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das Gesetz den Gebrauch gewisser Betheuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Betheue⸗ rungsformel dieser Religionsgesellschaft abgiebt. Hierauf wurde der Gesetzentwurf, die provisorische Forterhebung der Steuern und Abgaben im Jahre 1878 betreffend,
ohne Debatte unverändert angenommen.
Mecklenburg. Schwerin, 24. November. Die Groß⸗ fürstin Wladimir, geb. Herzogin Marie von Mecklenburg, ist, wie die „Meckl. Anz.“ melden, am 14. d. M. in St. Pe⸗ tersburg von einem Prinzen entbunden worden, der den Namen Boris erhielt. — Aus den auf dem Landtage zu Sternberg gemachten Vorlagen in Betreff der neuen Gerichtsorganisation erhellt, daß das Großherzog⸗ thum Mecklenburg⸗Schwerin außer einem Ober⸗Landes⸗ gerichte in Rostock zwei Landgerichte in Schwerin und in Güstrow haben wird. Die Niedersetzung eines dritten Land⸗ eerichts für Marlow⸗Sülze ist aufgegeben worden. Die relitzsche Regierung hat sich darüber, ob es die Kreirung eines eigenen Landgerichtes für Mecklenburg⸗Strelitz oder den Anschluß an ein schwerinsches Landgericht beabsichtige, noch nicht ausgesprochen. Für den jähr⸗ lichen Etat des Ober⸗Landesgerichtes sind 143 210 ℳ prospizirt, die nach demselben Modus aufgebracht werden sollen wie bisher die Kosten des Ober⸗Appellationsgerichts. Der Etat der übrigen Gerichte, also der beiden Land⸗ und der 37 Amtsgerichte, erfordert jährlich 919 853 ℳ: aufzu⸗ bringen durch einen landesherrlichen Beitrag von 665 900 ℳ, durch den bisher aus der Landes⸗Rezepturkasse gezahlten Bei⸗ trag für die E von 92 800 ℳ und durch eine
itere jährliche Zahlung aus derselben Kasse von 160 853 ℳ
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SDesterreich⸗Ungarn. Wien, 25. November. In der estrigen Sitzung des Ausgleichsausschusses gab der andels⸗Minister v. Chlumetziy Erklärungen über jene Ver⸗
handlungen ab, welche wegen des Zolltarifs zwischen der
diesseitigen und der un arischen Regierung geführt wurden.
Während dieser Verhandlungen habe zuerst die ungarische Re⸗
gierung den Wunsch nach einer Erhöhung der Werthzölle ge⸗
äußert, im Laufe der Berathungen einigte man sfic jedoch,
Tarifpost für Tarifpost erörternd, zu den gegenwärtigen Sätzen,
für welche beide Regierungen nach wie vor einzustehen ent⸗
schlossen sind. Der Minister betonte, daß die ungarische Re⸗ gierung am leichtesten für die Finanzzölle zu gewinnen war, und erklärte, er könne nicht eindringlich genug rathen, an den
Finanzzöllen nicht zu viel zu mäkeln, weil dies nur zur Folge
ätte, daß in Pest bei den anderen Tarifposten Aenderungen vorgenommen würden.
— 26. November. (W. T. B.) Die „Wiener Zeitung“ veröffentlicht Kaiserliche Handschreiben an den Grafen Andrassy, den Minister⸗Präsidenten Fürst zu Auersperg und den Minister⸗Präsidenten v. Tisza, durch welche die .878..2 4 ec h auf den 5. Dezember nach Wien einberufen werden.
— 27. November. (W. T. B.) Zeitungsmeldungen aus Pest zufolge ist der englische Botschafter, Buchanan, zum Ab⸗ schluß eines Meistbegünstigungsvertrags zwischen En g⸗ land und Oesterreich⸗Ungarn ermächtigt und soll die diesbezügliche Deklaration der ungarischen Regierung bereits ausgearbeitet sein.
Pest, 24. November. Die „Bud. Corr.“ meldet: „Wiener Meldungen gegenüber können wir bestimmt versichern, daß die beiden Regierungen in Betreff der Eventualität, daß die Aus⸗ gleichsvorlagen bis Ende dieses Jahres nicht votirt wer⸗ den, noch keinerlei Beschlüsse gefaßt haben. Vorläufig wird noch immer Seitens der beiden Regierungen daran festgehal⸗ ten, daß diese Gesetzentwürfe noch in diesem Jahre erledigt werden sollen. Wenn aber in der einen oder der andern Legislative die Zeit dennoch zu kurz werden sollte, wird es jedenfalls nothwendig sein, ein kurzes, wenige Monate um⸗ fassendes Uebergangsstadium zu schaffen. Da aber dasselbe nur die Aufrechterhaltung des status quo in jeder Hinsicht in⸗ volviren kann, werden diesbezüglich weder zwischen den Re⸗ gierungen noch in den Legislativen längere Verhandlungen nothwendig sein und werden deshalb die beiden Ministerien vor Mitte Dezember in dieser Hinsicht kaum Beschluß fassen.“
— 26. November. (W. T. B.) Das Unterhaus hat sich bei der heutigen Berathung des Strafgesetzentwurfs dafür ent⸗ schieden, daß die Todesstrafe künftig nicht mehr durch den Strang, sondern durch das Fallbeil vollzogen werde.
Schweiz. Bern, 23. November. Die gestrige vom Departement des Fünemn einberufene Konferenz zur Be⸗ sprechung von Maßnahmen gegenüber dem Geheimmittel⸗ unwesen wurde von 15 Kantonen beschickt und von dem Bundes⸗Rath Droz präsidirt. Die übrigen Kantonsregierungen hatten sich einem einheitlichen Vorgehen nicht abgeneigt er⸗ klärt und um Zusendung des Protokolls ersucht. Von den vertretenen Kantonen sprachen sich 11 gegen 4 (Aargau, Baselstadt, Freiburg und Genf) für die Erlassung eines Bundesgesetzes, statt für den Abschluß eines Konkordates aus, und es wurde das Departement des Innern beauftragt, eine Sechserkommission zur Ausarbeitung eines öu“ Entwurfes zu ernennen, der in etwa 3 Monaten wieder der größeren Konferenz zu unterbreiten wäre.
