vom 15./18. Oktober 1865, Reuß jüngerer Linie durch Ueberein⸗ kunft vom 6. Juni 1865.
Die Erleichterungen, welche die Bestimmungen dieser Ver⸗ träge ꝛc. dem Verkehr zwischen den betheiligten Staaten gewähren, haben es dem Reichskanzler wünschenswerth erscheinen lassen, die Geltung der darin angenommenen Grundsätze durch Abschluß einer gleichartigen Vereinbarung zwischen dem Deutschen Reiche und Oesterreich⸗Ungarn auf das ganze Bundesgebiet auszudeh⸗ nen. Es kommt hinzu, daß seit 1866 in den staatsrechtlichen Verhältnissen Ungarns und insbesondere in der Organisation der dortigen Behörden Veränderungen eingetreten sind, welche die Festsetzungen der bestehenden Verträge nicht mehr überall an⸗ wendbar erscheinen lassen.
Der Reichskanzler hat deshalb, nachdem die Kaiserlich und Königlich österreichisch⸗ungarische Regierung ihre Bereitwilligkeit zu einer Verhandlung über den Gegenstand erklärt hat, bei dem
undesrath den Antrag gestellt: „der Bundesrath wolle sich mit dem Abschluß eines Vertrages zwischen dem Deutschen Reiche und Oesterreich⸗Ungarn über die Legalisirung der von öffent⸗ lichen Behörden ausgestellten oder beglaubigten Urkunden ein⸗ verstanden erklären.“ Als Grundlage für die bezüglichen Ver⸗ handlungen ist der preußisch⸗sterreichische Vertrag vom 4. Sep⸗ tember 1865 mit den durch die gegenwärtigen Verhältnisse be⸗ dingten Modifikationen empfohlen worden.
— Nach einer Entscheidung des Finanz⸗Ministers und des Ministers des Innern ist die Bestimmung des Staats⸗Mini⸗ sterial⸗Beschlusses vom 30. November 1848 (Minist. Bl. der in⸗ neren Verwaltung S. 367), nach welcher Wartegeld⸗ Empfänger unter den dort aufgeführten Voraussetzungen und Maßgaben bei anderweiter etatmäßiger Anstellung einen Anspruch auf Umzugskosten⸗Entschädigung haben, als noch fort⸗ bestehend zu erachten.
— Die Minister des Innern, der Justiz und der geist⸗ lichen ꝛc. Angelegenheiten haben sich in einem Bescheide vom 19. v. M. dahin ausgesprochen, daß sich die Schlußbestimmung im §. 4 des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung vom 9. März d. J. nur auf die im Amte befindlichen, nicht aber auch auf emeritirte Geist⸗ liche bezieht, und der Ernennung der Letzteren zu Standes⸗ beamten ein gesetzliches Hinderniß nicht entgegen steht.
— Der Minister des Innern hat in einem Ent⸗ scheidungsfalle Anstand genommen, der Ansicht, daß gegen die von dem Landrathe unter Zustimmung des Kreisausschusses ausgesprochene Versagung der Bestätigung der Wahl eines Gemeindevorstehers oder Schöffen die Be⸗ s ö an die Bezirksregierung zulässig sei, seinerseits bei⸗ zutreten.
„ Indem das Gesetz“ lautet die Motivirung dieser Entscheidung, die Versagung der Bestätigung der Wahl eines Gemeinde⸗Vor⸗ stehers oder Schöffen von der Zustimmung des Kreisausschusses abhängig macht, lege dasselbe in denjenigen Fällen, in welchen der Landrath Bedenken trägt, die Bestätigung seinerseits zu er⸗ theilen, die Entscheidung der Frage, ob die Bestätigung zu ver⸗ sagen oder zu ertheilen sei, in die Hand des Kreisauschusses. Der Ausspruch des Kreisausschusses ist für den Landrath bin⸗ dend. Je nachdem der Kreisausschuß der Versagung der Be⸗ stätigung zustimmt oder nicht, hat der Landrath die Bestätigung zu versagen oder zu ertheilen. Aus dem Umstande, daß die die Nichtbestätigung eines Gemeindevorstehers oder Schöffen aus⸗ sprechende Verfügung formell von dem Landrathe erlassen wird, kann von der Regierung eine Befugniß, über Beschwerden gegen derartige Verfügungen zu entscheiden, nicht hergeleitet werden.
Denn die Verfügung des Landraths gründet sich auf eine materielle Entscheidung des Kreisausschusses, und würde die Re⸗ gierung, indem sie sich der Prüfung einer Beschwerde über die Verfügung des Landraths unterzieht, nicht umhin können, zu⸗ gleich auch die Richtigkeit der Entscheidung des Kreisausschusses zu prüfen. Eine solche Befugniß aber ist den Bezirksregierungen durch die Kreisordnung nicht beigelegt. Nur in Angelegenheiten, betreffend die Errichtung oder Veränderung gewerblicher Anlagen, und in Dismembrations⸗Angelegenheiten findet nach §. 156 der Kreisordnung gegen die Entscheidungen des Kreisausschusses eine Berufung an die Bezirksregierung statt, gegen alle übrigen Ent⸗ scheidungen des Kreisausschusses ist nach §. 155 a. a. O., soweit dieselbe nicht endgültige sind, nur die Berufung an das Ver⸗ waltungsgericht zulässig. Allerdings erscheint es nicht unzweifel⸗ haft, ob gegen die von den Kreisausschüssen in Betreff der Ver⸗ sagung der Bestätigung von Wahlen der Gemeindevorsteher und Schöffen gefaßten Beschlüsse, wiewohl dieselben als Ent⸗ scheidungen der Kreisausschüsse aufzufassen sein werden (siehe Erklärung des Regierungs⸗Kommissars in der Sitzung des Herrenhauses vom 28. Oktober 1872, Stenographische Berichte Seite 483), die Berufung an das Verwaltungs⸗ gericht statthaft ist, oder ob diese Beschlüsse nicht vielmehr als endgültige Entscheidungen der Kreisausschüsse anzusehen sind (siehe die Erklärung des Referenten in der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 18. März 1872, Stenographische Be⸗ richte Seite 1345). Die Entscheidung dieser Frage steht aber nur den Verwaltungsgerichten selbst zu. In Folge dessen ist auch in dem den Eigenthümern Mewis und Walter zu Lenzen⸗ bruch von mir unter dem 24. v. Mts. ertheilten Bescheide nicht, wie Ew. Excellenz annehmen, die Berufung an das Verwal⸗ tungsgericht für zulässig erklärt, diese Frage vielmehr absichtlich unentschieden gelassen worden. Es ist jedoch für mich von In⸗ teresse, zu erfahren, ob die Verwaltungsgerichte die Berufung in Fällen der gedachten Art für statthaft erachten oder nicht, und welche Gründe für dieselben bestimmend sind, der einen oder der anderen Auffassung zu folgen. Ebenso wünsche ich zu wissen, wie die von einzelnen Gemeindemitgliedern gegen die formelle Rechtsgültigkeit von Wahlen der Gemeindevorsteher und Schöffen erhobenen Einwendungen behandelt werden, ob über dieselben von den Landräthen selbständig befunden wird, oder ob alle derartigen Einwendungen oder doch diejenigen derselben, welche der Landrath für begründet erachtet, den Kreisausschüssen zur Ent⸗ scheidung vorgelegt werden, und ob gegen die Entscheidungen der 79 die Berufung an das Berwaltungsgericht zugelassen wird.
