hältniß zu ihrem durch ndere Wege des Bankgeschäftes zu erreichen⸗ den Geschäftsumfang, geringeügigeres Maß zurückführen, daß ihnen dann erlaubt bleitet, die Geschäfte in den Formen weiterzutreiben, in welcher sie dien ben bisher getrieben ““ 8 Nun bat der letzte Herr Redner ein großes Gewicht darauf ge⸗ legt, derg wenn man die bisherigen durch die Statuten und den Ge⸗ schät’ gge rauch dieser Banken hervorgegangenen Formen der Bank⸗ zeschäfte aufrecht erhält, daß das im Widerspruch stehe mit dem Frundprinzid des Gesetzes, welches uns die Rücksicht auf die Berech⸗ tigung der Banken zur Notenausgabe besondere Vorsicht anwendet. Ja, meine Herren, die hier vorliegende Bestimmung, welcher sich die größeren Landesbanken schwerlich unterwerfen, findet Anwendung auf eine Anzahl von Banken, welche insgesammt nach dem von Ihnen angenommenen Vertheilungsplan eine ungedeckte steuerfreie Noten⸗ Emission von 40 Millionen Mark, also von 13 ½ Millionen Thalern haben, der Betrag der ungedeckten, steuerfreien Notenemisston, um welche es sich, wenn diese Banken sich unter die vorliegende Bestim⸗ mung stellen, handelt, ist, wie Sie sehen, ein im Verhältniß zu der gesammten, ungedeckten Notenemission, im Verhältniß zu den viel weiter gehenden Notenemissionsbefugnissen der übrigen Banken geringer. Der Vortheil, daß diese Banken, welche sämmtlich Lokal⸗ bonken sind, innerhalb ihrer bisherigen Bankgeschäftsgebräuche vor⸗ behaltlich der Bestinmmnung im §. 7 fortleben können, hat nun auch seine zweite Seite, welche dahin geht, daß dem Handelsstande, im Kreise ihrer Kundschaft die lokal erwachsenen Kreditformen erhalten bleiben, und deß Banken aufrechterhalten werden, welche bisher die Notenemisstons⸗ befugniß hatten, welche im Besitze derselben sich eine lange Reihe vpon Jahren ein bedeutendes Kapital von Bankgeschick, von Personen uund Geschäftskenntniß erworben haben, — daß diese Banken erhalten bleiben und umgeleitet werden in Banken, welche die Notenausgabe in den Hintergrund und das übrige Bankgeschäft in den Vordergrund stellen. Das ist der Zweck dieser Bestimmung. “
Unter diese Bestimmung werden mit Nothwendigkeit treten müssen die Geraer Bank, welche eine unbeschränkte Notenemission hat, die Bückeburger Bank, die Gothaer Bank, die Braunschweigische, deren Notenemission das Kapital um 1 Million übersteigt; es werden von selbst darunter stellen ohne besondere Bestimmung —ö preußische Privatbanken und eine Reihe der übrigen mitteldeutschen Ban⸗ ken, deren Notenemissionsbefugniß schon jetzt ihr Kapital nicht übersteigt; und wenn der letzte Herr Redner glaubt, daß durch diese Bestimmung die Thüringische Bank das Recht erhalten würde, statt 3 Millionen 6 Millionen Mark in Umlauf zu sühtn. so beruht diese Annahme auf einem Irrthum. Die Thüringische Bank hat ihr Kapital von 3 auf 6 Millionen erhöht nach Erlaß des Gesetzes von 1870; ihre Notenbefugniß ist so geblieben, wie vor Erlaß des Gesetzes; sie be⸗ schränkt sich auf 3 Millionen Mark. 1
Der letzte Herr Redner hat darauf hingewiesen, daß es mit dem Geschäftsgebrauche der Banken doch seine zwei Seiten habe, und hat in dieser Beziehung auf die Dessauische Bank hingewiesen, die eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich hat. Meine Herren, wenn Sie die wechselvolle Geschichte betrachten wollen, welche sämmtliche großen Banken Europas, Amerikas, welche die ’ e Bank, die Englische Bank hinter sich haben, so werden Sie, wenn Sie lediglich auf die Vergangenheit sehen, gegen alle diese Banken sehr viel zu erinnern finden. Die wechselvolle Ge⸗ schichte, welche diese Banken hinter sich haben, ist eine Reihe sehr werthvoller Erfahrungen, aus welchen von Jahr zu Jahr ein immer
esunderes Geschäft hervorgegangen ist, und der Herr, welchen der Perr Vorrredner namentlich in Bezug auf die Dessauer Bank nannte, ist gerade diejenige Person, welche das Geschäft der Dessauer Bank in Ordnung gebracht hat, nachdem es vorher andere in Unordnung gebracht hatten. Meine Herren, ich glaube, Sie leisten dem Verkehr nach zwei Seiten hin einen sehr wesentlichen Dienst, wenn Sie auf der einen Seite Geschäftsformen aufrecht erhalten und erwachsene Er⸗ ahrungen für die Zukunft konserviren und Trägerinnen derselben durch leise Gewalt umwandeln, und wenn Sie auf der andern Seite dafuͤr wirken, daß die weitgehende Noteenimissionsbefugniß einer Reihe von Banken durch eine Prämie, welche an ihre “ 88 ven eingeschränkt werde auf das bescheidene Maß des Ka⸗ italsfonds. Was den Antrag des Hrn. Abg. Sonnemann angeht, so glaube ch, daß er eine die Umwandlung der Landesbanken, welche in das System dieser Lokalbanken voraussichtlich nicht eintreten können, er⸗ leichternde Uebergangsbestimmung Febseige und daß daͤgegen die Bundesregierungen sehr weuig zu erinnern haben werden.
Ferner gegen den Abg. Dr. Lasker:
ꝗDer 8 Abgeordnete für Meiningen hat gegen den Antrag auf Wiederher tellung der Regierungsvorlage geltend gemacht, daß dadurch volle Freiheit den Banken an die Hand gegeben sei, alle möglichen Geschäfte zu machen. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß sämmtliche Statuten der Banken fortbestehen und daß eine Aende⸗ rung der Statuten, welche Geschäfte, die bisher nicht erlaubt waren, zulassen würde, nach den Bestimmungen des Entwurfs der Beschluß⸗ nahme im Bundesrathe unterliegen würde, so daß eine Ausdehnung der Geschäftsbefugnifse solcher Banken, soweit sie nicht durch Gesetz eingeengt sind, der Kontrole des Bundesraths unterliegen würden. Es ist ferner darauf hingewiesen worden, wie groß die Summe von Noten sei, welche von Banken dieser Art in Umlauf gebracht werden. Ich weiß nicht, ob sie auf 450 Millionen Mark sich beziffert hat.
Dem gegenüber erlaube ich mir nur darauf hinzuweisen, daß die
Banken, welche hierbei voraussichtlich in Frage kommen, nach den von Ihnen angenommenen Beschlüssen die Befugniß haben, steuer⸗ freie, ungedeckte Noten auszugeben in Höhe von im Ganzen 40 Millionen Mark, oder 13 ½ Millionen Thalern.
Was ferner das Verhältniß zur Reichsbank anlangt, so handelt es sich hier um Banken, welche durch ihren eigenen Entschluß die Ausgabe von Banknoten im Kreise ihrer Kreditgeschäfte zur Neben⸗ jache machen, und das übrige Bankgeschäft zur Hauptsache und solchen Banken gegenüber ist eine centrale Bank, welche unter besonderer Aufsicht und Garantie des Reiches mit einer großen Notenemission arbeitet, jedenfalls schon aus dem Grunde, weil sie als centrale Bank mur eine Reserve für die Bedürfnisse des Verkehrs zunächst zu bilden bestimmt ist, in allen ihren Befugnissen enger zu stellen als die in ihren engen Kreisen arbeitenden Lokalbanken.
