“ 6 8 8. 8
tärische Stellvertreter“ beantragte Demel, einschließlich der Zinsen des Kapitals, 10 Millionen Kapital ars diesem Fond in einem eigenen Posten als Einnahmen einnastellen. Nachdem mehrere Redner gegen diesen Antrag gesp cochen hatten, bemerkte Graf Andrassy, daß über die Nützlicgkeit der proponirten Maßregel bezüglich der Erleichterung der Steuerzahler die Ansichten ge⸗ theilt seien. Der Minister wies im Fortgange seiner Rede darauf hin, daß der Fond für militärische Stellvertreter in Momenten augenblicklichen Bedarfes die Aufbringung von Geld⸗ mitteln, bevor solche von den konstitutionellen Faktoren votirt seien, bedeutend erleichtere. Außerdem könne es keinen guten Eindruck machen, wenn ein Staat alle seine Kapitalien zur Be. streitung der laufenden Bedürfnisse aufzehre. Er müsse auf das Entschiedenste Allem entgegentreten, was den Schein trage, als ob die Monarchie nicht im Stande wäre, die zur Erhaltung der Wehrkraft nothwendigen Lasten zu tragen. Der Antrag Demel wird hierauf mit 10 gegen 8 Stimmen abgelehnt, worauf Sturm im Namen der Mitglieder Demel, Schaub, Groß, Ritter, Walterskirchen ein Minoritätsvotum anmeldete.
Niederlande. Amsterdam, 20. Mai. Gestern starb im Haag der als Geschichtsschreiber und Leiter der antirevolutio⸗ nären Partei bekannte Groen van Prinsterer.
Belgien. Brüssel, 22. Mai. (W. T. B.) Bei den Wahlen zu den Provinzialräthen haben die Liberalen in Antwerpen und Nivelles, welche bisher durch klerikale Mitglieder vertreten waren, den Sieg davongetragen. Es ist daher wahrscheinlich, daß auch bei den am 4. Juni stattfindenden Ergänzungswahlen zur Deputirtenkammer die Liberalen die Ma⸗ jorität erhalten werden.
Großbritannien und Irland. London, 20. Mai. Im Unterhause theilte der Marine⸗Minister bezüglich der Flottenbewegungen im Mittelmeer mit, das Kriegsschiff „Swiftsure“ liege in Salonichi. Admiral Drummond, der Be⸗ sehlshaber des Mittelmeergeschwaders, sei mit drei oder vier Panzerschiffen nach der Besika Bai unterwegs, und die „De⸗ vastation“ werde von Malta aus ebenfalls dorthin ihren Kurs richten. Nach Konstantinopel sei ein Kanonenboot entsandt.
— Bezüglich Verzinsung der Kaufsumme für die Suezkanalaktien ertheilte der Schatzkanzler im Unter⸗ hause die Auslunft: die Sicherheit der 200,000 Pfd. Sterl., welche der Khedive jährlich an England zu entrichten hat, werde durch den Umwandlungsplan für die ägyptische Schuld nicht berührt. Uebrigens habe die ägyptische Regierung nicht die Zustimmung der englischen für die Veröffent⸗ lichung des Dekretes über die Schuld nachgesucht. — Weiterhin theilte der Minister hinsichtlich der in Genf aus⸗ geworfenen Alabama⸗Entschädigung auf Befragen mit, die Regierung habe keine Nachrichten aus Washington über die Vertheilung des Ueberschusses, der nach Befriedigung der als be⸗ rechtigt erkannten Ansprüche zurückbleibe. Es sei kein Schrift⸗ wechsel zwischen den beiden Regierungen über diesen Gegenstand vor sich gegangen und daher habe das Ministerium auch keine Aktenstücke vorzulegen.
— Die japanische Gesandtschaft ist, nachdem sie die Höfe von Madrid und Lissabon besucht, wieder nach London zurückgekehrt.
— 21. Mai. Das britische Geschwader, das nach den türkischen Gewässern entsandt werden soll, wird aus folgenden Schiffen gebildet: Die „Devastation“, das stärkste derzeit be⸗ stehende Panzerschiff, mit 4 35⸗Tonnengeschützen und 350 Mann; der „Hercules“, Panzerschraubendampfer, 14 Geschütze 640 Mann; der „Swiftsure“, Panzerschraubendampfer, 14 Geschütze 470 Mann; der „Invincible“, desgl., 14 Geschütze 500 Mann; die „Pallas“, desgl., 8 Geschütze 260 Mann; der Aviso „Helicon“, Raddampfer, 2 Geschutze 73 Mann; der eiserne Rad⸗ dampfer „Antelope“, 3 Geschütze 60 Mann; das Kanonenboot „Cockatrice“, 2 Geschütze 46 Mann und das Schrauben⸗Kanonen⸗ boot „Torch“, 5 Geschütze 67 Mann: im Ganzen 9 Schiffe mit 66 Geschützen (darunter 4 700⸗Centnergeschütze) und 2016 Mann. Dazu kommt später das Schiff des Herzogs von Edinburgh „Sultan“, mit 12 Geschützen und 600 Mann und im Nothfall der „Monarch“ mit 7 Geschützen und 530 Mann und der „Triumph“ mit 14 Geschützen und 460 Mann. Das Gesammtgeschwader würde dann 12 Schiffe, 99 Geschütze und 3606 Mann zählen.
— 22. Mai. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung des Unterhauses erklärte der Premier Disraeli auf die Anfrage Campbells, es sei wahr, daß England sich außer Stande ge⸗ sehen habe, den Vorschlägen der Nordmächte hinsicztlich der orientalischen Frage, denen Frankreich und Italien seitdem beigetreten seien, beizupflichten; er glaube, daß diese Vorschläge der Pforte noch nicht formell mitgetheilt worden seien. Es sei daher noch nicht möglich, dieselben dem Parlamente vorzulegen.
Im Oberhause brachte Lord Granville die Angelegenheit gleichfalls zur Sprache. Carl Derby erklärte, das Kabinet habe nach reiflicher Ueberlegung sich entschlossen, den Vorschlägen der Konferenzmächte nicht beizutreten. Lord Derby stellte zugleich bestimmt in Abrede, daß der Beitritt etwa versagt worden sei, weil man England zur Berathung der Vorschläge nicht mit zu⸗ gezogen habe. Wenn man hätte als sicher annehmen können, daß die Vorschläge der Konferenzmächte voraussichtlich zum Frieden mit den Insurgenten führten, so würde dieser Umstand sicher von Einfluß gewesen sein. Eine Mittheilung der Gründe, welche das Kabinet benimmt hätten, seinen Beitritt zu versagen, sei nicht möglich ohne eine Mittheilung der Vorschläge der Konferenz⸗ mächte selbst. Letztere seien aber der Pforte noch gar nicht mit⸗ getheilt und eine Modifikation derselben liege deshalb nicht außer den Grenzen der Möglichkeit.
