1880 / 91 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 17 Apr 1880 18:00:01 GMT) scan diff

enommen hat. Was das hiesige Wilhelms⸗Gymnasium anlangt, o bestanden an demselben im letzten Schuljahre 17 Gymnasial⸗ und 6 Vorschul⸗Klassen. Im letzten Sommer⸗Semester (1879) haben im Ganzen 946 Schüler die Anstalt besucht. 706 waren evangelischen, 1 anglikanischen, 33 römischkatholischen, 2 griechisch⸗katholischen Bekenntnisses, 203 jüdischer Religion und 1 a2,- 27 waren auswärtige, 15 Ausländer. Im Wintersemester betrug die Gesammtzahl der Schüler 952, wo⸗ von 718 dem evangelischen, 1 dem anglikanischen, 25 dem römisch⸗ katholischen, 2 dem griechisch⸗katholischen Bekenntniß angehörten und 206 jüdischer Religion waren; es befanden sich darunter 31 aus⸗ wärtige und 19 Ausländer. Am 1. März vorigen Jahres betrug die Gesammtzahl der Schüler 944. Abgegangen sind bis 1. März dieses Jahres 168, gestorben 2, aufgenommen 165. Unter den Ab⸗ gegangenen befanden sich mit dem Zeugnisse der Reife entlassene Abiturienten: zu Ostern 1879 19, zu Michaelis 1879 11. Die Ge⸗ sammtzahl derjenigen Schüler, welche die Anstalt mit dem Zeugniß ner verlassen haben, betrug bis Ostern dieses Jahres einschließ⸗ „— Indien in Wort und Bild von Emil v. Schlagintweit Mit 400 Illustrationen. 8. Lieferung. Leipzig, Verlag von. Schmidt & Günther. 1 ½ Diese Lieferung enthält 3 Vollbilder, welche interessante Gegenstände behandeln und zugleich Meisterwerke der Holzschneidekunst sind. Das 1. Bild stellt die Sockelbänder eines indischen Tempels dar, der sich ebenso sehr durch den Reichthum der Ornamentik wie die meisterhafte Ausführung derselben aus⸗ zeichnet. Das 2. Bild zeigt einen indischen Palast, das 3. einen Tempel in aller orientalischen Pracht. Der Text giebt die Schil⸗ derung der Provinz Haidarabad mit ihren ganz eigenthümlichen Ein⸗ richtungen, z. B. der eigenartigen Erwerbung von Grundbesitz, der sonderbaren Verfassung der Dorfgemeinden u. s. w. Gewerbe und Handel.

In der vorgestrigen Generalversammlung der Provinzial⸗ Diskonto⸗Gesellschaft in Ligu. berichteten die Liquidatoren über die bis zum Ablauf des verflossenen Jahres bewirkten Realisa⸗ tionen und Kapitalrückzahlungen. Sodann wurde ein Abkommen mit der Diskontogesellschaft erörtert, nach welchem diese unter Uebernahme der noch vorhandenen Aktiva die Verpflichtung eingeht, einen Liqui⸗ dationssaldo von 5 ½ % = 33 pro Aktie den Aktionären gegen Einreichung ihrer Interimsscheine sofort baar auszuzahlen, und den Liquidatoren die Ermächtigung ertheilt, auf Grund eines vorgelegten Vertragsentwurfs das desfallsige Abkommen perfekt zu machen.

Dem Geschäftsbericht der St. Petersburger Diskonto⸗ bank für das Jahr 1879 entnehmen wir folgende Angaben: Der Reingewinn beziffert sich auf 2 315, 759 Rbl. oder auf 23,15 %; es werden hiervon zunächst 115 759 Rbl. als Gewinnreserve auf das Jahr 1880 übertragen; alsdann kommen 240 000 Rbl. zum Reserve⸗ kapital, 240 (00 Rbl. werden als Tantiemen für den Verwaltungs⸗ rath, den Direktor und die Beamten verwandt, und der Rest von 1 720 000 Rbl. kommt als 17,2 prozentige Dividende mit 43 Rbl. per Aktie zur Vertheilung unter die Aktionäre. Der Gesammtumsatz der Bank erreichte 5 378 675 563 Rbl. In der Kasse gingen ein und aus 1 887 726 575 Rbl.; im Giroverkehr wur⸗ den umgesetzt 598 848 320 Rbl., und der Bestand der Giro⸗Conten betrug am 1. Januar 1880 19 607 230 Rbl. Im Diskontogeschäft war der Bestand am 1. Jonuar 1879 7 416 195 Rbl. Es wurden die kontirt im Laufe des Jahres 1879 für 44 673 358 Rbl. Valuten, als Bestand verblieben 5 530 512 Rbl. Im Lombardverkehr ‚betrugen am 1. Januar 1879 die Vorschüsse 19 299 200 Rbl.; ein und aus gingen 77 189 960 Rbl. resp. 78 076 029 Rbl., so daß die Vorschüsse am 1. Januar 1880 saldiren mit 18 413 131 Rbl., worunter 14 445 216 Rbl. Darlehen on call. Das Effekten⸗Portefeuille end⸗ lich bewerthete sich am 1. Januar 1879 auf 3 914 071 Rbl. und wurden im Laufe des Jahres 1879 angekauft für 156 319 722 Rbl., verkauft für 156 362 282 Rbl.; das Portefeuille am 1. Januar 1880 steht zu Buch mit 4 616 666 Rbl.

Frankfurt a. M., 16. April. (W. T. B.) Die Deutsche Effekten⸗ und Wechselbank hat im Jahre 1879 einen Rein⸗ von 2 338 336 erzielt. Vom Aufsichtsrath wird vorge⸗ chlagen, zunächst eine 5prozentige Dividende zu vertheilen und dem Reservefonds einen Betrag von 173 833 zuzuführen, welcher dessen Bestand auf 567 141 erhöht. Ferner sollen gewährt werden an Tantièmen 231 344 ℳ, an den Per sionsfonds 15 422 ℳ, an den Aufsichtsrath 154 229 Hierauf soll eine Superdividende von 9 ½ % vertheilt und der Rest von 23 505 auf neue Rechnung vor⸗ getragen werden.

