1880 / 143 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 21 Jun 1880 18:00:01 GMT) scan diff

122 . 8 wSb w ,

rend dieser regnerischen Zeit die Temperatur nicht unbedeutend ge⸗ hoben, so geschah dies in noch weit höherem Grade, als am 24. Mai

das Barometer wieder zu steigen begann, als sich eine sehr lebhafte äquatoriale Strömung erhob, der Himmel sich fast ganz aufhellte und so die Sonnenstrahlen ihren erwärmenden Einfluß ungehindert geltend machen konnten. Am Rhein fiel, wie die unten folgende Uebersicht über die Wärme⸗ verhältnisse zeigt, der höchste Stand, den im Mai das Thermometer erreichte, auf den 26., in den westlichen Provoinzen im Allgemeinen, sowie in den mittleren auf den 27., jenseits der Oder aber auf den 28. Mai. Nur selten sind im Mai so heiße und schwüle Tage vor⸗ gekommen, wie der 27. Mai ein solcher war, in Berlin z. B., wo derselbe eine mittlere Temperatur von 24 Grad hatte, in den letzt⸗ verflossenen 32 Jahren nicht; das absolute Maximum dieses Tages, 31,6 Grad, ist in dem angegebenen Zeitraume nur einmal, am 22. Mai 1857, erreicht worden. Während der acht Tage vom 19. bis 27. Mai zeigte an den westlichen Stationen das Thermometer eine Schwankung von 29 bis 30, an einigen östlichen von noch mehr als 30 Graden. Fast überall stellten sich am 28. Mai elektrische Ent⸗ ladungen ein, und die plötzlich zum Theil mit großer Lebhaftigkeit auftretende nördliche Windesströmung führte eine schnelle- Herab⸗ minderung der Wärme herbei, so daß die letzten meist regnerischen Monatstage 8 bis 10 Grade kälter waren, als die unmittelbar vor⸗ hergegangenen. Mittlerer Barometerstand im Mai 1880 nebst den Extremen, in Millimetern. rometer⸗ Maximum Minimum Seehöhe stand Tag Stand Tag Stand Königsberg 22,6 759,6 766,7 23 747,7 Lauenburg 29,4 59,5 67,4 23 46,6 Conitz 47,6 55,0 23 34,6 Bromberg 56,1 665,9 25 47,1 Breslau 48,6 56,3 6 40,6 Görlitz 42,4 811 11 34,3 Torgau 52,7 61,3 23 43,8 Breitenbach 06,6 15,0 3 698,6 Berlin 57,8 66,6 22 747,1

Putbus 1 57,1 64,9 45,5

61,2 69,7 49,9

57,5 66,3 48,9

63,2 7 3 55,2

54,5 66,0 46,4

58,5 67,8 48,3

44,2 54,3 34,5

3 48,0 58,6 38,3

Darmstadt 42,2 520 2,8

Hechingen 15,2 24,9 3 06,2

In der folgenden Uebersicht ist die Anzahl der Frosttage

nicht mit aufgesührt, da von den angegebenen Stationen nur etwa

ie Hälfte deren hatte. In Görlitz und Berlin kam einer, in

önigsberg, Bromberg und Münster kamen 2 u. s. w., ja in Lauen⸗

burg 6, in Großbreitenbach 7, in Schreiberhau 8 Frosttage, d. h.

.“ an denen das Thermometer unter den Gefrierpunkt her⸗ absank.

Mittlere Temperatur im Mai 1880 nebst den absoluten

Extremen. Beigefügt sind die Anzahl der Sommertage und der Tage mit Gewitter. Maximum: Minimum: Mittlere 2 .. Tem⸗ 5

* 4

Tage mit Gewitter

* .

.—.

8

2 20 18 18 19

Stand

peratur:

8 A 11,3 (12,0) 28 10,1 (10,9) 28 28

N7

28

Stand Sommer⸗

D,.—SS.—S.o 0 Sb”0’—

Königsberg Hela Lauenburg. EE 1A11XA“A“ Bromberg. Breslau EE 6 11 Sorgau.. Breitenbach Peilin. Putbns. Hamburg.. annover.. lausthal. Emden.

9,2 (8,5) 9,8 (10,8) 10,5 (11,3) 11,1 (12,3) 28 11,4 (13,3) 28 19 1“ h“ 20 27 19 27 1 27 19 27 19 27 19 27 19 7 27,0 19 27 28,9 7 Münster... 27 30,6 1 F 26 811 9 L“ 26 31,8 19 Trier 9) 76 30,6 10 Darmstadt. * 26 31,4 119 Hechingen.. 27 27,8 20 Unter Sommertagen sind solche zu verstehen, an denen Thermometer über 25 Gr. C. steigt. Niederschläge im Mai 1880, ausgedrückt in Millimetern. Höhe der Größte Höhe Tage mit Heitere Trübe Niederschläge Tag Höhe Niederschl. Tage Tage Clanben 99,3 (97) 16 18,0 21 10 Königsberg 34,4 (44,4) 10 8,8 16 9 11 10 59,8 9 9. Lauenburg. 24,4 c9 10 11,2 11 9 16

SS. S& S&. S.985 OodSSSUSS

vooboto do bo d0

-SS’’90.85gZ

SoSSE

X“X“ gC oC8Sʒ SgZ

5

do UoUUNO cO O F U DU

S8—,SboSSnSodo oOdbOO0CʒSDS

v“ E14A4A4“

öö—1—19 14 Bromberg 39,5 (44,2) 7 21 15 Breslau 96,9 (48,5) 29 20 15 Büne 1116161 21 18 GIitz . 89) 7 21 v11öö1ö’ö’— 11 Breitenbach 21,2 (87,2) 28 13 L1166 8 8899 23 9 Putbus 82,9 28 5 Hamburg (55,7) 3 16 annover. (48,8) 28 11 lausthal. 89 24 12

—20

Emden. 49,4) 24 14 8Sa, 54,6) 28 18bIb

Aachen. 116h WEZE11““ 63,6)

Darmstadt. (66,4) 2

Hechingen (72,5) 7

boo —Oonbte SPeoocepnto Ac-hbtoc- deO OCU-Ce; ,—

69Seb’SOERESOOUOCNOCOSGCOCGCOᷣO;

A.

