1876 / 112 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 May 1876 18:00:01 GMT) scan diff

8 So wie man hier glauben machen möchte, verhält sich die Sache indessen nicht. Herr Tripotti besitzt große Ländereien bei Paranagus, nahe afenstadt, nahe an einer Eisenbahn, an einem schiffbaren Flusse gelegen. Auf sein dringendes Ansuchen hat ihm, wie von unterrichteter Seite verlautet, die italienische Regierung gestattet, nach und nach, innerhalb einiger Jahre, 2000 italienische Ar⸗ beiter anzuwerben unter der Verpflichtung: ihnen sofort Arbeit zu geben, sie aber auf seine des Tripotti Kosten heimzu⸗ schaffen, sobald die Arbeit aufhöre, oder falls die Angewor⸗ benen in Folge der klimatischen Verhältnisse erkrankten. Tripotti hat hierfür und speziell für Rückpassage der Ange⸗ worbenen der italienischen Regierung Kaution geleistet. 8 Auf eine Wandelung in den Auffassungen der italienischen Regierung kann also aus Obigem nicht geschlossen werden; denn es werden sich diese Italiener in einem ganz anderen Verhält⸗ nisse befinden, als die mit Subvention der brasilianischen Re⸗ gierung durch Agenten wie Lobedanz und Co. in Antwerpen Angeworbenen, welche durch ihre Unterschrift auf jeden Entschä⸗ digungsanspruch an die Regierung im Voraus verzichten müssen. Ein starker Zuzug von Italienern hat in neuerer Zeit auch in ber früher namentlich mit Deutschen besetzten Kolonie Blumenau stattgefunden. Die Nachrichten von dorther lauten keineswegs vertrauensvoll. Noch unlängst traf ein rückwandernder deutscher Kolonist von Blumenau in Rio de Janeiro ein. Gänzliche Nahrungslosigkeit hatte den Mann genöthigt, die Kolonie zu erlassen. Mit Frau und 5 Kindern war er zu Fuß nach Rio gereist, wozu er 8 Monate gebraucht hat. Nur äußerstes Elend hat ihn zu solchem Unternehmen bestimmen können, dessen Gelingen als ein Wunder bezeichnet werden muß. In Rio angelangt, wurde er vom gelben Fieber befallen, jedoch wieder hergestellt. Eine veranstaltete Sammlung hat den nöthigen Ertrag ergeben, um die Familie nach Hamburg zu befördern.

Angesichts solcher keineswegs vereinzelter Vorgänge ist es zu verwundern, in dem Jahresbericht der Kolonie Blu⸗ menau für 1875 eine Klage darüber zu lesen, daß der dortige Zuzug deutscher Einwanderer in stetem Abnehmen begriffen sei.

Derselbe Jahresbericht muß freilich bekennen, daß Straßen, auf deren Herstellung die Möglichkeit des Absatzes der gewonnenen Produkte beruht nur „in so weit als fertig zu betrachten sind um einzelnen Reisenden zu Fuß oder zu Pferde die Reise zur Noth zu ermöglichen“, und daß die An⸗ stellung eines Geistlichen, sowie die Vollendung gottesdienstlicher

Gebäude noch immer auf sich warten lassen.

8 Daß die Kolonie nicht selten von Indianer⸗Ueberfällen zu leiden gehabt hat, ist wiederholt hervorgehoben worden.

8 In dem in der gestrigen 1. Beilage mitgetheilten ersten

Dekret des Khedive ist in der 1. Spalte, Zeile 32 von unten 0 % statt 70 % und ebendaselbst Zeile 29 von oben 15. Juli statt .Juli zu lesen.

Monatsübersicht für april.

Frrankreich. Das amtliche Blatt vom 5. machte die Auf⸗ ebung des Belagerungszustandes, gemäß dem Beschlusse der beiden Kammern, bekannt und publizirte zu gleicher Zeit ein Dekret, welches als Termin für die internationale Aus⸗ stellung in Paris den 1. Mai 1878 festsetzt. Im Anschluß die erstere Bestimmung erließ der Minister des Innern ein Rundschreiben an die Präfekten, welches dieselben anweist, den Straßenverkauf der Journale zu gestatten.

8 Die am 14. April veröffentlichte Personalveränderung in

der inneren Verwaltung umfaßte 45 Präfekturen, meisten⸗ theils nur Versetzungen, durch welche sich die republikanische

Partei keineswegs befriedigt erklärte. Der von dem Minister des

unern nach den Hoch⸗Pyrenäen versetzte Präfekt de Chazelles cheute sich sogar nicht, in einem offenen Briefe an Hrn. Ricard starken Ausdrücken diese Maßregel zu kritisiren und zu erklä⸗ en, daß er nach Tarbes keine andere Ueberzeugung mitbringe, ls er in Aurillac, seinem früheren Wirkungskreise, gehabt habe.

8 Die Deputirtenkammer fuhr in den Wahlprüfungen fort und kassirte mehrere Wahlen von Ultramontanen und Bonapartisten. Der Minister des Innern versprach die Vorlage eines vollständigen Gesetzentwurfs über die Munizipalitätsorga⸗ nisation. Von der Linken wurde ein Antrag auf Aufhebung der französischen Botschaft beim päpstlichen Stuhle eingebracht. Lacretelle beantragte, daß der Elementarunterricht in Frankreich unentgeltlich ertheilt, aber zugleich Schulzwang eingeführt wer⸗ den möge. Die Berathung der Amnestievorlage wurde bis nach

den Osterferien verschoben, welche die Kammer am 11. April angetreten hat und die am 10. Mai zu Ende gehen.

Der Budget⸗Ausschuß, der unter Gambetta's Vorsitz auch während der Ferien Sitzungen hält, hat Geheimhaltung seiner Berathungen beschlossen.

1 Die engeren Wahlen zeigten, daß die Republikaner mehr und mehr Anhänger gewinnen.

Am 24. eröffneten 60 General⸗Räthe ihre Sitzungen.

Die Reden der Vorsitzenden boten, im Gegensatz zu früher, nichts Bemerkenswerthes. Die Präfekten waren zurückhaltend

oder versprachen eine verfassungsgemäße Amtsführung.

8 Der Kriegs⸗Minister de Cissey war für die Wehrhaftigkeit des Landes unausgesetzt thätig. Die Ausbildung der Territo⸗ rial⸗Armee, welche man möglichst populär zu machen sucht, der Ausbau der festen Plätze wurde angelegentlich ge⸗

fördert.

