1875 / 166 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 17 Jul 1875 18:00:01 GMT) scan diff

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Beerlin, den 17. Juli. Zur Entwickelung der deutschen Marine. Die bei Swinemünde abgehaltene Flottenbesichtigung ist wohl geeignet, den Blick auf die Entwickelung und den Auf⸗ schwung zu lenken, welche die deutsche Seemacht in der

neuesten Zeit erfahren hat. Hatte schon bei dem Entstehen des Norddeutschen Bundes

im Jahre 1867 der Gedanke, die Wehrkraft zur See in einem, dem Umfang des Landheeres entsprechenden Verhältniß weiter auszubilden, den Impuls gegeben, die bis dahin getrennten, zu⸗ sammenhangslosen Elemente einer deutschen Küstenvertheidigung zu einem einheitlichen Organismus zusammen zu fassen, so führte die Aufrichtung des Deutschen Reiches eine weitere Annähe⸗ rung an dieses Ziel herbei. 1G

Der Flottengründungsplan vom Jahre 1873 gab den Be⸗ strebungen zur Aufstellung einer im Einklang mit der äußeren Machtentfaltung stehenden und den Bedürfnissen der sich erwei⸗ ternden Beziehungen des Reiches zum Auslande entsprechenden Kriegsmarine den organischen Ausdruck.

Ein Vergleich des neuen, mit Einsetzung aller Kräfte geförderten Flottenplanes mit dem des Jahres 1867, er⸗ giebt in Bezug auf Schiffsbau eine beabsichtigte Vermeh⸗ rung um 7 Panzerschiffe, 2 Avisos, 4 Kanonenboote, 28 Torpedofahrzeuge. Von diesen befinden sich gegenwär⸗ tig noch im Bau: 1 Panzerfregatte („Der große Kurfürst’“), 3 Panzerboote, 2 Panzerkorvetten, außerdem von nicht gepanzer⸗ ten Schiffen die Korvetten „Thusnelda“, A. und 4 gedeckte Korvetten, 2 Avisos, 3 Torpedoboote, 1 Kanonenboot. In der Fertigstellung begriffen sind außerdem drei Panzerfregatten („Friedrich der Große“, „Deutschland“, „Preußen“*), von unge⸗ panzerten die Korvette „Freya“. Diese Zahlen repräsen⸗ tiren im Ganzen einen Zuwachs von 23 Schiffen mit 143 Geschützen und Maschinen von 71,640 Pferdekraft. Hierzu treten noch 6 Fahrzeuge, welche für den Hafen⸗Lootsen⸗ und Verwaltungsdienst erforderlich sind.

Derselbe Impuls, welcher die Schiffskonstruktionen vorwärts geführt, hat auch auf anderen Gebieten fruchtbringend gewirkt, namentlich auf dem des Hafen⸗ und Werftbaues und der Ein⸗ richtung der großen Werk⸗ und Arbeitsstätten des Seekrieges. In Danzig ist z. B. die früher bestandene Werft in eine den neuesten Anforderungen entsprechenden Weise umgestaltet und namentlich durch einen Durchstich mit der Weichsel in Verbin⸗ dung gebracht, die neue Straße um die Werft mit einer Schiff⸗ fahreschteuse und größeren Brücke versehen worden, während in einem Dockbassin mit drei Horizontalschlipps und an der Anlage zweier Hellinge thätig gearbeitet wird, auch die Erbauung eines eisernen Schwimmdocks in Aussicht ge⸗ nommen ist.

In Ellerbeck bei Kiel wurden drei große Hellinge fertig ge⸗ stellt, auf deren einem die Panzerfregatte „Friedrich der Große“ erbaut worden, ferner ein großes eisernes Schwimmdock vor diesen Hellingen aufgestellt, zwei große Hafenbassins in Angriff genommen, drei Trockendocks in ihrem Unterbau vollendet, in Friedrichsort ein geräumiger Bootshafen mit den zugehörigen Landungsvorrichtungen und Krahnanlagen angelegt, ganz ab⸗ gesehen von den zahlreichen kleineren Anlagen, zu Verwaltungs⸗ zwecken, sowie von Straßen⸗ und Wasserbauten.

In Wilhelmshaven wurde die Vergrößerung des Boots⸗

hafens und der Schleuseneinfahrt begonnen, im Handelshafen eine längere Wasserleitung zur Heranführung guten Trink⸗ wassers in ihren Grundlinien festgelegt.

Zur weiteren Vervollkommnung der ganzen Marineanlagen wurde der Bau einer Sternwarte in Angriff genommen zu Marine⸗Obserpationszwecken, ebenso die Aufrichtung zweier Leuchtthürme angeordnet und Vorkehrungen getroffen, um die im raschen Abtreiben begriffene Insel Wangerooge durch zweck⸗ entsprechende bauliche Anordnungen zu erhalten und um der drohenden Verschlechterung des Fahrwassers zum Jahdebusen entgegenzuwirken.

Auch auf einem anderen Felde, dem des Torpedowesens, wurden unter der setzigen Verwaltung Reformen begonnen, welche in die Grundsätze des modernen Seekrieges einzugreifen und die Kriegführung auf praktischere, dem Geist der heutigen Kampfesweise entsprechenden Gesichtspunkte hinzuleiten, geeignet erscheinen.

Als die bedeutsamsten Neuerungen in dieser Richtung sind die Annahme der elektrischen Zündung bei den deutschen Tor⸗ pedos, sowie die Einführung der aus diesem Zündungssystem entstandenen elektrischen Seeminen zu Vertheidigungszwecken zu bezeichnen; ebenso andrerseits die Uebertragung des Torpedo⸗ krieges auf den Kampf auf hoher See und die Verwendung des Torpedos in offensivem Sinn, woraus der Bau und die Kon⸗ struktion der Torpedoboote hervorgegangen ist. Wenn die Technik lange Zeit die wahren militärischen Aufgaben des Torpedowesens nicht erkannte, so haben theoretische Forschung und praktische Versuche die Verwendung des neuen Kampfmittels in richtigere Bahnen gelenkt.

Schließlich ist auf die Begründung des Hydrographischen Bureaus und der deutschen Seewarte als derjenigen beiden Institute hinzuweisen, welche das gesammelte wissenschaftliche Material zu dem Zwecke der praktischen Navigirung für die deutsche Marine dienstbar zu machen die Aufgabe haben.