Paris, 15. April. (Fr. Corr.) Das heutige „Journal officiel“ veröffentlicht eine Statistik der Douanen, betreffend die Ein⸗ und Ausfuhr während der ersten drei Monate dieses Jahres. Die Einfuhr beziffert sich auf 1 134 026 000 und die Ausfuhr auf 752 217 000 Frs. Der Unterschied beträgt demnach 381 809 000 Frs. zu Gunsten der Einfuhr. Man hätte jedoch Un⸗ recht, daraus zu schließen, daß die französische Industrie zurückgeht; im Gegentheil kann man schon aus dem Umstande, daß im März für 201 907 000 Frs. fertige Waaren exportirt und nur für 42 549 000 Fre. ähnliche Produkte importirt wurden, woraus sich eine Differenz von 159 358 000 Frs. ergiebt, während voriges Jahr der entsprechende Ecart nur 139 Millionen Franks betrug, ersehen, daß sie eher Fort⸗ schritte macht. Allein die letzten Wein⸗ und Getreide⸗Ernten in Frankreich waren so schlecht, daß massenhaft Cerealien aus Amerika und aus Rußland und leichtere Weine aus Spanien und Italien

importirt werden. Verkehrs⸗Anstalten. St. Petersburg, 17. April. (W. T. B.) Der Eisgang auf der Newa hat heute früh begonnen. New⸗York, 16. April. (W. T. B.) Der Dampfer „Erin“ von der National⸗Dampfschiffs⸗Compagn (C. Messingsche Linie) ist hier eingetroffen. .

Berlin, 17. April 1880.

Die Blumen⸗ und Pflanzenausstellung der Gesell⸗ schaft der Gartenfreunde Berlins ist heute in der Reitbahn des Kriege⸗Ministeriums eröffnet worden. Die Ausstellung, vom Hofgärtner Link und Garteninspektor Wredow mit gewohntem Ge⸗ schick arrangirt, rechtfertigt auch diesmal den guten Ruf, dessen sich die Ausstellungen der Gesellschaft seit Jahren zu erfreuen haben. An der Hinterwand der Bahn, auf erhöhtem Podium hat die Gärtnerei des Kriegs⸗Ministeriums, Obergärtner Eltzholz, in prächtigen Farben die Kaisergruppe arrangirt. or ihr erhebt sich, von R. Torlée (Kaiserhof) ausgestellt, ein Obelisk, aus Immortellen gebildet, dessen Sockel auf mattgrünem Fond das Wappen in den deutschen Farben zeigt, während an der Vorderseite des Obelisken selbst das Bild Sr. Majestät des Kaisers in einem Kranz von Kornblumen und von der Umschrift umgeben: „Der Herr sei mit Dir“ angebracht ist. Die übrigen Seiten des Sockels tragen die Inschriften: „Gottes Schutz“, „Vol⸗ kes Lieb“, „Erinnerung an den 5. Dez. 1878“, die des Obelisken „Heil dem Kaiser, den uns Gott erhielt“. Palmenzweige und blühende Blumen schmücken außerdem Sockel und Obelisken. Zu beiden Seiten hat W. Harder mächtige, schöngewachsene Lorbeerbäume und Wilh. Waldvogel (Eberswalde) Blumentopfkandelaber in Holz ausgestellt. Zu Seiten der Kaisergruppe, nach den Fensterwänden zu, haben die Gärtner⸗Lehranstalt zu Potsdam und die Gräflich⸗ Stolbergsche Gärtnerei, Obergärtner Driese, Obst in zahlreichen Sorten ausgebreitet. Eine 4jährige Sparmannia af,icana flankirt die eine, blühende Aepfelbäume, vom Obergärtner Driese ausgestellt, die andere Seite des erhöhten Podiums. Vor demselben gruppiren sich um einen kunstvoll ausgeführten Marchschen Springbrunnen die Rosenfloren von A. Schiemann in Charlottenburg und Wendt in der Hasen⸗ haide. Beide Rosenkollektionen werden verbunden durch Späths reiches Sortiment von Ziersträuchern und Bäumen, das wieder manche Neu⸗ heit darbieten, darunter der amerikanische Silberahorn, die nach Dr. Bolle genannte Pyramiden⸗Silberpappel u. a. Den großen Mittel⸗

raum der Reitbahn, in dessen Mitte sich eine von Rud. Weidner ausgestellte Vase erhebt, die von Horiensien umgeben ist, füllen blühende Cinerarien, Maiblumen, Hortensien, Azalien u. a. Ebers⸗Charlottenburg hat eine in voller Blüthe stehende Magnolia ausgestellt. An der östlichen Fensterwang, zunächst dem Podium, hat derselbe seine blühenden Metrosideros, Otto Neumann⸗Schönemann außer zahlreichen Marktpflanzen treff⸗ lich gezüchtet: Orangen mit Blüthen und Früchten, E. Mewes Hyacinthen, Joh. Bacher⸗Pankow Othonna crassifolia als Neuheit, und Torlée Kaiserhof ein Arrangement von abgeschnittenen Blumen ausgestellt. Die beiden Eckgruppen neben dem Eingange bilden Palmen und andere Blattpflanzen aus der Wendtschen Gärtnerei An der westlichen Fensterwand fallen besonders die abgeschnitte⸗ nen Blumen ins Auge. Außerdem sind hier und im Vorhof Blumen, Sämereien, Gartengeräthe und Werkzeuge u. a. untergebracht. Der Ertrag der Auestellung fließt dem Vaterländischen Frauenverein zu.

Ihre Majestät die Kaiserin sowie Se. Königliche Hoheit der Prinz Carl beehrten die Blumenausstellung kurz nach 1 Uhr mit Ihrem Besuche.

ie Mitglieder des Vorstandes des Unionsklubs besichtigten vorgestern dieneue Rennbahnzwischen Lichterfeldeund Lank⸗ witz; ebenso haben die Vorstandsmitglieder des Traberklubs die Bahn besucht. Die Erdarbeiten, mit denen ca. 300 Arbeiter beschäftigt sind, werden in dieser Woche beendet; mit der Aufstellung des Zaunes ist bereits begonnen, der Bau der Tribünen, die für 30 000 Personen berechnet sind und deren Bau 275 000 erfordert, wird nächste Woche in Angriff genommen werden. Bereits für dieses Jahr sind 30 Renntage in Aussicht gestellt Die ersten diesjährigen Rennen werden noch im Mai stattfinden.