— 23. Mai. (W. T. B.) Das Unterhaus wird sich vom 1. bis zum 5. Juni vertagen.
Frankreich. Paris, 22. Mai. (W. T. B.) Bei den gestern für die von der Deputirtenkammer kassirten Wahlen stattgehabten Ersatzwahlen wurden ein Monarchist, 4 Bona⸗ partisten und 6 Republikaner gewählt. Außerdem sind 2 Stich⸗ wahlen nothwendig. Die 6 jetzt von Republikanern eingenom⸗ menen Sitze gehörten bei der ersten Wahl sämmtlich den
Monarchisten an.
Versailles, 22. Mai. (W. T B.) In der heutigen Sitzung des Senats vertheidigte Victor Hugo seinen Amnestieantrag. Derselbe wurde jedoch abgelehnt. Der Senat vertagte sich hierauf bis zum Mittwoch.
— Der bereits kurz gemeldete Antrag des Abgeord⸗ A welcher schon 129 Unterschriften trägt, lautet wörtlich:
An. 1. Der 1. Absatz des Art. 36 des Gesetzes vom 27. Juli 1872 wird folgendermaßen verändert: Jeder Franzose, der nicht für den Militärdienst untauglich erklärt wird, hat in der aktiven Armee drei Jahre, in der eeferve der külhen Armee sechs Jahre, in d
1“
Landwehr fünf Jahre und sechs Jahre zu dienen.
Art. 2. Nach den zwei ersten Jahren des Dienstes in der aktiven Armee können die jungen Leute, welche in einer vor einer Kommission, bestehend aus einem Brigade⸗General, einem Oberst⸗Lieutenant, einem Bataillons⸗Chef, zwei Hauptleuten und zwei Lieutenants, abgelegten Prüfung darthun, daß sie eine genügende Ausbildung erhalter haben, in die Reserve übertreten. Programme und Bedingungen dieser Prü⸗ fung werden durch ein ministerielles Dekret näher bestimmt.
Art. 3. Die Art. 53 bis 58 des Gesetzes vom 27. Juli 1872, betreffend den einjährigen Freiwilligendtenst, werden abgeschafft.
Spanien. Am 19. d. M. haben die Cortes den Ar⸗ tikel 22 der Verfassung über die direkte Wahl und Wieder⸗ wählbarkeit der Volksvertreter ohne Aenderung angenommen.
Italien. Rom, 20. Mai. Der Staats⸗Minister und Präsident des Staatsraths Conte Carlo Cadorna ist, den „Ital. Nachr.“ zufolge durch Königliches Dekret zum Präsidenten des Raths ernannt worden, welcher die diplomatischen Streit⸗ fragen zu entscheiden hat. Dieser Posten ist seit dem Tode des Senators Desambrois de Nevache unbesetzt geblieben.
— Die „Capitale“ veröffentlicht nachstehenden Brief Garibaldi's an seine Wähler: „Ich hatte gehofft Euch nützlich werden zu können, aber ich hatte mich getäuscht. Mein Gesundheitszustand hat sich inzwischen der Art verschlimmert, daß ich mich mit nichts mehr beschäftigen kann. Ich danke Euch für das Vertrauen, was Ihr in mich gesetzt habt und das mir für den Rest meines Lebens eine angenehme Erinnerung bleiben wird. Ich grüße Euch von ganzem Herzen. Rom, 18. Mai 1876. Immer der Eure. G.“
Der Minister⸗Siegelbewahrer Maneini hat ein Cirkular an die Generalprokuratoren bei den Appell⸗ höfen gerichtet, wonach sich die Staatsanwälte der periodischen Presse gegenüber verhalten sollen. Nachdem der Minister sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß häufig Zeitungen aus übertriebenem Amtseifer mit Beschlag belegt werden, ohne daß der Beschlagnahme Preßprozesse folgen, wo⸗ durch das Prinzip der Preßfreiheit verletzt und die Ach⸗ tung vor Gesetz und Obrigkeit geschmälert werde, heißt es weiter: „Sie müssen theoretische Untersuchungen über religiöse und poli⸗ tische Fragen, Kritiken, die auf Erforschung der Wahrheit ge⸗ richtet sind, Wünsche und Anträge, welche Verbesserungen der Gesetzgebung betreffen, von Artikeln unterscheiden, welche offenbar verfaßt sind, um Gesetze und staatliche Einrichtungen zu verhöhnen und sie in der öffentlichen Meinung herabzusetzen, damit man sie nicht mehr respektire und ihnen nicht mehr gehorche. Im ersten Falle hat die Presse Anspruch auf Freiheit und Unverletz⸗ lichkeit, und sind die Verfasser nur der öffentlichen Meinung verantwortlich; im zweiten verlangt aber die Gerechtigkeit und das wohlverstandene öffentliche Interesse strenge Anwen⸗ dung der Strafgesetze; denn es giebt eine perio⸗ dische Presse, die, von dem Wunsche geleitet, die Interessen des Landes zu fördern, ernst und würdig auftritt, dahingegen giebt es aber auch eine andere, welche in Italien glücklicherweise schwach vertreten ist, die ihre Freude an Skan⸗ dalen hat, persönliche Verleumdungen erfindet, alles was heilig ist in den Schmutz zu ziehen sucht und weder persönliche Ehre noch Familiengeheimnisse, noch die ewigen Grundsätze der Moral schont. Gegen die erste verlangt die Annahme, daß sie von edlen Beweggründen geleitet wird, wohlwollende Schonung und Rücksicht, und darf die Frage dabei nicht in Betracht kommen, ob sie der Regierung günstig oder ungünstig gestimmt ist; gegen die andere aber, welche geflissentlich Ruhe und Frieden zu stören sucht und die liberalen Staatseinrichtungen in Mißkredit bringen würde, wenn man sie ungestört gewähren ließe, ist es geradezu patriotische Pflicht, mit oller Strenge der Gesetze einzuschreiten, wobei man freilich über die Schranken der Gesetzlichkeit nicht hinausgehen darf.“
Am Schlusse des Cirkulars ersucht der Siegelbewahrer die Generalprokuratoren, dem Ministerium alle Vierteljahre umständ⸗ liche Berichte über die vorgekommenen Beschlagnahmen von Zei⸗ tungen und über die Resultate der daraus hervorgegangenen Preßprozesse einzusenden.
Türkei. Smyrna, 22. Mai. (W. T. B.) Das öster⸗ reichische Kanonenboot „Nautilus“ ist gestern hier ein⸗ getroffen.
