meinerseits lasse derselben alle Gere tigkeit widerfahren, aber ich für meine Person bin der Meinung, daß außerdem zu einer gedeihlichen Leitung der Staatsgeschäfte des mir anvertrauten Ressorts noch ein mehreres gehört, nämlich eine weit⸗ herzige Beurtheilung der im Lande vorhandenen Schäden und der feste Entschluß alles zu thun, was in Menschenkräften steht, diesen Schäden Abhülfe zu verschaffen. Ich habe gestern schon die Ehre abt, auseinanderzusetzen, ich verbinde beides vollkommen mit ein⸗ ander, die politische Verantwortlichkeit und die moralische Verant⸗ wortlichkeit. Daß die erstere das den Staatsmann Beherrschende sein muß, das versteht sich ganz von selbst. Hier aber ist die Frage: giebt es nicht einen Weg, beide Verantwortlichkeiten harmonisch zu verbinden mit dem Erfolg, daß wir einen friedlichen und versöhn⸗ lichen Zustand herstellen?
Ginge es, meine Herren, weiter fort, unentwegt nach den starren Grundsätzen, die der Hr. Abg. Dr. Falk uns gestern auseinander ge⸗ setzt hat, so werden wir nicht über Jahr und Tag, auch nicht über fünf Jahre, auch nicht über zehn Jahre den kirch⸗ lichen Frieden haben, sondern wir werden ihn niemals erhalten. Das ist eine Situation, meine Herren, die die Staatsregierung nicht wünschen kann, und insofern unterscheide ich mich allerdings prinzi⸗ piell und sehr weit von dem Standpunkte, welchen der Hr. Abg. Dr. Falk uns gestern entwickelt hat. Ich weiß nicht, ob es die Schlußworte des Hrn. Abg. Dr. Falk waren, aber jedenfalls kam es in seiner Rede vor: diese Vorlage ist so verwerflich, daß selbst im alle ihrer Verwersung der Schaden nicht wieder gut gemacht werden
ann, den ihr Einbringen verursacht bat. Ich, meine Herren, sage umgekehrt: diese Vorlage ist so vortrefflich, daß selbst im Falle ihrer Verwerfung die Vortheile nie wieder aus der Welt geschafft werden können, die ihr Einbringen verursacht hat, den Vortheil, daß sich im Lande die Ueberzeugung verbreitet: die Regierung hat alles gethan, was in ihren Kräften steht, um dem Lande den inneren Frieden wieder zu verschaffen.
Der Abg. Dr. von Stablewski erklär sei politischen Freunde gegen die Vorlage. Der Kultus⸗Minister habe soeben ausführlich darzuthun gesucht, daß der recursus ab abusu ein von der katholischen Kirche anerkanntes Institut sei. Die von demselben zitirte Aeußerung des Erzbischofs Geißel beziehe sich nur auf die Theorie. Der Kirchenrechts⸗ lehrer Schulte erkenne in seinem Werke an, daß dem Staate über die kirchliche Amtsführung des Bischofs ein Aufsichts⸗ recht nicht zustehe und daß der Bischof dafür dem Staate nicht verantwortlich sei. Derselbe sage ausdrücklich, daß es einen recursus ab abusu nur dann gebe, wenn ein solches Necht gemäß besonderer Vereinbarung festgestellt sei. Wenn der Abg. von Zedli hervorgehoben habe, daß das Prinzip der individuellen Glaubensfreiheit in dem Satze sei⸗ nen Ausdruck finden möge, daß in Preußen Jeder nach seiner Faxgon selig werden könne, so acceptire er das für seine Partei mit Freuden, denn sie wolle ja nur nach den Lehren der römisch⸗katholischen Kirche selig werden. Trotz des großen Nothstandes des katholischen Volkes sei diese Vorlage keine erfreuliche. Daß derselben der Abg. Dr. Falk entgegengetreten sei, wundere ihn nicht; derselbe sei ja ein Kampfes⸗Minister gewesen und stets vom Niederwerfen des Gegners gesprochen; die staatsmännischen Gesichtspunkte der Vorlage habe der⸗
te sich Namens seiner
ge habe er dieselben Be⸗ Er werde für die Ueber⸗ mmission stimmen. Das die verwaisten Pfarreien
