1874 / 281 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 30 Nov 1874 18:00:01 GMT) scan diff

tor im Reichskanzler⸗Amt, Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗ Rath Herzog leitete die Debatte ein. (S. unter Reichstagsange⸗ legenheiten.) Der Abg. Simonis kritifirte den vorge egten Etat eingehend und stellte besonders eine Vergleichung mit dem frü⸗ heren französischen Etat an. Der Abg. Duncker erkannte die Schwierigkeiten der Berathung dieses Etats an und beantragte denselben an eine besondere Kommission von 21 Mitgliedern zu verweisen. Um 4 ½ Uhr vertagte das Haus die weitere Debatte.

In der heutigen (21.) Sitzung des Deutschen Reichs⸗ tages, welche um 1 ¼ Uhr begann und welcher der Reichskanzler Fürst von Bismarck, der Präsident des Reichskanzler⸗Amts, Staats⸗Minister Dr. Delbrück und mehrere Bundeskommissare bei⸗ wohnten, wurde zunächst die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Feststellung des Landeshaushalts⸗Etats für Elsaß⸗Lothringen auf das Jahr 1875 und des Gesetzent⸗ wurfs, betreffend die Aufnahme einer Anleihe für Elsaß⸗ Lothringen fortgesetzt. Der Abg. Winterer sprach Namens seiner Wähler die Bereitwilligkeit aus, der Verwaltung des Reichslandes in jeder Weise entgegenzukommen, nur müsse auch die Verwaltung das ihrige thun, um die Bevölkerung zu gewinnen. Er trug sodann verschiedene Beschwerden vor, klagte über die Erhöhung der Steuern, die Ausgaben für Beschaffung von Dienstgebäuden, für die Universität, welche das Mittel zur baldigen Germanisirung von Elsaß⸗Lothringen sein solle, fůr Gehälter an die in zu großer Anzahl vorhandenen Beamten ꝛc. Eine erhebliche Reduzirung des Budgets sei dringend geboten, besonders derjenigen für Zwecke des Unterrichts. Statt das Reichs⸗ land mit immer mehr neuen Anstalten und Schulen zu belasten, hätte man ihm die alten gut bewährten lassen sollen. Auch die Ausgabe für den zukünftigen Bezirkstags⸗Ausschuß sei nicht zu rechtfertigen. Ehe man dergleichen Ausgaben beschloß, hätte man die Bevölkerung von Elsaß⸗Lothringen hören müssen. Der Redner schloß mit einem Protest gegen die in Aussicht genommene Anleihe. Bei Schluß des Blattes sprach der Reichskanzler Fürst von Bismarck.

Nach §. 21 der Kirchengemeinde⸗ und Synodalordnung vom 10. September 1873 kommt dem Gemeinde⸗Kirchenrath, soweit wohlerworbene Rechte Dritter nicht entgegenstehen, die Ernennung der niederen Kirchendiener zu. Darüber, daß die Rechte des Privatpatronats hinsichtlich der Besetzung der niederen Kirchenämter durch den §. 21 cit. nicht haben alterirt werden sollen, kann nach einem im Einverständniß mit dem Evangelischen Ober⸗Kirchenrath erlassenen Cirkular⸗Reskript des Ministers der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten vom 9. d. M. kein Zweifel obwalten, da der Patron der Gemeinde gegenüber jeden⸗ falls als ein Dritter erscheint, und seine Rechte, Angesichts der landesherrlichen Erwerbstitel für das Patronat (§§. 569 ff. II. II. A. L. R.), als wohlerworbene Rechte im Sinne der Kirchengemeinde⸗ und Synodalordnung sich charakterifiren.

Anläßlich eines Spezialfalles ist dagegen die Frage ent⸗ standen, ob zu den Ernennungsrechten, welche nach Erlaß der Kirchengemeinde⸗ und Synodalordnung in Kraft bleiben, auch das Ernennungsrecht auf Grund des fiskalischen Patronats zu rechnen sei, ob mithin nur diejenigen Ernennungsrechte in Wegfall gekommen sind, welche bisher entweder auf Grund der Dienstverfassung bestimmten Personen oder Behörden in ihrer Eigenschaft als geistlichen Oberen oder zufolge besonderer Be⸗ stimmung resp. Observanz anderen Gemeinde⸗Körperschaften, z. B. dem Kirchenvorstand oder einem besonderen Wahl⸗Kollegium, zugestanden haben. Diese Frage wird von dem Minister ver⸗ neint. Die zahlreichen von den Konsistorien bisher ausgeübten Ernennungsrechte beruhen allerdings auf verschiedenen, theils kirchlichen, theils landesherrlichen, theils grundherrlichen, theils gemischten Titeln. Bei der Einheit des berechtigten Subjekts und in Folge der Gleichartigkeit, in welcher jene Rechte durch öffentliche Behörden nach öffentlich⸗rechtlichen Gesichtspunkten bisher geübt worden sind, haben sich die an ihrem Ursprung haftenden Verschiedenheiten allmählich der Art ausgeglichen, daß die letzteren im Einzelnen schwerlich noch würden festgestellt werden können. Auch die ausgedehnten, auf dem fiskalischen Patronat beruhenden Ernennungsrechte nehmen an diesem Ausgleichungs⸗Prozesse Theil. Sie sind ohne Rücksicht auf konkur⸗ rirende Patronatslasten als behördliche Amtsverleihungen behandelt worden, welche sich von den auf Grund der Dienstverfassung oder des Kirchenregiments vorgenommenen nicht unterscheiden. Die obige restriktive Interpretation des §. 21 cit. würde daher nicht blos eine enge, sondern zugleich eine unsichere und in den einzelnen Fällen bestreitbare Sphäre des Gemeinderechts ergeben, welche die dem Gemeinde⸗Kirchenrath eingeräumte Befugniß vielfach illu⸗ sorisch erscheinen ließe. Dazu kommt, daß gerade die weite, im §. 21 gewählte Fassung auf die Absicht des Gesetzgebers hin⸗ weist, die niederen Kirchenbedienungen den Gemeinde⸗Organen in demjenigen vollen Umfange zur Besetzung zu überlassen, in welchem ihm dies durch seine Willenserklärung, ohne Eingriff in das rechtliche Willensgebiet Dritter, möglich war. Sich selbst, in seiner Eigenschaft als Subjekt des landesherrlichen Patronats, unter jenen Dritten mitzubegreifen, ist nicht die Meinung gewesen.