Dänemark. Kopenhagen, 22. Mai. In der Sitzung des Folkethinges am Sonnabend wurde der Gesetzentwurf, betreffend die Versorgung des Heeres mit den im Falle der Kriegsbereitschaft mangelnden Pferden und Wagen ohne Debatte in zweiter Lesung angenommen. — Der Vertheidigungs⸗ ausschuß konstituirte sich am Freitag und wählte Berg zu seinem Vorsitzenden und Berntsen zum Sekretär.
— Der König empfing am Sonnabend den Grafen Henry Della Croce di Dojala in Audienz, welcher seine Kreditive als Königlich italienischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister überreichte. — Nach den am Sonnabend und gestern ausgegebenen Bulletins ist in dem Befinden des Königs Georg von Griechenland keine wesentliche Veränderung eingetreten. In der Nacht vom Sonn⸗ abend zum Sonntag hat der König einige Stunden Schlaf ge⸗ habt und gestern war das Fieber etwas weniger stark als am Sonnabend.
— „Dagbl.“ hat mit dem letzten Postdampfschiffe Nach⸗ richten aus Island erhalten. Von den Vulkanen im Dyngju⸗ gebirge steigt noch fortgesetzt starker Rauch auf, jedoch sind in der letzten Zeit keine heftigeren Ausbrüche bemerkt worden. Aus den im vorigen Jahr durch den Aschenfall heimgesuchten Gegenden werden mehrere Hundert Personen jetzt nach Amerika auswandern.
Amerika. New⸗York, 20. Mai. Die Konventionen von zehn Staaten hielten am 16. ihre Versammlungen. Die meisten derselben beschlossen, ihren Delegationen zu den zwei bevorstehenden nationalen Konventionen mit Bezug auf die Kandidaten für die Präsidentschaft freie Hand zu lassen. Die demokratische Konvention von Ohio wies indeß ihre Delegation an, den frü⸗ heren Gouverneur Allen für die Präsidentschafts⸗Kandidatur zu unterstützen. Sie adoptirte auch ein Anti⸗Hartgeld⸗Programm. Die demokratische Konvention von Jowa faßte Beschlüsse zu Gunsten einer Baargeld⸗Basis, aber ohne erzwungene Wieder⸗ aufnahme der Baarzahlungen. Die republikanische Konvention von New Jersey erklärte sich zu Gunsten einer schleunigen Wiederaufnahme der Baargeldzahlungen. Die National Liquor Prohibition Convention tagte ebenfalls und instruirte ihre Dele⸗ gation, die Herren Green, Clay oder Slight als ihren Kandi⸗ daten für die Präsidentenwahl zu unterstützen. Die nationale unabhängige Konvention in Indianopolis hat ein Anti⸗Baar⸗ geldprogramm angenommen und Mr. Peter Cooper zu ihrem Kandidaten für die Präsidentschaft aufgestellt.
— Ein Telegramm aus Washington vom 18. ds. meldet: „Lord Derbys Depesche betreffs der Winslow⸗Angelegen⸗
in der Landwehrreserve
heit, welche Mr. Fish, der Staats⸗Sekretär, gestern empsing, hält den von der britischen Regierung ursprünglich in dieser Frage ein⸗ genommenen Standpunkt aufrecht. Die Depesche wird in einer morgen stattfindenden Kabinetssitzung in Erwägung gezogen wer⸗ den.“ (Einer Nachricht der „Central News“ zufolge hätte die amerikanische Regierung bereits erklärt, auf die Anforderungen, wovon Lord Derby die Auslieferung Winslows abhängig macht, nicht eingehen zu können.)
Haiti. Aux Cayes, 21. April. Die Revolution, welche mit Verwundung und Vertreibung des Präsidenten Do⸗ mingue und der Ermordung des Vize⸗Präsidenten und des kommandirenden Generals begann, nimmt ungestörten Fortgang. Eine Stadt nach der andern erklärt sich gegen die bisherige Regierung. Hingegen herrscht keine Einigkeit hinsichtlich dessen, was man an die Stelle setzen soll. Ein gewisser Nord, der sich Sig Präsidenten aufwerfen wollte, ist vom Volke getödtet worden.
Landtags⸗Angelegenheiten. Ueber die Geschäftslage im Abgeordnetenhause, das Komprtenzgesetz und die Städteordnung entnehmen wir der „B. A. C.“ Folgendes: Das Abgeordnetenhaus richtet den Gang seiner Geschäfte
so ein, daß mit dem Beginne der Pfingstferien die hauptsächliche
Thätigkeit der Session abgeschlossen wird und die Geschäfte nach den Ferien im Wesentlichen sich darauf beschränken sollen, die etwa vom Herrenhause zurückkommenden Gesetzentwürfe der nochmaligen Be⸗ rathung und Beschlußfassung zu unterziehen. Selbstverständlich werden die nebvenher laufenden dringendsten Vorlagen nicht außer Acht gelassen werden, indessen der Hauptsache nach wird sich der Inhalt dieser Session bis zu den Pfingst⸗ ferien als ein abgeschlossenes Ganzes übersehen lassen, soweit die Wirksamkeit des Abgeordnetenhauses allein in Betracht kommt. Nachdem nun die anderen erheblichen Gesetze ganz oder doch in zweiter Lesung erledigt sind, treten das Kompetenzgesetz und die Städteord⸗ nung in den Vordergrund. Soweit die Vorberathungen in den Kommissionen und die Stellung der Parteien auf den Willen des Abgeordnetenhauses schließen lassen, ist die allgemeine Aufmerkfamkeit darauf gerichtet, eine Verständi⸗ gung über diese beiden Gesetze zu erlangen. Das Kom⸗ petenzgesez hat im großen Ganzen, so wie es aus der Kommission hervergegangen ist, die Stimmurng der großen Mehrheit im Abgeordnetenhause für sich. Aber auch in Bezug auf die Städteordnung werden die größten Be⸗ mühnngen darauf verwendet, jeden nicht durchaus unerläßlichen Differenzpunkt zu beseitigen. Von dieser Ansicht geleitet, hat die Kommission, welcher das Kompetenzaesetz zur Vorberatzung über⸗ wiesen war, in ihrer Revision der Beschlüsse der Städte⸗ ordnungskommission die Ausscheidung der im §. 124a. der Städteordnung (nach den Beschlüssen der letzteren Kom⸗ mission) enthaltenen allgemeinen Revisionsklauseln beschlossen. Man konnte sich deshalb der Einsicht nicht verschließen, daß die Auf⸗ nahme einer solchen gererellen Klausel in die Städeordnung das Schicksal der Städteorduung schwer gefährden würde; die Freunde des Zustandekommens dieses Gesetzes mußten darauf Bedacht nehmen, nicht eine davon gesondert und im System der gesammten Orzanisation zu behandelnde Frage schwieriger Art zum Theil der Städteordnung auf⸗ zubürden. — Der betreffende, von der Städteordnungs⸗Kommission be⸗ schlossene §. 124a. lautet: „Die Stadtgemeinden sind befugt, Entscheidun⸗ gen der Aufsichtsbehörden, sowie des Bezirksrathes und des Provinzial⸗ rathes, welche deren Befugnisse überschreiten oder die Gesetze ver⸗ letzen, mittelst Küagen im Verwaltungsstreitverfahren anzufechten. Zustandig ist das Ober⸗Verwaltungsgericht. Die Bestimmungen des §. 118 der Stas eorhe vom 29. Juni 1875 werden hierdurch nicht berührt.“ 8
.