lismus geschaffen. Gegen die Vorla denken wie der Abg. Windthorst. weisung der Vorlage an eine Ko Brodkorbgesetz müsse aufgehoben,
wieder besetzt werden. 1 2 Der Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum sprach zunächst dem
Minister seinen Dank aus für die gestern und heute gespro⸗ chenen Worte; dieselben würden die Majorität des Landes überzeugen, daß dieser Minister der geeignete Mann sei, die Sache zu einem glücklichen Ende zu führen; derselbe werde die Rechte des Staats nicht aufgeben und alles Mögliche thun, um der Kirche zu ihrem Rechte zu verhelfen. Er (Redner) selbst habe mit großer Entschiedenheit bei der Schöpfung der Maigesetze mitgewirkt; ihren Grundgedanken halte er auch heute noch für richtig. Aber er habe sich da⸗ mals gleich gesagt, daß bei dem zu erwartenden großen Wider⸗ stand der katholischen Bevölkerung Kampfesbestimmungen hät⸗ ten aufgenommen werden müssen, die wieder außer Kraft zu setzen wären, sobald der Friede wieder einträte. Wahrlich aus Freude am Kampf sei seine Partei nicht in den Kampf ein⸗ getreten. Man hätte diesen Kampf aber besser auf dem Ge⸗ biete der Verwaltung geführt; nur ungern habe seine Par⸗ tei die Nachtheile gesetzlicher Bestimmung mitnehmen müs⸗ en, um den höchsten Vortheil, die Feststellung der echte des Staats gegenüber der Hierarchie, zu erreichen. Die wesentlichen Punkte der Maigesetze würden bleiben müssen; nämlich, daß die Geistlichkeit neben ihrer speziellen Ausbil⸗ dung auch diejenige bekomme, die die Gesammtheit der preu⸗ ßischen Unterthanen habe, daß dem Staate der Einspruch gegen die Anstellung von Geistlichen und die eee von Uebergriffen der Geistlichkeit auf das Gebiet des Staats im Bereiche der Disziplin gewahrt bleibe, und daß endlich die kirchlichen DOrden von dem Boden des preußischen Staates fern blieben. Das Centrum appellire an die konservativen Gefühle seiner Partei, die Herren hätten allerdings selbst viel von konservativen Grundsätzen gesprochen und auch mitunter Gedanken ausgeführt, die ihm (dem Redner) sehr gefielen, z. B. die gestrige Aeußerung des Abg. Windthorst, daß der König nicht wie ein wesenloser Schatten über den Dingen schweben, sondern ein willenskräftiger Faktor der Regierung sein solle. Aber in der praktischen Ausführung der Sache habe er die Hülfe des Centrums fast immer und schmerzlich vermißt. Es habe leider bei allen Fragen, in welchen es die Autorität des Königs und der Regierung zu wahren gegolten habe, seine Macht in die andere Wagschale geworfen, und immer nur ge⸗ fragt, was nütze und fromme der Kirche? So habe auch der Abg. Windthorst gestern wieder erklärt, daß bei der katho⸗ lischen Bevölkerung jedes andere vnerege hinter dem der Kirche zurückstehen müsse. Der Vorwur des Centrums, daß die Kon⸗ servativen feindselig gegen die Kirche seien, oder die Rechte des Staats preisgäben, berühre seine Partei daher nicht; die Vor⸗ lage sei der einzig mögliche Weg zu einem dauernden und sichern Frieden. Der Ruf nach Frieden habe sich im ganzen Lande geltend gemacht; Konservative und Liberale hätten den
selbe freilich nicht begreifen können. Daß aber auch der jetzige Kultus⸗Minister, der, wie derselbe selbst sage, den Frie⸗ den wünsche, meine, durch die Maigesetze würden Dogmen nicht verletzt, klinge seltsam, denn dann wäre ja der weitere Kampf berechtigt. Den Mangel an Verständniß dafür, daß die Gesetzgebung Dogmen verletzt habe, beweise auch die ede des Dr. Falk, die Entrüstung, welche derselbe zur Schau ge⸗ tragen, daß das katholische Volk seinen Seelsorgern anhänge. Es sei eben Glaubenspflicht fur die Katholiken, die Oberen zu respektiren. Den religiösen Nothstand