Berlin, 22. November.
Am 13. d. M. entwickelte der Direktor des Königlich Preußischen statistischen Bureaus, Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Engel, in der volkswirthschaftlichen Gesellschaft das Wesen und die Bedeutung der mit der Volkszählung verbundenen Gewerbe⸗ zählung. Eine Gewerbezählung ist noch nie in solcher Größe da⸗ gewesen; seit 1861 ist sie die erste wieder im preußischen Staate, zum ersten Male aber hat man sie mit der Volkszählung in die engste Verbindung gebracht. Früher waren die Volkszählungen überhaupt eine bloße fiskalische Operation. Das Schema der Gewerbezählung von 1861 war noch unvollständig, der Zäylung mangelte die Centra⸗ lisation, durch die England und Amerika so Bedeutendes geleistet haben. Dies Mal geschieht es bei uns in gleicher Weise, die Vor⸗ bereitungen gingen vom statistischen Bureau aus. Was ein solche Vorbereitung heißt, erkennt man an folgenden Zahlen: Die Zähl⸗ karten und Fragebogen wiegen über 4000 Ctr., zu ihrer Verpackung gehören 5000 Kisten, auf einander gelegt, würden sie eine Höhe von 26,000 Fuß haben, neben einander gelegt, eine Fläche von über 1000 Hektaren bedecken. Ihre Versendung ist das größte Speditions⸗ geschäft Berlins im Augenblick; 4—6 Rollwagen sind fortwährend in Bewegung. Aber die größere Arbeit beginnt erst, wenn die Karten ausgefüllt zurückkommen, mit dem sogenannten Depouillement. Mit der Verarbeitung der Volkszählung von 1871 waren 300 Personen über 1 Jahr lang, 150 über 2 Jahre lang beschäftigt, und eine An⸗ jahl wurde noch zur neuen Zählung mit herübergenommen. Man ann diese Arbeit als Fabrikarbeit bezeichnen; das statistische Bureau gleicht alsdann Einer großen Rechentabelle. Preußen ist bisher trotz seiner 25 Millionen Einwohner noch stets am frühesten mit der Verarbeitung fertig gewesen. — Was die General⸗Fragebogen anlangt, so erhalten solche nur die größeren Gewerbetreibenden, d. h. die mit über 5 Gehülfen arbeiten; auf Preußen rechnet man deren über 1 Million. In Bezug auf die einzelnen Fragen sind leitende Grundsatze maßgebend gewesen. Schon die Frage: Wel⸗ ches Gewerbe treiben Sie? mußte mit bestimmten Erläuterungen ver⸗ schen werden. „In welcher Eigenschaft betreiben Sie es?“ heißt: Als Pächter, als Verwalter, als Eigenthümer u. s. w.“ Bei der Frase nach den Kräften, mit denen das Gewerbe betrieben wird, mußte darauf Rücksicht genommen werden, ob die Industrie als ge⸗ schlossen oder als Haus⸗Industrie auftritt. Bei der Frage nach dem Umfange, der ein Gewerbe charakterisirt, tritt die Frage nach der Anzahl der Motoren ein. Bei der Frage nach der Zahl der beschäf⸗ tigten Personen mußten dieselben gruppirt werden: wie alt sie sind, ob verheirathet u. s. w. — Der Erfolg der ganzen Zählung hängt von der Aufnahme in einem bestimmten Moment ab; sie soll ein Zeit⸗, womöglich ein Momentbild geben. Aber es kann gerade ein Etablissement oder eine Industrie in jenem Moment feiern, z. B. die Ziegelbrennereien. Deshalb mußte auch gefragt werden: Welche Durchschnittszahl von Arbeitern beschäftigen Sie im Jahre? — Die Zahl der Arbeiter aber allein giebt noch kein richtiges Bild von der Bedeutung einer Industrie. Dazu gehört die Kenntniß der An⸗ zahl der Maschinen, der Motoren, wie der Werkzeugmaschinen. Daß Da pfmotoren stark verwendet werden, ist bekannt, aber nicht, in welchem Grade. Jedenfalls übersteigen sie bedeutend die Zahl der Wasserkräfte. Aber die Wasser⸗, Wind⸗, Heißluft⸗, Gas⸗ u. s. w.⸗ Motoren sind ebenfalls zu zählen. Untrennbar sind ferner die Arbeits⸗ maschinen, da sie von den Motoren bewegt werden. Erst beide zu⸗ sammen geben ein richtiges Bild. — Bei den Motoren war ferner noch eine Reihe bestimmter Fragen nöthig, nach den Stärken, dem Systeme ꝛc. Denn darin spricht sich zum großen Theil der menschliche Fortschritt aus, der heißt: die Natur besiegen. Das Wasserrad ist z. B. minder vollkommen, als die Tourbine u. s. w. Der Effekt einer Maschine ist schon aus der bloßen Bezeich⸗ nung erkennbar. — Was die Arbeitsmaschinen anbetrifft, so hat man früher bei der Spinnerei blos nach der Anzahl der Spindeln, bei der Metallindustrie nach der Anzahl der Hämmer und Feuer ge⸗ fragt. In England und Amerika hat man genauere Untersuchungen angestellt und ziemlich vollkommene Resultate erhalten. Auch Deutsch⸗ land bedarf derselben zur Beurtheilung seiner Konkurrenzfähigkeit. Erst die Kombination von Arbeitern, Arbeitsmaschinen und Motoren ergiebt ein genaues Resultat. Die Franzosen und Amerikaner fragen außerdem noch nach dem Werth der Rohprodukte und dem der End⸗ produkte, nach der Höhe der Löhne und dergl. on. In Deutschland hat man davon abgesehen, da die Fabrikanten in diesen Punkten doch nicht genaue Auskunft geben, denn diese Fragen bedeuten die Frage nach
dem Gewinn. Die französische Industrie ist außerdem durch Doppel⸗ rechnung der Rohprodukte zu Zahlen gekommen, die ohne Bedeutung sind. — Spezialaufnahmen richten sich noch auf ganz hervortretende Gewerbegruppen: Landwirthschaft, Post, Telegraphie und Eisenbah⸗ nen. Denn die Eisenbahnen sind jetzt gleichzeitig große Fabrikanten; ähnlich geht es beim Bergbau. Was die Bearbeitung des gewon⸗ nenen Materials anlangt, so muß man vor allen Dingen nicht ver⸗ gessen, daß die Statistik falsche Zahlen nicht richtig machen kann. Deshalb können die Antworten nie genau genug sein. Wer die Sache gewissenhaft nimmt, fördert ein großes nationales Werk. Die Sta⸗ tistik ist nur Mittel für die Größe des Staates. Dem statistischen Bureau als solchem geschieht mit der Auskunftsertheilung kein Ge⸗ fallen. Aus dieser Zählung wird vielmehr die Kulturstufe klar wer⸗ den, die Preußen mit seiner Industrie einnimmt. Die Veränderungen gegen 1861 werden allem Anscheine nach großartig sein.