Als Ergebniß einer im Auftrage des Königlich preußischen Mi⸗ nisters der öffentlichen Arbeiten von dem Freiherrn von Weber im Jahre 1878 nach England ausgeführten Dienstreise ist jetzt im „Berliner Lith. Institut“ eine „Studie über die Wasserstraßen Englands“ erschienen. Der Verfasser hebt in einer „Vorbemerkung“ bervor, daß das Studium der Verhältnisse der Wasserstraßen in Eng⸗ land mit großen Schwierigkeiten verknüpft und weder mit dem der Eisenbahnen im Allgemeinen, noch mit dem der Kanäle ꝛc. in anderen Ländern zu vergleichen sei. Eine der Hauptschwierigkeiten bereite zunächst das Alter, die in ferner Vergangenheit liegende Zeit der Entstehung der meisten Wasserstraßen. Mehrere der Flußregulirungen seien über ein halbes Jahrtausend alt, die Herstellung der weitaus meisten Kanäle falle in das vorige Jahrhundert, die der jüngsten be⸗ deutenderen Kanäle in das erste Drittel des gegenwärtigen. Die Wasserstraßen seien in England nicht wie die Eisenbahnen inmitten bereits mit anderen Kommunikationsmitteln reich ausgestatteter Län⸗ der entstanden, sondern ihre Herstellung sei dort der der Straßen vorausgeeilt; sie erfüllten das Amt, das heut zu Tage die Eisen⸗ bahnen in Amerika und anderen neu zu erschließenden Gegenden haben; sie bildeten die ersten Kommunikationen in einem sich eben erst industriell entwickelnden Lande. Sie seien entstanden ohne jede Tendenz, sich zu einem wirklichen Verkehrsnetze zusammen zu schließen, als Resultate ganz lokaler Nothwendigkeit. Es sei so gut wie nichts über den Geschästsverkehr der Kanalgesellschaften, besonders in frü⸗ heren Zeiten in die Oeffentlichkeit gedrungen. Noch mehr habe sich die Kenntniß von den inneren Verhältnissen dieser Gesellschaften bei dem Wechsel von deren Besitz, Ankauf von Linien durch andere und endlich durch die Eisenbahnen verwischt. Die 135 jetzt noch bestehenden Kanalgesellschaften Englands hätten von einander keine weiteren Kenntnisse, als die wenigen, die zur Be⸗ handlung der schwachen durchgehenden Verkehre gehören. So hätten sich die Schwierigkeiten der Erörterung der Wasserstraßen⸗ verhältnisse in England so gehäuft, daß es bis jetzt nicht möglich gewesen sei, zur Darstellung eines einigermaßen vielseitigen Bildes desselben zu gelangen. Nur durch das Zusammentreffen besonders günstiger Umstände und den Beistand bedeutender Autoritäten im Bereiche des Kanalwesens und einflußreicher Körperschaften, unter denen die „Istitution of Civil-Engineers“ und des „General Railway Clearing House“ obenanstehen, hätte es gelingen können, genügende Materialien zu einer, in dem Berichte über eine Studienreise niederzulegenden, verständlichen Darstellung des englischen Wasser⸗ straßenwesens zu sammeln. Obgleich nun auch diese, von der in der vorliegenden Schrift ein Auszug gegeben säi, fern von wirklicher Voll⸗ ständigkeit hätte bleiben müssen, so dürfte sie doch das um⸗ fassendste Bild der Gesammtheit der Wasserstraßenverhältnisse in England gewähren, welches es bis jetzt giebt. Der Inhalt ist in folgende vier Abschnitte gegliedert: I. Abschnitt: Geographisch⸗histo⸗ rische Entwickelung der Wasserstraßen; II. Abschnitt: Finanz⸗, Eigen⸗ thums⸗, Betriebs⸗ und Rechtsverhältnisse; III. Abschnitt: Wechsel⸗ wirkung zwischen Wasserstraßen und Eisenbahnen; IV. Ab⸗ schnitt: Technik. Eine beigegebene, sorgfältig gearbeitete Karte stellt ein klares Bild der künstlichen Wasser⸗ straßen in Großbritannien, deren Lage und ihrer Eigen⸗ thumsverhältnisse dar. Wir müssen es uns wegen Mangels an Raum versagen, auf den reichen Inhalt der Schrift des Näheren einzugehen und beschränken uns darauf, aus dem ersten Abschnitte folgende kurze Mittheilungen hier folgen zu lassen: Die Fläche von England und Wales, auf der die bedeutsamste Entwickelung des Wasserstraßenwesens stattgefunden hat, und die zwischen dem Tweed und der Südküste liegt, wird durch sieben Flußgebiete in ebenso viel natürliche Binnenschiffahrtsbereiche geschieden, zwischen denen nur in der Richtung von Nord nah Süd, in der Mitte der Insel hin, Höhenzüge liegen, welche der Entwickelung und Manipu⸗ lation der Wasserwege wesentliche Hindernisse bereiteten. Diese sieben Flußgebiete sind die der Themse mit 6160 engl. Qu.⸗Miles, der Gr. Ouse mit 2960 engl. Qu.⸗Miles, des Witham mit 1050, des Trent mit 4082, der Ouse mit 4290, des Mersey mit 1748, des Severn mit 8580 engl. Qu.⸗Miles Flächeninhalt. Die britischen Inseln sind in allen ihren Theilen mit einem dichteren Netze von Gewässern bedeckt als irgend ein anderes Land von Europa (Schweden und Finnland ausgenommen) und deren Speisung durch die atmosphärischen Nieder⸗ schläge erfolgt gleichmäßiger während der verschiedenen Theile des Jahres, als in den meisten Gegenden dieses Welttheils. Die Speisung der britischen Gewässernetze ist daher, sowohl ihrer Qualität (Regel⸗ mäßigkeit), als ihrer Ouantität nach, eine genügendere, als dies in den meisten anderen, besonders kontinentalen Ländern der Fall zu sein pflegt. Nicht weniger begünstigt als durch den Reichthum der atmosphärischen Niederschläge und ihre hohe Wintertemperatur sind die britischen Inseln in Bezug auf ihre Binnenschiffahrt durch die Beschaffenheit ihres Littorals. England besaß daher bereits in sei⸗ nen Fjorden, Aestuarien und den daran stoßenden schiffbaren Theilen seiner Flüsse, selbst vor der Regulirung der letzteren, eine Binnen⸗ schiffahrt, die nur einen verhältnißmäßig schmalen Streifen Land, mit zu Wasser unerreichbaren Punkten, zwischen ihren verschiedenen Wasserwegen liegen ließ. Fast sämmtliche, vom ersten S der Pflege der Wasserstraßen im 15 Jahrhundert an, bis zum Ende des ersten Viertels des 18. Jahrhunderts in Groß⸗ britannien zur Erscheinung kommenden gesetzlichen und technischen Institutionen beziehen sich auf die Wasserwege des älteren Kultur⸗ distrikts Englands, der südöstlich zwischen der Quelle der Themse und der Mündung des Humber gelegen ist und dessen Civilisation eine spraigisch landwirthschaftliche Basis hatte und zwar aueschließlich auf und Erhaltung der dortigen, in Flüssen und Aestuarien gegebenen natürlichen Wasserstraßen. Alle Wasser⸗ straßenunternehmungen in England waren bis zum Jahre 1759 lediglich sfuße gutenrgen in mehr oder weniger ausgedehntem Sinne. Die Schiffahrt auf diesen regulirten Wasserläufen war mit allen Nachtheilen der Flußschiffahrt verknüpft. Der erste wirkliche Kanal in England verdankt sein Entstehen, welches die ganze Aera der Ent⸗ wickelung des Kanalsystems eröffnete, dem Herzoge Francis von Bridgewater in Verbindung mit dem genialen Hydrotekten Brindley und dem Finanzmanne John Gilbert. Es handelte sich um den für dama⸗ lige Zeiten unbegreiflich kühnen Plan, einen vollkommen horizontalen