Internationale Fischerei⸗Ausstellung. Die beiden stammverwandten Nationen, Deutschland und Oesterreich, sind zusammen durch 551 Aussteler vertreten, von denen 535 auf unser Vaterland entfallen. Beide Länder sind es, die uns in reicher Menge auch lebende Fische vorführen, deren Ausstellung den meisten anderen Nationen durch die allzuweite Entfernung zur Unmöglichkeit gemacht war. Namentlich ist es die Binnenfischerei, die sich in hervorragen⸗ der Weise an der Ausstellung frischer Fische betheiligt hat. Nicht an letzter Stelle ist hier Berlin und die Mark zu nennen; ist doch der 2. Preis Sr. Majestät des Kaisers einer Berliner ischereifirma, C. Lindenberg, zugefallen: wohl der beste Beweis, welche Stellung die Berliner Fischerei schon jetzt einnimmt und wie berechtigt die Er⸗ wartungen sind, die man von der Fischerei⸗Ausstellung gerade für Berlin hegt. In 5 großen Bassins hat C. Lindenberg jene muntern Thiere unterge⸗ bracht, die zunaͤchst unserer heimischen Spree entnommen sind. Was Lindenberg im Fischhandel geleistet, hat A. Micha in Betreff des Krebshandels zu schaffen gewußt. Auch hier haben die Seen und

Flüsse der Mark, nächst ihnen die Pommerns, Ost⸗ und Westpreu⸗

ßens das Hauptkontingent gestellt. Die großen Anlagen Micha's in Hoppegarten, sowie mehr als 20 große Bassins, die durchschnittlich eine halbe Million Krebse beherbergen, sind ji bekannt weit über unseres Vaterlandes Grenzen hinaus; ist doch namentlich Paris ein Hauptkonsument der Micha’'schen Krebse, während England nur Krebsschwänze bezieht, von denen alljährlich mehr als 15 000 Schock von Micha nach London expedirt werden. Ein nicht kleiner Theil derselben kehrt in Gestalt englischer Kon⸗ serven unter englischer Etiquette in unsere Heimath zurück. Von den Berliner Fischern wollen wir noch A. Thiedecke & Sohn nennen, eine unserer ältesten und angesehensten Fischereifirmen, deren Produkte einen Theil des großen Neptunbeckens bevölkern. Eine Sammlung aller der Fische, welche in der Spree und in der Havel vorkommen, hat der Verein zur Hebung der Fischzucht im Regierungs⸗ bezirk Potsdam ausgestellt, während der Lausitzer Fischerverein im Teich des Gartens Karpfen vorführt, deren einzelne auf ein Alter von 24 Jahren zurückblicken können. Die Thüringer Fischer haben sich zu einer Kollektivausstellung vereinigt, die nameatlich auch die Forellenzucht berücksichtigt. Die größerenFische aus bayerischen Gewässern, die Gebr. Kuffer⸗München ausgestellt, haben ihnen wohlverdient eine goldene Medaille eingebracht. L. Scheuermann⸗Dinkelsbühl hat durch eine Reihe von Prachtexemplaren die Vortrefflichkeit seiner Goldorfen⸗ zucht dargelegt, die auch die Jury durch Verleihung einer silbernen Medaille anerkannt hat. Die Donaufische hat nahezu vollzählig der Fischzuchtverein zu Straubing in Niederbayern hierher gesandt. Eine hohe Bedeutung hat die Ausstellung in Bezug auf die Lösung der sogenannten Aalfrage gehabt. Bis 1874 galt der Aal bekanntlich für einen Zwitter; erst im genannten Jahre gelang es dem Prof. Dr. Syrski in Triest, die männlichen Geschlechtsorgane des Aales auf⸗ zufinden. Dem Direktor des Berliner Aquariums Dr. Hermes war es vergönnt, männliche Aale auf der Ausstellung vorzuführen, die sich bei der durch Prof. Virchew u. A. vorgenommenen Sektion in der

hat als solche erwiesen. Der Umstand, daß die männlichen Geschlechtsorgane nur bei kleinen, nicht über 44 cm langen Aalen aufgefunden worden sind, macht es erklärlich, daß die Thatsache von der Existenz zweier Geschlechter bei den Aalen den Forschern so lange entgehen konnte. Dazu kommt, daß fast alle in den Gewässern des Binnenlandes vorkommenden Aale weiblichen Geschlechtes sind, wäh⸗ rend sich die Männchen in der See in der Nähe der Flußmündungen oder in diesen selbst aufhalten. Aeußerlich sind sie von den Weib⸗ chen schwer zu unterscheiden, und nur genaue Kenner vermögen mit einiger Sicherheit die Auswahl zu treffen.

Der Verein für die Geschichte Berlins hat am Sonn⸗ abend die Reihe seiner diesjährigen Wanderfahrten mit einer Tour nach dem Kloster Chorin eröffnet. In der Apsis nahm der Redner des Vereins, Hr. Budzies, Platz, um in kurzen Zügen die Geschichte des Klosters von seiner Gründung bis zu seiner Aufhebung vorzu⸗ tragen. Die Stiftung des Klosters fällt danach in das Jahr 1273, also in die Regierungszeit der Markgrafen Johann I. und Otto III., die schon in Barsdin (Parstein) und Mariensee klösterliche Anlagen hervorgerufen hatten. Mariensee, von Lehnin aus mit Mönchen und den ersten Einrichtungen versehen, ward zur oben angegebenen Zeit nach Chorin verlegt und bestand hier 270 Jahre, ohne daß große Ereignisse dasselbe zu hervorragender Thätigkeit wach gerufen hätten. Die Aebte von Chorin gehörten zu den angesehensten Prälaten des Landes: der Abt Tobias nahm Theil an der Bei⸗ legung der Aufstände von 1442 und 1448. Aber selbst die Schreckens⸗ jahre des falschen Waldemar vermochten nicht, die Choriner Mönche zu persönlichem Hervortreten zu veranlassen. Um so größer war das Verdienst, welches sich die Choriner um Kultur und Germanisi⸗ rung des Landes erwarben. Auf ihren Besitzungen hatten sie überall Musterwirthschaften und erfreuten sich der daueraden Gnade der Landesfürsten. Ihre Besitzungen umfaßten eine Fläche von 6 Qua⸗ dratmeilen. Markgraf Waldemar beschenkte den Orden noch am Tage vor seinem Tode und wurde hier begraben. Auch die Hohenzollern gewährten dem Kloster Schutz und Gnade, und es ist daher anzuneh⸗ men, daß dasselbe in behaglicher Ruhe fortlebte, bis es, unter seinem 23. ö aufgelöst wurde. Nähere Nachrichten darüber fehlen gänzlich. 1