habe der Abg. Dr. Falk ein mo⸗ dernes Interdikt genannt. Es sei auch ein Interdikt, aber verhängt durch Dr. Falk über das arme katholische Volk, er erinnere nur an die Ausdrücke, wie Gehaltssperre, Vereins⸗ u. s. w. Wenn hier die Rede sei von den kirchlichen irren im Jahre 1839 und 1840, so möchte er darauf hin⸗ weisen, mit welcher Achtung man den damals gefangen ge⸗ setzten Bischöfen begegnet sei, wie anders sei der Abg. Falk verfahren! Die katholischen Bischöfe hätten mit Spi buben unter einem Dache gesessen. Der Erzbischof von Ledo owski habe im Gefängniß gesessen und als seine zwei Weihbischöfe die Weihe vorgenommen hätten, seien auch sie ins Gefängniß geworfen. So scharf sei das Schwert des Gesetzes gehandhabt worden. Man habe den Polen reichsfeindliche Be⸗ strebungen vorgeworfen. Worin beständen sie denn? In den Bemühungen, die durch völkerrechtliche Ver⸗ träge den Polen zugestandenen Vorbehalte für ihre Nationalität zu wahren. Die Einheit Deutschlands hätten die Polen nirgends bekämpft. Dem Centrum mache man den Vorwurf, daß es die Regierung in der polnischen Frage an⸗ gegriffen habe. sühm sei es zwar genug, daß der Reichs⸗ anzler eine polnische Frage anerkannt habe; so viel er sich erinnere, habe das Centrum in den Verhandlungen über die Verdeutschung der Ortsnamen und die Er⸗ haltung der polnischen Sprache in den polnischen Volksschulen seine Partei unterstützt, aber nicht blos das Centrum, sondern alle Parteien seien damals moralisch auf Seite seiner Partei gewesen. Die Zeit, wo man sich für den Kulturkampf begeistert habe, sei vorüber und grade die besseren Elemente wollten den Kampf aus der Welt geschafft haben. Der Abg. Falk möge sich freilich von seinem Ideal nicht trennen! Die Zuversicht auf den Sieg der mate⸗ riellen Macht im Kampf mit dem Gewissen sollte doch auch durch die Erfahrungen der Geschichte herabgestimmt werden. Gesetze, deren Ausübung das Gewissen verbiete, müßten un⸗ wirksam sein, weil sie nicht von der öffentlichen Ehrfurcht ge⸗ tragen würden. Was habe man denn mit diefen Gesetzen er⸗ reicht? Nur materielle Zerstörung sei diesen Gesetzen ge⸗ lungen. Wie viele Priester hätten sich denn dem Gerichts⸗ hof gestellt? Wie viele Domkapitel seien denn zur Wahl geschritten, wie viele Staatspfarrer habe man denn über⸗ haupt? Das Volk sei nicht länger geneigt, die Seelsorge zu entbehren. Zwei Millionen Katholiken seien ganz oder zum großen Theil ohne Seelsorge. Die Folge davon sei, daß selbst in religiös angelegten Herzen Unmuth und Bitterkeit sich festsetze, während die leichten Elemente der Irreligiosität in die Arme fielen. Die Presse fast aller Parteien hätten die Maigesetze für verfehlt erklärt und man verlange, daß seine Partei die Majestät solcher Gesetze anerkennen solle, die selbst zum Theil von anderen Parteien als ungerecht bezeichnet seien? Müßte die Regierung nicht selbst sofort diese Gesetze abschaffen? Werde durch sie nicht die Achtung vor den Gesetzen überhaupt diskreditirt? Die Geduld des katholischen Volkes unter dem Drucke dieses Nothstandes, die Ergebung und Opferfreudigkeit sei die schönste Palme des christlichen Sinnes im Kulturkampf. Ein Staatsmann müßte sich über eine düg. Erscheinung freuen! In Rußland, welches schon seit anger Zeit seine Maigesetze habe, hätten dieselben den Nihi⸗
15 in ihren Wahlprogrammen versprochen. Darum habe
ich die Regierung gesagt, wie komme man zum Frieden und
wie denke die Kurie darüber? Daher sei der einzig richtige