Belgien. Brüssel, 22. November. Die in der Thron⸗ rede verheißene Vorlage über Vermehrung der Reprä⸗ sentanten⸗ und Senatssitze ist der Kam mer zugegan⸗
en. — Bei der heute Vormittag erfolgten Ueberreichung der
dresse der Kammer an den König erklärte derselbe, es sei ihm „ein Vergnügen, die Liebe der ganzen Nation zu den konstitutionellen Einrichtungen und großen Freiheiten Belgiens konstatiren zu können.“
Großbritannien und Irland. London, 24. November. Eine Abgesandtschaft des landwirthschaftlichen Vereins wurde 2n. von dem Earl of Beaconsfield empfangen und egte demselben die Wünsche des Vereines, betreffend Maß⸗ regeln gegen ie Rinderpest, vor. Der Premier⸗Minister erklärte, die egierung beabsichtige, in der nächsten Session einen darauf bezüglichen Gesetzentwurf einzubringen. — Lord Selborne hat die Wahl zum Lordrektor der Uni⸗ versität St. Andrews angenommen. — Im Laufe dieser Woche sind aus dem Woolwicher Arsenal 60 Tons Mu⸗ nition, darunter 1 E11 nach dem Kap der
uten Hoffnung abgeschickt worden. Bei nächster Gelegen⸗ heit werden auch verschiedene Geschütze für die Kolonie der Goldküste von hier abgehen. — England hat einen weite⸗ ren Schritt zur Civilisation Afrikas gethan, indem, wie
sucht habe.
der „Standard“ erfährt, der König von Lucalla, (ein im Süd⸗
osten von St. Paul de Loanda liegender 22 bewogen worden, sich zu verpflichten, allen Menschenopfern unter sei⸗
nem Volke ein Ende zu setzen.
Canada. Aus Halifax wird unterm 23. d. Mts. ge⸗ meldet: „Die Fischerei⸗Kommission hat Großbritannien die Summe von 1 500 000 Dollars zugesprochen. Der Präsi⸗ dent und die Herren Deforse und Galt stimmten für diese Entscheidung, der Kommissar der Vereinigten Staaten da⸗ gegen.“
Frankreich. Paris, 25. November. Der Kriegs⸗ Minister General Rochebouet hat den General Ba⸗ ron Berge, Befehlshaber der 23. Infanterie⸗Brigade in Mezieres, der Minister des Auswärtigen Marquis von Banneville den bisherigen Preßleiter im Auswär⸗ tigen Amte, Baron von Wimpffen, 2 seinem Kabinets⸗ chef ernannt. — Das „Journal officiel“ meldet im Anschluß an die neue Ministerliste, daß Baron Reille, der bisherige Unter⸗Staatssekretär im Ministerium des Innern, seine Ent⸗ lassung gegeben hat.
— 26. Norxember. (W. T. B.) Der zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten ernannte Marquis von Banne⸗ ville hat seine Ernennung gestern dem diplomatischen Corps notifizirt und den Botschaftern Besuche abgestattet. Der zum zweiten Kabinets⸗Chef im Ministerium des Auswärtigen ernannte Graf von Banneville ist der älteste Sohn des Ministers und war bisher Sekretär bei der französischen Gesandtschaft in München. — Die Wahl von 2 neuen lebenslänglichen Senatoren an Stelle der verstorbenen Senatoren Franclieu und Lanfrey soll am 4. k. M. stattfinden. Die Mitglieder der Rechten des Senats haben sich dahin geeinigt, den Baron de Larcy, einen gemäßigten Legitimisten, und den Bonapar⸗ tisten Ferdinand Barrot zu wählen; durch die Wahl derselben würde die eine Auflösung der Deputirtenkammer zugeneigte Majorität des Senats abermals um 2 Stimmen vermehrt werden.
— 27. November. (W. T. B.) Wie die „Gazette des Tribunaux“ meldet, sind in der letzten Nacht in verschiedenen Vierteln von Paris beleidigende und drohende, gegen die Regierung gerichtete Plakate angeschlagen worden. Gestern sind mehrere Personen wegen Straßenlärms und auf⸗ rührerischer Rufe verhaftet worden. — Der „Figaro“ be⸗ richtet, daß, sobald die Auflösung der Deputirten⸗ kammer ausgesprochen wäre, der Belagerungszustand in verschiedenen Departements proklamirt werden würde, namentlich in solchen, in welchen die Journale die Disziplin der zum Gegenstand ihrer Besprechungen machen würden.
Versailles, 26. November. (W. T. B.) In der heu⸗ tigen Sitzung des Senats verlangte Feray, von der Linken, die Dringlichkeit für seinen Antrag auf Einsezung einer Untersuchungskommission über die Ursache des Darniederliegens des Handels und der Industrie. Pouyer⸗Quertier hob hervor, daß die mißliche Lage der In⸗ dustrie kein Frankreich speziell treffendes Uebel sei, sondern daß es bei allen Nationen herrsche. Der Handels⸗Minister er⸗ klärte sich ebenfalls für die Dringlichkeit, worauf dieselbe mit Einstimmigkeit beschlossen wurtzze. Auf Verlangen Pourcets
wurde die Diskussion über den Gesetzentwurf, betreffend den
Generalstab, auf nächsten Montag vertagt.
In der Deputirtenkammer beantragte der Mi⸗ nister des Innern, Welche, bei der Berathung des Budgets, zunächst die Kapitel, betreffend die direkten Steuern, zu berathen und zu votiren. Der Minister ver⸗ langte die Dringlichkeit für diesen Antrag, welcher an die Budgetkommission verwiesen wurde. Bardoux, von der Linken, brachte zwei Anträge ein auf Abänderung des Ge⸗ setzes über den Belagerungszustand und des Preß⸗ gesetzes. Die Dringlichkeit wurde für beide Anträge ange⸗ nommen, für den ersten mit 327 gegen 50, für den zweiten mit 328 gegen 47 Stimmen. Die Verifikation der Wahl des früheren Ministers des Innern, de Fourtou, wurde bis nach der Vernehmung der Beamten des Wahl⸗ kreises Ribérac durch die Untersuchungskommission vertagt.