Den 2. Vortrag hielt an derselben Stelle Hr. Bauführer Rudolf Schultze. Er gab, nach einer längeren Einleitung über die Geschichte des Mönchswesens und der Ordenseinrichtungen überhaupt, interessante Bemerkungen über den Verfall von Chorin und dessen heutigen Zustand. An die Kirche legt sich südlich der Kreuzgang, der den viereckigen Klosterhof auf allen Seiten umgiebt. Von dem⸗ selben sind nur noch 2 Seiten und diese ganz verbaut vorhanden. Um den Kreuzgang gruppiren sich die anderen Räume, durchgängig zweistöckig, in der Südwestecke das Pfortenhaus, jetzt eine Wasch⸗ küche, mit noch erhaltenem, sehr schönem Portale. Das Refektorium, nördlich davon, ist gänzlich zerfallen. Das Abtshaus zeigt ein auf 2 Mittelsäulen ruhendes Kreuzgewölbe. Die Klosterküche, jetzt ein Viehstall, befindet sich daneben. An der Ostseite des Kreuz⸗ ganges lag wahrscheinlich zunächst der Kirche der Kapitelsaal und im oberen Stock desselben der gemeinsame Schlafsaal. Ein sehr schönes auf einer Säͤule ruhendes Gewölbe im ersteren Theil ziert noch jetzt den einen der zur Wohnung eingerichteten Räume; ebenso sind die Gewölbe der Bibliothek noch wohl erhal⸗ ten. Der Bau der Kirche hat 1262 begonnen und ist 1320 vollendet worden. Sie bildet den Glanzpunkt des ganzen märkischen Ziegel⸗ baues. So edle Verhältnisse, so geklärte Formen, eine solche Vollendung der Zeichnung findet man bei anderen Backsteinbauten nicht wieder, und noch jetzt, wo die Kirche im Laufe der Zeiten ihre Ge⸗ wölbe, die Ostkapellen, das südliche Nebenschiff und den größten Theil des so reizvollen Fenstermaßwerkes eingebüßt, gehört sie zu den be⸗ wundertsten Resten des Mittelalters. Welche Schicksale hat die⸗ selbe auch über sich ergehen lassen müssen! 1635 durch die Schweden verwüstet, 1680 durch Wallonen besiedelt, 1706 als Invalidenhaus eingerichtet, durch Brand zerstört, zu Pferde⸗ und Schweineställen ein⸗ gerichtet, ohne Fensterscheiben, ohne Dach, fand 1817 Schinkel den Bau vor und rettete die Bausubstanz, deren Perle die Westfront. Ein Theil des Kirchenfußbodens ist noch, mit Brandschutt und Sand

bedeckt, vorhanden, ebenso die Fundamente der Kapellen, ein Stück

eines zart gegliederten Mittelpfeilers und die gemauerten Altar⸗ fundamente.

An die beifällig aufgenommenen Vorträge schloß sich nun unter Leitung des Ober⸗Forstmeisters Bando ein Rundgang durch die Kirche, durch die Baumschule, mit dem Monumente der im Kriege gefallenen Forst⸗Akademiker, durch einen schattigen Hohlweg hinauf zum Lärchenberg, wo ein Rundblick über Berg und Thal, über Wald und Feld, über Land und Wasser die Gesellschaft für die Mühe des Steigens lohnte.

In der 24. Hauptversammlung des Vereins für deutsches Kunstgewerbe machte Hr. Dr. Pabst Mittheilungen über die Zinnindustrie, welche, in älterer Zeit weit verbrektet und blühend, seit neuerer Zeit namentlich seit der allgemeinen Einführung des Porzellans nur noch wenig betrieben wird und leider auch nicht viel Aussicht hat, jemals ihre frühere Bedeutung wieder zu erlangen. Ueber die alte Geschichte der Zinntechnik haben wir wenig Nachrich⸗ ten; nur aus den Stempeln, welche den noch erhaltenen Geräthen aus früherer Zeit aufgeprägt sind, läßt sich entnehmen, daß in sehr vielen Städten Gießstätten befindlich waren, in 1ei edos. immer nur handwerksmäßig gearbeitet wurde. Dem amen nach kennt man als bedeufende Zinngießer den Nürnberger Caspar Ender⸗ lein, von welchem das Taufbecken in der St. Lorenzkirche daselbst herrührt, und den Franzosen Fr. Briot; aber diese haben nicht nach eigenen Entwürfen gearbeitet, sondern nach denen deutscher Klein⸗ meister, welche freilich oft die schönsten Muster zeigen. Prächtige derartige Sachen mit schönen dekorativen Verzierungen befinden sich im hie gen Kunstgewerbemuseum. Neuerdings werden recht gelungene, aber (in Rücksicht auf die Modellkosten) theure Zinnwaaren in Mün⸗ chen und namentlich in Karlsruhe angefertigt. In Berlin ist diese Industrie zuerst wieder durch Hrn. O. Schulz belebt worden, und zwar

gleich in hervorragender Weise; ein von demselben hergestellter Zinn⸗ humpen kann als Meisterstück gelten. Ueberhaupt dürfte gerade für Trink⸗ gefäße das Zinn noch am besten Verwendung finden; Bierseidel⸗ deckel aus diesem Material werden in Süddeutschland nach guten Modellen sehr hübsch ausgeführt. Hr. Levi befürwortete die Be⸗ nutzung des Zinns zur Montirung von Fayencegefäßen, wie solches in älterer Zeit vortheilhaft geschaß. Ausgestellt waren ein für Amerika bestimmtes, meisterhaft ausgeführtes Album mit trefflicher Lederpressung von Hrn. Treue; eine zur Wanddekoration sich eignende treffliche Relieffholzschnitzerei mit der Darstellung einer häuslichen Scene (Daheim“) aus dem Atelier von E. Wendt u. Co. in Niesky; end⸗ lich eine bedeutende Kollektion hervorragender geschmiedeter Eisen⸗ arbeiten von E. Puls, darunter z. B. ein großer Kronleuchter, für das Reichsjustiz⸗Amt bestimmt, ein Kaminvorsetzer für das Arbeits⸗ zimmer Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen und zahlreiche kleinere Meisterstücke der Schmiedekunst. Diesen Arbeiten wurde die lebhafteste Anerkennung Seitens der Versammlung gezollt; na⸗ mentlich folgte die letztere mit großem Interesse der Schilderung des Ausstellers, wie derartige Arbeiten durch verschiedene Stadien der Behandlung sich aus einem einfachen Stück Eisen entwickeln. Zum Schluß wurde noch das im Lesezimmer aufgestellte neue Bücher⸗ spind des Vereins, von Hrn. Pingel gefertigt, besichtigt und in sei⸗ ner soliden, gediegenen Ausführung allge mein gewürdigt.