Eine Rede über die von ihm beabsichtigten Unterrichts⸗

reformen, welche der Minister Waddington in dem Kongreß

der Gelehrtenvereine der Departements gehalten, fand Seitens der liberalen Blätter ebenso große Anerkennung, wie dieselbe von den klerikalen Organen verurtheilt und als eine Herausforderung gegen die Kirche bezeichnet wurde. Nachdem der Minister die wissenschaftlichen Arbeiten des vorigen Jahres in großen Um⸗ rissen vorgeführt, sprach er sich über Pläne des Kabinets in Bezug auf die Reform der Elementar⸗, Mittel⸗ und Hochschulen aus. Zunächst gelte es, überall Volksschulen zu gründen und dann den Schulzwang einzuführen; zugleich wurden die nöthigen

Kredite für Hebung der höberen Anßalten und besonders für

Verschmelzung der Fakultäten in wohl organifirte Universitäten nach den Anforderungen der Neuzeit verlangt.

Die Versammlung der Ausschüsse der katholischen

Vereine, welche um dieselbe Zeit vom 18. bis 22. in Paris tagte, bewies auf das Deutlichste die Absicht der Klerikalen, Frankreich dem Syllabus zu unterwerfen. Die Erregung über die Uebergriffe des Episkopats in das Gebiet des Staats war im stetigen Zunehmen. Der von der Deputirtenkammer einge⸗

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setzte Untersuchungsausschuß in [Sachen der Wahl des Grafen de Mun ging mit Bestimmtheit vor und forderte den Bischof von Vannes sowie den Kardinal Erzbischof von Paris zur Verantwortung. Auch über die geheime Gesellschaft Jésus Roi ist Seitens des Justiz⸗Ministers eine gerichtliche Unter⸗ suchung angeordnet worden. Die Agitationen der Kleri⸗ kalen in den Arbeiterkreisen nahmen ihren Fortgang. Die Zeichnungen für die katholischen Universitäten wurden mit größerem Eifer als je fortgesetzt. Der Bischof von Angers, Msgr. Freppel, hatte den Grafen Falloux und Genossen wegen eines Streites um Ankauf von Kirchengut zum Besten des Hospitals von Segré exkommunizirt. Auf eine Weisung des Vatikans erfolgte jedoch die Zurücknahme der Maßregel, und die Klerikalen bemühten sich in Folge dessen die Sache, die vieles Aufsehen machte, zu vertuschen. Die Wallfahrten nach Lourdes haben im April wieder begonnen; am 19. trafen 11,000 Pilger aus der Diözese Toulouse in dem Wallfahrts⸗ orte ein.

Gegen die Propaganda der Radikalen für die Amnestie der Communards sah sich die Regierung genöthigt, Maßregeln zu ergreifen, indem sie die Präfekten anwies, alle etwaigen Wünsche der Generalräthe zu Gunsten der Petitionen in dieser Angelegenheit oder der Amnestie selbst zurückzuweisen, weil die⸗ sen eine Diskussion politischer Fragen nicht zustehe. 1

Die in Aussicht genommene internationale Aus⸗ stellung, an die sich auch eine allgemeine Kunstausstellung schließen soll, gab den republikanischen Blättern mehrfach Ver⸗ anlassung, die friedlichen Absichten Frankreichs zu betonen, während die klerikalen Organe als Gegner des Projekts auf⸗ traten. Zum Platz für die Ausstellung hat der eingesetzte Ausschuß das Marsfeld und den Trocadero ausersehen.

Ein Aufstand der Bou⸗Azid in Algerien wurde vom General Carteret niedergeschlagen; der Marabut Ahmed⸗ben⸗Aisch und die Scheiks der vier Sippen des Stammes von Bou⸗Azid stellten sich in Folge der Kapitulation als Gefangene.

Der österreichische Botschafter Graf Apponyi überreichte 88 Präsidenten der Republik am 29. April sein Abberufungs⸗

reiben.

Die Wahlen und die Parteien. 128

In Nr. 17 der „Bes. Beil.“ haben wir in dem Artikel „Die volkswirthschaftliche Literatur des Jahres 1875“ eine Uebersicht über die sozialdemokratische Presse mitgetheilt. Hieran schlossen sich in Nr. 20 der „Bes. Beil.“ in dem Aufsatz „Zur sozialen Frage“ Aus⸗ züge aus verschiedenen Broschüren, welche den Bestrebungen der So⸗ zialdemokratie vom christlichen, philosophischen und wirthschaftlichen Standpunkt aus entgegentreten. Anknüpfung hieran weist der nachfolgende Artikel auf die Mittel hin, deren sich die sozialdemo⸗ kratische Partei für ihre Agitation bedient.

