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sagen, daß zur größten Befriedigung Ihrer Kommission dieselbe alle nothwendigen Dokumente vorgelegt und alle gewünschten Erklärungen gegeben hat, um eine eingehende Prüfung des Betriebes vornehmen zu können. Aber neben diesem vollständig anerkannten Rechte, bezüglich dessen ie Kommission vollständig befriedigt worden ist, besteht noch eine Pflicht für die Regierung, die Verwaltung der Manufaktur und für Sie selbst; diese Pflicht entspringt dem k.-2evn sr der zwischen der Tahackmanufaktur und jedem gleichartigen industriellen und ge⸗ chäftlichen Etablissement besteht. Keines von diesen könnte in einem gewissen Grade die Zahlen veröffentlichen, welche seinen Operationen zu Grnnde liegen und der Ausdruck der erzielten Resultate sind, ohne sich der ernstlichen Gefahr auszusetzen, daß diese Zahlen sich gegen das Geschäft selbst wenden und dadurch seine Organisation und sein Z“ untergraben werden. 8 a nun bei der gegenwärtigen Stellung der Tabackmanufaktur gegenüber der Tabackfabrikation und des Tabackhandels in Deutsch⸗ land eine vorsichtige Zurückhaltung mehr als je geboten erscheint, so hat die Kommission dem Wunsche der Regierung, daß die vorge⸗ egten Zahlen nicht außerhalb des Schooßes der Kommission bekannt egeben werden möchten, stattgegeben.“ und zum Schluß:
„Hiermit schließt die Arbeit Ihrer Kommission; wir haben uns emüht, in alle Einzelheiten einzugehen, um Ihnen die Sachlage so bie sie wirklich ist, darzustellen; auch haben wir den Betrieb der
Tabackmanufaktur einer genauen erüfung unterzogen und gefunden, daß derselbe ganz so eingerichtet ist, wie Sie es genehmigt hatten. Bei der Erfüllung dieser unserer Pflicht haben wir uns vollständig von dem Einfluß gewisser Ideen ferngehalten, welche jetzt in manchen Kreisen beliebt sind und nur die spezielle ökonomische Lage unseres Landes berücksichtigt. Wie Sie nun aber auch Ihre Stellung zu jener Frage nehmen vollen, die in letzter Zeit in Deutschland so reges Interesse hervor⸗ ruft, jedenfalls müssen Sie Ihrer Kommission die Anerkennung zollen, daß sie sich von äußeren Beeinflussungen nicht dominiren ließ und den Etat der Tabackmanufaktur lediglich als Theil unseres allgemeinen Etats betrachtet hat, ohne dabei als Reichsland Politik gegen das Reich selbst zu machen.“ Das Plenum des Landesausschusses stimmte dem Bericht u der 19. Sitzung zu. Es darf wohl angenommen werden, daß die Mitglieder der Finanz⸗Kommission des Landes⸗ usschusses an der Hand der vorgelegten Beschlüsse ein siche⸗ reres Urtheil gewinnen konnten, als dies für die Berliner „Tribüne“, „Frankfurter Zeitung“ ꝛc. ohne jede sichere Grund⸗ lage möglich ist. Wären die Ergebnisse wirklich so unbefrie⸗ digend wie jene Blätter ihre Leser glauben machen möchten, so würde dies nur beweisen, daß die Manufaktur zu billig verkauft, ein Umstand, der doch nur den Konsumenten zu Gute käme und wiederum den Absatz der Manufaktur nothwendig heben müßte. Beruht die Kritik vielleicht darauf? Oder glaubt man durch fortgesetzte Anzapfungen zu erreichen, daß die Manufakturverwaltung der Presse und den konkurri⸗ renden Fabrikanten die Ziffern preis giebt, welche zu sekretiren die Landesvertretung selbst als nothwendig be⸗ zeichnet hat? ... 1 Einstweilen mögen die Berliner, Frankfurter u. s. w. Zeitungen sich vergegenwärtigen, daß die Straßburger Manu⸗ faktur eine elsässische Landesanstalt ist, deren finanzielle Ge⸗ bahrung zu prüfen zu den Aufgaben der diesseitigen Landes⸗ vertretung gehört. Derartige unbegründete Angriffe sind nur geeignet, im Elsaß Verstimmung gegen das rechtsrheinische Deutschland zu erzeugen und einen neuen Beweis dafür zu erbringen, daß die vielen schiefen Urtheile, welche in Berlin und anderen Orten über Elsaß⸗Lothringen laut werden, that⸗ sächlich auf Unkenntniß der hiesigen Verhältnisse beruhen. Ein Uebelwollen möchten wir nicht einmal bei der „Tribüne“ u. s. w. voraussetzen. ““ “ “
Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 28. März. (W. T. B.) Heute Mittag hat bei dem russischen Botschafter von Oubril
ein Dejeuner stattgefunden, an welchem Großfürst Wla⸗
dimir, die Offiziere vom Dienst, Oberst Varga des 14 Hu⸗ saren⸗Regiments und das Botschaftspersonal theilnahmen. Heute Abend werden die Hohen Gäste der Einladung des Erz⸗ herzogs Karl Ludwig zu einem ihnen zu Ehren gegebenen Diner Folge leisten. Die Abreise des Großfürstlichen Paares und des Großherzogs von Mecklenburg nach Italien ist auf morgen Vormittag 11 Uhr festgesetzt.
— Die Großfurstin Maria Paulowna empfing heute Vormittag in ihren Appartements die Besuche des Kaisers, der Kaiserin und der Erzherzoginnen. l4. Wladimir besichtigte am Nachmittag den Kaiserlichen Marstall und sodann das Ring⸗Theater, und ließ sich bei letzterem eingehend über die Katastrophe berichten. Gegen 5 Uhr empfing der Großfürst in der Hofburg Mit⸗ glieder des diplomatischen Corps und der Aristokratie.