Dresden, 20. Juni. (W. T. B.) Die Zahl der in Folge des letzten großen Wolkenbruchs in der schsischen Ober⸗ umgekommenen Personen beträgt nach den bis jetzt gemach⸗ ten Feststellungen 63.

Bäder⸗Statistik Personen

Aachen bis 15. Juni (Fremde und Kurgäste) . 12 819 Alexisbad (im Selkethal i. Harz, Anhalt⸗Bernburg) bis 15.

3 19 0 2811,ehe. I.h““ Burtscheid (Rheinprovinz) bis 15. Juni (einschl. der Durch⸗

A“ ö (Schlesien) bis 15. Juni (nechst 26 Durch⸗ Cudowa (Grafsch. Glatz) bis 15. Juni (nebst 25 Durchreis.). Elmen (Soolbad bei Gr.⸗Salze, unweit Magdeburg) bis

4X4X“ Elster (Königreich Sachsen) bis 16. Juni (756 Part.).

Ems (Nassau) bis gegen Mitte Juni).. .

Franzensbad (Böhmen) bis gegen Mitte Juni. ö Wildbad Gastein (Ober⸗Oesterreich) bis gegen Mitte Juni Gleichenberg (Steiermark) bis gegen Mitte Juni. . . Glücksburg (Ostseebad in Schleswig Holstein) bis 17. Juni. Goczalkowitz (Oberschlesien) bis 10. Juni (nebst 12 Durch⸗

144* 1 Görbersdorf (Schlesien) bis 15. Juni (einschl. der Durchreis.) Griesbach (bad. Schwarzwald) bis 15. Juni (nebst Durchreis.) Homburg v. d. H. (Reg.⸗Bez. Wies baden) bis 6. Juni.

Kahlberg (Seebad in Westpreußen) bis 10. Juni. 1 Karlsbad (Böhmen) bis gegen Mitte Juni. . . Kreuznach (Rheinprovinz) bis gegen Mitte Juni . . . .. Landeck (Grafschaft Glatz) bis 15. Juni (nebst 193 Durchreis.) Langen⸗Schwalbach (Nassau) bis 20. Juni (Fremde) . . . Liegau (bei Radeberg im Königr. Sachsen) bis 15. Juni (65 Part.) 101 Marienbad (Böhmen) bis gegen Mitte Juni . . . . .2 334 Marienborn (bei Camenz in Sachsen) bis 15. Juni (64 Part.) 75 Münster am Stein (bei Kreuznach in der Rheinprovinz) bis ˙-555˙] Nauheim (bei Frankfurt a. M.) bis gegen Mitte Juni . 349 Neuenahr (Rheinprovinz) bis 15. Juni (Fremde).. hPöP-8-”] Oeynhausen (Westfalen) bis 18. Juni (nebst 342 Durchreisenden) 111116A6AXA“ Petersthal (Baden) bis 15. Juni. öc1“ VVGöb156 11111 1111“] Reichenhall (Bayern) bis gegen Mitte Juni 295 Reinerz (Grafsch. Glatz) bis 15. Juni (nebst 223 Durchreisenden) ää99999 Salzbrunn (Schlesien) bis 15. Juni (nebst 387 Durchreisenden) 436 Schandau (Königreich Sachsen) bis 18. Juni (138 Part.). 306 Schlangenbad (Nassau) bis 9. Juni k11 Soden (am Taunus, Nassau) bis 13. Juni. . . 16 Suderode (am Harz, Prov. Sachsen) bis 14. Juni Teplitz⸗Schönau (Böhmen) bis 15. Juni . . . . Thale (Provinz Sachsen) bis 9. Juni (Fremde) . . Warmbad (bei Wolkenstein im Königr. Sachsen) bis 17. Juni ˙öäö˙äᷓö—ö1·—5 Weichselmünde und Westerplatte (Westpreußen) bis 10. Juni ca. 120 Weilbach (Nassau) bis Mtte 1868. 50 Weißer Hirsch mit Oberloschwitz (Königreich Sachsen) bis 1bbb1 Wiesbaden (Nassau) bis gegen Mitte Juni. . . ... Zoppot (Ostseebad bei Danzig) bis 9. Juni (104 Familien).

Emden, 16. Juni. Die Badesaison auf Norderney ist gestern in gewohnter Weise eröffnet worden. Der Dampfer „Norderney“ fuhr mit 62 Personen unter Böllerschüssen und den Klängen der Königlichen Badekapelle hier ab und erreichte nach vierstündiger Fahrt die Insel, welche die beiden ersten Dampfer „Norderney“ und „Stadt Norden“, letzterer von Norddeich kommend, festlich geflaggt, ebenfalls mit Böllerschüssen begrüßte. Heute Vormittag fuhr der Dampfer „Norderney“ nach Borkum, womit die Saison dort eben⸗ falls eröffnet ist.

