1881 / 69 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 22 Mar 1881 18:00:01 GMT) scan diff

X“ v“ 1 1“ ie Sache und ihrer ganzen politischen Geltuns ůͤberschätzt. Bei der Mititärfrage habe der Abg. Stumm eine Anspielung uf das furchtbare Ereigniß in St. Petersburg gemacht. Ob es richtig sei, von diesem surchtbaren Ereigniß in diesem Augen⸗ blick hier beiläufig zu sprechen, sei ihm sehr zweifelhasft. Es beweise aufs Neue, „nicht Roß, nicht Reisige sicherten die steile Höh““ und lege die inneren Verhaältnisse Rußlands aufs Neue in so furchtbarer Weise bloß, daß es für Deutschland wahr⸗ lich nicht militärisch bedrohlicher geworden sei als im vergangenen Jahre. An der Wehrhaftigkeit des Landes, an der Schlagfertigkeit der Armee hätten er und seine politischen Freunde dasselbe Interesse wie alle übrigen Parteien. Was würden die Konservativen sagen, enn seine (des Redners) Partei ihnen vorwürfe, daß sie Deutsch⸗ lands Wehrfähigkeit zur See schwächen wollten, weil sie die Kosten für die Panzerfregatte aus technischen Grün⸗ den und auf Grund selbständigen Urtheils nicht bewilligt hätten. Seine (des Redners) Partei wende nur dieselbe Logik zu Lande an, wie die konservative Partei zu Wasser. Beantrage die liberale Partei Ersparnisse, dann heiße es, sie halte die Debatten auf; stelle sie keine Ersparnißanträge, so sei es dem Abg. Stumm wieder nicht recht. Er habe es dem Hause ja vorausgesagt, daß, nachdem man eine so hohe Präsenz fest⸗ gesetzt habe, der Spielraum für Ersparnisse üͤberhaupt ein sehr geringer geworden sei. In Betreff der Steuern, Zölle und. Versprechungen meine der Abg. Stumm, es sei nicht so viel bewilligt worden, als verlangt sei. Das sei richtig, aber doch ⅛½, 130 statt 160 Millionen Mark. Dazu noch speziell durch die Thätigkeit de; Abg. Stumm die Verdoppelung des Roggenzolls und die Erhöhung des Zolls zuf grobe Eisenwaaren. Und wenngleich von diesen 130 Mil⸗ ionen bisher nur 90 eingegangen seien, stehe diese Belastung im Verhältniß zu einer Entlastung von nur 14 Millionen im preußischen Etat? Jetzt sage der Abg. Stumm, es sei gleich⸗ gültig, was die Einzelstaaten mit dem Geld machten, während damals noch der Minister Lucius gesagt habe, nur ein geistes⸗ krankes Ministerium könne in Zweifel sein, daß das den Einzel⸗ staaten Zugewendete zu Steuererlassen verwendet werden müsse. Warum provozire man seine Partei immer, daran zu erinnern, was der Minister von Puttkamer damals gesagt habe, es würde ein Stoß in das Herz des preußischen Königthums sein, wenn man diese Summe zu etwas Anderem verwenden würde als zu Steuererlassen. (Ruf: Defizit!) Vom Defizit habe man erst gesprochen, als man der Steuerbewilligung sicher gewesen sei, und sei er denn Schuld an dem preußischen Defizit? Uebrigens habe er dem Hause ja die Wege gewiesen, wie man ohne Belastung der Steuerzahler durch eine Reform der Branntweinsteuer und der Rübenzuckersteuer auf Mehrein⸗ nahmen bedacht sein könne. Warum nun mit dieser Ausführlich⸗ keit hier in der Generaldiskussion auf die Eisenzölle eingegangen werde, wisse er nicht, jedenfalls sollte aber der Abg. Stumm seiner (des Redners) Partei, die kein persönliches Interesse an denselben habe, nicht vorwerfen, daß sie durch eine mehr oder weniger gefärbte Brille sähe. Es sei übrigens ganz merkwürdig, daß sich jetzt nach den Ansichten des Abg. Stumm genau das Gegentheil herausstelle von dem, was die Herren vor Einführung der Zölle als ihre Wirkung gepriesen hätten. Die gehoffte Erhöhung der Preise sei nicht eingetreten, vielmehr seien dieselben nahezu unverändert geblieben. Im Gegensatz zu damals habe heute der Abg. Stumm entwickelt, daß alle Werke aufs äußerste angespannt und beschäftigt werden müßten, denn darin liege das Geheimniß der segensvollen Wirkung der Schutzzölle. Der Abg. Stumm habe dann von seinen (des Redners) Wahlreisen gesprochen, die den Abg. Stumm sehr besorgt zu machen schienen, obwohl er in Landkirchen noch nicht gewesen sei, aber die Erfahrung habe er dabei gemacht, daß die Schutzzollpartei ganz entschieden im Rückgange sei. Wenn man auf die amtlichen Berichte jetzt mißbilligend blicke, so seien dies Auszüge von Berichten der Behörden, die gerade provozirt worden seien, um die Segnungen der Schutzzölle zu beweisen. Er glaube, wenn die Verichte vollständig ver⸗ öffentlicht worden wären, würde man noch ganz andere Dinge von der schlimmen Lage erfahren haben. Was die Löhne betreffe, so seien die Berechnungen ganz willkürlich. Als er in seinem Wahlkreise vor Tausenden Arbeitern der Eisen⸗ industrie gesagt habe: „wenn sich auch die Löhne etwas ge⸗ hoben haben sollten, so stehe das nicht im Verhältniß zu den Lebensmitteln“, da sei ein Schrei der Entrüstung durch jene Reihen gegangen, und als er ihnen eine Zahl des Abg. 9 enannt habe, die Löhne seien 50 Proz. höher als vor 2 ehren da hätten die Leute geglaubt, sie würden zum Besten gehalten. Davon sei er überzeugt und er hätte gewünscht, daß man auf das Zeugniß des Herrn Wedding im Ganzen Bezug genommen hätte, daß das, was man sich von den Eisenzöllen versprochen habe, nicht in Erfül⸗ lung gegangen sei. Er und seine politischen Freunde seien schweigsamer geworden in Bezug auf die Zölle, er habe nicht mehr nöthig, darüber zu sprechen. Vor ihrer Einführung sei es Zeit zu warnen gewesen, jetzt wirkten die Folgen des schlechten Systems, nun sprächen die That⸗ sachen gegen das neue Zollsystem. Wenn das nicht wahr wäre, so würde man sich doch nicht so viel Mühe geben, das Bischen Fortschritt habe die Konservativen 5 doch nicht genirt; glaube man denn, diese Paar Leute könnten die öffentliche Meinung künstlich beherrschen, wenn nicht jetzt umgekehrt der allgemeine Ausdruck der öffentlichen Meinung in dieser Rich⸗ tung läge? Darunter litten die Konservativen, dieselben hätten unendlich viel mehr versprochen, als sie jetzt wahr haben wollten. Sie hätten Vorstellungen dadurch erweckt, augen⸗ blickliche Erfolge erzielt und nun komme der Rückschlag. Nicht alles Mäliche, was sich jetzt zeige, sei die Folge der Zollpolitik, aber die Konservativen litten unter den Folgen ihrer großen Versprechungen. In derselben Allgemeinheit, wie die Konservativen geschlossen hätten aus den schlechten Verhält⸗ nissen auf die Verbesserungen, die sie durch die neuen Zölle be⸗ schaffen wollten, so 8 ieße das Volk jetzt aus den noch schlech⸗ teren Verhältnissen, daß die Zölle in der Richtung gewirkt hätten. Die Konservativen hätten das Prestige der Schutzzoll⸗ politik, das Vertrauen verloren, selbst in den Kreisen, wo sie es noch besessen hätten, daher jetzt diese Beredtsamkeit, durch die sie glaubten einzuschüchtern und davon abzuhalten, daß die Thatsachen weniger in den Vordergrund träten. Die Konser⸗ vativen meinten, es kämen doch kelne Petitionen. Er (Redner) habe noch bei Gelegenheit der abaksfrage geradezu abgeredet, an diesen Reichstag Petitionen zu schicken. 88 wͤre ja zu viel verlangt, daß die Konservativen heute schon eingestehen sollten, daß sie in einem Irrthum sich besunden hätten, von diesem Reichstag sei nichts zu hoffen, nicht eibereien an die Konservativen, nicht Petitionen an den Reichstag hülfen, an Spitze der Wahlbewegungen gehöre die Beschwerdeführung,