Die noch in diesem Jahre bevorstehenden Neuwahlen zum Reichs⸗ tag, wie zum preußischen Landtag, haben das Parteileben in erneuten Fluß gebracht. Vor Allem ist es die sozialdemokratische Arbeiterpartei, welche sich zu den Wahlen rüstet. Sie beabsichtigt nicht nur in denjenigen Wahlkreisen Kandidaten aufzustellen, welche zu diesem Zweck schon früher organisirt waren, sonderu versucht auf sedem ihr geeignet scheinenden Boden sich auszubreiten. In Preußen ist es neuerdings namentlich Schleswig⸗Holstein, das von Hamburg aus, dem langjährigen Hauptsitz der Sozialdemokratie, bearbeitet wird. Sämmtliche Hamburger Blätter, sowie die „Kieler Zeitung“ enthalten fast täglich Mittheilungen und Berichte über das durch lokale Ver⸗ hältnisse begünstigte Umsichgreifen der Sozialdemokratie. Nicht minder werden die industriellen Kreise der Rheinprovinz, Weßfalens, Schlesiens ꝛc. bearbeitet und außerdem versucht die zahlreiche Arbeiter⸗ bevölkerung der Provinzial⸗Hauptstädte, wie Breslau, Köaigsberg, Stettin zu gewinnen. Auch in Berlin wird agitirt werden, vor Allem aber in seiner nächsten Umgebung, namentlich im Kreise Nieder⸗ Barnim. In Baäyern ist es besonders die Rheinpfalz, in der die Partei Eingang sucht und gewinnt. Wie die „W. C.“ berichtet, werden daselbst in 3 Wahlkreisen 6 sind deren überhaupt vorhanden Sozialdemokraten als Kandidaten zum Reichstag aufgestellt werden. In dem gewerbreichen Sachsen, in dessen Wahlkreisen, die bisher das bedeutendste Kontingent der Sozialdemokraten sandten, werden fast ohne Ausnahme Kandidaten dieser Partei auftreten. In Hessen wird besenders Oberhessen ins Auge genommen. Aus Mecklenburg wird von andauernden Versuchen, Eingang zu gewinnen, berichtet, in⸗ deß, wie es scheint, ohne sonderlichen Erfolg. Wenigstens wird dem „Hamburger Correspondent“ geschrieben, daß die sozialdemokratischen Reiseapostel trotz ihres Eifers in Mecklenburg wenig Eindruck machen, da ihre Ausführunzen „eine krasse Unwissenheit betreffs der lokalen Arbeiterverhältnisse kundgeben“. Auch in den übrigen deutschen Staaten ist die Sozialdemokratie thätig. Die neuesten Num⸗ mern ihrer Hauptblätter, des „Neuen Sozialdemokraten“, des „Velksstaat“, der „Berliner Freien Presse“ veröffentlichen Berichte über Wähler⸗, Volks⸗ und Arbeiter⸗Versammlungen, aus Berlin, Stettin, Cassel, Liegnitz, Hanau, Cottbus, Celle, August⸗ fehn, Münchenbernsdorf, Pforzheim, Lambrecht, Leipzig, Krimmit⸗ schau, Oschatz, Schneeberg, Lichtenstein, Callnberg, Darmstadt, Groß⸗ Steinheim, Schwerin, Dessau, Bernburg, Gera, Bremen. Namentlich hat in letzter Zeit der Geburtstag Lassalle’s (14/4) vielfach Gelegen⸗ heit zu derartigen Versammlungen gegeben; ebenso das Osterfest, ob⸗ wohl es im „Neuen Sozialdemokrat“ vielfach nur als das „sogenannte“ Osterfest bezeichnet wird. Damit in Uebereinstimmung hat die Hasselmannsche „Berliner Freie Presse“ in einer ihrer letzten Nummern hervorgehoben, „daß der Sozialismus einen durchaus antireligiösen Charakter hat.“ Daneben tagen zahlreiche Versammlungen von Gewerksgenossen; so kündet z. B. der Hamburger Bevollmächtigte des Allgemeinen deutschen Schneidervereins in einer der neuesten Num⸗ mern des „Neuen Sozialdemokrat“ an, daß er demnächst in folgenden Städten in Versammlungen seiner ewerksgenossen erscheinen und sprechen werde: Eilenburg, Wurzen, Riesa, Großenhain, Meißen, Dresden, Bischofswerda, Bautzen, Löbau, Zittau, Görlitz, Sorau, Guben, Cottbus. Nicht minder wird durch die trotz der ungünstigen Zeiten ermöglichten Strikes agitirt. Es feiern gegenwärtig, um nur einige anzuführen, die Zimmerer in Fleunsburg, Lübeck und Rostock, die Maurer in Lüneburg, die Stell⸗ macher in Hamburg. Daß diese feiernden Arbeiter keineswegs ohne Unterstützung ihrer Parteigenossen bleiben, beweist der Umstand, daß für die Hamburger Stellmacher bis zum 23. April 1643 an Unterstützungen eingegangen waren. Die Listen, welche die oben er⸗ wähnten Blätter über eingegangene Beiträge für Partei⸗ und nament⸗ lich Wahlzwecke veröffentlichen, zeigen die Energie und Opferwillig⸗ keit der Partei.

Von den großen Zeitungen haben bisher namentlich die „Magde⸗ burgische Zeitung“, die „Hamburgischen Nachrichten“, die „Weser⸗ Zeitung“ die sozial⸗demokratischen Irrlehren bekämpft.

Die Taktik der Sozialdemokratie ist gegenwärtig eine dreifache: Sie beutet in erster Linie die gegenwärtige Geschäftslosigkeit aus; die auf diese Weise gewonnenen Anhänger sucht sie, wie auch schon früher, durch die Allgemeinen deutschen Gewerksgenossen⸗Vereine, deren es so viele giebt als Handwerke, mit einander zu rereinigen, aus diesen rekrutirt sich dann endlich die „sozial⸗demokratische Arbeiterpartei Deutschlands“, früher „Allgemeiner deutscher Arbeiterverein;“ genannt. Die kürzlich erfolgte Schließung derselben für Berlin und Preußen bat im „Neuen Sozialdemokraten“ einen Artikel hervorgerufen, der Fingerzeige für die Taktik der Partei giebt. Es heißt dort: das Haupterforderniß für die er⸗

folgreiche Organisation sei das Wirken eines jeden Partei⸗ genossen auf den festen inneren Zusammenhalt der Partei. Die beste Waffe zur Erkämpfung eines solchen Zieles sei die Parteipresse. In dieser bildeten die Centralorgane der Partei die eigentlichsten Brenn⸗ ee der Thätigkeit. So wichtig und wünschenswerth auch unter mständen Lokalblätter erscheinen möchten, so könnten sie doch nicht ein allgemeines Band der Parteigenossen schaffen oder solches aus⸗ reichend ersetzen, sie bewirkten sogar mitunter eine Art Partikularis⸗ mus der Interessen, der zu einer nachtheiligen Decentralisa tion könne. Es sei daher Pflicht der Parteigenossen, auch elbt da, wo die Partei florire, immer das große Ganze im Auge zu behalten und durch ihre Mittel die Ausbreitung des Sozialismus in jenen Gegenden zu unterstützen, wo derselbe bis jetzt noch schwach ist und erst Boden fassen soll, oder wo die Armuth der Bevölkerung große Geldausgaben verhindert. Dafür gebe es kein besseres Mittel, als die Centralorgane. Die großen Städte müßten, trotz der Lokalblätter, die Mehrzahl der Abonnenten schaffen. Bei den Wahlen würde sich dann das Resultat schon zeigen. Man müsse eben hauptsächlich auf eine größere Menge Wahlkreise mit „blutarmem“ Fabrikproletariat und einer „geknechteten“ Landbevöl⸗ kerung rechnen. Für diese bedürfe man nicht nur der Geldmittel für Flugschriften, sondern vorzüglich der Central⸗Parteiorgane. „Es gelte, das Band, welches die Gesammtpartei verknüpft, zu befestigen es gelte, den rheinischen Industriekreisen, den schlesischen, sächsischen und thüringischen Weberdistrikten, dem schleswig⸗holsteinischen, hannover⸗ schen, hessischen und brandenburgischen Landvolke das Parteiorgan groß, billig und ertragsfähig zu erhalten.“ Zu diesem Zweck ist neuerdings neben den vorhandenen 38 Parteiorganen in Deutschland in Hamburg ein neues Blatt, „Der Wähler“, gegründet worden.