Schweden und Norwegen. Die amtliche „Post⸗och⸗ Inrikes⸗Tidningar“ veröffentlicht den Vertrag wegen Rückgabe der Insel St. Barthéelemy an Frankreich. Danach zahlt Frankreich eine Entschädigungssumme von 80 000 Fr. für den Ftsbalh auf St. Barthélemy, und für den Rück⸗ transport und die Pensionirung der schwedischen Beamten auf der Insel weitere 320 000 Fr. Die Besitznahme der Insel, sowie die Uebergabe der Akten und Archive erfolgt sofort nach Ratifikation des Vertrages, welcher von dem bisherigen fran⸗ zösischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herzog Decazes, und dem schwedischen Minister Adelswärd unterzeichnet ist. Der Vertrag datirt vom 10. August. Die näheren Be⸗ dingungen sind in einem, Paris, 31. Oktober, datirten Proto⸗ koll festgestellt. Der König von Schweden hat die Ratifikation bereits vollzogen.
Der russisch⸗türkische Krieg.
Wien, 27. November. (W. T. B.) Die hiesigen Jour⸗ nale bezeichnen übereinstimmend die Nachricht, daß der tür⸗ kische Botschafter die Vermittelung des Grafen Andrassy zur Herbeiführung des Friedens angerufen habe, als un⸗ begründet. 8
— (W. T. B.) Der „Cölnischen Zeitung“ vom 26. wird aus Wien gemeldet, der dortige türkische Botschafter, Essad Bey, habe seit seiner Anwesenheit in Pest vor 14 Tagen den Grafen Andrassy nicht wieder gesehen. In türkischen Kreisen werde versichert, daß er weder damals, noch jetzt, eine Frie⸗ densvermittelung bei der österreichischen Regierung nachge⸗
8 Europäischer Kriegsschauplatz. 15
St. Petersburg, 26. November. (W. T. B.) Ein offizielles Telegramm aus Bogot vom 25. d. meldet nachfolgende Details über die am 23. d. erfolgte Ein⸗ nahme der Position von Praweza: Am 22. d. ver⸗ drängten die russischen Hauptkräfte unter Befehl des Grafen Schuwaloff die Türken. Unsere Truppen besetzten eine Praweza gegenüber gelegene Stellung, begannen sich zu be⸗ festigen und brachten auf fast unzugängliche Höhen Artil⸗ lerie, um die Türken glauben zu machen, man beabsich⸗ tige einen Frontalangriff. Während des ganzen 22. und
in der darauf folgenden Nacht bis zum Morgen des
23. unterhielten unsere Truppen mit dem Feinde ein leichtes Geplänkel. Unterdessen wurde die Aufmerksamkeit der in Orkhanie und Etropol stehenden türkischen Truppen durch einen demonstrativen Vormarsch abgezogen, welchen die De⸗ tachements aus Wraza gegen Orkhanie und auf den beiden Ufern des Isker und zwei andere russische Kolonnen gegen Etropol simulirten. Der Hauptschlag war gegen die linke Flanke und gegen den Rücken der Türken vorbereitet. Am 21. d. war die Kolonne des Generals Rauch aufgebrochen und hatte beim Passiren steiler Bergklüfte ihren Weg mittelst Dynamitsprengungen gebahnt. Die Geschütze wurden zum Theil von den Mannschaften getragen. Nach einem 49 Stun⸗ den langen ununterbrochenen Kampfe und nach unglaublichen Schwierigkeiten erreichte die Kolonne die linke Flanke der unzu⸗ gänglichen türkischen Position am 23. d. Mittags, griff 2v an und warf denselben aus der Position. Die Türken flohen unter einem Hagel von Granaten der Artillerie des Grafen Schuwaloff. Die Kolonne des Generals Rauch verfolgte trotz ihrer Ermattung die Türken bis Nachmittags 5 Uhr. um welche Zeit der Nebel den fliehenden Feind verbarg. Die Russen besetzten die so schwer errungene Position und rückten auf der Straße nach Orkhanie, beinahe bis Lascheni vor. In der Kolonne des Generals Nauch, welche den Kampf entschied, befanden sich das Semenoffki'sche Regi⸗ ment, die Schützen Sr. Majestät und der Kaiserlichen Familie, 3 Sotnien der kaukasischen Kosakenbrigade, eine Kosakenbatterie und ein Peloton der reitenden Gebirgs⸗Batterie. Der Verlust der Russen ist nicht bedeutend. Bis jetzt sind 70 verwundete Soldaten und 2 verwundete Offiziere festgestellt. Die Zahl der bisher eingebrachten gefangenen Türken beträgt 1 Offizier und 70 Mann. 1 — Betreffs ber eisernen Cylinderbrücke, welche die Russen bei Wardim projektirt haben sollen, schreibt man der „P. C.“ unterm 15. d. M. aus Simnitza Folgendes: „Man hofft, daß die Brücke dem Eisgange der Donau werde widerstehen koͤnnen. Nach der Meinung Sachverständiger scheint dies aber nicht leicht möglich zu sein. Jedenfalls darf die russische Kriegsleitung sich darauf gefaßt machen, während des Eisganges ein paar Wochen ohne Verbindung mit dem linken Donau⸗Ufer bleiben zu müssen, und hat sie thatsächlich alle Maßre eln für eine solche Eventualität getroffen. Es könnte aber leicht der Fall eintreten, daß die Donau gar nicht zufriert. In 40 Jahren, von 1835 bis 1875, war die Donau einmal im November, neunzehnmal im Dezember, siebenmal im Januar, fünfmal im Februar und achtmal gar nicht zugefroren. Es ist also die Möglichkeit vorhanden, daß die Verbin⸗ dung nicht anders als durch den Eisgang der oberen Donau unter⸗ brochen wird. Letzterer dauert aber gewöhnlich höchstens acht Tage, während der allgemeine Eisgang viel länger währt und mit viel mehr Gefahren verbunden ist. Jedenfalls ist der Fluß niemals vor
4 dem 7. Dezember (n. St.) zugefroren und die Durchschnittsdauer der
Frostzeit ist 40 Tage, während welcher die Verbindung eine leichte ist, weil das Eis stark genug ist, um die schwerste Artillerie passiren zu lassen.“
(W. T. B.) Aus Belgrad vom 26. d. wird der W. „Presse“ telegraphirt: Die Corps⸗Kommandanten melden von der Grenze übereinstimmend, daß eine große Anzahl türkischer irregulärer Truppen, die aus Bosnien und vom Schipkapasse desertirten, sich an der serbischen Grenze sammeln. Die serbische Grenzbevölkerung, welche bisher gegen den Krieg war, verlangt jetzt dringend Militär und Waffen.