— Im Abgeordnetenhause brachte die Regierung eine Vorlage ein, betreffend die Sicherstellung der böhmisch⸗ mährischen Transversalbahn. Die nächste Sitzung findet am 18. April statt.
Das Herrenhaus erledigte das Budget und das Finanz⸗ gesetz pro 1882 und beschloß, den Gesetzentwurf über die Wahl⸗ reform einer Kommission von 15 Mitgliedern zu überweisen und diese, sowie die Kommission für die Berathung des Zoll⸗ tarifs, welche ebenfalls aus 15 Mitgliedern bestehen soll, am 30. d. zu wählen.
— 29. März. (W. T. B.) Einer hiesigen Blättern aus Gravosa zugegangenen Nachricht zufolge ist der seit längerer Zeit in Haft gehaltene serbische Archimandritvon Mostar, welcher auch den Protest gegen die Einführung des Wehr⸗ gesetzes in den okkupirten Ländern mitverfaßt hat, gestern unter Eskorte von Metkovich nach der Festung Esseg über⸗ geführt worden.
Pest, 28. März. (W. T. B.) Das Unterhaus er⸗ ledigte die Wehrgesetznovelle in der Spezialdebatte.
— 29. März. Wie die „Ungarische Post“ von „kom⸗ petenter Seite“ erfährt, hat der ungarische Finanz⸗Ministea mit dem durch die ungarische Kreditbank vertretenen Kon⸗ sortium ein Uebereinkommen bezüglich der Deckung des Defizits pro 1882 durch Ausgabe einer fünfprozentigen Papierrente abgeschlossen.
Großbritannien und Irland. London, 27. März. Allg. Corr.) Aus Mentone wird gemeldet, daß die Königin Victoria am 24. d. dem faͤchsischen Königspaare im des Jsles Britanniques einen Besuch abstattete. Earl pencer, der Präsident des Geheimen Raths, hat sich nach entone begeben, um als dienstthuender Minister am König⸗ lichen Hoflager zn fungiren. ¹ — 28. März. (W. T. B.) In der heutigen itzung des Unterhauses antwortete der Pre⸗ mier Gladstone 8 eine Anfrage Sextons: es sei unmöglich, Parnell, llöon und O’'Kelly die Theilnahme
“
an der Abstimmung über die Reform der Geschäfts⸗ ordnung zu gestatten. Hieran schloß sich eine lebhafte Debatte, in deren Verlaufe der Generalsekretär für Irland, Forster, auf das Schärsste die Haltung der Parteigenossen Parnells tadelte, welche Irland mit Schande bedeckten. Der Redner gab zu, daß der Erfolg der Zwangsgesetze nicht den Erwartungen entspreche und zwar eben in Folge der Haltung der Parteigenossen Parnells. Es seien aber viele Mordthaten und andere Gewaltthaten durch diese Gesetze verhindert worden, und wenn es nöthig werde, müßten die Regierung und das Parlament noch strengere Maßregeln beschließen. Die Rede Forsters wurde mit anhaltendem Beifall aufgenommen.
Dublin, 28. März. (W. T. B.) In Folge der in einem Wirthshause erfolgten Ermordung eines jungen Mannes fanden hier mehrere Verhaftungen statt. Der Mord wird einer geheimen politischen Gesellschaft zur Last gelegt. In der Wohnung eines der Verhafteten wurden von der Polizei Gewehre, Revolver, Bayonette und Patronen aufge⸗ unden.
Frankreich. Paris, 28. März. (W. T. B.) Die Deputirtenkammer genehmigte heute den von der Re⸗ gierung verlangten Kredit von 8 Millionen zur Deckung der Kosten der tunesischen Expedition für das zweite Quartal 1882 mit 376 gegen 71 Stimmen. Der Minister⸗ Präsident de Freyecinet erklärte, daß die Zustände in Tunis gegenwärtig so gute seien, als man nach so kurzer Zeit nur habe erwarten können. Der Effektivbestand der Truppen werde demnächst auf 30 000 Mann reduzirt werden. Die Lage bessere sich mit jedem Tage, und die Schwierigkeiten, welche noch beständen, seien im Abnehmen begriffen. — Der Gesetzentwurf, betreffend die Aufhebung des Verbots der Einfuhr amerikanischen gesalzenen Fleisches, wurde mit einem Amendement angenommen, durch welches der Minister ermäachtigt wird, den von ihm als geeignet erachteten Modus der Untersuchung des Fleisches anzuordnen.
Der Senat begann heute die Berathung des italie⸗ nisch⸗französischen Handelsvertrages und wird die⸗ selbe am Donnerstag fortsetzen.
Aus Tunis wird u. d. 29. März gemeldet: Der Bey hat die Verfügung über die Begnadigung mehrerer auf⸗ ständischer Stämme, welche ihre Unterwerfung angeboten haben, insbesondere Ali ben Kalisa's, dem Kommando der Truppen überwiesen. Es heißt, Ali ben Kalifa werde die Verzeihung erhalten, wenn er ernsthafte Bürgschaften für die Zukunft biete.
Italien. Rom, 28. März. (W. T. B.) Im Vatikan fand heute die Ceremonie der Ueberreichung des Kardinalshuts an die gegenwärtig in Rom weilen⸗ den neu ernannten Kardinäle Agostini, Maccabe, Ricci, Lasagni und Jacobini statt.
Palermo, 28. März. (W. T. B.) Garibaldi traf heute früh hier ein und wurde von einer großen Menschen⸗ menge empfangen. Die Ruhe wurde in keiner Weife gestört. Der General wurde nach einer in der Nähe der Stadt gelege⸗ nen Villa geleitet, von deren Balcon aus der Maire im Namen des Generals der Bevölkerung dankte.