Weg dieser akademischen Besprechungen in Wien gewesen. Dieselben hätten zwei große Resultate ergeben: Klarheit über die gegenseitigen Ansprüche, während früher jeder Theil, die Kurie aber mehr als die Regierung, nur Nachgiebigkeit von der anderen Seite erwartet hätte; die Kurie wisse jetzt, daß gewisse Dinge nicht preisgegeben werden könnten; zweitens den be⸗ stimmten Ausspruch der Kirche, daß das, was er als ersten Schritt zum Frieden bezeichnen müsse, die Befolgung der An⸗ zeigepflicht nicht gegen das innere Wesen der Kirche verstoße. Werde der Anzeigepflicht genügt, so könnten in den besetzten Diszesen geordnete Zustände bestehen und sowohl in die blos staatsrechtlichen, als auch in die nach kanonischem Recht vor⸗ handenen Sedisvakanzen die Wahlen vorgenommen werden. Man habe nun in Rom es mit einer Macht zu thun, die in diesen Dingen, die das innere Wesen der Kirche nicht berührten, freie Hand habe, für statthaft oder unstatthaft zu erklären, was sie wolle. Im Staate habe man sich aber in den letzten De⸗ zennien gewöhnt, Alles, was praktischer und mit geringem Zeil⸗ aufwand besser durch die Verwaltung geordnet werden könne, geseblich zu regeln und dadurch mehr Starrheit in die Dinge gebracht, als vielleicht nöthig. Solle nun die Regierung der Kurie gegenüber in gleicher Weise vorgehen, wie diese es könne, so müsse die Regierung möglichst große Fakultäten er⸗ halten; und aus diesem Grunde sei es nothwendig, der Re⸗ gierung die in der Vorlage geforderten Vollmachten zu geben. Man behaupte, daß die im Art. 4 enthaltene Erlaubniß zur Wiedereinsetzung der abgesetzten Bischöfe die Meinung erregen könne, der Staat sei vollkommen unterlegen und die Kirche setze den Fuß auf seinen Nacken. Aus den Erklärungen des Ministers gehe aber unzweifelhaft hervor, daß die Bischöfe nicht zurückkehren könnten, wenn sie nicht die Anzeigen zu leisten versprächen.é Könne da von einem Triumph der Kirche die Rede sein? Das Diskutiren, wer gesiegt habe und wer nicht, entspreche überhaupt nicht dem Ernst und der Würde der Sache. Es frage sich nur, gebe man durch Annahme dieser Vorlage unveräußerliche Rechte des Staates preis oder nicht? Das Volk würde diesen Eindruck nicht gewinnen, son⸗ dern mit Vertrauen auf die Männer blicken, die das Gesetz handhabten. Der Abg. Falk habe gestern hauptsächlich das Gefühl des Mißtrauens in das Volk zu bringen gesucht. Er könne nur dem Gefühl des Befremdens Ausdruck geben über die Art, wie derselbe gegen die Vorlage gesprochen habe; sie würde den Eindruck machen, daß der Abg. Falk nicht in dem Maße der intellektuelle Urheber und Leiter der Maigesetz⸗ gebung gewesen sei, wie man bisher geglaubt habe, daß der⸗ selbe vielmehr nur ein schneidiger und geschickter Ausführer von dem gewesen sei, was von anderer Seite beschlossen sei. Er habe in den Ausführungen des Abg. Falk jede Spur einer staatsmännischen Ader vermißt. Immer nur aus dem Mißtrauen heraus deduziren, das könne er nur als eine kleinliche Art Politik zu treiben, bezeichnen. Man sei diese Auffassung bei der Fortschrittspartei gewohnt, bei der der Abg. Falk des⸗ halb auch gestern den größten Beifall gefunden habe. Der Abg. Falk habe sich an die Divergenz zwischen dem Ministerial⸗ beschluß und der Vorlage geklammert. Der Grundgedanke in Beiden sei aber derselbe: Preußen könne mit Rom kein Kon⸗ kordat machen, aber die Regierung wolle pari passu mit Akten der Gesetzgebung vorgehen, je nachdem ihr durch Erfüllung der Anzeigepflicht die Möglichkeit zum Entgegenkommen ge⸗ boten werde. Wenn man freilich so deduzire, als wenn der böse Feind an der Spitze der Dinge in Deutschland stehe, so könne man etwas anderes von dem Gesetz erwarten. Aber wer würde das von dem Reichskanzler glauben, der selbst so