Wien, 26. November. (W. T. B.) Wie der „Poli⸗ tischen Korrespondenz“ aus Cettinje gemeldet wird, haben die Montenegriner am 24. cr. Nachts die Spizza und den Hafen von Spizza dominirenden Forts Hainehai und Go⸗ lobrdo, letzteres nach mehrstündigem erbittertem Kampfe, ge⸗ nommen. Die Montenegriner halten nunmehr das ganze Ge⸗ biet bis zur Bojana besetzt, mit Ausnahme der Citadelle von Antivari und Duleigno. — Gleichzeitig wird aus Cattaro signalisirt, daß am 25. cr. Nachmittags mehrere türkische Krregsschiffe von Korfu nordwärts, wahrscheinlich zum Entsatz der albanischen Küste, abgedampft seien, jedoch einen schweren Sirocco hatten.
— Vom montenegrinischen Kriegsschauplatze wird der „Times“ unter dem 23. November berichtet:
„Verwundete Montenegriner, die hier eingetroffen, berichten, daß Sonntag Nachmittag die Division Plamenacs auf Skutari vor⸗ rückend, die türkischen Truppen bei Anamalite hinter drei Brust⸗ wehren, die sich von den Hügeln bis zur Bojana erstrecken, verschanzt fand. Ein Nachtangriff ward durch 600 Freiwillige unternommen, die die ersten beiden Linien nahmen, aber beim Angriff der dritten auf eine weit überlegene Zahl von Türken stießen und mit einem Verluste von 20 bis 30 Todten und ungefähr 100 Verwundeten zu⸗ rückgetrieben wurden, worauf der Angriff aufgegeben ward. Das Treffen beweist, daß die Angabe, das rechte Flußufer sei in den Händen der Montenegriner, unbegründet war. Die Oertlichkeit be⸗ findet sich zwischen Antivari und Skutari.“
Das Wiener „Fremdenblatt“ meldet aus Ragusa, 23. November:
„Die Belagerung von Antivari zieht sich in die Länge. Da den Montenegrinern das nöthige Positionsgeschütz fehlt, beschloß der 6 die Stadt durch Hunger und Durst zur Uebergabe zu bestimmen.
i, Folge dessen wurde die Zerstörung der Wasserleitung befohlen.“
Asiatischer Kriegsschauplatz.
Tiflis, 23. November. (W. Pr.) Das Rioncorps hat beträchtliche Verstärkungen und schweres Geschütz erhalten, woraus auf die Eröffnung von entscheidenden Operationen gegen Batum geschlossen wird. Vorläufig befinden sich die Truppen Oklobdschia’s noch immer in den befestigten Positio⸗ nen Muhanstate, er selbst in Dschihangir. — Die Kabar⸗ dinzen haben vier Reiter⸗Regimenter dem Fürsten Melikoff zur Verfügung gestellt. — 6000 Gurier und Kabuleten, welche ehemals den Islam angenommen hatten, kehren zur orthodoxen Kirche zurüͤck. Die grusischen Fürsten Tawgeridse, Dadian, Gurieli u. A. machen Propaganda in dieser Nichtung.
Aus Moskau erhält die sammenstellung der russischen Verluste und der von den Russen erbeuteten Trophäen.
Die russischen Verluste betragen bis Mitte November 67 303 Mann, darunter 14 Generale, 1 kaiserlicher Prinz, 4 Prinzen aus dem Hause Rurik, 1 persischer Prinz, 6 russische Fürsten, 12 gru⸗
W. „Presse“ folgende Zu⸗
sinische Fürsten, 16 Grafen und 21 Barone. Die türkischen Ge⸗ fangenen betragen an 44 000 Mann, darunter 16 Paschas, an 500 Of⸗ fiziere, 701 Geschütze; an Trophäen 200 Fahnen, 2 Monitors,
Dampfer. Die an Munitions⸗ und Proviantvorräthen gemachte Beute repräsentirt einen Werth von 14 Millionen Rubel. Nach der Zusammenstellung der einzelnen Affairen wurden zu Gefangenen emacht: bei Ardahan 7000, Begli⸗Achmed 300, Seidekan 500, agni 800, Bajazid 300, Aladschadag 7000, Kars 12 000, Dewe⸗ Bojun 3500, A S. 500, Nikopolis 7800, in den Balkankämpfen 500 und bei Telisch 35 Mann.
(Wahl der Gemeindevertretung.
— Ueber die Art und Weise, wie in Konstantinopel die Verluste der Türken und Russen berichtet und in Ta⸗
bellen zusammengestellt werden, schreibt der Berichterstatter der *. — Pera: 9 6ee
„Die Erbitterung gegen die Christen erhält sich ungeschmälert. Dies tritt für den Beobachter jeden Tag und in jedem .—ö Falle hervor. So meldete dieser Tage ein offizielles Bulletin den
dod des Generals Lehman in einem Kampfe, der in Schipka statt⸗ gefunden hatte. Dieser General war seit vielen Jahren im Dienste der Türken gewesen und hatte denselben große Dienste geleistet. Die offiziellen Bulletins machen stets einen Unterschied zwischen Russen und Türken in den Ausdrücken. Wenn die Zahl der ge⸗ fallenen Türken an egeben wird, bedient man sich stets des Ausdrucks „naaschs, welcher einen leblosen menschlichen Körper bedeutet und das Prädikat sterben erfordert, wäh⸗ rend die Zahl der todten Russen mit dem Worte „lesche angegeben wird, das ein todtes Thier bedeutet und das Zeitwort gkrepiren“ erfordert. Auf dieselbe Weise wurde der Tod des Generals Lehman ganz einfach mit den Worten „er wurde getödtet“ ange⸗ führt, während die Zahl der übrigen gefallenen Türken mit dem Worte „Cheide“ (Martyr) bezeichnet, und dies dem Koran zu Trotz, welcher ausdrücklich angiebt, daß eine jede Person welche für den Islam falle, ein Cheide sei. Ein orthodoxer Türke, der über diesen einzelnen Fall befragt wurde, gab zur Antwort: „Lehman sei nicht wie die übrigen Christen in die Hölle ge angen, sondern an einen Platz im Himmel, welcher den amen „Perzak“ trage, und dem Orte entspreche, in dem sich, der christlichen An⸗ schauung zufolge, Kinder befinden, welche gestorben sind, ohne getauft worden zu sein.“ Diese philologischen Belege, auf welche Weise selbst in officiellen Dokumenten der Leichnam eines Russen ein Aas genannt wird, sind durchaus nicht als kleinlich zu betrachten. In den Augen der Millionen wird der Unterschied zwischen Christen und Türken auf eine grelle Weise aufrecht erhalten. Die Art und Weise, auf welche die verwundeten Russen behandelt werden, beweist übrigens noch weit mehr, daß in den Augen der Türken ein christlicher Feind einem Ungeziefer gleichkomme. Dieser Tage kam Dr. Maec Weller von Orkhanie und Schipka hier an. Derselbe ist als einer der ersten Aerzte Londons bekannt und er hat auffallende Beweise dafür ge⸗ liefert, daß die türkischen Truppen alle russischen Verwundeten ohne Ausnahme nicht nur tödten, sondern dieselben auch auf eine schreck⸗ liche Weise verstümmeln.“
Landtags⸗Angelegenheiten.
