Nichtamtliches.
breußen. Berlin, 7. Februar. Im weiteren Lerae vorgestrigen (54.) Sitzung setzte das Haus der Abgeordneten die erste Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Verwendung der in Folge weiterer Reichsseuerreformen an Preußen zu überweisenden Geldsummen fort. Der Abg. Rickert erklärte, er wolle dem Reichskanzler nur widersprechen, nicht denselben widerlegen, denn der politische Gegner sei, wie der Reichskanzler gesagt habe, nicht zu widerlegen. Aber es müsse konstatirt werden, daß es im Hause und im Lande Männer gebe, welche die wirthschastlichen Ansichten des Reichskaänzlers nicht theilten. Die Verfolgung persönlicher Interessen bei der
Führung der Staatsgeschäste traue dem Reichskanzler Niemand zu: wer unter den Mitgliedern dieses Hauses hätte es je ge⸗ wagt, den berühmten Staatsmann, den Preußen mit Stolz den seinigen nenne, so niedrig zu stellen? Er ich, daß der Reichskanzler nicht zurücktrete, aber die rüchte dieser Art, die jetzt verstummen müßten, eien niemals recht glaubhast gewesen. Aber ebenso, wie der Reichskanzler, wüͤrden auch er und seine poli'ischen Freunde vom Kampfplatz nicht zurücktreten, so lange ihre Auftraggeber sie hersendeten. Wenn er aber erkläre, daß die Wirthschafts⸗ politik des Reichskanzlers nicht zum Heile des Landes gereiche, dann beginne die Hetze der den Reichskanzler freiwillig unterstützenden Presse und erkläre ihn und den Abg. Richter für Republikaner, die die Monarchie mstürzten wollten. So sehr fehle in Preußen die erste Bedingung des poli⸗ tischen Lebens, die Achtung vor dem Gegner und sei⸗ ner Loyalität. Der Reichskanzler meine, seine Partei wäre vom Fraktions⸗ und Corpsgeist so beherrscht, daß sie der Regierung den Erfolg ihrer Maßregeln nicht gönnte, die seine Partei selbst machen müßte, wenn der Abg. Richter und er Minister wären. Er lehne diese für ihn schmeichelhafte Aeußerung ent⸗ schieden ab. Er möchte lieber mit dem Reichskanzler paktiren, lieber mit demselben in Frieden leben, als ihn sachlich be⸗ kämpfen, und er sei srei von dem kleinlichen Geist, der unter Politik nichts anderes als die Bekämpfung der Regierung verstehe, und an einem Minister aus den Reihen der Libera⸗ len das loben würde, was er und seine politischen Freunde jetzt bei dem Reichskanzler tadelten. Im Zusammenhang mit dem Verwendungsgesetz stehe die Frage der Landwirthschaft und des Erfolges der Wirthschaftspolitik. Die linke Seite dieses Hauses, auf der ebenso gut Grundbesitzer säßen, wie auf der rechten, sähen die Landwirth⸗ schaft nicht als ein Stiefkind des Erwerbslebens an, dem man immer größere Lasten aufbürden dürfe. Die Allianz der
chutzzöllner und Landwirthe halte nicht mehr lange, hoffentlich
ehe man nach wenigen Jahren die Landwirthe in Schaaren 5 das freihändlerische Lager zurückkehren. Die Be⸗ hauptung, daß der Getreidezoll vom russischen Importeur bezahlt werde, sei nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen und praktischen Untersuchungen auf das Entschiedenste als un⸗ haltbar zurückzuweisen. Speziell hätten die technischen Ermit⸗ telungen in Ostpreußen auf das Evidenteste gezeigt, daß der Zoll vom Inlande gezahlt werde. Wenn nun der Reichs⸗ kanzler als Beispiel für die Steuerbelastung der Landwirth⸗ schaft