—
— Der Abg. v. Kirchmann (Vertreter der Stadt Breslau)
hat dem Vorstande der Forrtschrittspartei des Abgeordnetenhauses in voriger Woche schriftlich seinen Austritt aus der Fraktion erklärt.
Theater.
Hr. Aug. Neumann, welcher die Posse Lucinde Theater im Wallner⸗Theater eingeführt hat, wird sich morgen in diesem Stücke, das durch seinen heiteren Inhalt, die ansprechende Musik und durch das treffliche Spiel des Gastes, des Frl. Wegener, sowie der Herren Engels, Blencke, Meißner u. A. zum Kasseustück ge⸗ worden ist, vom hiesigen Publikum verabschieden. Die Abschieds⸗ vorstellung ist gleichzeitig zum Benefiz des beliebten Gastes bestimmt.
— Die „Reise durch Berlin in 80 Stunden“ wird voraussichtlich m Friedrich⸗Wilhelmstädtischen Theater nur noch einige Male zur Aufführung gelangen, indem bereits in nächster Woche die bekannte Operettensängerin Frl. Hermine Meyerboff von Wien einen längeren Gastspielcyclus, vorläufig mit der „Giroflé“ und der „Mamsell Angot“, beginnt. Um den neu engagerten Mitgliedern Hrn. Küstner und Hrn. Schrötter Gelegenheit zu bieten, sich in anderen als den bisher gesungenen Partien vorzuführen, soll am Mittwoch eine kombinirte Vorstellung, bestehend aus den Operetten: „Die schöne Galathee“ und „Des Löwen Erwachen“ nebst dem Singspiel: „Das Versprechen hinterm Heerd“ mit dem bisherigen Repertoire abwechseln. p Hr. Swoboda in der Mittwochs⸗Vorstellung beschäftigt ist, so wer⸗ den an diesem Abend drei Tenoristen auftreten.
— In Krolls Etablissement hat die neueinstudirte und mit neuen Couplets ausgestattete erheiternde Posse von Jacobson „Der stolze Heinrich“ vielen Beifall gefunden. Am Sonntage war der Saal uͤberfüllt. Die Damen Mejo, Stolle, Gallus, sowie die Her⸗ ren Eduard und Carl Weiß und Heder wurden besonders ausgezeich⸗ net. Um die Operettensänger mit den Wiederholungen des „Schön⸗ röschen“ nicht zu sehr anzustrengen, wird die genannte Posse mit der Operette alterniren, bis zu dem in naher Aussicht stehenten Er scheinen der Neuigkeit von Jacobson und Wilken. — Die jetzt auf dem neuen Orchester auf 60 Musiker verstärkte Kapelle unter Leitung der HH. Direktoren Engel und Bial findet allabendlich den lebhaftesten Beifall.
vom
Da außer den erwähnten Debütanten auch
— Am Donnerstag gelangt im Woltersdorff⸗Theater mit
Frl. Lori Stubel in der Titelpartie das Lebensbild „Die fesche Schusterin“ nach Görlitz „Drei Paar Schuhe“ von Alois Berle bearbeitet, zur ersten Ausführung. Die Gastin hat diese Rolle in Wien mit Erfolg
gespielt und der Komponist Carl Millöcker die
Bearbeitung mit mehreren effektvollen Gesangseinlagen für die Dar⸗ stellerin versehen. Neben Fel. Stubel sind in den Hauptpartien
Frau Albrecht⸗Lange, Frl. Kuhse und Frl. Schatz, sowie die Herren Junker, Nicolini, Max und Hintze beschäftigt. — Morgen, Mittwoch, findet eine Wiederholung der Orpheus⸗Vorstellung mit Hrn. Otto Schindler als Hans Styx statt.
— Das erste Auftreten der Fr. Leopoldine Borsdorff (Fachini) als Baronin Susanne d'Anage in dem Dumasschen Sittenbilde „Modernes Treiben“ (Demi⸗Monde) findet erst morgen im Stadt⸗ theater statt. Die Verzögerung um einen Tag erklärt sich aus den nothwendig gewesenen zahlreichen Proben. Die Naive des Stückes
„Marcelle“, wird von einem Gaste, Frl. Ida Becker gespielt werden,
bekannt von ihrem vorjährigen Gastspiel im Königlichen Schauspiel⸗ bans. Die Uebersetzung, deren sich das hiesige Stadttheater bedient, ist nicht die des Wiener Stadttheaters, sondern die ältere Reinhardtsche.
— Wagners „Tannhäuser“ ist am 6. d. M. in der „Royal Italia Opera, Coventgarden“, zu London mit noch größerem Bei⸗ fall als seiner Zeit der „Lohengrin“ aufgeführt worden.
Redacteur: F. Prehm.
Verlag der Expedition (Kessel). Vier Beilagen
(einschließlich Börsen⸗Beilage).
Berlinz:
Druck: W. Elsner. 111““
Die Nr. 10 des Centralblatts der Abgaben⸗, G; werbe⸗ und Handels⸗Gesetzgebung und Verwaltung in
den Königlich preußischen Staaten hat folgenden Inhalt:
I. Allgemeine Verwaltungsgegenstände: Bei Bestelluag von Amtskau⸗ tionen zuzulassende Effekten. Eichamtliche Behandlung vorschriftswidri⸗ ger Maße ꝛc. Einrichtung der Meterstöcke für Schiffsvermessungen. Portofreiheit der Postsendungen in Reichsdienstangelegenheiten. An⸗ nahme preußischer Banknoten. Einziehung der Landeskupfermünzen und Außercourssetzung von Scheidemünzen der Thalerwährung. Ver⸗ änderungen in den Zoll⸗ und Steuerstellen. — III. Indirekte Steuern: Zu Musterpässen zu verwendende Stempel. Tarifirung auf Lein⸗ S gezogener Aushängeschilder von Papier. — VI. Personalnach⸗ richten.