und die W“ Ürden diese Politik nicht ändern, aber ihre Hintermänner und auch der Nachfolger des Abg. Stumm. Der Abg. Frhr. von Minnigerode entgegnete, nach der Wahlrede des Abg. Richter habe er bemerkt, daß der Etat wesent⸗ liche Aenderungen nicht erfahren habe. Die regelmäßigen Ausgaben seien um etwa drei Millionen Mark vermindert. Die Ausgaben hätten sich gegen das vorige Jahr um 21 ½ Millionen vermehrt, cine Folge der Militärnovelle und der mit ihr verbundenen Mehrforderung von 18 Millionen. Diese Ziffer könnte tihn einigermaßen ängstlich machen, aber man dürfe nicht die 26 Millionen vergessen, welche den Ein⸗ zelstaaten in Folge des Antrages Franckenstein überwiesen seien. Die Ausführungen des Abg. Rickert in der ersten Lesung des Etats beschäftigten sich so viel mit seiner Person, daß er mit einem allerdings etwas zweifelhaften Stolz bei⸗ nahe sagen könnte lP'état c'’est moi. Es habe den Abg. Rickert unangenehm berührt, daß er (Nedner) anknüpfend an die bekannten Aeußerungen im Herrenhause in Bezug auf die liberale Hinterlassenschaft den Ausdruck „ausgepauvert“ gebraucht habe. Er wisse nicht, weshalb derselbe besonders unberechtigt erschienen sei. An rechtzeitigen Mahnungen aus der Mitte der 70er Jahre heraus habe es wahrlich nicht gefehlt. Trotzdem habe die linke Seite dieses Hauses beständig große Ausgaben gemacht, ohne sie mit den Einnahmen zu balan⸗ ciren. Die Folgen dieser Wirthschaft seien auch jetzt noch nicht ganz überwunden. Mit Recht habe der Abg. Rickert gesagt, daß der Ertrag der Börsensteuer kein sehr erheblicher sein werde. Das habe er mit seinen Freunden nie bestritten, aber er habe im Prinzip Gewicht auf diese Steuer gelegt, die schließlich noch gute Früchte bringen könnte, und sie nicht blos als Schlagwort gebraucht. Seine Partei habe bereits 1871 unter allgemeiner Heiterkeit einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Die Brausteuer erscheine ihm und seinen politischen Freunden nicht in erster Linie erwünscht, seine Partei wolle die Frage im großen Styl gelöst wissen. Ein Widerspruch mit ihm selbst solle es sein, weil er mit sei⸗ nen Freunden jetzt für die indirekte Besteuerung sei, während er sich früher für die Reichseinkommensteuer interessirt hätte. Er habe nie einen Zweifel darüber gelassen, daß er für die indirekte Besteuerung sei, und nur bei der übermächti⸗ gen Strömung des Liberalismus und dessen Nei⸗ gung für die direkte Besteuerung und dem drin⸗ genden Bedürfniß nach neuen Steuerquellen habe er es für geboten gehalten, jene Idee zu unterstützen, er habe aber gleichzeitig die Hoffnung ausgesprochen, daß die Herren selbst schließlich die indirekten Steuern einführen möchten. Aus seiner früheren freihändlerischen Stellung habe er nie ein Hehl gemacht. Seine Grundanschauungen hätten sich ge⸗ ändert und hätten sich ändern müssen auf Grund der that⸗ sächlich veränderten Lage. Gegenüber dem Rückgang der ge⸗ sammten Landwirthschaft seit 1874, welche der Konkurrenz des Auslandes völlig preisgegeben gewesen sei, habe er sich sagen müssen, daß es auf dem bisherigen Wege nicht weiter gehen könne. Daß die internationalen Seehandelsplätze, unbekümmert um ihre Hinterländer und ohne Rücksicht darauf, was aus dem verpauverten Hinterlande werde, für den Freihandel seien, sei freilich begreiflich, ihm aber sollte man keinen Vorwurf machen, daß er, einer besseren Einsicht folgend, seine Stellung zu dieser durchaus nicht politischen Frage verändert habe. Es sei die Hauptaufgabe aller Parteien, der Bewegung der Zeit zu fol⸗ gen; die Gesetzgebungen hätten sich den Verhältnissen der neuen Zeit anzupassen. Seine politische Ueberzeugung möge Jeder fest für sich konserviren. Wie unbegründet der Vorwurf ge⸗ wesen sei, daß seine Partei ihren Wählern Versprechungen gemacht habe, die sie nicht habe erfüllen können, und daß er und seine politischen Freunde die neu zu machenden Aus⸗ gaben, namentlich die Militärausgaben, verschwiegen hätten, habe sein Freund, der Abg. von Maltzahn, bereits nachge⸗ wiesen. Der Abg. Rickert habe sich damit entschuldigt, daß derselbe die Rede des Hrn. von Maltzahn nicht kenne kenne derselbe denn die übrigen Wahlreden seiner politischen Freunde, kenne der Abg. Rickert die seine? Das möchte er beinahe annehmen, denn da derselbe vor wenigen Tagen in seinem Wahlkreis gewesen sei, habe derselbe sich vielleicht überzeugen können, wie er (Redner) seinen Wäh⸗ lern gegenüber über diese unerträglichen Finanz⸗ verhältnisse keinen Zweifel gelassen habe und die peinliche Nothwendigkeit für die Bewilligung neuer Steuern nahegelegt habe. Ueber die Nothwendigkeit neuer Steuern zur Deckung neuer Ausgaben im Reich und in den Einzelstaaten habe auch die „Provinzial⸗Korrespon⸗ denz“ keinen Zweifel gelassen; er verweise nur auf den Artikel derselben vom 3. Juli 1878. Man sollte doch nicht immer längst widerlegte Anklagen widerlegen. Nickert habe schließlich mit großer Freude Bezug genommen auf eine Ausführung des Abg. Richter, der gesagt habe, es müßten alle unabhängigen Männer sich vereinigen und zusammenstehen. Wenn nicht liberal regiert würde, komme man wohl oder übel zur Diktatur. Was verstehe denn der Abg. Rickert unter liberal regieren? Er sei überzeugt, daß der schrankenlose Freihandel dabei auch eine große Rolle spiele und daß die Politik des Großkapitals auch nicht zu verleugnen sei; das sei auch lebhaft bei den Preßsubventionen hervorgetreten, die zu Gunsten derjenigen Presse gemacht würden, die in erster Linie berufen sei, die Politik dieser Herren in Zukunft zu vertreten. Wenn nicht liberal regiert werde, wenn es niht nach ihrem Kopfe gehe, dann komme die Diktatur! Seine Partei habe mehr Vertrauen 2 den deutschen Ver⸗ hältnissen und auch zur Macht dieses 9 —— als die liberale Partei. Das Ganze sei also die Tendenz der Sezession. Als er zuerst dieses Wort gehört habe, sei es ihm nicht recht ver⸗ ständlich gewesen, weil er kein Freund des Fremdländischen sei; schließlich habe er sich gesagt, es solle wohl sein die Se⸗ zession in montem sacrum. Das liege sehr nahe, auch zu Gunsten der Volksrechte im alten Rom; die Volksrechte seien ja das Privilegium der liberalen Partei, während die Kon⸗ servativen hier sortwährend scheinbar an diesen Volksrechten rüͤtteln wollten. Nun das Bild passe nicht ganz, denn damals eien die alten Nömer auf den heiligen Berg gezogen, weil sie hre Wortführer gewinnen wollten, als es sich darum gehan⸗ delt habe, Volkstribunen für sich zu bestellen, jeßt seien die Volkstribunen da, es frage sich aber, ob das Volk da sein werde. Die ganze Sezession werde überhaupt ein bestimmtes unverweigerliches Schicksal haben, die Herren seien wohl oder übel jetzt schon Fortschrittsleute zweiter Klasse und die „Tri⸗ büne“, ihr Organ, lasse das auch sehr deutlich durch⸗ merken. n der Reklame, die er in mehreren Erxrem⸗ plaren bekommen habe und zwar an vier erschiedenen Orten, da er an vier Orten Gutsbesitzer sei, sage die „Tri⸗