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Kanal von den Worsley⸗Kohlengruben nach Manchester zu füͤhren.

und zwar auf des Herzogs Kosten ganz allein. Am 23. März 1759 erhielt der Herzog das Spezialgesetz, welches ihn zum Bau des Kanals ermäa tigte und schon am 17. Juli 1761 wurde die Kanal.⸗ linie bis Manchester eröffnet. Gleich nach Eröffnung des Kanals fiel der Preis der Kohle in Manchester um 40 % und der Herzog bezog sckon im zweiten Jahre der Benutzung desselben eine Revenue von 20 % des von ihm aufgewendeten Anlagekapitals von 260 000 t. Der günstige Erfolg dieser ersten kleineren Unternehmung ließ die Urheber derselben ihre Pläne schnell ausdehnen. Am 24. März 1762 erhielt der Herzog das Spezialgesetz für die Herstellung eines Kanals zwischen Manchester und Liverpool im März 1766 die Ermächtigung, sein Kanalsystem durch das Herz von ganz Lancaster, bis hinauf nach Wigan, Charley und Preston auszudehnen und diese bedeutenden Plätze mit Manchester und Liverpool in Kanalverbindung zu bringen. Die Unternehmungen des Herzoas von Bridgewater leiten eine neue Epoche in der Technik des Verkehrswesens ein. Während die Wasserstraßentechnik der Zeit vor 1759 in England ihre Thätigkeit auf Verbesserung der natürlichen Flußläufe beschränkt, den Wasserweg aber im großen Ganzen als an diese gebunden be⸗ handelt hatte, löste die Technik James Brindley's die künstliche Wasserstraße gänzlich vom natürlichen Wasserlaufe los. Durch diese doppelte Befreiung vom lokalen Kapitale und dem natürlichen Wasserlaufe war der künstlichen Wasserstraße der Weg in fast be⸗ liebiger Richtung geöffnet und, bei einigermaßen plausibler Lage des Unternehmens, das für dasselbe erforderliche Kapital ge⸗ sichert. Schon das Jahrzehnt, in welchem der Bridgewater⸗Kanal entstanden war, rief allein neu; Wasserstraßen⸗Unter⸗ nehmungen ins Leben. Das nächste Jahrzehnt 1760 —-70 brachte schon 13, unter denen sich nur noch 5 Schiffbarmachungen befanden. Einen Rückschlag, der Zahl der Unternehmungen nach, zeigten die beiden folgenden Jahrzehnte mit 10 und 5 Unternehmungen, bis im letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts die Fluth der Wasserstraßen⸗Unternehmungen mit 40 auf ihre Höhe stieg, um dann von 1800 an einen so raschen Abschlag zu zeigen, daß von da bis 1830 nur 29 neue Unternehmungen konzessionirt wurden. Es macht sich hierbei offenbar schon der Einfluß der Eisen⸗ bahnen in demselben Dienste bemerkbar, den früher lediglich die Wasser⸗ und Landstraßen zu leisten hatten. Die Chronologie der Kanal⸗ und Eisenbahnkonzessionen ergiebt ungefähr das Jahr 1820 als dasjenige, in welchem der Sieg des der kommenden Zeit gemäßen Verkehrssystems, der Eisenbahn, über dasjenige, welches den Be⸗ dingungen der vergangenen entsprach, die Kanäle, sich entschied.

Dresden, 10. April. (Allg. Ztg.) Der auf der Münchener Kunstausstellung durch die goldene Medaille ausgezeichnete „Gänse⸗ dieb“ von Diez, einem jungen hiesigen Bildhauer, ist seit einigen Tagen auf dem leider noch unvollendeten Brunnen des Fer⸗ dinandplatzes, für den das Werk in der dafür ausgeschriebenen Kon⸗ kurrenz den ersten Preis errungen hatte, zur Aufstellung gelangt. Die Figur in Bronze gegossen ist stark bewegt, doch in⸗ mitten dieser starken Bewegung zugleich durch die energische Wendung, die der Oberkörper um seine eigene Achse gemacht hat, zu einem nothwendigen Stillhalten gelangt, indem die Gans, die dem Langfinger durch die Beine durchschlüpfen wollte, eben noch von seiner Linken am Flügel erwischt worden ist, während seine Rechte eine zweite Gans schon glücklich an der Gurgel gepackt und vom Boden aufgehoben hat. Zwei weitere Gänse entkommen ihm schreiend und werden rechts und links als Wasserspeier ihre Rettung zu bezahlen haben. Die Gestalt des jungen Vaganten, der übrigens in fried⸗ licheren Stimmungen dem Dudelsackblasen obliegt und sein Instru⸗ ment um die Achsel hängen hat, ist eine schlanke und gefällige, so daß man, von dem originell genrehaften Stoffe zu dem ästhetischen Erwägen der Schönheitslinien des Werks zurückkehrend, auch nach dieser Seite nicht unbefriedigt bleibt. Sein vornehmliches Verdienst ist aber jedenfalls die noch die Gränzen des in der Skulptur Zu⸗ lässigen respektirende Vorführung eines volksthümlichen, leicht verständlichen und heiter anmuthenden Vorgangs aus dem Leben, und zwar mit ungezwungener Anlehnung an das Treiben, wie es wohl in der Nähe eines wasserspendenden Orts vorkommen kann. Dresden hat durch dieses Werk einen neuen populären Schmuck erhalten, und voraussichtlich wird der Gänse⸗ brunnen bald so beliebt sein wie Walters bilderbogenartige Wand an der Augustusstraße mit dem schmucklosen Fürstenzug und den Musikanten und Reisigen, in denen das Volk sich selbst mit Freuden wieder erkennt. Von demselben Künstler Diez wird übrigens auch das für Braunschweig bestimmte Siegesdenkmal, von welchem der begabte Breymann durch den Tod abgerufen wurde, vollendet.