— Das Aprilheft des „Centralblatts für die gesammte Unterrichtsverwaltung in Preußen“ hat folgenden Inhalt: Tagegelder und Reisekosten der Staatsbeamten. — Staatsausgaben für öffentlichen Unterricht ꝛc. im Jahre 1876. — Abrechnungsverfah⸗ ren der Spezialbaukassen für Universitätsbanten. — Bestätigung einer Rektorwahl. — Studienplan für Studirende der Jurisprudenz auf der Universität zu Göttingen. — Praktisch⸗theologisches Seminar an der Universität zu Berlin, Reglement. — Universitäts⸗Bibliothek zu Berlin, Auszug aus dem Jahresbericht. — Philologisches Seminar der Universität zu Halle. — Preisaufgaben an der Universität zu Marburg, Reglement. — Preisbewerbungen bei der Akademie der Künste zu Berlin. — Verzeichniß der höheren Unterrichtsanstalten. — Frequenz der höheren Unterrichtsanstalten im Sommer 1875. — Be⸗ gründung der Anträge auf Ernennung ordentlicher Lehrer zu Ober⸗ lehrern. — Betheiligung der Volksschullehrer an Vereinen. — Allge⸗ meine Deutsche Pensionsanstalt für Lehrerinnen und Erzieherinnen. — Gnadenzeit für die Hinterbliebenen von Lehrern. — Mitgliedschaft von Juden im Schulvorstande. — Personalchronik.
MNeichstags⸗Angelegenheiten.
Berlin, 22 Mai. In der gestrigen Sitzung der Justiz⸗ kommission des Reichstags wurde die Berathung über den Titel des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Staatsanwaltschaft in Se. Lesung fortgesetzt. Die Bestimmung, daß die Staatsanwälte ommissarisch aus den Richtern, welche zwei Jahre ein Richteramt bekleidet haben, genommen werden sollten, wurde in Auf⸗ hebung des Beschlusses in 1. Lesung gestrichen und es wurde auf die Bundesrathsvorlage wieder zurückgegangen. Hinzu⸗ gefügt wurde die neue Bestimmung, daß die Staatsanwälte während der Dauer ihres Amtes richterliche Geschäfte nicht wahr⸗ nehmen dürfen, und aufrecht erhalten wurde der Beschluß erster Lesung, daß die Staatsanwaltschaft in ihren Amtsverrichtungen von den Gerichten unabbängig sein solle, auch dürfe eine Dienstaufsicht über die Richter der Staatsanwaltschaft nicht übertragen werden. — Hierauf wurde zum 7. Titel, welcher von den Ober⸗Landesgerichten handeit, übergegangen und neu beschlossen, daß bei Berathung über die Senatsbildung und die Vertheilung der Geschäfte an die Senate außer dem Präsidenten und den Senatspräsidenten die zwei ältesten Räthe des Kollegii mitwirken sollten, daß ferner als Stellvertreter bei den Ober⸗Landesgerichten nur ständig angestellte Richter einberufen werden können. — In Betreff der Frage des Sitzes des künftigen Reichs⸗ gerichtshofes blieb die Kommission bei ihrem ersten Beschlusse, daß der Sitz des künftigen Reichsgerichts durch Gesetz bestimmt werden solle. Die Abgeordneten Eysoldt, Klotz und Herz haben durch einen Antrag die Frage angeregt, beim Reichsgericht ein Schwurgericht für die Fälle des Hoch⸗ und Landesverraths gegen Kaiser und Reich einzurichten, und zwar sollten prinzipaliter die Ge⸗ schworenen aus den Mitgliedern des Reichstages ausgeloost werden. Der Antrag wurde abgelehnt. Zum Schlusse wurde noch der Antrag diskutirt, daß in Fällen der Verurtheilung durch das Reichsgericht wegen obiger Verbrechen der Kaiser im Wege der Gnade die erkannte Strafe ganz oder theilweise erlassen oder in eine mildere Strafe umwandeln kann. Der Antrag wurde mit 15 gegen 9 Stimmen an⸗ genommen; in Betreff der erkannten Todesstrafe ist die Sache be⸗ reits in der Strafprozeßordnung in gleicher Art geordnet.
Landtags⸗Angelegenheiten.
Berlin, 23. Mai. Gestern begaben sich die Mitglieder der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses auf spezielle Einladung des Kriegs⸗Ministers in das Zeughaus, um dessen Raume zur Beur⸗ theilung des Gesctzentwurfs über die Umwandlung dieses Gebäudes in eine Ruhmeshalle für die preußische Armee in Augenschein zu nehmen. Es handelte sich bei der Besichtigung darum, den Mitglie⸗ dern die Ueberzeugung von der Ausführbarkeit des Planes und na⸗ mentlich von der Möglichkeit der Herstellung des Kuppelbaues, un⸗ beschadet der vollständigen Erhaltung der jetzigen äußeren Umrisse und der historischen Fagade des Zeughauses, zu verschaffen.
Die Wahlen und die Parteien. II. (Vergl. Nr. 112 d. Bl.)