büne“: hätten die Sache in die Hand genommen und wollten dies Organ benutzen, um das Volk glücklich, aufgelklärt und groß zu machen.“ Die Führer der vereinigten liberalen Parteien würden wohl die Allianz des Fortschritts nicht los werden. Dieselben wollten sie auch nicht los werden? Dann müßten sie auch die Konsequenzen tragen, die in Berlin dahin geführt hätten, daß der Sozialdemokrat über den Fortschrittsmann triumphirt habe und daß die agitatorischen Bemühungen des Abg. Richter die stelle er sehr hoch dahin gefühu hätten, daß als Antwort auf seine Agitation in Hamburg eirn vollen⸗ deter Sozialdemokrat aus der Urne hervorgekommen sei. Er bedauere, daß er diese persönliche Bemerkungen habe machen müssen, aber sie seien ihm aufgezwungen. Wenn der Abg. Rickert nicht damals den Etat mit ihm verwebhselt hätte, dann wöre das vermieden worden.

Der Abgz. Rickert erklärte, er wolle dem Vorredner in der Art und seise, wie derselbe hier sachliche Erörterungen mache, nicht folgen. Er habe den Abg. von Minnigerode nur

als Führer einer großen konservativen Partei angegriffen;

wenn eine andere Person an die Stelle des Abg. von Minni⸗

gerode gestanden hätte, so hätte er sich mit dieser abgefunden. Die Ausführungen über die angebliche Auspoverung des Lan⸗

des durch die liberale Finanzwirthschaft kehrten immer wieder.

