stadt St. Denis, so wie fast die die ganzen Stadt⸗ theile auf dem linken Seineufer niedergeschmettert.
In dem Augenblicke, wo der Widerstand aufhoͤrte, wußten wir, daß unsere Armꝛeen an der Grenze zurückgetrieben und außer Stande waren, uns zu helfen. Unterstützt von der Nationalgarde, welche sich tapfer geschlagen und eine große Anzahl von Leuten verloren hat, hat die Armee am 19. Januar ein Unternehmen versucht, das all⸗ gemein als ein Akt der Verzweiflung bezeichnet wurde. Dieser Ver⸗ such, dessen Zweck die Durchbrechung der feindlichen Linien war, scheiterte, wie jeder Versuch des Feindes, die unsrigen zu durchbrechen, gescheitert sein würde.
Trotz alles Feuers unserer Nationalgarden, welche nur ihren Muth zu Rathe zogen und sich bereit erklärten, in den Kampf zurück⸗ zukehren, blieb uns keine Aussicht, Paris zu deblokiren oder es zu verlassen, um nur die Armee nach außen zu werfen und sie in eine Entsat⸗Armee umzugestalten Alle Generale erklärten, es werde eine Thorheit sein, wenn dieses Unternehmen versucht werde; die Werke der Deutschen, ihre Anzahl, ihre Artillerie machten ihre Linien undurch⸗ dringlich;, wir würden, wenn wir das Unmsgliche leisteten und ihnen über den Leir hinwegschritten, darüber hinaus nur eine Einöde von dreißig Wegstunden finden; dort würden wir vor Hunger vergehen, denn man dürfe nicht daran denken, Lebens⸗ mittel mitzunehmen, weil wir bereits am Ende unserer Hülfsquellen seien. Die Divistonäre wurden bei den Chefs der Armee zu Rathe gezogen und ertheilten Bescheid wie sie. In Anwesenheit der Mi⸗ nister und Maires von Paris wurden diejenigen Obersten und Ba⸗ taillons⸗Chefs berufen, welche für die tapfersten galten. Die näm⸗ liche Antwort. Man konnte sich tödten lassen, aber man konnte nicht mehr siegen. In diesem Augenblicke, als jede Hoffnung auf Hülfe und jede Aussicht auf Erfolg geschwunden, blieb uns nach sicherer Schäßzung noch Brod auf acht Tage und Pferdefleisch auf 14 Tage, wenn alle Pferde geschlachtet wurden. Bei den zerstörten Eisenbahnen, den verdorbenen Wegen, der abgesperrten Seine fehlte viel an der Gewißheit, bis zur Stunde der Wiederverpro⸗ viantirung auszureichen. Selbst heute noch leben wir in der Be⸗ sorgniß, das Brod und die übrigen Vorräthe könnten uns ausgehen, ehe die ersten Zusendungen eintreffen. Wir haben daher über die Möglichteit hinaus ausgeharrt und scheuen selbst die Möglichkeit nicht, die uns noch bedroht, uns der furchtbaren Gefahr der Hungersnoth einer Bevölkerung von zwei Millionen Seelen auszusetzen.
Wir sagen es laut, daß Paris durchaus und ohne Rückhalt Alles that, was eine belagerte Stadt thun konnte. Wir ertheilen der Bevölkerung, die dem Waffenstillstande ihre Rettung verdankt, dieses Zeugniß, daß sie bis ans Ende heldenmüthigen Muth und Ausdauer bewiesen hat. Frankreich, das Paris nach fünf Monaten wiederfindet, kann auf die Hauptstadt stolz sein.
Wir haben den Widerstand aufgegeben, die Forts übergeben, die
Enceinte abgerüstet, unsere Besatzung ist kriegsgefangen, wir zahlen eine Kriegsentschädigung Von zweihut Millione “
Aber der Feind rückt nicht in Paris ein; er erkennt das Prinzip der Volkssouveränität an, er laͤßt unserer Nationalgarde ihre Waffen und ihre Organisation, er läßt eine Diviston der Armee von Paris bestehen. Unsere Regimenter bebalten ihre Fahnen, unsere Offiziere behalten ihren Degen; Niemand wird als Kriegsgefangener aus der Umwallung herausgeführt. Niemals hat sich ein belagerter Platz
unter so ehrenvollen Bedingungen ergeben, und diese Bedingun⸗ gen wurden erreicht, als Hülfe unmöglich und das Brod ausgegan⸗
war.