Ueber die Fortbildungsschulen und ihren Einfluß auf das bürgerliche Gewerbe hielt am Freitag Abend Oberlehrer Dr Dielitz im Louisenstädtischen Bezirksverein einen Vortrag, dem wir Folgendes zur Geschichte dieser Einrichtungen entnehmen: Wäh⸗ rend die Fortbildungsschulen in unseren Nachbarländern eine bedeu⸗ tende Ausbildung erreicht haben, in einzelnen Ländern, wie in Sachsen, sogar gesetzlich geregelt sind, ist Preußen in der Ausbildung seiner Fortbildungsschulen bizher im Stillstand geblieben; trotzdem gerade hier Fortbildungsschulen schon seit langer Zeit bestehen. Der erste Anfang wurde in den Sonntagsschulen gemacht, deren erste bereits vor mehr als 300 Jahren begründet wurde. In der 1528 von Luther ausgegebenen Kirchen⸗ und Schulordnung war festgesetzt, daß dafür zu sorgen sei, die aus der Schule entlassenen Zöglinge noch weiter fortzubilden. Diese Fortbildung geschah zunächst nur im Be⸗ zug auf die Religion, erst später trat Lesen urd Schreiben hinzu. Eine bedeutendere Ausdehnung erhielten diese Anstalten unter König Friedrich II. Am 1. April 1773 befahl er, eine Schulordnung für die Sonntagsschulen aufzustellen, die bereits am 12. August desselben Jahres den einzelnen Behörden zugehen konnte. — In Berlin speziell wurde im Jahre 1798 eine öffentliche Aufforderuns an wohl⸗ habende Bürger behufs Gründung von Forrbildungsschulen er⸗ lassen, die denn auch im darauf folgenden Jahre ins Leben traten und bald von 2 auf 8 vermehrt werden mußten. Die⸗ selben standen unter Leitung des Professors Zelle, nach dessen Tode der bisherige Stadtschulrath Hofmann an die Spitze trat, dem vor 12 Jahren der Vortragende folgte. Die Gewerbeordnung vom Jahre 1845 verpflichtete in §. 48 die Meister, ihre Lehrlinge zum Besuche der Fortbildungsschulen anzuhalten, auch der Magistrat der Stadt unterstützte dieselben insofern wesentlich, als er den obligatori⸗ schen Besuch derselben für diejenigen Lehrlinge einführte, die außer Stande seien, eine genügende Schulbildung aufzuweisen. Diese Schulen erfreuten sich nun eine lange Reihe von Jahren hindurch eines lebhaften Aufschwunges und wurden durchschnittlich von etwa 2000 Lehrlingen besucht. Gleichwohl wirkte, abgesehen von Anfeindungen einer Geistlichkeit, die durch die Sonntagsschulen Entheiligungen der Feiertage, namentlich der Umstand störend auf die Entwicklung der Schulen, daß sich in der Bevölkerung der Glaube festgesetzt hatte, die Volksschulen seien derartig vorzüglich eingerichtet, daß Fort⸗ bildungsschulen überflüssig erschienen. Später machte der vor einigen Jahren eingetretene Umschwung auf gewerblichem Gebiete den bis⸗ berigen For bildungsschulen überhaupt ein Ende. Erst am 12. Oktober vorigen Jahres konnten namentlich mit Hülfe der Gewerbe selbst die ersten neuen Vorbereitungs⸗ und Fortbildungsschulen errichtet werden, die bis jetzt auf 11 angestiegen sind und sich über alle Theile der Stadt verbreiten; auch der Gesundbrunnen wird mit Beginn nächsten Jahres eine solche Anstalt erhalten. Die Schüler⸗ zahl beläuft sich gegenwärtig auf 1952. Außer den eigentlichen Fort⸗ bildungsschulen bestehen nun noch sogenannte Fachschulen, wie sie die Bau⸗-, Maurer⸗ und Zimmermeister bereits haben, und wie in nächster Zeit für Weber eine folche eingerichtet werden soll. An der Spitze dieser Schulen steht ein von den betreffenden Meistern aus ihrer Mitte gewähltes Kuratorium; im Uebrigen sind die Verhältnisse hier ähnlich, wie bei den allgemeinen Austalten, nur daß hier in denjenigen wS. Sis wo dies angeht, mehr das spezielle Gewerbe berücksichtigt wird.
Zum dritten Male in kurzer Zeit ist Berlin von einem großen Feuer heimgesucht worden, indem das mächtige Fabrikgebäude des Grundstuͤckes Alte Jakobstr. 120 am 20. d. Abends 9 ¾ Uhr so plötzlich in
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Flammen aufging, daß, als die allseitig herbeigernfene Feuerwehr sich auf der Brandstelle befand, bereits der ganze 4. und 5. Stock des mäch⸗ tigen, 12 Fenster Front messenden Gebäudes in hellen Flammen stand, so daß ein Eindringen in diese oberen Etagen des Haufes nicht mehr möglich war. Der Hauptangriff auf das brennende Seitengebäude wurde von der Alten Jakobstraße und ein Seitenangriff von der Feilnerstraße 6 und 7, ein zweiter Seitenangriff von der Oranien⸗ straße aus gemacht. Besonders gefährdet war die Rückseite der Feilnerstraße durch die anstoßenden, mit Pappdach gedeckten und Holz gefüllten Schuppen, sowie das Dach eines Hintergebäudes in der Oranienstraße. In Thätigkeit kamen 13 Spritzen. Die Dampf⸗ spritze, welche erschienen war, kam nscht zur Verwendung, weil in der ganzen Gegend kein großer Brunnenkessel zur Speisung derselben auf⸗ gefunden werden konnte. Gehalten wurde das Parterregeschoß, die erste Etage und zum Theil der Fußboden der zweiten Etage; die Gefahr für die angrenzenden Gebäude war um Mitternacht beseitigt. Das Gros der Feuerwehr verließ die Brandstätte um 4 Uhr Morgens, während eine Brandwache mit 3 Schläuchen an Hydranten bis 8 Uhr Morgens in Thätigkeit blieb. Alsdann be⸗ gann die Feuerwehr sofort mit Aufräumung der Brandstätte vorzu⸗ gehen. Das Gebäude selbst bestand nur aus Fabrikräumen und ist 1 Kunstdrechslerei, 1 Posamentier⸗ und eine Nähmaschinenfabrik zer⸗ stört worden. Die Entstehungsursache des Feuers ist noch nicht er⸗ mittelt. Der angerichtete Schaden beläuft sich auf ½ Million Mark.
Durch plötzlich eingetretenes Hochwasser der Kinzig, das die in derselben lagernden Flosse losriß und in den Rhein trieb, sind einem Telegramm des „W. T. B.“ von heute Vormittag zufolge, sämmtliche Schiffsbrücken und Fähren über den Rhein zwischen Straßburg und Maxau incl. zerstört und deren
Pontons rheinabwärts getrieben worden. Die hierdurch eingetretene
Verkehrsstörung wie der verursachte Schaden sind sehr groß.