Als hätten die Konservativen nicht an dieser Finanzwirthschaft

ganz denselben Antheil wie seine (des Redners) Partei! Wie stehe

es denn mit der jetzigen Finanzpolitik? Er werde ja abwar⸗

ten, ob den Konservativen das Land dafür danken werde! Der Abg. von Minnigerode sage, die jetzigen Ausgaben seien

unvermeidlich. Wenn es aber die früheren nicht gewesen seien, dann hätten die Konservativen ja an der „Aus⸗ poverung“ Theil genommen, die sie auf das Konto der Liberalen stellten. Was die den Aeußerungen des Vorredners zu halten werde vielleicht der Abg. Friedenthal am besten Ausdruck bringen. Er habe es s. Z. vor den Wählern des Abg. von Minnigerode lebhaft bedauert, diesen dort nicht zu⸗ gegen gesehen zu haben; hiermit lade er denselben aber ein, mit ihm zusammen in seinen Wahlkreis zu gehen: der Abg. von Minnigerode werde sich dann davon überzeugen, daß man allerdings der Meinung sei, daß derselbe vor den Wahlen Versicherungen gemacht habe, die nachher nicht erfüllt seien. Er sei lieber ein Anhänger der Fortschrittspartei, als des Abg. von Minnigerode und würde, wenn er die Wahl hätte zwischen konservativ und Fortschritt, mit tausend Freuden für letzteren stimmen! Wenn ihm vorgeworfen werde, er hätte das Gedicht „Der alte Arbeiter“ vertheidigt, so müsse man seine Rede nicht gelesen haben. Der Abg. Richter habe Recht gehabt zu sagen, die ganze gebildete Welt sei darüber einig, wie das Verfahren des Hrn. Stumm in seinem Wahlkreise zu charakterisiren sei. Von dem Abg. von Kar⸗ dorff habe er in dieser Beziehung allerdings keinen Beistand erwartet. Höre man aber die Ürtheile in den konservativen und selbst in den Regierungskreisen. Und das bei einem Manne, der hier immer die Förderung des Volkswohls im Munde trage. Das nenne man Volkswohlbeförderung? Es

habe,

sei geistige Knechtschaft, wenn der Abg. Stumm aus Anlaß

eines solchen Gedichts, dessen Tendenz oder Wortlaut er ja nicht billige, unter Anrufung der gesammten amtlichen Auto⸗ rität gegen eine Zeitung vorgehe und sie durch alle möglichen

Mittel zu unterdrücken suche. Der Abg. Stumm hätte Ur⸗

sache, diesen Punkt auf sich beruhen zu lassen. Wolle der

Abg. Stumm das nicht, nachdem derselbe auf die schärfste

Weise von den Regierungsorganen, von allen amtlichen Auto⸗

ritäten und, wie er wiederhole, von der ganzen gebildeten

Welt Deutschlands verurtheilt sei (Rufe rechts: Oho! Unge⸗

zogenheit), so habe er nichts dagegen, im Detail diese Dinge

weiter mit dem Abg. Stumm zu erörtern.

Der Präsident von Goßler bat den Redner, so scharfe Aeußerungen, die eben eine nicht zu billigende Entgegnung veranlaßt hätten, zu unterlassen.

Der Abg. Rickert bemerkte, sollte der Präsident diese Aeußerung für parlamentarisch unzulässig halten, so würde er sich den Folgen zu unterwerfen haben; er bedauere aber den Ausdruck aufrecht halten zu müssen, um so mehr, als er keinerlei persönliche Kränkung des Abg. Stumm damit beab⸗ sichtigt habe.

Der Präsident von Goßler hielt diese Erklärung für ge⸗ nügend und bat, die Sache damit als erledigt anzusehen.

Der Abg. Rickert erklärte, auch er halte die Sache für erledigt und glaube, der Abg. Stumm werde nicht so empfind⸗ lich sein, zumal derselbe sich nicht gescheut habe auszusprechen, daß der Ausdruck, die Liberalen ständen mit den Nihilisten auf einer Stufe, ein Körnchen Wahrheit enthalte. Wer seiner Partei derartige Dinge sage, dürfe sich nicht wundern, wenn sie von dem Recht der Kritik in wirklich zulässiger Weise auch ihm gegenüber Gebrauch mache. Es sei wohl noch in keinem Parlament eine derartige Aeußerung gethan worden, wie sie heute der Abg. Stumm hier gebraucht habe.

Der Präsident von Goßler bemerkte, er habe nicht ge⸗ glaubt, daß die Aeußerung des Abg. Stumm so hätte auf⸗ efaßt werden können, da sie doch mehr scherzhaft gemacht ei. Die Fassung der Worte sei aber auch derartig, daß ein persönlicher Angriff nicht habe daraus gefolgert werden können.

Der Abg. Rickert fuhr fort: Er habe dem Präsidenten auch nicht versteckt einen Vorwurf daraus machen wollen, daß derselbe diese Worte habe durchgehen lassen. Er habe gleich⸗ falls vorhin ausdrücklich erklärt, daß er die Aeußerung des Abg. Stumm für einen Witz erachtet habe. Die Bewegung, die aber der Abg. Stumm bei dieser seiner Erklärung gemacht habe, habe ihm die Ueberzeugung aufgedrängt, daß es in der That Ernst gewesen sei, und das Haus werde ihm es nicht verdenken, wenn er darüber ein Wort der Kritik gesagt habe. Auf die wirthschaftliche Glückseligkeit, auf die der Abg. Stumm hingewiesen habe, würden die Thatsachen ant⸗ worten. ie Herren könnten sich so viel Mühe geben, wie sie wollten; glücklicherweise seien diejenigen, welche die wirthschaftlichen x an ihrem eigenen Leibe erfahren hätten, auch noch da. Von den leden der Abgg. von Min⸗ nigerode und Stumm würden sie eine dohne hohung nicht erfahren; dieselbe pflege sich in klingender nze auszu⸗ drücken. Dem Abg. von Kardorff könne er einige Briefe von Großfabrikanten der Textilindustrie mittheilen, welche die Aeußerungen desselben auf das Schlagendste widerlegten. Der Abg. von Minnigerode habe geglaubt, seine Behaup⸗ tungen in Bezug auf die Versprechungen der „Provinzial⸗ Correspondenz“ widerlegen zu sollen. Kenne der Abg. von Minnigerode denn aber den Satz der „Provinzial⸗Correspon⸗ denz“ nicht, wo es ausdrücklich heiße: „Soviel an indirekten Steuern auferlegt werde, das bedeute nichts Anderes,