Griechenland. Athen, 29. März. (W. T. B.) Die Kammer der Deputirten hat den Gesetzentwurf be⸗ züglich der Gleichstellung der neuen Provinzen mit den alten hinsichtlich der Gültigkeit der Gesetze angenommen.
Serbien. Belgrad, 28. März. (W. T. B.) Der serbische Gesandte in Paris, Marianowic, wird sich nach Madrid begeben, um daselbst die Proklamirung Milans zum Könige von Serbien zu notifiziren. Den gleichen Auftrag haben die Oberst⸗Lieutenants Protic und Simonowic für die kleineren deutschen Höfe und der Professor Kunjundric für Athen und Cettinje.
Dänemark. Kopenhagen, 25. März. Das interi⸗ mistische Budget pro 1882/83 stand heute im Folke⸗ thing zur dritten Lesung, wurde einstimmig mit 61 Stimmen angenommen und geht jetzt an das Landsthing.
Zeitungsstimmen.
In einem „Die sozialpolitische Seite der deutschen Taback⸗ besteuerung“ überschriebenen Aufsatze von Dr. Stephan zu Putlitz in der von diesem in Verbindung mit Dr. Hans Del⸗
brück herausgegebenen „Politischen Wochenschrift“ lesen wir:
Die Nothwendigkeit einer theilweisen Erleichterung bestehender Steuern, die Einführung neuer Steuern zur Bestreitung der Kosten der Sozialreform, die mit steigenden Ausgaben immer wachsende Finanznoth des Reiches fordern mit unabweisbarer Nothwendigkeit neues steuerkräftiges Objekt. Dies ist der Taback, dessen ganze Steuer⸗ kraft bisher noch nicht genügend ausgenutzt worden ist. Mögen die Gegner des Tabackmonopols das bedenken. Es ist bisher viel und vieles nicht ohne Grund gegen das Tabackmonopol geltend gemacht worden. Darauf kommt es aber gar nicht an, vielmehr darauf, etwas Besseres an seine Stelle zu setzen. Hierzu ist bisher kaum der Versuch gemacht worden. Können die Gegner des Tabackmonopols dies nicht, können sie keine andere Form der Steuererhebung finden, welche den Tabackbau, die Tabackindustrie und den Tabackhandel frei läßt, und dennoch die nothwendige eesfeet und Werthabstufung verbürgt, dann werden sie durch blos passiven Widerstand die Ein⸗ führung des Tabackmonopols nicht dauernd verhindern können.
— Die in München erscheinende (nationalliberale) „Süddeutsche Presse“ schreibt:
Die Tabackfrage muß noch in den Massen gähren. Wohin die Sache schließlich führt, ist aus dem Beschlusse des preußischen Volks⸗ wirthschaftsrathes ersichtlich. Mit der großen Mehrheit von 48 gegen 14 Stimmen hat derselbe eine erhöhte Tabacksbesteuerung ge⸗ wünscht. Nun aber sind Hr. Dr. Bamberger und seine Spezial⸗ gesinnungsgenossen sich darüber klar, daß jede erhöhte Besteuerung des Tabacks ein Schritt zum Monopol ist. Man wird schließlich zu demselben kommen müssen, 5 um der Sache ein Ende zu machen. Unsere Reichsbedürfnisse lassen inch auf die Dauer nicht anders als aus dem Taback decken und wie hier (in München) Graf Ortenburg⸗Tambach in der Reichsrathssitzung vom 11. März so schlagend ausgeführt hat: in der Befreiung des Reiches wie der Einzelstaaten aus der finanziellen Nothlage liegt ein Moment föderativ erhaltender Politik. 8 Votum des Volkswirthschaftsraths ist mit dem Satze über die Erhöhung der Tabacksteuer entschieden ein sehr zwei⸗ schneidiges. Lasse man die Frage nur ihren langsamen und verschlungenen Weg gehen, wie ihn in Deutschland alle Fragen gehen müssen. Jeder verstärkte Ansatz an der Steuerschraube ist ein Hebel zur Herbei⸗ führung des Monopols. Es ist begreiflich, daß der bald 67 Jährige Reichskanzler noch das Tabackmonopol zu sehen wünscht, aber die Frage selas ist nur eine Frage der Zeit und voraussichtlich keiner langen. Einst, wenn auch jetzt trotz a er fortschrittlichen Bemühun⸗ gen zum Glück noch nicht wieder, führten laut dem Sprichwort alle Wege nach Rom; jetzt führen alle Wege zum Monopol.
— Die in Wien erscheinende „Deutsche Zeitung“ schreibt u. A:
Das Tabackmonopol ist nur ein Baustein der Reform. .. Als Ganzes angesehen, stellen sich die Pläne Bismarcks folgendermaßen dar: Die Beiträge der einzelnen Länder zu der Erhaltung des Reiches müssen ein⸗ für allemal verschwinden; das Reich soll, anstatt der Pensionär der Bundesstaaten zu sein, von seinen eigenen Steuern leben; die Ueberschüsse dieser Reichseinnahmen werden unter die ver⸗ schiedenen Länder zur Erleichterung der Volkslasten verwendet. Wie groß sich der Kanzler diese Ueberschüsse denkt, geht aus dem neuen Verwen⸗ dungsgesetze hervor, welches er dem preußischen Landtage vorgelegt hat. Er will nicht nur die 4 untersten Stufen der Klassensteuer aufheben; er hofft auch 50 Mill. ℳ zur Verringerung der Schulkosten, 25 Mill. zur Erleichterung der Gemeindelasten und weitere 25 Mill. zur Erhöhung der Beamtengehalte zu erübrigen. Alles in Allem genommen geht sein Bestreben dahin, die unteren Volksschichten nach Möglichkeit zu entlasten und dieselben von den vielfach kombinirten Landes⸗, Kreis⸗ und Gemeindeumlagen und Zuschlägen zu befreien. Er hat es unternommen, die verschiedenen Stände und Klassen der Gesellschaft von der ihnen dräuenden Zerbröckelung zu bewahren. Er hat für die Industrie Bollwerke gegen die übermächtige Konkurrenz Frankreichs und Englands geschaffen, die Landwirthschaft durch Agrarzölle gegen die riesige Produktion Rußlands und Amerikas ge⸗ schützt, die arbeitenden Klassen durch die Aussicht auf Alters⸗ un Invalidenversorgung aus ihrer feindseligen Anschauung vom modernen Staate emporzurütteln versucht. In all diesen Bestrebungen hat sich Bismarck nicht durch das hartnäckige Veto des Parlaments beirren lassen Der Kanzler mußte 20 Jahre lang kämpfen, um seine hohen politischen Zwecke zu erreichen; er wird, wenn die Natur seinem Wirken keine Schranken setzt, ebenso zähe und beharrlich an der Ver⸗ folgung seiner wirthschaftlichen Pläne arbeiten, welche auf die Ver⸗ jüngung und Regeneration des deutschen Volkes abzielen.