In der Grafschaft Glatz haben die jüngsten Stürme und Gewitter großen Schaden an Gebäuden und Forsten angerichtet. In Tscherbenei bei Lewin entzündete der Blitz ein Haus und tödtete das darin befindliche Vieb. In Crainsdorf zerstörte der Orkan ein Wohn⸗ haus vollständig, beschädigte in Ober⸗Schwedeldorf das Dach der Kirche, deckte den Anbau am Glockenthurm vollständig ab, schleud rte die Balken auf den Kirchhof und beschädigte die Mauern dergestalt, daß sie vollends niedergerissen werden müssen. In Wallisfurth riß er eine neu erbaute Dominialscheuer vollständig ein und zersplitterte das Holzwerk tausendfach. Im städtischen Forst zu Habelschwerdt brach der Sturm über 1000 Klafter hohes Holz um. Fast täglich gehen noch Meldungen über Verwüstungen ein.
Aus Dover, 20. November, Abends, meldet „W. T. B.“: In der vergangenen Nacht hat an der Küste ein heftiges Unwetter gewüthet, bei welchem, wie man berechnet, etwa 13 Fahrzeuge auf den Dünen Schiffbruch gelitten haben. Uagefähr 40 —50 Per⸗ sonen sollen umgekommen sein. Dagezen sind dem „Standard“ zu⸗ folge diese Angaben nicht genau. Nach dem genaanten Blatte sollen nur mehrere Schiffe von ihren Ankern losgerissen worden sein.
Kapitän Brewer von Biddeford, Me., der mit seiner Bark bei den Auklandinseln landete, berichtet, der „N. H.⸗Z.“ zufolge, daß dort zwei amerikanische und eine englische Bark bei Wind⸗ stille von den Eingeborenen überfallen, geplündert und versenkt wur⸗ den. Die Mannschaft wurde ans Land geschleppt und diente den Kannibalen zur Festspeise bei der Siegesfeier. Die Nachrichten sollen von einem Weißen, dem einzigen Ueberlebenden dieser Schlächterei, herstammen und werden theilweise durch das lange Ausbleiben der Fahrzeuge bestätigt. 1
Theater.
Die Königliche Hofschauspielerin Frl. Reichardt ist auf drei Jahre mit erhöhten Bezügen neu engagirt worden.
— Das Krollsche Theater bleibt der Vorbereitungen zur Weihnachts⸗Ausstellung wegen am Donnerstag und Freitag geschlossen. Die Aufführungen des Lebensbildes „Das ge⸗ stohlene Gesicht“ werden demnach am Mittwoch sistirt.
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snAevern.
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Staats⸗Anzeiger, das Central⸗Handelsregister und das Postblatt nimmt an: die Inseraten⸗Expedition des Deutschen Reichs-Anzreigers und Königlich Preuhischen Staats-Anzrigers:
. Berlin, 8. N. Wilhelm⸗Straße Nr. 3223.
R u. s. w. von öffentlichen Papieren. 9.
9 derf erate für den Deutschen Reichs⸗ u. Kgl. preuß. 8 Oeffentlich er Anz eiger. SIrserne nehmen an: die autorisirte Lnncen-Spet⸗
1. Steckbriefe und Untersuchungs-Sachen. 5. Industrielle Etablissements, Fabriken und
2. Subhastationen, Aufgebote, Vorladungen u. dergl. 6. Verschiedene Bekanntmachungen.
3. Verkäufe, Verpachtungen, Submissionen etc. 7.
4. Verloosung, Amortisation, Zinszahlung 8. Theater-Apzeigen.
Grosshandel. Literarische Anzeigen.
Familien-Nachrichten. †
1 In der Börsen-
beilage.
tion von Rudolf Mosse in Berlin, Breslau, Chemnitz, Cöln, Dresden, Dortmund, Frankfurt a. M., Halle a. S., Hamburg, Leipzig, München, Rürnberg, Prag, Straß⸗ burg i. E., Stuttgart, Wien, Zürich und deren Agenten, I.s alle übrigen größeren Aunoncen⸗Bureaus.
Steckbriefe und Untersuchungs⸗Sachen.
Steckbrief. Der Kürschner Leopold Müller, welcher aus Schrimm gebürtig ist, im Jahre 1874 und bis Anfang September 1875 in Frankenstein das Geschäft eines Auktionators und einen Kleider⸗ handel betrieben und im September cr. in Berlin,
Polizeirichter
geladen, zur
wärtiger Aufenthalt aber unbekannt ist, soll wegen wiederholter Unterschlagung zur Untersuchung ge⸗ zogen werden. Derselbe ist im Betretungsfalle fest⸗ zunehmen und mittelst Transports in das Gefängniß des Königlichen Kreisgerichts zu Frankenstein in Schlesien einzuliefern. Signalement des ꝛc. Müller.
Reichsstrafgesetzbuchs die Untersuchung cröffnet, dem⸗ gemäß wird derselbe zu dem auf den 15. März 1876, Vormittags 11 Uhr, vor dem unterzeichneten anberaumten Termine zur münd⸗ lichen Verhandlung fängnißgebäudes unter der
richter anberaumten
im Sitzungssaale des Aufforderung
Ge⸗
festgesetzten
Königliches Kreisgericht.
mittags 10 Uhr, vor dem unterzeichneten Polizei⸗ Termin zur mündlichen Ver⸗ handlung im Sitzungssaal des Gefängnißgebäudes unter der Aufforderung vorgeladen, zur festaesetzten Stunde zu erscheinen und die zu ihrer Vertheidi⸗ luffor vor⸗ gung b 32eeede zur v zu “ 3 a⸗ Stunde zu er⸗ bringen oder so eem Gericht so zeitig vor dem Grenadierstraße Nr. 10, gewohnt hat, dessen gegen⸗ scheinen und die zu seiner Vertheidigung dienenden eeee anzuzeigen, daß sie noch zu 2 e. her⸗ Beweismittel mit zur Stelle zu bringen, oder solche beigeschafft werden können, unter der Verwarnung, dem Gericht so zeitig vor dem Termine anzuzeigen, daß im daß sie noch zu demselben herbeigeschafft werden chung und Entscheidung in contumaciam verfahren können, unter der Verwarnung, daß im Falle seines werden wird. Ausbleibens mit der Untersuchung und Entscheidung
Falle ihres Ausbleibens mit der Untersu⸗
ihren Ebemann, den Tagelöhner Eduard Mügge, der sich früher in Murowana Goslin anfgehalten hat, dessen gegenwärtiger Aufenthalt aber unbekannt ist, wegen böslicher Verlassang, Verbüßung entehren⸗ der Strafen und g des Unterhalts auf Ehe⸗ scheidung geklagt und beantragt, den Verklagten für den allein schuldigen Theil zu erklären. Zur Be⸗ antwortung der Klage haben wir einen Termin auf den 11. März 1876, Vormittags 11 Uhr, an unserer Gerichtsstelle vor dem Kreisrichter Trott an⸗ beraumt, zu welchem der Tagelöhner Eduard Mügge
Sensburg, den 9. September 1875. unter der Verwarnunz vorgeladen wird, daß bei sei⸗ Der Polizeirichter.
nem Ausbleiben angenommen werden wird, er räume
Religien: mosaisch. Alter: 32 Jahr. Größe: 1,67 Meter. Haare: dunkel. Stirn: frei. Augen⸗ brauen: braun. Nase und Mund: normal. Bart: rasirt. Kinn und Gesichtsbildung: rund. Gesichts⸗ farbe: brünett. Gestalt: untersetzt. Sprache: deutsch. Besondere Kennzeichen: schwerhörig.