Die Führer der vereinigten liberalen Parteien

Landwirthschaft von

zum

als daß so viel an direkten Steuern in den Einzelstaaten

erlassen werde.“

Allerdings sei von Ausgaben gesprochen;

aber von solchen zur Durchführung des neuen Schulgesetzes,

des Wittwenpensionsgesetzes, die man noch nicht habe! Das

Haus habe

bezüglich der Steuerreform eine „Denkschrift“ be⸗

kommen, ein Elaborat von sieben Seiten, das er nie mit

diesem Namen zu bezeichnen gewagt hätte. lich ausgeführt:

Darin sei ledig⸗

weil die anderen Staaten viele indirekten

Steuern hätten, ergo müßte auch Deutschland viele haben. Deutschland habe blos 10 pro Kopf, Frankreich dagegen

41 und

den Ausgaben,

erren

vom

England 31 Aber wisse man denn Nichts von die diese Staaten hätten? Er wolle den Bundesrathstische in der Beziehung einige

Fefrrn mittheilen und ihnen anheimgeben, diese Denkschrift bis zur Berathung der Steuervorlagen etwas zu ergänzen

oder zurückzunehmen.

(Zuruf links: Der Bundesrath habe

sie gar nicht gekannt!) Der Bundesrath habe sie nicht gekannt? Dann bitte er sehr um Entschuldigung und nehme das zurück. Dann⸗ sei es nur die Arbeit des Reichskanzler⸗Amtes. (Zurufe: Vom Reichskanzler!) Nun, das Reichskanzler⸗Amt sei doch das

Amt des Reichskanzlers.

man nicht

Die Herren hätten alle Furcht, daß den richtigen treffe. Er habe gar keine Bedenken zu

sagen: der Reichskanzler; er wisse, daß auf dem Gebiete nichts geschehe, ohne denselben, also er habe den Reichskanzler auch gemeint. Frankreich habe nun 8 pro Kopf der Bevölkerung

irekte und 41 an indirekten Steuern;

gegen noch

wie Frankreich,

gespannt h

Preußen habe da⸗ nicht 5 pro Kopf direkte Steuern. Ein Staat der die direkten Steuern schon so scharf an⸗ abe, könne darin nicht weiter gehen. Warum müsse

aber Frankreich in der indirekten Besteuerung so hoch gehen?

Glaube man denn, ihrem Volke diese geschehe nur deshalb, weil

daß die Franzosen zu ihrem Vergnügen kolossalen Lasten auflegen würden? Das die Franzosen allein 1219 Mill.

Mark für ihre Schulden bezahlen müßten, also beinahe so viel

an Zinsen, datsse der das Eigenthum der Eisenbahnen gegenüberstehe.

wie die gesammte preußische Staatsschuld betrage, Seien

nun die Herren der Meinung, daß Deutschland mit Riesen⸗ schritten in die französischen Zustände hineinkommen, daß man

Milliarden

blos um das Vergnügen zu haben, 40 pro Kopf zu erheben? diese Finanzpolitik danken.

und Milliarden von Schulden aufnehmen müsse, an indirekten Steuern Das Volk werde bestens für

Uebrigens seien in den zwanziger

Jahren die direkten Steuern in Preußen höher als jetzt ge⸗

wesen. dagegen 8 trag. Auch

England habe 31 pro Kopf an indirekten Steuern,

an direkten, also gleichfalls einen erheblichen Be⸗ hier würden die hohen indirekten Steuern durch die

kolossale Staatsschuld gerechtfertigt. Die Denkschrift betone es als

Aufgabe d.

es Reichs, die Kommunen zu erleichtern. Als er

das gelesen habe, habe er gedacht, jetzt habe die Reichsverwal⸗

tung wohl

getragen würden, als von den Steuerzahlern.

das Mittel gefunden, wie die Steuern von Anderen Er fürchte, die

Kommunen würden aber sehen, daß sie aus dem Regen in

die Traufe immer an

direkten Steuern in gleiche Höhe mit Frankrei

kämen. Die Sache gehe so: im Reiche ziehe man dem Strang, der Deutschland in Be ug auf die in— h bringen solle,

und in Preußen lege man Steuergesetze vor, welche des Lobes

voll seien Im Reichstage verlange Steuern und im direkten Steuern

über den Werth der direkten Steuern. man die Bewilligung indirekter Landtage weigere man sich, von den abzulassen. Und nun sollten noch die

Kommunen von ihren Schul⸗, Armen⸗ und Polizeilasten be⸗

freit werde

n. Wo sollten diese Mittel herkommen? Die gan⸗

zen Steuerprojekte, welche dem Hause vorlägen, würde noch

keine 60 Millionen ergeben,

während nach dem preußischen

Verwendungsgesetz mindestens 105 bis 110 Millionen neue

Steuern nothwendig sein würden. len, und da spreche

Wenn ma

Man stehe vor den Wah⸗ man wieder gern von Erleichterungen. n sage, wie die Konservativen die dazu erforder⸗

lichen Millionen herbeischaffen würden, wolle seine Partei

mit derselben verhandeln,

sonst müsse er erklären, das sei

nichts weiter als eitel Theorie und Versprechungen, die man

nicht einlös

en könne.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staatssekretär des Reichsschatzamts Scholz erklärte, er könne sich nicht veranlaßt

uf die genannte Denkschrift einzugehen, der Tagesordnung stehe,

da sie heute bestreite aber, daß nichts

weiter darin stehe, als das Argument, daß Deutschland mehr indirekte Steuern nöthig habe, weil die Quote pro Kopf in

den Nachbarländern höher sei.

Bezüglich des Ausdrucks

„Denkschrift“ verweise er auf den Etat, in dem sich Denkschrif⸗

ten von einer halben Seite bef

Bezeichnun

.

änden; es sei die herkömmliche . Es sei auch ein großer Irrthum zu glauben,

daß in 7 Seiten nicht der Beachtung werthe Dinge gesagt sein könnten; es brauche dazu nicht zweistündiger Reden, nicht Hun⸗

derter von

Seiten.