— Aus dem Fränkischen meldet der „Schwäbis che Merkur“: 8 „Auch im Tauberthale, in der Gegend von Mergentheim und ab⸗ wärts, hat der Tabackbau vor einigen Jahren festen Fuß gefaßt, ist aber in Folge vielfacher Weiterungen der Fabrikanten und ihrer
Agenten und Zwischenhändler fast auf Null wieder zurückgegangen Nunmehr aber erklären die Grundbesitzer, den Anbau der Taback⸗ pflanze in ausgedehnterem Maßstabe wieder aufnehmen zu wollen, wenn das Monopol zur Einführung gelangen sollte. Das gehört doch wohl auch zur vox populi, die man von gewissen Seiten her be⸗ kanntlich so gerne und so viel im Munde führt. Das nicht durch Brandreden aufgehetzte Volk wird jeder Lurussteuer massenhaft zu⸗
stimmen.
— In der „Tribüne“ lesen wir:
„Daß trotz der schlechten Zeiten in Berlin noch wacker gespart wird, zeigt der vorliegende Jahresbericht der städtischen Sparkass aus dem vorigen Jahre. Danach stellte sich das Gesammtguthabe der Interessenten am Schlusse des Jahres auf 36 164 812 ℳ, wäh rend es am Schlusse des Vorjahres 30 922 346 ℳ betrug, sich als um 5 242 466 ℳ vermehrt hat. An neuen Sparkassenbüchern wur den im Laufe des Jahres 10 059 Stück ausgegeben, dagegen wurden 5570 Stück ganz abgehoben und es verblieb Ende des Jahres ein Bestand an Sparkassenbüchern von 162 196 Stück. Es bezifferte sich der Vermögensbestand der Sparkasse auf 38 715 976 ℳ, der für da Jahr 1881 erzielte Gewinnüberschuß der Sparkasse auf 387 343 ℳ, der Reservefonds auf 3 137 113 ℳ
Landtags⸗Angelegenheiten.
Bei der Ersatzwahl im 19. hannoverischen Wahlbezirk (Gieboldehausen) ist für den zum Amtshauptmann ernann⸗ ten früheren Bürgermeister Baurschmidt der Amtsrichter von Schrader in Herzberg (Fraktion unbestimmt) mit 124 Stimmen gegen den Amtsgerichts⸗Rath Bethe in Osterode (nationalliberal) mit S Stimmen zum Mitglied des Hauses der Abgeordneten gewählt worden. 8
Kunst, Wissenschaft und Literatur. Heidelberg, 28. März. (W. T. B.) Dem bekannten
Historiker Professor Georg Weber wurde anläͤßlich seines fünfzig⸗
jährigen Doktorjubiläums das Commandeur⸗Kreuz des Zähringer Löwen⸗Ordens verliehen. 8
Berlin, 29. März 1882.
Die seit Jahren erörterte Frage, in welcher Weise für die Sicher⸗
heit des Theaterpersonals sowie des die Theater besuchenden Publi
kums am wirksamsten Sorge zu tragen ist, wurde in neuester Zeit
durch zwei furchtbare Katastrophen, den Brand des Théatre Municipal zu Nizza und des Ring⸗Theaters in Wien von Neuem in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gerückt.
„Den Zielen, welche die Allgemeine Deutsche Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen ins Leben gerufen haben, gehört auch die Frage der zur Verhütung von Theaterbränden und
zur Sicherung des Personals wie des Publikums erforderlichen Schutz⸗ maßregeln so vollständig an, daß der Ausschuß (Wirklicher Geheimer
Rath Hobrecht) seine Mitwirkung bei ihrer Lösung für seine Pflicht
gehalten hat
Um die ihm damit vorliegende Aufgabe seinerseits zu erfüllen,
schreibt derselbe eine Allgemeine Konkurrenz zur Erlan⸗
hunc von Plänen für ein MusterTheater unter nach⸗ tehenden Bedingungen aus:
1) Der Entwurf der Pläne hat auf Grund eines ausführlichen 2 ramms zu erfolgen, welches von dem Ausschusse der hygienischen usstellung (Berlin NW., Straße Alt⸗Moabit), gratis zu be⸗
ziehen ist.
2) Als Schlußtermin für die Einlieferung der Konkurrenzarbeiten
wird der 5. August 1882 festgesetzt.
3) Für die Prämiirung der besten Lösungen sind im Ganzen 8000 ℳ zutsesett; es bleibt der Jury überlassen, diese Summe auf
3 bis 4 Preise nach eigenem Ermessen zu vertheilen.
5) Die Theilnahme an der Konkurrenz steht allen Angehörigen
des Deutschen Reiches, Oesterreich⸗Ungarns und der Schweiz zu.