Wenn ber Herr Abgeordnete für Meiningen glauben sollte, da es zu sehr ins Ungewisse Heschkofsen sei, die statutenmäßige Befugni dieser Banken unbedingt be tehen zu lassen, ehe man sich dieselbe im Einzelnen habe ansehen und prüfen können, so glaube ich nicht, daß die Gesetzgebung der Weg ist, um die Statuten der Banken im Ein⸗
nen zu regeln. Ich glaube, duß ist Aufgabe desfenigen Faktors, er im Reiche die allgemeinen Anerdnungen zur Ausführung der Ge⸗ setze zu geben hat, und wenn der Herr Abgeordnete für Meiningen etwa den Wunsch hegen sollte, die Ausführung dieser Bestimmungen unter die Kontrole des Bundesrathes zu stellen, so würde damit dem Zweche des Gesetzes entsprochen werden, ohne daß die vom ihm aus⸗ gesprochenen Befürchtungen irgenwie noch eine Begründung hätten.
Der Abg. Dr. Lasker fragte anläßlich bes §. 50, ob Ban⸗ ken, die freiwillig auf die Ausgabe von ungedeckten Noten ver⸗ zichtet haben und nur im Betrage ihres Gräandkupitals Noten ausgeben, um die im Gesetz shnen in Aussicht gestellte Prämie zu erlangen, dann ihre Konzession verlieren sollen, wenn sie den Betrag des Grundkapitals, aber noch nicht das Kontingent überschreiten.
Der Bundesbevollmächtigte Staats⸗Minister Dr. Del brück erwiderte:
Meine Herren! Ich würde der Meinung sein, daß auch nach Annahme des Amendements des Hrn. Abg. Siemens, welches ja in der Hauptfache dem Vorschlage der Regierungsvorlage entspricht, diese Bestimmung hier ganz unverändert stehen bleiben kann. Denn, wenn eine Bank ihr Notenemissionsrecht auf ihr Grundkapital ein⸗ schränkt, kann dies auf keinem anderen Wepe geschehen, als durch eine Statutänderung, und durch diese Statutänderung wird der statuten⸗ mäßige Betrag ihrer Notenemission geändert. “ V
ö]
— Auf die Aeußerung des Abg. Schröder (Lippstadt), gerüchtweise verlaute, die Antheilsscheine der Reichsbank sollten den Antheilsscheinbesitzern der Preußischen Bank zum Course von 125 Proz. überlassen werden, bemerkte der Staats⸗Minister Dr. Delbrück: 1“]
Meine Herren! Positiv bin ich nicht in der Lage, mich über den Weg auszusprechen, den man bei Begebung der 20 Millionen Thaler einschlagen wird, nur negativ kann ich aussprechen, daß das von dem Herrn Vorredner erwähnte Gerücht, man würde die 20 Millionen Thaler den bisherigen Bankantheilseignern offeriren, unbegründet ist.
— In Betreff der Eintragung der Reichsbank in das Han⸗ delsregister erklärte derselbe Bundesbevollmächtigte:
Meine Herren! Ich habe, als gestern diese Frage hier anzeregt wurde, meinerseits bereits hervorgehoben, daß eine Bestimmung, wie sie jetzt der Herr Abgeordnete für Thorn vorschlägt, nützlich sein könnte. Ich habe dabei die Bedenken nicht verschwiegen, die mich veranlaßt haben, in der Kommission, wo eine ähnliche Bestimmung in Vorschlag kam, mich gegen die Aufnahme derselben zu erklären. Ich habe daran die Bemerkung geknüpft, daß die Sache von Bedeutung und nicht ohne Zweifel sei, und da ich mich bemühen würde, mich nech weiter über den Gegenstand aufzuklären. Ich habe das nun in der Zwischenzeit gethan und ich muß, obgleich ich die von mir gestern ausgesprochene Ansicht, daß es bei richtiger Auffassung des Handels⸗ gesetzbuchs einer solchen Vorschrift nicht bedürfe, noch festhalte, doch namentlich in Erwägung des gestern von mir angeführten Grundes, daß es sich hier um Fragen handelt, welche in letzter Instanz nicht vor das Reichs⸗Ober⸗Handelsgericht kommen, sondern, welche von den Territorialgerichten zu erledigen sind; ich muß, sage ich, in Erwägung dieser Lage, die bisher gegen eine solche Bestimmung erhobenen Be⸗ denken fallen lassen und im Gegentheil wünschen, daß das Haus den Antrag des Herrn Abgeordneten für Thorn annimmt.
Erkenntniß gegen den Wirklichen Geheimen Rath Grafen von Arnim.
Im Namen des Königs!
In der Untersuchungssache wider den Kaiserlich Deutschen Bot⸗ schafter z. D., Wirklichen Geheimen Rath, Dr. jur. GrafHarry v. Arnim, hat das Königliche Stadtgericht in Berlin, Abtheilung für Unter⸗ suchungssachen, Deputation VII. für Vergehen, in seiner öffent⸗ lichen Sitzung vom 19. Dezember 1874, an welcher Theil genommen
haben: Reich, Stadtgerichts⸗Direktor als Vorsitzender, v. Ossowski, Stadtgerichts⸗Rath als Beisitzer Giersch, Stadtrichter 1j 5— u.“ mündlichen Verhandlungen gemäß für Recht er⸗ annt: daß der Angeklagte, Kaiserlich Deutscher Botschafter z. D., Wirk⸗ licher Geheimer Rath Dr. jur. Graf Harry v. Arnim nicht der Urkundenunterschlagung, auch nicht des Amtsvergehens, wohl aber des Vergehens wider die öffentliche Ordnung schuldig und deshalb unter Zurlastlegung der Kosten mit einer Gefängnißstrafe von drei Monaten zu belegen, wovon jedoch ein Monat durch den erlittenen Untersuchungsarrest für verbüßt zu erachten. Von Rechts Wegen!