Vor Kurzem haben dem gegenüber die „Gegenwart“ in dem in Nr. 21 der Bes. Beil“ erwähnten Aufsatze „die Sozialdemokratie und die deutsche Presse“ auf die geringe Theilnahme hingewiesen, welche die politische Tagespresse den sozialdemokratischen Bestrebungen und Agitationen zu widmen pflegt, und die aus dieser Gleichgül igkeit entspringenden Gefahren. Um weitere Kreise des Bürgerthums über diese Dinge aufzuklären und so der schädlichen Aufhetzung der sozialdemo⸗ kratischen Blätter entgegenzutreten, müßte die Presse weit mehr, als es jetzt geschieht, sich mit der Arbeiterfrage und den volkswirthschaftlichen Be⸗ strebungen überhaupt beschäftigen. Um ihr diese Aufgabe zu erleich⸗ tern, macht der Verfasser den Vorschlag, ein populär volkswirth⸗ schaftliches Centralorgan (Correspondenzblatt) herauszugeben, das den Zweck hat, der Provinzial⸗ und Lokalpresse eindringlich und volks⸗ thümlich geschriebene Artikel mäßigen Umfanges zum unentgeltlichen Abdruck darzubieten.

Die deutsche Presse scheint indessen diesem Rath nicht in ihrer Gesammtheit folgen zu wollen, wenigstens sind von der „Ostsee⸗ Zeitung“ Bedenken erhoben worden.

Auch ein anderes Mittel der Ausbreitung des Sozialismus ist von der Presse bisher nicht genügend beachtet worden, nämlich die zahlreichen sozialistischen Broschüren, welche bei den zahlreichen Versammlungen der Partei ausgeboten worden. In dieser Beziehung bemerkt eine Stimme im Sprechsaal der „Post“: „Aber auch unsere größeren Preßorgane, in wie geringfügigen Spuren bekunden sie eine Wirkung der mahnungsvollen Worte, welche Fürst Bismarck am 9. Februar dem deutschen Volke zugerufen! Man greife mitten hinein in die zahlreichen Schriften Lassalle’s, sie erheben den Anspruch, tendenzfrei, rein theoretisch gehal⸗ ten zu sein; ja, sie pochen fast selbstgefällig auf ihre Parteilosigkeit; seiner Zeit unterschätzt, haben sie auch beute in keinem unserer Blät⸗ ter die verdiente Erörterung erfahren. Und dennoch richten diese oft so dürftig ausgestatteten Broschüren in den unteren Volksschichten gräßliche Verheerungen an: obendrein umgeben sie für den kleinen Mann die sozialistische Lehre mit einem Glorienschein idealer Berechtigung, der ihr wahrhaftig schlecht genug zu Gesichte steht.“

Die russische Provinz Ferghanah. III. (Vergl. Nr. 109 d. Bl.)

Die Bodengestalt Khokands ist die eines Längeneinschnitts, um⸗ geben auf drei Seiten, im Norden, Osten und Süden, von Zweigen der mächtigen Kette des Tian⸗Schan und im Westen durch das Thal des Syr geöffnet, durch welches es mit unseren anderen Befitzungen in Turkestan in Verbindung steht. Gegen die Nordwinde durch hohe Gebirge geschützt, durch die Hauptader des Landes, den Syr⸗Daria, und eine große Zahl kleinerer Wasserströme bewässert, genießt das Ferghanah⸗Thal eines wundervollen Klimas und rechtfertigt voll⸗ kommen den alten Ruf, den es sich unter den Dasen von Central⸗Asien erworben. Die Nanurerzeugnisse sind ebenso reichlich als verschiedenartig; es sind Weizen, Reis, Hirse, Moorhirse (Sorgho) und andere Getreidearten, welche groß⸗ artige Ernten geben. Wein, Pfirsich, Aprikosen, Birnen, Pflaumen, Aepfel, Kirschen, Nüsse, Feigen, Granaten, Melonen und Wasser⸗ melonen, die meisten unserer europäischen Gemüse, Maulbeerbäume, auf denen man die geschätztesten Seidenwürmer des Landes zieht, Baumwolle, Tabak, Krapp u. s. w. Die Gebirge, welche Ferghanah umgeben, sind noch nicht erforscht, aber nach der Auskunft, welche man bis jetzt erhalten hat, müssen sie große mineralische Reichthümer enthalten, namentlich Salz, Steinkohle, Naphta, Blei, Tür⸗ kisen u. s. w.

Gebirgsströme, welche aus dem Tian⸗Schan im Osten des Khanat herabkommen, der Tar, Kurschab, Kara⸗Kouldja und Yassy, bilden den Syr⸗Daria, dessen Lauf heut ganz vom russischen Gebiet um⸗ faßt ist. In seinem oberen Theile führt dieser Fluß, nach seiner Länge der zweite von Central⸗Asien, den Namen Kara⸗Daria; er nimmt den des Syr⸗Daria erst an, nachdem er die Gewässer des Naryn aufgenommen.

Drei große Kanäle zweigen sich von Kara⸗Daria ab; der von Andidjan, von Scharikhan und von Mussulman⸗Kul. Man weiß nicht, wer den ersteren angelegt; was den zweiten betrifft, so ist er gegen das Jahr 1820 unter der Regierung Omar⸗Khans gebaut, und der dritte von Mussulman⸗Kul, dem Vater des Abdarrhaman⸗Avto⸗ batschi, des Hauptes der Empörung vom letzten Jahre.

Die Bevölkerung gruppirt sich hauptsächlich im Süden des Spr⸗ Daria, wo sie seßhaft und wo der Ackerbau sehr entwickelt ist; der Norden des Flusses, wo das Terrain hoch und zum großen Theile sandig, für den Ackerbau weniger geeignet ist, wird hauptsächlich 8 Nomaden bewohnt, welche hier große Prairien für ihre Heerden

nden.

s Die Tadjiks, deren ursprünglicher Typus sich jeden Tag durch die Mischung mit den türkischen Racen verändert und ganz zu ver⸗ schwinden droht, und die Uzbeks bilden die hauptsächlichsten Elemente der sitzenden Bevölkerung, welche ungefähr auf 660,300 Einwohner ge⸗ schätzt werden kann, die nomadische, die man auf 300,000 schätzt, be⸗ steht aus Kirgisen, unter welchen die Kiptschaken, die sich durch einen höheren Grad der Entwickelung als ihre Stammesgenossen auszeichnen und ein halb nomadisirende Lebensweise führen.

Die Gesammtsumme der Einwohner hob sich so auf 960,000; diese Zahl aber ist nur annähernd; was man aber sicher weiß, ist, 8 das Ferghanah⸗Thal eine der bevölkertsten Gegenden Mittel⸗Asiens bildet.

Das Khanat von Khokand war in fünfzehn Bekas oder Distrikte getheilt, deren Namen folgende sind: 1) Khokand mit Umgzebung, 2) Marghelan, 3) Scharikhan, 4) Anditsan, 5) Namangan, 6) Suy, 7) Mathram, 8) Bulak⸗baschi, 9) Araban, 10) 11) Tschaartay, 12) Naukat, 13) Kassan, 14) Tschust und 15) Babadarkhan.

