1871 / 92 p. 2 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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die Rechte der einzelnen Staaten, der Bundesglieder in den Vorder⸗ grund treten. G Bei den Worten »Reichsgebiet« und »Bundesgebiet« gebe ch g zu, der Unterschied sich nicht nothwendig nd scharf fühlbar macht. Es kommt aber auf den sprachlichen egriff an, den man mit »Reich⸗ und »Gebiet⸗ verbindet. Wir haben geglaubt, daß auch da, weil die Souveränetät, die Landeshoheit, die Territorialhoheit bei den einzelnen Staaten verblieben ist, bei Be⸗ eichnung des Gesammtgebietes der Begriff des Bundesverhältnisses in den Vordergrund zu stellen sei. Schärfer stellt es sich meines Er⸗ achtens heraus bei dem Ausdruck »Bundesrath« oder »Reichsrath«. Das Wort »Reichsrath« nach seinem bisherigen Gebrauch in Bayern und in Oesterreich führt leicht auf ein Mißverständniß bezüglich des Begriffs und der Aitributionen, ein Mißverständniß, was durch Nach⸗ lesen der Verfassung leicht aufgeklärt werden kann; indessen es fragt ch, ob es ein sprachlich berechtigter Ausdruck für die Sache sei. Die eichsräthe in Bayern und in Oesterreich sind bekanntlich parlamenta⸗ Ich halte auch dort die sprachliche Anwendbarkeit des für ganz unstreitig. Ich würde unter dem Reichsrath eher nach Analogie des Wortes »Staatsrath⸗« die Behörde verstehen, die in einem Reich diejenigen Funktionen versieht, welche in einem einzelnen Staat der Staatsrath ausübt. Der Bundesrath ist nicht eigentlich eine Reichsbehörde. Er vertritt das Reich als solches nicht; das Reich wird nach außen durch Se. Majestät den Kaiser vertreten, das gesammte Volk wird durch den Reichstag ertreten, der Bundesrath ist nach unserer Auffassung recht eigentlich eine Körperschaft, in welcher die einzelnen Staaten zur Ver⸗ tretung gelangen, die ich nicht als centrifugales Element, aber als die Vertretungen berechtigter Sonderinteressen bezeichnen möchte, und wir halten diesem Berufe des Bundesraths Fersde das Wort Bundesrath« für entsprechend, während wir befürchtet haben, durch das Wort »Reichsrath⸗ die staatsrechtliche Stellung dieser Korpora⸗ tion zu verdunkeln und nicht mit dem richtigen Namen zu bezeichnen; und ohne dieser Frage eine sehr wesentliche prinzipielle Bedeutung bei⸗ zulegen, würde es den verbündeten Regierungen doch willkommen sein wenn der Reichstag die entgegenstehenden Bedenken überwinden und sich die Auffassung der Regierung aneignen wollte. Nach dem Abgeordneten Lasker erklärte der Bundeskanzler: 3 Ich kann mich der soeben geäußerten Ansicht nur aus voller Ueberzeugung anschließen, nicht nur im eigenen Namen, sondern auch im Namen des Bundesraths, der dieselbe Ansicht in seinen Motiven bereits angedeutet hat, und ich habe nicht nöthig, nach den beredten Worten, mit denen dies soeben befürwortet worden ist, meinerseits noch etwas hinzuzufügen. 3 Se. 1 1 Nach dem Abgeordneten Dr. Hänel ergriff Fürst von Bis⸗ marck noch einmal das Wort: . Ich appellire an bessere Kenner unserer sprachlichen Quellen und Zusammenhänge, wenn ich die Frage stelle: ist das Wort Reichs⸗ gebiet⸗ überhaupt sprachlich hergebracht, ist es nicht eine Art von Tau⸗ ologie, liegt nicht in dem Worte »Reich⸗ schon die Bezeichnung des Bereichs und des Gebiets? Ich will es nur anregen, weil meinem sprachlichen Ohr das Wort »Reichsgebiet« widerstrebt, während das Wort „Bundesgebiet« gebräuchlicher ist. Ich würde dann lieber vor⸗ schlagen, an solchen Stellen, wo das Bedürfniß dazu vorhanden ist, das Wort »Deutschland« oder »Reich« zu gebrauchen, obschon man dann möglicherweise in Unverständlichkeiten verfallen kann; ich über⸗ sehe im Augenblick die einzelnen Texte nicht; ich habe nur das Be⸗ dürfniß, wiederholt zu konstatiren, daß uns keine prinzipiellen Ansich⸗ ten scheiden, sondern nur sprachliche. b Der Antrag des Abgeordneten Duncker wurde abgelehnt und die Ueberschrift unverändert angenommen. Zu Artikel 1 des Gesetzes: »Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg, Bayern u. s. w.« lag ein Antrag des Abgeordneten Dr. von Zoltowski und Ge⸗ nossen vor: Der Reichstag wolle beschließen: in Erwägung, daß die Polen zu allen Zeiten auf den betreffenden Repräsentativ⸗Versammlungen ihre national⸗politischen Rechte durch Proteste gewahrt haben, und insbesondere in Erwägung, daß am 18. März 1867 die Polen auf dem Reichstage des Norddeutschen Bundes gegen die Kompetenz des Reichstags protestirt haben, die ehemaligen polnischen Landestheile durch einseitigen Beschluß dem Norddeutschen Bunde einzuverleiben, in Erwägung, daß den unter preußischer Herrschaft stehenden polni⸗ schen Landestheilen, die übrigens auch zum ehemaligen deutschen Bunde nicht gehört haben, durch die Wiener Kongreß⸗Akte ihre nationale Sonderstellung, Deutschland gegenüber feierlich gewähr⸗ leistet ist, in Erwägung, daß eine derartige auf internationa⸗ len Verträgen gegründete Garantie weder von einem der kontrahirenden Theile, noch durch Beschluß irgend einer Volks⸗ uj einseitig aufgehoben werden kann, in Erwägung, daß Deutschland seine letzten großen Erfolge einer Politik ver⸗ dankt, we che sich auf dem Nationalitätsprinzipe und dem historischen Rechte gründet, in Erwägung, daß die Achtung Deutschlands vor den Prinzipien, die es für sich selbst in Anspruch nimmt, unmöglich ge⸗ statten kann, daß es, anderen Nationalitäten gegenüber, die Anwen⸗ dung dieser Prinzipien versagen koͤnnte, in 1] endlich, daß, übereinstimmend damit, die Thronrede vom 21. März 1871 fol⸗ gende Worte enthält: »die Achtung, welche Deutschland für seine eigene Selbständigkeit in Anspruch nimmt, zollt es bereitwillig der Unabhängigkeit aller anderen Staaten und Völker, dem schwachen wie dem starken⸗; im Art. 1 des Gesetzentwurfs, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs: 1) daß es nicht zur Kompetenz des Reichstages des Deutschen Reiches gehört, die ehema⸗ maligen polnischen Landestheile, die unter Preußens Herrschaft stehen,