— Der General⸗Lieutenant z. D. von Schmeling, zu⸗ letzt Commandeur der 4. Division, hat seinen Wohnsitz von Charlottenburg hierher verlegt.
— Der Geheinie Legations⸗Rath Dr. Hepke ist von seinem mehrwöchentlichen Urlaub zurückgekehrt.
— Der Kaiserlich deutsche General⸗Konsul a. D., Will, zur Zeit in Havanna, ist hier eingetroffen und im Rheinischen Hof abgestiegen.
— Ueber die Dimensionen und Ausrüstung der am Sonn⸗ abend, 12. d. M., bei den Herren Samuda in London vom Stapel
gelassenen deutschen Panzerfregatte „Deutschland“ bringen die „Times“ folgende Einzelnheiten: Das Schiff hat eine Länge von 285, eine Breite von 62 und eine Tiefe von 41 ¼ Fuß, da⸗ bei ein Gehalt von 5000 Tons, eine Tragfähigkeit von 7600 Tons. Die „Deutschland“ wurde unter der Aufsicht des Marine⸗Ingenieurs E. J. Reed erbaut. Die Panzerung reicht rund um das Schiff herum von 6 ½ Fuß unter der Wasserlinie bis zum Hauptdeck hinauf, auf dem sich eine gepanzerte Batterie mit 8 Kruppschen Kanonen von je 22 Tons und einem Kaliber von 10 ½ Zoll befindet, die zum Breitseitfeuern eingerichtet ist. Die beiden vorderen Geschütze sind Bugkanonen und können ein Kreuzfeuer abgeben, die beiden hinteren schießen bis zu einer 15 Grad vom Kiel abweichenden Linie. Außerdem führt die „Deutschland“ hinten ein Geschütz von 18 Tons mit 8 zölligem Kaliber, das ebenfalls durch eine Panzerung geschützt ist und das Feuer nach allen Seiten zu richten vermag. Die Panzerplatten sind an den gefährlichsten Stellen 10 Zoll, an den übrigen Theilen des Schiffes 8 Zoll dick und nehmen nach dem Vorder⸗ und Hintersteven zu an Stärke ab. Die Platten unter der Panzerung sind 1 ¼ — 1 Zoll, die aus Teakholz hergestellten Ver⸗ stärkungen 10 bis 8 Zoll dick. Die Balken des Hauptdecks sind mit Stahlplatten belegt, auf denen die Bekleidung aus Teak befestigt ist. Das Schiff hat einen doppelten Boden, dessen Zwischenraum außer durch die Queerschotten und wasserdichten Spantenstücken in 32 wasserdichte Abtheilungen getheilt wird. Die Pumpeinrichtungen und Maschinen sind mit den neuesten Verbesserungen ausgestattet. Die Schraube hat vier Flügel und ist bereits an ihrem Platze befestigt. Die Maschine ist von den Herren Penn and Son konstruirt und hat 1150 Pferdekraft nominell, 8000 nach dem Indikator. Die Cylinder haben bei einem Hub von 4 Fuß einen Durchmesser von 122 Zoll. Außer den 8 röhrenförmigen Kesseln für die Maschine ist ein Auxiliar⸗ kessel für die Arbeiten am Gangspill ꝛc. aufgestellt. Die „Deutschland“ hat Schiffstakelung und wird voraussichtlich eine Schnelligkeit von 11 Knoten pr. Stunde entwickeln. Im nächsten Januar hofft man das Schiff seeklar zu sehen.
Posen, 17. September. In Folge der von dem 17. po⸗ senschen Provinzial⸗Landtage am 24. und 26. Juni cr. gefaßten Beschlüsse hat der vierte Nachtrag zu dem revidirten Reglement für die Feuersocietät der Provinz Posen vom 9. September 1863 unterm 12. v. M. die Allerhöchste Genehmigung erhalten. Der Nachtrag wird im heut ausgegebe⸗ nen Amtsblatt publizirt.
Kiel, 16. September. Heute Mittag 1 ¼ Uhr traf Se. Königliche Hoheit der Prinz von Wales, auf der Bahn von Hamburg kommend, hier ein. Da derselbe im strengsten Incognito unter dem Namen eines Earl of Chester reist, so fand kein Empfang statt; außer zwei Offizieren des „Osborne“ war nur der englische Konsul Kruse zugegen. Der Prinz mit zwei Begleitern und dem Konsul Kruse begaben sich sofort in die Dampfbarkasse des „Osborne“, welche bereit lag, und fuhr an Bord seiner Jacht. Dem Vernehmen nach sollte die Abreise
nach Kopenhagen um 6 Uhr fattsinden.
— Die Eöbe Deputationen gelegentlich des Allerhöchsten Besuchs Sr. Majestät des Kaisers und Königs ist ferner beschlossen von den Städten Schleswig, Sonderburg und Rendsburg.
Hannover, 16. September. Se. Königliche Hoheit der Prinz Leopold von Bagyern ist gestern Nachmittag um 1 Uhr, von Berlin kommend, hier eingetroffen und im König⸗ lichen Residenzschlosse abgestiegen. — Se. Hoheit der Herzog von Sachsen⸗Altenburg ist gestern Nachmittag um 3 Uhr 40 Min. nach Altenburg abgereist.