Erst in den letzten Jahren ist der künstliche Flug im wissen⸗ schaftlichen Geiste erforscht worden. „Innerhalb verhältnißmäßig kurzer Zeit ist eine ungeheure Masse werthvoller Daten gesammelt. Da sich in England, Amerika, Frankreich und anderen Ländern Ge⸗ sellschaften für die Förderung der Luftschiffahrt gebildet haben, so ist Hoffnung vorhanden, daß unsere Kenntniß dieses schwierigsten Ge⸗ bietes der Wissenschaft fortfahren wird sich zu vermehren, bis das heikle Problem endlich gelöst ist. Sollte dieser Tag je kommen, so würde dadurch eine neue Aera in der Geschichte der Menschheit eröffnet werden, und so groß die Bestimmung unseres Geschlechtes bis hierher gewesen ist, sie würde durch den Glanz und die Größe der kommenden Ereignisse in Schatten gestellt werden.⸗

Mit diesen Worten schließt Dr. Pettigrew sein Werk „über die Ortsbewegung der Thiere und die Luftschiffahrt“, welches die IEean wissenschaftliche Bibliothek“ vor Kurzem veröffent⸗

hat.)

Der Verfasser stellt sich die Aufgabe, zu beweisen, daß das Gehen auf dem festen Lande, das Schwimmen im Was⸗ ser und das Fliegen in der Luft nach demjelben Prinzip erfolgt. Nur sind die Medien verschieden, die Stützpunkte müssen in anderer Weise gesucht werden und das Verhältniß der Bewe⸗ Wrqeflaächen 9 jenen Medien ändert sich, je nachdem das organische

eesen den Byden mit schmalem Fuße tritt, das tropfbar flashge Element mit dem halben oder ganzen Leibe berührt und mit starken Schwanzmuskein bearbeitet, oder endlich, schwerer als die gasförmige

*) Wir werden fliegen. Die Ortsbewegung der Thiere, nebst Bemerkungen über Luftschiffahrt von Dr. J. L. Pettigrew. Miz 131 Abbildungen in Horzschnitten. Leipzig, Brockhaus, 1875 (10. Bd. der „Internationalen wissenschaftlichen Bibliothek.“*)

Luft, diese verdichtet oder ihr getrieben zu werden.

Alles Organische, was sich durch Gewinnung von Stützpunkten für die Bewegungsflächen vorwärts schiebt, beschreibt also vermöge der besonderen Beschaffenheit der Gliedmaßen Kurven, die sich bei rascher Bewegung zu Schleifen erweitern und in Wellenlinien enden. So fliegen Insekten, Fledermäuse und Vögel, wie der Fisch schwimmt, und der Fisch schwimmt wie der Sechund, der Walfisch, die See⸗ kuh; diese schreiten und springen im Wasser wie die Vierfüßer auf dem Lande, so macht es auch der Mensch und er geht wieder nicht anders, als die Wasservögel schwimmen.

Wir haben eine wichtige Analogie vor uns, das Fliegen im Wasser und das Fliegen in der Luft. Aber gerade hier will ein Unterschied scharf gemerkt sein, der zugleich des Verfassers Flug⸗ theorie im Keime enthält und der ihn in entschiedenen Gegen⸗ satz zu den Theorien älteren Datums (Borelli, de motu animalium, 1680) und jüngsten Ursprungs (Chabrier, Straus⸗Dürkheim, Marey) stellt. Jedes Fliegen setzt sich nämlich aus zwei Be⸗ wegungen zusammen, einem Auf⸗ und einem Niederschlag; der letztere wird auch der „wirksame Schlag“ genannt. Pettigrew führt nun aus, daß beim Fliegen unter Wasser der Aufschlag nach oben und vorn geschehe, der „wirksame Schlag“ aber nach unten und hinten, wogegen der Flügel in der Luft zuerst mit der konvexen Fläche gleich⸗ falls nach oben und vorn, dann aber mit der konkaven Fläche nach unten und vorn fahre. Und dieser Unterschied habe seinen Grund darin, daß der Vogel in der Luft schwerer sei als das Medium, daß er folglich getragen werden müsse, während der Vogel unter Wasser leichter ist als das Element und sich folglich hineinarbeiten muß, damit er nicht auf die Oberfläche geworfen werde.

Zum Fliegen gehört nicht unbedingt Föber Leichtigkeit, als die atmosphärische Luft sie besitzt, werde diese Leichtigkeit nun erzielt durch Anwendung der heißen Luft, wie sie für die Montgolfière durch Ver⸗ brennung von Rebenholz erzeugt wurde, oder durch Schwellung des Ballons mit Wasserstostgas⸗ wie Charles und Robert thaten, oder durch Doppelkohlenwasserstoffgas, wie Green versuchte. Alles dies wurde verursacht durch die Illusion, daß die Vögel Hohlräume oder Luftfäcke und hohle Knochen besäßen, in welchen sich warme Luft Fhr Erleichterung des Thieres ansammle. Schwalben, Grasmücken, Ka⸗ narienvögel haben weder Luftsäcke, noch hohle Knochen und wie

8— die Schwalben! Auch die Fledermaus ist ohne Luftsäcke und ren.

Flügel sind Windschranben und da der ganze Flügel lebt und in allen seinen Theilen dem Willen gehorcht, so stellt er sich in den selbstgemachten Wind ein, läßt sich von ihm heben und vorwärts tragen. Der Flug setzt sich aus drei Kräften zusammen: die elastische oder Muskelkraft stellt aufwärts wie abwärts die Wirkung eines

apierdrachens dar; das Gewicht des 628 fällt nach unten und chwebt im Kugelgelenke des Flugarmes; den Rest macht der Rück⸗ stoß der Luft, den die Flügelschwingung hervorruft.

Einen bedeutsamen Schritt zur richtigen Theorie that 1796, 14 Jahre nach dem Montgolfidre'schen „Feuerballon“, der Engländer Cayley mit seinem kleinen Schwungfedermodell. Die Federtheorie wurde aber 1842 durch einen Herrn Philips wieder durch drehende Fächer verdrängt, die mit Dampf nach dem alten Prinzip des Hero von Alexandrien getrieben wurden.

Die Luftschraube überhaupt wurde von den Franzosen Nadar, Pontin d'Amécourt, de la Landelle sehr künstlich, aber sehr zerbrech⸗ lich angewendet. Das falsche Prinzip des senkrechten Niederschlages 8e und hinten stellte sich allen Versuchen hartnäckig in

en Weg.

Herr Pettigrew konstruirt nun auf Grund seiner ausführlichen Theorie künstliche Flügel. Er befolgt die Grundgesetze des fliegen⸗ den Organismus, er lernt von der Natur, wie es der Künstler macht. Sein vorderer Flügelrand besteht aus einem oder mehreren gegen das Ende spitz zulaufenden Bambusrohren, die ohne „todte Punkte“ sind, rasch schwingen und fächern; Stäbe von Fischbein bei großen Flügeln von Stahl heften sich als Rippen daran; das Ganze wird mit einer Platte von Kautschuk, Seide oder Leinwand überzogen. Es entsteht eine doppelte Wellenbewegung, in die Länge und Breite, und der schwingende Nebergang einer Bewegung in die andere. Der Flügel ist nach dem Typus des Insekts dreieckig, nach beiden Rich⸗ tungen sich verfängend⸗ oben konvex, unten konkay. Der Flügel hängt in einem Kugelgelenke und hat seine Ventile an senkrechten Segmenten, die sich beim Aufschlag öffnen, beim Niederschlag gegen die Luft schließen Am besten wird er aus zwei Flügeln zusammengesetzt, die am Kugelgelenke in der Mitte befestigt sind; dort ist das Ende eines Stempels, welcher mit Dampfkraft in Bewegung gesetzt wird. So ist zugleich die Kreisbewegung, d. h. die Steuerung ermöglicht.