Das Preisrichtsamt haben folgende Herren übernommen:
Brandt, Maschinerie⸗Inspektor der Königlichen Hoftheater; ölsch, Civil⸗Ingenieur; Greiner, Civil⸗Ingenieur; erzberg⸗
Ingenieur; Lebrun, Theaterdirektor; Otzen, Be.&* or, Mitglied der kademie des Bauwesens; Rietschel, Civil⸗I
Kgl. Baurath, Mitglied der Akademie des Bauwefens; M. Semper,
Architekt; Stude, Branddirektor; von Weltzien, Negierunge. Hanmeister
Witte, Kgl. Branddirektor; Dr. Wolffhügel, Reg erungs⸗Rath.
Die Permanente Kunstausstellung von Emil Ph. Meyer u. Co. (Taubenstraße 34), wird nun auch das neueste, krasseste Sensationswerk von Gabriel Mar: sch Gemälde „Es ist ü. zur Ausstellung bringen. Dasselbe reffen.
nhe Redacteur: Riedel. Verlag der Expedition (Kessel²) Dr
Vier Beilagen
Berlin, Mittwoch, den 29. März
1882.
——
heiten von Goßler das Wort. (
ngenieur; Schmieden,
oll im April⸗ hier ein⸗
dieser Frage
11“
Preußen. Berlin, 29. März. Im weiteren Ver⸗ laufe der gestrigen (43.) Sitzung setzte das Haus der Ab⸗ geordneten die dritte Berathung des Entwurfs des
— Staatshaushalts⸗Etats für das Etatsjahr 1882/83 und
des Gesetzentwurfs, betreffend die Feststellung dieses Etats mit der Diskussion des Etats der landwirthschaftlichen
Verwaltung fort. Bei diesem Etat rühmte der Abg. Kropp
die segensreichen Erfolge und den Nutzen der landwirthschaft⸗ lichen Lokalvereine, den sie namentlich in der Provinz Han⸗ nover im Gefolge hätten und bat um möglichste Förderung derselben; es handle sich dabei hauptsächlich um Aufhebung einschränkender Verfügungen und Gestattung von Lotterien
und Aehnlichem.
Der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten Lucius entgegnete, das Lotteriewesen habe in den letzten Jahren eine derartige Ausdehnung gewonnen, daß gewisse Einschrän⸗ kungen durchaus nöthig würden, besonders für solche Lotterien, die auf Geldgewinn und größere Bezirke berechnet seien. Da⸗ gegen könnten vielleicht Lotterien, die sich in den engen Kreisen eines Vereins bewegten und nicht auf Geldbeträge, sondern
3 wirthschaftliche Gegenstände gerichtet seien, einer anderen Be⸗ unrtheilung unterzogen werden. Er wolle die Sache prüfen und wenn sich in dieser Beziehung etwas thun lasse, was den
hannöverschen Verhältnissen entspreche, es seinerseits daran nicht fehlen lassen.
Der Etat der landwirthschaftlichen Verwaltung wurde ohne weitere Debatte genehmigt.
Beim Etat der Gestütverwaltungkam der Abg. von
Rauchhaupt auf die Ausführung des Abg. Dirichlet zurück,
der auf Grund der Protokolle der Landespferdezucht⸗Kom⸗
mission ihn (den Redner) beschuldigt habe, bei seinen An⸗
griffen gegen die Gestütverwaltung aus unlauteren Quellen geschöpft zu haben. Redner verlas eine schriftliche Erklärung
des Hrn. von Nathusius (auf den sich der Abg. Dirichlet berufen gehabt habe), in welcher sich Hr. von Nathusius rektifizirt habe,
und nahm den bei Gelegenheit der zweiten Berathung gemachten Vorwurf, als hätte der Letztere wissentlich Unwah⸗ res behauptet, zurück. Pflicht des Ministers als Vorsitzenden jener Kommission aber sei es gewesen, sofort die Aeußerungen des Hrn. von Nathusius richtig zu stellen.
Der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten Lucius erklärte, er sei dazu in der Kommission gar nicht in der Lage gewesen, da ihm nur die objektive Leitung der Ge⸗ schäfte derselben obgelegen hätte.
Der Etat der Gestütverwaltung wurde genehmigt.
Beim Etat des Ministeriums der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten kam der Abg. Rickert auf den Fall des Lehrers Neu⸗
mann (Kreisschulinspektion Pr. Eylau) zurück, der von der
Regierung in eine Ordnungsstrafe von 20 ℳ genommen sei, weil derselbe einen Wahlaufruf für den liberalen Kandidaten unterschrieben gehabt habe. Der Minister möge jetzt erklären, ob derselbe dieses gesetz⸗ und verfassungs⸗ widrige Verfahren billige, während in demselben Kreise zahlreiche Lehrer konservative Wahlaufrufe unter⸗ schrieben hätten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu sein. Leider sei wenig Hoffnung, daß der Minister in diesem Falle einen objektiven Standpunkt einnehmen würde, da derselbe sich, wie aus dem Vorgehen des Ministers in der Corsepiusschen Angelegenheit zu entnehmen sei, als Mitglied einer Partei fühle und die Regierung leider die Amtsgewalt vollkommen im Sinne und als Organ einer gewissen Partei gebrauche. Hierauf ergriff der Minister der 1S. ꝛc. Angelegen⸗ ir werden diese Rede morgen im Wortlaute bringen.)