in das Deutsche Reich einzuverleiben, und folgerecht 2) zwischen die

auch die Sprache dieser Bevölkerung sein mag.

Worte: »Preußen mit Lauenburg« und »Bayern« die Worte: »mit Ausschluß der unter preußischer Herrschaft stehenden polnischen Landes⸗ theile« aufzunehmen. 8 An der Diskussion betheiligten sich die Abgeordneten Dr. oltowski, v. Krzysanowski, Frhr. v. Unruh⸗Bomst, v. Hennig, r. v. Niegolewski, v. Mallinckrodt, Schraps, Ewald und Dr.

Dove.

Nach dem Abgeordneten Dr. Zoltowski griff der Bundes⸗ kanzler Fürst v. Bismarck in die Diskussion ein:

Wir sind nicht zum ersten Mal damit beschäftigt, die Prinzipien⸗ fragen zu erörtern, die der Herr Vorredner hier angeregt hat. Ich darf mich deßhalb wohl auf eine kurze Erwiderung und auf die steno⸗ graphischen Berichte frühere: Sitzungen des Reichstages sowohl, wie des Preußischen Landtages in Betreff des Nachweises der Unrichtigkeit in dem vorliegenden Verbesserungsantrag und in den Worten des Herrn Redners beschränken und mich hier damit begnügen, die einzel⸗ nen dieser Unrichtigkeiten hervorzuheben und in Bezug auf die Motivi⸗ rung Fenes Ansicht auf die fruüͤher geltend gemachten Argumente zu verweisen

