1871 / 179 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 25 Nov 1871 18:00:01 GMT) scan diff

Im weitern Verlauf der gestrigen Reichstagssitzung sprachen nach dem Abg. Römer (Hildesheim) noch der Staats⸗ Minister Delbrück, sowie die Abgg. Graf Münster, Dr. Braun (Gera), Dr. Thomas, Dr. Lieber und Duncker über das Pro⸗ gramm für den Entwurf zu einem Parlamentsgebäude. In der Abstimmung wurde der Antrag Römer (Hildesheim) wegen Beschränkung der Konkurrenz auf deutsche Architekten abge⸗ lehnt, ebenso die von dem Abg. Dr. Thomas beantragte Zu⸗ lassung von einem Kunsthistoriker zu der Jury; dagegen ge⸗ nehmigte das Haus die Aufnahme eines Bildhauers in dieselbe. Die drei Anträge des Abg. v. Unruh (Magdeburg) wurden dann mit der vom Abg. Dr. Braun (Gera) vorgeschlagenen Modifikation, die bisherigen vom Reichstag ernannten Mit⸗ glieder der Kommission durch Akklamation wieder zu wählen und den Bundesrath zur Wahl nicht von »drei⸗, sondern von »weitern« Mitgliedern aufzufordern, genehmigt. Damit war der Etat des Reichstags erledigt. b 1

In dem Etat der Ein nahmen des Reichs führt Kap. 7 aus der Reichsanleihe die Summe von 1,220,000 Thlrn. für Marinezwecke auf. Der aeer beantragte, diese 1,220,000 Thaler nicht aus der Anleihe von 1867 zu realisiren, sondern diese Summe der französtschen Kriegsentschädigung zu ent⸗ nehmen. Nach einer längeren Diskussion zwischen dem Staats⸗

Minister Delbrück und dem Bundeskommissar Geheimen Rath Dr. Michaelis einer⸗ und den Abgg. Lasker, v. Benda, v. Kardorff und Frhr. v. Hoverbeck andererseits wurde der Laskersche An⸗ trag mit großer Majorität angenommen. Die 1,220,000 Thaler als Einnahme aus der Reichs⸗Anleihe wurden gestrichen und demgemäß auch in dem Ausgabe⸗Etat die Zinsen für diese An⸗ leihe von 509,000 Thlrn. auf 482,000 Thlr. herabgesetzt.

Zum Abschnitt II. der einmaligen Ausgaben beantragte der Abg. Lasker folgendes neue Kapitel hinzuzusetzen:

Zu eisernem Vorschusse für die Verwaltung des Reichsheeres 6,270,000 Thlr. mit der Bemerkung: Die Vertheilung dieser Summe auf die einzelnen selbständig verwalteten Kontingente erfolgt nach dem Verhältniß der Friedenspräsenzstärke. .

Dieser Antrag wurde unter Zustimmung des Staais⸗ Ministers Delbrück angenommen; desgleichen folgende damit in Verbindung stehende Resolution:

Den Reichskanzler aufzufordern, dafür Sorge zu tragen, daß die Bestände des eisernen Fonds für die Verwaltung des Reichsheeres und des Fonds der Reichskasse in dem Haushalts⸗Etat des nächsten und der folgenden Jahre nachgewiesen werde. -

Desgleichen die folgende Fassung des Kap. 8 der Einnah⸗ men: Kap. 8. Aus der französischen Kriegsentschädigung: Tit. 1. Für den Betriebsfonds der Reichskasse 3,750,000 Thlr., Tit. 2. Zu den Ausgaben der Marineverwaltung (Gesetz vom 9. November 1867) 1,220,000 Thlr.; Tit. 3. Zu eisernen Vor⸗ schüssen für die Verwaltung des Reichsheeres 6,270,000 Thlr. Tit. 4. Für die Reichsschuld 3,500,000 Thlr.; Tit. 5. Für den Ober⸗Rechnungshof 20,000 Thlr. Summa 14,762,000 Thblr.