Der Uebergang des Ernennungsrechts kann selbstverständlich nur mit denjenigen Beschränkungen erfolgen, unter welchen dasselbe von den bisher berufenen Organen geübt worden ist. Auch die Gemeinde⸗Kirchenräthe sind demgemäß bei landesherr⸗ lichen Patronatskirchen an die Beobachtung der wegen Anstellung von civilversorgungsberechtigten Personen bestehenden allgemeinen Verwaltungsnormen gebunden. (Reglement über die Civilver⸗ sorgung und Civilanstellung der Militärpersonen vom 16. Juni 1867 §. 8 V. M. Bl. de 1867 S. 280, Reskr. vom 19. Juni 1839 in v. Kamptz Annalen Band 23 S. 373).

Wer geistliche Amtshandlungen in einem ihm den Vorschriften des Gesetzes vom 11. Mai 1873 zuwider über⸗ tragenen Amte annimmt, ohne von dieser Gesetzwidrig⸗ keit Kenntniß zu haben, wird nach einem Erkenntniß des Ober⸗Tribunals vom 12. November cr. dennoch gemäß §. 23 des angeführten Gesetzes mit Geldstrafe bis zu 100 Thlr. be⸗ Nur in dem Falle, daß diese Unkenntniß nachweislich entschuldbar ist, folgt die Straflosigkeit eines solchen Geist⸗ lichen aus den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts. Der Kaplan K. zu B. in Schlesien wurde als Kooperator bei der katholischen Kirche zu B. angestellt, ohne daß sein geistlicher Oberer dem Ober⸗Präsidenten der Provinz Schlesien die vor⸗ schriftsmäßige Kenntniß zukommen ließ. Kaplan K. wurde hierauf auf Grund des §. 23 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 angeklagt, auf seinen Nachweis jedoch, daß ihm die Vorschrifts⸗ widrigkeit seiner Anstellung unbekannt gewesen sei, vom Ap⸗ pellationsgericht zu Ratibor auf Grund der allgemeinen strafrechtlichen Bestimmung des §. 59 des R. Str. G. B. (Wenn Jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Thatbestande 5 ie Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände freigesprochen. Auf die Nichtigkeits⸗

beschwerde der Ober⸗Staatsanwaltschaft vernichtete das Ober⸗ Tribunal das Erkenntniß der, zweiten Instanz, indem es aus⸗ führte: §. 59 des Sn G. B. bezieht sich nur auf Thatumstände, ohne deren Vorhandensein die Handlung entweder gar nicht oder in einem geringeren Grade strafbar ist. In diesem vor⸗ liegenden Falle würde er daher nur dann anwendbar sein, wenn die Vornahme der geistlichen Amtshandlungen erst durch einen hinzugetretenen Umstand strafbar, oder doch in einem höheren Grade strafbar würde, den Umstand nämlich, daß die Amts⸗ übertragung den Vorschriften der §§. 1—3 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 zuwider erfolgt wäre. So steht aber die Sache nicht. Das Gesetz stellt nicht blos die Bedingungen auf, ohne deren Vorhandensein ein geistliches Amt nicht über⸗ tragen werden darf (§§. 1—3), sondern es gilt auch die vor⸗ schriftswidrige Uebertragung eines geistlichen Amtes als nicht geschehen (§. 17.) Die betreffenden Vorschriften sind demnach nicht blos von dem Uebertragenden zu beobachten, sondern die geschehene Befolgung derselben ist auch für den angestell⸗ ten Geistlichen die Bedingung, ohne deren Vorhandensein er von vornherein nicht befugt ist, eine geistliche Amtshandlung vorzunehmen: Der §. 23 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 ent⸗ bindet denjenigen, welcher eine geistliche Amtshandlung vornimmt, von dieser Pflicht nicht; er enthält nichts, was darauf hindeutete, daß die bloße Thatsache der Nichtkenntniß von der Nichtbeobach⸗ tung der Vorschriften, von deren Befolgung seine Befugniß zur Vornahme geistlicher Amtshandlungen abhängt, seine Straf⸗ losigkeit begründe. Wollte man den genannten Paragraphen in entgegengesetztem Sinne auslegen, so würde die Wirksamkeit der Vorschriften des Gesetzes von dem Zufalle abhängen, daß die Kenntniß von ihrer Nichtbeachtung den betreffenden Geist⸗ lichen nachzuweisen sein würde. Gegen diese Auffassung spricht auch nicht, wie der Appellationsrichter meint, die Erwägung, daß die Prüfung der Erf eellung gesetzlicher Bedingungen bei einer Anstellung überall der mi der Verleihung des Amts bestimmungs⸗ mäßig nach der Dienstpragmatik betrauten Behörde obliege, nicht aber dem Kandidaten, der durch das Anstellungsdekret der Behörde gedeckt und jedenfalls berechtigt, häufig auch verpflichtet sei, dem Dekrete derselben Genüge zu leisten, und daß namentlich auch, was die Erfüllung der gesetzlichen Vorbedingungen auf Seite der Anstellungsbehörde betreffe, nirgends einem Amtskandidaten die Pflicht auferlegt sei, die anstellende Behörde bezüglich ihrer Beobachtung der gesetzlichen Anstellungsvorschriften zu kontroliren. Denn es kommt, wie das Ober⸗Tribunalserkenntniß gegen diese Erwägung des Appellationsrichters bemerkt, bei dem §. 23 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 wesentlich das besondere Ver⸗ hältniß in Betracht, in welchem sich der Staat zur ka⸗ tholischen Kirche befindet. Der Staat hatte bei Erlaß dieses Gesetzes nicht die Sicherheit, daß die geistlichen Oberen den Vorschriften desselben über die Anstellung der Geistlichen nach⸗ kommen werden, und legte unter diesen Umständen, um den gesetzlichen Vorschriften die möglichste Wirksamkeit zu verschaffen, den angestellten Geistlichen, unabhängig von den Weisungen ihrer geistlichen Oberen die Verbindlichkeit auf, für die Beobachtung der gesetzlichen Vor⸗ schriften, soweit ihre Person dabei in Frage steht, Sorge zu tragen. Die gedachte Erwägung des Appellationsrichters würde konsequenterweise zu dem Ergebnisse führen, daß der Geistliche auch nach erlangter Kenntniß von der Gesetzwidrigkeit seiner Anstellung durch das Dekret seiner Anstellungsbehörde gedeckt sei, was selbstverständlich die Bedeutung des §. 23 völlig auf⸗ heben würde. Für diese Auslegung des §. 23 sprachen auch die parlamentarischen Verhandlungen über die Mai⸗ gesetze (bei der Berathung der Kommission des Abgeordneten⸗ haufes), aus denen hervorgeht, daß die gesetzgebende Körper⸗ schaft nur den, der in einer entschuldbaren Unkenntniß von Thatsachen gegen die Gesetze handle, von der angedrohten Strafe ausschließen wollte. „Eine entschuldbare Unkennt⸗ niß aber ist dann nicht anzunehmen, wenn der an⸗ gestellte Geistliche Erkundigungen darüber, ob ihm das Amt der gesetzlichen Vorschriften ent⸗ sprechend übertragen worden sei, überhaupt nicht angestellt hat.“