Eadlich hat der abgeschlossene Waffenstillstand zur unmittelbaren
Folg⸗ die von Seiten der Regierung erlassene Einberufung einer ssemblée, welche souverän über Krieg und Frieden zu entscheiden
gen
. wird.
Das Kaiserthum unter seinen verschiedenen Formen bot dem
die Anknüpfung von Verhandlungen an. Die Assemblée
vird rechtzeitig zusammentreten, um diese Umtriebe zu vernichten und den Grundsatz der atronalsouveränität zu wahren. Frankreich allein wird über Frankreichs Geschicke entscheiden. Eile war nöthig, der Verzug war bei dem Zustande, in welchem wir uns befanden, die größte Gefahr. In acht Tegen wird Frankreich seine Vertreter gewaäͤhlt haben. Möge es die ergebensten, uneigennützigsten und un⸗
bestechlichsten wählen. 1 1“ Interesse für uns ist, wieder aufzuleben und die blu⸗
tenden Wunden des Vaterlandes zu heilen. Wir sind überzeugt, daß dieses blutbedecte, ausgeraubte Land wieder Ernten und Menschen hervo bringen, daß der Wohlstand nach so harten Prüfungen wieder⸗
ren wird, wenn wir unverzüglich die wenigen Tage recht benutzen, die uns noch zur Erholung und Berathung bleiben.
An dem Tage der Assemblée wird die Regierung die Gewalt in deren Hände legen. An diesem Tage wird Frankreich, wenn es die Augen auf sich lenkt, sich tief unglüͤcklich finden; aber wenn es sich zugleich durch das Unglück wieder gestählt und im vollen Besitze seiner Energte und seiner Souveränetät findet, so wird es wie er Vertrauen auf seine Größe und auf seine Zukunft fassen.
Paris, 4. Februar 1871. (Folgen die Unterschriften.)
— Paul Duval, erster Präsident am Appellhofe in Bordeaux, legt öffentlich Protest gegen Gambetta's Dekret ein, welches die Unabsetzbarkeit der Richter vernichtete, und spricht sein Ver⸗ trauen auf die Assemblée aus, welche »meine Akten und die Ihrigen beurtheilen und sagen wird, auf welcher Seite Pflicht⸗ treue und Achtung vor dem Gesetze sich befinden.« b
Interessant ist die folgende Stelle aus einem Briefe an die »Daily News« über die Stimmung der Pariser gegen Gambetta: Die berühmte Proklamation Gambetta’s bezüglich der Wahleinschränkungen wird im übrigen Frankreich wohl große Aufregung hervorgerufen haben, hier in Paris aber ist sie mit vollständiger Ruhe und mit wenig Sensation aufgenommen worden. Sie versetzte die Regierung aller⸗ dings in Aufregung, denn sie wurde dadurch insultirt, nicht aber das Volk von. Paris, welchem es ganz gleichgültig ist, ob die Regierung insultirt wird oder nicht, welches Gambetta noch für mehr todt hält, als selbst den armen Bourbaki, und welches gewiß wußte, die Central⸗Regierung würde ihn und seine Regierung desavouiren. Die Bevölkerung von Paris ist über Gambetta’s Anmaßung und Unfähigkeit entrüstet, sie wird seinen Fall nicht betrauern, und zum aller⸗ wenigsten, wenn sie einmal Alles zu hören bekommt, was noch über das Schicksal Bourbaki's zu sagen übrig bleibt.