Bonn, 16. September. (W. T. B.) Die Unions⸗ konferenzen von Vertretern aller christlichen Kon⸗ fessionen wurden heute unter eifrigen Debatten fortgesetzt. Wie die „Bonner Zeitung“ meldet, wurde in mehreren wichtigen Punkten eine Verständigung erreicht. Allgemeine Bewunderung erregte die lebhafte und rüstige Leitung des hochbetagten Döllin⸗ ger, der sich bei derselben sowohl der deutschen wie der englischen Sprache bediente. Der Bischof von Pittsburg sprach demselben seinen Dank aus und überreichte ihm eine schriftliche Erklärung, welche der Freude über die in wichtigen Punkten erreichte Eini⸗ gung Ausdruck verleiht. An der Konferenz theilgenommen zu haben, werde zu den schönsten Erinnerungen seines Lebens ge⸗ hören. Aehnliches äußerten der Oberpriester Janyschew aus St. Petersburg und der Dechant Howson aus Chester.
— Der im Frühjahr vom Professor von Sybel und Ge⸗ nossen gegründete (national⸗liberale) deutsche Verein für die Rheinprovinz zählt der „Bonner Ztg.“ zufolge bis jetzt 9000 eingeschriebene Mitglieder.
Bayern. München, 15. September. Nach den nunmehr beendeten Herbstmanövern der bayerischen Truppen hat nach der „Allg. Ztg.“ folgender Garnisonswechsel sofort einzutreten: Infanterie: vom 5. Regiment das 1. Bataillon von Germersheim nach Bamberg und das 3. Bataillon von Bamberg nach Germers⸗ heim; vom 6. Regiment das 1. Bataillon von Germersheim nach Sulzbach und das 2. von Sulzbach nach Germersheim; vom 7. Regiment das 1. Bataillon von Landau nach Bayreuth und das 3. von Bayreuth nach Landau; vom 9. Regiment das 1. Bataillon von Germersheim nach Würzburg und das 2. von Würzburg nach Germersheim. Kavallerie: vom 1. Ulanen⸗Re⸗ giment die 2. Escadron von Neustadt a. A. nach Bamberg und die 3. von Bamberg nach Neustadt a. A. Artillerie: die 2.
eeldbatterie von Nürnberg nach Augsburg und die 3. von ugsburg nach Nürnberg. Vom 2. Pionier⸗Bataillon kommt
der Stab mit 3 (Feld⸗)Compagnien von Ingolstadt nach Speyer
und die 4. (Festungs⸗) Pionier⸗Compagnie von Landau nach Germersheim.
— Das Gutachten, welches der Ober⸗Medizinalausschuß über die Errichtung von Orts⸗Gesundheitskommissionen auf Antrag des Staats⸗Ministeriums des Innern abgegeben hat, lautet nach dem „Corr. v. u. f. D.“ im Wesentlichen folgender⸗ maßen:
1) Gestützt auf das allseits hervortretende Bedürfniß nach der Einrichtung von Orts⸗Gesundheitsräthen und auf das einstimmige Gutachten aller 8 bayerischen Aerztekammern, erachtet der Ober⸗Medi⸗ heela g die Einrichtung von ständi en Gesundheitskommissionen ür dringend wünschenswerth. 2) Es erscheint wünschenswerth, daß dieselben sich nicht blos in den Städten, sondern auch in den Märkten und auf dem flachen Lande organisiren. Wie weit man auf dem Lande mit dem Wirkungskreise der einzelnen Gesundheits⸗ kommissionen greifen will, 2 von dem Interesse und dem Gemeinsinn der Gemeinden, sowie von dem Vorhandensein der nöthigen Sachverständigen abhängen. Sehr empfehlenswerth dürfte es sein, für jedes bezirksamtliche Gebiet wenigstens eine Kommission zu organisiren. 3) In Betreff der Zusammensetzung erscheint
verständigen und bürgerlichen Elementen, welche aus freier Wahl her⸗ vorgehen, vor Allem unentbehrlich; denn nur eine solche Kommission wird in der Gemeinde durchgreifenden Erfolg haben, welche nicht blos die Autorität der Verwaltungsorgane, sondern auch das Vertrauen der Gemeinde besitzt. Unentbehrlich ferner erscheint bei aller Selbst⸗ ständigkeit der Kommission die Anlehnung an die Organe der Staats⸗ und Gemeindeverwaltung, welche die Exekutive in Händen haben. Die Zahl und Qualität der Mitglieder der Gesundheitsräthe wird durch die örtlichen Verhältnisse bestimmt werden müssen. Es dürfte hier genügen, im Allgemeinen als Mitglieder zu bezeichnen: die Ver⸗ waltungsorgane des Staates und der Gemeinden, den Vertreter der Ortspolizeibehörde, den Amtsarzt, den städtischen oder Bezirksbau⸗ beamten, gewählte Vertreter der Gemeindekollegien, der ärztlichen Vereine, Sachverständige von den Universitäten und den technischen Schulen, Lehrer, Apotheker, Geistliche, Thierärzte, Ingenieure, Fabrikanten, Industrielle, Landwirthe, einflußreiche Vertreter des Bürger⸗ und Bauernstandes. 4) Die Aufgabe der Kommissionen sei die Erfor⸗ schung aller sanitären Mißstände und die Berathung und Begutach⸗ tung der Mittel zu ihrer Beseitigung. Auch ohne Exekutivgewalt kann die Gesundheitskommission durch Bloßlegung der Schäden, kluge Benutzung der Presse, Einrichtung öffentlicher Vorträge ꝛc. einen Druck auf die öffentliche Meinung und den Egoismus des Einzelnen aus⸗ üben, welcher zur Abstellung mancher Mißstände ausreichen wird. 5) Sehr wichtig ist endlich die Art und Weise, wie die Institution ins Leben gerufen wird. Man ist der Meinung, daß das Staats⸗ Ministerium durch die Verwaltungsbehörden nur eine Anregung zur Bildung derartiger Kommissionen bei den geeignet erscheinenden Persön⸗ lichkeiten ergehen läßt und in Betreff der Zusammensetzung und Auf⸗ 19 der Kommissionen nur Rathschläge, aber keine Verordnungen giebt. Vor Allem erscheint es wichtig, daß die Ortsgesundheitsräthe mit den schon bestehenden Vereinen für öffentliche Gesundheitspflege — wenn sie nicht etwa unmittelbar aus denselben hervorgehen — sowie mit den ärztlichen Bezirksvereinen, mit den Distriktsräthen, mit den land⸗ wirthschaftlichen Vereinen in steter Beziehung bleiben. Nicht minder wichtig aber erscheint eine ständige Fühlung der sämmtlichen Gesund⸗ heitskommissionen der Kreise und des Landes untereinander und mit den staatlichen Organen der öffentlichen Gesundheitspflege. Denn nur dadurch, daß die einzelnen Kommissionen, besonders die der kleinen Städte und des platten Landes, als Glieder eines großen Verbandes
sich fühlen und in ihrem Wirken unterstützt und angeregt werden,
dürfte eine lebensfrische Thätigkeit derselben garantirt werden. Professor Dr. Geigel hatte zu diesem Gutachten ein Sepa⸗ ratvotum eingebracht.