Der Abg. Dr. Bamberger bemerkte, es seien heute schon so viel französische Calembourgs gemacht worden, daß er vien⸗

leicht auch

dem Abg. Stumm zurufen dürfe: Tu l'as voulu,

Georges Dandin! Ihm scheine die große Zolldebatte sehr dem

Bedürfniß

der Lage zu entsprechen, denn eine Session wie

diese solle nicht in ihr letztes Stadium treten, ohne daß die Parteien pro et contra einen Rückblick auf das Erreichte

würfen.

Er perhorreszire also diese Debatte nicht, und könne

zunächst dem Abg. Stumm versichern, daß seine Aussage über die Analogie mit den Nihilisten ihn nicht im Allergeringsten

erschüttert

habe. Das „Körnchen“ werde ja oft angewendet;

er habe schon oft sagen hören, in jedem Menschen sei ein

Körnchen Verrücktheit. gerade dem Körnchen Wahrheit wirklich

als die

Stumm

man

welche die wollten, zu

Aber es wundere ihn, daß der Abg. auf diesen Fall das Gedankenspiel mit angewendet habe. Denn wollte ernste Parallelen ziehen, so läge nichts Ansichten der Nihilisten und derer, Wirthschaftspolitik im Deutschen Reiche erneuern sammenzustellen. Sie hätten einen ganz deutlichen

Berührungspunkt in der sozialistischen Tendenz. Der von dem

Anarchisten Bakunin in Basel nichts als eine 1 des Sozialismus, im

Tendenzen opinio und

proklamirte Nihilismus sei und daß die neuen

eiche sozialistisches Kolorit hätten, sei communis stehe sogar in den Motiven zum Unfallversicherungs⸗

gesetz; auch in der Petition der Aeltesten der Berliner Kauf⸗

mannschaft

serne; tehe der 1

Staate die Rede; an der Spitze dieser Petition nlier der russischen Regierung. Was die Neun⸗

gegen dieses Gesetz sei von einem Schritt zum

rcher Vorkommnisse betreffe, so verurtheile er den Abg. Stumm

wenigstens daß er die

prinzipiell nicht so sehr, er verdenke demselben nur, Vortheile zweier Theorien mit einander zu seinem

Vortheil verbunden habe. Einerseits bemühe der Abg. Stumm sich

Ver sein

düühren für die staatssozialistischen Tendenzen, für das Arbeiter⸗ ,— 6⸗ und Arbeiter⸗Invalidenprojekt, andererseits sei VCorge

en in Neunkirchen ein individuirliches, ein man⸗

chesterliches. Das sei der Standpunkt des Mannes, der sage: Er habe das Geld, er habe die Gewalt, er befehle, er könne seinen Arbeitern soweit Vorschriften machen, als seine Macht reiche, er unterdrücke die Wirthshäuser, die von seiner Gewalt abhingen und gegen seine Tendenz sündigten. Er (Redner) als korrekter Manchestermann mache dem Abg. Stumm keinen grundsätzlichen Vorwurf, derselbe stehe auf dem Standpunkt des modernen Individualismus, der von seinem Gelde Ge⸗ brauch mache. Aber auf der andern Seite Staats⸗ sozialismus, das sei ein Vorgehen, das er nicht erklären könne, außer aus dem Gesichtspunkte, daß der Abg. Stumm überhaupt die sethoden der Reichsregierung befolge, welche die Nachtheile aller Zustände mit einander zu ver⸗ einigen suche. Mit einer solchen Vorurtheilslosigkeit eigne man sich die schlechten Einrichtungen aller Nationen an, einer⸗ seits mache man altmodische Zunftgesetze, andererseits gehe man weiter als andere Nationen in sozialistischen Tendenzen, man nehme den Schutzzoll von Frankreich, ohne die Gewerbefreiheit wie dort behalten zu wollen, man nehme das Schlechte, wo man es finde. Was die Bemerkung des Abg. Stumm be⸗ züglich der Ausfuhr betreffe, so habe er denselben das lette Mal nicht perfönlich citirt, daß aber eine Menge von Red⸗ nern, wie die Abgg. von Kardorff und von Varnbüler, die Ausfuhr als ein untergeordnetes Ding hingestellt hätten, sei ihm genau erinnerlich. Nun habe der Abg. Stumm einige Zahlen aus den beiden Jahren herbeigezogen und gesagt, es sei doch nicht wahr,

das Deutschland es allein dem amerikanischen Aufschwunge

zu verdanken habe, daß die Sachen so viel besser gewordenseien.

Er (Redner) aber behaupte steif und fest, Alles, was in der Aus⸗ fuhr sich gebessert habe, verdanke Deutschland dem Aufschwunge