Gründe. 8
Harry v. Arnim, Sohn des verstorbenen Gutsbesitzers v. Arnim zu Polzin in Pommern und Neffe des weiland Staats⸗ Ministers Heinrich v. Arnim, ist am 2. Oktober 1824 zu Moi itzelfitz in Pommern geboren und evangelischer Religion. Nach vollendeten akademischen Studien und Erlangung der juristischen Doktorwürde trat er am 1. Oktober 1847 als Auskultator in den Staatsdienst. Drei Jahre später widmete er sich der diplomatischen Laufbahn, wurde im Februar 1850 der Gesandtschaft in München attachirt und bestand im Mai 1851 die diplomatische Prüfung. Zum Legationssekretär ernannt, fungirte er als solcher bei den Missionen in Rom, Cassel und Wien, erhielt unterm 17. September 1856 den Legationsraths⸗Charakter, unterm 19. November 1860 die Kammerherrnwürde und wurde mit⸗ telst Allerhöchster Kabinets⸗Ordre vom 6. März 1862 zum Gesandten in Lissabon befördert. In gleicher Eigenschaft war er später in Cassel und München beglaubigt und seit dem 20. Oktober 1864 bei dem päpstlichen Stuhle in Rom akkreditirt. Im Sommer 1870 in den Grafenstand erhoben, wurde er unterm 18. März 1871 zum Kom⸗ missar für die auf den Friedensschluß mit Frankreich bezüglichen Ge⸗ schäfte in Brüssel ernannt und fungirte demnächst in gleicher Eigen⸗ schaft in Frankfurt a. M. Durch Allerhöchste Kabinets⸗Ordre vom 23. August 1871 wurde der Graf von Arnim zum Gesandten bei der französischen Republik in außerordentlicher Mission ernannt und avancirte auf diesem inzwischen in eine Botschaft umgewandelten Posten zum Botschafter des Deutschen Reiches. Mittelst Allerhöchster Kabinets⸗Ordre vom 2. März 1874 wurde der Graf unter Vorbehalt anderweiter Verwendung von dem Botschafterposten in Paris abberufen und dem entsprechend am 19./20. März 1874 zum Deutschen Botschafter in Konstantinopel ernannt. Dieser seiner Abberufung aus Paris ungeachtet, verblieb Graf Arnim noch mehrere Wochen in seiner bisherigen Stellung, übergab erst am 29. April 1874 sein Abberufungsschreiben dem Präsidenten der franu⸗ zösischen Republik und verließ alsdann Paris. Eine demnächst unterm 15. Mai 1874 erlassene Allerhöchste Kabinetsordne versetzte den Gra⸗ fen vom 1. September 1874 ab in den einstweiligen Ru hestand. Von preußischen Orden und Ehrenzeichen besitzt Graf Arnim den St. Jo⸗ hanniter⸗Orden und den Stern zum Rothen Adler⸗Orden zweiter Kiasse mit Eichenlaub, letzteren seit dem 3. Juli 1871; im September 1872 erfolgte seine Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rath mit dem Prädikat „Excellenz“. Der Vorgenannte ist von der Königlichen Staatsanwaltschaft beim Stadtgericht in Berlin wegen Vergehens im vhnces eech⸗ wegen Urkunden⸗Unterschlagung unter Anklage gestellt und speziell beschuldigt, im Hotel der Kaiserlich Deutschen Botschaft zu Haris während der Zeit von 1872 bis 1874 durch eine und dieselbe andlung als Beamter Urkunden, welche ihm amtlich anvertraut waren, vorsätzlich bei Seite geschafft und Sachen, die er in amtlicher Eigenschaft empfangen hatte, sich rechtswidrig zugeeignet zu haben. Die unter⸗ zeichnete siebente Deputation des Königlichen Stadtzerichts in Berlin hatlauf Grund dieser Anklage die förmliche Untersuchung mittelst Beschlus⸗ ses vom 14. November 1874 eingeleitet und den schon vor dem Audienzter⸗ min erhobenen präjudiziellen Einwand der Inkompetenz zur mündlichen Verhandlung verwiesen. In derselben hat denn auch der Angeklagte den Einwand der Inkompetenz nach Verlesung der Anklage wiederholt und bedurfte diese Einrede der präjudiziellen Erwägung und Erledigung. Nach dieser Richtung hin konnte zunächst der Deduktion der König⸗ lichen Staatsanwaltschaft, daß das Forum hierselbst als korum domi- cilii begründet sei, nicht beigetreten werden. Der Angeklagte hatte,
Lagern von 200 Kisten mit
nachdem er seinen Botschafterposten in Paris am 29. April 1874 verlassen satte und demnächst in den einstweiligen Ruhestand ver⸗ setzt war, seinen gesetzlichen Wohnort in Berlin. (Gesetz, betreffend Zusätze zur Verordnung vom 2. Januar 1849, vom 26. April 1851. Gesetz⸗Sammlung Seite 181 ff. Artikel III. und §. 21 des Reichs⸗ Beamtengesetzes vom 31. März 1873) verloren und es erhellt nicht, daß er bei seiner am 4. Oktober 1874 (wie aktenmäßig festgestellt) zu Nassenhaide erfolgten Verhaftung einen Wohnsitz hier neu be⸗ gründet hatte. „Aus den von der Königlichen Staatsanwaltschaft er⸗ brachten Beweisen, dem vom Kriminal⸗Polizeiinspekor Pick bekundeten
m Sachen und Möbel im hiesigen Hotel der Schwiegermutter des Angeklagten und seiner amtlich beauskunfteten Anmeldung zur Miethssteuer geht nicht hervor, daß der Angeklagte hier in Berlin seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte; denn die Anmeldung zur Miethösteuer konnte sehr wohl auch von anderen Personen ausgehen, ist auch erweislich nicht durch den Angeklagten selbst er⸗ folgt, und was die Lagerung der ,200 Kisten mit Sachen und Mo⸗ bilien des Angeklagten betrifft, so ist der Ausführung der Vertheidi⸗
gung beizuflichten, daß der Weß von Paris nach Nassenhaide über Berlin führt, nicht umgekehrt der Weg von Paris 56 Berlin über i
Nassenhaide, und daß das Lagern von Kisten noch kein Wohnen ist In diesen thatsächlichen Verhältnissen ist auch in der Zwischenzei zwischen der Eröffnung der Voruntersuchung (4. Oktober 1874) un der Einleitung der förmlichen Untersuchung 1874) erweislich keinerlei Veränderung eingetreten. Konnt hiernach Berlin als forum domicilii nicht in Betracht kommen so ergab sich gleichwohl die formelle Kompetenz der unterzeichne ten Deputation schon aus äußeren Gründen.
zwischen dem Voruntersuchungsrichter und dem Spruchkolle gium aus, dann ging — ohne daß von der Seitens der Vertheidigung hervorgehobenen excsptio oder replica doli die Rede sein kann — dem
die protokollarische Aufnahme der Inkompetenzeinrede herbeizuführen. Art. 5 des Gesetzes vom 3. Mai 1852 schreibt ausdrücklich vor, daß die Einrede der örtlichen Inkompetenz von dem Beschuldigten be seiner ersten Vernehmung über die Beschuidigung geltend gemacht werden muß; und daß unter dieser Geltendmachung keine blos münd lich abgegebene Erklärung, sondern eine protokollirte Auslassung zu verstehen ist, ergiebt sich unzweideutig aus Absatz 2 des angezogenen Art. 5, denn dort wird zur Entscheidung über die Inkompetenzeinrede
nur betreten werden, wenn die Form der exceptio dazu angethan
Erklärungen ist 1ber bestenfalls der Angeklagte bei seiner ersten Ver⸗ nehmung, ja sogar im ganzen Laufe der Voruntersuchung nicht hinaus⸗ zekommen in Betreff des örtlichen Gerichtsstandes. Die Rechts⸗ kontinuität zwischen Voruntersuchungsrichter und erkennender Depu⸗ tation im Sinne der Vertheidigung besteht indeß auch gar nicht. Es mag ja die Regel bilden, daß beide Faktoren, Voruntersuchungs⸗ richter und erkennende Deputation, derselben Gerichtsbehörde ange⸗ hören, nothwendig ist solches aber nicht. Die Voruntersuchung kann sehr wohl bei einer anderen Gerichtsbehörde geführt sein, als derjenigen, welcher die erkennende Depulation angehört. Hieraus aber folgt von selbst, daß die erkennende Deputation den Beruf hat, ihre eigene Kompetenz zu prüfen und selbst⸗ ständig festzustellen. Sowie die Deputation selbst dann, wenn der Voruntersuchungsrichter sich vielleicht mit Unrecht für kompetent er⸗ achtet und der Beschuldigte durch Säumniß die Einrede der Inkom⸗ petenz verloren haben sollte, nicht gezwungen ist, die ihr vom Vor⸗ untersuchungsrichter angefallene Erbschaft ohne Vorbehalt anzutreten, vielmehr sehr wohl befugt ist, beim Beschlusse auf die Anklage noch von Amtswegen ihre Inkompetenz auszusprechen, in demselben Maße
standes erfüllt sind. 8 ist angezogenen Gesetzes vom 3. Mai 1852 ist der Gerichtsstand da be⸗ gründet, wo der Beschuldigte ergriffen wird, wo seine Verhaftung stattgefunden hat, und zwar überhaupt eine Verhaftung (gleichviel ob die erste, zweite oder sonst wievielte Verhaftung). Angeklagter ist nun aber nach seiner am 28. Oktober 1874 erfolgten Infreiheitsetzung — bei welcher ihm nur das Verbleiben innerhalb des Deutschen Reiches, keineswegs der Aufenthalt in Berlin zur Pflicht gemacht wurde — thatsächlich am 12. November 1874 hier in Berlin wieder ver⸗ haftet worden und war hier in Berlin in Haft, als am 14. No⸗ vember 1874 die Deputation mit der Sache überhaupt erst befaßt wurde. Berlin ist sonach allfällig forum deprehensionis und die Sache vollständig in der Lage, als ob bei ihrer Einleitung und bei der zweiten Verhaftung des Angeklagten die Deputation ab ovo ein⸗ getreten wäre. Anders vielleicht würde es sich gestaltet haben, wenn in der Zwischenzeit vor dem 12. November irgend welches andere Ge⸗ richt, beispielsweise das Königliche Kreisgericht in Stettin, intervenirt wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall und daher die örtliche Kompe⸗ tenz der unterzeichneten Deputation unzweifelhaft. Ihr gegenüber liegt das forum deprehensionis vor und dadurch rechtfertigt sich der Beschluß, die vom Angeklagten erhobene Einrede der örtlichen Inkom⸗ petenz zu verwerfen und in die materielle Verhandlung der Sache ein⸗ Daß sich bei dieser letzteren für die der Verurtheilung des Angeklagten zum Grunde gelegten kirchenpolitischen Depeschen, ad passum I. der Anklage, auch die Bejahung der materiellen Kompe⸗ tenzfrage herausgestellt hat und bei den vorliegenden Prämissen noth⸗ 8 herausstellen mußte, wird weiter unten erörtert werden.