Nachdem dieser Theil des Bundeshaushalts in zweiter Be⸗ rathung erledigt war, wurde der Gesetzentwurf, betreffend die Einführung der Maß⸗ und Gewichtsordnung in Bayern, in dritter Lesung definitiv genehmigt, und werden die auf ihn be⸗ züglichen Petitionen, statt der Meile von 7500 Metern (Art. 4 der Maß⸗ und Gewichtsordnung) den Kilometer in Anwendung u bringen, der Berücksichtigung des Reichskanzlers überwiesen,

achdem der Staats⸗Minister Delbrück erklärt hatte, daß die Stellung des Bundesrathes zu diesen Petitionen, welchen er eine eingehende Erwägung nicht versagen werde, noch nicht entschieden sei. 8 8 8

Damit war die Tagesordnung erleditt. Die heutige 31. Plenarsitzung des Reichstages, an welcher am Tische des Bundesrathes die Staats⸗Minister Delbrück, von Lutz, von Pfretzschner und andere Bevollmäch⸗ tigte Theil nahmen, wurde von dem Vorsitzenden, Vize⸗Prä⸗ sidenten Fürst zu Hohenlohe⸗Schilli gsfürst mit der Mitthei⸗ lung eröffnet, daß der Präsident Dr. Simson noch immer durch Krankheit verhindert sei, im Hause zu erscheinen, daß er jedoch die Wiederwahl zum Präsidenten mit Dank annehme. Die Interpellation des Abgeordneten Richter, betreffend die gerichtliche Untersuchung der bei der Wahl des Grafen zu Schulenburg⸗Beetzendorf vorgefallenen Fälschungen, wurde von dem Interpellanten zurückgezogen, nachdem durch das Bureau des Hauses ein Schreiben des Staats⸗ Ministers Grafen Eulenburg verlesen worden, in welchem die Verurtheilung der der Wahlfälschung angeklagten Personen mitgetheilt wurde. Das Haus trat sodann in die zweite Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Einfügung des fol⸗ genden Paragraphen in das Strafgesetzbuch:

Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Aus⸗ übung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religlösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer Weise, welche den öffentlichen Frieden zu stören geeignet erscheint, zum Gegenstande einer Verkün⸗

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digung oder Erörterung macht, wird mit Gefängniß bis Jahren bestraft.

Hierzu beantragt Abg. Dr. Windthorst (Meppen):

J. In dem eingebrachten §. a.:

1) in Zeile 2 die Worte: voder in Veranlassung der Ausübung⸗ zu streichen;

2) in Zeile 5 statt der Worte: »Angelegenheiten des Staates⸗ zu setzen: »Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit⸗;

3) in Zeile 5 u. flg. statt der Worte: in einer Weise, welche den oͤffentlichen Frieden zu stöͤren geeignet erscheint, zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht«⸗, zu setzen: »in einer den oͤffent⸗ lichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündi⸗ gung oder Z macht⸗;

.4) in Zeile 7 zwischen den Worten: »wird mit⸗« und »Gefangniß⸗« einzufügen »Geldstrafe bis zu 200 Thalern oder«.

IlL. Als Zusatz auszunehmen:

6 8 vfsselchang 8. Ketlche nuinge wegen dieses Vergehens er⸗ olgt in denjenigen Staaten, in welchen Geschworne buss das SeWärcgericht. 8 dW

Der Abg. Kastner will das Wort: verscheint« durch das Wort eist« ersetzen und hinter dem Wort⸗»Gefängniß« einfügen: »oder Festungshaft.«

Der Abg. Graf v. Maltzan erklärte sich gegen das Gesetz. Er sei zwar kein Freund der Ultramontanen, glaube jedoch, daß sich ein Gesetz nicht in die politischen Gegensätze mischen dürfe, sondern über den Strömungen des Tages een müsse.