in Amerika und gerade die Schrift des Herrn Wedding spreche beinahe ganz ausschließlich davon, daß die ganze Bewegung von Amerika ausgegangen sei. Derselbe gehe sogar so weit, und er (Redner) stimme ihm darin bei, daß derselbe die schlechte Ernte, die der Abg. Stumm als einen mildernden Umstand für das Nichtgedeihen der deutschen Zustände angeführt habe, als einen Erklärungsgrund hinstelle für die starke Ausfuhr. Derselbe sage ausdruͤcklich, daß das Gedeihen der Ernte in Amerika und das Mißrathen in Deutschland eine so starke Zufuhr von Ge⸗ treide von jenseits des Meeres veranlaßt habe, daß dadurch auch der große Eisenbedarf, der Schienenbedarf in Amerika entstanden sei. Diese schlechte Ernte sei also der deutschen Eisenindustrie zu Gute gekommen. Und wenn der Abg. Stumm dies leugnen sollte leugne derselbe vielleicht auch, daß in anderen Ländern derselbe Auf⸗ schwung stattgefunden habe wie in Deutschland, in Ländern, die an ihrer Zollgesetzgebung nichts geändert hätten, namentlich in England, welches auf dem Boden der Zollfreiheit geblieben sei? Die Ausfuhrbewegung und das momentane Steigen des Eisenpreises sei in England noch stärker als in Deutsch⸗ land gewesen, es sei so stark gewesen, daß ebenfalls Hr. Wed⸗ ding in seiner Denkschrift sage, die Eisenindustrie in Deutsch⸗ land habe davon profitirt, daß England seines großen Exportes nach Amerika wegen ganz vom deutschen Markte weg⸗ geblieben sei. Der Abg. Stumm habe die Schrift Weddings in Einzelheiten citirt, aber durchaus nicht gesagt, daß die ganze Schrist von Anfang bis zu Ende von Angaben wimmele, aus denen hervorgehe, daß der Aufschwung der deutschen Eisenindustrie ein ganz ephemerer gewesen sei. [Redner verlas zum Beweise mehrere Stellen aus der zitirten Schrift Weddings.) Es sei am Schluß gesagt, daß nur eine Verminderung der Produktion und ihrer Kosten die Eisenindustrie retten könne, daß aber keine günstige Konjunktur, keine Koalition ihr helfen könne. Das sei die Ansicht eines Mannes, den man von entgegen⸗ gesetzter Seite citire, was solle man da von der Versicherung halten, daß die neue Zollwirthschaft grade der Eisenindustrie wesentlich genutzt habe. Herr Baare, auch ein kompetenter Beurtheiler, habe im Volkswirthschaftsrath. versichert, die Eisenindustrie sei in schlechter Lage und arbeite sast ohne Gewinn. Ein hiesiges schutzzöllnerisches Börsenorgan theile erst jetzt mit, der Wechselbestand der Reichsbank sei wesentlich zurückgegangen, weil Handel und Industrie darniederliege. Zeugnisse von glänzenden Zuständen habe er nirgends gefunden. Der Abg. Stumm frage, wo seien die Petitionen für den Freihandel? Einen solchen Verband von potenten Geschäftsleuten, von reichen Minen⸗ und Eisenwerksbesitzern, wie sie zu Gun⸗ sten des Schutzzolls gearbeitet hätten, hätten die armen Freihändler nicht, dieselben repräsentirten nur die Masse der Konsumenten; sie hätten zu ihrer Vertretung nur die einzige „Freihandelskorrespondenz“, während hunderttausende von Mark für die ständige Organisation der Schutzzollinteressenten ausgegeben worden seien. Das sei auch der Grund, weswegen die Freihändler unterlegen seien, weil die Konsumenten sich nicht so zu vertheidigen wüßten wie die, welche Einzelinteressen ver⸗ folgten. Der Abg. Stumm sage, Industrie und Handel kämen nicht empor, weil der Fortschritt sie beunruhige. Wenn weiter nichts im Wege stünde, als die Beunruhigung durch den Fortschritt! In Verlin gehöre die Mehrzahl der Besitzenden dem Fortschritt an und doch sei man nicht gleichgültig hier gegen Handel und Verkehr des Landes. Was Industrie und Handel beunruhige, das sei das ewige Plänemachen der Ge⸗ setzgebung Deutschlands, daß man mit einem Fuß rückwärts gehend das beseitigen wolle, was die letzten 20 Jahre ge⸗ schaffen hätten, und mit dem anderen Fuß weit über das hin⸗ ausschreite, was in Frankreich, dem meist revolutionirten Lande, noch nach sozialdemokratischen Plänen unternommen worden sei. Das beunruhige das Land. Die Beunruhigung komme zum Theil daher, daß die deutsche Regierung den Traum ver⸗ solge, den Stein der Weisen gesunden zu haben, d. h. die sozlale Frage zu losen, und zwar mit der chnelligkeit, mit der man sich in leiht hingeworfenen Denkschriften die Sache vorstelle.

Der Abg. Dr. Windthorst glaubte, daß die Diskussion sich nicht ganz an das Budget halte. Er stelle als ein Haupt⸗ ersorderniß für eine gründliche Verbesserung der Finanzlage Deutschlands die allergrößte Sparsamkeit hin. Der Wettlauf nach Erfindung neuer Steuern und Steuerreformen und alles, was damit zusammenhänge, thue ihm wehe. Es sei schon Erhebliches geschehen, um die Einnahmen zu vermehren und zu den Ausgaben in ein richtiges erhältniß zu setzen. Man solle doch nun einmal den Erfolg abwarten und nicht gleich wieder an neue Steuern denken. Auf die Steuervor⸗ sjagen und die Denkschrift wolle er jetzt nicht eingehen, er fühle kein Bedürfniß, jetzt schon alles vorzutragen, was er dazu zu sagen habe. Er bedauere, daß die Anträge des Centrums auf Ersparnisse weder bei den Konservativen noch bei den Nationalliberalen Erfolg gehabt hätten. Die Zoll⸗ gesetzgebung sei nicht, wie es nach der Abgg. Bam⸗

1.“

letzten

berger und Rickert Reden scheinen könne, ohne jeden Anlaß gemacht; sondern unter dem alten System habe sich ein rapider Rückgang in Industrie und Landwirthschaft bemerkbar ge⸗ macht. Ueber das neue System könne man sich noch kein abschließendes Urtheil bilden; man solle es erst einmal so lange in Geltung lassen, wie das alte. Wenn die Zustände sich unter dem neuen System nicht verschlimmert hätten, so sei dies schon ein günstiger Erfolg; aber es zeige sich schon auf vielen Gebieten ein positiver Fortschritt, trotz⸗ dem die Abgg. Bamberger, Rickert und Richter stets ein lamentatio Jeremiae über die neue Zollpolitik anstimmten. Die Steuern, welche das Centrum mit bewilligt habe, seien bestimmt gewesen, die Defizits der Einzelstaaten, welche durch die liberale Wirthschaft entstanden seien, zu decken. Der Abg. Nickert und die Nationalli eralen hätten aber Aus⸗ gaben davon bewilligt, wofür sie nicht bestimmt gewesen seien. Seine (des Redners) Befürchtung, daß die Bewilligungen bei der Passage am Kriegs⸗Ministerium abhanden kommen könn⸗ 8 ten, habe sich leider erfüllt. Wenn alle Staaten rund um uns herum sich durch Schutzzölle abschlössen, warum solle Deutsch⸗ land sein Gebiet freilassen? Die Abgg. Rickert und Richter sollten lieber ins Ausland ziehen und dasselbe zum Freihandel bekehren, statt bei den Wahlen dafür zu agitiren. Man sollte aber nicht blos im Reiche und in den Einzelstaaten sparsam sein, sondern auch in den Gemeinden, Kreisen und in den Privat⸗ Aber man mache im Allgemeinen in Deutsch⸗ and viel zu hohe Ansprüche an das Leben und seine Genüsse. Darin sollte eine Aenderung eintreten, dann würden di Deutschen weniger ausgeben und wohlhabender werden.

der Rückgang auf kirchlichem Gebiete sei unzweifelhaft ei Faktor der Unzufriedenheit; man sollte mit allen Kräften da hin wirken, daß auf diesem Gebiete eine Aenderung eintrete Wenn es zu den Wahlen komme, werde er seine Anschauunger auch darlegen und die Wähler würden sagen: Der Alte hab doch so unrecht nicht.