Bei der materiellen Erörterunz der vorliegenden Anklagesache
frägt es sich zunächst, welches Gesetz sar Anwendung zu bringen?
Ein Theil von dem, was überhaupt geschehen ist, geschah, wie sich ergeben wird, in Paris, als der Angeklagte dort als Kaiserlich Deutscher Botschafter fungirte. Ein anderer Theil geschah in dem außer⸗preußischen Deutschland und ein dritter Theil — allerdings der Haupttheil — hier in Berlin, zum Theil — nach der Anklagefor⸗ mel sogar ausschließlich — liegen also Handlungen vor, welche nach⸗ Paris fallen, und bezüglich dieser entsteht füglich die Frage, nach welchem Gesetz diese Handlungen zu beurtheilen, unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Angeklagte zur Zeit dieser Handlungen in Paris Kaiserlich Deutscher Botschafter war. Das vom An⸗ geklagten nicht der Existenz, sondern dem Umfange nach be⸗ strittene Recht der sogenannten Exterritoriglität wird nach europäischem Völkerrecht den Gesandten thatsächlich zugestanden, wie dies von vielen namhaften Rechtslehrern, so u. A. von: a. Professor Dr. Berner in seiner Schrift: „Wirkungskreis des Strafgesetzes ꝛc.“ auf Seite 206 und folgende; b. Professor Dr. Heffter in seinem Völkerrechte Seite 89 ff., 387 ff.; c. Klüber in seinem Staatsrechte S. 466; d. Martens Manuel diptomatique, §. 21, pag. 46; e. Wiequefort, Bynkerschock, Merlin, v. Pacassy bezeugt wird. Dieses Recht der sogenannten Exterritorialität erkennt auch unsere einheimische Gesetzgebung in den Konsequenzen ausdrücklich an, z. B. die Allgemeine Gerichtsordnung, §§. 62 ff., Tit. 2 Theil . die Verordnung vom 26. April 1844, (Gesetz⸗Sammlung Seite 112), das Gesetz vom 26. April 1851, betreffend Fusäße zu der Verordnung vom 2. Januar 1849, Artikel III. Nr. 2, der §. 21 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873, Reichsgesetzblatt pro 1873, Seite 61 ff., die Kriminalordnung in 8. 251 ff., das Allgemeine Landrecht in §. 36 der Einleitung.
ieses Recht der Exterritorialität räumt den Gesandten die Exemtion von der fremden Civil⸗ und Strafgerichtsbarkeit ein und beläßt die⸗ selben unter dem Gesetze des absendenden Staates, indem es so an⸗ gesehen wird, als die diplomatischen Agenten gar nicht ins Ausland gekommen, vielmehr im Inlande verblieben wären. Es folgt den Ge⸗ sandten in der That trotz der Seitens der Vertheidigung versuchten gegentheiligen Deduktion auch der heimische Staatsanwalt, mit diesem der heimische Richter und mit letzterem auch das heimische Recht. Der Angeklagte war und ist — abgesehen von seinen Amtseigenschaften — aber auch Deutscher und Preuße. Es bestimmt nun weiter §. 4 Nr. 3 des Reichs⸗Strafgesetz⸗ buches, daß wegen der thatsächlich im Auslande begangenen Hand⸗ lungen nach den Strafgesetzen des Deutschen Reichs ein Deutscher verfolgt werden kann, wenn die im Auslande begangene Handlung nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen anzusehen ist, und zugleich durch die Gesetze desjenigen Ortes, an welchem sie begangen wurde, mit Strafe bedroht ist. Diese Requisiten liegen hier vor; denn Dasjenige, was die Anklage dem Grafen Arnim aus unserem einheimischen Gesetze vorwirft, ig auch in dem in der Audienzverhandlung vom 14. Dezember 1874 verlesenen Artikel 173 des code penal vorgesehen und mit Strafe bedroht, und daß dieser Artikel des code penal noch fortdauernd in Gültigkeit ist, hat die in derselben Audienzverhandlung zur Lösung gebrachte amt⸗ liche Auskunft des seteget.n Dentschen Botschafters in Paris respektive der hiesi en französischen Botschaft bezeugt. Hiernach ist das Deutsche eichs⸗Strafgesetzöbuch mit den aus nnserer jetzigen Gesetzgebung, einschließlich der allgemeinen Gerichts⸗ ordnung und des Allgemeinen Landrechtes zu entnehmenden Ergänzungen, dasjenige Gesetz, welches im vorliegenden Falle zur An⸗
wendung kommt, mögen die inkriminirten Handlungen an den Ufern der Seine oder an denen der Spree veruͤbt sein. Der Anklage liegen
ist, was sich von einer blos mündlich abgegebenen und blos registrir⸗ ten Erklärung offenbar nicht behaupten ließ. Ueber bloße mündliche
(14. November
Geht man nämlich von der Seitens der Vertheidigung behaupteten Rechtskontinuität
Angeklagten die Einrede der örtlichen Inkompetenz dadurch verloren, daß er es unterließ, gleich bei seiner ersten gerichtlichen Vernehmung
der Beschluß⸗ und Beschwerdeweg vorgeschrieben und dieser kann
kann auf der andern Seite die Deputation ihre Kompetenz feststellen, sobald nur überhaupt ihr gegenüber die Bedingungen eines Gerichts⸗
8—
Und Letzteres ist der Fall. Nach Artikel 2 des
SS