Kopenhagen, 16. April. (W. T. B.) Die „Vega“ ist in Begleitung einiger schwedischer Dampfer gestern Abend auf der hie⸗ sigen Rhede eingetroffen. Dieselbe wurde heute früh auf Königlichen Befehl als Kriegsschiff salutirt, worauf sich eine Deputation, in der ich der Präfident der geographischen Gesellschaft und der Rektor der

niversität befanden, zur Begrüßung des Professors Nordenskiöld an Bord begab. Professor Nordenskiöld wurde später von dem Könige und dem Kronprinzen empfangen.

Auf dem Programm der Singakademie standen gestern Klaviervorträge von Hrn. Prof. Sigismund Blumner. Der künstlerisch ernste Charakter derselben charakterisirte sich durch die Namen Seb. Bach, Mozart, Beethoven und Schubert. Von entsprechender Gediegenheit war die Ausführung, die sich von virtuosenhafter Effekthascherei durchaus fern hielt, dafür aber durch Klarheit und Bestimmtheit des Ausdrucks, fein abgewogene Dynamik und durch eine gewisse vornehme Gemessenheit imponirte. Die kontrapunktischen Formenschönheiten der Werke Seb. Bachs gelangten durch Hrn. Blumners Spiel zu vorzüg⸗ licher, selbst für Laien klar verständlicher Durchsichtigkeit. Freilich gehört dazu aber auch eine so eindringliche Kenntniß der Werke des Altmeisters, dessen Orgelwerke er bekanntlich zum Theil selbst bearbeitet hat. Von letzteren führt, Hr. Blumner u. A. Präludium und Fuge in D-moll mit großer Meisterschaft vor. Daran reihte sich die Fantasie in F-moll von Mozart, bearbeitet von Reineke, und die allbekannte große C-moll-Sonate von Beethoven, welche die Vorzüge seines Spiels in besonders helles Licht setzte. Sehr interessant waren eine Gavotte und Bourrée von dem Vortragenden selbst, wenn sich auch bei der letz⸗ teren eine etwas moderne Invention nicht verleugnete. Von seiner großartig ausgebildeten Technik zeugten die Vorträge der Variatio⸗ nen op. 35 sowie der Polonaise op. 75 von Schubert, beide von ihm selbst bearbeitet, noch mehr aber die der Vöglein⸗Etude von Henselt und des trotz aller Schwierigkeiten nicht eben sehr dankbaren und darum selten gespielten Concert⸗Allegros von Chopin. Das Publikum folgte den Vorträgen mit Interesse und spendete dem Concertgeber eine so reiche wie wohlverdiente Anerkennung.

Im Bellealliance⸗Theater findet morgen bereits die 133. Aufführung des Repertoirestücks „Der Rattenfänger von Hamein statt. Vor der Vorstellung soll bei günstiger Witterung im Sommergarten großes Konzert sein, zu welchem die Hauskapelle be

deutend verstärkt worden ist. 1“

Redacteur: Riedel. Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner.

Fünf Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage).

sage

nicht nöthig

8

Transithandel zu schonen sei,

Session erwähnte, daß Libau Königsberg

auf eine Million Mark angegeben

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preuß

4 91.

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 17. April. Im weiteren Verlaufe

der gestrigen 81) Sitzung genehmigte der Reichstag in dritter Berathung ohne Debatte §. 4, sowie die Art. II., III. und IV. des Gesetzentwurfs, betreffend Ergänzungen und Aenderungen des Reichs⸗Militärgesetzes vom 2 Mai 1874. Darauf wurde in namentlicher Abstimmung mit 186 gegen 128 Stimmen das ganze Gesetz definitiv genehmigt.

Es folgte die dritte Berathung des Antrags Windthorst und Genossen auf Aufhebung des Flachszolles. Der Antrag lautet: 8

Der Reichstag wolle dem nachstehenden Gesetzentwurfe seine Zustimmung geben:

Gesetz, betreffend die Abänderung des Zolltarifs des deutschen

Zollgebietes.

Wir Wilhelm ꝛc. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: 11“

Einziger Paragraph. Der Zolltarif zu dem Gesetz, be⸗ treffend den Zolltarif des deutschen Zollgebiets und den Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer vom 15. Juli 1879 (Reichs⸗Gesetzblalt Seite 207), wird, wie folgt, abgeändert:

„Nr. 8 des Zolltarifs: Flachs und andere vegetabilische Spinnstoffe, mit Ausnahme der Baumwolle roh, geröstet, ge⸗ brochen oder gehechelt, auch Abfälle frei.“

Für den Fall, daß dieser Antrag, wie anzunehmen sei, in dritter Berathung definitiv angenommen werde, beantragen die Abgg. Dr. Windthorst und Frhr. von Varnbüler die An⸗ merkung zu a. der Nr. 22 des Zolltarifs „Jute, Manillahanf oder Kokosfasern roh, geröstet, gebrochen oder gehechelt frei“ u streichen.