Diese Eintheilung beruhte nicht auf politischen oder administra⸗ tiven Bedürfnissen, sie war rein zufällig und den Familienverhält⸗ nissen des Khan angepaßt, der die Regierung seiner Staaten unter seinen Söhnen und Verwandten theilte.

Die Zahl der Bökas stieg also nach dem Anwachsen der Familie des Souverain. Der Distrikt von Khokand wurde vom Khan selbst verwaltet, der von Marghelan von seinem Bruder Sultan Murad⸗ Bek der von Araban von einem seiner Neffen, der von Andidjan

““

von Nassr⸗Eddin, seinem ältesten Sohne, der von Namangan von seinem zweiten Sohne u. 1. w. Die Chefs der Distrikte führten den Titel „Serkerdé“, soviel, als Militär⸗Kommandant. Mehrere große Dörfer lagen außerhalb der Macht der Serkerdé und wurden durch besondere Beamte Serkeré oder Steuereinnehmer, verwaltet, die zum großen Theil aus den früheren Sklaven des Khan genommen wurden. 1 1 Die Serkerdé besaßen in ihren Distrikten eine fast unbeschränkte Gewalt, nur daß sie nicht das Recht hatten, zum Tode zu verurtheilen; ihre Beziehungen zum Khan waren nur Vasallenschaftsberichte. Die Steuern boten viel Analoges zu denen der anderen Länder Central⸗Asiens; die hauptsächlichsten waren der Héradj, eine Natural⸗ leistung, die von den Feldfrüchten erhoben wurde und in zwei Taxen getheilt wurde: die eine, der Fünfte (buschri), betraf die Früchte der künstlich bewässerten Felder und die andere, der Zehnte (lialmi) die der natürlich bewässerten; der Tanap, eine Geldabgabe von den Er⸗ trägen des Gemüsebaues und der Weinberge; der Ziaket⸗Koliaghi, eine proportionelle Abgabe von den Kaufmannsgütern; der Ziaket⸗ Mal, Abgabe vom Vieh; Abgaben für das Verkaufsrecht auf den Märkten, Wegegeld, eine Abgabe für die Erhaltung der Maße und Gewichte, eine Steuer auf das Salz, auf die Heirathskontrakte u. s w. Diese Steuern waren bis aufs Aeußerste entwickelt und unter Kudokar⸗Khan entgingen ihnen wenig Dinge. Das Volk wurde er⸗ drückt davon und bezahlte für Alles, mit Ausnahme der Luft, welche es athmete, und dieses Uebermaß von Lasten, welche so die Bevölke⸗ rung drückten, hatte großen Theil an der von Kudolar⸗Khan hervor⸗ gerufenen Unzufriedenheit. b 8 Die Einziehung der Steuern wurde in gewissen Theilen des Khanats direkt von Beamten des Khan oder der Beks besorgt, in anderen wurde sie verpachtet und dies letztere System war das all⸗ gemeinere. Der Héradj und der Tanap bvildeten ein Einkommen der Beks der Distrikte und wurden (mit Ausnahme des von Khokand) nicht in den Schatz des Khan abgeführt. Ein der Abhandlung von Kuhn beigefügtes Verzeichniß giebt die Zahl der Hauptpunkte der Bevölkerung aus jedem Distrikt und den Werth der Abgaben in Geld oder Naturalien, die dort aufge⸗ nommen wurden. Danach betrugen in den fünfzehn Distrikten die Naturalabgaben in Früchten und Körnern im Ganzen 707,550 Bat⸗

mans (1 Batman = 4 Pud; der Durchschnittswerth eines Batman

Getreide wechselt auf den verschiedenen Märkten von 1 R. 50 K. bis zu 2 R.]; die Geldabgaben in Tilliahs berechnet (1 Tilliah = 3 R. 60 K) vom Tanap (Gemüse und Weinbau) 131,672; vom Vieh 47,350; von den Bazars, den Maßen und Ge⸗ wichten u. s. w. 31,100 und von den Ein- und Ausgangs⸗ zöllen der Waaren 33,100. Die Gesammtsumme der Ab⸗ gaben kann danach auf ungefähr 2,290,000 R. geschätzt werden, wovon 1,415,000 R. in Naturalleistungen und 875,000 in Baarabgaben bestanden. Wenn man dazu die Abgabe vom Salz, ie Wegegelder vom Syr⸗Daria und den Hasaga oder die Grund⸗ steuer, die ungefähr 250,000 R. ausmachten, vinzurechnet, wird man ungefähr 2 ½ Mill. Rubel als Gesammtsumme der Staatseinnahmen rhalten. Diese Zahlen betreffen aber nur die amtlich vom Chariat festgesetzten Eirnnahmen; die Verwaltung Kudolar⸗Khans zog aber ach dem Geständniß seiner Beamten mehr als die dreifache Summe

us dem Lande. 1 b Was die Hauptstädte in ihrer Zusammensetzung betrifft, so ent⸗ hielt Khokand 10,000 Häuser, 300 Moscheen, 120 Schulen, 40. Me⸗ resses und 2000 Buden; Marghelan 6000 H., 300 M., 80 Sch., 10 M., 1000 B.; Andidjan 4000 H., 200 M., 60 Sch., 6 M., 1000 B.; Namangan 4000 H., 250 M., 100 Sch., 5 M., 1000 B.; 70 M., 20 Sch., 4 M., 100 B.; Balvygztschi

005 H., 50 M., 10 Sch., 3 M., 100 B. 8 Die Armee des Khan war hauptsächlich aus irregulären Truppen zusammengesetzt, welche die Beks zu Kriegszeiten bereit zu halten

hatten; regulaä e Truppen bestanden nur in Khokand selbst.

Reichstags⸗Angelegenheiten.

Berlin, 12. Mai. In der Sitzung der Justiz⸗Kommis⸗ sion des Reichstages vom Mittwoch wurde bei der Frage, betref⸗ fend die Mitwirkung des Staatsanwalts in Ehesachen, welche

er Bundesrath beantragt hatte, in bejahendem Sinne zu entscheiden, der Antrag des Abg. Struckmann angenommen, wonach der Staats⸗ anwalt in Ehesachen der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht beiwohnen kann. In Beziehung auf die vorläufite Vollstreckbarkeit

on Urtheilen hatte der Bundesrath beantragt, die Bestimmung des §. 601 Nr. 1 der Civilprozeßordnung nach der Regierungsvorlage wiederberzustellen, wonach Ürtheile der Amtsgerichte ohne Be⸗ schränkung auch ohne Antrag für vorlänfia vollstreckbar zu erklären sind. Dieser Antrag wurde von der Kommission abgelehnt, dagegen wurde

ein vermittelnder Antrag des Abg. Struckonn angenommen, wonach Urtheile der Amtsgerichte auf Antrag für vorläufig vollstreckbar