Abg. Richter sprach sich gleichfalls gegen die Vorlage aus, da er ein Gesetz nicht billigen könne, das keinen andern Zweck habe, als eine bestimmte politische Partei niederzuhalten.

Der Abg. v. Schauß begründete die Vorlage durch eine Schilderung der Verhältnisse Bayerns. Dort greife die Kirche direkt in den Staat ein, indem sie ihren Wirkungskreis auf das ganze Rechtsgebiet ausdehne. Diesem Bestreben, die staat⸗ liche Autorität zu untergraben, einigermaßen ein Ziel zu setzen, sei der Zweck der Vorlage.

Bei Schluß des Blattes hatte der Abg. Dr. Windthorst

(Meppen) das Wort, um die Vorlage zu bekämpfen und seinen

Abänderungsantrag zu empfehlen.

In Folge eines von dem Vereins⸗Bevollmächtigten zu Darmstadt gestellten Antrages, betreffend die Aufhebung der Deklarationsregister und Führung der Begleitzettel⸗ Empfangsregister, hat der Bundesrath auf den Bericht der Ausschüsse für Zoll⸗ und Steuerwesen sowie für Handel und Verkehr in der Sitzung vom 12. d. M. beschlossen: Die Ver⸗ schmelzung des Begleitzettel⸗Empfangsregisters (Formular Muster E. zum Eisenbahnregulativ) mit dem Deklarationsregister kann auf Grundlage des zu diesem Behufe vorgeschlagenen Formulars vorgeschrieben werden.

In öffentlichen Blättern ist Klage darüber geführt, daß der Andrang von Militär⸗Anwärtern zum Eisenbahn⸗ dienste eine Veränderung der bei den Bahnverwaltungen hinsichtlich der Annahme von Unterbeamten bestehenden Praxis herbeiführen werde, nach welcher bisher die zur Verrichtung des niederen Dienstes mitherangezogenen, im Tagelohnverhältnisse beschäftigten Arbeiter, sofern sich dieselben durch tüchtige Leistun⸗ gen das Vertrauen ihrer Vorgesetzten erwarben, in Unter⸗ beamten⸗Posten zur Anstellung gelangten. Es wird deshalb die Befürchtung ausgesprochen, daß zum Nachtheile des Dienstes der Eifer der Arbeiter, denen die Aussicht auf Anstellung jetzt benommen sei, geschwächt und ihre Disziplin gelockert wer⸗ den würde.

Diese Befürchtung entbehrt der Begründung, da Mit⸗ theilungen aus zuverlässiger Quelle zufolge auf die unteren Eisenbahn⸗Dienststellen nur eine so geringe Zahl von Militär⸗ Anwärtern reflektirt, daß die Bahnverwaltungen sich nach wie

vor in der Lage befinden, bei Besetzung gedachter Stellen zum

größten Theile erprobte Arbeiter berücksichtigen zu können.

von Funchal eingetroffen. An Bord Alles wohl.

Hannover, 24. November. Der König von Däne⸗ mark traf heute Nacht, von Harburg kommend, hier ein und setzte die Reise über Frankfurt a. M. nach Griechenland fort.

Sachsen⸗Altenburg. Heute Vormittags 10 ¾ Uhr versammelte sich die Landschaft des Herzogthums zum ersten Male wieder in der Aula des Josephinums, um die gegen Ende vorigen Jahres abgebroche⸗ nen Arbeiten wieder 1 Die Registrande brachte

eine Anzahl Höchster Erlasse, so namentlich über den Verkauf der Herzoglichen Domanialbrauerei zu Ehrenberg, die Netto⸗ Erträgnisse der domanial⸗ fiskalischen geschlossenen Güter und Einzelgrundstücke, eine Abänderung der Vorschrift in §. 4

des Mandats vom 2. September 1811, den Entwurf zu einem Gesetze über die Ergänzung und Erläuterung der bestehenden Sporteltaxgesetze, den Gesetzentwurf über Ab⸗

änderung mehrerer Bestimmungen in den §§. 143 und 145

Altenburg, 22. November.