drei Kategorien oder besser Serien von Aktenstücken zu Grunde, geschieden nach dem Schicksale, welches sie erfahren haben, geschieden nach den Anslassungen des Angeklagten, aber auch wesentlich geschie⸗ den in ihrer rechtlichen Beurtheilung. Die zuerst zu behandelnde Serie ist diejenige ad passum II. der Anklage. Sie besteht aus den zwölf Erlassen, welche der Angeklagte wegen ihres disziplinären In⸗ halts als sein Privateigenthum anspricht und zu denjenigen Akten genommen und nehmen zu können geglaubt hat, die er als seine „Kon⸗ fliksakten“ bezeichnet und auch äußerlich signirt hat. Diese zwölf inkriminirten, vom Anzeklagten zugeständlich gar nicht zum Archive gebrachten oder doch, soweit ohne sein Zuthun dahin gelangt, bald wieder zurückgenommenen Erlasse hat er seinem Zugeständnisse oder doch seinen unwiderlegt gebliebenen Angaben zufolge vor dem Juni 1874 einer Person im außerpreußischen Deutschland übergeben; die diesfälligen Handlungen würden sonach in das Botschaftshotel zu Paris resp. nach Deutschland (außer Preußen) fallen. Ausweislich der zur Lesung gebrachten ö des Angeklagten mit dem Auswärtigen Amte (adhib. I.) hat der Angeklagte diese zwölf Erlasse wiederholter Aufforderung des Auswärtigen Amtes ungeachtet — die verlesene Aufforderung datirt vom 6. Juli 1874 — der genannten Amtsstelle herauszugeben sich konsequent geweigert, vielmehr — wie aktenmäßig konstatirt worden ist — erst am 3. Dezember 1874, also erst im Laufe des gegenwärtigen Untersuchungsverfahrens dem Gerichte überliefert, aber selbst diesem nur unter ausdrücklichem Vorbehalt seiner Rechte. Von diesen sämmtlichen zum Zwecke der Beweisaufnahme verlesenen Erlasse betreffen die Nummern 224, 239, 271, 281 de 1872, die Nummern 90, 102,. 104* de 1873 die Beziehungen Deutschlands zur französischen Regierung. so wie die in dieser Hinsicht vom Angeklagten eingenommene Position im Gegensatze zu der Politik des Fürsten Reichskanzlers, also den eigentlichen sogenannten politischen Konflikt in der Sache, zwei Erlasse Nr. 2 und 14 de 1874 betreffen das Verhalten des Angeklagten zu den Hirtenbriefen der französischen Bischöfe in Nancy, Angers, Niens, zwei Erlasse Nr. 291 de 1873 und Nr. 33 de 1874 betreffen das aktive und passive Gesandtschaftsrecht der deutschen Mittelstaaten, ein Erlaß endlich Nr. 71 de 1874 betrifft die mangelhafte Beauf⸗ sichtigung der Pariser Botschaftskanzlei. Die zwei letzterwähnten Erlasse lauten wörtlich: (Folgen die beiden Bismarckschen Erlasse, die wir schon früher wörtlich mitgetheilt haben. D. Red.
Die Anklaze nennt sämmtliche zwölf Schriftstücke „amtliche“. Sie hat darin der absendenden Amtsstelle gegenüber durchweg voll⸗ kommen Recht. Der Charakter eines Schriftstückes auf Seiten des Absenders ist aber für den gegenwärtigen Prozeß nicht relevant und es sind daher die auf den Erbasfen sich findenden nur die Aus⸗ gangsstelle betreffenden Jurnal⸗ und Depeschen⸗Nummern in keiner Weise wesentlich, um so weniger als:
a. ausweislich des in der Verhandlung vorgelegten Privatbriefes des Herrn Fürsten Reichskanzlers an den Angeklagten vom 17. Mai 1872; 1
b. nach dem eidlichen Zeugniß des Geheimen Hofraths Roland — auch politische Korrespondenzen in absolut privater Form gewechselt wor⸗ den sind und umgekehrt auch offenbare Privatkorrespondenzen amtliche Form hatten. Dies letztere geht unzweideutig hervor aus vier verlesenen Erlassen gleichen Schicksals, wie die obigen 12 Erlasse. Diese vier Erlasse, versehen mit Depeschen⸗ und Journalnummern, beziehen sich auf die Beurlaubung des Angeklagten, auf seine Abberufung von Paris, auf die Venchahg nach Konstantinopel. Sie sind, obwohl ur⸗ sprünglich gleichfalls hierher gezogen, außer Anklage geblieben, unter dem ausdrücklichen Anerkenntnisse der vom Angeklagten erhobenen Ei enthumsansprüche auf diese vier Erlasse (Nr. 68, 69, 93, 130 de 1874. Wesentlich ist für den vorliegenden Streit nur, ob die Erlasse auf Seiten des Empfängers als „amtliche“, nicht für die Herson des Angeklagten, sondern für das Botschafts⸗ archiv bestimmte Schriftstücke anzusehen sind, und hierfür ist lediglich der Inhalt entscheidend. Disziplinarverfügungen (Rügen, Mahnun⸗ gen, Verweise) sind für die Person des Empfängers bestimmt, Ver⸗ fügungen sachlichen Inhalts, also z. B. Direktiven für diplomatische Agenten, sind amtlichen Charakters und gehören in die Archive der empfangenden Amtsstelle, mögen sie an diese wörtlich oder an deren Chef adressirt sein. Bei Verfügungen gemischten Inhalts ist es ent⸗ scheidend, ob die Rüge zum Zweck der Direktion ertheilt, oder umge⸗ kehrt der sachliche Inhalt zur Begründung der Rüge, etwa wie die Urtelsgründe zum Tenor des Erkenntnisses, gegeben ist. Nicht relevant wiederum ist Form und Fassung des Tadels. Aus diesen Gesichtspunkten betrachtet, erscheinen der Erlaß Nr. 74 de 1874 als rein disziplinärer — also auf Seiten des Empfängers privater Natur, die Erlasse Nr. 271 de 1872, worin es im Eingaage ausdrücklich heißt, daß „neue Instruktion“ nicht er⸗ theilt werden solle und Nr. 33 de 1874, worin in sachlicher Be⸗ ziehung im wesentlichen auf den sachlichen Inhalt des Erlasses Nr. 291 de 1873 verwiesen ist, als überwiegend disziplinärer — also wiederum rivater — Natur, die übrigen aber nicht wörtlich wiedergegebenen, e nur ihrem Inhalte nach charakterisirten neun Erlasse aber obfektiv allerdings als „amtliche“ Schriftstücke. Jedoch auch in Be⸗ ziehung auf diese letzteren neun Erlasse kann dem Angeklagten die bona fides nicht abgesprochen werden, wenn derselbe versichert, sub⸗ jektiv diese Aktenstücke für nicht amtlich erachtet zu haben. Die bona sides will hier so viel bedeuten, als der den dolus ausschließende Irr⸗ thum über die thatsächlichen und rechtlichen Eigenschaften des Doku⸗ ments (§. 59 des Reichs⸗Straf⸗Gesetzbuches).