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sich darum,
viele Jahre seine ganze Krast daran gesetzt habe, das Deut Reich zu schaffen und den Rirchenpolilfschen Konflikt hätte nehmen müssen, um eben das Deutsche Reich fest zu gründen. Der Abg. Falk sollte sich doch hüten, seine Autorität gegen die des Reichskanzlers auszuspielen! Wenn das Haus dem Reichs⸗ kanzler das Gesetz verweigere, so sei das gerade so, als wenn ein Geschäftsführer von seinen Sozien die Möglichkeit ver⸗ lange, in ein gewisses Geschäft einzutreten, und diese ihm dazu die Mittel verweigerten; er glaube nicht, daß das Volk damit einverstanden sein werde. Möge die gemäigt liberale Seite erwägen, wohin es führe, wenn man das Volk daran gewöhne, alle Vorlagen aus dem Gedanken zu beurtheilen was könnte ein böser Mensch damit Böses anfangen? Wie solle es dann werden, wenn an die Stelle des Reichskanzlers Leute kämen, die weit mehr als derselbe darauf angewiesen seien, Vertrauen zu suchen. Er schließe sich dem Antrage an die Vorlage einer Kommission von 21 Mitgliedern zu über⸗ weisen, und hoffe, daß man zu einem allseitig befriedigenden Resultate gelangen werde.
Der Abg. Dr. Virchow bemerkte, wenn man den Vor⸗ redner höre, so meine man in der That, die staatsmännischen Eigenschaften in konzentrirter Gestalt vor sich zu sehen. Vielleicht dürfe er aber in dieser Beziehung daran erinnern, daß es eine Zeit gegeben habe, wo Niemand dem Abg. Dr. Falk mit größerer Begeisterung gefolgt sei und dessen Ver⸗ dienste mehr glorifizirt habe, als der Abgeordnete, der eben ausgesprochen habe, daß in dem früheren Minister Falk keine staatsmännische Ader sei. Wenn man von seiner Partei, die dem Treiben der Parteien unbefangen zuschaue und ein unabhängiges Urtheil habe, verlange, die Fortschrittspartei solle den Herren nachgehen auf den Wegen, die sie staats⸗ männisch nennten, dann würde man in der allerkürzesten Frist zu einem Wirrwarr gelangen, der keinen An⸗ spruch mehr auf den Namen „fonstitutionelles Staats⸗ leben“ hätte. Man spreche schon jetzt vom Minister⸗ tisch, von den Bänken des Centrums und der Ftei⸗ konservativen aus mit einer gewissen Ironie von dem gkonstitutionellen Wesen“. Man fordere das Haus auf, von solchen Formalien abzusehen. Das Haus habe hier auf dem Recht zu bestehen, welches demselben die Verfassung gebe und welches es seinen Nachfolgern ungeschmälertüberliefern müsse. Eine solche Vollmacht, wie die jetzt verlangte, sei seit Gründung der preußischen Konstitution niemals beantragt worden. Er könne der Regierung eine Dispositionsbefugniß nicht geben, ohne daß im Gesetze stehe, wann diese Befugniß angewendet werden solle (Wider⸗ spruch rechte). Die Herren von der rechten Seite seien wahrscheinlich klüger, als er; und wüßten schon jetzt, wann die Regierung gnädig oder ungnädig sein werde. Nehme man einmal den Fall mit den Bischöfen. Glaube man denn wirklich, es werde ein Bischof zur preußischen Regierung kom⸗ men und sagen: Er habe gesündigt — pater peccavi? Dieser Fall sei ganz undenkbar. Oder die Regierung träte an den Bischof mit einer solchen Aufforderung heran; wenn dann der Bischof aber sage: er danke bestens, er wolle sein Recht haben, nicht aber begnavigt werden, was dann? Man zer⸗ breche sich den Kopf über die beste Fassung dieses Artikels und dabei habe derselbe gar keinen Sinn; so lange die Gesetz⸗ gebung überhaupt aufrecht erhalten bleibe, krieche kein Bischof zu Kreuze. Ihm mache die Sache überhaupt den Eindruck, als handle es sich mehr um ein äußeres Gefecht, als handle