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dden Entwurf eines Regulativs wegen der Staatsdiener⸗Witt⸗

wen⸗Societät, den Entwurf einer Novelle zu dem Gesetze über die Besoldungsverhältnisse der Volksschullehrer vom 16. Juli 1862, den §. 8 der Ausführungsverordnung zu dem Bundes⸗ gesetz über den Unterstützungswohnsitz, den Entwurf einer No⸗ velle zu §. 20 des Gesetzes vom 30. Mai 1862 über die Kirchen⸗ und Schullasten, den Entwurf eines allgemeinen Berggesetzes und den Entwurf eines die Rechtsverhältnisse des Kohlenberg⸗ baues betreffenden Gesetzes, den Entwurf einer Novelle zu dem Gesetz über die Klassen⸗ und klassifizirte Einkommensteuer vom 17. März 1868, endlich auch einen Antrag, die Zurückziehung der Ausschreibung des für den 1. Dezember d. J. ausgeschrie⸗ benen halben Monatsbetrags der Klassen⸗ und klassifizirten Einkommensteuer betreffend, dessen schleunige Ueberweisung an die Finanzdeputation vom Abg. Laurentius noch besonders befürwortet wurde.

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Coburg, 23. November. Nachdem der Landtags⸗Ausschuß bezüglich der Vorlage über die Bewilligung von Theuerungszulagen für Staatsdiener und Volksschullehrer die Kenntnißnahme und Beschlußfassung des Landtags für nöthig erachtet hat, wird der Landtag auf Grund §. 8 Art. 4 der Verfassung auf nächsten Montag einberufen werden.

DOesterreich⸗-Ungarn. Wien, 23. November. Die Erzherzogin Maria Immaculata, Gemahlin des Erzherzogs Karl Salvator, ist gestern zu Brandeis an der Elbe von einem Prinzen glücklich entbunden worden. Die Wöchnerin und der neugeborene Erzherzog befinden sich wohl.

Der Herzog Max von Württemberg ist am 20. d. M. Abends, von Wien kommend, in Pesth eingetroffen.

Graf Beust ist gestern noch von dem Feldmarschall Erzherzog Albrecht mit einem wiederholten Besuche beehrt worden. Heut empfing ihn der Kaiser in Abschiedsaudienz. Heute Nach⸗ mittags reist Graf Beust und zwar zunächst nach Muͤnchen, mit dem Schnellzuge ab.

Graf Bohuslaw Chotek reist nach Petersburg ab, um dort sein Abberufungsschreiben zu überreichen und seinen Haus⸗ stand aufzulösen.

In Oesterreich Ungarn ist das im Jahre 1872 einzu⸗

stellende Heeres⸗Kontingent auf 95,474 Rekruten und 9547 Reservisten bestimmt worden. Davon kommen auf Ungarn 39,289 Rekruten und 3929 Reservisten, auf die österreichischen Provinzen 56,185 Rekruten und 5618 Reservisten. „— 25. November. Die heutige »Wiener Zeitung« ver⸗ öffentlicht in ihrem amtlichen Theile die Ernennung des Grafen Beust zum außerordentlichen Botschafter am groß⸗ britannischen Hofe. 8

Schweiz. Bern, 24. November. Der Nationalrath verwarf bei fortgesetzter Berathung des Entwurfs zur Bundes⸗ Revision mit 64 gegen 24 Stimmen den Antrag des Bundes⸗ raths Challet⸗Venel, die Tabaksteuer im Wege der Bundes⸗ gesetzgebung einzuführen.