Beim Niederschlag beschleunigt sich der Kolbenstoß, beim Auf⸗ schlag verlangsamt er sich. Beim Aufschlag bildet sich ein Luftstrom, den der Flügel beim Niederschlag trifft und der seine Kraft steigert. Der Niederschlag bildet den Luftwirbel, auf dem der Flügel sich wie von einem festen Stützpunkt erhebt.

Es fehlt noch die Bewegung nach vorwärts, rückwärts und schräge. Diese wird bewirkt durch ein Kreuzsystem von elastischen Bändern zwischen dem oberen Rande des Flügels und dem Cylinder. Bei dieser Operation ist wenig Kraft erforderlich und sehr wenig Kraft geht verloren oder wird „zerstreut“. Diese Luftwellenschraube schmiegt sich der Luft vortrefflich an und trägt enorm. 1

erregt, um sich auf sie zu stützen oder von

88 2.

vergerFrat be gn Die Kaiserglocke ist, wie die „Kölnische Zeitung“ meldet, nun⸗ mehr in dem provisorischen Stuhle an ihrer Achse befestigt. Am 16. d. Mts. Nachmittags wird dieselbe zur Prüfung der Tragkraft des Stuhles, jedoch ohne Klöpfel geschwungen werden. Das erste Läuten zugleich mit dem der übrigen Glocken des Domes soll dieser Tage stattfinden.

Die in diesem Jahre seit 1825 zum ersten Male wieder statt⸗ findenden Vorstellungen der Kreuzesschule in Ober⸗ ammergau sind auf den 18. und 25. Juli, den 1., 8., 22. und 25. August, den 5., 12., 19. und 26. September, den 3. und 10. Ok⸗ tober angesetzt.

Wie uns telegraphisch gemeldet wird, ist gestern auf der Schneekoppe, dem höchsten Gipfel des Riesengebirges, eine öster⸗ reichische Telegraphenstation eröffnet worden. Das Unternehmen wird diesseits und jenseits die Grenze besonders von den Besuchern der schlesischen und böhmischen Bäder, namentlich von Marienbad, lebhaft begrüßt werden.

Die Anzahl der in Kösen eingetroffenen Kurgäste beläuft sich bis zum 13. Juli auf 1380 Personen. Die ee der Zeit⸗ verhältnisse ist auf den Besuch dieses Bades nicht allein ohne jeden schmälernden Einfluß geblieben, sondern es sind sogar gegenwärtig 50 Kurgäste mehr anwesend, als in der gleichen Zeit des vorigen Jahres Unter denselben, der überwiegenden Mehrzahl nach aus Berlin, befin⸗ den sich u. A. auch aus dem europäischen Rußland 11, aus Amerika 13, aus Asien (Indien) 2 Personen zur Kur.

Die Zahl der Badegäste hat sich in Landeck so schnell ver⸗ mehrt, daß die Badeliste bereits gegen 1000 Nummern mit 1805 Perlo er⸗ (über 50 Nummern mehr als im vorigen Jahre) und 735

ouristen und Geschäftsreisende nachweist. Bestellungen auf Woh⸗ nungen für die nächste Zeit gehen fast täglich ein. Am 12. d. M. besuchten Ihre Königlichen Hoheiten Prinz Albrecht nebst Gemahlin, Prinzessin Marie, und Mutter, Prinzessin Marianne der Niederlande, von Schloß Kamenz das Bad im strengsten Inkognito. Nach ciner Promenade in den neuen Anlagen soupirten die Hohen Herrschaften im Kursaal und fuhren um 9 Uhr Abends nach Kamenz zurü. Die Baulust ist im Bade weit reger als in der Stadt sekbft⸗ wo trotz des großen Wohnungsmangels nur 2 Neubauten im Gange sind. Die Luftwärme hat sich in den letzten Tagen, wahrscheinlich in Folge der vielen umherziehenden Gewitter vermindert; sie schwankt bei meist

bedecktem Himmel zwischen 8 und 16 Gr. R. Aehnlich wie in der vorigen Saison wird auch in der 8

Hjährigen im Bad Nauheim eine große Regat

ds. auf dem Teiche stattfinden. Das wohlgelungene Fest des ver⸗ gangenen Jahres hatte Tausende von Gästen zugeführt und steht zu erwarten, daß das diesmalige Fest noch großartiger werden wird. Die Natur⸗ und Wasserheilanstalt „Dieten⸗ mühle“, benannt nach einer den älteren Kurgästen Wiesbadens als Spaziergangsort wohl bekannten Mühle, an deren Stelle sie getreten, liegt in dem anziehenden Wiesenthale am Endpunkte des Wiesbadener Kurhausparkes, mit dem sie durch einen schattigen Laub⸗ gang zusammenhängt. Geschützt gegen jede scharfe Lufströmung ist as Klima des Thales ein überaus mildea, die Temperatur keinem raschen Wechsel unterworfen, so daß zu jeder Jahreszeit Kuren vorgenom⸗ men werden können. Das freigelegene, mit allen Bequemlichkeiten aus⸗ gestattete Gebäude gewährt nach allen Seiten hin einen prächtigen Aus⸗ blick auf stattliche Villen, das liebliche Thal und schöne Waldungen. Unmittelbar an das Etablissement grenzt eine etwa 450 Schritt lange schattige Akazien⸗Allee, welche von der Anstalt ausschließlich zur Be⸗ nutzung ihrer Kurgäste angelegt ist, damit dieselben ihre nach jeder Wasserbehandlung erforderlichen Spaziergänge, namentlich in den Morgenstunden, so zwanglos als möglich, vornehmen können. Dietenmühle bietet so den vollständigsten Landaufenthalt dar, zugleich aber auch den Genuß aller Annehmlichkeiten der Kurstadt Wiesbaden. Die Anstalt, in welcher sich die Baderäume befinden, enthält 80 Logirzimmer, ein Lesezimmer und einen Damensalon mit Pianino. Unmittelbar an die Anstalt stößt das Restaurationsgebäude mit Speisesaal, Kaffeesalon für Fruüͤhstück und diner-à-part, Billard, Kegelbahn und geräumiger Terrasse. Dahinter liegen Remise und Stallungen zur Aufnahme der Equipagen und Pferde der Kurgäste. Die Hauptquellen (8—9 Gr. R.), welche das Trinkwasser liefern und die Bäder speisen, entspringen in der Anstalt. Während schon die Reichhaltig⸗ keit, Güte und varn. der Quellen die größten Vortheile für Heilzwecke bietet, gewährt zugleich der Betrieb einer Dampfmaschine die Annehm⸗ lichkeit, Bäder zu jeder Jahreszeit in allen Temperaturen und Formen anzuwenden. Die Kuren, welche zur Anwendung kommen, bestehen in Hydrotherapie, römischeirischen und russischen Dampfbädern, Kiefer⸗ nadelbädern, Bädern in komprimirter Luft, diätischem Heilverfahren, Elektrizität und Heilgymnastik. Sämmtliche Heilapparate gehören den neuesten und besten ihrer Gattung an. Des Näheren verweisen wir auf die bei Carl Ritter in Wiesbaden erschienene Brochure: „Die Kur⸗ und Wasserheilanstalt Dietenmühle bei Wiesbaden“.