Dat der Angeklagte in der That gutgläubiger Meinung von An⸗ fang an in dieser Beziehung war, beweisen: 1
a. die konstatirten kaustischen Vermerke auf dem größten Theile der Erlasse, “ b. die von dem Zeutzen Professor Leweß eidlich bekundete Kon⸗ fultation des letzteren, c. die verlesenen Erklkärungen des Angeklagten in dem seine x mit dem Auswärtigen Amte enthaltenden Fascikel adhib. 1), 1 daß der Angeklagte solcher Meinung sein konnte, folgt aus dem 88 Inhalte dieser Erlasse. Das Maß der Berechti⸗ gung zu solcher Meinung ist dabei gleichgültig. Eine etwas andere Gestalt nahm allerdings die Sachlage an, als an den Angeklagten, wenn auch flugs nach seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhe⸗ stand, die oben erwähnten Aufforderungen des Auswärtigen Amtes ergingen, worin Angeklagter angewiesen wurde, jene Erlasse zurückzu⸗ geben. Diesen Weisungen mußte er Folge geben. Er war und blieb auch als Botschafter zur Disposition der Disziplin des Auswärtigen Amtes, dessen vorherige Ueberordnung von ihm anerkannt ist, in dem von diesem in den verlesenen Erlassen (vom Juni bis August 1874) im Korrespondenz⸗Fascikel entwickelten Sinne unterworfen und er irrte, wenn er in seinem aus der Korrespondenz verlesenen Schreiben vom 20. Juni 1874 und im Laufe der gegenwärtigen Untersuchung wiederholentlich die Ansicht aufgestellt hat, daß auf den Reichs⸗ beamten — ein solcher war und ist er ja noch (§§. 25, 29, 119, 132 des Reichsbeamten Gesetzes vom 31. März 1873) nach seiner Dis⸗ positionsstellung, abgesehen von den vermögensrechtlichen Satzungen, nur die von ihm angezogenen Disziplinarparagraphen 84— 118 über das Verfahren bei der Entfernung aus dem Amte Anwendung finden. Es müssen schon nach dem Inhalte der von ihm selbst herangezogenen die hier wegen des Begriffs des Disziplinarvergehens und der Strafarten (Ordnungs⸗ strafe, Entfernung aus dem Amte) vorausgesetzten früheren Para⸗ graphen 72, 73, 74, 75 nothwendig zum Kreise der zugelassenen Pa⸗ ragraphen hinzutreten und es ist san das Verfahren auf Entfernung aus dem Amte ja ganz zweifellos, daß eine Behörde da sein muß, welche den Disziplinarfall festzustellen und das geeignete Verfahren in Anregung zu bringen hat. Ebenso zweifellos ist es, daß einen Gegenstand dieser Disziplin zumal diejenigen Pflichten abgeben mässen, mit deren Erfüllung der zur Disposition gestellte Beamte noch aus der Zeit seiner Aktivität her im Rückstande ist. Diszi⸗ plinarkammern oder Disziplinarhof sind nur Disziplinarspruch⸗ behörden, aber keine Disziplinaraufsichtsbehörden (§. 86 a. g. O.). Es frägt sich aber, was der Angeklagte Verantwort⸗ liches that, als er den an ihn ergangenen Weisungen des Aus⸗
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wärtigen Amtes nicht nachkam? Die Antwort auf diese Frage lautet: Daß Angeklagter sich eines Disziplinarvergehens schuldig machte. Mit solchen Vergehen hat das Strafgericht nichts zu schaffen. Ob Angeklagter außer dem Disziplinar⸗ vergehen noch eines Kriminal⸗Vergehens sich schuldig machte, dafür ist zunächst die Erledigung der Vorfrage maßgebend, ob durch jene Weisungen des Auswärtigen Amtes die oben festgestellte, prin⸗ zipaliter 1. gewesene bona fides des Angeklagten aufgehoben worden ist, und diese Vorfrage, damit aber auch zugleich die Haupt⸗ frage, ist zu verneinen. Ja, wäͤre selbst durch jene Weisungen des Auswärtigen Amtes die prinzipaliter vorhanden gewesene bona fides des Angeklagten beseitigt worden, so würde damit nur eine mala fides seu dolus superveniens konstituirt worden sind, welcher dem Angeklagten nichts schadet. Der für anderen Fall gegebene Römische Rechtsgrundsatz mala fides superveniens non nocet, d. h. „ein später erst kommender dolus“, schadet nicht und macht das früher putativ Erlaubte nicht zum Unerlaubten, greift hier recht eigentlich durch. Daß nach Empfang der Weisungen des Auswärtigen Amtes bezüglich der Aktenstücke ad passum II. der Anklage Seitens des Angeklagten irgend eine schädliche Operation vorgenommen worden wäre, dafür ist nichts erbracht. Sein Sease Ungehorsam gegen die Verfügungen des Auswärtigen mtes, wesentlich 58 ein negatives Verhaliten, würde allenfalls und bei etwaiger Annahme der mala fides als ein Unterdrücken der in Rede stehenden Aktenstücke etwa im Sinne des §. 274 Nr. 1 des Reichs⸗Strafgesetzbuches angesehen werden können. Die der Anklage zu Grunde gelegten §§. 348, 350, 133 des Reichs⸗Strafgesetzbuches begnügen sich aber mit einem blos negativen Verhalten der Ange⸗ schuldigten nicht, sondern fordern zu ihrer Anwendung ein positives Thun, ein „Vernichten“, Beiseiteschaffen, Beschädigen, Aneignen; da von solchem keine Rede ist, so scheiden nach allen Richtungen hin betrachtet, die Dokumente ad passum II. der Anklage aus dem Debet des Angeklagten aus. Ein Gleiches, freilich aus an⸗ deren Gründen, gilt auch von der ganzen Serie III., den in passus III. der Anklage aufgezählten Aktenstücken, umfassend elf Er⸗ lasse und zwölf Berichte, zusammen dreiundzwanzig Schriften mannich⸗ fachen politischen Inhalts. Ihre Qualität als „amtliche“ Aktenstücke ist von keiner Seite angezweifelt, ist nach ihrem verlesenen Inhalte auch ganz unbedenklich. Daß Konzepte zu den hier in Frage stehenden Berichten in der Botschaft zu Paris überhaupt gefertigt worden sind, ist unbestritten resp. zuzestanden und daß die vermißten Erlasse dem Angeklagten zugegangen sind, ist gleichfalls als erwiesen anzusehen.