Ich bestreite dem Herrn Vorredner und seinen Mitantragstellern zunächst das Recht, sich hier auf die Worte der Thronrede zu be⸗ rufen. In der Thronrede ist die Rede von anderen Völkern und Staaten, deren Selbstständigkeit geschont werden soll. Die Herren gehören zu keinem anderen Staate und zu keinem anderen Volke, als zu dem der Preußen, zu dem ich selbst mich zähle, und können Posen und Westpreußen, langjährige Bestandtheile der preußischen Monarchie, nicht zu denjenigen andern Völkern und Staaten zählen, welche in der Thronrede gemeint sind. Es ist das eine der Fiktionen, die den Blick trüben und das Urtheil fälschen.

Ich bestreite den Herren ferner das Recht, im Namen der Be⸗ völkerung irgend eines preußischen Landestheiles zu sprechen, welches Ich will nicht daran erinnern, daß Sie gesetzmäßig hier nur die Gesammtheit des Volks und nicht einen einzelnen Landestheil vertreten, und keine Spezial⸗

bei einer früheren Gelegenheit gründlicher nachgewiesen habe, daß Ihre Wähler mit dem, was Sie hier angeblich im Namen Ihrer Wähler erklären, nicht einverstanden sind, und daß die Sache von solcher Notorietät ist, daß ich mich darüber jedes Be⸗ weises überhoben halten kann. Ihre Landsleute haben mit demselben Muthe und mit derselben Hingebung für die Sache, welche uns hier vereint, gestritten, wie die Bewohner jedes anderen Theils von Preußen, und Ihre Landsleute, die Sie hier vertreten, sind für die Segnungen der preußischen Kultur gerade so dankbar, wie die Be⸗ wohner Schlesiens und anderer Provinzen.

Ich bestreite Ihnen ferner und ich glaube, es geschieht von dieser Stelle schon zum zehnten Male das Recht, sich auf einen Vertrag für Sonderstellung einzelner Provinzen im preußischen Stagat zu berufen. Sie haben es stets sorgfältig vermieden, diese Verträge ihrem vollen Wortlaute nach anzuführen. Ich habe im preußischen Land⸗ tage an dieser Stelle Gelegenheit gehabt, dies wörtlich nachzuweisen, und nur, weil Sie hier unrichtige Behauptungen wiederholen, muß ich auch meinen Widerspruch dagegen wiederholen. Es wäre die Existenz des Großherzogthums Posen und Westpreußens im preußischen Staat, wie sie seit einem halben Jahrhundert ist, nicht möglich gewesen, wenn etwas Derartiges, wie Sie stets wiederholt anführen, in den Verträgen stipulirt wäre.

Ich moͤchte Sie dann auch daran erinnern, uns mehr durch das Beispiel der Duldsamkeit, als durch Ihre Worte zu belehren. Wie hat sich denn die polnische Nation zu der Zeit, wo sie sc war, gegen die von ihr mit dem Schwert Unterworfenen verhalten Wollen Sie uns das Benehmen, welches Sie gegen die Ruthenen, gegen die unter Ihrem Scepter lebenden Russen, gegen die Litthauer ja gegen die Deutschen beobachtet haben, zum Muster empfehlen

dig unerträglich werden, wenn wir Sie so behandeln wollten, wie Sie die durch Eroberung unterworfenen Deutschen behandelt haben.