Berlin. Dem Hause der Abgeordneten ist folgender Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Zuständig⸗ keit der Verwaltungsbehörden und der Verwal⸗ tungsgerichte in städtischen Zemeindeangelegen⸗ heiten im Geltungsbereiche der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875, zur verfassungsmäßigen Beschluß⸗ fassung vorgelegt worden:
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen ꝛc. verordnen mit Zustimmung beider Häuser des Landtages für die Peseen. Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen was folgt:
Eingangsbestimmung.
§. 1. Das gegenwärtige Gesetz kommt zur Anwendung:
1) in allen Gemeinden, in welchen die Städteordnung vom 30. Mai 1853 (Ges. S. S. 261) gilt;
2) in allen Städten von Neuvorpommern und Rügen.
Wo in dem gegenwärtigen Gesetze auf gesesriche Vorschriften Bezug genommen wird, sind darunter auch die Bestimmungen der Stadtrezesse, Ortsstatuten und sonstiger rechtsgültiger Verfassungs⸗ normen zu verstehen.
Grundlagen der städtischen Verfassung.
§. 2. Der Regierungs⸗Präsident beschließt fortan über die Ver⸗ einigung von Grundstücken, welche bisher noch keinem Gemeinde⸗ oder selbständigen Gutsbezirke angehört haben, mit einem Stadtbezirke, gemäß §. 2 E 2 der Städte⸗Ordnung vom 30. Mai 1853.
Der Beschluß bedarf der Zustimmung des Bezirksrathes, wenn der Vereinigung Seitens der Betheiligten widersprochen ist.
Der Regierungs⸗Präsident beschließt ferner über die Ge⸗ nehmigung zur Abtrennung einzelner Grundstücke von einem Stadtbezirke und deren Vereinigung mit einem angren⸗ zenden Gemeinde⸗ oder selbständigen Gutsbezirke, sowie zur Abtren⸗ nung einzelner bisher zu einer anderen Gemeinde oder zu einem selbst⸗ ständigen Gute gehörender Grundstücke und deren Vereinigung mit einem angrenzenden Stadtbezirke, wenn außer der Vertretung der betheiligten Gemeinden und den betheiligten Gutsbesitzern auch die Eigenthümer jener Grundstücke darin einwilligen (§. 2 Abs. 4 a. a. O.). Die Genehmigung kann jedoch nur mit Zustimmung des Bezirks⸗ rathes versagt werden.
Durch Königliche Verordnung können im öffentlichen Interesse, nach Anhörung des Provinzialrathes, ländliche Gemeinde⸗ und selbst⸗ ständige Gutsbezirke, welche von einem Stadtbezirke umschlossen sind, demselben auch ohne Behhesaung der beühei ghe⸗ Gemeinde bezie⸗ hungsweise des betheiligten Gutsbesitzers einverleibt werden.
Die in Folge einer derartigen Bezirksveränderung nothwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den Betheiligten ist durch den Regierungs⸗Präsidenten oder durch einen von demselben ernannten Kommissar zu bewirken. Zu ihrer Feststellung genügt, wenn die Betheiligten einig sind, die Genehmigung des Regierungs⸗Präsidenten, welche nur mit Zustimmung des Bezirksrathes versagt werden kann. Streitigkeiten, welche bei der Auseinandersetzung entstehen, unter⸗ liegen der Entscheidung des Bezirks⸗Verwaltungsgerichts.
Im Uebrigen behält es bei dem §. 2 der Städte⸗Ordnung vom 30. Mai 1853 mit der Maßgabe sein Bewenden, daß an die Stelle der in demselben vorgeschriebenen Anhörung des Kreistages die An⸗ bar, Kreisausschusses tritt.
„Mit den vorstehenden Abänderungen kommt der §. 2 der Städte⸗Ordnung vom 30. Mai 1853 fortan auch in Neuvorpommern und Rügen 82 Anwendnng.
§. 3. treitigkeiten über die bestehenden Grenzen von Stadt⸗ bezirken, sowie über die Eigenschaft einer Ortschaft als Stadt⸗ gemeinde unterliegen der Entscheidung des Bezirksverwaltungsgerichtes.
§. 4 Streitigkeiten über die Verpflichtung zum Erwerbe des Bürgerrechtes, die Aufnahme als Bürger (Ertheilung des Bürgerbriefes), vie i eporigtei zu einer bestimmten Bürgerklasse oder die Entziehung des Bürgerrechtes unterliegen der Entscheidung des Bezirksverwal⸗ tungsgerichtes. Die Klage findet innerhalb ein und zwanzig Tagen gegen den von dem Gemeindevorstande ergangenen Beschluß, welcher den Gegenstand der Anfechtung bildet, statt.
.5. Die Bestätigung von statutarischen Anordnungen über Angelegenheiten, welche die Verfassung der Stadtgemeinden betreffen, erfolgt an Stelle der Bezirksregierung fortan durch den Regierungs⸗ Präsidenten. Dieselbe kann jedoch nur mit Zustimmung des Be⸗ zirksrathes versagt werden.