5 Erlasse, die Nr. 17, 18, 34, 91, 99 de 1872 sind vom Ange⸗ klagten durch seinen Vertheidiger, Rechtsanwalt Munckel, am 10. No⸗ vember 1874 dem Gericht überreicht worden, mit der Anzeige, daß er sie nachträglich in dem Schubfache eines inzwischen ausgepackten Schreibtisches aufgefunden habe; ein Erlaß Nr. 295 de 1873 ist in dem verlesenen Berichte des Angeklagten Nr. 9 de 1874 quittirt; zwei Erlasse Nr. 26 und 39 de 1874 sind dem Angeklagten von dem Grafen Wesdehlen nach dessen Zeugniß ausgehändigt worden; ein Erlaß Nr. 35 de 1872 ist vom Angeklagten als ihm zugegangen schon in der verlesenen Korrespondenz anerkannt; ein Erlaß Nr. 210 de 1872 ist nach dem Bureauvermerk auf dem Konzept dem Angeklagten hier in Berlin behändigt; ein Erlaß endlich Nr. 15 de 1873 ist im politischen Journal der Pariser Botschaft eingetragen. Dies macht im Ganzen 11 Erlasse, als wie viele und welche zur Anklage gestellt sind. Ihr und der von der Anklage aufgezählten Berichtskonzepte Vermissen nach dem Weggange des Angeklagten von Paris ist bezüg⸗ lich der später zurückgegebenen Erlasse und des mit zurückgegebenen Berichts Nr. 70 pro 1872 darch diese spätere Rückgabe erwiesen, im Uebrigen aber dargethan,
a. durch die aus dem Korrespondenz⸗Fascikel verlesenen Berichte des jetzigen Botschafters Fürsten Hohenlohe über diesen Fee
b. durch das eidliche Zeugniß der Pariser Botschaftsbeamten v. Scheven und Hammerdörfer. 2
Fraglich aber ist, ob die noch heute vermißten Stücke durch den Angeklagten überhaupt und event vorsätzlich und die ver⸗ mißt gewesenen Stücke durch den Angeklagten vorsätzlich beseitigt sind, wie dies ihm zum Vorwurf gemacht wird. Auf diese Frage konnte das Gericht nur mit dem Römischen non liquet antworten. Zunächst ist hinsichtlich der zurückgegebenen fünf Erlasse und des zuruͤckgegebenen Berichtskonzeptes, der die Behauptung des Angeklagten über die nachträgliche Auffindung widerlegende Gegenbeweis nicht geführt und der Schuld lag der Anklage ob. Die Anklage glaubt dem Angeklagten nicht und meinte resp. meint zum Theil noch, aus der Korrespondenz des Angeklagten mit dem Auswärtigen Amte:
1) bezüglich des Artikels im „Echo du Parlement“,
2) üglich der diplomatischen Enthüllungen in
„Presse“, 3) bezüglich des Artikels in der vorgelesenen Nr. 175 der „Spe⸗ nerschen Zeitung“ die Unglaubhaftigkeit des Angeklagten herleiten zu können. Die An⸗ klage zieht in Betreff des Punktes ad 1 den Bericht des Angeklagten vom 10. Oktober 1872 an, in welchem derselbe, wegen seiner Autor⸗ schaft zu dem „Echo“⸗Artikel amtlich zur Rede gestellt, statt einer, im Amtsverkehr mit dem Dienstvorgesetzten an sich alleroings angezeigt gewesenen klaren, bündigen und offenen Erklärung einen Herrn von Kahlden mittelbar wenigstens als Maske vorführt. Allein es ist nicht nothwendig, daß man in jenem Berichte ein der Wahrheit ent⸗ gegenstehendes indirektes Benennen des genannten v. Kahlden als Autor erblickt. Man kann sehr wohl darin jene ältere Art der Diplomatensprache finden, welche einladet, weniger das Geschriebene als das nicht Geschriebene zu lesen, und auf welche dasjenige Anwendung findet, was der Angeklagte in seinem Berichte über die Affaire Rothschild von den Damen der offiziellen französischen Gesellschaftskreise schreibt, daß bei diesen das Bestreiten der Bitte um Entschuldigung gleichstehe. Bezüglich der diplomatischen Enthüllungen in der Wiener „Presse“ ist dem Angeklagten gar nichts bewiesen. Diejenigen Personen, welche durch ihr Zeugniß einen Beweis hätten liefern können, Landsberg und Lauser, haben ihre Aussagen verweigert und es würde prozessualisch unzulässig sein, ein verweigertes Zeugniß einem abgelegten Zeugnisse gleich zu stellen. Die Arnim⸗Landsberg⸗ Lausersche verlesene Brief⸗Korrespondenz aber im Brief⸗Fascikel und im Kopirbuche ist nicht konkludent. Bezüglich des Artikels in der vorgelesenen Nummer 175 der „Spenerschen Zeitung“ ist der Bericht des Angeklagten vom 14. Mai 1874 verlesen worden, worin er eine die Autorschaft zu diesem Artikel ablehnende Erklärung abgiebt. Die Wahrheit dieser Erklärung ist durch das eidliche Zeugniß des Dr. Bossart erwiesen worden. Von einer konstatirten Un⸗ glaubhaftigkeit des Angeklasten ist also keine Rede. Die Glaubhaftigkeit seiner Angaben, wonach er die sürsein⸗ ebenen Stücke in seinem bei der Abreise von Paris ohne h Zuthun mitverladenen Arbeitstische ex post aufgefunden, jene Stucke also ohne seinen Willen, mithin unvorsätzlich von Paris mit⸗ genommen haben will, folgt vielmehr aus dem Umstande, daß der Angeklagte in seinem zur Lesung gebrachten verantwortlichen Berichte vom 20. Juli 1874 nach dieser Richtung hin (wegen der Erlasse Nr. 16, 17, 18, 34 de 1872) schon Vermuthungen ausgesprochen hatte. Be⸗ züglich der übrigen Erlasse und Berichte des Passus III. der Anklage werden von dieser die Schlüsse auf die Schuld des Angeklagten ge⸗ zogen. a. aus der Beseitigung anderer Erlasse und Berichte ad passum I. und II. der Anklage, 8 38 8
b. aus dem interessanten Inhalt der vermißten Stuͤccke,
c. aus den publizistischen Passionen des Angeklagten.
Das durch diese Momente gewonnene Beweismaterial hat indeß wohl einen größeren oder geringeren Konjekturalwerth für den Poli⸗ tiker, ist ach noch nicht geeignet, dem Richter die Dienste einer zu unumstößlicher Ueberzengung und zu einer thatsächlichen Feststellung führenden Indizienkette zu leisten. Dem Momente ad a. der vorsätz⸗ lichen Beseitigung der Erlasse ad passum I. und II. nämlich stehen das Gleichgewicht, ja meyr als das Gleichgewicht haltend gegenüber:
1) Die nun einmal hinzunehmende Thatsache, daß der Angeklagte von den inkriminirten Stücken deren sechs, als aus Versehen mit⸗ genommen, zurückgereicht hat 88 1“
der Wiener
2) die durch die eigenen Angaben des
das Zeugniß des Botschaftsbeamten erwiesene, für den durch die schwer faßbare Nonchalance und
preußische Beamtenschule gegangenen Ordnungswidrigkeit in der damaligen Geschäftsverwaltung auf der Pariser Botschaft, namentlich: 2a. die mangelhafte oder doch unregelmäßige Führung des zu jeder Bureauverwaltung ganz unentbehrlichen Jrzurnals,
b. die unregelmäßige Deponirung der Archivalien,
lokales,
d. die Zulassung von Antichambristen zu den Archivräumen,
e. die Gestattung der Mitnahme von Aktenpiècen Seitens der Kanzlisten in ihre Behausung.
3) Die Thatsache, daß außer den zur Anklage gestellten Stücken noch andere an sich zu Passus III. fänglich gefehlt, hinterher aber nach dem eidlichen Zeugniß des Bot⸗ schaftsbeamten v. Scheven sich gefunden haben und zwar in der nicht
die von dem Fürsten Hohenlohe in seinem verlesenen Berichte vom 26. Juli 1874 ausgesprochene Hoffnung, daß die noch fehlenden Stücke sich annoch in Paris an einem nicht geahnten Orte finden möchten, selbst jetzt noch nicht aufzugeben zu sein scheint. Die Mög⸗ lichkeit einer Wiederfindung würde erst mit dem Augenblicke einer nach dem Zeugnisse der Botschaftsbeamten noch nicht erfolgten vollständigen fruchtlosen Durchsuchung der kurrenten Registratur als ausgeschlossen an⸗ gesehen werden können. Den Momenten ad b unde, dem angeblich inter⸗ essanten Inhalt der Depeschen und den publizistischen Passionen des An⸗ geklagten steht gegenüber, daß von den zur Anklage gestellten Depeschen die Berichte als Selbstprodukte des Angeklagten hierdurch allein
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Angeklagten und durch 8
c. die Unzulänglichkeit und unzweckmäßige Eintheilung des Amts⸗ 8
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zu verweisen gewesenen Stücke an⸗
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interesselos für ihn gemacht sind und daß auch unter den Erlassen 8
der eine oder publizistischen Werthe sich befindet. Schriftstuͤcke ad passum III. der Anklage aus, so blieben nur noch die von der Anklage zu Serie I. zusammengefaßten kirchenpolitischen sieben Erlasse und 6 Berichte übrig, deren hochamtlicher Charakter vom Angeklagten selbst anerkannt wird. Diese 13 Schriftstücke ist der Angeklagte beschuldigt, a. vorsätzlich bei Seite
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politischen Registratur für die sogenannten kurrenten Sachen, so daß
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der andere von nur vorübergehendem oder gar keinem Scheiden sonach auch die 2
geschafft zu
haben (§§. 348, 133 Reichs⸗Strafgesetzbuch) und zugleich b. unter:
schlagen zu haben (§. 350 a. a. O). Eesichtspunkt, der der Unterschlagung, Eine Unterschlagung nach §. 246 Reichs⸗Strafgesetzbuch begeht, wer eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahr⸗ sam hat, sich rechtswidrig zueignet. Es kann nun nicht geleugnet werden, daß auch Schriften Sachen sind, an denen an sich eine Unterschlagung denkbar ist, so sehr auch die Vertheidigung sich bemüht hat, gegen die Sachqualität von Schriftstücken anzukämpfen. Es ist
Es soll zunächst der zweite
ins Auge gefaßt werden.