Frankenstein, den 18. November 1875.
Der Königliche Staatsanwalt.
Steckbrief. Der Freiherr Albrecht von Nagel Itlingen, früher zu Thüle im Amte Salzkotten, 44 Jahre alt und katholischer Kenfession, ist durch Erkenntniß der Kreisgerichts⸗Deputation Wiedenbrück⸗ Rheda vom 14. Juli 1874, bestatigt durch das rechtskräftig gewordene Erkenntniß des Königlichen Appellationsgerichts zu Paderborn vom 27. Oktober 1874, wegen Beleidigung des Deutschen Kaisers, seines Landesherrn, zu einer Gefängnißstrafe von einem Jahre verurtheilt worden. Derselbe bat sich der Vollstreckung der Strafe durch die Flucht ent⸗ zogen, und werden deßhalb alle Civil⸗ und Militär⸗ behörden ersucht, ihn im Betretungsfalle zu ver⸗ haften und uns vorführen zu lassen. Signalement kann nicht angegeben werden. Wiedenbrück. 12. No⸗ vember 1875. Königliche Kreisgerichts⸗Kommission.
Gexen den Kanonier August Böttcher aus Gehland ist gemäß Anklage der hiesigen Königlichen Polizeianwaltschaft vom 4. November 1875 wegen merlaubter Auswanderung auf Grund des §. 360 ad 3 8
in contumaciam verfahren werden wird. Sensburg, den 8. November 1875. Königliches Kreisgericht. Der Polizeirichter. Muenchmeyer.
Beschlußz. Folgende beurlaubte Reservisten resp. Wehrmänner der Land⸗ resp. Seewehr: 1) der Wehrmann Friedrich Chniel, früher in Sensburg, 2) der Wehrmann Mikutta Kirschner, früher in Schönfeld, 3) der Wehrmann Johann Gottlieb Kriong, früher in Sensburg, 4) der Wehrmann Isaak Kirschner, früher in Schönfeld, 5) der Wehr⸗ mann Arczum Lichow, früher in Schönfeld, 6) der Wehrmann Süst Lyß, früher in Eckertsdorf, 7) der Wehrmann Johann Ruhnau, früher in Pruschino⸗ wen, 8) der Oekonomie⸗Handwerker Gottlieb Gus⸗ iewski, früher in Alt. Muntowen, 9) der Kanonier eopold Kuhn, früher in Salpkeim, 10) der Unter⸗ offizier Karl Klimmeck, früher in Nikolaiken, 11) der Portepée⸗Fähnrich Adolf Gustav Leonhardy, früher in Nikolaiken, 12) der Jäger Mathias Neu⸗ mann, früher in Sensburg, 13) der Unteroffizier Gustav Stritzel, früher in Sensburg, 14) der Wehr⸗ mann (Kanonier) Jwan Kaxotki, früher in Eckerts⸗ dorf, 15) der Reservist, Gefreite, arcei Slowi⸗
schaft vom 29. August cr. auf Grund des §. 300 Nr. 3 des Reichs⸗Strafgesetzbuchs die Untersuchung gegen sie eröffnet worden. selben zu dem auf den 22. Dezember cr., Vor⸗
“ ersucht. kow, früher in Onufrigowen wohnhaft, sind der un⸗ 875.
erlaubten Auswanderung angeklagt und gemäß der Anklage der hiesigen Königlichen Polizei⸗Anwalt⸗
Demgemäß werden die⸗
Münchmeyer. Fpolgende Personen: 1) Der Färber Heinrich Theo⸗
dor Nicolai aus Cottbus, 2) der Tischler Mathes
Krautz aus Fehrow, 3) der Häuslersohn Martin Konzak aus Drachhausen, 4) der Weber Johann Friedrich Melke aus Brunschwig, 5) der Paul Eduard Carl Ullbrich aus Cottbus, 6) der Johann Friedrich Frentzel aus Brunschwig, 7) der Oscar Paul Wei⸗ nert aus Dresden, später zu Cottbus, 8) der Fried⸗ rich Wilhelm Paul Heyne aus Cottbus, 9) der Gottfried Bartel aus Drachhausen, 10) der Chri⸗ stian Budarick daher, 11) der Christian Muhzick da⸗ her, 12) der Carl Gustav Reichan aus Jaenschwalde, 13) der Martin Guttke aus Merzdorf, 14) der Mar⸗ tin Nowka aus Sylow, sind durch das rechtskräftige Erkenntniß vom 14. September cr. wegen Vergehens wider die öffentliche Ordnung durch Entziehung von der Militärpflicht ein Jeder von ihnen mit einer Geldstrafe von einhundertfünfzig Mark, im Unver⸗ mögensfalle dreißig Tagen Gefäagniß verurtheilt worden. Es wird um Strafvollstreckung und Be⸗ 1b Cottbus, den 18. Oktober Königliches Kreisgericht. Erste Abtheilung.
Subhastationen, Aufgebote, Vor⸗
ladungen u. dergl. Vorladung.
Die verehelichte Tagelöhner Mügge, Juliane,
geborene Bettin zu Murowana Goslin hat gegen
den Inhalt der Klage und den gegen ihn geltend ge⸗
machten Scheidungsgrund als richtig ein, worauf dann, was dem Rechte nach daraus folgt, gegen ihn
festgesetzt werden wird. Rogasen, den 11. November 1875. Königliches Kreisgericht. Erste Abtheilung.
Aufgebot von Testamenten. Im Devpositorio des unterzeichneten Gerichts befindet sich das seit länger als 56 Jahren deponirte Testament der Jo⸗ hanne Charlotte Otto, errichtet zu; Golm, Kreis Angermünde, am 22. April 1819. In Gemäßheit des §. 218 Tit. 12 Th. I. A. L. R. werden alle Diejenigen, welche ein Recht hierauf nachweisen können, aufgefordert, die Publikation des obenbezeich⸗ neten Testaments binnen 6 Monaten und spätestens in dem am 14. Juni 1826, Vormittags 11 Uhr, in unserem Gerichtslokale hierselbst vor dem Kreis⸗ gerichts⸗Rath Volgenau anstehenden Termine nach⸗ zusuchen. Angermünde, den 10. Nopember 1875.
Königliches Kreisgericht. II. Abtheilung.
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Redacteur: F. Prehm. lag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Drei Beilagen (einschließlich der Börsen⸗Beilage).