Verbreitungen des Ufers, durch das allmählige An⸗ spülen fremder Erdtheile, sowie neu anwachsender Erdzungen und Halbinseln, welche nach und nach entstanden sind, werden

nach dem Allgemeinen Landrecht (Th. I. Tit. 9 §§. 225 257)

Eigenthum des Uferbesitzers ohne weitere Besitz⸗ ergreifung. Dieses Eigenthumsrecht verjährt jedoch durch Nichtgebrauch und Ersitzung des Eigenthums innerhalb 31 Jahre 6 Wochen 3 Tage, welcher Zeitraum nach einem Erkenntniß des Ober⸗Tribunals vom 12. Oktober er. von dem Tage an gerechnet wird, an welchem nachweisbar ein Theil der Alluvionen sich gebildet hat, da mit der Besitzergreifung der vorhandenen Theile einer Alluvion zugleich der Besitz aller ihr später noch nachwachsenden Vergrößerungen ergriffen ist. Denn da bei di sem allmäh⸗ ligen und unmerklichen Anspülen nicht ermittelt werden kann, wann und um wieviel die Alluvion in jedem einzelnen Augen⸗ blicke sich vergrößert, so ist, wie das Ober⸗Tribunal in seinem Erkenntniß ausführte, auch eine besondere Besitznahme der ein⸗ zelnen angeschwemmten Erdtheile nicht möglich, sie werden viel⸗ mehr von selbst ein Zuwachs und Bestandtheil des Ufers, also ohne daß es weiter einer Besitzergreifung bedarf, mit diesem als integrirenden Theil besessen.

Die Bundesraths⸗Bevollmächtigten Stoats⸗Minister Abeken, v. Mittnacht und v. Larisch sind nach beziehungs⸗ weise Dresden, Stuttgart und Dessau abgereist.

Der General⸗Major und Commandeur der 3. Garde⸗ Kavallerie⸗Brigade, Freiherr von Los, hat sich mit kurzem Ur⸗ laub nach Carolath begeben.

Nachdem die nach §. 26 der Städte⸗Ordnung vom 30. Mai 1853 erforderlichen Erklärungen Derjenigen, welche gleichzeitig in mehreren Wahlbezirken als Stadtverordnete gewählt worden, abgegeben sind, haben sich die betreffenden Herren für die Annahme der Wahl in folgenden Wahlbezirken entschieden, nämlich: 1) der Kommerzien⸗Rath Vollgold für die in der J. Abtheilung des 6. Wahlbezirks; 2) der Verlags⸗ buchhändler Springer für die in der II. Abtheilung des 11. Wahl⸗ bezirks; 3) der Schriftsteller Dr. Pflug für die in der III. Ab⸗ theilung des 15. Wahlbezirks; 4) der Kaufmann Berlin für die in der III. Abtheilung des 30. Wahlbezirks.

Es müssen deshalb in der III. Abtheilung des 19. Wahl⸗ bezirks und in der I. Ab eilung des 7., 20. und 29. Wahl⸗ bezirks Neuwahlen stat nden. Zur Ausführung derselben ist ein Termin auf Mittwoch, den 9. Dezember d. J. anberaumt worden, und zwar für die III. Abtheilung des 19. Wahlbezirks in der 5. Gemeindeschule, Lindenstr. 7, von Vormittags 10 bis Nachmittags 2 Uhr; für die I. Abtheilung des 7. Wahlbezirks im Friedrich⸗Werderschen Gymnasium, Kurstr. 52/53, für die

I. Abtheilung des 20. Wahlbezirks in der 7. Gemeindeschule, Stallschreiberstr. 54 a,, für die I. S.nh.; des 29. Wahl⸗ bezirks in der Königstädtischen Realschule, Keibelstr. 31, von Vormittags 11 bis Nachmittags 1 Uhr.

Gestern Morgen 8 Uhr fand in der „Neuen Kirche“ am Gendarmenmarkt der erste altkatholische Gottesdienst in Berlin statt. Der Magistrat, als Patron der Kirche, hatte hierzu die Erlaubniß ertheilt. Es nahmen etwa 150 Personen an dem Gottesdienste Theil. Die Messe las der Professor Dr. Weber aus Breslau, welcher auch die Predigt hielt. Diese knüpfte an das Wort des Apostel Paulus an: „Lasset uns ab⸗ legen die Werke der Finsterniß und uns rüsten mit den Waffen des Geistes.“ Zum Schlusse sprach Professor Weber die Hoff⸗ nung aus, daß die altkatholische Bewegung immer weitere Vor⸗ schritte machen werde, weil die Waffe, die sie führt, die Wahr⸗ heit und Freiheit sei. Mit dem im katholischen Gottesdienste üblichen Gebete und Gesang schloß der Gottesdienst.