zu erklären sind, wenn sie Klagen über vermögensrechtliche Ansprüche betreffen, deren Gegenstand an Geld oder an Geldeswerth die Summe von 150 nicht uͤbersteigt. Der Antrag des Bundesraths, den in der Regierungsvorlage aufgestellten und von der Kommission verwor⸗ fenen Satz, daß durch Arrest ein Pfandrecht an den arrestirten Objekten begründet wird, wieder herzustellen, wurde von der Kommission angenommen. Hierauf erörterte der Bundeskommissar, Direktor von Amsberg in einem längeren Vortrage die Stellung der Bun⸗ desregierungen zu den Beschlüssen der Justiz Kommission über die Berufung in Strafsachen. Im Wesentlichen gehen die Erklä⸗ rungen des Bundes⸗Kommissars dahin: 1) daß gegen landgericht⸗ liche Urtheile nur Revision, nicht aber Berufung stattfinde; 2) daß gegen Urtheile der Schöffengerichte (kleinen) Berufung zulässig sei; die Kompetenz der Schöffengerichte sei nach der Regierungsvorlage zu regeln, dagegen sei das von der Kommission beschlossene Verfahren im Allgemeinen annehmbar, nur sei für das Stimmverhältniß bei den Schöffengerichten die Zweidrittel⸗Majeorität wiederherzustellen; 3) daß die Berufung ge⸗ gen schöffengerichtliche Urtheile ebenso dem Staatsanwalt, wie dem Angeklagten zustehe; 4) daß die Berufungsinstanz bei den Land⸗ gerichten durch Strafkammern, zusammengesetzt aus drei Richtern, gebildet werde, und daß für die Urtheile dieser Berufungsinstanz die Ober⸗Landesgerichte die Revisionsinstanz bilden.

Landtags⸗Angelegenheiten.

Die Justiz⸗Kommission des Herrenhauses hat den Bericht über den Gesetzentwurf, betreffend die Vereinigung des Herzogthums Lauenburg mit der Preußischen Monarchie er⸗ stattet. Dieselbe beantragt, dem Gesetzentwurf in der von dem Ab⸗ geordnetenhause angenommenen Fassuns die Zustimmung zu ertheilen.

Die Städteordnungs⸗Kommission des Abgeordneten⸗ hauses hat vorläufig die Beschlüsse der Kommission über den Gesetz⸗ entwurf zusammenzestellt. Der weitere Bericht ist vorbehalten.

Die Abgg. Dr. Hänel und Gen. haben dem Abgeordneten⸗ hause eine neu redigirte Geschäftsordnung zur Genehmigung vorgelegt.

Satistische Nachrichten.

Nach Mittheilung des statistischen Büreaus der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 30. April bis inkl. 6. Mai cr. zur Anmeldung gekom⸗ men: 278 Eheschließungen, 841 Lebendgeborene, 31 Todtgeborene, 424 Sterbefälle.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Das „Deutsche Eheschließungsrecht, nach amtlichen Ermittelungen als Anleitung für die Standesbeamten bearbeitet von Dr. Adolf Stöͤlzel, Geheimer Justiz⸗ und vortragender Rath im Justiz⸗Ministerinm“, ist bei Frz. Vahlen in Berlin (1876) in dritter Auflage (16. 137 S) erschienen. Das Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung enthält das materielle Eheschließungsrecht nicht voll⸗ ständig erschöpfend, es verweist vielmehr den Standesbeamten auf eine Reihe landesrechtlicher Vorschriften. Diese Bestimmungen muß der Standesbeamte kennen und zwar bei Schließung der Ehe eines außerhalb des Standesamtsbezirks Wohnenden, großentheils auch so⸗ weit sie außerhalb dieses Bezirks bestehen. Hierdurch wird es noth⸗ wendig, den Standesbeamten als Ergänzung des Reichsgesetzes eine auf amtlichen Grundlagen beruhende Zusammenstellung des in den gedachten Richtungen von ihnen anzuwendenden, viel⸗ fach zerstreuten Rechts in die Hände zu geben. Geh. Justiz⸗Rath Dr. Stölzel hat es nun übernsmmen, in der vorstehenden Schrift nach amtlichen Quellen eine solche Zusammenstellung für das ganze Reich zu liefern. Dieselbe umfaßt das gesammte auf Reicks⸗ oder Landes⸗ gesetz beruhende materielle Eheschließungsrecht, nebst einer Schluß⸗ anweisung, welche einzelnen Fragen sich die Standesbeamten bei der Eheschließung vorzulegen haben. Ein Anhang zu der Schrift behandelt das Eheschließungsrecht in Belgien, Dänemark, England, Frankreich, Italien, Oesterreich, Spanien und Ungarn, insofern es fuͤr deutsche Standesbeamte erheblich ist. Daran schließt sich eine Tabelle üb r das Alter der Ehemündigkeit in den europäischen Staaten. Die in vorstehender Schrift enthalten⸗ Zusammenstellung bietet in knappster Farm Alles, was der Standesbeamte von materiellen Rechtsbestim⸗ mungen bei der Eheschließung zu beobachten hat.

Lausanne, 8. Mai. (N. Z. Z.) Gestern Morgens zwischen 5 und 6 Uhr verspürte man in Lausanne und längs dem Jura zwei

leichte Erdstöße. Die Schwingunzgen gingen horizontal von Nord

nach Süden. Land⸗ und Forstwirthschaft.

Aus Lithauen schreibt man der „J. Z.“ über den Stand der Saaten: Es läßt sich nun genügend übersehen, in welcher Aus⸗ dehnung unsere Wintersaaten durch den höchft ungünstigen Winter beschädigt oder ganz vernichtet wurden, und das Resultat ist ein trauriges. Oelfrucht ist total verloren. Dieser Schaden ist immer⸗ hin kein so bedeutender, da der Oelfruchtbau in den letzten 10 Jahren erheblich eingeschränkt ist. Eine wahre Kalamität für den ganzen Besitzstand ist es dagegen, daß der Roggen sehr gelitten hat. Viele Felder, namentlich diejenigen, auf denen das edle probsteier Gewächs stand, mußten ganz umgepflügt werden; was noch von diesem Roggen bleibt, steht so dünn, daß der Ertrag ein erbärmlicher sein wird. Unser einheimischer Roggen, so⸗ wie der Johanni⸗ und Korrensroggen, haben sich im Ganzen besser gehalten, und auf Stellen, wo früh und dick gesät wurde was der kleine Besitzer gern zu thun pflegt verspricht dieser Roggen wobl noch eine schwache Mittelernte. Im Ganzen und Großen zeigen sich aber auch hier viele Lücken und Fehlstellen, so daß der Gesammtstand des Roggens als ein kläglicher zu bezeichnen ist. Auf Weizen setzte man bisher noch immer Hoffnung. Jeder Tag zeigt aber deutlicher, daß er sehr gelitten hat und auf vielen Strecken danz verloren zu geben ist. Auch hiervon wird sehr viel umgepflügt, und was stcehen bleibt, sieht schwach aus. Man kann wohl annehmen, daß im Ganzen in der Gegend von Königsberg bis Stallupönen und andererseits von Memel bis Johannisburg mehr als die Hälfte der Winterung umgerissen wird, und daß von dem stehen bleibenden Rest die größere Hälfte auch noch einen erbärmlichen Ertrag geben wird. So wäre eigentlich der landwirthschaftliche Nothstand vor der Thür, wenn nicht die Sommerung gut einschläst, die Kartoffeln gedeihen und Wiesen und Weiden gute Resultate bieten.