Berlin:
Reichstags⸗Angelegenheiten. 86
Berlin, 22. November. In der Sitzung des Deutschen Reichstages am 20. d. M. nahm in der Diskussion über den Reichshaushalts⸗Etat für das Jahr 1876 der Bundesbevoll⸗ mächtigte, Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗ Minister Camphausen nach dem Abg. Richter das Wort:
Mieine Herren! So lange das Deutsche Reich besteht, und in diesen Räumen die Berathung des Reichshaushalts⸗Etats stattge⸗ funden hat, habe ich niemals Veranlassung genommen, mich in diese Berathungen einzumischen; ich habe stets die reservirte Stellung des Finanz⸗Ministers eines der Partikularstaaten eingenommen und habe ebensowenig, wie das meine Kollegen der anderen Staaten zu thun pflegen, mich an den hier stattfindenden Verhandlungen betheiligt.
Heute scheint mir die Lage eine etwas andere zu sein. Ich weiß nicht, inwiefern meine Herren Kollegen aus den anderen Staaten Veranlassung nehmen wollen, für die gemeinschaftliche Arbeit eizutreten; ich, als Vertreter in Finanzfragen für das mächtigste Reich unter den verbündeten Staaten, glaube, heute für mich ein Wort der Abwehr gegen gar viele Anschuldigungen mir gestatten zu dürfen. Dabei werde ich nicht auf die Einzelheiten in den Ausstellungen, die gegen den Etat gemacht worden sind, eingehen. Ich zweifle nicht, daß mein verehrter Freund, der Hr. Präsident des Reichskanzler⸗Amts, und seine Räthe uͤber alle zur Frage gestellten Punkte ausführlich Auskunft ertheilen werden. Ich möchte mich mehr an das Ganze und Große halten und möchte dabei mit möglichster Ruhe und möglichster Unbefangenheit zu Ihnen reden; denn, meine Herren, ich erblicke keinen Gegensatz zwischen der Vertretung des Reiches und zwischen den verbündeten Regierungen. Besteht dieser Gegensatz, dann müssen die Männer, welche die Regierung führen, weichen, dann müssen andere an ihre Stelle treten, und es muß so die Harmonie herbeigeführt werden.
„Ich werde jetzt auf eine etwas trockene Darlegung eingehen müssen. In dem Deutschen Reiche ist es üblich gewesen, die Intraden aus den Zöllen und Steuern gewissermaßen schablonenhaft zu be⸗ rechnen. Man hat nach den bitteren Erfahrungen, die das Jahr 1868 einer anderen Rechnung gegenüber im Norddeutschen Bun de gebracht hatte, ein für alle Mal daran festgehalten, den Voranschlag für Zölle und Steuern so zu machen, daß man den Durchschnitt der drei letzt verflossenen Jahre zu Grunde legte und das als die wahrscheinliche künftige Einnahme betrachtete und in dem Etat einstellte. Diese Methode, meine Herren, hat zur Folge, daß, wenn günstige Jahre vorangegangen sind, hohe Ansätze gemacht werden; sie hat zur Folge, daß, wenn un⸗ günstige Jahre vorangegangen sind, niedrige Ansätze gemacht werden, und nun in dem einen Falle vielleicht die Gefahr eintritt, daß der Ansatz noch nicht einmal erreicht wird, und in dem anderen Falle das eintritt, daß sich große Ueberschüsse einstellen. Ich erkenne dabei an, daß diese Methode dazu führt, in der Regel etwas hinter der Wirklichkeit zurückzubleiben. Denn, meine Herren, die Bevölke⸗ rung nimmt zu, im Ganzen hat sich das Land in einer fortschrei⸗ tenden Entwicklung befunden und wird sich darin befinden, wie ich in hinzufüͤgen will, und es besteht also in der Regei die
Gahrscheinlichkeit, daß ein so berechneter Etatsansatz hinter den wirk⸗ lichen Einnahmen zurückbleiben wird, daß sich Ueberschusse einstellen möchten. Dieses Verfahren, was wir alljährlich zu Grunde gelegt haben, ist für den Etat des Jahres 1876 ebenfalls unverändert befolgt worden. Es ist nicht richtig, wenn angenommen wird, daß irgendwie das Bestreben vorgewaltet hätte, diesen Etatsansatz so niedrig zu halten, er entspricht vielmehr genau der gewöhnlich befolgten Regel. Um dabei des Gegenstandes zu gedenken, den gestern der Herr Abg. Rickert erwähnte, so liegt es doch wohl auf der Hand, daß, wenn man den Durchschnittssatz der Jahre 1872, 1873 und 1874 nimmt, daraus die Mittelzahl ableitet, daß dann für diejenigen Erträge, die sich nicht einstellen können, wenn man gewisse Steuersätze aufgehoben hat, ein entsprechender Abzug gemacht wird. Ich führe dies nur an, meine Herren, um Ihnen den Nachweis zu führen, daß die Regierung sich nicht habe verleiten lassen, zu irgend einem Zwecke, den man unterstellen will, die Etatsansätze niedriger zu machen, als wie es nach der bisher befolgten Regel geboten war. Nun, meine Herren, hat gestern mein Nachbar Ihnen neben der Aufstellung des Etats eine Rechnung vorgelegt, wie sich muthmaßlich die wirklichen Einnahmen und die wirklichen Ausgaben des laufenden Jahres 1875 gestalten werden, und es ist bei dieser Rechnung, — die ich im Einzelnen nicht verifiziren kann, — wenigstens nicht in allen Punk⸗ ten, zu dem Resultat gekommen, daß das Jahr 1875 wahrscheinlich mit einem Ueberschusse von nahezu 14 Millionen Mark abschließen werde. Die Darlegung nehme ich als vollständig richtig an. Gestatten Sie mir aber, wenn wir nun die realen Verhältnisse in das Auge fassen wollen, das, was m dieser Darstellung liegt, Ihnen mit einem anderen Ausdrucke veorzuführen und vielleicht mit einem Ausdrucke, der nicht für Sie, die Sie ja Alle den Etat ganz genau kennen, wohl aber für weitere Kreise vielleicht verständlicher und eindringlicher die wirkliche Situation darlegen wird.
Inndem der Herr Präsident des Reichskanzler⸗Amts auf die wirk⸗ lichen Einnahmen zurückging, hat er zu diesen wirklichen Einnahmen des Jahres 1875 zu rechnen 54 Millionen Mark, — ich verschone Sie mit den Tausenden — die eine Einnahme des Jahres 1875 nur deshalb bilden, weil frühere Ersparnisse uns in den Stand setz⸗ ten, dem Etat diese Summe zuzuführen, mit anderen Worten: um Jahre 1875 ist es gelungen, die Ausgaben zu bestreiten, indem man von dem Zuschusse aus früheren Jahren im Betrage von 54 Millio⸗ nen Mark nicht die ganze Summe verbraucht hat, sondern nur 40 Millionen.