anführe, daß ihm jeder Scheffel Korn, den er verkaufe, 1 bis 1 ½ ℳ Grundsteuer koste, so glaube er (Redner), daß hiermit nicht viel bewiesen sei. Er z. B. sei glücklicher in seiner kleinen Wirthschaft. Nach seinen Rechnungen koste ihm der Scheffel Roggen noch nicht 50 ₰ Grundsteuer. Aehnliche Resultate hätten viele andere ihm be⸗ kannte Grundbesitzer aufzuweisen. Wenn ferner der Reichskanzler der Meinung sei, man müsse die Land⸗ wirthschaft aufmuntern, um den Bedarf an Korn selbst zu decken: so glaube er, daß die Majorität in der Landwirth⸗ schaft heute anderer Ansicht sei. Wenn die Landwirthschaft glauben sollte, daß ihre beste Lage wäre, das Korn selbst zu produziren, was Deutschland gebrauche, so strebe sie unrich⸗ tigen Zielen nach. Deutschland brauche etwa jährlich im Durch⸗ schnitt für 620 Mill. Mark ausländisches Getreide. Für Branntweinbrennereien, Bierbrauereien und Zuckerfabrikation seien aber in Norddeutschland allein landwirthschaftliche Roh⸗ produkte im Werth von ca. 335 Mill. Mark verbraucht worden, also über die Hälfte der Summe, die von auswärts importirt werde. Nehme man hierzu noch die Verwendungen für Rohpro⸗ dukte aus Süddeutschland, so finde man die Bilanz beinahe her⸗ gestellt und das Ideal des Reichskanzlers erreicht. Sollten denn nun aber die landwirthschaftlichen Rohprodukte diesen Industrien entzogen werden? Er halte es für unmöglich, daß Femand, der ein hervorragendes Interesse an der Landwirth⸗ schaft habe, dieselbe einen solchen Rückschritt machen lassen wolle. Daß in dem erhöhten Körnerbau die Zukunft liege, das sei bei vielen Landwirthen heute ein über⸗ wundener Standpunkt. Selbst in dem schutzzöllnerischen Blatt des Herrn Bueck werde ausgeführt, daß nur von dem Zurück⸗ treten des Körnerbaues Heil zu erwarten sei, und der Weg, den der Reichskanzler in der Landwirthschaft betreten, dem Lande zum allergrößten Schaden gereichen müße, (Redner verlas einen betr. Artikel eines Landwirths). Der Reichskanzler habe nun bezüglich der wirthschaftlichen Verhältnisse hervorgehoben, daß es in den letzten Jahren, nachdem die Zollreform eingeführt, besser geworden sei, und daß der Abg. Richter, wenn derselbe das nicht zugestehen wolle, auf 20 Millionen ungläubige Gesichter stoßen würde. Hier⸗ nach würden nach seiner (des Redners) Ansicht wenigstens noch 7 Millionen gläubige Gesichter bleiben, womit er einst⸗ weilen zufrieden sein wolle, zumal, wie er hoffe, die Zahl sich beträchtlich vermehren würde. Wenn nun der Reichskanzler zum Unterschied gegen sonst, wo die Herren auf der rechten Seite dieses Hauses betreffs der Erfolge der Wirthschaftspolitik aufs Warten seine Partei vertröstet hätten, gestern erklärt habe, daß der Segen bereits da sei: so möchte er wissen, wo denn die Besserung zu finden sei? Seit dem Jahre 1878 sei ja allerdings eine Hebung in einzelnen Branchen des indu⸗ striellen Lebens zu spüren gewesen, besonders 1879/80. Dies sei aber lediglich die Folge der größeren Be⸗ stellungen des Auslandes gewesen; diese Hebung sei zu⸗
freue
en Staats⸗Anzeiger.
dem eine ganz allgemeine und in allen übrigen Ländern eine viel größere als in Deutschland gewesen. Wie übrigens die Tabaksindustrie unter der Besteuerung leide, das sei be⸗ reits neulich ausgeführt worden.