Nach einigen persönlichen Bemerkungen schloß die Gene raldebatte. In der Spezialdiskussion wurden die fortdauern den Ausgaben des Bundesraths, des Reichstages, de Reichskanzlers und der Reichskanzlei ohne Diskussion bewilligt. Ebenso Kapitel 4 der Ausgaben des Auswär⸗ tigen Amtes. Bei Kapitel 5 richtete der Abg. Dr. Reichen⸗ sperger (Crefeld) an die verbündeten Regierungen die Bitte, dem Reichstage alljährlich, wie in anderen Staaten, einen Bericht über die Thätigkeit des Auswärtigen Amtes und die politische Situation vorzulegen. Dieser Wunsch entspringe nicht dem Mißtrauen gegen die auswärtige Politik des Reichs⸗ kanzlers; aber man solle später nicht sagen dürfen, im Reichs⸗ tage sei niemals ein Wunsch nach einem solchen Berichte laut geworden.

Kap. 5 u. 6 wurden hierauf bewilligt.

Beim Etat des Reichsamtes des Innern und z beim Kapitel: Reichskommissariate besprach der Abg. 8 Lingens den Bericht des Reichskommissars für das Aus⸗ wanderungswesen; er müsse auf die in demselben konstatirte Steigerung der Auswanderung auf das Dreifache des Vor⸗ ahres hinweisen. Die Auswanderung habe auch im Rheinlande und Westfalen bedeutende Dimensionen angenommen. Das sei bemerkenswerth, denn der Rheinländer und Westfale trenne sich schwer von seiner Heimath. Redner folgerte aus dem Briefe eines Auswanderers, der seinen nicht unbedeutenden Grundbesitz verkauft habe, daß die Kirchenverfolgung in Preußen die Leute zur Aus⸗ wanderung treibe, weil sie in Amerika freie Religionsübung hätten. Er befürchte ein weiteres Anschwellen des Stromes der Auswanderung, wenn der Kulturkampf nicht aufhöre. Die Reichsregierung müsse die Auswanderungesfrage ins Auge fassen; die Auswanderung nach Amerika stärke die Konkur⸗ renten Deutschlands. Er müsse die schon im vorigen Jahre von ihm ausgesprochene Bitte wiederholen, daß Seitens der Reichsregierung eine Verabredung mit der österreichischen Re⸗ gierung getroffen werde, welche es ermögliche, den Strom der Auswanderung nach Bosnien zu lenken.

Der Präsident von Goßler rügte nachträglich den Aus⸗ druck „Kirchenverfolgung“ als nicht parlamentarisch und wies den Widerspruch des Abg. Dr. Lingens, der berechtigt zu sein glaubte, diesen Ausdruck als allein bezeichnend zu gebrauchen, mit Entschiedenheit zurück; der Präsident allein habe die Ord⸗ nung aufrecht zu erhalten und dem betroffenen Abgeordneten stehe nur die Appellation an das Haus im geschäftsordnungs⸗ mäßigen Wege zu.

Um 4 ½ Uhr wurde darauf die weitere Berathung des Etats bis Mittwoch 12 Uhr vertagt.

Gewerbe und Handel.

In der gestrigen ordentlichen Generalversammlung der reußischen Hovpotheken⸗Actienbank (ESpielhagen) waren 168 200 Aktteukapital vertreten. Die Dividende für 1880 wurde

auf 4 ½ % festgestellt und ihre sofortige Auszahlung beschlossen. Die von der Haupldirektion vorgeschlagenen und von der Generalversamm⸗ lung genechmigten Statutenänderungen beziehen sich im Wesentlichen auf Verminderung des Minimalsatzes der Amortisationsquote un⸗ kündbarer Hyvpotheken von auf %, af Erweiterung der Be⸗ fugniß in der Erwerbung unterlagsfähiger Hypotheken ohne Amorti⸗ fation und auf Erhöhung des Reservefonds von zehn auf zwanzig Prozent des Aktienkapitals. b

Der Verwaltungsrath der Preußischen Central⸗ Bodenkredit⸗Aktiengesellschaft hat beschlossen, der Feneral⸗ versammlung der Aktionäre die Vertheilung von 8 ½ % Dividende pro 1880 vorzuschlagen, d. i. 1 % weniger als für das Jahr 1879 vertheilt worden war. Neben der statutmäßtgen Erhöhung des Reservefonds findet ein Reserve⸗Vortrag auf neue Rechnung im Betrage von 333 573 statt.

Nach der Bilanz der Berlinischen Feuer⸗Ver⸗ sicherungsanstalt für das Jahr 1880. betrugen die Einnah⸗ men insgesammt 2 504 454 ℳ, so daß nach Aszug der Ausgaben, darunter Feuerschäden mit 679 465 ℳ, ein Gewinn von 318 000 verblieb. Von diesem Gewinne kommen 132 pro Aktie als Di⸗ vidende zur Vertheilung, während der Rest durch Tantièmen. Zuwen⸗ dungen füͤr den Reservefonds ꝛc. absorbirt worden ist. Das Vermögen der Anstalt bestand ult. Dezember 1880 aus dem Grundkapital von 6 000 000 ℳ, aus dem Resetvesends von 600 000 ℳ, und aus den Re⸗ serveprämien ron 700 342 Dle Versicherungen trreichten ire⸗ gesammt im Jahre 1880 die Höbe von 1 004 181 198

Der Aussichtsrath der Agrippina, Sec⸗, Fluß⸗ und Landtranevort⸗Versicherunge⸗Gesellschaft in Coͤln a. Rh. und des Rödversicherungs⸗Vereins der Agrippina hat für jede der beiden Gesellschaften die Vertheilung einer Dividende von 36 % pro 1880 beschlossen.