— Bordeaux, in dessen Mauern sich in diesen Tagen die Konstituante versammeln wird, welche über Frankreichs Ge⸗ schick entscheiden soll, zählt ca. 195,000 Einwohner und ist der Knotenpunkt der Eisenbahnen: von Paris über Tours wie über Limoges, von Bayonne und Tarbes, von Cette über Toulouse, von Lyon über Périgeux, Aurillac, Saint⸗Etienne. Bordeaux ist die Hauptstadt des epartements Gironde, des Arrondissements und von 6 Kantons, der Sitz einer Prä⸗ fektur, eines Erzbischofs, von welchem 9 Suffragan⸗ Bischöfe abhangen, eines großen und eines kleinen Seminars, hat 16 Pfarreien, 1 reformirte Kirche und 1 Synagoge. In Bordeaux befindet sich der Kaiserliche Gerichtshof für die Gironde, Charente und Dordogne, ein Tri⸗ bunal erster Instanz, ein Assisenhof, ein Handelsgericht und ein Conseil de prud'hommes. An wissenschaftlichen Anstalten be⸗ sitzt Bordeaux eine Akademie, eine Fakultät für katholische Theologie, Wissenschaft und schöne Künste, eine Vorbereitungs⸗ schule für Mediziner und Pharmazeuten, ein Lyceum und viele andere höhere Lehranstalten, Navigationsschule, landwirthschaft⸗ liche Lehranstalt, Notariats⸗, Zeichen⸗, Maler⸗ u. s. w. Schulen, viele gelehrte Gesellschaften, eine Bibliothek von 140,000 Bänden, Gemäldegalerie, Waffenmuseum, Antikenkabinet, Museum für Naturgeschichte, botanischen Garten, Sternwarte u. s. w.
Bordeaux ist der Hauptort der 14. Militär⸗Division, das Standquartier des VI. Armee⸗Corps, zu welchem eine Salpeter⸗ raffinerie und ein Remontedepot gehören. In maritimer Be⸗ ziehung bildet Bordeaux ein Unter⸗Arrondissement vom 4. Ar⸗ rondissement (Rochefort).
Bordeaux Fabrikate sind hauptsächlich Branntweine, Ani⸗ s Seife nächstdem wird die Zuckerraffinerie (in 20 Eta⸗
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blissements) lebhaft betrieben, ebenso die Spinnerei von Wolle und Baumwolle, die Anfertigung von Decken, Teppichen, Fayence und Porzellan, Chokolade, Weinessig, Kartonagen und Konserven. Zum Schiffbau dienen 10 Werften, auf denen im Jahre 1867 47 Schiffe von 14,330 Tonnen erbaut wurden.
Der Hafen bildet eine 6 Kilometer weite halbkreisförmige Bucht (deshalb auch port de la Lune genannt), an welcher sich die Stadt entlang zieht. Sie gewährt hierdurch von allen französischen Städten den großartigsten Eindruck und wird wegen ihrer imposanten Lage vielfach mit New⸗Orleans ver⸗ glichen. Die Garonne hat zur Zeit der Fluth 10 —12 Meter Tiefe, so daß die größten Schiffe Zugang zum Hafen haben, welcher 1000 -1200 Schiffe faßt. Bordeaux steht mit allen Handelsplätzen der Erde im Verkehr; es bezieht namentlich viel Kohlen aus England (1857 960 Schiffe) und exportirt Gewebe, Zucker, Papier, Glas, Lederwaaren, Seide, Porzellan, Gemüse, Möbel, besonders aber Wein und Spirituosen. Der Wein⸗ export belief sich für Wein in Fässern in einem Cyklus von 89 Jahren im Minimum (1855) auf 326,920 Hektol., im Maximum (1851) auf 851,834 Hektol. In den Hafen liefen 1866 1659 Schiffe großer Fahrt von 451,929 Tonnen ein, 5728 Küstenfahrer (248,9076 Tonnen) und 124 für den Stock⸗ fischfang bestimmte Fahrzeuge (16,918 Tonnen).
Der auf dem rechten Ufer der Garonne belegene, durch Pépin⸗Lehalleur erbaute Bahnhof zeichnet sich durch seine Eisen⸗ konstruktion aus. Eine prachtvolle eiserne Brücke von 7 Jochen mit 50 bis 77 Meter Spannung verbindet den Bahnhof mit demjenigen der Südbahn auf dem linken Ufer der Garonne.