Wir haben bereits in Nr. 78 d. Bl. der beiden Parteien Er⸗ wähnung getban, welche in neuester Zeit, die bestehenden politischen Parteien vielfach zersetzend, sich gebildet haben, der „Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer (Agrarier)“ und des „Central⸗Ver⸗ bandes der deutschen Industriellen“. Die ersteren haben bei der kürzlich im Königsberger Landkreise nothwen⸗ dig gewordenen Neuwahl eines Abgeordneten zum Reichs⸗ tage ihren Kandidaten, den Freiherrn v. d. Goltz⸗Kallen, durchgebracht und agitiren gegenwärtig auch im Wahlkreise Hirschberg⸗Schönau, dessen Vertreter bislang Prof. Dr. Tellkampf war, eifrig in Versammlungen, wie durch Flugblätter für den Ritterguts⸗ besitzer Max von Küster auf Lomnitz, dem Seitens der Nationalliberalen der bekannte frühere Abgeordnete Dr. Georg von Bunsen gegenüber⸗ gestellt wird. Dieser Erfolg, wie die lebhafte Agitation haben in erhöhtem Maße die allgemeine Aufmerksamkeit auf die neue Partei und ihre Bestre⸗ bungen gelenkt; wir geben daher in Folgendem eine objektive Cha⸗ rakteristik derselben, wie der Stellung, welche die anderen Parteien zu ihr genommen. In gleicher Weise werden wir demnächst den Central⸗ verband der Deutschen Industriellen behandeln.ü
Das neuerdings ausgegebene Mitgliederverzeichniß der Vereinigung der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer läßt ersehen, daß in ihr hauptsäch⸗ lich der landsässige Adel vertreten ist. Die Alvensleben und die Bredow, die Schulenburg und die Schwerin, die Wussow und die Wedell, die Stolberg, die Dohna, die Bülow und Andere finden sich darin bis zu vier⸗ und fünfmal vor. Fast sämmtliche Mitglieder sind ferner Groß⸗ grundbesitzer, unter ihnen auch 11 Mitglieder des preußischen Herren⸗ vauses. Das engere Comité der Vereinigung besteht aus den Herren Ude Graf zu Stolberg⸗Wernigerode, Graf v. d. Schulenburg⸗Beetzendorf, Freiberr von Thüngen⸗Roßbach, von Treskow⸗Grocholin, Graf Wila⸗ mowitz⸗Gadow, Schütze⸗Heinsdorf, Wilmanns⸗Berlin und M. Ant. Niendorf; Organ der Partei ist die von Letzterem geleitete „Deutsche Landeszeitung“. 2
Schon mehrfach sind Versuche gemacht worden, die durch das gegen⸗ wärtig herrschende Wirthschaftssyftem sich benachtheiligt glaubenden Grundbesitzer unter einer Fahne zu sammeln. biesem Sinne wirkte bereits vordem die „Deutsche Landeszeitung“; dasselbe Ziel hatte das seiner Zeit von einer Anzahl schlesischer Grund⸗ besitzer, Hrn. Elsner von Gronow an der Spitze, ausgegebene sogenannte Breslauer Programm im Auge. Der Kongreß
1“
Ge⸗
den 23. Mai
Berlin, Dienstag,
deutscher Landwirthe führte den norddeutschen Landwirthen Berufs⸗ und Gesinnungsgenossen aus Süddeutschland zu; mit unermüdlichem Eifer wußte der verstorbene Abgeordnete v. Wedemeyer hier die Ele⸗ mente jener Fraktion des Kongresses zu sammeln, aus der später die Vereinigung der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer nach langen Ver⸗ handlungen hervorging. Erst in der Zeit vom 22. bis 24. Fe⸗ bruar d. J. konstituirte sich dieselbe in Berlin mit folgendem Pro⸗ gramm:
„Die Vereinigung der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer hat den Zweck, die Ideen und Grundsätze einer gemeinnützigen, auf christ⸗ lichen Grundlagen beruhenden Volkswirthschaft im Volke zu verbrei⸗ ten und in der Gesetzzebung zum Ausdruck zu bringen. Diese Ideen und Grundsätze sind in folgenden Thesen zusammengefaßt:
1) Es ist zauf eine gleichmäßige Vertheilung aller Steuern hin⸗ zuwirken, damit der bis jetzt überbürdete Grundbesitz und die redliche Arbeit in allen Berufszweigen entlastet werde.
2) Die Doppelbesteucrung, welche in der Grund⸗, Gebäude⸗ und Gewerbesteuer liegt, ist zu beseitigen. Das Renteneinkommen ist höher zu besteuern, als das Arbeitseinkommen. Gegen die Steuer⸗ vngehnden des Geldkapitals sind wirksame Sicherheitsmaßregeln zu schaffen.
3) Auf der Grundlage des Freihandels stehend, sind die Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer Gegner der Schutzzölle, behandeln jedoch die Eingangs⸗ und Konsumtionszölle als eine offene Frage. ei allen Finanzzöllen und indirekten Steuern ist Fets darauf Bedacht zu neh⸗ men, daß sie nicht besonders schädlich auf einzelne Distrikte und Be⸗ völkerungsschichten einwirken. Die Einführung einer Börsenumsatz⸗ steuer nach dem Werthe, sowie eine Besteuerung der ausländischen Werthpapiere sind dringesd geboten. Die Stempel⸗ und Taxgesetz⸗ gebung ist einer Reviston zu unterziehen, behufs Lastenausgleichung zwischen Grundbesitz und beweglicher Habe.
4) Im Eisenbahnwesen ist es nothwendig, daß an die Stelle des Aktienbetriebes ein billiger lebenssicherer Staatsbetrieb mit Be⸗ seitigung aller Differentialtarife tritt, ohne daß der Besitzstand der einzelnen Staaten berührt wird.
5) Papiergeld auszugeben gebührt allein den gesetzgebenden Faktoren des Reiches, die Banknotenprivilegien sind zu beseitigen.
6) Das Aktiengesetz vom 11. Juni 1870 bedarf einer durch⸗ greifenden Reform. Insbesondere sind Schutzmaßregeln zu treffen gegen die sittlichen und wirthschaftlichen Gefahren, welche die unzu⸗ Verantwortlichkeit der Gründer und Vorstände nach
ch zieht.
7) Die Gewerbeordnung und das Unterstützungswohnsitz⸗Gesetz bedürfen dringend der Revision.
8) Den Verträgen zwischen ländlichen Arbeitgebern und Arbeit⸗ nehmern ist durch Gesetz eine Ferm anzuweisen, welche für beide Theile einen wirksamen Rechtsschutz im beschleunigten Verfahren mit vorläufiger ortspolizeilicher Entscheidung gewährt.
9) Bezüglich der Gerichtsorganisation ist die Einführung von Schöffengerichten in Erwägung zu ziehen. Der ländliche Grundbesitz ist von dem Zwange des römischen Rechts zu befreien. Insbesondere ist ihm eine seiner Natur entsprechende Verschuldungsform und ein den deutschen Sitten entsprechendes Erbrecht zu gewähren.“
Das erwähnte Verzeichniß zählt bis jetzt erst 481 Mit⸗ glieder, doch agitirt die Partei eifrig durch Versammlungen und zahlreiche Flugschriften. So fand in letzter Zeit namentlich in Breslau eine Versammlung von etwa 150 schlesischen Grundbesitzern statt, in der hervorragende Mitglieder der Partei, wie die HH. Dr. Perrot, v. d. Beerswordt, v. Gersdorff, Wermelskirch, ihr Programm dar⸗ legten und Beitrittserklärungen erzielten. Auch der Kongreß deutscher Landwirthe kann in gewisser Beziehung als zur Vereinigung der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer gehörig angesehen werden. Denn wenn derselbe auch in seiner, Ende vorigen Monats abse⸗ haltenen Versammlung den Antrag, völlig in die Vereini⸗ gung aufzugehen, noch ablehnte, so wählte er doch zum geschäftsführenden Ausschußmitgliede und Schriftführer einen Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer.