es im, mehr Worte zu geben, auch in Form eines Ge⸗ setzes, die nach oben und unten den Eindruck großer Fried⸗ fertigkeit und fester Grundsätze machen sollten. Der Reichs⸗ tanzler indessen spreche in den Depeschen gar vichts von Friedensbedürfniß des Landes, wie der Kultus⸗Minister bier; der letztere sei also ein wenig weniger staatsmännisch, als der Reichskanzler. Der Reichskanzler sei so sehr staatsmännisch, daß derselbe die ganze Frage nur auf das Verhalten des Centrums ansehe. Sei das Centrum gut, be⸗ willige es viel neue Steuern, dann lasse sich auch mit dem Papste unterhandeln, verweigere das Centrum aber das Schanksteuergesetz, wolle es Beeren und Pilze nicht den Ritter⸗ gutsbesitzern ausliefern, dann sei die Sache zu Ende und die Unterhandlungen würden abgebrochen. Darum drehe sich die ganze Korrespondenz: Der Papst solle das Centrum koramiren. Dieser Zustand sei eine wahre Abnormität im preußischen Staatsleben, aus dem alles Andere eher als Friede hervor⸗ gehen dürfte, namentlich weil auch das Verhältniß der anderen Parteien zur Regierung sich fortwährend ändere. Dier Kon⸗ servativen hätten bezüglich der protestantischen Kirche nicht einmal ein fertiges Programm, sie wüßten nicht recht genau, was sie mit der Kirche wollten, sie hehaupteten jetzt, daß der Kulturkampf die protestantische Kirche auch furchtbar geschã⸗ digt habe, ohne es beweisen zu können. Die kleine Fort⸗ schrittspartei habe wenigstens den Vorzug eines festen und bekannten Programms, welches weder die protestantische noch die katholische Kirche als die vollberechtigte anerkennen wolle, sondern die Gemeinde als das Glied betrachte, welches der Staat anzuerkennen habe, dessen weitere Gestaltung derselbe frei gebe. Wenn man aber eine Art von katholischer Staats⸗ kirche privilegirt vor allen übrigen und dirigirt von Rom aus, wolle, so könne seine Partei sich nicht dazu entschließen. Die Schwierigkeit liege darin, daß der Staat sich nicht ent⸗ schließen könne, von dem bestehenden Verhältniß abzugehen, obgleich der Reichskanzler selbst anerkannt habe, daß zu einem erträglichen Verhältniß mit Rom keine Möglichkeit vorhanden sei. Trotzdem eröffne man die Verhandlungen mit Rom. Wie müßte die preußische Gesetzgebung gestaltet werden, um einen dauernden Frieden herbeizuführen? Der Weg, den die Vorlage einschlage, führe nicht dahin. Der Minister habe es abgelehnt, daß dies der Weg nach Kanossa sei; nun auf den Namen des Ortes komme es nicht an, wenn man dem Papst entgegenkomme und seinen Willen thue. Die Depeschen seien nur im Auszuge mitgetheilt und wenn man einmal in den Besitz eines Originals komme, finde sich gleich eine Stelle darin, die alterirend auf den Tenor einwirke. Solche Mitthei⸗ lungen seien sehr wenig lehrreich, namentlich, wenn sie nicht in einer würdigeren Form zur Kenntniß kämen, sondern bloß durch die Zeitungen. Es seien doch auch manche Stellen recht dunkel. Er wolle noch einen Passus berühren, der die Fort⸗ schrittspartei betreffe. In dem vom Fürsten Hohelohe gezeich⸗ ten FErlaß vom 5. Mai sei davon die Rede, daß das Centrum immer verbündet gewesen sei mit den sozialistischen und fort⸗ schrittlichen Republikanern. Es handele sich dabei um ein amtliches Schriftstück, welches der Botschafter der fremden Macht mittheilen solle. Das lasse man nachher noch abdrucken, freilich überreiche man es nicht persönlich, aber man lasse es in der Zeitung drucken. (Rufe: Zur Sache 1) Er hoffe doch, daß die Herrn von der rechten Seite dieses Hauses bei dieser höchst ernst⸗ hasten Sache, wo es sich um die politische Ehre anderer Abgeord⸗