Der Abg. Frhr. von Varnbüler befürwortete obigen

Er glaube, daß in der zweiten Lesung die

Gründe für seinen Antrag hinreichend erwogen seien,

und bitte den damals gefaßten Beschluß aufrecht zu er⸗

Zugleich empfehle er für den Fo der Annahme noch

den vorstehenden Zusatzantrag, welcher sich als Konsequenz des ersten von selbst verstehe. M

Der Abg. Staudy erklärte, die Frage sei für ihn durch das Votum, welches in zweiter Lesung durch eine so bedeutende Majorität abgegeben sei, erledigt, indessen wolle er doch noch betonen, daß ihm der Flachs im Interesse der natio⸗ nalen Industrie und der Verhältnisse der kleinen Leute, den im vorigen Jahre beschlossenen kleinen Eingangszoll sehr wohl zu verdienen scheine. Auch darauf möchte er hinweisen, daß der Ostpreußische Nothstand in den sechsziger Jahren

chließlich besonders darum so bedeutende Dimensionen an⸗ genommen habe, weil es an Arbeit gefehlt habe, und daß gerade der Flachs den armen Leuten auf dem Lande im Winter die gewünschte Arbeit liefere. Er erinnere nur daran und seinem Erachten nach könne man das nicht oft genug n diesem Hause sagen, daß die östlichen Provinzen des deutschen Vaterlandes und speziell die Provinz Ostpreußen nach solchen Richtungen gan besondere Berücksichtigung verdienten. Es sei ja allgemein bekannt, daß in den östlichen Provinzen, nament⸗ lich in Ostpreußen, die Industrie niemals wirklich erblühen önne; welche Schädigung nun für die Provinz darin liege, wenn sie zu den Schutzzöllen beitragen müsse, ohne daß ihre berechtigten Interessen gewahrt würden, das ich Jeder wohl selbst. Er wolle weiter über diesen Gegenstand sich nicht auslassen, wie gesagt, das Resultat in diesem hohen Hause stehe ja fest; nur noch inen anderen Gesichtspunkt wolle er hervorheben. Es habe er 88 Lüders in der Rede, die derselbe in der weiten Lesung gegen den Flachszoll gehalten habe, gesagt, eine Anzahl unter den Konservativen für die Industrie⸗ zölle gestimmt habe, ohne ein wirkliches Herz für die vn⸗ dustrie zu haben. Er glaube, daß nicht mißzuverstehen sei, daß der Abg. Lüders damit die Landwirthe gemeint habe. Nun möchte er dem Abg. Lüders die Versicherung geben, daß ie deutschen Landwirthe aus eigenem Interesse das wärmste Herz, das wärmste Interesse für die deutsche Industrie hätten; er möchte dem Abg. Lüders aber auch das vorführen, daß alle Diejenigen, welche der deutschen Industrie wohlwollten, ebenso in Interesse für die deutsche Landwirthschaft empfinden sollten. Die deutsche Landwirthschaft werde schwerlich ohne die deutsche Industrie prosperiren, aber keinesfalls werde in Deutschland ie ohne die Landwirthschaft prosveriren, dazu möge ie Industrie anderer Länder im Stande sein, etwa die Eng⸗ andscober Amerikas, in Deutschland sei das vollständig un⸗ nöglich.

Der Abg. Stellter bemerkte, er sei der Ansicht, daß es

5 die in zweiter Lesung vorgebrachten Gründe nochmals vorzutragen, das aber müsse er dem Vorredner ge⸗ genüber doch betonen, daß der Flachsbau in orusen trotz aller künstlichen Gegenbestrebungen immer mehr zurückgehe, weil der Landwirth gelernt habe, seinen Boden in lukrativerer

u verwerthen. Er wolle noch darauf hinweisen, daß

leein Flachs, Hanf und Hede zur Leinenindustrie ge⸗

1 „sondern daß damit

auch ein beträchtlicher Transithandel stattfinde. Ueber Kö⸗ nigsberg gingen im Durchschnitt jährlich 6— 700 000 Centner Flachs, Hede und Hanf. Dieser Transithandel würde unter der Belastung mit solchen Zöllen sehr leiden. Der Reichs⸗

kanzler habe im vorigen Jahre selbst anerkannt, daß der

und man müsse vorsichtig sein, um nicht Einrichtungen zu treffen, die diesen Handel schädigten.

Noch andere Gründe könne er anführen. Als er in voriger

eine gefährliche Konkurrenz mache, sei gewissermaßen wegwerfend über diese eine Aeußerung gesprochen. Die Thatsachen hätten seine

keußerung erechtfertigt, denn der Export von Libau betrage in diesem Febr⸗ drei Mal so viel als in früͤheren Jahren, trotzdem in Rußland eine Mißernte gewesen sei. Er bemerke nur noch, daß der Ertrag des Flachszolls, der von einer Seite 8 nach den statistischen

Tabellen des Reichsamtes nur 430 000 sein könne, da in den letzten drei Jahren für den inländischen Gebrauch nur 43 Millionen Kilogramm eingeführt seien. Der Steuerbetrag

rste Beilag

Berlin, Sonnabend, den 17. Apyril

wäre also nur ein unerheblicher. Er beantrage deshalb die Annahme des Antrags.

Der Abg. von Ludwig erklärte, in der letzten Zeit habe man im Reichstage das pikante Schauspiel erlebt, daß sowohl der Bundesrath wie der Reichstag sich beeilt hätten, ihre Reue über einen vermeintlich begangenen Fehler zum Ausdruck zu bringen. Ob ein solches Verfahren die Autorität dieser Kör⸗ perschaften zu heben geeignet sei, bezweifle er. Die Motive, welche der Abg. de—e h für die Aufhebung des Flachs⸗ olles angeführt habe, seien nicht richtig und einander wider⸗ sorechend, Er sei überzeugt, daß der Abg. Windhorst den kleinen Landbau schützen wolle und doch sage derselbe, der Flachszoll sei deshalb nicht nöthig, weil der Flachs nur von kleinen Leuten in geringen Quantitäten gebaut würde. Er bestreite, daß die Frage des Flachszolls bereits früher im Hause gründlich erörtert sei. Die jetzige Nr. 8 des Zolltarifs sei in keiner Kommission berathen und in der dies⸗ maligen zweiten Lesung habe der Abg. Freiherr von Ow und er nur Monologe gehalten; kein Mensch habe ihnen geantwortet. Das sei die gründliche Vorbereitung, auf Grund deren man der Landwirthschaft die erste ihr gewährte Position wieder ent⸗ ziehen wolle. Er glaube sogar, daß, wenn sämmtliche Abgeord⸗ nete ein Referat über die Frage des Flachszolls und dessen nationalökonomische Bedeutung ausarbeiten sollten, nur wenige das Prädikat „Gut“ bekommen würden. Die Landwirthschaft müsse zu Grunde gehen, wenn man sie nicht schütze. Der hiesige Boden sei so sehr besteuert, daß derselbe nicht kon⸗ kurriren könne mit jenen Hinterländern, die nicht des Düngers bedürften und die wenig Steuern bezahlten. Er berufe sich dafür auf das Zeugniß des Abg. Bamberger. Alle diejenigen Landwirthe, welche nicht, wie dieser Abgeordnete, einen solchen Kapitalsstock hätten, die aber ihren Boden liebten und ihn ihren Kindern zu hinterlassen wünschten, würden bei einer fortdauernden Vernachlässigung der landwirthschaftlichen Inter⸗ essen Seitens der gesetzgebenden Faktoren ihr Besitzthum ver⸗ kaufen müssen, selbst wenn sie ihr Geld darin mit pupillari⸗ scher Sicherheit angelegt hätten. Er beantrage daher bei der Wichtigkeit des Gegenstandes, den Antrag Windthorst an eine besondere Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen.