In der Schweiz ist es den Infanterie⸗Offizieren des Auszugs und der Reserve zur Pflicht gemacht, einer Schützen⸗ Gesellschaft beizutreten und an deren Schießübungen Theil zu nehmen. Demzufolge ist jetzt bestimmt worden, daß jedem die⸗ ser Offiziere ein Vetterli⸗Repetir⸗Gewehr aus den Zeug häusern eihweise überlassen werden soll.

Belgien. Brüssel, 24. November. Der König ist am 22. v. M. von Schloß Laeken hierher zurückgekehrt.

In der heutigen Sitzung der Repräsentanten⸗ kammer, welche einen sehr erregten Charakter trug, for⸗ derte Bara unter dem lebhaften Beifall der Linken das Ministerium auf, seine Entlassung zu geben. Der Finanz⸗ Minister Jakobs erklärte dem gegenüber, das Ministerium fände sich nicht veranlaßt, wegen Verstimmung eines Theiles der Bevölkerung von Brüssel, zurückzutreten; nur in dem Falle, daß sich ernstere Meinungsverschiedenheiten gegenüber der Kammer oder dem Könige oder der gesammten zu Neuwahlen berufenen Bevölkerung ergäben, würde das Kabinet seine Ent⸗ lassung nehmen. Im weiteren Verlaufe der Sitzung theilte der Bürgermeister von Brüssel, Anspach, mit, daß ihm Seitens des Präsidenten der Kammer ein Schreiben zugegangen sei, welches über die an den letzten Abenden zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen mangelhaften Vorkehrungen Beschwerde

führe. Anspach vertheidigte die von der Kommunalbehörde an⸗

geordneten Maßregeln und gab der Regierung anheim, falls dieselben nicht zureichend erschienen, die Verantwortlichkeit für weitere Maßregeln selbst zu übernehmen. Redner glaubte, daß die Regierung hierdurch den bereits von ihr be⸗ Fngenen Fehlern nur noch neue hinzufügen würde. Der

inister des Innern, Kervyn de Lettenhove, erwiderte hierauf, er könne nicht zugeben, daß die öffentliche Meinung in der

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Weise, wie geschehen „auf der Straße zum Ausdruck gelange; der einzige Platz, dieselbe zur Geltung zu bringen, sei die Rednertribüne der Kammer. Seit zwei Tagen habe man un⸗ ter dem Druck von Straßenkundgebungen berathen. Er wolle die städtischen Behörden nicht tadeln, indessen, wenn die⸗ selben auch guten Willen bewiesen hätten, so seien die von ihnen aufgebotenen Mittel doch ungenügend gewesen, denn ieselben hätten nicht verhindert, daß einzelne Mitglieder der Kammer insultirt worden seien; die Beleidigung eines Depu tirten aber treffe die ganze Gesammtheit.

Im Laufe der Sitzung vertagte Abends die Kammer sich bis zum nächsten Dienstag. vendane het äs L“ wie die »Inde⸗

6 „anläßlich der jüngsten Ruheste

zum König beschieden. jüngst hestörungen gestern

Heute Abend haben abermals zahlreiche Menschen⸗ Ansammlungen stattgefunden, es sind jedoch keine bedeutenderen Ruhestörungen vorgefallen. Die Häuser der klerikalen Depu⸗ tirten sind von Gensdarmen bewacht. Der Generalstab der Garde civique befindet sich im Hotel de ville, alle Polizeiposten sind verstärkt. Die Garde civique wurde bei ihrem Erscheinen 8 descnenr I 1 In 8 Abendstunde wurde folgende Bekanntmachung dur Kaueranschla öffentlicht: 8 3

»Der Bürgermeister an die Bewohner der Stadt Brüssel! Ruhe⸗ störungen ziemen sich nicht für gute Bürger. Meine Pflicht ist, den selben ein Ende zu machen. Menschenansammlungen stören die Ord nung und setzen die friedliche Bevölkerung ernstlichen Unannehmlich⸗ keiten aus. Ich fordere deshalb die Einwohner auf, sich des Verbleibens in den Straßen und auf den öffentlichen Plätzen zu enthalten. Die Bildung von Gruppen ist untersagt und werden solche im Nothfalle aufgelost werden.⸗

Großbritannien und Irland. London, 24. Novem ber. Die Königin hat heute Balmoral verlassen und sich nach Windsor begeben.