Sachsen. Dresden, 16. September. Das neueste Stück des Gesetz⸗ und Verordnungsblattes bringt die schon seit einiger Zeit mit Spannung erwarteten Ausführungsverordnun⸗ gen zu den neuen organischen Verwaltungsgesetzen und zu dem Gesetze über das Volksschulwesen. Diese Ge⸗ setze treten nach Monatsfrist in Kraft. Von dem Erlaß beson⸗ derer Ausführungsverordnungen zu den revidirten Gemeinde⸗ gesetzen hat man Abstand genommen, da hierzu kein ausreichen⸗ des Bedürfniß vorliegt. Dagegen ist Veranstaltung getroffen, daß ein von einem Beamten des Ministeriums des Innern be⸗ arbeiteter Leitfaden für die Gemeindevorstände und die Bürger⸗ meister in mittleren und kleinen Städten, welcher denselben für ihre künftige Amtsführung Weisung und Rath ertheilt, dem⸗ nächst im Druck erscheint. Uebrigens wird, dem „Dr. J.“ zu⸗ folge, das nächstfolgende Stück des Gesetz⸗ und Verordnungs⸗ blattes die ergangenen Verordnungen noch nach einigen Seiten ergänzen. Namentlich wird eine Verordnung des Justiz⸗Ministe⸗ riums die Uebersicht der künftigen Eintheilung des Landes nach Gerichtsbezirken unter Angabe der einzelnen zu jedem Gerichts⸗ bezirke gehörigen Ortschaften in ähnlicher Form, wie dies seiner Zeit im Jahre 1856 geschehen ist, veröffentlichen. Ferner stehen noch eine Ausführungsverordnung zu dem Gesetze über das Ver⸗ fahren in Verwaltungsstrafsachen, so wie Spezialverordnungen über das Verfahren bei der Aufhebung von Leichnamen, über die Abänderung der die Kompetenz der Elbstromgerichte betref⸗ fenden Vorschriften, über die Medizinal⸗, Chaussee⸗Inspektions⸗ und dergleichen Bezirke in Aussicht.
Beaden. Karlsruhe, 12. September. In der heutigen Sitzung des Gemeinderaths theilte der Vorsitzende, Bürgermeister Günther, mit, daß eine Abordnung aus dem Gemeinderathe heute Mittag die Ehre hatte, dem hiesigen Ehrenbürger General von Werder an dessen heutigem Geburtstage die Glückwünsche der Stadt Karlsruhe darzubringen. Bei diesem Anlasse habe die Abordnung die Bitte an den General gestellt, zu genehmigen, daß der neuen Straße zwischen der Schützen⸗ und Luisenstraße der Name „Werderstraße“, welchem sie im Volksmunde bereits besitzt, offiziell beigelegt werde, welche Genehmigung der General. ertheilt habe.
Mecklenburg. Schwerin, 16. September. Am Ge⸗ burtstage des verstorbenen Großherzogs Paul Friedrich war die Heilige Blutskapelle gestern durch Blattgewächse und Blumen reich geschmückt. Die Großherzogin Alexandrine ver⸗ weilte schon in aller Frühe am Sarge ihres Hohen Gemahls.
Lauenburg. Nach einem dem „Hamburger Korrespon⸗ denten“ zugegangenen Telegramm hat in Moelln am 15. eine große Feuersbrunst stattgefunden, durch welche 32 Häuser und außerdem viele Scheunen und Ställe zerstört sind. 60 Fa⸗
milien sind obdachlos geworden.
Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 16. September. Der Kaiser ist gestern Morgens zu den Truppen⸗Inspizirungen nach Bruck an der Leitha abgereist und wird sich von dort nach Budapest begeben.
— Der niederösterreichische Landtag nahm gestern folgenden Antrag an: „Es werde aus Landesmitteln den Theil⸗ nehmern der österreichischen Nordpolfahrt ein Ehrengeschenk ge⸗ reicht und der Finanzausschuß beauftragt, zur Durchführung dieses Beschlusses mit Beschleunigung die geeigneten Vorschläge zu erstatten.“
Bruck a. L., 16. September. Nach Beendigung der heuti⸗ gen Manöver hielt der Kaiser eine Revpue über die Kavallerie⸗ Regimenter ab, über die er ebenfalls seine volle Zufriedenheit aussprach. An der darauf folgenden Hoftafel, zu welcher ca. 60 Einladungen ergangen waren, nahmen der Erzherzog Josef, FZM. Baron Edelsheim, Graf Andrassy, der Minister v. Szende, sowie viele politische Notabilitäten, fremde Gäste und Generale Theil. Der Kaiser ist um 4 ½ Uhr nach Pest abgereist.
Schweiz. Bern, 14. September. Laut soeben erfolgter Mittheilung der russischen Gesandtschaft an den Bundesrath wird Rußland auf dem morgen in Bern beginnenden inter⸗ nationalen Postkongreß noch durch einen zweiten Dele⸗ girten, den Kollegien⸗Rath Georg von Poggenpohl, Sekretär der 1. Sektion des russischen Postdepartements, vertreten sein. Der zuerst ernannte russische Delegirte, Geheimrath von Velho, ist Direktor des Postdepartements. Heute morgen haben die deut⸗ chen Delegirten, General⸗Postdirektor Stephan und Geheimer ber⸗Postrath Günther, welche gestern in Bern eingetroffen sind,
as Zusam 13 da 3 so menwirken der staatlichen und kommunalen Organe mit sach⸗
dem Bundespräfidenten ihren Besuch abgestattet, worauf sis dann
—
hei dem deutschen Gesandten, General⸗Lieutenant von Röder, zum Frühstück eingeladen waren.