Der Abg. Dr. Windhorst entgegnete dem Vorredner, daß er sich eingehend mit dieser Angelegenheit beschäftigt und dabei erfahren habe, daß die Verarbeitung des Flachses auch den kleineren Leuten auf dem Lande meistens so wenig loh⸗ nend erscheine, daß sie den Flachs lieber und mit mehr Nutzen an die Spinnerei verkauften, als im Hause verarbeiteten. Der Zoll würde also den Flachsanbau nicht fördern, wohl aber die Leinenindustrie schädigen. Er hätte nichts gegen die kommissarische Berathung einzuwenden, indessen sei ja Allen die Sache völlig klar, in keiner Weise zweifelhaft, und zudem liege ihm daran, die Sache möglichst schnell zum Abschluß zu bringen. Auch darauf möchte er wiederholt hinweisen, daß die Zollpositionen der Garne, welche auf der Zollfreiheit des Flachses beruhten, sämmtlich abgeändert werden müßten. Das wolle man doch gewiß nicht; er bitte deshalb, lediglich den Beschluß zweiter Lesung zu bestätigen.

Der Abg. von Saucken⸗Tarputschen erklärte, er müsse den Behauptungen des Abg. Staudy bezüglich Ostpreußens widersprechen. Es sei zweifelhaft, ob der Flachsbau der Landwirthschaft überhaupt vortheilhaft sei; derselbe bringe dem Boden nichts zurück und werde nur da mit Erfolg be⸗ trieben, wo dem Boden durch Hülfsmittel das Genommene wieder ersetzt werden könne. Der Flachszoll als Sporn für den Flachsbau schade, und seine Aufhebung alterire den Flachsbau der kleinen Leute in Ostpreußen nicht, dagegen mache sie deren Winterabendbeschäftigung, das Flachsspinnen, durch Verwohlfeilerung des Rohmaterials rentabler.

Der Antrag von Ludwig auf Verweisung des Antrages Windthorst in eine Kommission wurde hierauf abgelehnt, und nachdem der Abg. von Ludwig noch einmal in der Spezialdiskussion für den Flachszoll im Interesse der armen Leute gesprochen hatte, wurden die beiden Anträge Windthorst⸗ Varnbüler angenommen.

Im Anschluß an diesen Gesetzentwurf beantragte der Abg. Richter (Hagen) folgende Resolution:

Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dem Reichstage noch in dieser Session einen Gesetzent⸗ wurf vorzulegen, welcher den §. 7 des Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 in Nr. 1 und 3 in einer den Interessen der einheimischen Mühlenindustrie, des Handels und der Landwirthschaft entsprechen⸗ den Weise abändert, insbesondere den Nachweis der Identität bei der mit Rücksicht auf die Ausfuhr gestatteten zollfreien Ein⸗ fuhr von Getreide, insoweit erläßt, daß gestattet wird, soviel aus⸗ ländisches Getreide auf die Transitläger bezw. in die Mühlen zoll⸗ frei einzuführen, wie von denselben Stellen aus Getreide oder Mehl (letzteres dem Ausbeuteverhältniß entsprechend) zur Ausfuhr in das Ausland gelangt.

Die Abgg. Graf zu Stolberg (Rastenburg), Freiherr von Heereman und von Kardorff beantragten dagegen:

Der Reichstag wolle unter Ablehnung des Antrags Richter beschließen: „den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dem Reichstage noch in dieser Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher den §. 7 Nr. 3 des Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 dahin ab⸗ ändert, daß der Nachweis der Identität bei der mit Rücksicht auf die Ausfuhr von Mehl gestatteten zollfreien Einfuhr von Getreide insoweit erlassen werde, daß gestattet wird, so viel ausländisches Getreide in die Mühlen zollfrei einzuführen, als von denselben Stellen aus Mehl (dem Ausbeuteverhältniß entsprechend) zur Aus⸗ fuhr ins Ausland gelangt“.

Die Abgg. Rickert u. Gen. wollten für den Fall der An⸗ nahme des letzteren Antrages demselben folgenden Zusatz bei⸗ gefügt wissen:

„ferner einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher den §. 7 Nr. 1 des Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 dahin abändert, daß der Nach⸗ weis der Identität bei der mit Rücksicht auf die Ausfuhr gestatte⸗ ten zollfreien Einfuhr von Getreide insoweit erlassen werde, daß gestattet wird, so viel ausländisches Getreide auf die Transitläger zollfrei einzuführen, wie von denselben Stellen aus Getreide zur Ausfuhr in das Ausland gelangt.“

Der Abg. Richter (Hagen) führte aus, sein Antrag be⸗ handele zwei innerlich gleicharttge, aber doch äußerlich unab⸗ hängig von einander stehende Fragen. Die innerliche Gleich⸗ artigkeit beruhe darauf, daß in beiden Fällen das Export⸗ geschäft gegen die Einwirkungen des Getreidezolles geschützt