ferner auch nicht zu leugnen, daß die kirchenpolitischen Dokumente
für den Angeklagten fremde waren Mag es auch noch kein Deut⸗ sches Civilgesetzbuch geben und möchte es zweifelhaft sein, nach welchem Gesetze der Deutsche Reichsfiskus im Prozesse sein Eigenthum zu be⸗ gründen resp. zu erweisen gehabt haben würde, so liegt die Sache doch so, daß die vom Angeklagten selbst übrigens nicht aufgeworfene Frage, ob die Schriftstücke Eigenthum des Angeklagten waren, nach § 28 der Einleitung zum Allg. Landrecht aus letzterem Gesetzbuch unbedenklich zu verneinen ist und die Schriftstücke also als dem Ange⸗ klagten „fremde“ stehen bleiben. In Besitz vnd Gewahrsam hat der Angeklagte unbestritten ermaßen die Dokumente ad Pass. I. der Anklage gehabt. Es fehlt aber die rechtswidrige Aneignung, die Absicht, die Doku⸗ mente sich zu eigen zu machen und eine diese Absicht ausführende Handlung. Von den im Eigenthum liegenden Befugnissen des Be⸗ sitzes, Gebrauches und Verfügungsrechtes muß der Handelnde, wenn er eine Unterschlagung begehen soll, das erst das Eigenthumsrecht von den bloßen Besitz⸗ und Nutzungsrechten unterscheidende Recht der un⸗ bedingten Verfügung über die Sache ihrer Substanz nach (Verbrauch, Veräußerung § 1 Tit. 8, Theil I. A. L.⸗R.) in der Absicht haben. Und davon ist hier keine Rede. Der bloße unbefugte Gebrauch fremder Sachen ist straflos und die Verwerthung des geistigen In⸗ halts fremder Schriften kann nur das Vergehen des Nachdrucks kon⸗ stituiren. Das Römische furtum usus ist dem Preußischen Rechte un⸗ bekannt. Aber auch von der Absicht eines Gebrauchs oder einer sonstigen Verwerthung der Dokumente dem Inhalte nach ist Nichts erwiesen. Der Vorwurf der Unterschlagung fällt demnach wiederum. Gefehlt, und zwar strafrechtlich gefehlt, hat jedoch der Angeklazte be⸗ züglich der kirchenpolitischen Depeschen dennoch. Er hat geständlich, nachdem er kurz vor seiner Abreise von Paris nach diesen Depeschen mit Eifer gesucht, dieselben verschlossen in einer Dienstmappe des Auswärtigen Amtes in einen Koffer gepackt und von Paris aus der Botschaft wissentlich, also be mit sich fortgenommen, weil er — wie er sast — sie seinem katholischen Amtsnachfolger nicht zurücklassen zu können glaubte und der Meinung war, sie unter diesen Umständen direkt an da; Auswärtige Amt abliefern zu müssen. Diese Absicht der direkten Zurücklieferung aus Auswärtige Amt war an sich ganz le⸗gal und würde, wenn ausgeführt, den Angeklagten aus gegenwärtiger Untersuchung völlig straffrei haben ausgehen lassen; denn nach dem eidlichen Gutachten des Präsidenten König ist der diplomatische Agent, welcher aus irgend welchen Gründen diplo⸗ matische Aktenstücke seinem Nachfolger zurückzulassen resp. im Ge⸗ bäude der Botschaft liegen zu lassen Bedenken trägt, allerdings vollständig berechtigt, solche Aktenstücke unmittelbar an das Aus⸗ wärtige Amt abzuliefern. Der Angeklagte hat jedoch diese seine Absicht nicht ausgeführt. Er hat die kirchenpolitischen Depeschen in Mappe und Koffer am 29. April 1874 von Paris mit⸗ genommen und hierher nach Berlin gebracht, hat sich geständlich bis zum 15. Mai 1874, also länger als 2 Wochen, hier in Berlin auf⸗ gehalten und hat gleichwohl während dieser ganzen Zeit die Abliefe⸗ rung ans Auswärtige Amt nicht bewirkt, ungeachtet er während dieser Zeit in der aus dem desfallsigen Fascikel verlesenen regen Korre⸗ spondenz mit dem Auswärtigen Amte stand. Mochte diese Korrespon⸗ denz auch einen für den Anzeklagten unerquicklichen Gegenstand be⸗ treffen, mehr und mehr einen gereizten Ton annehmen und sich endlich zu dem sodann ausgebrochenen Konflikte zuspitzen, so gab dies doch keinerlei Erklärung ab für ein etwaiges Vergessen der Rückgabe, ja der zwischen dem Angeklagten und dem Auswärtigen Amte ausge⸗ brochene und damals heftiger werdende Konflikt mußte grade umge⸗ kehrt recht eigentlich den Angeklagten an seine Schuldigkeit erinnern und ihm ein täglicher, ja stündlicher Mahner werden, daß und welche Verpflichtungen dem Auswärtigen Amte gegenüber noch auf ihm lasteten. Statt dessen versäumte der Angeklagte diese seine dringende Obliegenheit, wurde am 15. Mai 1874 in den einstweiligen Ruhestand versetzt resp. zur Allerhöchsten Disposition gestellt und reiste noch an demselben Tage wieder von Berlin ab, die kirchenpolitischen Depeschen wieder mit sich nehmend und allen Ge⸗ fahren und Wechselfällen der Se und des Reisegepäcks aussetzend — dieselben kirchenpolitischen Depeschen, welche er für so hochwichtig und gefährlich erachtet hatte, daß er sie seinem Amtsnachfolger nicht anvertrauen mochte und welche er deshalb expreß eingepackt und behufs persönlicher Ablieferung nach Berlin mitgebracht hatte. Bei so bewandten Umständen erscheint es als unglaubhaft, wenn An⸗ geklagter dieses sein Verfahren mit Vergeßlichkeit zu entschuldigen versucht. Einen so hohen Grad von Vergeßlichkeit kann man dem Angeklagten nicht zutrauen, der im Gegentheil in der mündlichen Verhandlung dargethan, daß ihm die Vorfälle zwischen Ende April und Mitte Mai 1874 sehr speziell erinnerlich sind. Der damalige Konflikt des Anzeklagten mit dem Auswärtigen Amte war allerdings wohl die Veranlassung zu dem Unterbleiben der Ruͤckgabe der kirchenpolitischen Depeschen und zu deren Mit⸗ nahme nach Karlsbad, aber nicht, weil sie der Angeklagte über den Konflikt vergessen hätte, sondern anscheinend grade, weil er sie — ihres Besitzes sich wohl bewußt — zurückbehalten wollte und dadurch dem Auswärtigen Amte opponiren wollte, wohl aus Aerger über vermeintlich ihm angethanes Weh. Für diese wissentliche Mitnahme spricht überdem auch der Umstand, daß der Angeklagte auch in der ganzen späteren Zeit vom 15. Mai ab bis zum 19. Juni, also fast während voller fünf Wochen dem auswär⸗ tigen Amte keinerlei Meldung von seiner Vergeßlichkeit gemacht hat
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