Homburg v. d. Höhe. Die Saison schreitet ungeachtet der ungünstigen Witterung in recht erfreulicher Weise vor. Außer Deutsch⸗ land ist England schon recht stattlich vertreten, zahlreiche Bestellungen auf Wohnungen sind erfolgt, und lebt Jedermann der festen Zuversicht, daß die diesjährige Saison eine recht gute werden wird, sofern uns das Wetter nur begünstigt. Der weite, große Park, überragt von den Höhen des Taunus, prangt im üppigsten Grün, und es ist von den während des vergangenen überaus strengen Winters entstan⸗ denen Schäden nichts mehr zu bemerken. Die Wege sind auf das sorgfältigste in Stand gesetzt, und herrliche Blumenbeete umgeben die in den Anlagen befindlichen Quellen. Seit dem 15. Mai spielt das Kurorchester dreimal täglich, Morgens an dem Elisabethbrunnen, Nachmittags und Abends im Knurgarten oder im Konzertsaal. Die eleganten, großen Säle des Kurhauses bieten gerade an kühlen Tagen, wo das Verweilen im Freien un⸗ möglich ist, eine sehr erwünschte Unterkunft für unsere Kurgäste. * der Ungunst der Witterung ist die Gemeinde der Brunnen⸗ trinker, welche den Elisabethbrunnen, den Hauptrepräsentanten unserer Quellen, frequentirt, schon recht beträchtlich. Den bereits vorhan⸗ denen Kurmitteln ist durch die im vorigen Jahre getroffene Neu⸗ einrichtung von Movorbädern ein äußerst schätzenswerthes weiteres zugefügt worden. Für Unterhaltungen ist bekanntlich in Homburg aufs Beste gesorgt, und wird allen Anforderungen, welche nur an einen Badeort ersten Ranges in dieser Hinsicht gestellt werden können, genügt. So ist unter anderen faur die Ausführung der Theater⸗ vorstellungen (Opern) während der Sommersaison das gesammte Opernpersonal des Großherzoglich hessischen Hoftheaters zu Darm⸗ stadt gewonnen, und werden die Vorstellungen am 26. Juni beginnen.

Redacteur: Riedel. Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Vier Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage).

rste Beilage

Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

Berlin, Montag den 21 Juni

1880

mman

Aichtamtlicheeas.

Preußen. Berlin, 21. Juni. Im weiteren Verlaufe der vorgestrigen (79.) Sitzung setzte das Haus der Ab⸗ geordneten die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffkend Abänderungen der kirchenpolitischen Ge⸗ setze, mit der Diskussion des Art. 2 fort. Nach dem Abg. Dr. Windthorst ergriff der Minister der geistlichen ꝛc. Ange⸗ legenheiten von Puttkamer, wie folgt, das Wort:

Meine Herren! Ich gehe auf eine nochmalige Motivirung des Artikels 2 der Regierungsvorlage nicht ein, als e Herr Kommissarius dieser Aufgabe mit der erschöpfenden Sachkenntniß meiner Auffassung nach gerecht geworden ist, welche an ihm bekannt ist und ihn zu einem meiner geschätztesten Mitarbeiter macht.

„Wenn der Hr. Abg. Dr. Windthorst mit seiner gewohnten Meisterschaft versucht hat, um einen Ausdruck meines Herrn Kom⸗ missarius eine kleine dialektische Fessel zu schlingen und die ganzen Deduktionen meines Herrn Kommissarius an diesem Ausdruck ge⸗ wissermaßen fest zu nageln, so habe ich darauf zu bemerken, daß es in diesem Fall wie so häufig geht, daß es manchmal besser wäre, an Stelle eines fremden termiauns techvicus ein ehrliches deutsches Wort zu setzen. Hätte mein Herr Kommissarius, wie er ganz unzweifelhaft

beabsichtigt hat, gesagt: die preußische Einrichtung des recursus ab

abusu ist eine ganz außergewöhnliche, weitergreifende wie die in an⸗ deren Staaten, so hätte er damit etwas vollkommen Zutreffendes und nur dasjenige gesagt, was er hat sagen wollen und was ihm nur in dem Ausdruck exorbitant in einer gewissen prismatischen Weise das Licht gebrochen hat erscheinen lassen. Meine Herren, was den Effekt desjenigen Spruches, den der kirchliche Gerichtshof nach preußischem Recht thut, auszeichnet vor ähnlichen Institutionen in anderen Ländern, ist eben, daß seine kassatorische Wirkung sehr viel weiter geht, wie die Wirkung ähnlicher Gesetzgebungen in anderen Ländern, indem sie den ganzen Inhalt der kirchlichen Vorentscheidung einschließlich der rein kirchlichen Elemente trifft. Dies ist auch in meinen Augen ein Mangel der preußischen Gesetzgebung, und ich stehe gar nicht an zu sagen, daß, wenn wir an den Zeitpunkt einmal kommen werden, wo man eine umfassende Erörterung über alle diese Dinge in organischer Weise wird vornehmen können, dies der Gesichtspunkt sein würde, an welchen ich anzuknüpfen geneigt sein märde. um eine Reform auf diesem Gebiete der Gesetzgebung herbei⸗ zuführen.

Ich will mich noch an einige andere Aeußerungen des Hrn. Abg. Dr. Windthorst wenden, weil es mir wichtig ist, sie auf dem Fuße zu erwidern.

Der Hr. Abg. Dr. Windthorst sagt, wenn man diesen Artikel unter das Provisorium stellt, was ja wahrscheinlich in einem beson⸗ deren Artikel 12 dem ganzen Absatz angehängt werden wird, dann könnte die Sache möglicherweise eine andere Physiognomie bekommen; aber die Regierung hat sich die Vorlage gar nicht als Provisorium gedacht, und es liegt auch bis jetzt keine Aeußerung von ihr vor, daß sie von diesem Gesichtspunkte ausgehen würde. Ich behalte mir über diese wichtige Frage das letzte Wort vor, wenn wir in der Diskussion des Gesetzes an die betreffende Stelle gelandt sein wer⸗ den; ich glaube, das Haus wird das gleichfalls für richtig halten, weil die Diskussion sonst ganz unrettbar sich vermengt und abspringt von dem Gegenstande, welcher augenblicklich zur Debatte steht.

Nun sagt der Hr. Abg. Dr. Windthorst, ich habe ja in der Kommission an den Vertreter der Staatsregierung die ausdrückliche Frage gerichtet; will man uns versprechen, daß nach An⸗ nahme dieser Vorlage in einer oder der anderen Form neue Verhandlungen mit dem römischen Stuhl über einen Ausgleich angeknüpft werden sollen und kann eine Garantie dafür gegeben werden, daß diese Verhandlungen auch zur Durchfüh⸗ rung kommen. (Widerspruch.)

Meine Herren, so habe ich den Hrn. Abg. Dr. Windthorst ver⸗ standen: Die Garantie, daß diese Verhandlungen bis zum Ende durchgefühet werden. Ich habe darauf schon die Ehre gehabt, zu erwidern, und habe das gethan unter Vorlesung von Depeschen, der Depesche vom 14. Mai, daß der Gedanke keineswegs ausgeschlossen sei, nach dem Zustandekommen dieser Vorlage neue Ver handlungen mit dem römischen Stuhl anzuknüpfen, eine Garantie für ihre wirk⸗ liche Durchführung kann ich in dem Augenblick in der That weder in Aussicht stellen noch übernehmen, ich denke, das wird Sache der Zukunft sein, und Niemand kann in diesem Augenblicke irgendwelche Sicherheit hierüber bieten.