Professor Colladon in Genf hat der Académie des sciences über die zwei Hagelwetter, welche in der Nacht vom 7. auf den 8. d. M. an mehreren Orten der Schweiz so arge Verwüstungen engehichtet haben, einen Bericht eingesandt. Als bemerkenswerth hebt derselbe zunächst hervor, daß diese Wetter in der gleichen Nacht, zur gleichen Stunde, 9 fast im gleichen Augenblicke in der Nachbarschaft der drei Städte Genf, Luzern und Zürich ausbrachen, welche sämmt⸗ lich am Ende eines großen Sees und am Ausgange eines Flusses oder eines großen Stromes liegen. Das Wetter, welches Genf und einige Gemeinden Savoyens heimgesucht hat, nahm seinen Lauf das Rhonethal entlang, dessen Richtung von Lyon nach Genf ziemlich genau Westost ist. Vor halb 9 Uhr Abends verlängerte sich in dieser Richtung, so weit das Auge seben konnte, eine Sturmwolke, an deren westlichem Ende man fort⸗ währendes Blitzen bemerkte. Von 11 Uhr bis Mitternacht näherte sich das Centrum dieses Blitzens dem Genfer See. Gleichzeitig mit dem Gewitter im Rhonethal nahm mau noch andere weniger intensiv⸗ elektrische Wetter wahr, von denen die einen dem Jura⸗Kamm über Gex und die anderen den savoyischen Bergen folgten, welche die Nach⸗ barn des Lémanthales und des Arvpestromes sind. Es scheint, doß die Begegnung dieser verschiedenen Wetter⸗Centren das Ende des über de. ausgebrochenen Orkans war. Die starke Hagelsäule begann westlich von Chatillon de Michaille im Ain⸗Departement und nahm die Richtung von Westen nach Osten dem Laufe der Rhone entlang. Die Breite dieser Säule betrug 6—8 Kilometer; Genf erreichte sie um Mitternacht, wo sie sich ausbreitete und gegen Savoyen richtete. Auf ihrem Wege hat sie die noch stehende Ernte fast gänzlich zerstört. Die Größe der Hagelsteine hatte der Mehrzahl nach 10 20 Millimeter Durchmesser, hier und da fand man welche auch von 60, ja von 100 Millimeter. Ihren Kern bildete eine Graupe von 4—10 Millimeter Durchmesser. Dieser Kern war von einigen konzentrischen Lagen umgeben, welche theils durchsichtig, theils undurchsichtig waren. Solcher Lagen zählte man durchschnittlich 6 oder 8, deren zweitletztere namentlich dick und die letzte undurchsichtig und warzenförmig war. Die der Hagelsteine war flach und linsenförmig, ähnlich einer Citronen⸗ scheibe. Das Bemerkenswertheste ist, daß der Zusammen⸗ Auß der Arve und Rhone auf die Intensität der elektrischen Lufterscheiungen und in Folge dessen auch auf die Dicke der Hagelsteine einigen Einfluß ausgeübt hat. Der Arve entlang und in der Nähe ihrer Ufer nahm man wenige Augenblicke vor dem Orkan und vor Regen nud Hagel die intensivsten Lufterscheinungen des elek⸗ trischen Lichtes wahr. Längs der Arve hat die heimgesuchte Gegend seither eine gelbliche Färbung angenommen, während an anderen Orten, obgleich die Ernte ebenfalls sehr gelitten, das Feld grün ge⸗ blieben ist. Von eitternacht bis 1 Uhr rechnet man 8—10,000 Blitze. Unmittelbar vor dem Hagel machte sich in sehr bestimmter Weise ein Ozongeruch bemerkbar. Das Einschlagen der Blitze war äußerst selten; die elektrischen Entladungen geschahen von Wolke zu Wolke nach einem Centralpunkt, von wo aus der Hagel siel. Donner⸗ schläge hörte man sehr selten.

Hr. Feanz Nachbaur wird am Dienstag in Krolls Theater mit dem „Postillon von FPilrchen, sein Gastspiel beginnen. Außer in seinen vorjährigen Rollen wird der Sänger auftreten als Masaniello, Raoul, Eleazar, Johann von Paris und Rafael in „ves Teufels Antheil“.

Moreen geht im Residenz⸗Theater die erste Novität dieser Saison und zwar „Die beiden Frontignac“ von JInles Verne in Scene. Der Name des Autors, der durch seine Schrif⸗ ten, sowie durch das im Victoria⸗Theater allabendlich gegebene Stück „Die Reise um die Welt“ in den weitesten Kreisen bekannt geworden ist, dürfte für den Erfolg des Schwankes bürgen. Die Haupt⸗ rollen liegen in den Händen der Herren Keppler, Beckmann, Schramm und Scheedel, sowie der Damen Kroessing, Ramm und Plath. Der Novität geht „Das erste Mittagessen“ von Geoerlitz voraus, worin, wie versichert wird, Fr. Baumeister die Rolle der Charlotte zu einem kleinen Kabinetsstück Fftac. 1

Im Nationaltheater setzen die Mitglieder des Wiener Hofburgtheaters ihr Gastspiel mit wohlverdientem Erfolge fort. In dem beliebten P. Heyse'schen Schauspiel Hans Lange war Hr. Dr. Förster in der Titelrolle ein ehrenfester, charakteristischer, lebens⸗ frischer Bauer mit gesundem Humor. Hr. Hartmann gab den Bugslaw mit jugendlichem, bei den Zuhörern zündendem Feuer, während Fr. Hartmann als „Dörte“ mit Natür⸗ lichkeit und Anmuth das Bauermädchen darzustellen wußte. In der Ahrhchen Scene am Schluß des dritten Akts errang Hr. Direktor Buchholz als „Großknecht Hennig“ den Preis. Von den übrigen heimischen Mitwirkenden sind besonders noch Hr. Menzel (Henoch) und Fr. Hüftel (Gertrud) als Diejenigen zu nennen, die zum trefflichen Gelingen der Gesammtvorstellung beigetragen haben.