Stralsund, 27. November. Neu⸗Vorpommerscher Kommunal⸗Landtag. In der gestrigen, der vierten Sitzung, die von 10 Uhr Vormittags bis nach 3 Uhr Nachmittags andauerte, wurden, nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung, die mündlichen Berichte der zur Besichtigung der Irren⸗ und Siechenbewahr⸗ und der Taubstummen⸗ Anstalt abgeordnet gewesenen Deputationen entgegengenommen, an die sich eine längere Diskussion über die zur Sache angeregten Fragen knüpfte. Hierauf bildete die durch Gesetz vom 9. Juni d. J. erfolgte Ab⸗ trennung mehrerer Gebietstheile von Neu⸗Vorpommern und die dafür zu beanspruchende Entschädigung den Gegenstand der Berathung und Beschlußfassung, und sodann kam die auf der Tagesordnung stehende Revision des Reglements der Neu⸗ vorpommerschen Brand⸗Assekuranz⸗Sozietät und die Aufstellung neuer Statuten zur Berhandlung. Nachdem die Sache von dem Referenten in eingehender und klarer Weise vorgetragen und die Vorfrage, ob das Institut in ein spezifisch⸗ständisches umzu⸗ wandeln und demgemäß zu statuiren sei, mit überwiegender Majorität bejaht worden war, trat man in die Berathung des Statuts selber ein und führte dieselbe bis zum §. 31 durch. Hier wurde dieselbe abgebrochen und die Sitzung um 31 4 Uhr geschlossen.

Heute nun, in der fünften Sitzung, wurde das neue Statut für die ebengedachte Brandversicherungs⸗Sozietät bis zu Ende durchberathen, der Klassifikations⸗Tarif zu demselben festgestellt und darauf Statut und Tarif mit den beschlossenen Aenderungen des Entwurfs im Ganzen angenommen. Nach Erledigung noch mehrerer Vorlagen von minderem allgemeinen Interesse wurde die Sitzung um 3 ¼ Uhr Nachmittags geschlossen und die Schluß⸗ Sitzung auf morgen Vormittag 1⁄210 Uhr anberaumt.

Breslau, 28. November. In Nr. 48 des Amtsblattes der Königlichen Regierung zu Oppeln wird das Erektions⸗Dekret, betreffend die Errichtung einer „Altkatholischen Parochie in Kattowitz“ zu öffentlicher Kenntniß gebracht.

Görlitz, 27. November. In der heutigen (dritten) Plenar⸗ sitzung des Oberlausitzer Kommunal⸗Landtags wurden zunächst, gemäß eines gestern vorbehaltenen Beschlusses, diejenigen Eisenbahnaktien und Obligationen bezeichnet, welche bei der Sparkasse im Lombardverkehr beliehen werden können. Zum Pensionsfond für emeritirte evangelische Geistliche der Oberlausitz wurde ein Statutennachtrag beschlossen, welcher den aus Schlesien nach der Oberlausitz berufenen Geistlichen die Zeit, welche sie dem schlesischen Fond angehört haben, bei Bemessung der Pen⸗ sionszuschüsse in Anrechnung bringen will, die Reziprozität vor⸗ ausgesetzt. Demnächst wurde der Etat dieses Fonds für die Jahre 1875 bis 1878 festgesetzt. Bezüglich des ständischen Waisenhauses zu Reichenbach O. L. wurde beschlossen: die Ge⸗ nehmigung zu einer Hauskollekte in der Ober⸗Laufitz auch für das Jahr 1875 nachzusuchen. Eine von der Stadt Görlitz offe⸗

rirte Summe von 860 Thlr. 26 Sgr. 3 Pf. soll durch einen

Zuschuß aus dem Reservefond der Landsteuerkasse auf 1250 Thlr. gebracht, und aus den Zinsen dieser Stiftung ein Stipendium für einen Seminaristen am Schullehrer⸗Seminar zu Reichen⸗ bach O. L. begründet werden. Das Nähere wird durch ein zu vereinbarendes und dem nächsten Landtage vorzulegendes Statut geregelt. Zur Unterhaltung einer hier zu begründenden land⸗ wirthschaftlich⸗chemischen Versuchsstation wurden vorläufig für das Jahr 1875 200 Thlr. bewilligt, und im Uebrigen einer näheren Vorlage über die Errichtung einer landwirthschaftlichen Fachklasse an der hiesigen Gewerbeschule, verbunden mit Versuchs⸗ station und Musterwirthschaft, entgegen gesehen. Weiter wurden dem landwirthschaftlichen Centralvorstande für die Ober⸗ lausitz zur Förderung landwirthschaftlicher Zwecke und mit Rück⸗ sicht auf die für das Jahr 1875 im Laubaner Kreise in Aus⸗ sicht genommene Thierschau 300 Thlr. bewilligt. Hinsichtlich der in Aussicht stehenden Provinzial⸗Gesetzgebung wurde der Herr Landeshauptmann mit den, die Rechte der Oberlausitz wahrenden Schritten beauftragt, auch die Zu chlagung der im Bunzlauer, Saganer und Sorauer Kreise be⸗ legenen Orte zu einem Oberlausitzer Kreise für zweckmäßig er⸗ achtet, wegen Einführung der Stolgebührentaxe aber von weiteren Schritten abgesehen. Aus verschiedenen, zur Disposition stehen⸗ den Fonds wurden dem Waisenhause in Reichenbach 800 Thlr., dem Rettungshause in Görlitz 350 Thlr., dem Mädchen⸗Rettungs⸗ hause in Oedernitz 500 Thlr., der Kleinkinder⸗Bewahranstalt in Görlitz 50 Thlr., der neuen Kleinkinderschule in der Neißvorstadt zu Görlitz 25 Thlr., der Herberge zur Heimath in Lauban 100 Thlr., der Kleinkinderschule zu Lauban 25 Thlr., dem Mädchen⸗ Rettungshause Bethanien zu Reichenbach 50 Thlr., der Stiftung zur Unterstützung von Kriegern resp. deren Familien 125 Thlr.,

dem Vereinshause zur Heimath in Görlitz 220 Thlr., der natur⸗

forschenden Gesellschaft in Görlitz 40 Thlr., zur Unterstützung von Präparanden 66 Thlr., zur Deckung der früher bewilligten fortlaufenden Unterstützung von Dienstboten 118 Thlr., der Idiotenanstalt zu Kraschnitz 50 Thlr. und der Mädchenherberge in Görlitz 50 Thlr. bewilligt, und der Ueberrest des einen Fonds b8 5 Taubstummen⸗ Und Blindenunterricht zur Disposition gestellt.