Der Abg. Rickert erklärte, anstatt ihm auf seine Frage zu antworten, habe der Minister dem Hause den Mann aus dessen Personalakten in einer Weise geschildert, die es erstaun⸗ lich erscheinen lasse, weshalb derselbe überhaupt noch im Amte sei. Hier handele es sich um das Wahlrecht und die Wahl⸗ freiheit der Beamten. Der Mann sei seiner Partei gleich⸗
gültig. In dem Wahlaufruf sei nur von dem Agitiren
egen die Konservativen, nicht gegen die Regierung die Rede. Solle das in Preußen nicht mehr erlaubt sein? Das ganze öffentliche Leben bei den Liberalen sei ja nur ein Streit daruͤber, was dem Volke heilsamer sei, die liberalen oder die konservativen Grundsätze. Es sei traurig, wenn die herrschende Partei ihre Gegner mundtodt zu machen suche. Freilich die rechte Seite brauche die Beam⸗ ien. Ohne sie würde die Rechte vom Erdboden verschwinden. Ohne die „Provinzial⸗Correspondenz“, ohne die Agitation der Beamten vom Landrath bis zum Nachtwächter herab würden die Konservativen sich nicht behaupten können. Was würde von den Konservativen übrig bleiben, wenn der Kanzler seine
. schützende Hand von ihnen wegziehen würde? Das Vorgehen des Schulinspektors Corsepius nehme der Minister in Schutz, und doch,
wie milde habe jenem gegenüber sich der Lehrer Neumann verhal⸗ ten! Die Minister meinten, daß sie allein die Königstreue in Pacht genommen hätten und dem Staate nützten: er erinnere aber an den Frhrn. von Stein, der, vom König in Ungnade ent⸗ lassen, nachher das Vaterland errettet habe.
Demnächst nahm der Staats⸗Minister von Goßler das Wort. (Diese Rede werden wir morgen im Wortlaute bringen.)
Der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte, der Abg. Rickert habe sich heute als einen äesns Steins vorgeführt; er be⸗ zweifle, ob der Abg. Rickert nicht mit einem mitleidigen Lächeln begrüßt werden würde, wenn derselbe jetzt auf dem Dönhofs⸗ platz vor denselben treten wollte. Durch die Rede des Abg. Rickert habe sodann der Vorwurf geklungen, daß Neumann trotz
seines Vorlebens noch auf seinem Platze sei. Aber einmal sei es un⸗ moöglich, daß der Minister die Personalakten jedes einzelnen Lehrers kenne, sodann möge auch der notorische Lehrermangel
in früherer Zeit dazu beigetragen haben, daß Individuen im Amnl . . ne es nicht verdient hätten. Er hoffe indessen, daß jetzt, wo dieser Mangel nicht mehr bestehe, auch hierin eine Aenderung getroffen werde. Worauf es ihm bei ankomme, sei, daß die Pflichten der Beamten noch einmal klar gestellt würden. Es freue
ihn, daß die klare Weisung, die in dieser Richtung
ergangen sei, im Lande überall verstanden werde. Wenn jetzt uüͤbrigens immer Klagen über die Regierung geführt würden, sollte man sich doch erinnern, daß Magistrate ihren Beamten gegenüber ganz anders verfahren seien. Lehrer, die konservativ gewählt hätten, seien einfach nicht befördert worden. (Rufe links: wo! Namen!) Er werde für das, was er hier vorbringe, einzutreten wissen, aber Namen hier zu nennen, halte er nicht für angezeigt. b
Der Abg. Bachem war der Meinung, daß die Liberalen mit der Wahl ihres Märtyrers nicht sehr vorsichtig gewesen seien. Aber es sei doch wohl nicht richtig, daß der Minister die Personalakten desselben in solcher Aus⸗ führlichkeit mitgetheilt habe. Das würde nur zu rechtfertigen sein, wenn derselbe die Ueberzeugung gehabt hätte, daß die Interpellation Rickert von Neumann selbst angeregt sei. Der Minister habe sich immer sehr empfindlich gezeigt, wenn Beamte mit scharfen Worten angegriffen seien, so hätte auch derselbe mehr zurückhalten müssen, da doch Neumann auch Beamter sei. Verwunderung habe es bei ihm (dem Redner) auch er⸗ regt, daß ein Lehrer mit solcher Vergangenheit überhaupt habe im Amte bleiben können. Lägen hier vielleicht hervor⸗ ragende Verdienste im Kulturkampf vor? Seien von Neumann Vorträge gegen die Reichsfeinde gehalten? Nach den Erfah⸗ rungen hin, die man im Westen unter dem System Falk ge⸗ macht habe, seien derartige Motive für eine Beibehaltung im Dienst sehr gut möglich. Der ganze Vorfall zeige nur, wie viel besser die Linke gestellt sei. Dieselbe habe nur auf ein⸗ zelne Uebelstände hinzuweisen, während die Centrumspartei vitematich in der Ausübung ihres Wahlrechts beeinträch⸗ tigt sei.