Die in den Jahren 1810 bis 1821 erbaute Brücke von Bor⸗ deaux, die einen herrlichen Blick auf die Stadt und den Hafen gewährt, wird aus 17 steinernen Bogen gebildet und ist auf jedem Ende durch einen auf dorischen Säulen ruhenden Por⸗ tikus begrenzt. Die Länge der Brücke beträgt 486,68 Meter, ihre Breite 14,86 Meter. Der Brücke gegenüber erhebt sich das Burgunderthor, früher Porte de Salinières, 1751 -— 1755 erbaut. Vordeaux ältestes Baudenkmal ist das römische Amphi⸗ theater (palais Gallien); es stammt aus dem Jahr 260 n. Chr. und faßte 25,000 Zuschauer. Seit 1792 ist es zum größten Theil zerstört. Die hervorragendste Kirche ist die Kathedrale Saint⸗André, 1096 durch Urban II. begonnen und zu verschie⸗ denen Epochen, meist gothisch, umgebaut. Das alte Königsthor in der Kathedrale soll von König Heinrich II. von England herstammen. Die Kirche ist 126 Meter lang, das Schiff 25 Meter hoch. Zwei Glockenthürme erheben sich zu 50 Meter Höhe. Nahe der Kirche befindet sich der Clocher⸗Pey⸗Berland, so benannt nach einem Bischof, der diesen 472 Meter hohen Thurm 1440 bei einer von Ausonius besungenen Quelle er⸗ bauen ließ. Seit 1863 ist dieser Thurm mit der kupfernen Kolossalstatue der heiligen Jungfrau gekrönt. Von den übrigen Kirchen sind Saint⸗Michel, Sainte⸗Croi „Saint⸗Seurin, Sainte⸗ Eulalie, Saint⸗Eloi, Saint⸗Bruno hi orische Baudenkmäler; die andern Kirchen stammen aus neuerer Zeit.
Unter den öffentlichen Gebäuden und Bauwerken sind hervorzuheben: die Präfektur (1775 erbaut); die Mairie, in dem alten erzbischöflichen Palais, mit werthvollen archivalischen Schätzen; das 7925 Quadratmeter einnehmende Palais de Justice, mit der Statue von Malesherbes, d'Aguesseau, Mon⸗ tesquieu und 1'Hôpital geschmückt; die Porte du Palais (Porte Royal, Porte Cailhau, 1495); die Porte de 1'Hötel de ville; das 18,000 Quadratmeter große Hospital Saint⸗André; die Kapelle des Lyceum mit dem Grabe Montaigne's, dessen Ori⸗ ginalbriefe auf der Mairie aufbewahrt werden. In der Mairie befindet sich auch das 461 Nummern umfassende Gemälde⸗ Museum. Im archäologischen Museum sind zahlreiche Waffen aus dem Mittelalter, in der Musée lapidaire viele epigraphische Denkmäler aus der Römerzeit gesammelt.
Das große Theater, 1777 — 1780 durch Louis erbaut, ist das größte und schönste Provinzial⸗Theater Frankreichs. Es ist 88 Meter lang, 47 Meter tief, 19 Meter hoch. Die Fagade wird durch 12 korinthische Säulen gehildet, denen 12 Figuren auf der Balustrade entsprechen. Ueber dem mit 16 jonischen Säulen geschmückten Vestibul befindet sich ein großer Concert⸗ Saal. Der, neuerdings restaurirte, Theater⸗Saal ist kreisrund und mit drei Reihen Logen versehen. Auch die Börse, die Douane, die Bank, die Münze und das Taubstummen⸗Institu sind sehenswerthe Gebäude. 8
Bordeaux hat zahlreiche öffentliche Plätze: Bourse, Richelieu, Comedie, Dauphine, Tourny mit der Sta des gleichnamigen Intendanten, Grandhommes, Aquitaine, Armes, Rohan. Der größte aller Plätze ist die place des Quinconces, an der Stelle des alten Schlosses Trompoöte, 390 Metres lang. Von den Quinconces führt eine 170 Meter breite
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