Unter den zahlreichen Flugschriften der Partei sind nament⸗ lich folgende größere hervorzubeben: „die ländliche Arbeiter⸗ trage und die unser ganzes Staatsleben korrumpirende Macht des Großkapitals. Von L. W. v. Wedemeyer.“ „Die „gol⸗ dene“ Internationale und die Nothwendigkeit einer sozialen Reform⸗ partei.“ Verfasser ist der Stadtgerichts⸗Rath Wilmanne in Berlin; als diese „goldene“ Internationale wird im Gegensatz zu der „rothen“ und der „schwarzen“ ebenfalls das Großkapital dargestellt. An weiteren Flugschriften sind aufzuführen: „Das Agrar⸗Wahlprogramm mit einem Rückblick auf das Breslauer Programm vom Jahre 1870 von M. Ant, Niendorf“. „Was wir wollen oder die zehn Wahl⸗ gebote. Ein Mahnwort an Bürger und Landmann“. „Die Ge⸗ heimnisse der herrschenden Wirthschaftspolitik und ihre monopolsüch⸗ tigen Tendenzen im Licht der modernen Zustände von M. Anton Niendorf“. „Ein Wort der Ueberlegung an die Agsrarier und an die Leser der Kreuzzeitung. Von O. Frhr. v. Monteton.“ Letztere redet einer Sammlung der konservativen Elemente unter der Bezeichnung „Agrarier“ als Parteiname das Wort und empfiehlt anf der Grundlage des Programms der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer eine Verständigung der gesammten kon⸗ servativen Partei mit dem Fürsten von Bismarckk.
Im Allgemeinen hat die Presse, und namentlich die liberale, an⸗ fänglich die Bewegung der Agrarier unterschätzt und nicht beachtet, höch⸗ stens daß einzelne Witzblätter diese oder jene der Partei angehörige Persönlichkeit zum Gegenstande nicht gerade immer angebrachter
lossen machten. Neuerdings hat indeß die nationalliberale Korrespon⸗ denz eine lebhafte Polemit gegen dieselben eröffnet. Dem ersten durch viele Blätter gegangenen Artikel derselben entnehmen wir fol⸗ gende Sätze: 1 1 1
„In ihren Programmen ꝛc. wissen sie (die Agrarier) die Wort so zu drehen, daß man es auf den ersten Blick mit den verständigsten und uneigennützigsten Vertheidigern der landwirthschaftlichen Inter⸗ essen zu thun zu haben glauben kann. Sieht man aber etwas näher zu, so entdeckt man leicht, daß die Leiter der Bewegung lediglich darauf ausgehen, unter dem Deckmantel der Vertretung landwirth⸗ schaftlicher Interessen die tiefherabgekommene altkonservative Partei neu zu beleben und den gesammten Grundbesitz jum Werkzeug der mit der herrschenden deutschen Politik wie der inneren Politik des preu⸗ ßischen Staates unzufriedenen altkonservativen Elemente zu machen. 88 den altpreußischen Provinzen stehen an der Spitze der Agraier die Anhänger der „Kreuzzeitung“; in der Provinz Hannover sind es die welfischen Partetführer, welche die Agitation am lebhaftesten be⸗ treiben; im Regierungsbezirk Cassel ist der althessische Adel die Seele der Bewegung. Diese Elemente also sind es, welche die nächsten Wahlen in ausschlaggebender Weise beeinflussen wollen.“
Schon vor derartigen Auslassungen der „N. L. C.“ hatten namentlich mehrere Provinzialblätter die Bedeutung der neuen Partei, und trotz ihres liberalen Standpunktes die Berechtigung eines guten Theiles ihrer Forderungen, anerkannt, obschon sie sich als entschiedene Gegner der Bewegung bekennen. So hat besonders die Schle⸗ sische Zeitung“ in einem längeren Leitartikel hervorgehoben, „daß sich die Mitglieder der Partei, und gewiß nur wenige nicht mit Recht, rühmen, in der Zeit des Gründertreibens an der Anbetung des goldenen Kalbes keinen Antheil genommen zu haben,“ dasselbe Blatt, das kürzlich in einem „Pro domo“ überschriebenen Artikel die bisherigen Parteiverhältnisse nicht geändert, wohl aber möglichst neue frische Kräfte und zwar Männer von unzweifelhafter Integrität in Reichs⸗ und Landtag gewählt wissen will. Sie
sowohl, wie die Berliner „Tribüne“ haben sogar vorgeschla⸗ gen, die liberalerseits anerkannt berechtigten Forderungen der Agrarier in das Programm der liberalen Parteien aufzunehmen, ohne indeß bei der Mehrzahl der Parteiblätter Anklang zu finden.
Die „Schles. Presse“ wentgstens erkennt zwar an, daß ein Theil des Programms der Agrarier von der liberalen Partei unterschrieben werden könne, „dasselbe sei indeß so verquickt mit reaktionären For⸗ derungen daß es im Ganzen abgelehnt werden müsse.“ In einer späteren Nummer stellt das nationalliberale Blatt den alten Reichs⸗ feinden, den Ultramontanen und Sozialdemokraten die Agrarier als neue Feinde an die Seite.
Nach anderer Richtung weist in ihrer Nummer vom 18. d. zialistischer Interessen hin, ouf die Sozialdemokraten und Schutzzöllner, welche für sich das Recht der redlichen Arbeit in Anspruch nähmen.“ Die meisten libe⸗ ralen Blätter reproduziren mit kleinen auf die örtlichen Verhält⸗ nisse bezüglichen Abänderungen die Ausführungen der „N. L. C.“.
Der letzte derselben bezog sich auf ein von der „Deutschen Presse“, dem bisherigen Organ des „Centralverbandes deut⸗ scher Industriellen; befürworteten Zusammengang bei bevorstehenden Wahlen und suchte denselben dadurch sprengen, daß sie dem mehr oder minder eine schutzzöllnerische Richtung verfolgenden Centralverband entgegenhielt, daß das Pro⸗ Bramm der Agrarier ausdrücklich die Satzung enthalte, sie seien, auf der Grundlage des Freihandels stehend, Gegner der Schutzzölle. Die „Deutsche Landeszeitung“ beantwortete indeß den Antrag damit, „daß beide Parteien zusammengehen könnten, um den übermüthigen Han⸗ dels-, Schacher⸗ und Börsengeist in seine Schranken zuruüͤckzudäm⸗ men, so lange könne die Zollfrage ausgesetzt sein.“
Andere liberale auch fortschrittliche Zeitungen argwöhnen in den Agrariern theils vom politischen, theils vom volkswirthschaftlichen Stand⸗ punkte aus, reaktionäre Bestrebungen; wir führen nur die „Voss. Z.“, das „Berl. Tagbl.“, die „Magd. Ztg.“, die „Köln. Ztg.“, den „Rhein. Kur.“ ꝛc. an.