Wir können also, und wir würden das thun müssen, wenn wir nicht im Besitze solcher Ersparnisse gewesen wären, die Finanzgebah⸗ rung des Jahres 1875 auch so ausdrücken, daß sie uns ein Defizit von 40 Millionen Mark gebracht hat. Nun, meine Herren, nach dem Verfahren, was wir bisher beobachtet haben, wird nun auch ein Theilbetrag des Ueberschusses pro 1874 zur Verfügung stehen für den Etat des Jahres 1876. Wenn ich das in Dereahe einschalten darf, das Jahr 1874 hat mit einem wirklichen Ueberschusse hantirt; denn während es größtentheils auch die Ersparnisse der Vorzeit aufgebraucht hat, so hat es selbst solche Einaahmeüberschüsse geschaffen, daß die Finanzlage des Reiches da⸗ durch um etwa 3 ½ Millionen Thaler oder in runder Summe um 10 Millionen Mark verbessert worden ist. Wir sind durch das Resultat des Jahres 1874 und der Vorjahre in den Stand gesetzt, dem Etatvoranschlage für das Jahr 1876 abermals einen Zu⸗ schuß von 32,368,000 ℳ aus der Vorzeit zuzuführen.
Nun, meine Herren, kann man ja so operiren, und ich werfe keinen Stein auf die, die so operiren wollen, — kann man 5 sagen: ei, wir haben ja noch aus dem Jahre 1874 einen
eberschuß zu erwarten, schlagen wir den zu dem Ueber⸗ schusse, der uns hier noch zur Verfügung steht, dann ist es mit der Nothwendigkeit, neue Geldmittel zu beschaffen, zu Ende. Ja wohl, meine Herren, das wäre für das Jahr 1876 richtig, und wenn alle
nanzkunst darin besteht, nur unmittelbar für das nächst vorliegende
Lahr die Geldmittel zu beschaffen und sich um die weitere Zukunft nicht zu bekümmern, dann ist gar nichts einfacher, als zu erklären, wir können fertig werden ohne neue Steuern, die weisen wir a limine zurüc, und die Sache ist abgemacht. Aber, meine Herren, ich gebe auch zu bedenken, wenn wir die 14 Millionen Mark in diesem Jahre, d. h. pro 1876, aufbrauchen, dann führen wir aller⸗ dings dem Jahre 1876 einen Zuschuß aus der Vergangenheit
Berlin, Montag, den 22. November
hinzu von 46 Millionen Mark, und wir werden mit den übrigen Einnahmequellen, die uns zur Verfügung stehen, die sämmtlichen Ausgaben, die vorgesehen sind, decken können. Aber, meine Herren, wenn Sie nun an das Jahr 1877 denken, dann ist es
mit dem Zuschuß der 46 Millionen Mark vorüber, dann ist Alles
vorav ausgebraucht, und dann haben Sie im Jahre 1877 für die Deckung dieses vollen Defizits zu sorgen. Wenn Sie heute die Ver⸗ pflichtung übernehmen wollten, für dieses Defizit aus den eigenen Einnahmen des Reichs Sorge tragen zu wollen, dann, meine Herren, würde Ihre Differenz mit den Regierungen sehr bald ver⸗ schwinden können. Zu verkennen ist nicht, daß es, wie es für die Vertretung des Reichs eine sehr schwierige und unangenehme Aufgabe ist, in neue Steuern zu willigen, es für die ver⸗ bündeten Regierungen auch keine angenehme Aufgabe ist, neue Steuern zu fordern, und daß es für die Regierungen ja willkomme⸗
ner sein könnte, wenn sich noch auf längere Zeit hindurch andere
Auswege darböten. Wenn die Regierungen dessen ungeachtet diesen Weg nicht eingeschlagen haben, so glauben sie damit den Beweis ge⸗ liefert zu haben, wie sie nicht sorglos in die Zukunft hineinsteigen wollen, sondern, wie sie rechtzeitig und mit Vorbedacht dafür sorgen wollen, daß ein so großes Mißverhältniß nicht eintritt. Käme es dabei blos auf Palliative für ein einzelnes Jahr an, aber verständige Palliative, daan erkenne ich sofort an, daß sie sich treffen ließen, und wenn heute, wie ich nach der Rede des geehrten Herrn Vorredners fast erwarten muß, angenommen worden ist, man würde hier den Finanz⸗Minister des preußischen Staates mit beweglicher Stimme um Ihre Hülfe flehen sehen, nun, meine Herren, dann hat man sich gründlich getäuscht. Ich weiß mit den Finanzverhältnissen in Preußen, wenn man meinen Rath befolgen will, für das nächste Jahr zurecht zu kommen, Sie mögen beschließen, was Sie wollen. Das Wörtlein „unmöglich“ ist in meinem Wörterbuch sehr klein gedruckt, und ich müßte eine sehr viel schärfere Brille aufsetzen, als diejenige, die ich gegenwärtig trage, um es erkennen zu können. Aber wenn ich nicht im Interesse Preußens hier um eine momentane Aushülfe bitte, jo bin ich es doch denjenizen Staaten, die den Antrag gestellt haben, die Finanzen des Reiches solider zu gestalten, schuldig, ihrer Sache mich anzunehmen, und, meine Herren, ich füge hinzu, wenn ich die Unmöglichkeit für Preußen, zu einer finanziellen Gestaltung zu gelangen, die befriedigen kann, wenn ich die nicht so leicht zu⸗ gebe, so bin ich doch allerdings der Ansicht, daß es auch für die preußischen Finanzverhältnisse im hohen Grade unerwünscht wäre, wenn Sie nach den Erwartungen, die im vorigen Jahre erregt worden sind, nunmehr heute eine ganz andere Politik befolgen wollten. Es haben ja heute wiederum mehrere Redner bestritten die Auffassung, die im vorigen Jahre von diesem Tische aus dem damaligen Vorgehen des Hohen Reichstags beigelegt wurde. Ich habe mich im vorigen Jahre — das will ich Ihnen ganz offen bekennen — geradezu gefreut, daß das schablonenhafte Vorgehen, an das man sich im Reichstag in Bezug auf die Evaluirung der Einnahmen gewöhnt hatte, durchbrochen wurde, und daß man sich damals dafür entschied, aus den vorhandenen Ersparnissen auch einen Theil der Bedürfnisse des Jahres 1875 zu decken. Ich habe mit diesem Vorgehen die Erwartung verbunden, daß die da⸗ maligen Matrikularbeiträge nicht als eine konstante Summe, sondern als eine Maximalsumme betrachtet werden sollten, und ich glaube auch, daß mein verehrter Freund mehr nur hat die Gleich⸗ mäßigkeit betonen, als wie irgend aussprechen wollen, daß etwa das Reich eine und dieselbe Summe Jahr wie Jahr an Matrikularbei⸗ trägen einstellen soll. Die Besorgniß, die geäußert wurde, daß durch den nunmehr von den Regierungen vorgeschlagenen Weg das ver⸗ fassungmäßige Recht des Reichstags in Bezug auf die Matrikular⸗ beiträge beeinträchtigt werden möchte, — nun, meine HPerren, an diese Besorgniß hat von uns Niemand gedacht, Niemand hat auch nur einen Augenblick lang darauf hinwirken wollen, das verfassungsmäßige Recht des Reichstags einzuengen, und, wenn ich hier am Minister⸗ tische eine derartige Besorgniß gehegt hätte, so würde ich niemals zu einem solchen Vorschlag meine Zustimmung gegeben haben. Ich würde nicht allein, wenn ich in Ihrer Mitte säße, dafür sergen, daß die verfassungsmäßigen Rechte des Reichstages nicht verkürzt werden, ich sehe auch hier an dieser Stelle es als meine Pflicht an, dafür zu sorgen, daß ein solches Verhältniß nicht eintrete.