Der Hr. Abg. Dr. Windthorst hat dann ferner in Anknüpfung an eine von mir neulich citirte Aeußerung des verewigten Kardinals v. Geißel beweisen wollen, daß weine Auffassung der Aeußerungen dieses Kirchenfürsten nicht die richtige sei, und daß der Kardinal v. Geißel den recursus ab abusu grundsätzlich perhorreszirt habe. Wenn der Hr. Abg. Dr. Windthorst die Güte haben will, sich an meine damaligen Worte zu erinnern; so habe ich auch nicht behauptet, daß der ver⸗ ewigte Kardinal von Geißel die Ansicht, die ich von ihm verlas, immer gehabt hat, er hat eben seinen Standpunkt gewechselt. Was die Konferenz der Bischöfe im Jahre 1848 zu Würzburg anlangt, ja, das waren Forderungen, die eben erhoben wurden in einer Zeit,

wo der Staat in Folge revolutionärer Bewegungen in voller Schwäche ihnen gegenüber stand, und da führte man von Seiten der hohen deutschen Prälatur allerdings eine von der des Jahres 1842 vollkom⸗

men verschiedene Sprache. Ich bitte, das nicht so aufzufassen, als ob ich dem verewigten Kardinal von Geißel, den ich persönlich zu

kennen die hohe Ehre gehabt habe, irgend einen Vorwurf machen wollte, das liegt mir fein, aber ich glaube, ich bin berechtigt, mich an eine solche üffentliche Erklärung zu halten und sie mit späteren

Erklärungen derselben Person zu vergleichen.

22 Dann hat der Hr. Abg. Windthorst noch als besonders bedenklich im

Art. 2 bezeichnet die Stellung, in welche der Ober⸗Präsident zu Denfeni⸗ gen kommen würde, welche in die Lage gerathen, seine Hülfe anzurufen, und hat gemeint, daß wohl nur Diejenigen, welche sich etwa liebes Kind bei ihm machen könnten, sich die Hoffnung würden machen

können, daß nun wirklich in ihrem Interesse eintretenden Falles der

Rekurs an den Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten eingelegt

würde. Aber, so meint weiter der Abg. Windthorst, das ist noch

nicht einmal das schlimmste, sondern die untersten Instanzen haben

faktisch die Entscheidung darüber in der Hand, ob Thatsachen vor⸗

liegen, welche geeignet sind, um den Ober⸗Präsidenten um Einlegung der Berufung anzugehen. Wenn diese Auffassung die richtige ist, dann frage ich, wo soll überhaupt eine Verwaltung die Gesichts⸗ punkte und Motive für ihre Entschließungen hernehmen? Daß die Lokalbehörden die naturgemäßen Träger der materiellen Nachrichten sind, auf Grund deren die Oberbehörden ihre Entschließungen fassen, das ist doch wohl nur naturgemäß und nothwendig. Also, wenn der Bürgermeister derjenige Beamte unter Umständen ist, der pflicht⸗ gemäß die Thatsachen sammelt, welche dann dem Ober⸗Präsidenten als Unterlage für sein Urtheil dienen, so ist, glaube ich, damit nur eine Uebung ausgesprochen, die ganz einfach einen nothwendigen Be⸗ standtheil jeder geordneten Verwaltung bildet und ich denke, meine Herren, soweit wird es in Preußen niemals kommen, daß die „Frau Bürgermeisterin“ ein entscheidendes Wort in derlei Fragen mitspricht.

Der Abg. Dr. von Cuny bemerkte, zu seiner Ueber⸗ raschung habe das Beispiel des Abg. von der Reck über die Militärgerichtsbarkeit und die Unmöglichkeit, den General

““ 1“

v11“

unter den Kreisrichter zu stellen, den lautesten Beifall der Herren vom Centrum Hätten die Herren denn ganz vergessen, daß beide, Militär⸗ und Civilgerichtsbarkeit, vom Staate gehandhabt würden, daß der Staat die Grenzen beider festsetze? Er halte das Centrum bei diesem Beispiel fest, die nicht wegzuleugnende Konsequenz desselben sei, daß über die kirchliche und Civilgerichtsbarkeit der Staat zu ent⸗ scheiden habe. Den Dank des Abg. Windthorst an die Konservativen habe namentlich der Abg. von der Reck verdient, nicht durch seine Bemerkung über die Kreis⸗ richter, sondern durch das originelle und geistreiche System, das derselbe vorgeschlagen habe, die Streitigkeiten zwischen Staat und Kirche durch Austrägalgerichte zu entscheiden. Die Rolle des Schiedsrichters müßte ein Dritter, etwa ein Aus⸗ länder, übernehmen. Komme kein Vergleich zu Stande, so gehe die Sache nach Rom und an das Staats⸗Ministerium. Das sei die Theorie des Koordinationssystems zwischen Staat und Kirche. Dem gegenüber greife der Abg. von der Reck die Maigesetze als Werke des Liberalismus an; er bekenne sich indeß gern zu diesem Werke. Der Liberalismus könne stolz sein, daß derselbe in den Maigesetzen das Koordinationssystem aufgehoben habe. Wenn der Kultus⸗Minister den Standpunkt festhalte, zu dem derselbe sich eben bekannt habe, so sei derselbe auch liberal. Es sei gesagt wor⸗ den, die Berufung komme gar nicht vor. Betreffs der evangelischen Kirche bestreite er diese Behauptung. Habe doch erst kürzlich ein bekannter Geistlicher, Hr. Mein⸗ hold, die Berufung an den staatlichen Gerichtshof eingelegt und er glaube, dieser Herr stehe dem Abg. Stöcker näher als dem Protestantenverein. Solle man nun in einem Momente, wo in den höheren Kreisen der evangelischen Kirche der Geist der Unduldsamkeit und der Ketzerrichterei wieder Platz greife, diesen Gerichtshof aufheben, welcher den einzelnen Geistlichen vor Uebergriffen schütze? Er sympathisire sonst nicht mit der Richtung des Abg. Virchow, freue sich aber doch, daß derselbe in erster Lesung die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gerichtet habe. Für die evangelische Kirche sei das Institut der Berufung an den Staatsgerichtshof keines⸗ wegs grundsätzlich so neu, wie man aus der Rede des Regie⸗ rungskommissars hätte entnehmen können: bis zum Erlaß der Kabinetsordre von 1822 hätten für die protestantischen Pastoren die Bestimmungen des preußischen Landrechts gegolten. Dasselbe sage im §. 532, unter welchen Umständen die Entsetzung eines Pastors stattzufinden habe, und §. 533. besage, daß, wer sich dabei nicht beruhigen wolle, an einen staatlichen Gerichtshof Berusung einzulegen habe. §. 535 endlich bestimme, daß bei