(Stadtverordneten⸗ versammlung, bürgerschaftliches Kollegium.) §. 6. Die Befugnisse, welche der §. 15 und der §. 21 Absatz 2 der Städteordnung vom 30. Mai 1853 der Bezirksregierung zugewiesen haben, gehen auf den Regierungs⸗Präsidenten über, welcher dieselben jedoch nur mit Zustimmung des Bezirksrathes ausüben kann. 8 8— 7. Die Beschlußfasfung über Beschwerden und Einwendungen, elche 1) die Zulassung zur Theilnahme an den Wahlen zur Gemeinde⸗ vertretung oder die Richtigkeit der Wählerliste, 2) n be den Wahlen zuec Gemeindevertretung stattgehabte erfahren, detreshe liegt der Gemeindevertretung ob. 8 hegen den Beschluß derselben findet innerhalb zehn Tagen die
2 5 2 — 11“ 8 Klage bei dem Bezirksverwaltungsgerichte statt. Befugt zur An stellung derselben ist auch der Gemeindevorstand. Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung; jedoch dürfen vor ergangener rechtskräftiger Entscheidung Ersatzwahlen nicht veranlaßt
werden. „Wahl des Magistrats.
§. 8. Die Bestätigung des Bürgermeisters, der Beigeordneten und der Magistratsmitglieder erfolgt, soweit sie nach den gesetzlichen Vorschriften bisher der Bezirksregierung zustand, fortan durch den Ober ehen.
uf letzteren geht auch die Befugniß der Bezirksre ierung zur Anordnuug der kommissarischen Verwaltung einer Stelle im Ge⸗ meindevorstande in den gesetzlich vorgesehenen Fällen über. EIE die Stelle der Befugniß des bürgerschaftlichen Kolle⸗ giums, die Kassation der Wahl eines Magistratsmitgliedes (Raths⸗ herrn) bei der Bezirkmegierung zu beantragen, tritt das Recht zur Anfechtung einer solchen Wahl mittelst Klage bei dem Bezirks⸗ verwaltungsgerichte. Die Klage ist binnen zehn Tageu nach voll⸗ zogener Wahl anzubringen. Dieselbe hat keine aufschiebend Wirkung. Versammlungen und Geschäfte der Gemeinde⸗ 8 vertretung. E 3 §. 10. Versagt der Magistrat einem Beschlusse der Gemeinde⸗ vertretung, oder versagt letztere einem Beschlusse des Magistrats die gesetzlich erforderliche Zustimmung, und gelingt es auf dem für solche Fälle vorgeschriebenen Wege nicht, einen übereinstimmenden Beschluß beider Kollegien herbeizuführen, so bleibt die den Gegen⸗ — der Meinungsverschiedenheit bildende Angelegenheit auf sich eruhen.
Es sind jedoch in solchen Fällen sowohl der Magistrat als die Gemeindevertretung befugt, die Entscheidung des Bezirksraths anzu⸗ rufen, wenn sie eine Beschlußfassung in der Angelegenheit im Ge⸗ meindeinteresse für unaufschiebbar erachten. Darüber, ob ein solcher
all vorliegt, hat der Bezi-ksrath vorweg zu befinden. Ausge⸗ chlossen ist die Zuständigkeit des Bezirksrathes in den Fällen des §. 26 dieses Gesetzes. „ Streitigkeiten der beiden städtischen Kollegien über die gegen⸗ seitigen “ sind mittelst Klage bei dem Bezirksverwaltungs⸗ gerichte zum ustrage zu bringen. * §. 11. Die für den Fall der Beschlußunfähigkeit der städtischen Kollegien wegen zusammentreffenden persönlichen Interesses ihrer Mitglieder der Bezirksregierung gesetzlich zugewiesenen Befugnisse und Obliegenheiten werden fortan durch den Bezirksrath wahr⸗ genommen. 3
§ 12. Die Festsetzung der in den Geschäftsordnungen wegen Zuwiderhandlung gegen die zur Aufrechthaltung der Ordnung ange⸗ drohten Strafen steht der Gemeindevertretung zu.
Gegen den Beschluß derselben findet innerhalb zehn Tagen die Klage bei dem Bezirksverwaltungsgerichte statt.
§. 13. Die für die Verwaltung der Gemeindeanstalten zu er⸗ lassenden Reglements bedürfen fortan der Genehmigung des Regie⸗ rungs⸗Präsidenten, insoweit im 9. 120 der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 (Ges.⸗Samml. S. 89 für die Reglements gleicher Anstalten der Provinzalverbände die Genehmigung der zuständigen Minister vorgeschrieben ist. Hinsichtlich der städtischen Sparkassen bewendet es bei den darüber bestehenden besonderen Vorschriften.
Im Uebrigen unterliegen die Beschlüsse der städtischen Gemeinde⸗ behörden fortan der Genehmigung des Regierungs „Präsidenten in demjenigen Umfange, in welchem sie bisher der enehmigung, Be⸗ stätigung oder Zustimmung der Bezirksregierung bedurften.
Es kann jedoch die Genehmigung
1) zur Veräußerung von Grundstücken und Immobiliarrechten, zur Aufnahme von Anleihen, zu Veränderungen in dem Genusse von Gemeindenutzungen, zu Anordnungen über die Entrichtung von Bürgerrechts⸗ „ggeld (Bürgergeld) und von Einkaufsgeld nur mit Zustimmung des Bezirksrathes versagt werden.
Zum Erwerbe von Grundstücken durch eine Stadtgemeinde be⸗ darf es einer Genehmigung fortan nicht mehr.
Die Kabinetsordre vom 20. Juni 1830, betreffend die Erhaltung der Stadtmauern (Gesetz⸗Samml. S. 113) kommt fortan nur auf Festungsstädte zur Anwendung.
Geschäfte des Magistrats.
§. 14. Der Bürgermeister ist befugt und verpflichtet, solchen Beschlüssen des Magistratskollegiums, welche dessen Befugnisse über⸗ schreiten oder sonst die Gesetze verletzen, die Ausführung zu versagen. Beharrt das Magistratskollegium bei einem derartigen Beschlusse, so hat der Bürgermeister die Entscheidung mittelst Klage bei dem Be⸗ zirksverwaltungsgerichte herbeizuführen. Das Magistratskollegium fann einen dbemmn Vertreter zur Ausführung seiner Rechte be⸗
ellen.
§. 15. Die Genehmigung zur Uebertragung einzelner der nach §. 62 Ziffer I. und II. der Städte⸗Ordnung vom 30. Mai 1853 dem Bürgermeister obliegenden Geschäfte an ein anderes Magistrats⸗ mitglied steht fortan dem Regierungs⸗Präsidenten zu.
Im Uebrigen bewendet es in Betreff der Verwaltung der Orts⸗ polizei und ihres Verhältnisses zu den vorgesetzten Staatsbehörden bei den darüber bestehenden besonderen gesetzlichen Vorschriftev.