8 Der Abg. Richter bemerkte, wenn es sich so mit der Per⸗ son des Lehrers verhalte, wie der Minister vorgetragen habe, dann sei die Unterschrift desselben unter diesen Wahlaufruf nicht gerade für die Konservativen gefährlich gewesen. Wenn dieselben trotzdem diesen Fall zu einer disziplinarischen Be⸗ strafung gezogen hätten, so müsse es eben auch hier der Re⸗ gierung darauf angekommen sein, das Prinzip zur Geltung zu bringen, und dieses sei um so wichtiger. Es scheine freilich jetzt zur konservativen Politik zu gehören, alle Fragen auf das persönliche Gebiet hinüberzuführen, vor Allem politische Gegner als persönlich schlecht und kein Vertrauen erweckend hinzustellen. Ob der betreffende Lehrer bestraft sei oder nicht, sein politisches Recht sei in diesem Falle genau dasselbe Recht wie das jedes Lehrers, der sich völlig untadelig geführt habe. Wie könne daher der Minister die Geldstrafe in dem Falle für unrichtig erklären, wenn der Lehrer sich privatim und amtlich gut geführt habe? Ihn interessire nicht diese Person, sondern nur das Prinzip. Zu⸗ nächst stehe diese prinzipielle Erklärung des Ministers im Widerspruch mit der Auslegung, welche der Kanzler selbst am 24. Januar dem Königlichen Erlaß im Reichstage gegeben
abe. Ausdrücklich habe der Kanzler gesagt, der Erlaß be⸗ hane nichts, drohe nichts, stelle keine Nachtheile in Aus⸗ sicht, sondern überlasse es nur dem Takt der Beamten, ihre Agitation mit dem geschworenen Eide in Uebereinstim⸗ mung zu bringen. Als Beispiel einer tadelnswerthen Agi⸗ tation habe der Kanzler angeführt das Wegnehmen von
Stimmzetteln für einen regierungsfreundlichen Kandidaten, indem man den Stimmzettel aus der Hand reiße. Der⸗ gleichen habe man im Reichstag selbstverständlich gefunden, hier aber werde schon, wo es doch dem Takt überlassen sei, die einfache Unterzeich8ung von Wahlaufrufen zum Gegen⸗ stand der Disziplinarstrafen gemacht. Sei es etwa nicht richtig, was in jenem Wahlaufrufe stehe, daß bei einer kon⸗ servativen Mehrheit die Volksrechte beschränkt worden seien? Allerdings würde das Recht auf jährliche Berusung des Reichs⸗ tages aufgehoben worden sein. Sei dies keine Einschränkung der parlamentarischen Freiheit? Würde nicht in der beab⸗ sichtigten vierjährigen Legislaturperiode eine Einschränkung des Wahlrechts liegen? Sei nicht der Gesetzentwurf zur Be⸗ schränkung der Redefreiheit der Abgeordneten eingebracht worden? Würde in dessen Annahme nicht eine Beschränkung der Freiheitsrechte liegen? Die Interpretation des Ministers gehe auch hinaus über eine Verfügung der Casseler Regierung vom 18. Juni 1881. Diese habe die Lehrer vor jeder Agi⸗ tation im Dienste irgend welcher politischen Partei verwarnt, weil dadurch immer Zerwürfnisse zwischen dem Lehrer und einem Theil der Gemeinde hervorgerufen, das gedeihliche Zusammenwirken von Haus und Schule und die Autorität des Lehrers bei der Schuljugend gefährdet würden. Jetzt sage der Minister, konservative Wahlaußrufe dürften die Lehrer unter⸗ schreiben. (Widerspruch rechts.) Andernfalls müßten die Lehrer, die das zu hunderten gethan hätten, auch mit 20 ℳ Buße bestraft werden, müßte der Minister dem Peepirfäal- Schulrath in Königsberg als unpassend verweisen, daß derselbe im geschäftsführenden Ausschuß des konservativen Central⸗ vereins für Ostpreußen an der Spitze der dortigen Agitation stehe. Habe die Rechte wirklich den Standpunkt, daß auch konservative Wahlagitation sich für den Lehrer nicht passe, so komme die Linke mit der Rechten sich schon viel näher. Der Minister sage, daß bei einem liberalen Kultus⸗Minister die Lehrer allerdings konservative Wahlaufrufe nicht unterzeichnen dürften. Komme mal ein liberaler Kultus⸗Minister, wenn dann Beamte keine konservativen Wahlaufrufe unterzeichnen dürften, wo würden die Konservativen wohl noch dann eine dagsten Zahl angesehener Unterschriften für ihre Wahlaufrufe herbekommen? Alsdann also würden die liberalen Lehrer an die Reihe kommen, Wahlaufrufe unterzeichnen zu dürfen. Wenn nun aber ein Minister mittlerer Richtung komme, welche Wahlaufrufe dürfe der Lehrer dann unterzeichnen? Der Fall Corsepius, den der Minister gebilligt habe, Meife weiter, derselbe verpflichte sogar den Lehrer, Agitatibnen zu treiben für die Konservativen, sie möchten selbst liberal oder konservativ sein. Das charakterisire die Verfngung des Kreisschulinspektors Corsepius, nicht eines weltlichen Schulinspektors, sondern eines Superintendenten, der dies Amt im Nebenamt versehe. Das Häßlichste an der Ver⸗ fügung aber sei, daß die Lehrer verpflichtet würden, von amtswegen in dieser Weise zu agitiren, unter ganz beson⸗ derer Berufung auf den König. Stehe das noch irgendwie
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mit dem Erlaß in Einklang, den der Kanzler dahin inter⸗ pretirt habe, daß nur die politischen Beamten verpflichtet seien, für die Regierung positiv aktiv einzutreten, wobei dieses Eintreten noch auf die Widerlegung gewisser falscher Behauptungen gegen die begrenzt sein solle. Unter politischen Beamten seien nur solche zu verstehen, die ohne Disziplinarverfahren aus politischen Gründen absetzbar seien, also die Landräthe, Staatsanwälte, Regierungs⸗Präsidenten. Jetzt erkläre also der Minister, indem derselbe die Verfügung des Corsepius billige, sogar die Schulinspektoren im Neben⸗ amt für politische Beamten und Hr. Corsepius verpflichte die Lehrer in den Schulgemeinden im Sinne der Regierung zu agitiren. So werde die innere Politik zu einer Wahlpolitik ge⸗ schaffen. Wenn der Reptilienfonds und die amtlichen Wahl⸗ beeinflussungen aufhörten, wo würde dann überhaupt von der konservativen Partei bei freier Wahl etwas übrig bleiben? Ein paar Herren in Hinterpommern auf ihren allerdings festen Sitzen. (Zuruf: Hr. von Meyer!) Es sei auch noch nicht ganz sicher, daß Hr. von Meyer wiederkommen würde. Was bewirke denn das Vorgehen der Konservativen? Sie degradirten die Lehrer in ihren eigenen Augen, erweckten in ihnen das Gefühl, daß sie nicht soviel politische Macht hätten, wie der kleinste Bauer und Handwerker. Solche Behandlung müsse die Lehrer empören und wenn sie äußerlich gezwungen seien, in gewissen Fällen konservativ zu erscheinen, sie würden darum nicht konservativer, sondern ließen es den Konservativen wieder auf eine andere Weise entgelten, wo man nicht im Stande sei gegen sie disziplinarisch einzuschreiten. Die Konservativen würden dann auch die Beamten in den Augen des Publikums schädigen. Je mehr man die einzelnen Ausschreitungen ahnde, um so mehr gewönnen die anderen Beamten an Autorität. Daß man jetzt wieder zu all den klein⸗ lichen Mitteln der fünfziger Jahre, aus der Zeit der Westphalen und Raumer, greife, sei das Zeichen einer schwachen Regierung. Fürst Bismarck habe das früher nicht nöthig gehabt, weil demselben freiwillig aus den weitesten Kreisen des Volkes Ver⸗ trauen entgegengetragen sei, und sich eine freiwillige Majorität ihm dargeboten habe. In immer weiteren Kreisen erwache die Ueberzeugung angesichts solcher praktischen Fälle, daß im gegen⸗ wärtigen Regierungssystem bei solchen Grundsätzen eine Ver⸗ mittelung nicht möglich sei, daß man zur entschiedenen Oppo⸗ sition sich wenden müsse, um diesem Regierungssystem Ziel und Schranken zu setzen.