katholischen Geistlichen die Berufung an das geistliche Gericht,

bei protestantischen an das Landes⸗Justizkollegium der Provinz zu richten sei. Für die cvangelische Kirche wäre es also ein Schaden, wenn auf den recursus ab abusu verzichtet würde. Der Regierungskommissar habe darauf hingewiesen, daß durch die bisherige Art der Berufungen jeden Augenblick Konflikte hervorgerufen werden könnten. Regierung habe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, wenn sich Mängel eines Gesetzes herausstellten, dieselben auf dem Wege der Gesetzgebung zu beseitigen, nicht aber durch Uebertragung des Gesetzes an den Ober⸗Präsi⸗ denten, denn wenn dieser von seiner Befugniß Gebrauch mache, so würden ja die Mängel immer wieder zu Tage treten. Nun heiße es, fuͤr das Uebergangsstadium sei die Uebertra⸗ gung des Rekurses an den Ober⸗Präsidenten nothwendig. Es sei ein seltsamer Widerspruch, einmal behaupte man, der recursus komme in der katholischen Kirche nicht vor, in dem⸗ selben Athem sage man, derselbe könne in den nächsten 1 ½ Jahren zu zahlreichen Konflikten führen. Es möge ja selten von dem Rekurs Gebrauch gemacht werden. Der Abg. von Bennigsen habe aber schon in der Kommission hervorgehoben, daß die prophylaktische Bedeutung desselben von hohem Werthe sei. Auch in Frankreich sei die praktische Bedeutung des Rekurses eine größere, als der Abg. Windt⸗ horst glaube. Denn nur durch den weltlichen Arm könnten die Entscheidungen der kirchlichen Oberen vollstreckt werden. In Frankreich bestehe der Rekurs seit Jahrhunderten; es hätte jeder, der sich von den kirchlichen Oberen verletzt glaube, die Entscheidung des Parlaments anrufen können. Die Bestim⸗ mungen der organischen Artikel gingen genau so weit wie der §. 12 des Gesetzes über den staatlichen Gerichtshof betreffs der Berechtigung zur Einlegung des Rekurses. Er komme zu dem Schluß, daß der recursus für die evangelische Kirche eine große praktische Bedeutung habe, für die katholische jedenfalls eine prophylaktische. Er und seine politischen Freunde wollten den Rechtsschutz, welchen der Staat den einzelnen unterdrückten Geistlichen gewähre, nicht aufheben und daher sei dieser Ar⸗ tikel für seine Partei unannehmbar.

Der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte, daß der Abg. von der Reck lediglich in eigenem, nicht im Namen der Partei gesprochen habe; daß demnach auch die Konsequenzen, die von jener Seite daran gekuüpft worden, hinfällig seien.

Die Debatte wurde hierauf geschlossen. Der Abg. Dr. Windthorst wies persoͤnlich darauf hin, daß er das, was er in Bezug auf den Ausdruck „exorbitant“ gesagt habe, auch trotz der Interpretation des Kultus⸗Ministers aufrecht erhalte. Er habe nicht, wie der Minister glaube, mit dialektischer Ge⸗ wandtheit an den Ausdruck „exorbitant“ des Regierungs⸗ kommissars angeknüpft, er knüpfe an die Uebersetzung des Ausdruckes, die der Minister gegeben, dieselben Schluß⸗ folgerungen, und hoffe, daß der Minister die richtigen Kon⸗ klusionen aus dem Ausdruck ziehen werde.

Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa bemerkte, der Abg. Windthorst habe mit der gewohnten Schlagfertigkeit auch ihm einige Worte heute gewidmet, welche seine Bemer⸗ kung widerlegen sollten, daß er es für bedenklich halte, ein baufälliges Haus ruhig einstürzen zu lassen, ohne am geeigneten Ort und mit den geeigneten Mitteln es zu repariren. Trotz der Autorität des Abg. Windthorst müsse er schon im bau⸗ polizeilichen Interesse bei seiner Ansicht stehen bleiben, und der Abg. Windthorst würde derselben Ansicht sein, wenn derselbe Amtsvorsteher wäre. Der Abg. Windthorst habe dann weiter seine parlamentarische reiche Erfahrung seiner (des Redners) jugendlichen parlamentarischen

h““ 11“

Er. denke, die

sicher,

Thätigkeit gegenübergestellt, 1 der bürgerlichen Ehrenrechte vorliege, sei ein Anlaß zu einer

—’’—

Er erkenne die reiche Erfahrung des Abg. Windthorst in vollem Maße an, aber die Jugend sei ein Fehler, 8 mit jedem Tage beringer werde und er habe sich häufig über⸗ zeugen müssen, daß man auch im Alter leider nicht in allen Fällen das Richtige treffe.

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, der Abg. von Heyde⸗ brand habe sich durch die Erinnerung an die Jugend verletzt gefühlt; er wünschte, es könnte ihn Jemand an seine Jugend erinnern. Fern habe es ihm gelegen, denselben zu verletzen. Auch das Alter irre zuweilen; im Allgemeinen habe es aber vor der Jugend die größere Erfahrung voraus. Sollte der Abg. von Heydebrand das bezweifeln, so wäre das allerdings eine jugendliche Anschauung. .

Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa, bemerkte, er unterlasse es den Abg. Windthorst an seine Jugend zu er⸗ innern, denn derselbe beweise täglich, daß er so frisch sei, wie nur ein Jüngling sein könne.