werde, als bis der Tabak noch mehr blute. Nach seiner (des Redners) Ansicht werde es bald einen Zeitpunkt geben, wo das Bluten aufhören würde, wenn nämlich der Tod ein⸗ trete. Und er fürchte, daß die Tabaksindustrie allerdings zu Tode gehetzt werde. Dann habe man nichts mehr bluten zu lassen, und er sei begierig, dann zu sehen, was der Finanz⸗
Minister von Preußen mit dieser todten Tabaksindustrie an⸗
fangen werde. Jedenfalls werde man aus dem Monopol nicht diejenigen finanziellen Erträge herausbringen, die nothwendig seien, um die Armenlast, die Schullast, die Polizeilast auf den Staat zu übertragen. Das sei ja doch die eigentliche Bedeu⸗ tung des Tabaksmonopols. Er sei ebenso wie die Abgg. Bamberger und Delbrück prinzipieller Gegner des Tabaks⸗ monopols nicht als Freihändler, sondern weil bei der Durch⸗
einzig möglichen Wege der ausgiebigen kein finanzieller Ertrag zu gewinnen sei. Die Müllerei sei lediglich in Folge der Zollpolitik ohne Hülfe ruinirt; der Aufschwung in der Eisenindustrie habe seinen Anfang von Amerika genommen; als die Bestellungen daher aufgehört hätten, sei es in der Eisenindustrie wieder sehr still geworden, das gestehe selbst der Geh. Rath Dr. Wedding in den Be⸗ richten über die Eisenindustrie im Jahre 1880 zu. Ueberhaupt seien es immer auswärtige Bestellungen gewesen, in Folge deren ein Aufschwung eingetreten sei. Im Gegensatze zu dem Reichskanzler erkläre er, daß die Bewohner der Ostprovinzen, die unter der neuen russischen Zollerhöhung am meisten litten, für die, wie der Reichskanzler meine, allgemein verlangte Retorsion bestens dankten; er könne die Entwickelung der Völker in wirthschaftlicher Beziehung nicht darin sinden, daß sie sich einander in Zollerhöhungen überböten; Rußland werde sich über kurz oder lang zu einer anderen Zollpolitik bekehren müssen, denn es werde einsehen, daß es selbst am meisten durch seine jetzige Politik benachtheiligt werde. Sei in der Textilindustrie, einer der wichtigsten Industrien, durch die neue Wirthschaftspolitik eine Bes⸗ serung eingetreten? Er bestreite dies. Gerade in der
Textilindustrie zeige sich als Erfolg der neuen Wirth⸗ schaftspolitik, daß die Kaufkraft Preußens eine geringere ge⸗ worden sei. Er verweise in dieser Beziehung auf das letzte „Deutsche Handelsarchiv“, das doch wahrlich nicht einen falschen Bericht über die wirthschaftliche Lage des Landes geben. wolle. Was nun die Vorlage selbst betreffe, so habe es ge⸗ schienen, als ob diese nach einer stillschweigenden Ueber⸗ einkunst nicht mehr zur Vorlage kommen vürde. Diese Gerüchte haben so lange gedauert, wie die vom konservativen Finanzprogramm und wie die vom Rücktritt des Finanz⸗Ministers; jetzt sei das konservative Programm in der Versenkung und der Finanz⸗Minister stehe fester als je. Er finde, daß durch das Erscheinen des Kanzlers eine gewisse Verschwommenheit in den einzelnen Parteien aufgehört habe. Seine Partei werde der Durchberathung des Gesetzes nicht entgegentreten, im Gegentheil er wünsche der Regierung Auskunst zu geben über die Stellung seiner Partei, und sollte das Abgeordnetenhaus darüber auch einer Nach⸗ session sich unterziehen müssen; freilich, wie diese Auskunst ausfallen würde, könne sich die Regierung wohl ungefähr denken. Er habe sich noch über das dürftige statistische Material zu beklagen, welches nach so langer Vorbereitung als Unter⸗ lage für das Gesetz gegeben sei, er habe so kein rechtes Urtheil über die Tragweite des letzteren. Er würde also zunächst für eine Kommissionsberathung eine Ergänzung des veralteten Herrfurth'schen Materials vom Jahre 1878 wünschen; so z. B. sei die Gebäudesteuer gar nicht berücksichtigt. Was sage nun