Der Abg. Cremer fand, daß der Vorwurf, die Konser⸗ vativen versühren immer persönlich, sich im Munde des Abg. Richter sonderbar ausnehme. Auf eine streng sachliche Rede seinerseits habe derselbe bei der zweiten Lesung mit einem persönlichen Angriffe auf einem Gebiete geantwortet, auf dem er nicht verantwortlich sei. Den Vorwurf, die Regierung sei Partei, begreife er nicht von Männern, die beständig eine parlamentarische Regierung anstrebten. Sei die Linke ein⸗ mal ans Ruder gelangt, so erhalte man in Preußen eine Parteiregierung, wie sie schlimmer nicht gedacht werden könne. Redner ging nun näher auf das parlamen⸗ tarische Regiment ein, das er in verschiedenen Ländern kennen gelernt habe, immer zum Nachtheil der betreffenden Nationen. Deshalb wolle seine Partei keine parlamentarische Regierung und keine Minister von der Sorte der Linken, sondern wünsche, daß Se. Majestät die Minister nach freier Entschließung be⸗ stelle. Das Wahlrecht der Beamten wolle er nicht verküm⸗ mert wissen, ausdrücklich enthalte das Programm des konser⸗ vativen Central⸗Comités diese Forderung, die in einem starken Staate, wie Preußen, recht gut möglich sei; aber die Beamten dürften der Regierung nicht Opposition machen. Vor allem be⸗ dauere er, daß die konservative Regierung vom Liberalismus nicht gelernt, alle Konsequenzen aus ihrer Machtstellung zu ziehen, es sei wünschenswerth, daß einmal recht purgativ vor⸗ gegangen werde. Der bleibende Nutzen solcher Debatten sei, daß das Beamtenthum endlich lerne, was zu thun sei. Schon bei nächster Gelegenheit werde sich das zeigen. Der Abg. Richter sage: „Falle das Beamtenthum und die Regierungs⸗ presse fort, was würde dann von den konservativen Wahlen übrig bleiben?“ Er (Redner) aber sage, ziehe die Linke ihre Fonds und den Abg Kichter ab, und dann würde sie sehen, was von den Liberalen bleibe. Solche Argumente bewiesen nichts, wer am besten agitire, bleibe oben. Er wolle sehen, wer bei den nächsten Wahlen Sieger werde.
Damit schloß diese Debatte.
In der zweiten Berathung war das Kap. 116 „katholische Geistlichen und Kirchen“ in zwei Kapitel zerlegt worden und
in das neue Kapitel 1162. die Ausgabe für den altkatholiscen Bischof aufgenommen. Hierzu beantragte der Abg. Götting:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: I. Kapitel 116 Titel 2 der dauernden Ausgaben, die iuus wieder herzustellen. ventue II. für den Fall der Ablehnung vorstehenden Antrages, dem Kapitel 116a. die Ueberschrift zu geben: „Altkatholische Geistliche und Kirchen“.
Der Abg. Götting befürwortete seinen Antrag. Die alt⸗ katholische Bewegung sei bekanntlich durch das vatikanische Konzil veranlaßt, und das Haus sei nicht berufen, darüber zu urtheilen, ob die Katholiken oder die Altkatholiken die richtige Ansicht hätten. Diesen Streit auszutragen, sei Sache der Anhänger dieser Religionsbekenntnisse. Das Haus habe aber, so lange dieselben das nicht untereinander ausgemacht hätten, die Verpflichtung, den Staatsbeitrag für die Altkatholiken zu bewilligen. Die Regierung müsse allerdings mit der Thatsa⸗ rechnen, daß die roͤmischekatholische Kirche eine ungeheure Macht sei und es möge daher nicht unrichtig sein, wenn ein eigener Gesandter beim päpstlichen Stuhle akkreditirt werde aber deshalb brauche die Regierung nicht mit dem Prinzip zu brechen, die römisch katholische Bevölkerung und die Altkatho⸗ liken gleichmäßi 1 schaffen 5. Postion unter einen anderen Titel inkonsequent. Daher habe er den Antrag gestellt. 1t
Der Abg. — von Zedlitz und Neukirch erklärte, daß seine politischen Freunde bei zweiten Etatsberathung wohl
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für die Aufrechterhaltung der Vorlage aus formalen Gesichts⸗
zu behandeln. Jedenfalls wäre das Weg⸗
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