„Der Referent Abg. Dr. Grimm führte aus, der Antrag Brüel wolle in allen Fällen den recursus des Einzelnen be⸗ seitigen, die Regierungsvorlage wolle aber nur nicht, daß der Einzelne an den kirchlichen Gerichtshof rekurrire, sondern der⸗ selbe solle die Beschwerde an den Ober⸗Präsidenten und even⸗ tuell an den Minister richten, welche prüfen sollten, ob ein öffentliches Interesse vorliege. Das sei der Unterschied zwischen dem Antrage Brüel und der Vorlage. In der Kommission hätten einzelne Mitglieder wegen des provisorischen Charakters des Gesetzes die vorliegende Frage nicht regeln wollen, und gegen den Artikel gestimmt, obgleich sie der Sache nach damit einverstanden gewesen seien.

Hierauf wurde der Antrag Brüel und darauf der Art. 2 der Vorlage abgelehnt.

Art. 3 lautet nach der Regierungsvorlage:

In den Fällen des §. 24 im Gesetz vom 12. Mai 1873 sowie des §. 12 im Gesetz vom 22. April 1875 ist gegen Kirchendiener fortan auf Unfähigkeit zur Bekleidung ihres Amts zu erkennen.

Die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung des Amts hat den Verlust des Amtseinkommens zur Folge.

Ist auf Unfähigkeit zur Bekleidung des Amts erkannt, so fin⸗ den die Vorschriften des Gesetzes vom 20. Mai 1874 (G. S. 8 S. 135), des §. 31 im Gesetz vom 12. Mai 1873 sowie der §§. 13 bis 15 im Gesetz vom 22. April 1875 entsprechende Anwendung.

Der Abg. Stengel beantragte, diesen Artikel unve ndert anzunehmen.

Der Abg. Dr. Brüel beantragte dagegen:

„Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: im Artike a. vor „Unfähigkeit“ im Alinea 1 und vor „Fähigkeit“ im Alinea 2 das Wort „vrechtliche“ einzuschalten; b. an Stelle des Alinea 3 aufzunehmen: „Die ferner vorgenommenen Amtshandlungen bleiben ohne rechtliche Wirkung, sind aber nicht mehr strafbar. Dieselben EE in den Fällen des §. 21 im Gesetze vom 11. Mai

ein.

Zwischen Artikel 3 und Art. 4 als Art. 3 a. einzuschalten: „Eine Vernichtnng der angefochtenen Entscheidung der kirchlichen Behörde im Falle des §. 23 im Gesetze vom 12. Mai 1873 ent⸗ zieht dieser Entscheidung von selbst jede rechtliche Wirkung. Ein Zwang der kirchlichen Behörde im Verwaltungswege zur Durch⸗ führung der Entscheidung des Staatsgerichtshofes findet dabei nicht mehr statt.“

Die Diskussion über Art. 3 und den vom Abg. Dr. Brüel

beantragten Art. 3 a. wurde vereinigt.

Der Abg. Dr. Brüel vertheidigte seine Anträge. Dieser Artikel habe eine organische Bedeutung, denn hier würden die Maigesetze dauernd und im Prinzip geändert. Es sei erfreu⸗ lich, daß die Regierung dadurch anerkenne, hier habe die Mai⸗ gesetzgebung übergegriffen auf das eigentliche Gebiet der Kirche. Indessen habe sie in ihrer Vorlage diesen Theil der Maigesetz⸗ gebung nur theoretisch verurtheilt, praktische Folge gebe erst sein Amendement der Ansicht der Regierung. Er wisse zwar daß sein Antrag nicht angenommen werde, in⸗ dessen sei derselbe geeignet, die Inkonsequenz und Halbheit der Regierungsvorlage klar zu zeigen, welche auf die Dauer unmöglich haltbar sei. Mit der Re⸗ gierungsvorlage sei er insoweit einverstanden, als das Erkenntniß eines staatlichen Gerichtshofes die Absetzung quo ad sacra nicht zur Folge haben könne, jedoch stelle die Wort⸗ fassung der Regierungsvorlage das nicht unzweifelhaft klar. Thatsächlich habe aber der Minister in der Kommission auf seine Anfrage erklärt, daß die Bestimmungen des §. 18 des Gesetzes vom 11. Mai 1873, wonach ein verwaistes Pfarr⸗ amt innerhalb Jahresfrist zu besetzen sei, auf diejenigen Fälle nicht Anwendung finden werde, in denen auf Grund des Art. 3 gegen einen Geistlichen auf Unfähigkeit zur Bekleidung seines Amtes erkannt worden sei und zwar weil nach Art. 3 als Folge des Erkenntnisses nicht die Erledigung der Stelle eintrete. Darin liege der charakteristische Unterschied zwischen dem Zustande, den Art. 3 schaffen wolle, und dem jetzigen Rechtszustande. Sein Amendement solle dieser Ansicht einen präziseren Ausdruck in der Vorlage geben und außerdem noch die Strafbarkeit der nach dem staatlichen Erkenntnisse vorgenommenen geistlichen Handlungen aufheben. Der Regierungskommissar habe zu Art. 2 selbst anerkannt, daß man zu weit gehe, wenn man die kassatorische Wirkung des staatsgerichtlichen Erkenntnisses auch auf den rein kirchlichen Theil der angefochtenen kirchlichen Entscheidung erstrecke. Für den Staat genüge es, wenn die rechtliche Wirkung der kirchlichen Entscheidung eventuell kassirt werde. Diese Unterscheidung zu machen bezwecke der von ihm beantragte neue Art. 3 KL. Er empfehle dem Hause seine An⸗ träge zur Annahme. 1

Der Regierungskommissar Ministerial⸗Direktor Lucanus entgegnete, die Anträge des Vorredners gingen über die Re⸗ gierungsvorlage weit hinaus. Die Regierung vermöge die Konsequenz aus ihrem im Artikel 3 eingenommenen Stand⸗ punkte nicht zu ziehen, daß die späteren geistlichen Handlungen eines staatlich abgesetzten Kirchendieners straflos bleiben sollten. Dem Volke gegenüber kämen die geistlichen Amtshandlungen viel mehr zur Geltung, als die etwaigen Handlungen mit bürgerlichen Folgen, welche ein abgesetzter Bischof vornehmen könne, und die Straflosigleit der ersteren würde die Achtung vor dem Gesetze im Volke schwer schädigen. In dom vom Amende⸗ mont Brüel ebenfalls erwähnten Falle des §. 21 des Gesetzes vom 11. Mai 1873, wo eine Zuchthausstrafe vder die Aberkennung