Bayern. München, 28. November. hiesigen Königlichen Hof neuernannte Gesandte Sr. Majestät des Königs von Sachsen, v. Fabrice, bisher Gesandter in Brüssel, ist vorgestern zur⸗Uebernahme seines Amts hier ein⸗

getroffen. Wie bereits die Landräthe von Mittelfranken, Schwaben

und Niederbayern in den letzten Tagen, hat gestern auch die Kreis⸗

vertretung von Oberbayern dem Regierungspostulat, daß Gewerbeschulen pragmatische

den Lehrern an den Rechte verliehen werden sollen, mit Einstimmigkeit beigestimmt. Daß auch die Landräthe der vier anderen Regierungsbezirke den gleichen Beschluß fassen werden. wäre nach der „Allg. Ztg.“ nicht zu bezweifeln.

bas neue Pensionsgesetz auch eine ungünstigere

Der für den

Nachdem der bisherige Vertreter der Universität im berbayerischen Landrath, Professor v. Roth, wegen erreichtem Lebensjahr aus der Kreisvertretung ausgetreten ist, hat an

Universität heute Mittags eine neue Wahl stattgefunden. wurden Professor Dr. v. Helferich zum Landrath id Professor Dr. Konrad Maurer zum Ersatzmann ewählt. Vor dem Wahlakt hielt der diesjährige Rector ungnificus der Hochschule, Dr. v. Hecker, die Antrittsrede 8 der Aula. Die Staats⸗Minister v. Lutz und Pfeufer ꝛc., sowie ein zahlreiches Auditorium hatten dem iedeakt beigewohnt. Dem Rektor zu Ehren veranstalten sie verschiedenen Corps der Studirenden heute Abend einen coßen Fackelzug. 11“

Ein Kriegs⸗Ministerialerlaß vom 23. d. bestimmt: den bei den Truppen und im Ressort der Militärverwal⸗ ung zur Probedienstleistung mit Aussicht auf demnächstige

efinitive Anstellung in etatsmäßigen Beamten⸗ und Unterbeamten⸗

ellen berufenen Personen darf, sofern ihnen das Gehalt resp. er Lohn der betreffenden Stellen bewilligt worden ist, auch der Fohnungsgeldzuschuß derselben gewährt werden.

Die behufs technischer Erhebungen über den Zustand er Ostbahnen gebildete Kommission, welche seit 21. d. M. je verschiedenen Strecken, Stationsverhältnisse, Hochbauten, Fahrmaterial in Augenschein nahm, ist heute Vormittag mittelst Ertrazuges von Landshut hier eingetroffen. Die von der Staats⸗ ahnverwaltung, beziehungsweise Staatsregierung entsendeten Rommissionsmitglieder werden ihre gemachten Wahrnehmungen un in einem Gutachten niederlegen.

Der älteste Rath des obersten Gerichtshofes, Freiherr Grundherr, ist gestern Morgens im 65. Lebensjahre hier erstorben.

29. November. (W. T. B.) Der Landtagsabgeordnete pfarrer Mahr ist wegen Beleidigung des Bezirksgerichts⸗Arztes Bachmeyer und des Landrichters Dennerlein in Ebermannstadt, surch Aeußerungen in der Presse, vom Schwurgericht zu einer Befängnißstrafe von acht Monaten und zur Tragung aller Kosten erurtheilt worden.

Sachsen. Dresden, 28. November. Das heutige Dr. J.“ meldet amtlich die Ernennung des Wirklichen Gehei⸗ en Raths und Kammerherrn von Fabrice zum Königlich ächsischen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister an den Höfen zu München, Stuttgart und Darmstadt.

Hessen. Darmstadt, 27. November. (Fr. J.) Die achricht, als stehe der Zusammentritt des für die Vorberathung ger Kirchengesetze in der Zweiten Kammer gewählten Spezial⸗ Ausschusses in Kürze zu erwarten, um über die Rückäußerung er Ersten Kammer zu beschließen, ist unbegründet. Von einer Finberufung dieses Ausschusses ist vorest nicht die Rede.

Richtig ist nur, daß eine Zusammenstellung der Beschlüsse

zweiter und Erster Kammer gefertigt worden ist, welche ben Berathungen des Ausschusses und bezw. demnächst er Kammer zur Grundlage dienen soll. Nachdem unmehr auch die Erste Kammer dem neuen Civildiener⸗ gensionsgesetz in der von der Zweiten Kammer beliebten Fassung die Genehmigung gegeben hat, steht die Publikation hgieses Gesetzes in naher Aussicht, woran sich denn alsbald auch sie Ausfertigung der neuen Dekrete nach Maßgabe der Besol⸗ bungserhöhungen anschließen wird. Nach dem neuen Pensions⸗ gesetz fällt nunmehr der in den früheren Dekreten enthaltene Vorbehalt, wonach die Besoldungserhöhungen vom vorigen aandtag bei Feststellung des Pensionsbetrags nicht in Be⸗ rracht gezogen werden durfte, weg, und es kommen nmehr, von den nicht hierher gehörigen Reprã⸗ mtationsgehalten und bestimmten, weniger erheblichen Vorbe⸗

shalten bei einzelnen Finanzstellen abgesehen, die vollen Besol⸗

hungsbeträge, wie sie im Dekret stehen, in Berechnung. Wenn Anwachsungs⸗ kala als die Civildienst⸗Pragmatik enthält, so ist es doch in er Richtung günstiger, daß auch die Jahre der Verwendung gegen Gehalt bei einer Behörde mit in Berechnung kommen, was nach dem früheren Gesetz nicht der Fall war, wonach nur die Zeit vom Anstellungsdekret an in Betracht kam.

Mecklenburg. Schwerin, 30. November. (W. T. B.) zur Theilnahme an der Feier der Kriegerdenkmals⸗ Enthüllung am 2. Dezember werden der General der In⸗ anterie Freiherr von der Tann aus München, der Marine⸗ Minister General von Stosch aus Berlin und viele höhere ffiziere heute und morgen hier eintreffen.

Braunschweig. Braunschweig, 28. November. Die Gesetz⸗ und Verordnungs⸗Sammlung veröffentlicht eine Ver⸗ öordnung, die Publikation der der Braunschweigischen Eisen⸗ hahn⸗Gesellschaft ertheilten Konzession zum Baue und Betriebe iner Eisenbahn von Langelsheim nach Neuekrug be⸗ reffend, d. d. Braunschweig, den 19. November 1874.