Verdi hat der Direktion des Wiener Hofoperntheaters brieflich angezeigt, daß er mit der Umarbeitung der beiden letzten Akte seines „Don Carlos“ beschäftigt sei. Der Masstro verspricht sich vn Verbesserungen, die er anbringen will, einen bedeutenden

rfolg.

Redacteur: F. Prehm. 88

Verlag der Expedition (Kessel). Druck W. Elsne uf Beilagen

Berlin:

Prozeß gegen den Grafen von Arnim.

Berlin, 17. Juli. Das schriftliche Erkenntniß des Kammer⸗ nverichts im Arnimschen Prozeß äußert sich über die Urkunden⸗ nalität der vom Grafen Arnim bei Seite geschafften kirchen⸗ volitischen Schriftstücke folgendermaßen: 8 Dagegen mußten der Anffassung des ersten Richters entgegen diese Schriftstücke für Urkunden im Sinne des §. 348 Absatz 2 „Strafgesetzbuchs erachtet werden. Der erste Richter versteht unter „Urkunde“ im Sinne dieses §. 348 Absatz 2

ur eine solche, wie sie im §. 267 daselbst bezeichnet ist, also „eine

inländische oder ausländische öffentliche Urkunde oder eine solche

Privaturkunde, welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhält⸗

nissen von Erheblichkeit ist“, geht aber selbst von dieser Begriffs⸗

bestimmung zum Theile wieder ab, indem er hinzufügt daß danach öffentliche und private Urkunden nur solche leblose Gegenstände seien, welche zum Beweise Thatsachen oder Rechten be⸗ immt sind

Die Beschränkung des Begriffs der Urkunden im §. 348 Absatz?2 auf die im §. 267 bezeichneten ist nicht gerechtfertigt. Der §. 267 a. a. O. stellt keinen allgemeinen Begriff für alle Urkunden auf, ondern bezeichnet nur diejenige besondere Art von Urkunden, an welchen das im §. 267 mit Strafe bedrohte Verbrechen der Urkunden⸗ fälschung begangen werden kann. Nicht die Fälschung jeder Urkunde ist aber mit Strafe bedroht, sondern in den §§. 267—280, 363 Straf⸗ gesetzbuchs nur eine Reihe besonders erheblicher Fälle einer Urkunden⸗ fälschung als strafbar hingestellt und je nach ihrer Wichtigkeit mit verschiedenen Strafen bedroht. Der Kreis der Urkunden geht nicht nur über die im §. 267 a. a. O. bezeichnete besondere Art, sondern felbst über diejenigen, an welchen überhaupt eine strafbare Fälschung begangen werden kann, hinaus.

Wie die Motive zum Entwurfe des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund resp. das jetzige Deutsche Reich ausdrücklich her⸗ worheben (Seite 148), ist der Thatbestand der jetzigen §§. 348 Absatz 2 und 349 (§. 344 Absatz 2 und §. 345 des Entwurfs), auf deren ersteren es hier gerade ankommt, ebenso wie der Thatbestand des §. 274 (269 des Entwurfs) nicht auf Urkunden bestimmter Art ein⸗ geengt, sondern bezieht sich auf Urkunden jederlei Art. Eine gesetz⸗ iche Begriffsbestimmung der Urkunden im weitesten Sinne ist nicht gegeben. Nach §. 247 des preußischen Strafgesetzbuches war unter Ürkunde jede Schrift zu verstehen, welche zum Beweise von Ver⸗ trägen, Verfügungen, Verpflichtungen, Befreiungen und überhaupt von Rechten und Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist.

Diese Begriffsbestimmung erzeugte aber, weil sie in mehrfacher Beziehung nicht zutreffend war, in der Praxis erhebliche Schwierig⸗ eiten. Für das jetzige deutsche Strafgesetz ist dieselbe daher, wie die erwähnten Motive (Seite 131) ergeben, nicht beibehalten, viel⸗ mehr selbst für die besonderen Arten von Urkunden, auf welche sich der jetzige 8. 267 deutschen Strafgesetzbuchs bezieht, insofern erheblich erweitert, als die Beschränkung auf „Schriften“, sowie hinsichtlich der öffentlichen Urkunden die Beschränkung auf solche Urkunden, die

von

zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit

ind, aufgegeben ist. (Motive Seite 132.) Dagegen ist von einer anderweitigen allgemeinen Definition des Urkundenbegriffs nach den Motiven (Seite 131) Abstand genommen, weil dieselbe bereits als bekannt und feststehend vorauszusetzen sei.

Eine erschöpfende Bestimmung dieses Begriffes in seiner Allge⸗ meinheit bietet jedoch Schwierigkeiten. Die angeblich dem gewöhn⸗ lichen Sprachgebrauche entsprechende, von der Königlichen Staats⸗ anwaltschaft adoptirte, wonach Urkunden leblose Gegenstände sein ollen, welche zur Erhaltung des Andenkens an eine vorübergehende

egebenheit (Thatsache) durch menschliche Thätigkeit entstanden sind, hiervon Kunde geben, insbesondere schriftliche und gedruckte Aufsätze, eht theils zu weit, theils ist sie zu eng. Die Praxis zeigt z. B., daß häsig Privatbriefe und ähnliche Schriftstücke mit Erfolg als Urkunden zum Beweise gegen den Schreiber benutzt werden, obwohl der Zweck ihrer Entstehung nicht eigentlich die Erhaltung des Andenkens an die später dadurch bewiesene Thatsache war. Andererseits muß der Ver⸗ theidigung zugegeben werden, daß unter Umständen schließlich jeder

Berlin,

ischen Staats⸗Anzeiger.

Sonnabend, den 17. Juli

Gegenstand irgend eine Thatsache beweisen kann, z. B. ein Kleidungs⸗ stück oder Möbel, l Anfertigung, Eigenschaften und namentlich Fehler, und daß die Bezeichnung solcher Gegenstände als „Urkunden“ doch dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entschieden widersprechen würde. Nach diesem versteht man unter Urkunden in der Regel nur Schrift⸗ stücke, und kann jedes Schriftstück, welches geeignet ist, eine Thatsache zu beweisen, unter Umständen eine Urkunde see Daß der Begriff der Urkunde insbesondere nach §. 348 Absatz 2 deutschen Strafgesetzbuchs alle solche Schriftstücke umfaßt, hat auch das Königliche Ober⸗Tri⸗ bunal im Erkenntniß vom 25. März 1874 (Oppenhoff, Rechtsprechung Band 15 Seite 186) ausgesprochen. Allerdings ist nicht jedes Schrift⸗ stück, das irgend eine Thatsache beweisen kann dies ist im Grunde bei jedem Schriftstück möglich darum schon unter allen Verhält⸗ nissen für eine Urkunde im gesetzlichen Sinne oder nach dem Sprach⸗ gebrauche zu erachten. Vielmehr ist hierzu noch erforderlich, daß es zu einem solchen Beweise auch, sei es bei seiner Anfertigung, sei es erst später, in irgend einer Weise bestimmt ist und in dieser seiner Beweis⸗ fähigkeit in Betracht kommt, worüber ein Zweifel nach den thatsäch⸗ lichen Umständen jedes einzelnen Falles zu entscheiden ist. Hiernach geht die Fassung des §. 299 Strafgesetzbuchs, in dem von einem ver⸗ schlossenen Sb oder einer anderen verschlossenen Urkunde die Rede ist, indirekt daher jeder Brief schlechthin für eine Urkunde erklärt wird, zwar zu weit, spricht aber gleichfalls wenigstens für die große Ansdehnung, die das deutsche Strafgesetzbuch dem Begriff der Urkunde in Beziehung auf Schriftstücke überhaupt giebt. Außerdem ist 88 Begriff gesetzlich noch auf gewisse andere Sachen übertragen, z. 2