Die Herren, die sich mit der Spezialgeschichte von Westpreußen vertraut gemacht haben, werden sich erinnern, daß wir in diesen Tagen einen Gedächtnißtag für die Stadt Thorn haben feiern können, wo die polnischen Herrscher es den Deutschen mit blu⸗ tiger Schrift bewiesen haben, wie sie nationale Sonderbestre⸗ bungen zu behandeln entschlossen waren. Fürchten Sie nicht, meine Herren, daß wir aus diesen historischen Reminiscenzen, zu denen Sie mich wider meinen Willen zwingen, irgend ein Beispiel oder eine Empfindlichkeit übernehmen. Die verbündeten Regierungen und ins⸗ besondere Ihre Landesregierung, die Königlich preußische, wird fort⸗ fahren, in den Bestrebungen die Segnungen des Rechtsschutzes und der Gesittung unter den Dankbaren und unter den Undankbaren zu 25 glücklicherweise sind die Dankbaren in der Mehrheit auch vei Ihnen. b

Nach dem Ageordneten Dr. v. Niegolewski nahm der Bun⸗ deskanzler noch einmal das Wort:

Meine Herren! Ich fühle, daß ich den Erwartungen der Ver⸗ sammlung mehr entsprechen würde, wenn ich jetzt nicht das Wort ergriffe. Ich thue es nur darum, um zu verhüten, daß eines jener Schlagwörter mehr in die Welt gesetzt werde, von denen ich an mei⸗ ner Stelle nicht selten durch das Wohlwollen meiner parlamenta⸗ rischen Gegner zu leiden gehabt habe, und so noch bis in die Tage des jetzigen franzoͤsischen Krieges hin an dem Worte des Grafen Schwerin: »La force prime le droit, Gewalt geht vor Recht«⸗, was ich bekanntlich niemals gebraucht habe. Nun habe ich

sich ein neues Schlagwort vorbereitet: ⸗Wir sind kein Volk«⸗ Ja, damit kann man viel Mißbrauch treiben; es kommt darauf an, was

mandate haben können; ich will nur daran erinnern, was ich Ihnen 8

Dann, meine Herren, würde Ihre Existenz in diesem Lande vollstän-

aus der Betonung des letzten Herrn Redners vermuthet, daß auch er

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man unter dem »wir« versteht. In meinem Sinne verstehe ich unter dem »wir« und damit unterschreibe ich vollständig den Satz die etwa zwanzig Herren Abgeordneten, die sich hier als Volk geriren, und zwar als polnisches Volk. Sie, meine Herren, Sie sind wirk⸗ lich kein Volk, auch vertreten Sie kein Volk, Sie haben kein Volk hinter sich, Sie haben nichts hinter sich als Ihre Fiktionen und Ihre Illu⸗ sionen, und zu denen gehört u. A., daß Sie vom polnischen Volke hierher in den Reichstag gewählt seien, um die polnische Nationalität zu vertreten. Ich weiß auch etwas davon, wozu Sie gewäblt wor⸗ den sind. Ich habe es Ihnen schon bei früheren Gelegenheiten aus⸗ einandergesttzt und kann Ihnen darüber auch jetzt näbere Spezialitä⸗ ten geben: Sie sind gewählt, um die Interessen der katholischen Kirche zu vertreten, und wenn Sie das thun, sobald diese Interessen in Frage kommen, so werden Sie Ihre Schuldigkeit gegen Ihre Wähler er⸗ füllen. Denn dazu sind Sie ehrlich gewählt, dazu haben Sie das volle Recht; aber hier das polnische Volk oder die polnische Nationa⸗ lität zu vertreten, dazu haben Sie das Mandat nicht; ein solches Mandat hat Ihnen kein Mensch gegeben, und das Volk im Groß⸗ herzogthum Posen und in Westpreußen am allerwenigsten; es theilt nicht die Fiktionen, die Sie vertheidigen: daß die polnische Herrschaft gut gewesen wäre oder nicht schlecht, wie der Herr Vorredner sich ausdrückte. Bei aller Unparteilichkeit und bei aller Neigung, gerecht zu sein, kann ich Ihnen versichern, sie war ganz herzlich schlecht, und darum wird sie niemals wiederkommen!