Gehälter und Pensionen.
z. 16. Die Festsetzungen in Betreff der Besoldungen und Dienstaufwands⸗Entschädigungen der städtischen Gemeindebeamten, sowie die mit diesen Beamten hinsichtlich der Pension getroffenen Vereinbarungen unterliegen in dem Umfange, in welchem sie bisher der Genehmigung der Bezirksregierung bedurften, fortan der Geneh⸗ migung des Regierungs⸗Präsidenten, welche jedoch nur mit Zustim⸗ mung des Bezirksraths versagt werden kann.
Bei wiederholter Versagung der Genehmigung setzt der Bezirks⸗ rath die Höhe der Besoldung und Dienstunkosten⸗Entschädigung von Amtswegen fest.
§. 17. Streitigkeiten über Pensionsansprüche der städtischen Gemeindebeamten werden, soweit sie die Watfache des Eintritts der Dienstunfähigkeit betreffen, in dem §. 28 Ziffer 3 dieses Gesetzes vorgesehenen Verfahren entschieden. 8
Ist dagegen der Betrag der zu gewährenden Pension streitig, so beschließt darüber der Regierungs⸗Präsident, vorbehaltlich des ordent⸗ lichen Rechtsweges. Der Beschluß ist vorläufig vollstreckbar.
Gemeindehaushalt.
§. 18. Auf Reklamationen, welche betreffen:
1) das Recht zur Mitbenutzung der öffentli hen Gemeindeanstalten, sowie zur Theilnahme an den Nutzungen und Erträgen des Ge⸗ meindevermögens, oder
2) die Heranziehung oder die Veranlagung zu den Gemeindelasten mit Einschluß des Bürgerrechtsgeldes (Bürgergeldes), des Einkaufs⸗ geldes bezw. der an Stelle desselben zu entrichtenden Abgaben und der Kriegsleistungen (§. 6 des Reichsgesetzes vom 13. Juni 1873 — Reichsgesetzblatt S. 129), sowie die Verpflichtung zur Rückerstattung oder Vergütung solcher Leistungen,
hat der Gemeindevorstand Bescheid zu ertheilen.
Gegen diesen Bescheid findet innerhalb ein und zwanzig Tagen die Klage bei dem 18““ statt. Reklamationen und Klage halten in den Füre zu 2 die Vollstreckung bis zum Er⸗ lasse einer rechtskräftigen Entscheidung nicht auf.
.19. Die Abfassung der Defektbeschlüsse gegen städtische Gemeindebzamte (Verordnung vom 24. Januar 1844 — Ges. Samml. S. 52) erfolgt fortan auf Klage der Behörde durch das Bezirks⸗ verwaltungsgericht.
Städte ohne kollegialischen Gemeindevorstand.
§. 20. Die Genehmigung zur Einrichtung der städtischen Ver⸗ fassung ohne kollegialischen Gemeindevorstand gemäß §. 72 der Städteordnung vom 30. Mai 1853 erfolgt fortan durch den Regie⸗ rungs⸗Präsidenten. Dieselbe kann jedoch nur mit Zustimmung des Bezirksrathes versagt werden.
§. 21. In Stadtgemeinden, in welchen der Bürgermeister allein
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den Gemeindevorstand bildet, ist derselbe befugt, wenn er durch einen
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Beschluß der Gemeindevertretung das Interesse der Ger dringend gefährdet erachtet, eine zweite in der nächsten Sitzung der Gemeindevertretung vor unehmende Berathung und Beschlußfassung zu fordern
Der Bürgermeister ist verpflichtet, solchen Beschlüssen der Ge⸗ meindevertretung, welche deren Befugnisse überschreiten oder sonst die Gesetze verletzen, die Ausführung zu versagen; beharrt die Gemeinde⸗ berteftung bei einem derartigen Beschlusse, so hat der Bürgermeister die Entscheidung mittelst Klage bei dem Bezirksverwaltungsgerichte herbeizuführen.
Verpflichtung zur Annahme von Stellen und Aus⸗ scheiden aus denselben.
§. 22. Die Festsetzung der in den gesetzlichen Vorschriften an⸗ gedrohten Strafen wegen unbegründeter Weigerung zur oder Fortführung einer Stelle in der Verwaltung oder Vertretung der Stadtgemeinde erfolgt durch Beschluß der Gemeindevertretung. Gegen den Beschluß findet innerhalb einundzwanzig Tagen die Klage bei dem Bezirksverwaltungsgerichte statt. Befugt zur Anstellung derselben ist auch der Gemeindevorstand.
§. 23. Darüber, ob Jemand nach den gesetzlichen Vorschriften aus einer Stelle in der Verwaltung oder Vertretung der Stadt⸗ wegen Verlustes des Bürgerrechtes oder anderer Voraus⸗ etzungen für die Bekleidung der Stelle vorzeitig auszuscheiden hat, oder die Stelle zeitweise nicht versehen darf, hat die Gemeinde⸗ geiir. ven. Deüscheah e svesher.
egen den Beschluß findet innerhalb zehn Tagen die Kl dem Bezirksverwaltungsgerichte statt. Befugt 8 Aate gelage bei selben ist auch der Gemeindevorstand. Die Klage hat keine auf⸗ schiebende virkung, jedoch dürfen vor ergangener rechtskräftiger Ent⸗ scheidung Ersatzwahlen nicht veranlaßt werden.
üeöSse. des Staats über die Stadtverwaltung.
8§. 24. Die Aufsicht des Staats über die Verwaltun er städtischen Gemeindeangelegenheiten wird fortan, vorbehaltlich ee diesem Gesetze geordneten Mitwirkung des Bezirksrathes und des Provinzialrathes, von dem Regierungs⸗Präsidenten, in höherer Se han von dem Ober⸗Präsidenten und dem zuständigen Minister geübt.