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werden solle, und daß eine Rückerstattung des Zolles auf aus⸗ ländisches Getreide stattfinden solle, soweit es sich um Ausfuhr von Getreide oder Mehl handele. Der Antrag Stolberg und der Antrag Rickert beträfen je einen Theil seines Antrages, so daß, wenn beide Anträge angenommen würden, auch sein Antrag in allem Wesentlichen angenommen sei. Sein Antrag unterscheide sich von der Summe jener beiden Anträge nur redaktionell, also was er in Bezug auf die Mühlen wolle, wolle der Antrag Stolberg und was er in Bezug auf das übrige Getreidegeschäft wolle, wolle der Antrag Rickert. Beide Anträge kämen daher nur dem Antrage auf getrennte Abstimmung über seinen Antrag gleich. Da die Herren ein⸗ mal diese Form gewählt hätten und es ihm nicht auf die Etiquette, sondern auf die Sache ankomme, so sei es ihm auch recht, wenn sein Antrag unter der Etiquette Stolberg⸗Rickert angenommen werde. Die deutsche Mühlenindustrie habe es durch Fleiß, Intelligenz und Betriebsverbesserungen zu einem Mehlexport von 4 Millionen Centnern gebracht. Das Export⸗ mehl werde hergestellt theils aus inländischem, theils aus auslän⸗ dischem Getreide. In letzterer Beziehung sei es gewissermaßen ein Veredelungsverkehr, begünstigt durch die geographische Lage, wonach Getreide aus Osten und Südosten in Deutsch⸗ land zu Mehl für Holland, Skandinavien und England ver⸗ arbeitet werde, obwohl dort auch ungarisches und französisches Mehl scharf konkurrirten. Die deutsche Müllerei ver⸗ schaffe hierbei Deutschland Industrie, Handel und Trans⸗ portgewinn, sowie der Landwirthschaft Rückstände der Fabri⸗ kation als Futtermittel. Auch sonst sei die deutsche Landwirth⸗ schaft an der Erhaltung dieses Exports mit interessirt, weil zum Export ausländisches, gemischt mit inländischem Getreide ver⸗ mahlen werde, weil deutsches Getreide allein nicht in dem Maße backfähiges Mehl gebe, da deutscher Weizen in Folge des deutschen Klimas und der längeren Blätterentwickelung der Pflanze stärkehaltiger, aber nicht ebenso stickstoffhaltig und klebrig sei, wie das aus der Vermischung von Getreide ge⸗ wonnene Mehl. Da der Müller an diesem Exportgeschäft nur 2 Proz. verdiene, so könne derselbe nicht 5 Proz. Zoll auf das ausländische Getreide dafür bezahlen. Die Bestim⸗ mung des vorjährigen Gesetzes, welche eine Rückerstattung auf Getreidezoll gewähre, erweise sich nun praktisch nicht durchführbar ohne Ruin des Exportgeschäftes. Das vor⸗ jährige Gesetz gewähre nur soviel Rückvergütung auf Zoll für ausländisches Getreide, als von diesem Getreide nach⸗ weisbar zur Ausführung gelange. Der Nachweis der Identität bedinge aber eine Menge Kontrolen, welche die Einheitlich⸗ keit des Mühlenbetriebes zerstören und in denselben so viel Anmeldungen, Unterbrechungen und Scheidungen einschieben würden, daß das Exportgeschäft sich nicht mehr bezahlt mache. Dasselbe sei nur möglich, wenn möglichst viel Arbeitskraft und Lagerraum beim Mühlenbetrieb gespart werde. Demgemäß seien die Getreideläger nicht getrennt, sondern das Getreide werde mechanisch gemischt und gelange kontinuirlich durch mechanische Vorrichtungen in die Mühle. Das Mischungs⸗ verhältniß könne nicht vorher angemeldet werden, sondern müsse oft während des Mahlprozesses anders regulirt werden. Nach der rasch wechselnden Konjunktur richte es sich, ob das Mehl ins Inland oder Ausland zu verkaufen sei. Nach seinem Antrag würden diese Ver⸗ hältnisse nicht gestört werden, sondern soviel werde an Zoll 18 das auf die Mühle gelangte ausländische Getreide zurückvergütet, wie aus dieser Mühle Mehl ins Ausland verkauft werde, möge letzteres nun aus inländischem oder ausländischem Getreide hergestellt sein. Bei der Rückvergütung könne also danach inländisches Getreide ausländisches in den Grenzen der Ausfuhr vertreten, soweit letzteres in derselben Mühle zum inländischen Konsum verarbeitet werde. Im Uebrigen werde die Identität der Person und der Mühle im Gegensatz zum System der titres d'acquit aufrecht erhalten. Bei den gegen⸗ wärtigen Mehrheitsverhältnissen und handelspolitischen Grund⸗ sätzen der Mehrheit des Reichstages habe er nicht weiter gehen wollen, als das praktische Bedürfniß schon jetzt für durchaus nothwendig erkläre. Noch in dieser Session müsse dies Ver⸗ hältniß geändert werden, denn sei das Exportgeschäft erst ruinirt, so könne bei der scharfen Konkurrenz des Auslandes ein neues Gesetz es nicht wieder lebendig machen. Die Frage habe nicht blos Bedeutung für große Mühlen, sondern interessire auch wesentlich die kleine Industrie. Denn wenn die Mühlen nicht mehr Exportgeschäfte machten, wenn ihnen dieselben verkümmert würden, dann bleibe ihnen nichts Anderes übrig, als, um noch überhaupt eine gewisse Renta⸗ bilität zu erlangen und ihre Kosten zu decken, sich um so mehr auf inländische Geschäfte zu werfen, für den inländischen Kon⸗ sum zu mahlen und eine drückende Konkurrenz für die kleineren Mühlen hervorzurufen. Aehnlich liege die Sache in Bezug auf den Export gemischten Getreides. Die Vertreter der See⸗ städte würden dies wohl des Näheren ausführen. Das In⸗ teresse der Seestädte sei auch das Interesse der Landwirthschaft ihrer Hinterländer, welche ihr inländisches Getreide in der Mischung mitausländischem an das Ausland wiederabsetzten. Der inländische Getreidepreis richte sich nach dem ausländischen zusätzlich des Zolles. Je mehr man bei der Rückvergütung auf dem Nach⸗ weis verwendeten ausländischen Getreides bestehe, um so mehr setze man eine Prämie darauf, möglichst viel ausländisches Getreide in der Mischung zu verwenden. In den Eingaben der Königsberger v sei ausgeführt, daß man nicht jede Mischung bei der Zollbehörde anzeigen lönne, weil oft ein einziges Haus an einem Tage 30 40 Mischungen vornehmen müsse. Reine Transitläger kämen praktisch kaum vor, weil man bei der Lagerung nicht wissen könne, ob das Getreide ins Inland oder Ausland verkauft werden solle. Auf gemischten Lägern brächten aber die Zollvorschriften alle jene Umständlichkeiten hervor. Noch in dieser Session seien Aen⸗ derungen der Gesetzgebung nothwendig. Ob das Haus nun seinen Antrag im Ganzen oder in den zwei Stücken des An⸗ trages Stolberg und Rickert annehmen wolle, sei ihm gleich⸗ gültig, er wünsche nur, daß das Haus so viel als möglich von diesen Anträgen annehme.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Direktor im Reichs⸗ schatzamt Burchard, erwiderte, der ursprüngliche Antra auf Aufhebung des Flachszolls, welcher ja einen auf mangelhaster