Das Amendement der Abgeordneten Dr. Zoltowski und Genossen wurde verworfen und §. 1 mit großer Majorität an⸗

genommen. . 8

„Es folgte die Berathung über folgenden Antrag der Abgg. Reichensperger (Olpe) und Genossen:

Der Reichstag wolle beschließen, in die Verfassung des Deutschen Reiches hinter Art. 1 die nachfolgenden Zusatzbestimmungen aufzu⸗ nehmen und demgemäß die Nummern der weiteren Artikel abzu⸗ ändern: II. Gru drechte. Art. 2. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Censur darf nicht eingeführt werden; jede andere Beschränkung der Preßfreiheit nur im Wege der Gesetzgebung. Artikel 3 Vergehen, welche durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung begangen werden, sind nach den all⸗

emeinen Strafgesetzen zu bestrafen. Artikel 4. Alle Deut⸗ chen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß des Gesetzes unterworfen sind. Art. 5. Alle Deutschen haben das Recht, sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwider⸗ laufen, in Gesellschaften zu vereinigen. Das Gesetz regelt, insbeson⸗ dere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, die Ausübung des in diesem und dem vorstehenden Artikel (4) gewährleisteten Rechts. Politische Vereine können Beschränkungen und vor⸗ übergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen wer⸗ den. Art. 6. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Ver⸗ einigung zu Religions⸗Gesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religions⸗Uebung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch eschehen. Art. 7. Die evangelische und die römisch⸗katholische Kirche, owie jede andere Religions⸗Gesellschaft, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt im Besitz und Genuß der für ihre Kultus⸗, Unterrichts. und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten An⸗ stalten, Stiftungen und Fonds.

Zu dem Antrage Reichensperger stellen die Abgg. Sonne⸗ mann und Genossen folgenden Verbesserungs⸗Antrag:

Zum Art. 2. Den zweiten Satz dieses Artikels durch folgenden Passus zu ersetzen: Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Censur, Konzessionen, Sicherheitsbestellungen, Staats⸗Auflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hem⸗ mungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben ven. Zum Art. 3. Diesen Satz durch folgenden Passus zu er⸗ etzen:

Ueber Preßvergehen, welche von Amtswegen verfolgt werden, wird durch Schwurgerichte geurtheilt. Zum Art. 4. Derselbe soll. folgende Fassung erhalten: Die Deutschen haben das Recht, sich fried⸗ lich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubniß bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ver⸗ boten werden. Zum Art. 5. Diesen Artikel folgendermaßen zu fassen: Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden.

Nachdem der Abg. Reichensperger für seinen Antrag und der Abg. v. Treitschke gegen denselben gesprochen hatte, wurde die Vertagung der Diskussion beschlossen. Der Bundeskanzler Fürstvon Bismarck ergriff hierauf das Wort:

Die Vorlagen, welche von Seiten der Regierungen noch gemacht werden sollen, sind: erstens, das Militär⸗Pensionsgesetz, zweitens: der Nachtragsetat für 1871, drittens: ein Gesetz wegen Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen Reiche, viertens: ein Gesetz, betreffend die Ausgabe von Inhaberpapieren mit Prämien.

Weniger klar liegt die Zukunft einer Gesetzvorlage, bezüglich der Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, weil im Bundesrath die Be⸗ rathungen nicht soweit vorgeschritten sind, daß ich mit Sicherheit die Vorlage auch dann in Aussicht nehmen könnte, wenn im Reichstag das Bedürfniß üher zu schließen, vorhanden sein sollte.

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Was uns außerdem an Berathungen des Reichstages die aus⸗ wärtigen Verhältnisse bringen können, entzieht sich für den Augenblick meinem Urtheil, wir müssen die Entwicklung der Ereignisse in Frank⸗ reich meiner Ueberzeugung nach noch eine kurze Zeit hindurch abwar⸗ ten Die verbündeten Regierungen haben das Interesse und den Willen, der Regierung der französischen Republik, mit welcher sie den Praͤliminarfrieden in Versailles geschlossen haben, ihre Aufgaben zu erleichtern, soweit es irgend möglich ist, ohne durch Einmischung 83 die inneren Angelegenheiten Frankreichs sie zu erschweren. Die Grenze ist dabei schwer zu finden, und mehr für ein französisches Auge er⸗ kennbar, als für einen Fremden, und es ist bisher die Absicht Sr. Majestät des Kaisers und der verbündeten Regierungen, sich nach wie vor jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs und jeder Bestimmung über die Zukunft eines großen Nachbar⸗ volkes zu enthalten. Daß dieser Entschluß nur bis zu der Grenze durchgeführt werde, wo die Interessen Deutschlands durch weitere Enthaltung gefährdet werden, wo namenllich die Erge nisse des Präliminarfriedens dadurch in Frage gestellt werden könnten, daß eine faktische Regierung in Frankreich, sei es die jetzige, sei es eine künftige, ich will nicht sagen, den Willen, wohl aber die Macht nicht hätte, ihn aus⸗ zuführen; wo diese Grenze eintritt, kann nur die Zukunft lehren. Sollte sie erreicht werden, nach der Ueberzeugung, die nur aus der Gesammt⸗ lage der Politik Europas sowohl, wie Frankreichs ihre Elemente und