Die Aufsichtsbehörden haben darüber zu wachen, daß die Ver⸗ waltung der städtischen Gemeindeangelegenheiten den Bah die Ver⸗ der Gesetze gemäß geführt und stets in geordnetem Gange erhalten werde. Sie sind zu dem Ende befugt, über alle Gegenstände der Gemeindeverwaltung Auskunft zu fordern, die Einsendung der Akten, insbesondere auch der Gemeindehaushalts⸗Etat, sowie der Gemeinde⸗ rechnungen zu verlangen und Geschäftsrevisionen, sowie in Verbin⸗ dung mit denselben, Kassenrevisionen an Ort und Stelle zu ver⸗ aulassen. Sie sind befugt, den Bürgermeister zur Beanstandung aller Beschlüsse des Magistrats oder der Gemeindevertretung (§s. 14, 21) zu veranlassen, welche deren Befugnisse überschreiten oder Jonst die Gesebe. vfälszen., 886
n Betreff der Aufsicht über die Gemeindewaldungen bewendet es bei den darüber bestehenden besonderen Vorschriften. 3
„§. 25. Gegen die Verfügungen und Beschlüsse des Regierungs⸗ Präsidenten findet innerhalb ein und zwanzig Tagen die Beschwerde an den Ober⸗Präsidenten, gegen die in erster Instanz ergangenen Ver⸗ fügungen und Beschlüsse des Ober⸗Präsidenten innerhalb gleicher Feist die Beschwerde an den zuständigen Minister statt. —
usgeschlossen ist die Beschwerde in den Fällen des §. 17, Absatz 2, des gegenwärtigen Gesetzes.
Gegen die Beschlüsse des Bezirksraths steht der Stadtgemeinde beziehungsweise den städtischen Behörden innerhalb ein und zwanzig Tagen die Beschwerde zu:
in den zu einem Landkreise gehörigen Stadtgemeinden an den Pro⸗
vinzialrath, in den Stadtkreisen an den Minister des Innern, vorbehaltlich der Bestimmungen der §§. 74, 75 und I18 der Pro⸗ vinzial⸗Ordnung vom 29. Juni 1875 (Ges. Samml. Seite 335).
Die Beschwerde ist bei derjenigen Behörde, gegen welche sie ge⸗ rich et ist, schriftlich anzubringen.
26. Wenn ein Magistrat oder eine Gemeindevertretung es unterläßt oder verweigert, die der Stadtgemeinde gesetzlich obliegen⸗ den, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit festgestellten Leistungen auf den Haushaltsetat zu bringen oder außer⸗ ordentlich zu genehmigen, so entscheidet auf Klage der Behörde das Bezirksverwaltungsgericht. Eine des Stadtetats durch die Aufsichtsbehörde findet fortan nicht mehr satt.
§. 27. Wenn nach Maßgabe der bestehenden gesetzlichen Vor⸗ schriften die Auflösung einer Gemeindevertretung durch Königliche Verordnung erfolgt, so ist bis zur Einführung der neu gewählten Gemeindevertreter in denjenigen Fällen, in denen es der Zu timmung der Gemeindevertretung bedarf, statt dessen die Genehmigung des Bezirksraths einzuholen.
§. 28. Bezüglich der Dienstvergehen der Bürgermeister, Bei⸗ geordneten, Magistratsmitglieder und sonstigen Gemeindebeamten kommen die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juli 1852 (Ges. Samml. Seite 465) mit folgenden Maßgaben zur Anwendung:
1) Gegen die Bürgermeister, Beigeordneten und Magistrats⸗ mitglieder, sowie gegen die sonstigen Gemeindebeamten kann an Stelle der Bezirksregierung und innerhalb des derselben bisher zustehenden Ordnungsstrafrechts der Regierungs⸗Präsi⸗ dent Ordnungsstrafen festsetzen; gegen die Straf erfügungen des Regierungs⸗Präsidenten findet innerhalb zehn Tagen die Beschwerde an den Ober⸗Präsidenten, gegen den auf die Beschwerde ergehenden Beschluß des Ober⸗ Präsidenten findet innerhalb zehn Tagen die Klage bei de Ober⸗Verwaltungsgerichte statt; gegen die Strafverfügung des Bürgermeisters findet innerhalb zehn Tagen die Klage bei dem Bezirksverwaltungsgerichte statt; in dem Verfahren auf Entfernung aus dem Amte tritt als entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz an die Stelle der Bezirksregierung und des Disziplinarhofes das Bezirks⸗ verwaltungsgerichts, an die Stelle des Staats⸗Ministeriums tritt das Ober⸗Verwaltungsgericht; den Vertreter der Staats⸗ anwaltschaft ernennt bei dem Bezirksverwaltungsgerichte der Regierungs⸗Präfident, bei dem Ober⸗Verwaltungsgerichte der Minister des Innern; die Verhandlung vor dem Bezirksverwal⸗ tungsgerichte und vor dem Ober⸗Verwaltungsgerichte findet
im mündlichen Verfahren statt, das Gutachten des Disziplinar⸗
hosfes ist nicht einzuholen, das Verfahren kann mit Rücksicht
auf den Ausfall der Voruntersuchung durch Beschluß des Be⸗ zirksverwaltungsgerichts eingestellt werden.
Wo nach den in Neuvorpommern und Rügen geltenden Vor⸗ schriften die Mitglieder des bürgerschaftlichen Kollegiums bisher von dem Magistrate vorbehaltlich des Rekurses an die Regierung im Disziplinarwege entlassen werden konnten, ist eine solche Entfernung aus dem Amte fortan nur nach Maßgabe der Vorschriften der Ziffer 3 des gegenwärtigen Paragraphen zulässig.
Schluß⸗ und Uebergangsbestimmungen.
§. 29. In denjenigen Fällen, in welchen eine Gemeindevertretung in einer Verwaltungsstreitsache als Partei betheiligt ist, kann die⸗ selbe einen besonderen Vertreter zur Ausführung ihrer Rechte be stellen. Sie kann desgleichen einen besonderen Vertreter der Stadt gemeinde erwählen, wenn gegen den Bürgermeister oder ein Ma⸗ istratsmitglied eine gerichtliche Klage angestellt werden soll. Der Uhsasg3 des §. 44 der Städteoednung vom 30. Mai 1853 wird aufgehoben. §. 30. Die Zulässigkeit des Rechtsweges wird durch die Be⸗ stimmungen dieses Gesetzes weder eingeschränkt noch erweitert. Soweit in Bezug auf den Gegenstand der Enkscheidungen des Bezirksverwal tungsgerichtes der ordentliche Rechtsweg zulässig ist, findet ein weiteres Rechtsmittel im Verwaltungsstreitverfahren nicht statt. Die Entscheidung des Bezirksverwaltungsgerichts ist, bis im e Rechtswege ein Anderes entschieden ist, vorläufig voll⸗ reckbar.
Alle in diesem Gesetze vorgeschriebenen Fristen sind präklusivisch.
neinde für