— Auf Axenfels (im Kanton Schwyz) befindet sich, nachdem der Prinz Georg von Preußen abgereist ist, der General v. Voigts⸗Rhetz mit Gemahlin und Dienerschaft.
— Der vom Central⸗Comité der schweizerischen libe⸗ ralen Katholikenvereine ausgearbeitete Entwurf einer Verfassung der christkatholischen Kirche in der Schweiz, welcher der am 21. d. M. zu Olten zusammentretenden Delegirten⸗Ver⸗ sammlung behufs definitiver Berathung und Annahme vorgelegt werden soll, enthält folgende Haupt⸗Grundbestimmungen:
Die christkatholische Kirche der Schweiz beruht auf den Kirch⸗ gemeinden, beziehungsweise Ortsgemeinden, welche in der katholischen Nationalsynode das einheitliche Organ ihrer Gemeinschaft besitzen. Innerhalb dieser Gemeinschaft und unter Vorbehalt der diesfalls be⸗ stehenden kantonalen Gesetzgebung können besondere Verbindungen zu Kantonal⸗ oder Kreissynoden stattfinden. Als Kirchengemeinden wer⸗ den sowohl die bestehenden Kirchgemeinden und Genossenschaften mit ständiger Seelsorge, die sich gegenwärtiger Verfassung unterziehen, als auch gleichgesinnte Minderheiten anerkannt, sofern diese letzteren einen regel⸗ mäßigen Gottesdienst ausüben. Jede Gemeinde ordnet die Angelegenheiten ihrer inneren Einrichtung, wie z. B. die Ernennung ihrer Behörden, der Pfarrer und Hülfsgeistlichen und der Delegirten an die Synoden, die Verwaltung der Gemeindegüter ꝛc. innerhalb der durch die staatlichen Gesetze und Verordnungen und diese Ver⸗ fassung aufgestellten Schranken in selbständiger Weise. Die Kantonal⸗ und Kreissynoden bilden sich durch freie Vereinigung mehrerer Ge⸗ meinden, resp. Vereine eines und desselben oder verschiedener Kantone zur Berathung und Erledigung gemeinsamer Angelegenheiten. Zur Bewahrung der Einheit des kirchlichen Lebens wird alljährlich min⸗ destens einmal eine Nationalsynode zusammentreten.
— 16. September. (W. T. B.) Der internationale Post⸗ kongreß hat in seiner heutigen Sitzung in vorläufiger artikel⸗ weiser Berathung des Vertragsentwurfs die Einführung einheitlicher Taxen für das ganze Unionsgebiet beschlossen.
Niederlande. Haag, 14. September. Aus Batavia wird gemeldet, daß das General⸗Gouvernement mit allem Eifer die Bereitstellung und Ausrüstung einer Anzahl Bataillone be⸗ treibe, um jeder Eventualität gewachsen zu sein. Der Handel ging nicht schwunghaft. Die Kaffee⸗Ernte indeß fällt dieses Jahr sehr reichlich aus. Es kamen noch immer einige Cholera⸗ älle vor.
· — General van Swieten traf am Abende des 10. d. in aller Stille im Haag ein; er wurde nur von einigen Freunden am Bahnhofe begrüßt.
— Die Bevölkerung der Residenzstadt Haag ist nach neuester Zählung auf 94,895 Personen angewachsen.
Großbritannien und Irland. London, 15. Sep⸗ tember. Der Herzog und die Herzogin von Edinburgh werden dem „Hampshire Advertiser“ zufolge einen dreimonat⸗ lichen Aufenthalt auf der Insel Wight nehmen und wahrschein⸗ lich dieselben Villen in Sandown bewohnen, welche der Kron⸗ prinz und die Kronprinzessin während ihres letzten Besuches auf der Insel innehatten.
Frankreich. Paris, 16. September. Aus Amiens wird unter dem heutigen Tage telegraphirt: Zur Be⸗ grüßung des Marschall⸗Präsidenten wurden mehrere An⸗ sprachen an denselben gehalten, welche sämmtlich dem Wunsche Ausdruck geben, die Nationalversammlung möge die Vollmachten des Marschall⸗Präsidenten organisiren, damit derselbe sich in umfassenderer Weise der Regeneratian und der Förderung der Wohlfahrt des Landes widmen könne.
Grasse, 16. September. (W. T. B.) Prozeß gegen den Oberst Villette und Genossen wegen Mitwirkung bei der Flucht Bazaine's. In der heutigen Sitzung des Zuchtpolizeigerichts verlas der Staats⸗Prokurator die Anklageschrist und erörterte die Details der Flucht insbesondere die Frage, ob dieselbe mit⸗ telst einer Strickleiter oder mit Benutzung einer heimlichen Pforte bewerkstelligt worden sei. Der Prokurator gelangte zu dem Schlusse, daß die erste Art der Entweichung anzunehmen sei. Dieselbe habe unter Mitwirkung Villette’s stattgefunden und sei durch die Nachlässigkeit der Wächter erleichtert worden. Der Prokurator verlangte gegen den Hauptangeklagten Villette und die Angeklagten Doineau, Marchi, Gignoux und Plantin die Anwendung der vollen Strenge des Gesetzes, die Aburtheilung der Angeklagten Barreau, Leterne und Lefrangois stellte er dem Ermessen des Gerichtshofes anheim. Ueber die Flucht bemerkte er schließlich, daß dieselbe gerade im Interesse Bazaine's selbst zu bedauern sei. Die Hand, welche den Marschallstab geführt habe, dürfe nicht zur Strickleiter greifen. Bazaine hätte den Tod der Flucht vorziehen müssen. Nach Beendigung der Rede des Staatsprokurators wurde die Sitzung des Gerichtshofes auf kurze Zeit vertagt, und begannen darauf bei Wiederaufnahme der Verhandlungen die Plaidoyers der Vertheidiger. Lairolles, der Vertheidiger der Wächter Gigoux, Lefrancois und Leterne, und Mouton, der Ver⸗ theidiger des Wächters Plantin, beantragten die Freisprechung dieser Angeklagten. Mougins, welcher für den Gefängniß⸗ Direktor Marchi plaidirte, wies darauf hin, daß sich letzterer Bazaine gegenüber wegen dessen exceptioneller Stellung als Ge⸗ fangener in einer schwierigen Lage befunden habe, wodurch seine Verschuldung wesentlich gemildert werde. Nach dem Plaidoyer von Rouquier, dem Vertheidiger des Kapitäns Doineau, wurde dann die Sitzung geschlossen. Morgen wird Lachaud den Obersten Villette und den Diener Bazaine’s, Barreau, ver⸗ theidigen.