Dem gegenüber liegt es nahe, die Stellung der Konservativen zu der neuen Parteibildung kurz zu kennzeichnen. Die „Kreuzzeitung“ ver⸗ hält sich — entgegen den Auslassungen der „N. L. C.“ —, trotzdem eine Anzahl ihrer Parteigenossen den Agrariern angehört, ablehnend zu der neuen, immerhin konservativen Gruppe. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ dagegen meint: „Im Anschluß an eine solide, auf dem Rechtsboden stehende und den Bedürfnissen der Zeit Rechnung tragende konserva⸗ tive Partei würden die Agrarier ihrem Ziel mit Aussicht auf Erfolg nachgeben können, ohne daß auf der einen wie auf der anderen Seite eine Befriedigung des Interesses durch die Aufopferung von Grundsätzen oder Pflichten zu erkaufen nöthig wäre.“ Auch im Königreich Sachsen beschäftigen sich, wie der „Leipz. Ztg.“ zu entnehmen, konservative Flugblätter mit der Steuer- und Wirthschaftsreform. So wird dem ge⸗ nannten Blatt aus dem 18. Reichstagswahlbezirk geschrieben: „Dem Verfasser des Aufsatzes über „die Vereinigung der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer oder Agrarier“ muß man es besonders Dank wissen, daß er uns auf genauer Sachkenntniß beruhende Auf⸗ schlüsse über eine erst in allerjüngster Zeit in unser öffentliches Leben getretene Bewegung giebt, welche von der Parteipresse geflissentlich zu verdunkeln gesucht wird, so daß darüber selbst unter Leuten, die nicht unter dem Parteibann stehen, die sonderbarsten Ansichten sich gebildet haben. Die Bewesung ist zur .eit noch in ihren ersten Anfängen, dürfte aber, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch eine bedeutsame Rolle in unserem politischen, wirthschaftlichen und sozialen Leben zu spielen berufen sein, denn mit Recht hebt der Verfasser hervor, daß die Agrarier alle stabilen Ele⸗ mente des Staats in sich schließen, daß sie das Fundament, auf dem der Staat ruht, vertreten, und daß dieser selbst in seinen Domänen und Forsten der größte Agrarier ist, wie denn nicht minder treffend betont wird, wie die Agrarier sich deshalb wesentlich von den Kapitalisten unterscheiden, weil sie bei den Wechselfällen des Staates im Unglück demselben nicht den Rücken kehren könnten und in jedem Falle für den Riß aufkommen müßten.“
Eine jedenfalls unerwartete Unterstützung hat neuerdings die Partei auch in der Provinz Posen erfahren. Der „Dziennik pozn.“ nämlich tritt in seiner letzten landwirthschaftlichen Rundschau offen als O gan der polnischen Agrarier auf und verlangt die Vereinigung derselben mit der deutschen zum Zweck der gemeinschaftlichen Agitation. Auf dem politischen und nationalen Gebiet, meint das polnische liberale Blatt, gebe es keine Anknüpfungspunkte zwischen den Polen und Deutschen, wohl aber auf dem wirthschaftlichen Gebiete, dessen Wichtigkeit von den Polen leider zu lange verkannt worden sei. Sollen diese Interessen der „goldenen Internationale“ gegenüber ihre energische Vertretung finden, so sei es nothwendig, daß die polnischen und deutschen Agrarier sich zum Kampfe gegen den gemeinsamen Feind fest verbinden. Die Ini⸗ tiative zu diesem Bündniß zu ergreifen, sei Pflicht des polnischen landwirthschaftlichen Centralvereins der Provinz Posen, der sich bereits anschicke, diese Pflicht zu erfüllen.“ —
Sogar die sozialdemokratische „Berliner Freie Presse“ widmet den ersten Regungen der Agrarier einen Leitartikel, derselbe schließt mit den Worten: 8
„Es kann von einem Zusammengehen der Sozialisten und Grund⸗ besitzer nicht die Rede sein, vielmehr stehen Erstere fest auf ihrem Boden und schauen unbekümmert zu, wie sich Agrarier und liberale Kapitalisten untereinander bekriegen. Wir meinen indeß, daß das Auftreten der neuen Partei der Grundbesitzer zu höchst interessanten politischen Wirrnissen führen wird.“
Im Herrenhause ergriff in der Sitzung vom 18. d. M. gelegent⸗
lich der ersten Berathung über den Gesetzentwurf, betreffend die Uebertragung der Eigenthums⸗ und sonstigen Rechte des Staats an Eisenbahnen auf das Deutsche Reich auch der Vorsitzende des engeren Ausschusses der Vereinigung, Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode das Wort und charakterifirte die Stellung seiner Pitei zu der vorliegenden Frage, wie überhaupt, in folgender Weise: „Der Rede des landwirthschaftlichen Ministers bei Berathung dieser Vorlage im Abgeordnetenhause kann ich nur meine vollste Anerkennung geben; ihre Grundgedanken waren hauptsächlich agrarische. Die Agrarier werden von allen Seiten verketzert; man schildert sie in einem Athemzuge als feudale Junker und als Sozialisten, als Ultra⸗ montane und als wüthende Kulturkämpfer. Diese Vorwürfe treffen schon deshalb nicht zu, weil die Agrarier sich überhaupt mit den Fra⸗ en der hohen Politik gar nicht beschäftigen, sondern nur die der Wirthschaftepolttik in ihren Gesichtskreis ziehen. Trotzdem dringen die Agrarier in immer weitere Kreise und finden immer mehr Anhang im Lande. Ein sehr gut redigirtes Blatt, die „Schles. Z.“, hat neulich bereits gesagt, es bliebe der liberalen Partei nichts weiter übrig, als das Programm der Agrarier in die Hand zu nehmen. Und allerdings, die Aner⸗ kennung kann ich der „Schlesischen Zeitung“ nicht versagen, daß sie sich stets vom „korrekten“ Gründerthum ebensoweit wie vom einkorrekten“ entfernt gehalten hat. Die Manchestertheorie hält bekanrntlich die freie Konkurrenz für das allein seligmachende Universalmittel gegen alle wirthschaftlichen Schäden, während der Sozialismus sie grund⸗ sätzlich verwirft. Wir, die Agrarier, stehen in der Mitte; wir ver⸗ schließen uns keineswegs den Vortheilen der freien Konkurrenz, meinen aber, daß es Gebiete giebt, wo sie entweder gar nicht oder nur im höchsten Grade schädlich wirkte und ein solches Gebiet sind in erster Linie die Eisenbahnen.“
neuerdings die „Tribüne“ Mts. auf eine Trias so⸗ „Ackersozialisten (Agrarier),