Elsaß⸗Lothringen. Straßburg, 27. November. Die

Straßb. Ztg.“ schreibt: 1 Der „Industr. als.“ wundert sich, daß Elsaß⸗Lothringen eine Anleihe machen müsse, obschon es schuldenfrei an Deutschland über⸗ egangen sei. Diese Voraussetzung ist nicht ganz richtig. Elsaß⸗ othringen hat zwar, Dank der Fürsorge der deutschen Friedensunter⸗ händler, keinen Theil der im großen Buche Frankreichs verbrieften chuld zu übernehmen gehabt, es sind ihm aber doch Lasten zugefallen, welche man Schulden nennen muß, indem Gläubiger Frankreichs von lfaß⸗Lothringen befriedigt werden müssen. Es sind das u. A. Saar⸗ anal⸗Annuitäten (6,250,000 Fr.), Rhein⸗Rhonekanal⸗Annuitäten 2,060,000 Fr.), Moselkanal⸗Anleihe (4,456,000 Fr.), Eisenbahnsub⸗ entionen (4,811,000 Fr.), rückständige Unternehmerforderungen 2,350,000 Fr.). Diese ungefähr 20,000,000 Fr., welche bis einschließ⸗ ich 1875 getilgt werden sollen, erklären wohl hinlänglich die Anleihe. Der hiesige vaterländische Frauenverein wird im

Saal des Bezirkspräsidiums einen Bazar zu wohlthätigen Zwecken

peranstalten.

Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 28. November. In der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses wurde die Re⸗ gierungsvorlage, betreffend die zeitweilige Gebührenfreiheit bei öschung kleinerer Satzvosten dem Budgetausschusse und der Antrag Heilsbergs auf Erhöhung des Maximalbetrages im Ba⸗ atellverfahren auf 50 Fl. dem Justiz⸗Ausschusse zugewiesen. Sodann wurde die Debatte über das Aktiengesetz fortgesetzt. Art. 239 über die Verpflichtung des Vorstandes für richtige Führung und Vorlage der Bücher ward genehmigt. Art. 240 ber die Verpflichtung des Vorstandes bei Verminderung des Grundkopitals um die Hälfte, dann die Art. 241 ind 248 über die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglie⸗ der bei Auflösung und Liquidation von Aktiengesellschaf⸗ ten, bei Vertheilung des Vermögens nach der Auflösung, bei der Fusionirung mit anderen Gesellschaften und bei theilweiser

Kapitalsrückzahlung wurden in der Ausschußfassung angenommen. Auf Antrag Brestls wurde der Ausschuß beauftragt, über die Frage, wann Gesellschaften zur Emission neuer Aktien berechtigt sein sollen, zu berathen. Der in suspenso gelassene Art. 206, ferner Art. 249 a., enthaltend Strafbestimmungen gegen Vor⸗ standsmitglieder und Personen, welche fälschlich das Stimm⸗ recht ausüben, wurden nach lebhafter Debatte in der Ausschußfassung angenommen, desgleichen Art. 249 b., welcher Ordnungsstrafen gegen den Vorstand, Auf⸗ sichtsrath und die Liquidatoren festsetzt. Die §§. 2 und 9, über die Anwendung der Bestimmungen des Handelsgesetzes auf Aktiengesellschaften, welche keine Handelsgeschäfte betreiben, dann über die Rechte und Obliegenheiten solcher Gesellschaften wurden in der Ausschußfassung angenommen, ebenso §. 10, enthaltend die Schlußbestimmungen und §. 11, enthaltend das Verbot glei⸗ cher Firmen. Gegen den §. 12, welcher die Rückwirkung des Gesetzes auf die bereits bestehenden Kommanditgesellschaften re⸗ gelt, sprach der Abg. Herbst, verlangte eine klare Präzisirung der Fälle, in welchen das Gesetz eine Rückwirkung auf die be⸗ stehenden Gesellschaften haben muß und beantragte die Zurück⸗ weisung des Paragraphs an den Ausschuß zur nochmaligen, eindringlichen Erwägung. Der Antrag wurde einstimmig ange⸗ nommen.

28. November. (W. T. B.) Das Abgeordneten⸗ haus hat das Aktiengesetz mit einem vom Ausschusse beantragten Zusatze des Inhalts angenommen, daß weder das mit der Nationalbank getroffene Abkommen, noch auch die Statuten der letzteren durch das Aktiengesetz berührt werden.

Das Herrenhaus wählte den Baron Apfaltrern zum Mitglied des Staatsgerichtshofs und ermächtigte seinen Prã⸗ sidenten, das Budget pro 1875, sobald dasselbe vom Abgeordneten⸗ hause an das Herrenhaus gelangt, alsbald der Budget⸗Kommission zu überweisen.

Während der heutigen Sitzung des Abgeordneten⸗ hauses trat eine Anzahl von Mitgliedern der drei ver⸗ fassungstreuen Klubs zu einer Berathung zusammen, in der man sich über die bei der morgen stattfindenden allgemeinen Besprechung der wirthschaftlichen Lage einzunehmende Haltung verständigte. Es wurde beschlossen, keine größere De⸗ batte zu eröffnen, auch keine Detailfragen zu erörtern. Auch soll kein Beschluß gefaßt werden. Man will sich vielmehr darauf beschränken, die Versammlung zu der Erklärung zu veranlassen, daß sie in Anbetracht des wirthschaftlichen Nothstandes es für wünschenswerth halte, daß von Seiten des Abgeordnetenhauses Schritte zur Beseitigung desselben unternommen würden, und daß ein Subcomité aus allen drei Klubs niedergesetzt werde, um die wirthschaftlichen Fragen eingehend zu erörtern, bestimmte Vorschläge zu machen und die betreffenden Anträge vorzubereiten. In der heutigen Berathung wurde allerseits hervorgehoben, daß die beabsichtigte Aktion des Abgeordnetenhauses durchaus kein Mißtrauensvotum gegen die Regierung involvire, sondern nur unternommen wor⸗ den sei, um Regierung und Landesvertretung zu thatsächlichem Vorgehen in der wirthschaftlichen Frage zu veranlassen.