die Gründe der Entschließung entnehmen kann, sollte sie erreicht wer⸗

den, dann würden wir mit Bedauern, aber mit derselben Entschlossen⸗

heit, mit der wir bisher gehandelt haben, das Nachspiel dieses Krieges

zu Ende führen.

Um 4 ¾¼ Uhr wurde die Sitzung geschlossen.

Die Osterferien des deutschen Reichstages sollen am Mitt⸗

woch Abend beginnen und bis zum Mittwoch nach dem Oster⸗

feste dauern. 8 Nächste Sitzung: Montag, Mittags 12 Uhr.

Tagesordnung: Fortsetzung der Debatte über den Geset⸗

entwurf, betreffend die Verfassung des Deutsche

n.Reiches.

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Straßburg, 1. April. (W. T. B.) Die »Straßburger Zeitung« veröffentlicht ein Schreiben des Fürsten Bismarck an die Delegirten der Straßburger Handelskammer aus Berlin, den 26. März. Das Schreiben besagt, daß beim Bundesrathe und beim Reichstage die Bewilligung der Mittel beantragt werden wird, welche erforderlich sind, um den Bewohnern des Elsaß und Lothringens Ersatz für die erlittenen Kriegsschäden nach den Grundsätzen und in demselben Umfange zu gewäh⸗ ren, wie sie den Bewohnern der übrigen Theile Deutschlands in analogen Fällen vergütet werden würden.

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Frankreich. Paris, 31. März. (W. T. B.) Gestern Abend erschienen Abgesandte der Kommune mit National⸗ garden vor dem Postgebäude, um die Uebersiedelung der Post⸗ behörden nach Versailles zu hindern. Da sich alle höheren Postbeamten bereits nach Versailles begeben haben, so ist der Postdienst heute völlig desorganisirt. Dem »Cri du peuple⸗ zufolge wurde die Verhaftung des Postdirektors Rampont vom Sicherheitsausschuß deshalb angeordnet, weil derselbe im Ein⸗ verständnisse mit der Regierung in Versailles seine Untergebenen um Ungehorsam verleitet habe. Angesichts des Ernstes der age wurden die Mitglieder der verschiedenen Kommissionen mit den weitgehendsten Vollmachten versehen.

Neichstags⸗Angelegenheiten

Berlin, 2. April. In der gestrigen Sitzung des Reichs⸗ tages antwortete der Königlich sächsische Bundesbevollmächtigte Staats⸗Minister Freiherr von Friesen in der Diskussion über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung des 11““ für 1871, auf eine Anfrage des Abg.

quéêl:

Ich wollte mir nur erlauben, auf die Anfrage, welche der geehrte Herr Abgeordnete Miquél an die Bundesregierungen gerichtet hat, einige Worte zu erwiedern. Diese Anfrage bezog sich auf den §. 2 des Gesetzes. Durch diesen Paragraph hat zunachn nur ausgesprochen werden follen, daß nur diejenigen Staaten überhaupt zum Bau bei⸗ zutragen haben, welche die Post gemeinschaftlich haben, also Bayern und Württemberg nicht. Ueber die Frage, in welcher Weise diese Kosten unter die übrigen Staaten zu vertheilen sind, hat durch diesen Paragraphen noch keine Entscheidung gegeben werden sollen. Entscheidung wird erst erfolgen können, wenn die Vorlage über die Vertheilung der Matrikularbeiträge für das Jahr 1871, die sich be⸗ fehes beim in Berathung befindet, an den Reichstag ge⸗ angen wird.

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