auf Grenzsteine oder andere zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes bestimmte Merkmale, auf Stempelpapier, Freimarken und Kerbstücke (§. 274 Nr. 2, §. 275 deutschen Strafgesetzbuchs, §. 164 Thl. I. Tit. 18 Allgemeiner Gerichts⸗Ordnung). Der Kreis dieser Urkunde ist aber auf solche Sachen beschränkt, die das als solche erkennt, oder die mindestens ihrem eigentlichen Wesen na

zur Beglaubigung oder zum Beweise einer Thatsache bestimmt sind.

Auf letztere Art von Urkunden kommt es hier jedoch nicht an, da es sich im vorliegenden Falle nur um Schriftstücke, und zwar um dienstliche Korrespondenzen zwischen einem Beamten und seiner vor⸗ gesetzten Behörde handelt, und noch dazu um solche, welche nicht blos, wie dies die Anwendbarkeit des §. 348 Absatz 2 Strafgesetzbuchs vor⸗ aussetzt, dem Angeklagten in seiner amtlichen Stellung anvertraut und nur in dieser zugänglich, sondern auch zur amtlichen Aufbewah⸗ rung und sogar größtentheils ausdrücklich zu besonderer Sekretirung bestimmt waren. Nach ihrem, aus der in zweiter Instanz zum Be⸗ weise wiederholten Vorlesung sich ergebenden Inhalte lieferten diese Schriftstücke einen urkundlichen Beweis für die von der deutschen Reichs⸗ regierung in Bezug auf die bevorstehende Papstwahl befolgte Politik, die deshalb von ihr und ihren Vertretern bei anderen Mächten gethanen Schritte, deren Erfolge und weiter erstrebten Zwecke resp. für die vom Angeklagten bezüglich jener Politik entwickelte Thätigkeit und gemachten Wahrnehmungen. Hierzu waren sie auch von vornherein bestimmt. Die Erlasse legten dem Angeklagten die Ziele, welche die deutsche Reichsregierung in ihrer Kirchenpolitik erreichen wollte, die deshalb einzuschlagenden Mittel und Wege, deren Hindernisse und Aussichten auf Erfolg dar und sollten ihm Fer Richtschnur für seine eigene Wirksamkeit dabei dienen, und die Berichte der Angeklagten sollten wieder die Reichsregierung über dasjenige, was Angeklagter in dieser Richtung gethan hatte, das Ergebniß seiner Wirksamkeit und insbesondere über die Stellung vergewissern, welche die französische Regierung hinsichtlich der Pläne der deutschen Regierung einnahm.

Ein näheres Eingehen auf den Inhalt jedes einzelnen Schrift⸗ stückes verbietet sich wegen der darin niedergelegten Stäatsgeheimnifse. Es kommt hierauf aber auch um so weniger an, als fämmtliche in Rede stehende 13 Schriftstücke in einem inneren Zusammenhange zu einander stehen, sich gegenseitig erläutern und ergänzen, und von dem Angeklagten selbst, sowohl hinsichtlich der Bedenken, die er gegen deren Zurücklassung in Paris hatte, als auch in der Folge als ein Ganzes behandelt sind.

Daß die Schriftstücke sich auf öffentliche und nicht auf private Verhältnisse beziehen, ändert an ihrem urkundlichen Charakter nichts.

V

1875.

Die Erörterung der Frage, inwiefern dieselben und namentlich die Erlasse, für öffentliche Urkunden zu erachten sind, kann als für die Entscheidung unwesentlich auf sich beruhen. Daß die Schrift⸗ stücke in der Form, in welcher Angeklagter sie mitnahm, nämlich die Erlasse in förmlicher Ausfertigung und die Berichte in den vom An⸗ eigenhändig geschriebenen Konzepten, also in den eigentlichen Driginalen, selbst wenn letztere vom Angeklagten nicht mit vollstän⸗ digem Namen unterschrieben sein sollten, auch von dritten Personen, insbesondere von den auswärtigen Mächten, falls sie etwa in deren Hände gelangten, für vollkommen bewiesend angesehen werden würden, kann nicht füglich in Zweifel gezogen werden. Ebenso muß mit Rück⸗ sicht auf die Stellung und Persönlichkeit des Angeklagten für erwiesen angenommen werden, daß Angeklagter, der mit dem Inhalte und der Bedeutung der qu. Schriftstücke genau vertraut war, auch damals, als er sie nach Karlsbad mitnahm, sich ihrer Bestimmung und Fähig⸗- keit zum Beweise bewußt war.

Die hier in Rede stehenden Schriftstücke sind ihrem Inhalte nach recht eigentlich jolche im §. 92 Nr. 1. deutschen Strafgesetz⸗ buchs zugleich mit „Aktenstücken oder Nachrichten“ besonders hervor⸗ gehobenen „Urkunden“, deren Geheimhaltung einer anderen Regierung gegenüber für das Wohl des Deutschen Reichs oder eines Bundes⸗ staats erforderlich ist. 8

Die Geschichte, insbesondere auch die preußische, lehrt, daß der⸗ artige diplomatische Urkunden, und selbst bloße Privatbriefe hoch- gestellter Personen, die in die Hände Anderer gelangten, für deren Kenntniß sie nicht bestimmt waren, die wichtigsten politischen Plän vereitelt, Bündnisse von Staaten bewirkt und gelöst haben, auf den Ausbruch und den Erfolg von Kriegen und überhaupt auf die Geschicke ganzer Nationen von entscheidendem Einflusse gewesen sind, daß dadurch für folgeschwere Thatsachen ein Beweis geführt ist, zu welchem sie ur sprünglich von den Verfassern gewiß nicht einmal bestimmt waren, daß also solche Schriftstücke eine derartige urkundliche Bedeutung und Wichtigkeit haben, daß damit ein beliebiger Kaufvertrag oder Schuld⸗ schein nicht in Vergleich gezogen werden kann. Aehnlich verhält e sich mit den hier in Rede stehenden kirchenpolitischen Schriftstücken,

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wie bereits oben hervorgehoben ist. Dieselben müssen daher auch für 8