Bayonne, 16. September. (W. T. B.) Die deutschen Kanonenboote werden von Bilbao hier erwartet.
Spanien. Madrid, 16. September. (W. T. B.) Nach hier eingegangenen Meldungen aus Washington hat sich der Präsident Grant beim Empfange desspanischen Gesandten Mantilla dahin geäußert, daß er den Anstrengungen, welche die spanische Regierung mache, um die inneren und äußeren Schwierigkeiten zu überwinden, volle Anerkennung widerfahren lasse. (Vgl. a. u. Amerika.)
— Nach in Bayonne eingegangenen Meldungen aus dem carlistischen Hauptquartier wurde am 17. eine große Schlacht bei Estella erwartet.
Italien. Rom, 13. September. Aus Massa Carara meldet die „Corr. Stef.“, daß im Hafen von 82e”; vor Kurzem Waffen ausgeladen wurden, die für die Aufständischen bestimmt waren. Da der Präfekt in Erfahrung brachte, daß dies mit Hülfe oder wenigstens Vorwissen eines Unterbeamten des Hafen⸗
apitäns geschähe, so berichtete er die Sache an den Hafen⸗ Kapitän von Spezia,
der sofort nach Avenza kam und die Un⸗ tersuchung gegen den betreffenden Beamten einleitete, welcher im Rufe steht, der Internationalen anzugehören. 1 — Im Laufe des vergangenen Monats wurden wieder für 3,123,836 Fres. Klostergüter verkauft. 1 11“
behöͤrden in Bauersachen ersetzt, indem an Stelle der ehe⸗
— Wie das „Movimento“ berichtet, geht es mit dem Bau der beiden großen Panzerschiffe auf den Werften von Castellamare außerordentlich rasch vorwärts. Sie werden jedes 13 Millionen Francs kosten.
— Die Neuwahlen zum Parlament werden wahr⸗ scheinlich am 8. November vor sich gehen.
— Nach der „Unita Nazionale“ von Neapel wird der Finan z⸗Minister der neuen Kammer wahrscheinlich sofort bei Eröffnung der Session den schon in voriger Session versproche⸗ nen Bericht über den Zwangscours und seine Abschaffun vorlegen; letztere wird möglich, sobald das Parlament die mini steriellen Finanzvorschläge annimmt und dadurch die Herstellung des Gleichgewichts in den Einnahmen und Ausgaben des Staats
gesichert ist.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 17. Sep⸗ tember. (W. T. B.) Der „Regierungsanzeiger“ veröffentlicht einen Allerhöchsten Befehl vom 30. August a. St., durch wel⸗ chen der Großfürst⸗Thronfolger zum General der In⸗ fanterie und Kavallerie befördert und zum Befehls⸗ haber des Garde⸗Corps ernannt wird.
— (Monats⸗Uebersicht für August.) Den Mittel⸗ punkt der Hoffeste, welche im August statthatten, bildete die Vermählung des Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch, zweiten Sohnes des Kaisers. Am 13. August fand in Zarskoje⸗Selo die feierliche Einholung der Braut des Großfürsten, der Herzogin Marie von Mecklenburg⸗Schwerin, statt, am 28. August (16. August alten Styls) wurde in St. Petersburg der Trauungs⸗ Akt vollzogen, nach dem Ritus der griechisch⸗russischen und nach dem der lutherischen Kirche. Die neue Großfürstin erhielt den offiziellen Namen Marie Pawlowna, indem die russische Sitte 9 WI noch ein offizielles Patronymikum nothwen⸗
ig macht.
Ausnahmsweise wurde von der Hohen Neuvermählten ein Glaubenswechsel nicht verlangt, wie solchen das unvordenkliche Herkommen und das Kaiserliche Familiengesetz von 1797 wohl vorschrieb. Der Umstand, daß der Bräutigam der zweite Sohn des Kaisers war, erleichterte wesentlich die Abweichung von dem Prinzip, welches den Glaubenswechsel forderte, und der Kaiser gab durch deren Zulassung einen neuen Beweis von seiner der Religionsfreiheit durchaus günstigen Gesinnung. Am 1. Sep⸗ tember reiste der Kaiser von Rußland in Begleitung des Groß⸗ herzogs von Mecklenburg⸗Schwerin, des Prinzen Alexander von Holland und anderer Fürstlichkeiten nach Moskau ab.
Die Uebungen im Feldlager von Krasnoje⸗Selo, welche (wie gewöhnlich) im Juli stattfanden, hatten bis zum 2. August ge⸗ dauert. Der Kaiser geruhte, die Truppen in ausgezeichnetem Zu⸗ stande zu finden und den kommandirenden Ofsizieren darüber mehrfach seine Zufriedenheit zu erkennen zu geben. Ebenso er⸗ hielten die Mannschaften derjenigen Truppentheile, die sich am meisten ausgezeichnet, verschiedene Belohnungen. Vor Allem wandte der Kaiser (wie auch in Warschau) sein Augenmerk den Schießübungen zu. Ein bemerkenswerther Umstand war es, daß bei den gegenwärtigen Manövern zum ersten Male auch die Freiwilligen, welche auf Grundlage des Gesetzes über allgemeine Wehrpflicht in die Armee eingetreten waren, mitwirkten, während bisher die Angehörigen höherer Stände keiner Militärpflicht unterlagen. Auch mit diesen Freiwilligen erklärte sich der Kaiser zufrieden: dem Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch, als Chef des St. Petersburger Militär⸗Distrikts und des Garde⸗ und Grenadier⸗ Corps wurde der Kaiserliche Dank zu Theil.