Dem „St.⸗A. f. W.“ wird vom 6 d. M. aus Neckarsulm (Würt⸗ temberg) berichtet: Heute fand die erste Weinbergsräucherungstatt. Nachdem gestern ein eisiger Nordostwind eine gefahrvolle Nacht hatte befürchten lassen, wurde die telegraphische Anfrage Heilbronns, ob hier geräuchert werde, um 10 Uhr bejaht und die Kommissionsmit⸗ glieder begaben sich gegen Mitternacht auf ihre Beobachtungsstationen. In Folge einer starken Wolkenbildung stieg gegen 1 Uhr das Queck⸗ silber auf + R., allein kaum hatten sich die Wolken verzogen, so fiel dasselbe rasch auf + 1 ° und durch Hornsignale wurde die Einwohnerschaft von dem bedrohlichen Temperaturstande benach⸗ richtigt. Schnell versammelten sich die Weingärtner vor dem Rath⸗ hause, die Obmänner nahmen das Erdöl in Empfang und jeder eilte auf den schon vorher bestimmten Brandplatz. Gegen 4 Uhr zeigte sich schon am Klee die verderbliche Wirkung des Frostes und das Quecksilber fiel auf 1°; jetzt ertönten 2 Kanonenschüsse und faft mit einem Schlage entzündeten sich ca. 500 mit Erdöl getränkte Holzhaufen, die einen solch starken Rauch entwickelten, daß über den ganzen Berg ein bleierner Mantel unbeweglich sich lagerte. Alle Weingärtner überzengten sich nunmehr von der Zweckmäßigkeit einer von vielen Seiten angegriffenen Maßregel.

Gotverbe und Handel.

Die Brutto⸗Einnahmen der Rumänischen Eisenbahnen betrugen 1875 13,025,275 Francs; die Betriebsausgaben betrugen 2,509,772 Francs. Hiervon werden 3 % für die Mitgliedee des Verwaltungsrathes abgezogen und verbleibt ein Reinertrag von 2,434,478 Francs. Da die vem rumänischen Staate garantirten 7 ½ % des Aktienkapitals 18,549,610 Francs betragen, fo beläuft sich die vom Staate pro 1875 zu zahlende Garantiesumme nach Abzug des obigen Reinertrages von 2,434,478 Frances im Ganzen auf 16,115,131 Francs.

Wien, 11. Mai. (W. T. B.) Die Generalversammlung der Karl⸗Ludwigsbahn beschloß, eine Superdividende von 2 ⁄½10 Fl. per Aktie auszuzahlen, so daß am 1. Juli der fällige Aktiencoupon mit 7 Fl. 35 Kr. und der Genußschein⸗Coupon mit 2 ½⁄0 Fl. bei den betreffenden Zahlstellen eingelöst wird.

London, 9. Mai. In der letzten Sitzung des parlamentarischen Sonder⸗Ausschusses zur Untersuchung über das Fallen der Silber⸗ preise gab Hr. Walter Bagehot, der Redacteur des „Economist“ sein Gut⸗ achten über die vielbesprochene Frage ab, und bezeichnete die Silber⸗ produktion, die Entmünzung des Silbers in Deutschland, die größeren Sen⸗ dungenan indischen Wechseln und die Beschraͤnkung der Silberauspe ägung in den Staaten der lateinischen Union als die vier großen Ursachen der Entwerthung des Silbers. Wären sie nicht eingetreten, so würde alles auf dem Londoner Markt zum Verkauf gebotene Silber von den angeführten Ländern aufgenommen und Gold zu einem ansehn⸗ lichen Betrage frei geworden sein. Weiteres Fallen des Silber⸗ werthes würde nach Herrn Bagehots Meinung nachtheiligen Einfluß auf die indischen Staatseinnahmen ausüben, da ein großer Theil der Einkünfte auf der Bodensteuer beruht, die in Rupien zahlbar ist.

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Staats⸗Anzeiger, das Central⸗Handelsregister und das Postblatt nimmt an: die Königliche Expedition deg Zrutschen Reichs⸗Auzrigers und Königlich Preußischen Stauts-Anzeigers:

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Steckbriefe und Untersuchangs-Sachen. Subhastationen, Aufgebote, Verladungen u. dergl. 3. Verkäufe, Verpachtungen, Submissionen ete. 4. Verloosung, Amortisation, Zinszahlung . 8. w. ven öffentlichen Papieren.

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1In der EBörsen- beilage. 8 A.

8 Vnvalidendank“, Rudolf Mosse, Haasenstein

bb.b vLogler, 6. L. Daube & Co. E. Schlotte,

ABüttner & Winter, sowie alle übrigen größeren Annoncen⸗Bureaus.

8 f ntersuchungs⸗Sachen. tenden Amtsvorstehers über Koselwitz zugezogen war, 8 1““ Vollstreckungsbeamte

Thomas Kansy sein Amt rechtmäßig

als dieser Steckbriefs Erledigung. Der hinter den Lauf⸗ 1 purschen Heinrich Oskar Max Robel wegen Festnahme des

schweren Diebstahls in den Akten R. 233 de 1876 aus

8

ausübte, thätlich angegriffen hal 1— 113 des deutschen Strafgesetzbuchs),

[4112] durch polizeiliche

zu haben (Vergehen und

Oeffentliche Vorladung.

Der Rittergutsbesitzer Albert Lengerke auf Rietschen bei Niesky hat aus einem vom Rittergutsbesiter Heinrich Nabe, früher zu

was den Rechten nach daraus folgt, gegen den Ver- klagten im Erkenntniß ausgesprochen werden. 85

ril 1876.

Potsdam den 6. 1 I. Abtheilung.

Königliches Kreisgericht.

Henri von

Komm. II. unter dem 21. v. Mts. erlassene Steck⸗ brief wird hierdurch zurückgenommen. Berlin, den

6. Mai 1876. Königliches Stadtgericht, Abtheilung

für Untersuchungssachen.