Nach dem heute über das Befinden des Prinzen von Wales ausgegebenen Bulletin verlief die Nacht gut, und waren die Symptome fortwährend günstig. Gladstone ha gutem Vernehmen nach Bright einen Sitz im Kabinet als Minister ohne Portefeuille angeboten. Die Annahme desselber seitens Bright's ist bis jetzt noch zweifelhaft.

Der Botschafter des Deutschen Reiches, Graf Bernstorff, ist gestern nebst Familie hier eingetroffen.

Die von der Regierung eingesetzte Königliche Kom mission zur Untersuchung der mit dem Verluste des Trans⸗ portschiffes »Megaera« verknüpften Umstände besteht, heutigen amtlichen Angaben zufolge, aus Lord Lawrence (Präsident Mr. Brewster, früher Lordkanzler von Irland, Admiral Si Michael Seymour, Sir F. Arrow, Vize⸗Aeltester des Trinity House, Mr. Rothery, Registrar des Admiralitätsgerichts, Mr Thomas Chapmann, Vorsitzender des Bureau »Lloyds«, und einem Vize⸗Präsidenten des Instituts für See⸗Architekten.

Die 4. Compagnie des Ingenieur Corps in Chatham, welche bereits seit einiger Zeit die Torpedo⸗Compagnie hieß, ist für die Folge von dem sonstigen Corpsdienste befreit und ausschließlich zur Behandlung von Torpedos bestimmt wor⸗ den. Die Compagnie soll sehr verstärkt und in drei Abthei⸗ lungen für England, Irland und Schottland getheilt werden. Der Stab bleibt mit der englischen Abtheilung in Chatham bei der Ingenieurschule, und diese Abtheilung soll behufs Erleichte⸗ rung maritimer Experimente im Winter auf Pontons, im Sommer unter Zelten einquartirt werden. Im Kriegsarsenal von Woolwich wird gegenwärtig sehr stark an der Herstellung von Torpedos gearbeitet. Ein ganzes Laboratorium ist diesem Zwecke ausschließlich gewidmet.

Die Berichte der bei den deutschen und französischen Armeen während des Krieges von 1870—71 akkreditirten britischen Aerzte und Medizinalbeamten, welche im Parlament den Gegenstand vieler Interpellationen bildeten sind jetzt in Form eines Blaubuches im Druck erschienen Mr. Fitzgerald, ein hoher Beamter der Londoner Medizinal⸗ behörde, welcher dem deutschen Hauptquartiere attachirt war zieht in seinem Bericht, der größtentheils nur für Sachver⸗ ständige geschrieben zu sein scheint, einen Vergleich zwischen der englischen und der deutschen ärztlichen Organisation, aus der erhellt, daß erstere in vielen der hauptsächlichsten Elemente f das Ambulanzwesen einer im Felde stehenden Armee höchst mangelhaft ist. Derselben Ansicht ist auch der Vize⸗General⸗ inspektor der britischen Hospitäler, Dr. Innes, der ebenfalls als Kom⸗ missar bei den Norddeutschen Armeen fungirte. Erfahren preußische Offiziere tadelten, wie Dr. Innes berichtet, die brie tische Ambulanz häufig ihrer Schwerfälligkeit wegen. Die Wirk samkeit der deutschen Ser . gee voeefer in dem Nord⸗ deutschen Heere wird in den Berichten allenthalben in eben dem Maße anerkannt, als deren Unwirksamkeit in den französischen

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Armeen getadelt wird. Dr. Gordon tadelt in nachdrücklicher