Im August hielt der Kaiser auch eine Flottenrevue bei Kronstadt ab, welche ebenfalls befriedigend verlief.
Als wichtige Neuerung im Militärressort dürfte zu verzeich⸗ nen sein die bevorstehende Einführung des Corpssystems. Ferner wird, mit Ausnahme des Garde⸗Corps, allen Militärs erlaubt, Bärte zu tragen. Die Sache hat nicht blos den Charakter einer milden Konnivenz: die Maßregel ist auch noch eine Art der Toleranz für solche Wehrpflichtige, welche gewissen Sekten angehören, nach deren Satzungen das Scheeren des Bartes nicht gestattet ist.
Eine der wichtigsten Aenderungen, welche der August ge⸗ bracht, ist die Abschaffung der „Friedensvermittler“. Die Friedensvermittler, welche mit den Friedensrichtern nicht zu verwechseln sind, waren wichtige Autoritäten in Bauersachen. Sie wurden nach einer schon im Jahre 1859 vorgeschriebenen Regel aus der Zahl der Gutsbesitzer gewählt, und hatten die Regulirung der Verhältnisse zwischen den Bauern und ihren ehemaligen Gutsherren zu besorgen; dann bezog sich ihre Jurisdiktion auch auf Klagen, die gegen die Gemeinde⸗ behörden und Gemeinde⸗Aeltesten erhoben wurden; ferner auf verschiedene Streitsachen, welche Bauern als solche mit andern Ständen hatten; endlich lagen ihnen auch gewisse notarielle Funktionen ob, sobald es sich um bäuerliche Verhältnisse und Urkunden von Bauern handelte. Als die Dotirung der Bauern mit Land größtentheils geordnet war, verloren die Friedens⸗ vermittler sehr viel von ihrer früheren Bedeutung und schon seit 1868 erklärte die Mehrzahl der Gouverneure, daß diese In⸗ stitution sich überlebt habe, worauf die Friedensvermittler⸗Aemter um ein Drittheil vermindert wurden. Die Institution der Frie⸗ densvermittler bewährte sich auch nach solcher Reduktion immer weniger: sie wird jetzt durch die Einrichtung der Kreis⸗
maligen wenig kontrolirbaren Friedensvermittler kollegiale Behörden treten, bestehend aus dem Kreisadelsmarschall, Vertre⸗ tern der Administration und der Kreislandstände und gewissen Spezialbeamten für Bauersachen, die von der Regierung aus je zwei zu jeder Stelle vorgeschlagenen Kandidaten ernannt werden. Die notariellen Funktionen der früheren Friedensvermittler fallen nun den Friedensrichtern zu. Ein Gehalt ist dabei nur den er⸗ wähnten Spezialbeamten auszusetzen, indem die anderen Auto⸗ ritäten, welche in den Kreisbehörden sitzen, sich in Bezug auf ihre dienstlichen Remunerationen nicht weiter verändern. Uebrigens kamen die Friedensvermittler für jeden Kreis auf 4900 Rubel jährlich zu stehen, während die an ihre Stelle tretenden Autori⸗ täten durchschnittlich nur 2500 Rubel in jedem Kreise absorbiren werden. Inzwischen ist auch Genaueres über die Dotirung der ehemaligen Kronbauern mit Land bekannt geworden, wobei es sich im Allge⸗ meinen herausstellt, daß die Kronbauern verhältnißmäßig gün⸗ stiger ausgestattet sind, als die ehemaligen Privatbauern, welche letztere durchschnittlich mit 3 ¾ Dessätinen (16 preußische Morgen) per Revisionsseele ausgestattet wurden. In 28 großrussischen Gouvernements — wo es am 1. April 1874 noch 198 Kron⸗ dörfer (davon 183 allein im Gouvernement Nowgorod) gab, deren Besitzverhältnisse noch nicht geordnet waren — ist bis zum 1. Juli 1874 der Besitzstand schon in 173 Dörfern geregelt worden. Im Gouvernement Orenburg gab es den Besfitzstand
Kronbauern in einen Besitz von 1,134,919 Dessätinen eingewiesen. In den Gouvernements Wologda, Wjatka, Olonetz, Perm wur⸗ den in 19,963 Krondörfern (von 32,571) die Besitz verhältnisse geregelt und bis zum 1. Juli 923,857 Revisionsseelen in 11,067,210 Dessätinen eingewiesen. In Poltawa und Tschernigow wurden für 1550 Dörfer wenigstens die Borarbeiten erledigt, ebenso für 662 Dörfer des Gouvernement Mohilew. Im Gouvernement Witebsk sind die Besitzverhältnisse für 3682 Dörfer so weit geordnet, daß die Akten nur noch einer cursorischen Ueberprüfung unterliegen. Iu Wolhynien wurden die Verhältnisse in 118 Dörfern (von 272) geordnet und 9374 Höfe mit 24,067 den nunmehrigen Eigen⸗ thümern ausgeantwortet. In Livland wurden alle 123 Kron⸗ dörfer vermessen und 12,864 Höfe mit 284,000 Dessätinen Landes bis zum 18. März 1874 abgetheilt: bis zum 1. Juli 1874 ge⸗ langten davon jedoch die Besitztitel erst in 49 Dörfern zur for⸗ mellen Ausfertigung und zwar für 3283 Höfe mit 76,000⸗ Dessätinen Landes.
In Bezug auf das Unterrichtswesen ist zu vermerken, daß im August 15 neue Progymnasien errichtet wurden mit einem Budget von 202,715 Rubeln, wozu die Gemeinden der betreffen⸗ den Städte 59,250 Rubel gesteuert. Drei Progymnasien wurden in wirkliche Gymnasien verwandelt.
In Bezug auf Belohnungen und andere Gnadenerweise für geleistete Dienste wurde die bis jetzt in Kraft bestehende Ver⸗ ordnung vom 31. Juli 1859 durch Allerhöchsten Befehl vom 19. Juni (1. Juli) dieses Jahres in mehreren Punkten wesent⸗ lich verändert. Vor Allem wird als Norm festgesetzt, daß, ab⸗ gesehen von Personen, die sich auf Schlachtfeldern hervorthun, nach einer erhaltenen Auszeichnung Niemand vor drei Jahren u einer neuen Auszeichnung vorgeschlagen werden darfk. Wenn in ganz besondern Fällen eine zweite Auszeichnung doch früher eingetreten wäre als vor dem Ablauf von drei Jahren nach der ersten, so darf eine solche ausnahmsweise Berücksichtigung doch nicht zwei Male nach einander stattfinden. Endlich ist die Zahl der Belohnungen, die für jedes Jahr besonders ertheilt werden, ganz besonders beschränkt. Am günstigsten stellt sich das Verhältniß für die jährlich eventuell ertheilbaren Belohnun⸗ gen bei dem höheren Lehrfach.