Kommission II. für Vor⸗ untersuchungen.

Steckbriefserledigung. Der hinter den Post⸗ Sekretär Carl Karp wegen wiederholter Unter⸗ schlagung amtlich empfangener Gelder unter dem

4. März cr. erlassene Steckbrief wird hierdurch zu⸗

rückgenommen. Verlin, den 9. Mai 1876. König⸗ liches Stadtgericht, Abtheilung für Untersuchungs sachen. Kommission II. für Voruntersuchungen.

Der unterm 18. März d. J. hinter die unver⸗

ehelichte Wilhelmine Tramp von hier erlassene

Steckbrief ist erledigt. Anklam, den 8. Mai 1876. Königliches Kreisgericht. Erste Abtheilung.

Oeffentliche Vorladung. In der Untersuchungs⸗ sache / Thomas Kausy et Kons. ist der Mit⸗ angeklagte, Einlieger Paul 82 aus Jastrzygowitz unterm 24. Februar cr. von der Königlichen Staats⸗ Anwaltschaft angeklagt: a. gemeinschaftlich mit dem

Häusler Thomas Kansy ans Sternalitz am 27. Mai 1875 zu Koselwitz den Entschluß, Fische des Barons

v. Strachwitz in der Absicht rechtswidriger Zueignung wegzunehmen, durch Handlungen bethätigt zu haben, welche einen Anfang der Ausführung dieses Ver⸗ gehens enthielten, ohne daß dasselbe zur Vollendung gekommen ist (Vergehen aus §§. 47, 43, 44, 24 des deutschen Strafgesetzbuchs); b. allein am 27. Mai 1875 zu Koselwitz

Thondok, welcher zur Unterstützung des stellvertre⸗

den Wirthschafts⸗Inspektor

durch Beschluß der Strafabtheilung vom 2. März cr. in den Anklagestand versetzt. Zur mündlichen Ver⸗ handlung und Entscheidung ist Termin auf den 12. Iuni 1876, Mittags 12 ½ Uhr, im Sitzungs⸗ saale hierselbst anberaumt worden. Da der gegen⸗ wärtige Aufenthalt des Angeklagten Paul Kansy nicht bekannt ist, so wird derselbe zu diesem Ter⸗ mine hiermit öffentlich mit der Aufforderung vor. geladen, zur festgesetzten Stunde zu erscheinen und die zu seiner Vertheidigung dienenden Beweismittel mit zur Stelle zu bringen oder diese dem Gericht so zeitig vor dem Termine anzuzeigen, daß sie zu demselben noch herbeigeschafft werden können, widri⸗ genfalls mit der Untersuchung und Entscheidung gegen ihn in covtumaciam verfahren werden wird. Rosenberg O./S, den 11. April 1876. Königliches Kreisgericht. I. Abtheilung.

Subhastationen, Aufgebote, Vor⸗ labungen u. dergl.

120 Bekauntmachung.

Die Subhastation des dem Handelsmann Angust Eitner zu Herzfelde gehörigen, in Lichtenow be⸗ legenen, im Grundbuche von Lichtenow Bd. II. Nr. 92 Bl. 193 verzeichneten Grundstücks ist aufge⸗ hoben, und fallen daher die Termine am 23. Juni und 26. Juni d. J. fort.

Alt⸗Landsberg, den 11. Mai 1876.

Königliche Kreisgerichts⸗Deputation. Der Subhastations⸗Richter.

Rabenhorst, zuletzt zu Potsdam wohnhaft, acceptir⸗ ten, am 1. Mai 1874 fällig gewesenen Prima⸗ Wechsel über 1500 Thlr. auf Zahlung von 4500 nebst 6 % Zinsen seit dem 1. Mai 1874, 11 Protestkosten, 30 Provision und 1 Portoausla⸗ gen die Wechselklage erhoben.

Zugleich ist wegen vorstehender Forderungen die Arrestirung der bereits in Sachen von Lengerke contra Rabe (Requisition des Kreisgerichts zu Görlitz) dem Rabe abgepfändeten, auf der hiesigen Pfand⸗ kammer befindlichen Gegenstände beantragt. Die Wechselklage ist eingeleitet und der beantragte Arrest durch Verfügung vom 20. März und 8. April d. J. angelegt worden.

Da der jetzige Anfenthalt des Heinrich Rabe unbekannt ist, so wird dieser hierdurch öffentlich aufgefordert, in dem zur Beantwortung der Klage und des Arrestgesuchs, sowie zur weiteren mündlichen Verhandlung der Sache

am 9. September cr., Vormittags 11 Uhr, vor der Deputation im Gerichtsgebäude des unter⸗ zeichneten Gerichts anstehenden Termine pünktlich zu erscheinen, die Klage und das Arrestgesuch zu beant⸗ worten, etwaige Zeugen und Urkunden mit zur Stelle zu bringen, 2 auf spätere Einreden, welche auf Thatsachen beruhen, keine Rücksicht genommen wer⸗ den kann. 78

Erscheint der Verklagte zur bestimmten Stunde weder persönlich, noch durch einen gehörig legitimir⸗ ten Bevollmächtigten, so werden die in der Klage und dem Arrestgesuch angeführten Thatsachen und Urkunden auf den Antrag des Klägers in contuma- cram für zugestanden und anerkannt erachtet und

8

Verkäufe, Verpachtungen, Submissionen ze. [4067]

Oberlausitzer und Cottbus⸗Großen⸗ hainer Eisenbahn.

Die Lieferung der pro 1876/77 erforderlichen Werkstatts Materialien als Eisen, Stahl, Rost⸗ stäbe, Bleche, Metalle, Glas⸗ und Gummiwaaren, div. Hölzer, Oele und Fette, Putzmaterialien, Hanf⸗ schlauch, Koks, div. Eisen und andere Materialien, als: Patentverpackung, Schmierkissen, Schrauben, Muttern, Nägel, Kohlenschaufeln zc., soll im Wege der öffentlichen Submission vergeben werden.

Termin bierzu ist auf

Freitag, den 26. Mai d. J., Vormittags 10 Uhr,

im Bureau der Maschinenverwaltung zu Hovyers⸗ werda anberaumt, bis zu welchem die Offerten frankirt und verstegelt. mit der Aufschrift:

Offerte auf Lieferung von Werkstatts⸗Ma⸗

terialien ꝛc. an den Unterzeichneten einzureichen sind. 8

Submissions⸗ und Lieferungs⸗Bedingungen liegen im Bureau des Unterzeichneten zur Einsicht aus, auch können dieselben gegen Erstattung von 75 Kopialien von hier aus bezogen werden.

Hoyerswerda, den 8. Mai 1876.

Der Maschinenmeister. 5 Loesewitz.