Aber, meine Herren, wenn Sie die Bewilligung der Matrikular⸗ beiträge als ein solches verfassungsmäßiges Recht betrachten, als eine Waffe, die im Nothfall gebraucht werden kann, — glauben Sie denn, daß diese Waffe schärfer sein würde, wenn man statt 70,000,000 ℳ nur 50,000,000 ℳ zu bewilligen hätte? Die Waffe bleibt völlig die gleiche, und das Recht, weniger an Matrikularbeiträgen zu bewilligen, als wie die Regierungen nöthiz hätten, dies Recht hätten Sie nach, wie vor. Von einer Beeintrachtigung des verfassungsmäßigen Rechtes des Reichstages kann also bei den Vorschlägen gar keine Rede sein. Ich habe — ich wiederhole es — im vorigen v mich gefreut, daß ein anderer Weg eingeschlagen wurde, ich habe mich schon deshalb darüber ge⸗ freut, weil es, wie mir scheint, die höchste Zeit ist, daß der Reichstag, indem er Ausgaben hewilligt, sich auch an der Sorge betheiligt, für die Deckung der Ausgaben zu sorgen. Wenn Sie den Vorlagen der Regierung gegenüber, z. B. in dem Friedensleistungsgesetz, höhere Entschädigungen dekretiren, was ich nicht tadeln will, — aber, meine Herren, dann sage ich: sorgen Sie auch für die Gelder, womit das gemacht wird, — verlassen Sie den Standpunkt, als wenn hier blos eine wohlthatspendende Versamm⸗ lung sei, und nun im Partikularstaate man nachher die Lasten ein⸗ seitig zu tragen hat. Wenn die Voriage unserer Steuergesetze auch nur den Erfols hätte, daß Sie mit vergrößerter Anstrengung nach den Punkten suchen, wo ohne Schädigung des Reichs Ersparnisse ge⸗ macht werden können, dann, glaube ich, haben wir uns schon dadurch ein Verdienst erworben. Je schärfer Sie die Ausgaben revidiren, desto willkommner werden Sie im Sinne des Finanz⸗Ministers handeln. — meine Herren, mit einem Vorbehalte: ohne Schädigung der
nteressen des Reichs; und eine solche Schädigung würde ich sofor erkennen, wenn irgendwie Beschlüsse gefaßt würden, um die militä⸗ rische Stärke unserer Nation schwächen zu wollen. Wenn darauf hin⸗ gewiesen worden ist, daß die Zusicherung vom Throne herab, der Friede sei gesichert, gleichsam im Widerspruch stände mit den Anfor⸗ derungen der Militärverwaltung, dann sage ich: kann das denn jetzt noch Jemand verborgen bleiben, daß die Macht des in der Mitte von Europa gelegenen, großen, mächtigen Reiches die Friedensbürgschaft ist? daß diese Friedensbürgschaft aufs Wesentlichste erschüttert wer⸗ den würde, wenn wir versäumen sollten, unsere militärischen Einrich⸗ tungen in der Weise zu erhalten, daß wir den etwaigen Gefahren ge⸗ wachsen sind?
Damit spreche ich nicht aus, daß nun jede einzelne Position dieses Militär Etats unanfechtbar sein sollte. Sehen Sie zu, ob Sie etwas herausfinden, was mit Recht bemängelt werden kann — ich kann Sie versichern, r. die Regierungen mit Rothstift und Blau⸗ stift hinterher gewesen sind, um dasjenige, was allenfalls erspart wer⸗ den könnte, zur Ersparung zu bringen.
Nun, meine Herren, möchte denn doch die Vorlage, zu der sich die verbündeten Regierungen entschlossen haben, in einem etwas anderen Lichte erscheinen, als sie bisher dargestellt worden ist. Durch die Steuern, die Ihnen vorgeschlagen werden, würde immerhin nur eine Abschlagszahlung zur Deckung des zu erwartenden Defizits erfolgen. Ob diese ausreichen wird, das steht dahin; ich hoffe es. Meine Herren, ich gehöre nämlich auch zu denjenigen, die sich mit
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dem Gedanken nicht befreunden, als wenn nun jetzt in unserem lieben Vaterlande die fürchterlichsten Zustände angebrochen wären, als wenn wir auf lange Zeit hinaus noch an den Folgen des auf Handel und Industrie lastenden Druckes leiden würden. Es ist dem Sterblichen nicht vergöant, meine Herren, während jetzt in der Welt so viele Krafte zusammen und gegen einander wirken; wo wir heute erfahren müssen, wie in der Türkei nicht mehr vollständig die Zinsen der Schulden gezahlt werden; wo wir erfahren müssen, wie in diesem, in jenem Staate Verhältnisse, an deren Fortdauer man glaubte, zu⸗ lammenbrechen, — im Voraus zu erkennen, wie lange das auf schwache Gemüther einen übertriebenen Einfluß äußern könnte.