Der August ist auch durch das Zusammentreten zahlreicher wissenschaftlicher Kongresse in Rußland bemerkenswerth, worunter der archäologische Kongreß in Kiew (für slawische Alterthümer), der pharmaceutische in St. Petersburg und die Versammlung für Hebung der Waldkultur in Lipetzk (Gouvernement Tambow) die bemerkenswerthesten sein dürften. Der bei Weitem wichtigste und interessanteste der erwähnten Kongresse ist jedenfalls aber der archäologische Kongreß zu Kiew, indem er wissenschaftliche Probleme betrifft, welche von der europäischen Wissenschaft bis⸗ her noch sehr wenig beachtet gewesen.
Der gegenwärtige archäologische Kongreß für slawische Al⸗ terthümer ist der dritte, und er begann seine Sitzungen in Kiew am 14. August. Der letzte archäologische Kongreß vorher war im Jahre 1872, doch waren die früheren Kongresse nicht von so großer Bedeutung wie der jetzige, bei welchem der Großfürst Konstatin Nikolajewitsch das Ehrenpräsidium übernommen hatte.
Zu den bemerkenswerthesten Vorträgen gehören: Graf Uwarow und E. P. Sabielin über Bedeutung der Archäologie; Nikitsky: Handelswege der Deutschen nach Nowgorod; Modestow: über den flawischen Ursprung einiger in den pompejanischen In⸗ schriften vorkommenden Namen; Ternowsky: Parallele zwischen byzantinischen Chronographen und altrussischen Chronisten; Nowekowics aus Belgrad (in serbischer Sprache): über die Ei⸗ vilisation der Ostslawen vor dem Eindringen der Türken; Beda⸗ dudik (in deutscher Sprache): über slawische Grabdenkmäler in Mähren; Dzialowsky (in polnischer Sprache): über alte Grab⸗ mäler in Posen; Kollar (in czechischer Sprache): über die alt⸗ czechischen Handschriften der Bibel aus dem XV. Jahrhundert; J. E. Sabelin: über Strabo's Notizen vom kimmerischen Reich und dem Fürstenthume Tmutorakan (Phanagoria); Golowatzky: über die Geschichte Galiziens und der ugorischen Russen; Ilowaisky: über Abstammung der Bulgaren; Barssow: über das altrussische Heldengedicht vom Zuge Igors; Harkawi: über Kiews Urzeit nach arabischen Quellen u. s. w. u. s. w.
Auf die große Messe zu Nishny⸗Nowgorod wurden im Jahre 1873 für 158 Millionen Waaren gebracht, und davon für 138 Millionen verkauft, während Waaren für 20 Millionen zurück⸗ gingen. Den stärksten Posten bilden Baumwollenwaaren, welche im Betrage von 31,292,000 Rubel ausgeboten wurden. Die Waarenzufuhr in Nishny⸗Nowgorod ist übrigens nicht immer gleichmäßig: im Jahre 1862 betrug sie 103 Millionen Rubel, im Jahre 1872 (dem offenbar günstigsten) aber 128,757,000 Rubel. 8
Die Feuerbrände in Rußland, die in jedem Sommer in starker Anzahl auftreten, beschäftigen unsere Presse mehrfach Es verdient dabei hervorgehoben zu werden, daß die freiwilligo Feuerwehr sich nicht blos in den baltischen Provinzen (wo es 22 Feuerwehrvereine giebt) wohl eingebürgert hat, sondern auch in Pskow (Pleskau) und Witebsk. Weniger hört man von den Feuerwehrvereinen in Rshew, Arsamas, Ardatow, Balachny, Wassilj, Gorbatow, Semenow. In den andern Städten bestehen offizielle Brandkommanden, welche aber nicht in allen Ortem gleich wohl organisirt und namentlich nicht immer zahlreich
enug sind. 8 of euerassekuranz⸗Gesellschaften haben nach dem „Golos“: —An Prämien Für Brand⸗ An ihre einge⸗ schäden Agenten nommen: bezahlt: S 8 im Jahre 1869: 7,713,000 Rb. 2,476,000 Rb. 6 535 Rb.
„ 1870: 8,157,000 „ 2,514,000 „ 714,181 „
„ 1871: 9,942,000 „ 3,433,000 „ 873,966 „
„ 1872: 11,261,000 „ 3,564,000 „ 1,121,5946 „
„ 1873: 13,901,000 „ 4,633,000 „ 1,222,881 „
Dänemarr. Kopenhagen, 14. September. Konfe⸗ renz⸗Rath Madvig, welcher seit 1855 Mitglied des Lauds⸗ things gewesen ist, theilt in einem Briefe an „Fädrelandet“ mit, daß er sich von der politischen Thätigkeit zurückzuziehen gedenke.
— Aus Horsens wird dem „Ritzauschen Bureau“ Llegra⸗ phirt: Die Verwaltung der Waarenlotterie in Jütland hat defi⸗ nitiv beschlossen, daß in Aarhuus, wenn möglich schon im nächsten Jahre, eine jütische Industrie⸗Ausstellung statt⸗ finden soll.
Amerika. Washington, 16. September. (W. T. B.) Der neuecnannte spanische Gesandte wurde heute behufs Ueberreichung seiner Kreditive vom Präs identen Grant empfangen. Der Gesandte gab in seiner Anrede an den Prä⸗ side iten dem Wunsche seiner Regierung Ausdruck, daß die Be⸗ jehungen zwischen Spanien und Amerita sich mehr und mehr
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von 489 Krondörfern zu ordnen: davon wurde für 281 Dörfer alles regulirt und 76,020 Revisionsseelen von den ehemaligen
wieder befestigen moͤchten. Grant erwiderte darauf, daß er 1 diesen Wunsch von Herzen theie. u“
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