Urkunden im Sinne des §. 348, Absatz 2 erachtet werden. Daneben kann nicht in Betracht kommen, daß im §. 133 und auch im §. 92 Nr. deutschen Strafgesetzbuchs neben den „Urkunden“ noch besonders „Re⸗ gister und Akten“ resp. Aktenstücke aufgeführt sind. Die besonder Aufführung dieser erklärt sich zur Genüge daraus, daß die erwähnten Paragraphen ohne wesentliche Aenderung aus dem preußischen Straf esetzbuch hinüber genommen sind, für dieses aber wegen des im 8. 247 daselbst aufgestellten beschränkten Urkundenbegriffs sene Fassung von Bedeutung sein konnte. Angeklagter war, als er die Schriftstücke nach Carlsbad mitnahm, immer noch Beamter des Deutschen Reiches, wenngleich er unmittel⸗

bar vorher, jedoch auch nur von einem späteren Zeitpunkte ab, in den

einstweiligen Ruhestand versetzt war, und besaß die Schriftstücke auf Grund seiner früheren Amtsthätigkeit, für welche er dem Auswärtigen Amte zu Berlin mindestens als seiner bisherigen vorgesetzten Behörde immer noch verantwortlich blieb. Während dieser seiner Amtsthätig⸗ keit waren ihm die Schriftstücke, die er einschließlich der von ihm selbst geschriebenen Berichtskonzepte aufzubewahren hatte, amtlich an⸗ vertraut worden und ihm in dieser seiner Eigenschaft zugänglich gewesen.

mußte auf Grund der Beweisaufnahme für thatsächlich festgestellt erachtet werden, ddeaß Angeklagter als Beamter im Mai 1874 zu Berlin ihm aamtlich anvertraute und zugängliche Urkunden nämlich die vpporbezeichneten 13 Schriftstücke zu I der Anlage vorsätzlich bei Seite geschafft hat. Hierdurch ist der Thatbestand des §. 348, Absatz 2 Strafgesetz⸗ buchs mit Strafe bedrohten besonderen Amtsvergehens erfüllt und damit zugleich die Anwendbarkeit des §. 133 Strafgesetzbuchs auf den vorliegenden Fen ausgeschlossen. Deshalb konnte es auch auf die sämmtlichen Bedenken, welche Seitens der Vertheidigung gegen die Anwendbarkeit des §. 133 angeregt sind, nich zweiter ankommen.“

8 Ao Inserate für den Deutschen Reichs⸗ u. Kgl. Preuß. Staats⸗Anzeiger, das Central⸗Handelsregister und das 8 Postblatt nimmt anr die Iuseraten⸗Expedition des Brntschen Reichs-Anzreigers und Königlich hreußischen Stants-Auzrigers: Berüin. S8. W. Wilhelm⸗EStratze Rr. 32.

1. Steckbriefe und Untersuchungs-Sachen.

2. Subhastationen, Aufgebote, Verladungen u. dergl.

3. Verkäufe, Verpachtungen, Submissionen etc.

4. Verloosung, Amortisatson, Zinszahlung

Grosshandel. 7. Literarische Anzeigen.

DOeffentlicher Anzeiger.

5. Industrielle Etablissements, Fabriken und 6. Verschiedene Bekanntmachungen.

8. Theater-Anzeigen. In der Börsen- beilage. 28

Inserate nehmen an: die autorisirte Annoncen⸗Expedition von Rudolf Moffe in Berlin, Breslau, Chemnitz, Cöln, Dresden, Dortmund, Frankfurt a. M., Halle a. S., Hamburg, Leipzig, München, Nürnberg, Prag, Straß⸗ burg i. E., Stuttgart, Wien, Zürich und deren Agenten, sswie alle übrigen größeren Annoneen⸗Hureanus.

K *

u. s. w. von öffentlichen Papieren.

9. Familien-Nachrichten.

Steckbriefe und Untersuchungs⸗Sachen.

Edictal⸗Citation. In der Untersuchungssache wider den Herbergswirth Kurth und Genossen K. 8. 1873. 1I. soll in dem am 20. Sep⸗ tember d. J., Vormittegs 9 Uhr, im Lagerhause Klosterstr. 76, I. Treppe hoch, Zimmer Nr. 9, vor der unterzeichneten Deputation anstehenden Termin der Bäckergeselle Wilhelm Franz Oehley, am 23. August 1845 zu Naumburg a. S. geboren, als Zeuge vernommen werden. Da der Aufenthaltsort des Dehley unbekannt ist, so wird derselbe hier⸗ mit zum gedachten Termin öffentlich vorgeladen. Berlin, den 7. Juli 1875. Königliches Stadtgericht, Abtheilung für Untersuchungssachen. Deputation II. für Vergehen.

Oeffentliche Bekanntmachung. Gegen die nach⸗ stehenden militärpflichtigen Kantonisten: 1) den Gottfried Leberecht Staberow zu Benjaminsthal, 2) den Franz Brzoska zu Bralin, 3) den Schann vüusse zu Domsel, 4) den Johann Wittek zu Domsel, 5) den Friebrich Wilhelm Klein zu Festen⸗ berg, zuletzt in Kraschen, 6) den Wilhelm Weigelt 8 Glashütte Medzibor, 7) den Schuhmacher osef Goldner zu Goschütz, 8) den Max August Herrmann Oscar Scholz zu Goschütz, 9) den Ernst Carl Robert Guttmann zu Otto⸗Langendorf, ¹ 10) den Karl Wilhelm Mrosek zu Otto⸗ Langendorf 11) den Josef Krisiok zu Mangschütz, 12) den Friedrich Louis Guder zu Dominium Medzibor, 13) den Jakob Kruppik zu Münchwitz, 14) den Wilhelm Robert Scholz zu Olschofke, 15) den Karl Sperling zu Ossen, 16) den Paul Tuczek zu

Tschermin, 17) den Balthasar Smolka zu Tscheschen, 18) den August Nelke zu Poln. Wartenberg, 19) den Joseph Skokalcki zu Schloß Wartenberg, 20) den Christian Nowak zu Wedelsdorf, ist in 8g Anklage der Königlichen Staatsanwaltschaft zu Oels wegen Auswanderns ohne Erlaubniß auf Grund des §. 140 des Strafgesetzbuchs die Unter⸗ uchung eingeleitet und zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung der Sache im Sitzungssaale des unterzeichneten Gerichts ein Termin auf den

1 Oktober 1875, Vormittags 9 Uhr, anbe⸗ raumt worden. Die vorstehend genannten Ange⸗ klagten werden hierdurch aufgefordert, in diesem Termine zur festgesetzten Stunde zu erscheinen und die zu ihrer Vertheidigung dienenden Beweismittel mit zur Stelle zu bringen, oder solche dem Gericht so zeitig vor dem Termine anzuzeigen, daß sie noch zu demselben herbeigeschafft werden können. Er⸗

scheinen sie in dem Termine nicht, so wird gegen die

Ausgebliebenen mit der Untersuchung und Ent⸗ scheidung in contumaciam verfahren werden. Poln. Wartenberg, den 25. Mai 1875.