der Minister des Innern zu der gestrigen Rede des Reichskanzlers? Sämmtliche Minister seien anwesend gewesen, nur der Mi⸗ nister des Innern nicht. Was sage derselbe zu dem neuen Kommunalsteuerprogramm des Reichskanzlers? Wo sei das wirkliche Regierungsprogramm? In der Vorlage oder in der Rede des Kanzlers? Nachdem man sich in das Gesetz nach den Motiven vertieft habe, erfahre man auf einmal etwas ganz Anderes von höchster Stelle. Es werde ja sehr inter⸗ essant sein, diese Vorlage im Plenum weiter zu berathen, um so interessanter, als es an allem Material fehle. Bevor man nicht wisse, was Preußen an Matrikularbeiträgen zu zahlen habe, könne dies Gesetz gar nichts nützen. Der Reichskanzler habe einmal gesagt, ihn kümmere die ganze Reform nichts, er nehme seine Matrikularbeiträge, wie er sie brauche. Seine Meinung vor der Erhebung von 130 Millionen Zöllen sei eine ganz verschiedene in Bezug auf Steuerreform, als nachher. Das, was Preußen aus diesen 130 Millionen bekomme, könne man auch auf Grund des vorjährigen Gesetzes ver⸗ wenden. Die Rede des Reichskanzlers habe das kon⸗ servative Steuerprogramm über den Haufen geworfen, aber auch vom Finanz⸗Minister wisse er nicht, wie derselbe denke, und wenn die Vorlage an eine Kommission kommen sollte, müßte man doch die Grundzüge der Steuerreform der Re⸗ gierung kennen. Von der Ueberweisung der Klassensteuer an die Gemeinden verspreche er sich gar nichts, weshalb hebe man sie nicht lieber ganz auf? Oder überlasse man doch auch die Erhebung derselben den Kommunen, welche sich die Sache billiger allein machen würden als es durch die Regierung ge⸗ schähe. Ueber diesen Reformplan werde man auch 20 Mil⸗ lionen ungläubiger Gesichter im Lande sehen. Bezüglich des gestrigen absprechenden Urtheils des Reichskanzlers über die Klassensteuer spreche er seine Verwunderung aus. Gerade die Klassensteuer sei in einer Zeit der größten Noth entstanden, 1806 — 10, wo man an die edelsten Eigenschaften, an den Patriotismus der Nation habe appelliren müssen. Was solle dann aber geschehen, wenn der Staat die Klassensteuer in Zeit der Noth wieder zurückziehe? Er wolle sich nur noch erst betreffs der Ueberweisung der Grund⸗und Gebäudesteuer an die Kreise äußern. Er gebe zu, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen Kreise und Provinzen die einzigen Organe seien, an welche man die
Sachen überweisen könne, aber er frage: wo bleibe die Ge⸗
lich — Dazu habe man leider noch vom Reichskanzler gehört, daß derselbe nicht eher ruhen
sührung des Monopols auf dem seiner Meinung nach Entschädigung
1881. werbesteuer? Gehe dieselbe nicht pari passu mit der Grund⸗ und Gebäudesteuer? Er werde ein eventuelles Amendement einbringen, um die Ansicht der Mehrheit darüber festzustellen. Von dem Finanz⸗Minister wisse man bis jetzt nicht, woher die neuen Steuern im Reiche kommen sollten; man wisse nur, daß der Tabak mehr bluten solle, wie viel dabei herauskomme, wisse man aber nicht. Wenn nun aber der Reichskanzler meine, daß das Schulgeld aufgehoben werden und die einzelnen Ge⸗ meinden die Entschädigung dafür bekommen sollten, weshalb stehe das nicht in der Vorlage? Glaube man, daß im Rahmen dieser Vor⸗ lage der Wunsch des Reichskanzlers zu erreichen sei? Im Ab⸗ geordnetenhause säßen ja eine Menge Herren vom Lande — er möge die Sache nicht verstehen, aber er stelle die Be⸗ hauptung auf, daß dieses Verwendungsgesetz die Entlastung vom Schulgelde nicht ermögliche, man müßte denn eine Protektionswirthschaft treiben, der einen Gemeinde etwas geben, der anderen nicht. Das wäre sehr gefährlich und er glaube, der Abg. von Meyer, mit dem seine Partei Tag für Tag mehr zusammengehe, werde auch seiner (des Redners) Ansicht sein. Es thue ihm leid, aber der Abg. von Meyer könne seiner Partei nicht entrinnen; der Abg. von Meyer sei nun einmal an den Abg. Richter fest gekettet, und es sei nicht unmöglich, daß man die Abgg. von Meyer, Richter und ihn (Redner) einmal als seltene Exemplare der altpreußischen Finanz⸗ und sonstigen Ueberlieferungen im Lande eerumzeigen und sagen würde: „das seien die, welche an den alt hergebrachten Zuständen festhielten“. Er hoffe, der Abg. von Meyer werde mit dem demselben eigenen Muth die Grundlagen des alten Systems zu vertheidigen wissen. Auch würde sich sehr wohl statisrisch nachweisen lassen, daß namentlich die größeren Städte, welche eigene Kreise bil⸗ deten, von der Entlastung selbst wenig spüren würden. Diese Städte erhielten in der That nur ein Minimum und könnten nur durch Verringerung der Kreissteuern entlastet werden. Hiernach halte er das Gesetz, wie es liege, für un⸗ annehmbar und sei bereit, das Nein, welches der Reichskanzler gestern vom Hause verlangt habe, ohne Weiteres auszusprechen und später