29. November. In der Versammlung der drei ver⸗ fassungstreuen Klubs, welche heute unter dem Vorsitze des Abg. Dr. Herbst zur Besprechung der wirthschaftlichen Lage stattfand, beantragte der Abg. Spiegel, nachdem er hervorgehoben hatte, daß Seitens der Versammlung keinerlei Mißtrauensvotum oder Opposition gegen die Regierung beabsichtigt werde, die Ein⸗ setzung einer aus den drei verfassungstreuen Klubs zu wählenden Kom⸗ mission von 30 Mitgliedern behufs Erwägung der Mittel zur Abhülfe der gegenwärtigen wirthschaftlichen Mißstände. Der Abgeordnete Heilsberg befürwortete sodann die Unternehmung von Eisenbahn⸗ bauten Seitens des Staates. Abgeordneter Fux empfahl außer den Eisenbahnbauten die Ueberlassung verschiedener öffentlicher Plätze und der Wiener Linienwälle an die Kommune, sodann auch die Aufnahme von Staatsanleihen zu Bauten von Schulen, Gemeindehäusern, Spitälern und Straßen, Brestel und Andere sprachen gegen jede Staatshilfe, Kalir beantragte, auf den Antrag Spiegels nicht einzugehen, vielmehr die Mitglieder aufzufordern, etwaige Anträge im Abgeordnetenhause einzubringen. Szy beantragte, die Regierung aufzufordern, einen eingehenden Gesetzentwurf über den Bau von Staatseisen⸗ bahnen im nächsten Januar vorzulegen. Nachdem sich endlich nach Schluß der Debatte der Vorsitzende noch für die Ein⸗ bringung der heute gemachten positiven Vorschläge als selbst⸗ ständiger Anträge bei der Berathung des Budgets ausgesprochen hatte, wurde der Antrag Kalir angenommen. Sämmtliche übrigen Anträge sind dadurch abgelehnt.

Schweiz. St. Gallen, 28. November. (W. T. B.) Der Große Rath hat bei der heute fortgesetzten Berathung der Verfassungsrevision den Artikel, betreffend die Oberauf⸗ sicht des Staates über das gesammte Schulwesen, genehmigt.

Ueber den Art. 6 des neuen Verfassungsentwurfes, der die konfessionellen Verhältnisse betrifft, debattirte der Große Rath zwei Tage lang. Schließlich wurde derselbe, wie schon telegraphisch in der Kürze berichtet worden, nach dem An⸗ trag der Kommissionsmehrheit mit 81 gegen 57 Stimmen in fol⸗ gender Fassung angenommen:

Die Glaubens⸗ und Gewissensfreiheit ist unverletzlich. (Art. 49 Bundesverf.) Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet. (Art. 50 Bundesverf.) 1 8

ie von Religionsgenossenschaften erlassenen kirchlichen Organi⸗ sationen unterliegen der Genehmigung des Großen Rathes.

Behufs Handhabung der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften, so⸗ wie zur Verhütung von Eingriffen kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger oder des Staates (Art. 50 Bundesverf.) übt der Staat unter Vorbehalt der Kompetenzen der Bundesbehörden das Aufsichts⸗ recht über die Religionsgenossenschaften und erläßt die hiefür erfor⸗ derlichen Gesetze und Verordnungen.

Der Staat organisirt und beaufsichtgt die Verwaltung der Kirchen⸗ und Pfrundgüter und trifft in allen Angelegenheiten gemischter Natur die erforderlichen Verfügungen unter Vorbehalt der Kompetenzen der Bundesbehörden.

Die Verwaltung der konfessionellen Zentralfonde wird von den durch die Angehörigen der betreffenden Religionsgenossenschaften hiefůr aufgestellten Behörden unter Aufsicht des Staates besorgt.

Den Gemeinden ist das Recht der Wahl und Entlassung ihrer Geistlichen gewährleistet. 1 8.

Anstände aus dem öffentlichen Rechte, welche über die Bildung oder Trennung von Kirchgemeinden oder Religionsgenossenschaften ent⸗ stehen, werden, letztere unter Vorbehalt des Rekurses an den Bundes⸗ rath (Art. 50 Bundesverf.), durch die oberste Administrativbehörde er⸗ ledigt. Anstände aus dem Privatrechte unterliegen richterlichem Entscheid.

Großbritannien und Irland. London, 29. November. (W. T. B.) Wie der „Observer“ meldet, ist Disraeli zur Zeit durch Krankheit an der Ausübung seiner Amtsgeschäfte ver⸗ hindert. Sein Befinden ist indeß keinesweges besorgnißerregend.

30. November.

(W. T. B.) In allen Kirchen der ka⸗ tholischen Diözese Westminster wurde gestern ein Hirten brief des Erzbischofs Manning verlesen, in welchem aus⸗ gesprochen wird, das jeder Katholik, welcher die Unfehl⸗ barkeit des Papstes leugne, dadurch ipse facto von der katho⸗ lischen Gemeinschaft ausgeschlossen werde und jedes Mal, w

er, unter Verheimlichung dieses seines Unglaubens, die heiligen Sakramente genieße, ein Sakrileg begehe. Dem Vernehmen nach wird der Erzbischof Manning nächstens eine Broschüre über die

vatikanischen Dekrete und den Einfluß derselben auf die Unter

thanentreue veröffentlichen.

Nach amtlichen Mittheilungen ist bisher noch keine defi⸗ nitive Bestimmung darüber getroffen, wem das Kommando der Nordpol⸗Expedition übertragen werden soll.

Im Hydepark fand gestern wieder eine öffentliche Kund⸗ gebung zu Gunsten der verhafteten Fenier statt.

Frankreich. Paris, 27. November. Das ‚„Journal officiel“ meldet die Ernennung des Mgr. Colet, Bischofs von Lügon, zum Erzbischof von Tours.

Der Marine⸗Minister hat soeben verfügt, daß Alles, was die unterseeische Vertheidigung der fran⸗ zösischen Küsten betrifft, fortan direkt von seinem Kabinet aus geleitet werden soll; er hat eigens einen Schiffslieutenant mit dem Vortrage in dieser Angelegenheit betraut.

29. November. (W. T. B.) Die Kaiserin von Rußland und der Großfürst Alexis werden morgen Vor⸗ mittag um 10 Uhr nach San Remo abreisen. Gestern folgten der Großfürst⸗Thronfolger und der Großfürst Alexis der Einladung des Marschall Mac Mahon zur Tafel.

Die heute hier stattgehabten Munizipalraths⸗ wahlen ergaben die Wahl von 53 Kandidaten der radikalen 10 der gemäßigten und 11 der konservativen Partei. In fünf Wahlbezirken ist eine engere Wahl erforderlich.

In einer heute stattgehabten Versammlung von Depu⸗ tirten der äußersten Linken und der Linken wurde einstimmig die Absicht ausgesprochen, unmittelbar nach dem Wiederzusammentritt der Nationalversammlung das Gesetzüber die Armeecadres zu berathen und jede politische Diskussion sowie die Berathung der konstitutionellen Gesetze bis nach dem 1. Januar 1875 zu vertagen. Man glaubt, daß die drei Gruppen der Linken morgen denselben Beschluß fassen werden. Auch die Gruppen der Rechten sollen in dieser Beziehung die gleiche Absicht haben.