Meiner Auffassung nach, meine Herren, hat das Publikum in Deutschland, verleitet durch die Gewinnsucht, durch die asri sacha fames, eine lange Zeit hindurch schwindelhaften Unternehmungen Vorschub geleistet, in der Hoffnung, große Erträge davon zu beziehen. So wie damals — ich mache nicht Einzelne verantwortlich, nein, meine Herren, die ganze Nation war von einem gewissen Schwindel mehr oder weniger erfaßt. (O, nein! im Centrum.) Die ganze Nation war von einem gewissen Schwindel erfaßt. Ich spreche das aus, denn ich meine, ich könnte noch aus der heutigen Verhandlung gleich für mich ein Zeugniß anrufen, daß ich zu denjenigen gehört hätte, die sich am wenigsten von diesem Schwindel haben erfassen lassen; denn der Herr Abg. Richter hat Ihnen vorgeführt, wie das Abgeordnetenhaus mir gegenüber die Rolle gespielt habe, mich zu größeren Ausgaben zu drängen, ich also die Rolle übernahm, nur in die geringeren Ausgaben willigen zu wollen. . Diese Parenthese erledigt, so füge ich hinzu: meiner Ansicht nach üherläßt sich heute das Publikum eben so wiederum einer verkehrten Richtung, wie damals. Heute überläßt sich das Publikum einem viel zu weit getriebenen Mißtrauen. Heute werden die Kapitalien zurück⸗ gehalten, während sich in einer Menge der solidestea Papiere die loh⸗ nendste Anlage dafür bietet. Wie lange dieser Zustand dauern wird, meine das weiß ich, und daß er ein baldiges Ende nehmen wird, das glaube ich; denn, meine Herren, in diesem Augenblicke bereitet sich in Europa und zwar in demjenigen Lande, in welchem der Kapitalreichthum am meisten vertreten ist, gar schon eine Periode des Ueberflusses an flüssigen Kapitalien vor. Die Bank von England hat es nicht fertig gebracht, obschon ihr unausgesetzt Gold abgezogen wurde, den Diskontosatz auf 4 Prozent zu halten; sie hat heruntergehen müssen auf 3 ¼. Und wie lange unsere Preußische Bank den Diskontosatz von 6 % noch beibehalten wird, ich weit es nicht; wenn ich es zu thun hätte, würde er heruntergesetzt. Wenn Sie fragen, wie sich die Entwickelung in Deutschland gestalten wird, dann haben Sie sich einfach zu vergegenwärtigen, daß wir seither den Ernüchterungsprozeß durchgemacht haben, daß wir mit etwas lang⸗ samen Schritten — ich hätte im Frühjahre dieses Jahres gewünscht, daß die Schritte rascher gethan würden — daß wir mit etwas lang⸗ samen Schritten zu dem normalen Zustande zurückkehren, daß sich dann die Nation wiederfinden wird als eine, die in völliger Gesundheit mit der Höhe der Intelligenz ihre Aufgabe fortführt, und daß die wirthschaft⸗ liche Entwickelung in naher Zukunft eine günstigere Wendung nehmen wird. Meine Herren, es ist das meine individuelle Auffassung, ich setze mich allerdings aus, als ein falscher Prophet zu erscheinen, das hält mich aber nicht ab, vor Ihnen diese Ansicht darzulegen. Von dieser Ansicht geleitet, erwarte ich auch meinerseits, daß in Zukunft die veranschlagten Erträge anz Zöllen und Steuern sich wie⸗ der höger gestalten werden, als wie einstweilen als wahr⸗ scheinlich betrachtet werden kann. Aber, meine erren, als wahrscheinlich zu betrachten, daß dieses Vacuum von 46 Millio⸗ nen Mark durch die höheren Erträge an Zöllen und Steuern in Zu⸗ kunft gedeckt werden sollte, dazu kann ich mich nicht emporschwingen, und am allerwenigsten, wenn wir im Voraus wissen, wie ja außer⸗ dem Einnahmequellen des Reichs, bestehend aus den Zinsen von be⸗ legten Reichsgeldern, jedenfalls mehr zusammenschrumpfen werden. Ich kann also auch bei dieser optimistischen Auffassung, die vielleicht viele von Ihnen zu optimistisch finden werden, es doch nur als einen Akt der Vorsicht betrachten, die einzelnen Einnahmen des Reiches um einen mäßigen Betrag zu erhöhen. 1
Nun, meine Herren, lassen Sie mich noch einen Streifschuß auf die Steuerprojekte werfen, die wir Ihnen vorgelegt haben. Es sind zwei. kann ihn also kaum ein Steuerprojekt nennen, er begehrt nur, daß der Steuerbetrag wesentlich erhöht werden soll. Nan, meine Herren, man hat den Vorschlag auffallend gefunden. Das können eigentlich nicht Solche sagen, die die Reichsverfassung gründlich kennen; denn in S. Frgabags haben wir im §. 13 zu Art. 35 Folgendes paktirt:
In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Bundesstaaten werden jedoch ihr Bestreben dar⸗ auf richten, eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung über die Be⸗ steuerung auch dieser Gegenstände herbeizuführen. 1
Im ersten Falle, wo wir in der Lage sind, eine Steuererhöhung vor Ihnen zu beantragen, beeilen wir uns, nach dieser Richtung hin einen Schritt entgegen zu thun; und den Erklärungen gegenüber, die eine solche Steuer sogar unmoralisch finden wollten, begnüge ich mich, darauf hinzuweisen, daß — wie dies ja in den Motiven zu dem Gesetzentwurfe näher dargelegt ist — in vielen Theilen Deutschlands eine höhere Steuer besteht, und daß ein rationelles System indirekter Besteuerung wohl jedenfalls dazu führen wird, nicht allein den Tabak, womit ich vollständig einverstanden bin, sondern auch die Getränke höher zu besteuern.
Wenn Sie für diese Frage nur vergleichen wollen, wie die Er⸗ träge für England sich gestalten, dann mögen Sie sich daran erinnern lassen, daß im Jahre 1873 — die Intrade von 1874 ist mir noch nicht bekannt — die Biersteuer der englischen Regierung eine Revenüe von 155 Millionen Mark gebracht hat. Dem gegenüber legen wir Ihnen noch einen sehr bescheidenen Antrag vor. Nun, meine Herren, wenn Ihnen die Biersteuer nicht gefallen sollte, dann würde ich meinerseits auch primo loco Ihnen die sogenannte Börsensteuer empfehlen, und in Bezug auf diese soge⸗ nannte Börsensteuer lassen Sie mich aussprechen, daß, wenn es möglech gewesen wäre, eine solche Steuer in einem Partikular⸗ staare einzuführen, wenn man nicht vom deutschen Stardpunkte aus in einer solchen partikularen Besteuerung einem Rüchschritt zu er⸗ blicken gehabt hätte, dann würde ich längst meinen Entschluß darauf verwendet haben, eine solche Steuer für den preußischen Staat vor⸗ zuschlagen. Ich würde dann auch die Gelegenheit wahrgenommen haben, sie mit Steuererlassen in Verbindung zu bringen, die für den preußischen Staat in sehr ausgedehntem Maße während der Dauer meiner Amtsverwaltung stattgefunden haben. Aber, meine Herren, das geht nicht an; wir können nicht die Börsen von Berlin und von Frarkfurt a. M. besteuern, und die Börsen in Hamburg und Bremen und Dresden und tutti quanti davon unberührt jassen.
Es handelt sich also um eine Steuerreform, die nur Seitens des Deutschen Reichs durchgeführt werden könnte. Nun, meine Herren, diese Steuerreform kann meines Erachtens nicht frühzeitig genug vor⸗ genommen werden. Unsere Stempelgesetzgebung leidet zur einem großen Mangel; sie ist den Aenderungen des beweglichen Ver⸗ kehrs, wenn ich mich so ausdrücken darf, nicht gefolgt, und während wir von der Schuldverschreibung des kleinen Mannes über einen mäßigen Betrag dem 8. einen Tribut zollen lassen, können gegenwärtig an der Bör
Herren, ich weiß es nicht, daß er aber ein Ende nehmen muß,
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Der eine Vorschlag hält sich an eine bestehende Steuer. Man
Zeit an
e Hunderttausende umgesetzt werden, ohne 8