Königliches Kreisgericht. I. Abtheilung.

Auf Grund der Anklage vom 27. März 1875 und §. 140 des Strafgesetzbuches wird gegen: 1) den Stellmachergesellen Julius Szepe aus Raszkow, 2) den Knecht Joseph Danielak aus Sliwnik, 3) den Johann Carl Litschke aus Szezury Hauland, 4) den Magdsohn Theodor Kolodzièj aus Ostrowo, 5) den Tagelöhnersohn Wowrgyn Przymocki aus Ostrowo, 6) den Häuslersohn Joseph Sittenfeld aus Ostrowo, 7) den Knecht Caspar Chmielarczyk aus Raszkow, 8) den Schänkersohn Chaskel (Oskar) Silber aus Adelnau, 9) den Einliegersohn Mathias Szezepaniak aus Chruszezyn, 10) den Thomas Kowalski aus Raczyce, 11) den Knecht Carl August Gohrisch aus Granowiec, 12) den Einliegersohn Augustin Raube aus Pustkowie Chynow, 13) den Tagelöhner Janatz Moczydlowski aus Krempa, 14) den Tagelönersohn Johann Dolata aus Krempa, 15) den Stellmacher⸗ sahe Thomas Wo’niczak aus Psary, 16) den Tage⸗ löhnersohn Jacob Stanislaus Schulz aus Wielo⸗ wies, 17) den Tagelöhnersohn Valentin S aus Groß⸗Przygodzice, 18) den Müllergesellen Carl Rudolph Kosel aus Podkoce, 19) den Knecht Michael Bergandy aus Biskupice die Untersuchung wegen Verlassens det Bundesgebietes ohne Erlaubniß und um sich dem Militärdienste zu entziehen, eingeleitet und zur öffentlichen mündlichen Verhandlung der Sache ein Termin auf den 3. September 1875, Bormittags 9 Uhr, vor dem Kollegium im Sitzungs⸗ saale der I. Abtheilung angesetzt. Da der Aufent⸗

haltsort der Angeklagten unbekannt ist, so werden

dieselben hierdurch in Gemäßheit des Artikels 46 des Gesetzes vom 3. Mai 1852 zu dem gedachten Termine mit der Aufforderung öffentlich vorgeladen, in demselben zu erscheinen und die zu ihrer Ver⸗ theidigung dienenden Beweismittel mitzubringen, oder solche dem Gerichte so zeitig vor dem angesetzten Termine anzuzeigen, daß sie noch zu demselben her⸗ beigeschafft werden können. Im Falle des Aus⸗ bleibens der Angeklagten wird mit der Verhandlung und Entscheidung der Sache in contumaciam vor- gegangen werden. Zugleich wird zur Deckung der die Angeklagten möglicherweise Strafen und Kosten des Verfahrens auf das im Inlande befindliche etwaige Vermögen eines jeden derselben bis zur Höhe von „Neunhundert Mark“ Arrest ge⸗ legt. Ostrowo, den 23. April 1875. Königliches Kreisgericht. I. Abtheilung.

SEubhastationen, Aufgebote, Vor⸗ ladungen u. dergl. 1“

6b6 EPF-OC-IAI.

Der am 22. Oktober 1804 geborene, seit länger als 30 Jahren von hier abwesende und seit dieser Zeit verschollene

Conrad Duset von hier ist durch Dekret Königlichen Kreisgerichts dahier vom 14. Juni d. J. für todt erklärt worden.

Es werden deshalb alle Diejenigen, welche an dem bisher kuratorisch verwalteten, nunmehr 209 Thlr. 10 Hlr. betragenden Nachlaß des zc. Duset Ansprüche irgend welcher Art, insbe⸗ 8.” Erbansprüche, zu haben glauben, aufge⸗

rdert, in dem auf den 9. Oktober d. J., Vormittags 10 Uhr, in das Lokal des unterzeichneten Gerichts, Cölnische Straße Nr. 13, Zimmer II., anberaumten Termin ihre Ansprüche geltend zu machen, beziehun sweise als Erben zu legitimiren, widrigenfalls der Nachlaß dem Fiskus überwiesen werden wird. 1 Cassel, am 10. Juli 1875. Ct, 64007.)

Königliches Amtsgericht I. Abtheilung].

v. Wolff. Schwank.

[1109] Proclama.

Der Kaufmann Ferdinand Leonhardt, welcher früher in Ilsenburg gewohnt und sodann in Lochthum und Nordhausen sich aufgehalten hat und für wel⸗ chen hier eine Depositalmasse im Betrage von circa 75 verwaltet wird, hat sich vor länger als 30 Fhen nach Amerika begeben und ist seitdem ver⸗

ollen.

Der Arbeiter Ernst Friedrich Kelch aus Vecken⸗ stedt, geboren den 23. Oktober 1821, für welchen hier eine Zcpesttabnage im Betrage von 510 verwaltet wird, hat sich im Jahre 1847 gleichfalls nach Amerika begeben und ist seitdem verschollen.

Diese beiden genannten Personen oder deren Rechtsnachfolger werden zum Termine

den 4. Dezember 1875, Vormittags 11 ½ Uhr an Gerichtsstelle vor den Kreisgerichts⸗Rath Vorberg unter der Verwarnung vorgeladen, daß die Verschol⸗ lenen selbst für todt erklärt und ihr Nachlaß den nächsten bekannten Erben mit den in den §§. 834 seq. Theil II. Titel 18 des A. L. Rechts angegebenen Folgen zuerkannt werden wird. 8

Wernigerode, den 3. Februar 1875.

Königliche und Gräfliche Kreisgerichts⸗Deputation.

[2915] Bekanntmachung.

Es ist bei uns die Todeserklärung der Emma Wilhelmine Charlotte Weiß, verehelichten Bartz, beantragt worden, welche am 13. Mai 1838

eboren, zuletzt in Markowice gewohnt hat, im ahre 1857 nach Amerika ausgewandert und gänz⸗ lich verschollen sein soll. 3

Dieselbe, sowie die von ihr etwa zurückgelassenen unbekannten Erben und Erbnehmer werden hiermit aufgefordert, sich vor oder in dem auf

den 9. Februar 1876, Vormittags 11 Uhr, vor dem Herrn Kreisgerichts⸗Rath Sobeski an der Gerichtsstelle hier anberaumten Termine schriftlich oder persönlich zu melden, mit der Warnung, daß sonst die Provokatin für todt erklärt, die mitvor⸗ eladenen unbekannten Erben aber mit ihren An⸗ förüchen an deren Nachlaß präkludirt werden würden.

Inowrazlaw, den 14. April 1875.

Königliches Kreisgericht. I. Abtheilung.

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