Spanien. Santander, 28. November. (W. T. B.) Die ungünstige Witterung hat die Fortsetzung der Operationen auf dem Kriegsschauplatze verhindert. Die Brigade Blanco ist in Folge dessen in San Sebastian zurückgeblieben.

44 sind neue Verstärkungen nach Kuba abgesandt worden.

Italien. Rom, 24. November. (It. N.) Heute Vor⸗ mittag 11 Uhr fuhr der König, begleitet von den Prinzen Humbert und Amadeus, nach dem Palaste der Deputirten⸗ kammer, um das Parlament zu eröffnen. Die Linie und Nationalgarde, welche sich zahlreich eingefunden hatte, bildete Spalier vom Quirinal bis zum Monte Citorio. Die Prinzessin Mar⸗ garetha mit ihrem Hofstaate, das ganze diplomatische Corps und eine ebenso zahlreiche wie auch gewählte Gesellschaft wohnten der Erössnung des Parlaments bei. Nachdem der König auf dem Throne Platz genommen hatte, erhob er sich und sprach:

Meine Herren Senatoren und Deputirten! Indem ich mich in der Mitte der Volksvertreter befinde, drängt es mich vor Allem, dem italienischen Volke für die herzlichen Glückwünsche zu danken, die es mir zum 25jährigen Regierungsjubilaum dargebracht hat. (Leb⸗ hafte und lang anhaltende Beifallsrufe)) Jene Freudenbezeugungen haben meinem Herzen um so wohler gethan, da sie ebenso freiwillig wie allgemein waren. Ich hoffe, daß der Eifer, mit welchem sich das zu einer neuen Legislaturperiode versammelte Parlament mit der Ordnung der Staatsangelegenheiten beschäftigen wird, dem Vertrauen, welches ihm das Land entgegenbringt, entsprechen wird. Unsere Civil⸗ gesetzgebung ist geeinigt, auch die Strafgesetzgebung muß es werden. Sie ist der Gegenstand reiflicher Studien im Senate gewesen, und sie soll auch Ihnen vorgelegt werden. Ich habe das Vertrauen, daß aus Ihren Berathungen ein Gesetzbuch hervorgehen wird, welches der italienischen Wissenschaft und ihres Namens würdig ist. Die Reform des Handelsrechts, welche von dem Lande gewünscht wird und von der Regierung zugesagt worden ist, geht von der Ge⸗ sellschaft aus. Die Einmischung der Regierung soll sehr beschränkt sein und die Verantwortlichkeit der Verwaltung wirksamer werden. Meine Regierung wird Ihnen Maßregeln zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit in den Provinzen vorschlagen, wo sie gestört ist. Indem Sie dieselben annehmen, folgen Sie dem Beispiele der civiliftrtesten Nationen und den Parlamenten, welche die öffentlichen Freiheiten mit der größten Eifersucht vertheidigen; denn sie sinken in der Achtung der Völker, wenn sie die Sicherheit der Personen und des Eihenthums nicht garantiren. (Stürmischer Beifall und Rufe: Es lebe der König!)

Die neuen Militäreinrichtungen bewähren sich, und ich bin stolz auf die Fortschritte des Heeres, mit welchem mich die lebhaftesten Neigungen und die theuesten Erinnerungen meines Lebens verbinden. Das Werk muß vollendet und die Vertheidigung des Landes gesichert werden. Auch die Kriegsflotte, auf welcher unser Vertrauen auf die Zukunft zum großen Theile mit beruht, wird Gegenstand Ihrer Be⸗ rathungen werden. .

Meine Regierung wird Ihnen mehrere Gesetzentwürfe vorlegen, welche darauf gerichtet sind, einige Auflagen zu verbessern, indem sie dieselben billiger vertheilt und sie einfacher und einträglicher macht. Es soll dieses der Anfang zu einer stufenweisen Reform des Steuer⸗ und Verwaltungssystems sein, welche, in schwierigen und aufgeregten Momenten geschaffen, einer wohl erwogenen Revision bedürfen. Wir müssen indessen aufhören, neue Ausgaben zu machen. Das Parla⸗ ment wird sich daher nur mit denjenigen zu beschäftigen haben, für welche bereits Verpflichtungen eingegangen worden sind, und deren Dringlichkeit ersichtlich ist. Indem Ihnen meine Regierung die betreffenden Vorschläge macht, wird sie Ihnen auch die Mittel an⸗ geben, um dieselben auszuführen. Indem Sie sich nicht von dieser Richtschnur entfernen, wird es Ihnen gelingen, das Gleichgewicht in den Einnahmen aus Ausgaben des Staates herzustellen, was der heißeste Wunsch der Nation ist. Die Erreichung dieses Zieles wird der Lohn und Trost für die vielen Opfer sein, welche das Volk so edelmüthig dargebracht hat. Auf diese Weise wird die Wiedergeburt Italiens, von jedem Makkel frei, auch den in der Geschichte von poli⸗ tischen Aenderungen so seltenen Ruhm erlangen, nie dem Gedanken Raum gegeben zu haben, seinen Verpflichtungen nicht vollständig nachzukommen. (Lebhafter Beifall.) 8

Meine Herren Senatoren und Deputirten! Ich bin erfreut, Ihnen versichern zu können, daß wir uns mit allen fremden Mächten in den besten Beziehungen befinden. Ich empfange fortwährend Be⸗ weise von dem Werthe, den alle Nationen auf Italiens Freundschaft legen. Das ist der Lohn für die Mäßigung und Festigkeit unserer Politik. Wenn Italien darin verharrt, so beweist es fortwährend, daß Freiheit gepaart, mit Ordnung die schwierigsten Aufgaben zu lösen vermag und ihr rühmliches Ziel nicht verfehlt. Die Vorsehung hat uns in jeder Beziehung unterstützt und dieses Jahr das Land mit einer sehr gesegneten Ernte beschenkt. Das ist ein großes Glück, was den weniger Wohlhabenden zu statten kommt, auf deren Wohl meine Gedanken stets gerichtet sind. Danken wir Gott Alle zusammen da⸗ ür und s durch ebenso gute Vorsätze wie Handlungen seinen