noch wesentlich durch statistische Zahlen zu begründen. Seit gestern sei er auf das konservative Programm gar nicht mehr neugierig, es hale seinen Dienst gethan, das Weitere werde sich finden. Interessant sei ihm aber die Rede des Abg. von Wedell gewesen, da derselbe im Gegensatz zu seinen kon⸗ servativen Freunden und deren Erklärungen bei der ersten Berathung des Etats jetzt auf einmal darauf ausgehe, die Grundsteuer zu ermäßigen. Nun habe sich der Reichs⸗ kanzler auch über die schlechte Gebändesteuer beklagt, die ihrer Zeit von den Konservativen gegen die Stimmen der Liberalen geschaffen sei. Wolle man heute die Gebäudesteuer herabsetze, so würde er dabei sein. Der Abg. Richter werde dann nicht säumen, einen darauf be⸗ züglichen Antrag einzubringen. Der Finanz⸗Minister habe ja jetzt das Geld dazu. Der Reichskanzler habe dem Hause gestern eine völlig neue Steuerpolitik entwickelt und u. A. ge⸗ sagt: „Er (der Reichskanzler) sei zu den Herren, die die Steuern zu bewilligen das Recht hätten, als Bittender, als Bettler im Namen der Armen gekommen.“ Seine (des Red⸗ ners) Partei hätte im Namen dieser Armen die ablehnende Antwort gegeben, sie hätte das „Nein“ gesagt, dessen Bedeu⸗ tung auch der rechten Seite dieses Hauses sehr bald klar werden würde. Was die Konservativen den Armen an direkten Steuern abnehmen könnten, reiche lange nicht an das, was sie denselben durch den neuen Zoll⸗ tarif auferlegt hätten. Dies könne man aus dem Studium der Jahresübersichten der Konsumvereine erkennen. Die Last der neuen Zölle habe, wie sich aus einem Bericht eines west⸗ fälischen Konsumvereins ergebe, für eine sparsame Arbeiter⸗ familie von 6 Köpfen nach genauer Buchführung eine Mehr⸗ ausgabe von 45 ₰ per Woche ergeben, ohne Hinzurechnung der Lasten auf Tabak und Luxusgegenstände. Der Reichs⸗ kanzler wolle jetzt das Reich als das Sammelbassin für die Steuern betrachten. Ihm (dem Redner) werde jetzt schon angst und bange, wenn er das Verwendungsgesetz ansehe und das, was nach demselben als Grundlage der direkten Steuer in Preußen übrig bleibe. Der Kanzler habe gestern auf die Finanzen Frankreichs hingewiesen. Die Franzosen erhöben dagegen viel mehr an direkten Steuern als Preußen. Die Seae; müßten natürlich auch viel mehr an indirekten Steuern zahlen, weil sie die kolossalen Kriegsschulden hätten. Werde das Finanzprojekt des Finanz⸗Ministers Bitter durchgeführt, so werde kein Staat einen kleineren Stamm von direkten Steuern gegenüber den so großen in⸗ direkten besitzen, wie Deutschland. Darauf könne man nicht eingehen. Sei das eine Idee im Interesse der Unifikation des Reiches? Wie sollten sich die Dinge gestalten, wenn der Norden und Süden sich die Rechnung gegenseitig auf⸗ machten, sobald der Reichsschatz nicht blos der Sammelplatz sei für Reichszwecke, sondern auch für die staatlichen, und dann gar noch für die kommunalen Bedürfnisse der einzelnen Gegenden? Er verstehe es, wenn der Arbeiter bei dem Schmalz⸗ und Getreidezoll sich damit beruhige, daß derselbe sage, er gebe diese Zölle im Interesse des deutschen Vaterlandes, seiner Einrichtung und seiner Vertheidigung. Das aber werde der⸗ selbe niemals für gerecht und billig halten, daß davon in einer entfernten Gegend Deutschlands Kommunaleinrichtungen geschaffen werden sollten. Der Maßstab nach welchem die Bevölkerung in den einzelnen Gegenden zu den Reichslasten beitrage bei indirekter Besteuerung sei vollständig ver⸗ schieden und regele sich nach dem Konsum. Es sei ja be⸗ kannt, daß der Norden vorzugsweise Kaffee, Thee u. s. w. verzehre, daß dagegen der Süden mehr Bier trinke, daß der Süden aber die Biersteuer nicht in der Gemeinschaft habe, sondern für sich selbst zurückhalte. Wie könne man denn daran denken, eine derartige Steuerpolitik durchzuführen, die den aller dings großartigen genialen Plan, wie man es beim Reichs⸗ kanzler gewohnt sei, ins Auge faße, den Reichsschatz zum Sammelbassin zu machen für staatliche und noch kommunale Bedürfnisse in jedem Winkel von Deutschland. Die kommunalen Bedürfnisse aus den Steuern zu decken, die im ganzen Reich erhoben würden, das sei ein Unding, eine finanzielle Unmög ichkeit, ebenso seien die Lasten, die die vom Reichskanzler be⸗